BBl 2025 1146
CH - Bundesblatt

Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) sowie weitere Änderungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG)

Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) sowie weitere Änderungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG)
vom 7. März 2025
Sehr geehrter Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands). Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, zwei Änderungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Zugriff auf das nationale Reiseinformations- und Genehmigungssystem und Redaktionelle Anpassungen betreffend Schengener Grenzkodex).
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
7. März 2025 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Karin Keller-Sutter Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Die vorliegende Botschaft bezieht sich auf die Genehmigung und Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 und die damit notwendigen Gesetzesanpassungen. Zudem werden zwei Änderungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) vorgeschlagen.
Ausgangslage
Angesichts der bestehenden Herausforderungen der letzten Jahre und um den Schengen-Raum als Ganzes zu stärken hat die EU mit der Verordnung (EU) 2024/1717 eine Reihe von Änderungen der bestehenden Vorschriften des SGK beschlossen. Damit soll eine einheitliche Anwendung der Vorschriften an den Schengen-Aussen- und Binnengrenzen ermöglicht werden.
Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der Änderung des SGK (Vorlage 1)
Die Verordnung (EU) 2024/1717 wurde am 13. Juni 2024 vom Europäischen Parlament und vom Rat der EU verabschiedet. Sie wurde der Schweiz aber bereits im Vorfeld am 24. Mai 2024 als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands notifiziert. Der Bundesrat hat deren Übernahme am 26. Juni 2024 genehmigt, vorbehältlich der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen.
Die vorliegenden Änderungen des SGK zielen darauf ab, die Lehren aus der «COVID-19-Pandemie» zu ziehen und sicherzustellen, dass in Zukunft Koordinierungsmechanismen für den Umgang mit Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit im Schengen-Raum bestehen. Der Rat der EU soll bei Vorliegen einer solchen Bedrohung rasch verbindliche und einheitliche Regelungen für vorübergehende Reisebeschränkungen und andere Massnahmen an den Schengen-Aussengrenzen vorsehen können.
Um auf die wachsende Beteiligung staatlicher Akteure an der künstlichen Herbeiführung und Erleichterung der irregulären Migration an den Schengen-Aussengrenzen zu reagieren, wurden zudem auch Bestimmungen im SGK angepasst.
Die Änderungen des SGK umfassen ebenfalls einen neuen Mechanismus zum Schutz der öffentlichen Gesundheit als Reaktion auf Bedrohungen, die eine Mehrheit der Schengen-Staaten betreffen. Dieser Mechanismus ergänzt den bestehenden Mechanismus bei Mängeln an den Schengen-Aussengrenzen (Art. 29 SGK) und ermöglicht es, bei einer gemeinsamen Bedrohung der Mehrheit der Schengen-Staaten durch einen Beschluss des Rates der EU Binnengrenzkontrollen zu genehmigen. Mit diesem Beschluss sollen Massnahmen zur Abmilderung der negativen Auswirkungen der eingeführten Binnengrenzkontrollen vorgesehen werden.
Die Einführung von Binnengrenzkontrollen soll weiterhin als letztes Mittel zum Ein-satz kommen. Deshalb sehen die Änderungen des SGK ein strukturiertes Verfahren für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen vor. So müssen die Schengen-Staaten, die sich für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen entscheiden, die Angemessenheit und die Auswirkungen auf die Personenfreizügigkeit und auf die Grenzregionen bewerten. Ferner hat der Schengen-Staat, der eine Verlängerung der Binnengrenzkontrollen bei vorhersehbaren Bedrohungen erwägt, zu prüfen, ob alternative Massnahmen wie gezielte Polizeikontrollen und verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit nicht angemessener sind. Eine Risikobewertung muss dann vorgelegt werden, wenn die Verlängerung mehr als sechs Monate dauert. Ferner sollen vorübergehende Grenzkontrollen einen Gesamtzeitraum von zwei Jahren nicht über-schreiten, es sei denn, es liegen ganz besondere Umstände vor.
Weiter sehen die Änderungen des SGK neue Regeln zur Förderung wirksamer Alter-nativen zu Kontrollen an den Binnengrenzen in Form von verstärkten Kontrollen in den Grenzregionen vor. Dabei wird klargestellt, dass diese nicht mit Grenzkontrollen gleichzusetzen sind.
Zur Bekämpfung der Sekundärmigration innerhalb des Schengen-Raums sieht die vorliegende EU-Verordnung ein neues Überstellungsverfahren vor, welches es den Schengen-Staaten erlaubt, illegal aufhältige Ausländerinnen und Ausländer, welche im Rahmen einer grenzübergreifenden Zusammenarbeit im Grenzgebiet aufgegriffen werden, leichter an den Schengen-Staat, aus dem sie ausgereist sind, zu überstellen. Asylsuchende und Personen, die internationalen Schutz erhalten haben, sind von diesem Verfahren ausgenommen.
Die Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 bedingt Anpassungen im AIG und im Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes.
Schaffung eines Zugriffs auf das nationale ETIAS-System im AIG (Vorlage 2)
Des Weiteren soll im AIG eine Regelung aufgenommen werden, wonach das Protokoll des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und die ständige Mission der Schweiz beim Büro der Vereinten Nationen und den anderen internationalen Organisationen in Genf (Schweizer Mission in Genf) im Rahmen der Konsultation der nationalen ETIAS-Stelle, welche im Staatssekretariat für Migration angesiedelt ist, ebenfalls Zugriff auf das nationale ETIAS-System (N-ETIAS) erhalten. Damit kann der Konsultationsprozess vereinheitlicht und vereinfacht werden.
Mit dieser Vorlage 2 soll diese Anpassung, welche unabhängig von der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ist, im AIG aufgenommen werden.
Redaktionelle Anpassungen betreffend Schengener Grenzkodex im AIG (Vorlage 3)
Unabhängig von der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands werden einige redaktionelle Anpassungen bezüglich des Begriffs «Grenze» vorgenommen. Damit soll eine sprachliche Annäherung an die Begriffe des Schengener Grenzkodex erreicht werden.
Botschaft

1 Einleitung

Die vorliegende Botschaft umfasst drei voneinander unabhängige Vorlagen. Die erste Vorlage betrifft den Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 ¹ zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 ² über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (nachfolgend SGK; Ziff. 2). Gemäss der neuen EU-Verordnung werden die Voraussetzungen und Verfahren für die vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen präzisiert und ergänzt. Zudem werden aufgrund der gesammelten Erfahrungen während der Corona-Pandemie verbindliche Regeln für den Umgang mit Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit eingeführt. Schliesslich wird ein neues Überstellungsverfahren zur Bekämpfung der Sekundärmigration innerhalb des Schengen-Raums eingeführt. Die Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 bedingt Anpassungen im Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 2005 ³ (AIG) und im Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes vom 13. Juni 2008 ⁴ (BPI). Der Bundesrat hat die Übernahme der EU-Verordnung am 26. Juni 2024 unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gutgeheissen.
Die zweite Vorlage betrifft eine Änderung des AIG (Ziff. 3). Neu sollen das Protokoll des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern und die Schweizer Mission in Genf auf das nationale ETIAS-System (nachfolgend N-ETIAS) Zugriff erhalten. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, dass sie u. a. bei Gesuchen zur Erteilung einer räumlich und zeitlich begrenzten ETIAS-Reisegenehmigung durch die nationale ETIAS-Stelle (nachfolgend NES), welche im Staatssekretariat für Migration (SEM) angesiedelt ist, systemgestützt (und nicht via E-Mail) konsultiert werden. Damit wird der Konsultationsprozess im Rahmen der Erteilung von ETIAS-Reisegenehmigungen verschlankt und vereinheitlicht.
In der dritten Vorlage (Ziff. 4) werden im AIG einige redaktionelle Anpassungen betreffend Schengener Grenzkodex vorgenommen, da die Begrifflichkeiten des AIG im Bereich der Grenzkontrollen uneinheitlich verwendet werden. Damit soll eine sprachliche Angleichung der Terminologie des SGK erreicht werden. Dies dient der Transparenz und der Rechtssicherheit. Materielle Änderungen sind damit nicht verbunden.
Die drei eben genannten Vorlagen werden im Rahmen einer Botschaft behandelt, da jeweils ein enger thematischer Konnex besteht. Das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS), das ein Schengen -Informationssystem ist, soll voraussichtlich 2026 in Betrieb gehen. Die Vorlage 2 wurde somit aus zeitlicher Dringlichkeit und aus Effizienzgründen im Rahmen dieses Pakets aufgenommen. Eine Aufnahme rechtfertigt sich insbesondere, da die Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 (Vorlage 1) ebenfalls eine Schengen-Weiterentwicklung darstellt. Die Aufnahme der Vorlage 3 (sprachliche Angleichung des AIG an den Schengener Grenzkodex) in das vorliegende Paket drängte sich auf, da sie thematisch eng mit der Vorlage 1, bei der es um die Revision des Schengener Grenzkodex geht, verknüpft ist. Voraussichtlich werden alle drei Vorlagen gleichzeitig in Kraft gesetzt.
¹ Verordnung (EU) 2024/1717 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 zur Änderung der Verordnungen (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl. L, 2024/1717, 20.6.2024.
² Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2024/1717, ABl. L, 2024/1717, 20.6.2024.
³ SR 142.20
⁴ SR 361

2 Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 (Änderung SGK)

2.1 Ausgangslage

2.1.1 Handlungsbedarf und Ziele

Der Schengen-Raum umfasst ein Gebiet, in dem Bürger und Bürgerinnen des Schengen-Raums sowie sich in diesem rechtmässig aufhältige Personen ohne Binnengrenzkontrollen frei reisen können.
Der SGK wurde 2006 ⁵ erlassen. Er ersetzt wesentliche Bestimmungen des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 ⁶ zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen (SDÜ) und fasst in einem einheitlichen Rechtsakt die gemeinsamen Regeln für die Kontrolle an den Aussen- und Binnengrenzen des Schengen-Raums zusammen. Er stellt nicht nur die aktuelle Rechtsgrundlage zur Frage des Grenzübertritts an den Binnen- und Aussengrenzen des Schengen-Raums dar, sondern enthält auch Bestimmungen über die Einreisevoraussetzungen sowie die bei der Durchführung der Grenzkontrolle zu beachtenden Grundsätze (z. B. obligatorische SIS-Abfrage, getrennte Kontrollspuren an den Grenzübergangsstellen, Kontrollintensität, personelle und finanzielle Ressourcen für die Grenzkontrollen). Darüber hinaus statuiert der SGK die grundsätzlichen Verpflichtungen zum Abbau der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen und regelt die Voraussetzungen und Verfahren zur vorübergehenden Wiedereinführung dieser Kontrollen in besonderen Fällen.
Die Binnengrenzen dürfen unabhängig der Staatsangehörigkeit der betreffenden Person an jeder Stelle ohne Grenzkontrollen überschritten werden (Art. 22 SGK). Davon unberührt bleiben Personenkontrollen im Rahmen von Zollkontrollen sowie die Ausübung der polizeilichen Befugnisse. Unter anderem fallen Kontrollen von Personen zwecks gezielter Suche nach mitgeführten unverzollten, verbotenen und/oder bewilligungspflichtigen Waren (bspw. Fleisch- und Tabakwaren, Drogen oder Waffen) darunter. Diese Kontrollen können auch verdachtsunabhängig erfolgen. Die Durchführung von Personenkontrollen im Rahmen einer Zollkontrolle kann situativ auch die Überprüfung der Identität einer Person erforderlich machen. Zudem sind auch unter Schengen weiterhin Personenkontrollen zulässig, soweit sie im Einzelfall polizeilich motiviert sind oder der Ermittlung der Bedrohungslage dienen. Diese Kontrollen dürfen aber nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben (Art. 23 SGK).
Im Gegensatz zu den Binnengrenzen dürfen die Schengen-Aussengrenzen (Art. 5 SGK) nur über zugelassene Stellen überschritten werden. Dort erfolgt die Kontrolle der Einreisevoraussetzungen, welche in Artikel 6 SGK festgehalten sind. Diese unterscheidet sich, je nachdem, ob es sich um eine freizügigkeitsberechtigte Person oder um einen Drittstaatsangehörigen handelt (Art. 8 SGK). Werden die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt, kann die Einreise verweigert werden (Art. 14 SGK).
Die bisherigen Regelungen des SGK räumen den Schengen-Staaten die Möglichkeit ein, vorübergehend Binnengrenzkontrollen einzuführen, wenn eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt. Die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen soll jedoch die Ausnahme bleiben und muss verhältnismässig sein. Die Kontrollen sind aufzuheben, sobald die Gründe dafür nicht mehr bestehen.
Bis anhin sah der SGK zwei Verfahren für die einseitige Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen durch die Schengen-Staaten vor (ohne Beschlussfassung des Rates der EU). Die Verfahren unterschieden sich je nachdem, ob unvorhersehbare oder vorhersehbare Umstände die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen notwendig machten:
-
Bei unvorhersehbaren Umständen (Art. 28 alt SGK), d.h. in Fällen, in denen sofortiges Handeln erforderlich war, konnten die Schengen-Staaten einseitig für einen begrenzten Zeitraum von höchstens zehn Tagen Binnengrenzkontrollen einführen. Eine Verlängerung war bei andauernder Bedrohung um 20 Tage bis maximal zwei Monate möglich.
-
Bei vorhersehbaren Umständen (Art. 25 alt SGK) konnten die Schengen-Staaten Binnengrenzkontrollen für einen Zeitraum von 30 Tagen oder für die Dauer der Bedrohung einführen. Dieser konnte zuerst auf 30 Tage und dann auf maximal sechs Monate verlängert werden. Das Verfahren zur Wiedereinführung dieser Binnengrenzkontrollen richtete sich nach Artikel 27.
Auch mit der vorliegenden Änderung des SGK bleibt das Verfahren zur Einführung von Binnengrenzkontrollen im Falle von aussergewöhnlichen Umständen, unter denen das Funktionieren des Schengen-Raums gefährdet ist (Art. 29 und 30) bestehen. Der Rat der EU kann auf Vorschlag der Europäischen Kommission als letztes Mittel empfehlen, dass ein oder mehrere Schengen-Staaten Binnengrenzkontrollen für höchstens sechs Monate einführen. Dieser Zeitraum kann höchstens dreimal um einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Monaten verlängert werden (Gesamthöchstdauer von zwei Jahren).
Vor 2015 wurden Binnengrenzkontrollen hauptsächlich in Zusammenhang mit punktuellen Ereignissen wie politischen Gipfeltreffen oder sportlichen Grossveranstaltungen eingeführt. In den letzten Jahren wurde der Schengen-Raum jedoch durch eine Reihe von Krisen und Herausforderungen wiederholt auf den Prüfstand gestellt. Dies führte zu einem Paradigmenwechsel. Aufgrund der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 und der späteren «COVID-19-Pandemie» sowie als Reaktion auf die anhaltende terroristische Bedrohung durch die Häufung von Anschlägen im Schengen-Raum, führten eine Reihe von Schengen-Staaten in den letzten Jahren wiederholt Grenzkontrollen an ihren Binnengrenzen ein. Aufgrund der Flüchtlingskrise wurde erstmals gestützt auf entsprechende Durchführungsbeschlüsse des Rates ⁷ , das Verfahren nach Artikel 29 angewendet.
Angesichts dieser neuen Herausforderungen für den Schengen-Raum und um den Schengen-Raum als Ganzes zu stärken sowie eine einheitliche Anwendung der Vorschriften an den Aussen- und Binnengrenzen sicherzustellen, hat die EU mit der vorliegenden Verordnung (EU) 2024/1717 eine Reihe gezielter Änderungen der bestehenden Vorschriften des SGK beschlossen (siehe dazu Ziff. 2.3 und 2.4). Diese Änderungen umfassen insbesondere:
-
Die Einführung von verbindlichen vorübergehenden Reisebeschränkungen an der Schengen-Aussengrenze zum Schutz der öffentlichen Gesundheit (neuer Art. 21 a SGK);
-
Neue Bestimmungen im Zusammenhang mit der Instrumentalisierung von Migranten (neuer Art. 5 Abs. 4 SGK);
-
Neue Regeln zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen (neu Art. 25-27 a sowie neuer Art. 33 SGK);
-
Neuer Mechanismus zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, wenn die Mehrheit der Schengen-Staaten betroffen sind und somit das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt gefährdet ist (neuer Art. 28 SGK);
-
Neues Überstellungsverfahren im Rahmen der grenzüberschreitenden operativen Zusammenarbeit zwischen den Schengen-Staaten in Binnengrenzgebieten (neuer Art. 23 a SGK).
Mit diesen Änderungen sollen die Schengen-Staaten sowie der gesamte Schengen-Raum gezielter und einheitlicher gegen schwerwiegende Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit, Bedrohungslagen infolge Instrumentalisierung von Migranten sowie Terrorismus und Sekundärmigration vorgehen können.
Die Schweiz hat sich mit dem Schengen-Assoziierungsabkommen (SAA) ⁸ grundsätzlich zur Übernahme aller Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands verpflichtet (Art. 2 Abs. 3 und Art. 7 SAA). Die Übernahme eines neuen Rechtsakts erfolgt dabei in einem besonderen Verfahren, das die Notifikation der Weiterentwicklung durch die zuständigen EU-Organe und die Übermittlung einer Antwortnote seitens der Schweiz umfasst.
Die Verordnung (EU) 2024/1717 wurde der Schweiz am 24. Mai 2024 als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands notifiziert. Die formelle Verabschiedung des Rechtsaktes erfolgte jedoch erst am 13. Juni 2024 (mittel Unterzeichnung des Rechtsaktes durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates der EU). Der Bundesrat hat den Notenaustausch zur Übernahme dieser EU-Verordnung am 26. Juni 2024 unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gutgeheissen. Die entsprechende Antwortnote wurde der EU am 28. Juni 2024 übermittelt.
Ziel dieser Vorlage ist es, die vorliegende Schengen-Weiterentwicklung fristgerecht zu übernehmen und die notwendigen rechtlichen Grundlagen für deren Umsetzung zu schaffen. Die Schweiz verfügt hierfür über eine Frist von maximal zwei Jahren. Die Frist läuft am 13. Juni 2026 ab.
⁵ Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. L 105 vom 13.4.2006, S. 1.
⁶ Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.
⁷ Durchführungsbeschluss (EU) 2016/894; ABl. L 151 vom 8.6.2016, S. 8; Durchführungsbeschluss (EU) 2016/1989; ABl. L 306 vom 15. November 2016, S. 13; Durchführungsbeschluss (EU) 2017/246; ABl. L 36 vom 11.2.2017, S. 59; Durchführungsbeschluss (EU) 2017/818; ABl. L 122 vom 13.5.2017, S. 73.
⁸ Abkommen vom 26. Okt. 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, SR 0.362.31 .

2.1.2 Geprüfte Alternativen

Geprüft und verworfen wurde die Möglichkeit, den Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 mit einer Bestimmung zu ergänzen, die die Einschränkung des Luftpersonenverkehrs durch Flugverkehrsverbote im Rahmen einer Pandemie durch die Schweiz vorsieht, um die Einschleppung von besorgniserregenden oder immunevasiven Virusvarianten zu verhindern. Am 21. Dezember 2020 hat der Bundesrat nach der Entdeckung einer neuen, ansteckenderen Variante des Coronavirus in Grossbritannien und Südafrika Massnahmen beschlossen, um die weitere Ausbreitung der neuen Virusvariante möglichst zu verhindern. Er ordnete vorübergehend ein Flugverkehrsverbot zwischen der Schweiz, Grossbritannien und Südafrika an. Daraufhin hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) die Flugverkehrsverbindungen zwischen der Schweiz und diesen zwei Staaten eingestellt. In der Folge wurden vom 26. November 2021 bis zum 4. Dezember 2021 weitere Flugverkehrsverbindungen zwischen der Schweiz und Botsuana, Eswatini, Lesotho, Mosambik, Namibia, Simbabwe und Südafrika eingestellt. Mit den angeordneten Massnahmen ist es jedoch nicht gelungen, das gewünschte epidemiologische Ziel zu erreichen. Daher wird darauf verzichtet, eine entsprechende Rechtsgrundlage auf Gesetzesstufe zu schaffen.

2.1.3 Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Gestützt auf Artikel 4 des SAA ist die Schweiz im Rahmen ihres Mitspracherechts berechtigt, im Schengen-Bereich in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU mitzuwirken. Sie kann insbesondere Stellung nehmen und Anregungen einbringen. Über ein Stimmrecht verfügt die Schweiz jedoch nicht (vgl. Art. 7 Abs. 1 SAA).
Am 14. Dezember 2021 stellte die Europäische Kommission den Verordnungsvorschlag für die Revision des Schengener Grenzkodex vor.
Die Diskussionen im Rat der EU dauerten vom 7. Januar 2022 bis am 10. Juni 2022 und die Verhandlungen mit dem europäischen Parlament (Trilog) vom 7. November 2023 bis zum 14. Februar 2024.
Im Rahmen der Verhandlungen konnten die Vertreterinnen und Vertreter der Schweiz technische Fragen klären und ihre Lösungsvorschläge einbringen.
Besonders intensive Diskussionen fanden im Trilog zu den folgenden Themen statt:
-
Rechtsgrundlage für Reisebeschränkungen bei Pandemien;
-
Intensivierung polizeilicher Zusammenarbeit als alternative Massnahme zu Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen;
-
Migrationsspezifische Elemente (Instrumentalisierung, Überstellungsverfahren);
-
Rahmen für die Wiedereinführung der Kontrollen an den Binnengrenzen.
Der erzielte Kompromiss wurde vom Plenum des Europäischen Parlaments am 24. April 2024 und vom Ministerrat am 24. Mai 2024 gebilligt. Die formelle Verabschiedung der EU-Verordnung folgte am 13. Juni 2024 mittels Unterzeichnung des Rechtsakts durch die Präsidentin des Europäischen Parlaments und den Präsidenten des Rates der EU. Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands wurde der Schweiz aber bereits im Vorfeld am 24. Mai 2024 notifiziert.

2.1.4 Verfahren zur Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands

Gestützt auf Artikel 2 Absatz 3 SAA hat sich die Schweiz grundsätzlich verpflichtet, alle Rechtsakte, welche die EU seit der Unterzeichnung des SAA am 26. Oktober 2004 als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands erlassen hat, zu übernehmen und, soweit erforderlich, in das Schweizer Recht umzusetzen.
Artikel 7 SAA sieht ein spezielles Verfahren für die Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands vor. Zunächst notifiziert die EU der Schweiz «unverzüglich» die Annahme eines Rechtsakts, der eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt. Danach verfügt der Bundesrat über eine Frist von dreissig Tagen, um dem zuständigen Organ der EU (Rat der EU oder EU-Kommission) mitzuteilen, ob und gegebenenfalls innert welcher Frist die Schweiz die Weiterentwicklung übernimmt. Die dreissigtägige Frist beginnt mit der Annahme des Rechtsakts durch die EU zu laufen (Art. 7 Abs. 2 Bst. a SAA).
Soweit die zu übernehmende Weiterentwicklung rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaustausch, der aus Sicht der Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt. Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben muss dieser Vertrag entweder vom Bundesrat oder vom Parlament und, im Fall eines Referendums, vom Volk genehmigt werden.
Die zur Übernahme anstehende Verordnung (EU) 2024/1717 ist rechtsverbindlich. Die Übernahme hat daher mittels Abschlusses eines Notenaustauschs zu erfolgen.
Vorliegend ist die Bundesversammlung für die Genehmigung des Notenaustausches zuständig (vgl. Ziff. 2.9.3). Entsprechend hat die Schweiz der EU am 28. Juni 2024 in ihrer Antwortnote mitgeteilt, dass die betreffende Weiterentwicklung für sie erst «nach Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Voraussetzungen» rechtsverbindlich werden kann (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Ab der Notifizierung der Rechtsakte durch die EU verfügt die Schweiz für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklung über eine Frist von maximal zwei Jahren. Innerhalb dieser Frist muss auch eine allfällige Referendumsabstimmung stattfinden.
Mit der vorliegenden Verordnung (EU) 2024/1717 wird der SGK angepasst, der Schengen-relevant ist.
Es handelt sich dabei um eine EU-Verordnung, welche die Schweiz bereits als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands übernommen hat. Im Rahmen der Übernahme der vorliegenden EU-Verordnung muss die Schweiz daher auch Änderungen in den entsprechenden nationalen Rechtsgrundlagen anpassen.
Sobald das innerstaatliche Verfahren abgeschlossen ist und alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung der EU-Verordnung erfüllt sind, unterrichtet die Schweiz den Rat der EU und die Europäische Kommission unverzüglich in schriftlicher Form hierüber. Wird kein Referendum gegen die Übernahme und Umsetzung der EU-Verordnung ergriffen, erfolgt diese Mitteilung, die der Ratifizierung der Notenaustausche gleichkommt, unverzüglich nach Ablauf der Referendumsfrist.
Ab dem Zeitpunkt der Notifikation der Verordnung durch die EU verfügt die Schweiz damit über eine Frist von höchstens zwei Jahren für deren Übernahme und Umsetzung. Da die EU-Verordnung der Schweiz im vorliegenden Fall bereits am 24. Mai 2024 notifiziert wurde, und damit vor der formellen Verabschiedung am 13. Juni 2024, rechtfertigt es sich, den Fristenlauf erst ab dem 13. Juni 2024 laufen zu lassen, wodurch die Zweijahresfrist am 13. Juni 2026 endet. Eine allfällige Nichtübernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands würde im äussersten Fall die Beendigung der Zusammenarbeit von Schengen insgesamt, und demzufolge auch von Dublin, nach sich ziehen (Art. 7 Abs. 4 SAA i. V. m. Art. 14 Abs. 2 DAA ⁹ ). 1⁰
⁹ Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft vom 26. Oktober 2004 über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags, SR 0.142.392.68 .
1⁰ Vgl. Botschaft zur Genehmigung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union, einschliesslich der Erlasse zur Umsetzung der Abkommen («Bilaterale II»), BBl 2004 5965 , 6133 ff.

2.1.5 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu den Strategien des Bundesrates

Die Vorlage 1 ist nicht ausdrücklich in der Botschaft vom 24. Januar 2024 1¹ zur Legislaturplanung 2023-2027 und im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 ¹2 über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt. Sie steht jedoch in Zusammenhang mit Ziel 17 («Die Schweiz sorgt für eine stringente Asyl- und Integrationspolitik, nutzt die Chancen der Zuwanderung und setzt sich für eine effiziente europäische und internationale Zusammenarbeit ein»).
Die Vorlage 1 ist auch Ziel der aussenpolitischen Strategie des Bundesrates 2024-2027 ¹3 : Die Schweiz nutzt ihre Assoziierung an Schengen/Dublin, um sich für die Bekämpfung der Kriminalität und der irregulären Migration sowie für den Schutz der Aussengrenzen und ein effizientes Dublin-System auf europäischer Ebene einzusetzen. Mit der Übernahme und Umsetzung der Schengen-Weiterentwicklungen stärkt sie die Sicherheit der Schweiz und Europas.
Die Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 (Vorlage 1) steht mit keiner Strategie des Bundesrats in Konflikt. Sie ist angezeigt, um den Verpflichtungen der Schweiz aus dem SAA nachzukommen.
1¹ Die «Botschaft zur Legislaturplanung 2023-2027» wird im Bundesblatt nur durch Verweis veröffentlicht, BBl 2024 525 : www.fedlex.admin.ch > Allgemeine Informationen > Umfang der Veröffentlichung > Veröffentlichung durch Verweis.
¹2 BBl 2024 1440
¹3 www.eda.admin.ch > Aussenpolitik > Strategien und Grundlagen > Aussenpolitische Strategie 2024-2027

2.2 Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren

2.2.1 Allgemeine Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren

Generelle Bemerkungen zum Vernehmlassungsverfahren
Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 2005 ¹4 (VlG) wurde vom 26. Juni bis zum 17. Oktober 2024 eine Vernehmlassung ¹5 durchgeführt.
Zu den drei Vorlagen ¹6 sind 52 Eingaben eingegangen. Insgesamt haben sich 24 Kantone, fünf politische Parteien (FDP.Die Liberalen [FDP], die GRÜNEN, die Mitte, Sozialdemokratische Partei [SP] und Schweizerische Volkspartei [SVP]), drei Dachverbände der Wirtschaft (Schweizerischer Arbeitgeberverband [SAV], Verband der Schweizer Unternehmen [economiesuisse] und Schweizerischer Gewerkschaftsbund [SGB]), das Bundesgericht (BGer), das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) sowie 18 weitere interessierte Kreise schriftlich geäussert.
Davon haben drei Kantone (AR, GR, ZG) sowie sieben weitere Vernehmlassungsteilnehmer ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet (SAV, BGer, BVGer, Centre Patronal, Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden [VSAA], Schweizerischer Verband für Zivilstandswesen [SVZ] und Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden [VKM]).
Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zu allen drei Vorlagen
Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer begrüsst die drei Vorlagen und auch die damit notwendigen Gesetzesanpassungen. In 14 Fällen wurden keine Anmerkungen angebracht (AG, AI, BE, BS, FR, GL, LU, NE, SG, TG, UR, VD, VS und die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren [KKJPD]); Bemerkungen zu den drei Vorlagen erfolgten in 16 Fällen (BL, GE, NW, OW, SH, SO, TI, ZH, Die Mitte, FDP, economiesuisse, AEROSUISSE, Fédération des Entreprises Romandes [FER], Flughafen Genf, Flughafen Zürich und die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz [KKPKS]).
Begrüsst wird insbesondere, dass mit der vorliegenden Anpassung des SGK (Vorlage 1) bei der Bedrohung der öffentlichen Gesundheit neu eine einheitliche europaweite Politik möglich wird. Dies sei nicht nur sinnvoller als nationale Lösungen, sondern erhöhe auch die Sicherheit im Schengen-Raum. Die Harmonisierung der Terminologie des AIG mit dem SGK (Vorlage 3) wird von der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden ebenfalls begrüsst. Diese trage zu einer besseren rechtlichen Kohärenz bei. Für mehrere Kantone ist es begrüssenswert, dass die vorliegenden Änderungen keine personellen und finanziellen Auswirkungen haben.
Die GRÜNEN, die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA), die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), der SGB, die SP und die Plattform «Zivilgesellschaft in Asyl-Bundeszentren» (ZiAB) befürworten zwar grundsätzlich die Übernahme und Umsetzung der EU-Verordnung, da die Schengen-Assoziierung der Schweiz nicht aufs Spiel gesetzt werden solle. Sie sind jedoch bei gewissen Punkten kritisch, insbesondere in Bezug auf den Zugang zum Asylverfahren, die Einhaltung der Menschenrechte bei der Rückweisung an der Grenze und die Dauer möglicher Binnengrenzkontrollen.
AsyLex, der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Schweiz (JRS), die Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS), der Politbeobachter und das Solinetz lehnen alle drei Vorlagen ab. Die Übernahme und Umsetzung der EU-Verordnung wird in erster Linie deswegen abgelehnt, weil zu stark in die Menschenrechte insbesondere von vulnerablen Personen eingegriffen werde. In diesem Zusammenhang kritisieren sie insbesondere, dass das Recht auf Asyl sowohl bei der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen als auch beim neuen Überstellungsverfahren eingeschränkt werde, dass beim neuen Überstellungsverfahren gegen das Non-Refoulement-Gebot verstossen werde und dass eine allfällige Beschwerde gegen diesen Überstellungsentscheid keine aufschiebende Wirkung habe. Das neue Zugriffsrecht des EDA auf N-ETIAS lehnen sie aus Datenschutzgründen ebenfalls ab. Auch der Vorlage 3 stehen sie aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken kritisch gegenüber.
Die SVP lehnt die Vorlagen als einzige Partei ab. Sie kritisiert insbesondere die Kompetenzverschiebung an die EU in Bezug auf Einreisebeschränkungen und weitere Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Die Schweiz solle diese Entscheide souverän treffen können. Zusätzlich seien die wenigen kleineren Massnahmen, die in die richtige Richtung gingen, nicht geeignet, die massive illegale Einwanderung einzudämmen.
Weitere kritische Äusserungen betreffen die verfrühte Einführung von Bestimmungen hinsichtlich der Einreisebeschränkungen bei einer Bedrohung der öffentlichen Gesundheit. Economiesuisse, der Flughafen Zürich und AEROSUISSE weisen deswegen darauf hin, dass die Beratung des Parlaments zum Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen vom 28. September 2012 ¹7 (Epidemiengesetz, EpG) abzuwarten sei.
¹4 SR 172.061
¹5 www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2024 > EJPD
¹6 Zu den Vorlagen 2 und 3 s. Ziffern 3.2 und 4.2.
¹7 SR 818.101

2.2.2 Detaillierte Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren und Würdigung der Ergebnisse

Wiedereinführung vorübergehender Binnengrenzkontrollen (nArt. 21
a
, 25-27
a
sowie nArt. 33 SGK; Art. 8 E -AIG)
Die neuen Regeln zur Wiedereinführung von einseitigen Binnengrenzkontrollen (nArt. 25-27 a sowie nArt. 33 SGK) werden von economiesuisse ausdrücklich begrüsst, da so für alle Schengen-Staaten anerkannte und respektierte Regeln gelten würden. Die Mitte betont, dass der Schweiz auch mit den vorliegenden Anpassungen ein genügender Handlungsspielraum verbleibe, um auf unvorhersehbare Bedrohungen unverzüglich mittels Grenzkontrollen reagieren zu können. Bei vorhersehbaren Ereignissen stünde es der Schweiz im Falle einer verschärften Bedrohungslage ebenfalls offen, Grenzkontrollen anzuordnen. Die Flughäfen Zürich und Genf, der Kanton GE sowie AEROSUISSE erachten es als unerlässlich, dass die Landesflughäfen Basel, Genf und Zürich vor der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen vorab konsultiert werden. Zudem seien sie nach dem Entscheid eng einzubinden, da die Auswirkungen auf den Flughafenbetrieb und die Passagierströme erheblich seien.
Gleichzeitig halten economiesuisse, FDP, die GRÜNEN sowie die Flughäfen Genf und Zürich fest, dass die Einführung temporärer Binnengrenzkontrollen, wie in Artikel 8 Absatz 1 E-AIG festgehalten, weiterhin die Ausnahme bleiben müsse. Eine Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen solle nur dann als letztes Mittel zur Anwendung kommen, wenn es keine alternativen Massnahmen gebe, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Gemäss den GRÜNEN sollten die Binnengrenzkontrollen nicht nur in begründeten Ausnahmefällen, sondern auch so kurz wie möglich durchgeführt werden.
Economiesuisse misst den geeigneten, komplementären Massnahmen, die gemäss Artikel 26 SGK bei der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen ergriffen werden sollten, besondere Bedeutung bei. Er ist der Ansicht, dass es bei den alternativen Massnahmen einen engen, wenn möglich institutionalisierten Austausch der Schweizer Behörden mit den zuständigen Behörden der Nachbarstaaten brauche. Die FDP fordert zusätzlich, dass die Bewertung der Auswirkungen solcher Massnahmen auf die grenzüberschreitenden Regionen streng und transparent sein müsse.
AsyLex, JRS, SFH und Solinetz sprechen sich klar gegen die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz aus. Sie fordern, dass an den Schweizer Grenzen der Zugang zum Asylverfahren jederzeit gewährleistet werde. SFH und Solinetz fordern diesbezüglich zudem, dass bei Zweifeln, ob ein Asylgesuch vorliege, die betroffene Person einem Asylverfahren zugeführt werden müsse.
DJS, SBAA, SFH, SGB und ZiAB erachten den Entscheid, die Dauer von Binnengrenzkontrollen auf bis zu zwei bzw. drei Jahre zu verlängern, als unverhältnismässig. DJS und SFH weisen diesbezüglich darauf hin, dass gewisse EU-Mitgliedstaaten bereits heute regelmässig die geltende Maximaldauer von Binnengrenzkontrollen überschreiten würden.
Der Politbeobachter, AsyLex, JRS, DJS und Solinetz kritisieren im Zusammenhang mit der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen, dass ein solch weitreichender Entscheid auf keinen Fall durch ein einzelnes Departement gefällt werden dürfe und dementsprechend zumindest durch den Bundesrat beschlossen werden müsste.
Die SVP fordert, Personen, die in die Schweiz einreisen, systematisch physisch oder elektronisch zu kontrollieren, sodass Personen, die weder über einen gültigen Aufenthaltstitel noch über eine Einreiseerlaubnis verfügen, die Einreise verweigert wird. Die Schweiz soll ihre Grenzen autonom verwalten können und zwar sowohl in Zeiten von Migrationskrisen oder Pandemien als auch in normalen Zeiten.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat unterstützt die vorliegende Revision des Schengener Grenzkodex, welche auf eine bessere Verwaltung der Schengen-Aussengrenzen und eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Schengen-Staaten abzielt. Für Krisensituationen ist eine koordinierte Vorgehensweise für den gesamten Schengen-Raum von grosser Bedeutung. Ein uneinheitliches Vorgehen kann den Personenverkehr innerhalb des Schengen-Raums beeinträchtigen und negative Auswirkungen für die in Grenzregionen lebenden und arbeitenden Menschen sowie auf die Lieferketten haben. Diese negativen Folgen gilt es zu minimieren.
Der Grundsatz, wonach eine Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen nur dann als letztes Mittel zur Anwendung kommen soll, wenn es keine alternativen Massnahmen gebe, bleibt auch mit der vorliegenden Revision des SGK bestehen. An der bestehenden Kompetenzverteilung in der Schweiz in Bezug auf den Entscheid über die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen soll trotz des Antrags des Politbeobachters, von AsyLex, JRS, DJS und Solinetz nichts geändert werden, da sich diese bewährt hat.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Entscheid über die Einführung der vorübergehenden Binnengrenzkontrollen in jedem Einzelfall immer unter der Einhaltung des Verhältnismässigkeitsprinzips erfolgen muss. Die Auswirkungen auf die grenzüberschreitenden Regionen wie auch die bestehende Sicherheitslage fliessen in den Entscheid mit ein. Der Bundesrat hat bisher u. a. bei der Fussball-EM im Jahr 2008 und im Rahmen der COVID-19-Pandemie die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen angeordnet.
Entsprechend misst der Bundesrat, wie auch economiesuisse, den bestehenden und neuen Massnahmen, die vor der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen ergriffen werden sollen, besondere Bedeutung zu. Bereits heute erfolgt eine enge polizeiliche Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten. Der Bundesrat hebt zudem hervor, dass die Schweiz über ein permanentes Zolldispositiv an den Binnengrenzen verfügt, ohne dass sie deshalb Binnengrenzkontrollen einführen muss. Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) ist somit an der Grenze und im Grenzraum präsent und kontrolliert im Rahmen seines Mandats laufend den grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehr risiko- und lageorientiert. Entsprechend kann das bestehende Zolldispositiv bei Notwendigkeit auch kurzfristig angepasst werden. Längerfristig begründet aber die Aufrechterhaltung von verstärkten Zollkontrollen den Einsatz von mehr Personal. Schliesslich sieht der SGK ein neues Wegweisungsverfahren vor für illegal aufhältige Personen, welche im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit zwischen den Nachbarstaaten in den Binnengrenzgebieten aufgegriffen werden.
Vor dem Entscheid über die Wiedereinführung von vorübergehenden Binnengrenzkontrollen können nicht immer verwaltungsexterne Akteure miteinbezogen werden. Dies aufgrund der Dringlichkeit und/oder der Klassifizierung von Informationen zu konkreten Gefährdungslagen. Auch können im konkreten Einzelfall die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure nicht immer gleich betroffen sein, da die vorübergehenden Grenzkontrollen auch nur an gewissen einzelnen Grenzübergängen eingeführt werden können. Zudem besteht die Möglichkeit, Akteurinnen und Akteure im Nachhinein zu einem Entscheid zu konsultieren. Entsprechend fand das Anliegen der Flughäfen Zürich und Genf, des Kanton GE sowie AEROSUISSE keine Aufnahme im Gesetzesentwurf. Derzeit wird jedoch ein neues verwaltungsinternes Konzept zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen erarbeitet. Dabei wird geprüft, wie die betroffenen Stakeholder in Zukunft zeitnah eingebunden werden können.
Der Befürchtung, dass mit der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen die Einreichung von Asylgesuchen verunmöglicht wird, kann entgegengehalten werden, dass das Schweizer Asylrecht garantiert, dass Drittstaatsangehörige auch bei einer Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen zum Zeitpunkt der Einreise ein Asylgesuch einreichen können.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass mit der vorliegenden Vorlage der Rechtsrahmen für die Einführung von vorübergehenden Binnengrenzkontrollen festgelegt wird, nicht jedoch der konkrete Entscheid Binnengrenzkontrollen einzuführen oder das bestehende Kontrolldispositiv an den Binnengrenzen der Schweiz anzupassen.
Irreguläre Migration und Sekundärmigration haben viele Ursachen und Einflussfaktoren. Entsprechend hält der Bundesrat an seiner bisherigen Analyse fest, wonach die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen nur einen begrenzten Effekt auf die Steuerung der irregulären Migration hat. Dies hat sich in den letzten Jahren an vielen europäischen Grenzen gezeigt. Zudem ist seit Ende 2023 ein Rückgang der illegalen Einreisen in der Schweiz zu verzeichnen, obwohl keine systematischen Kontrollen an den Binnengrenzen bestehen.
Der Bundesrat betont, dass der irregulären Sekundärmigration begegnet werden muss. Die Lösung liegt aber nicht in Binnengrenzkontrollen, sondern in der internationalen Zusammenarbeit. So unterstützt die Schweiz gemeinsame migrationspolitische Initiativen auf europäischer Ebene und hat zudem mit Deutschland, Österreich und Frankreich Aktionspläne zur Verhinderung von Sekundärmigration ausgearbeitet. Alternative Massnahmen wie eine verstärkte bilaterale Polizeizusammenarbeit sollen Vorrang vor der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen haben.
Neues Wegweisungsverfahren (nArt. 23
a
SGK; Art. 8 E -AIG)
FDP und FER befürworten das neue Wegweisungsverfahren, um die sekundäre Migration zu bekämpfen. Die KKPKS weist darauf hin, dass die Anwendung von Artikel 64 c bis i. V. m. Artikel 64 d Absatz 2 Buchstabe g E-AIG ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Sinne von nArtikel 23 a SGK mit dem Nachbarstaat voraussetze. Die Schweiz verfüge derzeit aber über keine solchen Abkommen, weshalb die Schaffung entsprechender rechtlicher Grundlagen oder die Erweiterung bestehender Verträge zumindest zu prüfen sei. Andernfalls bliebe diese Regelung gegenstandslos.
Die SP und ZiAB verweisen in ihren Stellungnahmen auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ¹8 im Fall C-143/22, das bestätige, dass bei einer Einreiseverweigerung im Rahmen von Binnengrenzkontrollen nicht sofort eine Wegweisung in den Nachbarstaat erfolgen dürfe. Stattdessen sei eine Rückkehrentscheidung (die immer eine Pflicht zum Verlassen des Schengen-Raums vorsieht) zu erlassen, die gerichtlich angefochten werden könne. Diese Entscheidung habe schriftlich und begründet zu erfolgen und es müsse die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden.
Die SBAA sieht in diesem neuen Wegweisungsverfahren eine potenzielle Gefahr für die Rechte der betroffenen Personen, insbesondere in Bezug auf den Zugang zu einem effektiven Rechtsmittel und die Sicherstellung menschenrechtlicher Standards bei Rückführungen. AsyLex, die GRÜNEN, JRS, DJS, SFH, Solinetz, SP und ZiAB betonen ebenfalls, dass Rückweisungen an der Grenze immer unter Berücksichtigung und Abklärung der Einhaltung der Menschenrechte durchgeführt werden müssten. DJS, SBAA, SP, SFH und ZiAB heben in diesem Zusammenhang insbesondere hervor, dass die besonderen Bedürfnisse von vulnerablen Personengruppen jederzeit berücksichtigt werden müssen. Zusätzlich fordern die GRÜNEN, DJS, SFH und ZiAB, in Fällen, in denen die Minderjährigkeit nicht klar feststehe, im Zweifel für die Minderjährigkeit zu entscheiden und eine Vertrauensperson zu involvieren.
Aus Sicht der GRÜNEN, der SP, der DJS, der SFH und der ZiAB steigt durch die Erweiterung von Kontrollen auf das Gebiet des «grenznahen Raums» das Risiko von willkürlichen und missbräuchlichen Kontrollen, da diese in einem weniger festgelegten Rahmen bezüglich des Personenkreises, der Infrastruktur, der Zuständigkeit und der Erfassung stattfinden würden. Hinzu komme, dass der sogenannte «grenznahe Raum» nicht klar definiert sei. SP, SFH und SGB schlagen daher vor, dass auf Verordnungs- oder mindestens Weisungsstufe klar definiert werde, welches Gebiet in der Schweiz unter den «grenznahen Raum» falle. Dazu gehöre auch, dass im Standardformular für die Überstellung von in Binnengrenzgebieten aufgegriffenen Personen der exakte Ort der Kontrolle angegeben werde.
Gemäss SP, DJS, SBAA, SFH und ZiAB sollen Wegweisungsverfügungen standardmässig und nicht nur auf Verlangen in eine für die Person verständliche Sprache übersetzt und abgegeben werden. Gemäss DJS, SBAA, SGB, SFH, SP und ZiAB hätten die betroffenen Personen die Möglichkeit, sich rechtlich vertreten zu lassen und müssten diesbezüglich über Kontaktstellen in einer ihnen verständlichen Sprache unterrichtet werden. Hierzu sei jeder betroffenen Person ein Merkblatt abzugeben, das sie über ihre Rechte und Möglichkeiten informiere. Dieses Merkblatt sei zwecks Transparenz öffentlich zugänglich zu machen.
Gemäss AsyLex, DJS, den GRÜNEN, JRS, SBAA, SFH, Solinetz, SP und ZiAB sei es zwingend notwendig, dass Beschwerden gegen Wegweisungen an der Grenze und im grenznahen Raum eine aufschiebende Wirkung haben. Ansonsten werde das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf ausgehöhlt. AsyLex, DJS, JRS, SFH, Solinetz und ZiAB erachten zudem die Beschwerdefrist von fünf Arbeitstagen als zu kurz. Eine derart kurze Frist lasse kaum Zeit für die Suche nach einer Rechtsvertretung. Die Beschwerdefrist solle auf mindestens zehn Tage erhöht werden.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat begrüsst das neue Wegweisungsverfahren und sieht wie die KKPKS die Notwendigkeit, dieses entsprechend mit den Nachbarstaaten zu regeln. Derzeit prüfen das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), das Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD) und das EDA gemeinsam mit den Nachbarstaaten der Schweiz, inwieweit neue Vereinbarungen geschaffen oder bestehende angepasst werden müssen.
Das neue Wegweisungsverfahren steht insbesondere in Einklang mit der Richtlinie 2008/115/EG ¹9 (Rückführungsrichtlinie). Die betroffene Person erhält eine Wegweisungsverfügung, welche die Überstellung in den anderen Schengen-Staat festhält und die betroffene Person anfechten kann. Der Bundesrat erachtet es als nicht zielführend, den «grenznahen Raum» in einer allgemeinen Regelung zu definieren. Da das neue Wegweisungsverfahren nur im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten erfolgen kann, ist auch mit diesen jeweils zu vereinbaren, in welchem Binnengrenzgebiet diese gemeinsame Zusammenarbeit erfolgen soll. Eine einseitige Regelung ist nicht zielführend und praktikabel. Der Begriff ist zudem bewusst offen formuliert, damit in den Verwaltungsvereinbarungen des BAZG auf regionale und geographische Gegebenheiten eingegangen werden kann.
Wie bei jedem anderen Wegweisungsverfahren sind die besonderen Bedürfnisse von vulnerablen Personengruppen und das Kindswohl jederzeit zu berücksichtigen. So hält der SGK explizit fest, dass bei einer Vermutung des überstellenden Schengen-Staates bezüglich der Minderjährigkeit einer Person, er den übernehmenden Schengen-Staat über diese Vermutung zu unterrichten hat. Beide Schengen-Staaten haben sicherzustellen, dass alle Massnahmen im Interesse des Kindeswohls und im Einklang mit ihren jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften getroffen werden. Das Kindeswohl ist somit durch beide Schengen-Staaten immer sicherzustellen.
Der Zugang zum Asylverfahren ist jederzeit gewährleistet. Der SGK sieht explizit vor, dass dieses Wegweisungsverfahren für Asylsuchende keine Anwendung findet (nArt. 23 a Abs. 1 Unterabs. 2).
Bereits heute liegen Standardwegweisungsformulare in 17 Sprachen vor und werden nur auf Verlangen übersetzt. Dieses Verfahren hat sich bewährt und soll auch für dieses neue Wegweisungsverfahren angewendet werden. Entsprechend bleibt die Vorlage in diesem Sinne unverändert, jedoch wird geprüft, ob es technisch umsetzbar ist, den exakten Ort der Kontrolle anzugeben. Bei der Erarbeitung des Merkblatts wird zu prüfen sein, welche Informationen darin enthalten sein sollen.
Abgelehnt werden ebenfalls die automatische Erteilung der aufschiebenden Wirkung und der beantragte Verzicht auf die Möglichkeit einer kurzfristigen Festhaltung. Der SGK sieht für eine allfällige Beschwerde gegen die neue Wegweisungsverfügung keine aufschiebende Wirkung vor (nArt. 23 a SGK). Die Schweiz hat daher keine Möglichkeit, eine anderslautende Regelung vorzusehen. Würde man keine kurzfristige Festhaltung ermöglichen, würde die neue Wegweisung im Binnengrenzgebiet gänzlich unwirksam, da die Person in der Zwischenzeit untertauchen könnte. Ferner hat sich die kurze Beschwerdefrist beispielsweise bei Wegweisungen an den Aussengrenzen der Schweiz am Flughafen in der Praxis bewährt. Dort beträgt die Frist lediglich 48 Stunden und eine aufschiebende Wirkung ist ebenfalls nicht vorgesehen (Art. 65 Abs. 2 AIG).
Einreisebeschränkungen und weitere Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit an den Schengen-Aussengrenzen (nArt. 21
a
, 25-27
a
sowie nArt. 33 SGK ; Art. 8 E -AIG)
Die Mitte und FER begrüssen die Festschreibung des spezifischen Schutzmechanismus im Falle einer gesundheitlichen Notlage im Schengen-Raum. Die Mitte hält fest, dass der Bundesrat zwingend über die Durchführungsverordnung des Ministerrates hinausgehende Einreisebeschränkungen und weitere Massnahmen anordnen können müsse, wenn dies zum Schutz der öffentlichen Gesundheit in der Schweiz nötig erscheine.
Gemäss economiesuisse sollten die Schweizer Behörden beim Eintreten einer gesundheitlichen Notlage grossen Ausmasses, die das Funktionieren des Schengen-Raums gefährde, so früh wie möglich die Koordination mit den zuständigen Behörden der Nachbarstaaten suchen, und nicht erst auf das Eingreifen der Europäischen Kommission warten.
AsyLex, JRS, DJS und Solinetz erachten den Begriff der «schweren gesundheitlichen Notlage» in Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a VE-AIG sowie den Begriff «aussergewöhnliche Umstände» in Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe b VE-AIG als unklar und unpräzise formuliert. Ferner sollten gemäss AsyLex, JRS, DJS und Solinetz «schwerwiegende Mängel» nicht zur vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen führen.
AEROSUISSE und der Flughafen Zürich halten es für angezeigt, dass vor der parlamentarischen Beratung der vorliegenden Änderung des AIG die Revision des EpG vom Parlament verabschiedet werden sollte. Entsprechend schlägt der Flughafen Zürich vor, auf die Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a, 65 a und 67 Absatz 2 Buchstabe c VE-AIG zu verzichten.
Gemäss DJS seien die Gesetzesänderungen in Artikel 65 a VE-AIG zu eng gehalten und würden keine Ausnahmen zulassen. Nach Ansicht von DJS, SFH und ZiAB müsse die Möglichkeit bestehen, ein Asylgesuch an der Grenze zu stellen und damit Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Deshalb werde die Aufnahme einer Ausnahme für asylsuchende und geflüchtete Personen beantragt. Gegen diese Personengruppe dürfe kein Einreiseverbot ausgesprochen werden können.
Haltung des Bundesrates
Ziel dieser EU-Regelung ist es, die notwendigen Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit auf europäischer Ebene besser zu koordinieren und die Planung der Schengen-Staaten zu verbessern. Die Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie haben gezeigt, dass ein uneinheitliches Vorgehen der einzelnen Schengen-Staaten zuweilen das reibungslose Funktionieren des EU-Binnenmarkts gefährdet, den Personenverkehr innerhalb der EU beeinträchtigt und negative Auswirkungen für die in Grenzregionen lebenden und arbeitenden Menschen sowie auf die Lieferketten hat. Nationale Alleingänge gilt es zu vermeiden. Dem Vorschlag von AEROSUISSE und dem Flughafen Zürich, die parlamentarische Beratung der Revision des EpG abzuwarten, ist im vorliegenden Fall aufgrund der unterschiedlichen Zeitpläne der einzelnen Vorlagen nicht möglich. Die Übernahme und Umsetzung der Revision des SGK ist bis Mitte Mai 2026 zu verabschieden und die notwendige Umsetzungsgesetzgebung in Kraft zu setzen. Für das Gesetzgebungsverfahren des EpG ist eine längere Frist vorgesehen. Der in der Vernehmlassung eingebrachte Vorschlag zu Artikel 41 EpG (neuer Abs. 5), welcher eine Ausnahmeregelung für den internationalen Personenverkehr im Transitbereich von Flughäfen vorsieht, wird im Rahmen der EpG-Vorlage geprüft.
Ferner ist der Bundesrat der Ansicht, dass eine Ausnahmeregelung, wie von DJS, SFH und ZiAB vorgeschlagen, für Asylsuchende nicht notwendig ist. Wie bis anhin ist hier das Asylgesetz vom 26. Juni 1996 2⁰ (AsylG) anwendbar. Demnach ist das Einreichen von Asylgesuchen auch in diesem Fall weiterhin möglich. Die Regelung in Bezug auf die Einreiseverbote ist nicht anwendbar auf asylsuchende Personen.
In Bezug auf die Präzisierung der Begriffe, weist der Bundesrat darauf hin, dass im SGK die «gesundheitliche Notlage grossen Ausmasses» definiert wird (Änderung von Art. 2 Nr. 27 SGK). Der Begriff «aussergewöhnliche Umstände» ist absichtlich offen formuliert. Es sind Umstände, unter denen das Funktionieren des Schengen-Raums an den Binnengrenzen insgesamt gefährdet ist.
Weitere vorgebrachte Anliegen
AsyLex, JRS und Solinetz lehnen die Änderung in Artikel 67 Absatz 2 Buchstabe c VE-AIG ab. Die Gesetzesänderung sei zu eng gehalten und lasse keine Ausnahmen zu. In Absatz 2 Buchstabe c solle eine Ausnahme für asylsuchende und geflüchtete Personen vorgesehen und kein Einreiseverbot ausgesprochen werden können.
Der Kanton ZH schlägt vor, dass Artikel 92 VE-AIG nicht nur die Luftverkehrsunternehmen verpflichten solle, sondern auch Transportunternehmen, die Personen über den See- und Landweg befördern. Zudem schlägt er vor, dass nicht nur die für die Grenzkontrollen zuständigen Behörden informiert werden sollen, wenn Passagiere aus Risikogebieten einreisen, sondern insbesondere auch die kantonalen Gesundheitsbehörden, die für die Überwachung von allfälligen Quarantänemassnahmen oder anderen gesundheitlichen Massnahmen zuständig seien. Daher sei es ihm ein grosses Anliegen, dass bei der Einführung des neuen Artikels 92 Absatz 1bis VE-AIG auch eine entsprechende Anpassung in Artikel 111 c Absatz 1 VE-AIG vorgenommen werde.
Die KKPKS und ZH weisen darauf hin, dass die Regelung von Artikel 92 a Absatz 1 VE-AIG grundsätzlich ein sehr geeignetes Instrument zur Bekämpfung illegaler Migration wäre. Das Instrument bliebe momentan jedoch zahnlos, da nicht zugleich eine Erweiterung von Artikel 122 a Absatz 1 AIG erfolgt sei. Ohne die Sanktionsmöglichkeit von Artikel 122 a Absatz 1 AIG erweise sich die Durchsetzung der Verpflichtung von Artikel 92 a Absatz 1 VE-AIG für die Behörden gegenüber Luftverkehrsunternehmen als unmöglich. Entsprechend regen die KKPKS und ZH eine Erweiterung von Artikel 122 a Absatz 1 AIG an.
DJS, SFH und SP weisen darauf hin, dass bei der Umsetzung dieser Schengen-Weiterentwicklung die Gefahr des «Racial Profiling» zu beachten sei. Dieses verstosse gegen das Diskriminierungsverbot und somit gegen Völkerrecht. Wichtig wäre, dass Grenzbehörden stärker für dieses Thema sensibilisiert und Massnahmen ergriffen würden, damit Personenkontrollen nicht faktisch systematisch durchgeführt würden bei Personen, die ethnisch-kulturell, religiös oder aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe als «fremd» wahrgenommen werden.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat verweist für das Anliegen von AsyLex, JRS und Solinetz auf die bereits oben festgehaltene Ansicht, dass es in diesen Fällen möglich bleibt, Asylgesuche einzureichen. Eine Ausnahmebestimmung ist damit nicht notwendig. Einreiseverbote sollen nur dann ausgesprochen werden, wenn die betreffende Person mehrmals die Einreisebeschränkung nach Artikel 65 a AIG oder weitere Massnahmen nach Artikel 41 EpG missachtet. Daher wird vorgeschlagen, die Vorlage in diesem Punkt unverändert zu belassen.
Absatz 1 von Artikel 122 a E-AIG wird angepasst, damit auch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nach Artikel 92 Absatz 1bis E-AIG sanktioniert werden kann. In Bezug auf die Sanktionierung der Verletzung der Meldepflicht weist der Bundesrat darauf hin, dass dies bereits in Artikel 122 b AIG geregelt ist. Im Rahmen der Interoperabilitätsvorlage wurde Artikel 104 AIG in den Artikel 92 a AIG verschoben, nicht jedoch Artikel 104 c AIG, der die Verpflichtung der Luftverkehrsunternehmen zur Datenübermittlung im Einzelfall regelt. Daher wird das Anliegen der KKPKS und des Kantons ZH nicht berücksichtigt.
Da die Schweiz nur Luft-Schengen-Aussengrenzen hat, wird dem Anliegen des Kantons ZH hinsichtlich der zusätzlichen Verpflichtung der Transportunternehmen, die Personen über den See- und Landweg befördern, nicht entsprochen. Ebenfalls keine Anpassung wird in Artikel 111 c Absatz 1 E-AIG vorgenommen, da Personen, die mit einer Einreisebeschränkung belegt wurden, nicht in die Schweiz einreisen können. Entsprechend brauche es keinen Datenaustausch.
In Bezug auf das «Racial Profiling» hält der Bundesrat fest, dass das BAZG sich seiner Verantwortung zum Schutz der Grundrechte bewusst ist und sich mit verschiedenen Massnahmen dafür einsetzt, Rassismus und Diskriminierung zu verhindern. Die für die Kontrollen zuständigen Mitarbeitenden werden in Bezug auf die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung sowie die Prävention von Racial Profiling im Rahmen ihrer Grundausbildung umfassend geschult und fortlaufend sensibilisiert.
¹8 ECLI:EU:C:2023:689 des Gerichtshofes vom 21. September 2023 in der Rechtssache C-143/22 in Sachen ADDE,
curia.europa.eu > Rechtsprechung > Zugang zur elektronischen Sammlung > Allgemeine Sammlung > Gerichtshof.
¹9 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger; ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98.
2⁰ SR 142.31

2.2.3 Anpassung der Vorlage

Nach der Vernehmlassung wurden die Artikel 7 (Abs. 1 zweiter Satz und Abs. 2), 8, 64 c (Abs. 1 Bst. b Fussnote), 64 c bis (Sachüberschrift und Absätze 1 und 3), 64 d (Absatz 2 Einleitungssatz [betrifft nur den französischen Text] und Bst. e Fussnote und g), 65 (Abs. 2 erster Satz Fussnote), 65 a (Abs. 2), 67 (Absatz 2 Einleitungssatz [betrifft nur den französischen und italienischen Text] und Bst. c), 71 (Abs. 1 Einleitungssatz), 80 a (Abs. 6), 92 (Sachüberschrift und Abs. 1bis) sowie Artikel 122 a (Absatz 1 erster Satz) E-AIG angepasst.
Zudem wurde auch Artikel 16 Absatz 2 Buchstabe o und 5 Buchstabe c Ziffer 1 E-BPI angepasst.

2.3 Grundzüge der Verordnung (EU) 2024/1717

Um die bestehenden Herausforderungen im Schengen-Raum und an den Schengen-Aussengrenzen zu bewältigen, beinhaltet die vorliegende Verordnung (EU) 2024/1717 diverse neue Massnahmen. Sie enthält neue Regelungen zur Abwehr von Bedrohungen an den Schengen-Aussengrenzen, die sich aus schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Gesundheit ergeben (wie z. B. Pandemien), und um der Instrumentalisierung von Migranten zu begegnen. Durch die Änderung des SGK wird ferner die Regelung in Bezug auf die Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen angepasst. Die neuen Rechtsgrundlagen sind damit klarer. Des Weiteren wird das Verhältnismässigkeitsprinzip stärker betont. Es sollen durch die Schengen-Staaten alternative Massnahmen erwogen werden (polizeiliche Zusammenarbeit, Verwendung neuer Technologien), bevor Binnengrenzkontrollen als letztes Mittel einseitig eingeführt werden. Schliesslich wird auch die Möglichkeit für die Schengen-Staaten geschaffen, Drittstaatsangehörige, die nicht zur Einreise oder zum Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet berechtigt sind, im Zuge gemeinsamer Polizeipatrouillen im Grenzgebiet an den Schengen-Staat zurück zu überstellen, aus dem diese Personen zuvor ausgereist waren.

2.3.1 Einheitliche Anwendung von Massnahmen an den Schengen-Aussengrenzen im Fall der Bedrohung der öffentlichen Gesundheit (Art. 21

a

SGK)

Die «COVID-19-Pandemie» zeigte auf, dass die bestehenden Bestimmungen im SGK nicht ausreichen, um auf pandemiebedingte Krisensituationen zu reagieren.
Aufgrund der «COVID-19-Pandemie» waren damals Ad-hoc-Massnahmen an den Schengen-Aussengrenzen erforderlich, um die grenzüberschreitende Verbreitung des Virus zu verlangsamen. So legte die Europäische Kommission am 16. März 2020 Leitlinien vor, in denen sie den Schengen-Staaten gemeinsame Massnahmen zur Eindämmung des Virus empfahl 2¹ . Namentlich sollten alle nicht zwingend erforderlichen Übertritte der Schengen-Aussengrenze während eines befristeten Zeitraumes verboten werden. In der Folge wurden diese Massnahmen mehrmals verlängert.
Am 15. April 2020 legten die Präsidentschaften der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates einen «Gemeinsamen europäischen Fahrplan für die Aufhebung der Massnahmen zur Eindämmung von «COVID-19»» fest. In einem ersten Schritt sollten die Kontrollen an den Binnengrenzen in koordinierter Weise aufgehoben werden. In einem zweiten Schritt sollten die vorübergehenden Beschränkungen an den Schengen-Aussengrenzen schrittweise und in koordinierter Abstimmung gelockert werden. Damit sollten die ausserhalb der EU bzw. des Schengen-Raums ansässigen Personen die Möglichkeit erhalten, auch «nicht unbedingt notwendige Reisen» in die EU bzw. in den Schengen-Raum wieder aufzunehmen.
Entsprechend nahm der Rat der EU im Juni 2020 die Empfehlung (EU) 2020/912 2² an. Diese Empfehlung wurde der Schweiz am 30. Juni 2020 als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands notifiziert. Sie wurde während der «COVID-19-Pandemie» vom Rat der EU mehrmals angepasst und durch die Empfehlung (EU) 2022/2548 ²3 schliesslich aufgehoben.
Während der Pandemie zeigte sich, dass eine Vielzahl von Schengen-Staaten einseitig wieder Binnengrenzkontrollen einführten. Zudem setzten die Schengen-Staaten die genannte Empfehlung auf sehr unterschiedliche Weise um.
Dieses uneinheitliche Vorgehen gefährdete zuweilen das reibungslose Funktionieren des EU-Binnenmarkts, beeinträchtigte den Personenverkehr innerhalb der EU und hatte negative Auswirkungen für die in Grenzregionen lebenden und arbeitenden Menschen sowie auf die Lieferketten. Um in Zukunft solche Diskrepanzen zu vermeiden, wurde mit der vorliegenden EU-Verordnung ein neuer Mechanismus in den SGK aufgenommen, der es ermöglicht, eine einheitliche und verbindliche Vorgehensweise zu etablieren. So wird dem Rat der EU die Befugnis übertragen, auf Vorschlag der Europäischen Kommission rasch mittels einer Durchführungsverordnung vorübergehende Reisebeschränkungen an den Schengen-Aussengrenzen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vorzusehen. Artikel 21 a SGK legt für eine solche Durchführungsverordnung alle notwendigen Rahmenbedingungen fest. So dürfen die Reisebeschränkungen an den Schengen-Aussengrenzen nur solange gelten, als die Gefahr für die öffentliche Gesundheit im Schengen-Raum andauert. Die Massnahmen können neben Beschränkungen der Einreise an der Schengen-Aussengrenze auch andere sanitarische Massnahmen wie Tests, Quarantänen und Selbstisolierung enthalten. Für gewisse Personengruppen sieht der SGK in Bezug auf die Beschränkung der Einreise in den Schengen-Raum Ausnahmen vor (bspw. bei freizügigkeitsberechtigten Personen oder bei langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen). Die vorübergehenden Reisebeschränkungen müssen verhältnismässig und nichtdiskriminierend sein. Eine allfällige Durchführungsverordnung des Rates der EU stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands dar.
Die Schengen-Staaten dürfen für ihr Staatsgebiet zum Schutz der öffentlichen Gesundheit strengere Restriktionen vorsehen, als die, welche der Rat der EU mittels Durchführungsverordnung festlegt. Die Staaten müssen dabei jedoch sicherstellen, dass die Restriktionen keinen negativen Einfluss auf das Funktionieren des Schengen-Raums haben (vgl. Art. 21 a Abs. 2 SGK).
2¹ Mitteilung der Kommission vom 16. März 2020, «COVID-19: Vorübergehende Beschränkung von nicht unbedingt notwendigen Reisen in die EU», KOM (2020) 115 endg.
2² Empfehlung (EU) 2020/912 des Rates vom 30. Juni 2020 zur vorübergehenden Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen in die EU und möglichen Aufhebung dieser Beschränkung, ABI. L 208 I vom 1.7.2020, S. 1.
²3 Empfehlung (EU) 2022/2548 des Rates vom 13. Dezember 2022 für eine koordinierte Vorgehensweise während der COVID-19-Pandemie bei Reisen in die Union und zur Ersetzung der Empfehlung (EU) 2020/912 des Rates, ABl. L 328 v. 22.12.2022, S. 146.

2.3.2 Reaktion auf die Instrumentalisierung von Migrantinnen und Migranten an den Schengen-Aussengrenzen (Art. 5 Abs. 4 SGK)

Eine Instrumentalisierung von Migranten liegt vor, wenn ein Drittstaat irreguläre Migrationsströme entstehen lässt, indem er Reisen von Personen von ausserhalb der EU an die Schengen-Aussengrenzen aktiv fördert oder erleichtert. Um auf die wachsende Instrumentalisierung durch staatliche Akteure zu reagieren, wurden im SGK die bestehende Bestimmung in Bezug auf die Grenzübergangsstellen (Art. 5 SGK) angepasst und ergänzt.
Schengen-Staaten, die mit einer Instrumentalisierung von Migranten konfrontiert sind, können die Grenzübergangsstellen oder deren Öffnungszeiten unverzüglich beschränken (Art. 5 Abs. 4 SGK). Diese Beschränkung muss verhältnismässig sein.
Zur Aufrechterhaltung von Sicherheit, Recht und Ordnung dürfen Schengen-Staaten, wenn Drittstaatsangehörige die Einreise massenhaft mit gewaltsamen Mitteln in den Schengen-Raum zu erzwingen versuchen, neu die erforderlichen und verhältnismässigen Massnahmen unter Einhaltung der Grundrechte treffen (Art. 5 Abs. 4 SGK).
Mit diesen Neuerungen soll dem neuen Phänomen der Instrumentalisierung und damit der Nutzung von Migrationsströmen zu politischen Zwecken, um den Schengen-Raum als Ganzes zu destabilisieren, entgegengewirkt werden.

2.3.3 Neuer Schengen-Schutzmechanismus bei gravierenden Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit (Art. 28 SGK)

Die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen bei einer gravierenden Notlage im Bereich der öffentlichen Gesundheit kann als Massnahme mehrere Schengen-Staaten betreffen und je nach Dauer der Grenzkontrollen die Freizügigkeit der Personen und den freien Warenverkehr innerhalb der EU resp. innerhalb des Schengen-Raums erschweren.
Aus diesen Gründen sieht der SGK einen neuen Schutzmechanismus vor (Art. 28). Damit soll ein kohärenter Rahmen für den Einsatz von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen geschaffen werden.
Mit diesem Mechanismus wird der Rat der EU ermächtigt, auf Vorschlag der Europäischen Kommission einen Durchführungsbeschluss zu erlassen, mit dem die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen in koordinierter Weise für einen Zeitraum von sechs Monaten durch die Schengen-Staaten genehmigt wird. Voraussetzung ist, dass eine schwere gesundheitliche Notlage besteht, die mehrere Schengen-Staaten betrifft. Bei Fortbestehen der Bedrohungslage kann die Massnahme auf Vorschlag der Europäischen Kommission jeweils bis zu sechs Monaten verlängert werden (Art. 28 Abs. 2). Eine Maximalfrist sieht der SGK für diese Fallkonstellation nicht vor. Die Massnahmen dürfen aber nicht länger dauern, als es zur Beseitigung der Gefahr notwendig ist (Art. 25 Abs. 2).
Sollte die Europäische Kommission der Ansicht sein, dass solche Kontrollen nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Bedrohung stehen, kann sie alternative Massnahmen empfehlen. Diese Empfehlungen sind allerdings rechtlich nicht verbindlich.
Das Recht der Schengen-Staaten, zusätzliche Massnahmen zur Begrenzung des Ausmasses an Binnengrenzkontrollen gestützt auf Artikel 23 SGK zu ergreifen, bleibt vorbehalten.
Ziel dieser Änderung des SGK ist es, die notwendigen Massnahmen auf europäischer Ebene besser zu koordinieren und die Planung der Schengen-Staaten zu verbessern. Dabei soll die Souveränität der Schengen-Staaten zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen in vollem Umfang gewahrt bleiben.
Dieser neue Mechanismus vervollständigt den bestehenden Mechanismus für anhaltende schwerwiegende Mängel an den Schengen-Aussengrenzen, der derzeit in Artikel 29 des SGK verankert ist. Dieser erfährt keine Anpassung.

2.3.4 Neue Bestimmungen bei einseitiger Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen durch die Schengen-Staaten (Art. 25-27

a

sowie Art. 33 SGK)

Als Reaktion auf die «COVID-19-Pandemie», die Migrationskrise von 2015 und die zunehmenden terroristischen Bedrohungen haben einige Schengen-Staaten an gewissen oder allen ihrer Binnengrenzen wieder Grenzkontrollen eingeführt. Zu Beginn handelte es sich um Reaktionen, die auf eindeutig identifizierbaren Ereignissen beruhten und/oder sich für einen bestimmten Zeitraum auf Durchführungsbeschlüsse mit Empfehlungen des Rates der EU ²4 stützten. Mit der Zeit wurden sie aber zu dauerhaften Vorsichtsmassnahmen einzelner Schengen-Staaten, ohne auf alternative Massnahmen (bspw. Ausübung polizeilicher Befugnisse) zurückzugreifen.
Aus diesem Grund wurden mit der vorliegenden EU-Verordnung diejenigen Bestimmungen im SGK angepasst, welche die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen durch die Schengen-Staaten vorsehen. Die bisherigen Voraussetzungen und Verfahren werden entsprechend präzisiert und punktuell durch neue Vorgaben ergänzt (Art. 25-27 a sowie Art. 33 SGK).
Der allgemeine Rechtsrahmen zur Wiedereinführung von einseitigen Binnengrenzkontrollen durch die Schengen-Staaten ist in Artikel 25 SGK geregelt. Bei der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen ist insbesondere das Kriterium der Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit zu beachten. Eine Wiedereinführung soll nur dann «als letztes Mittel» zur Anwendung kommen, wenn es keine alternativen Massnahmen gibt, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten.
Der neue Artikel 25 a legt fest, welches Verfahren für die einseitige Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen durch die Schengen-Staaten zur Abwehr von unvorhersehbaren und von vorhersehbaren Ereignissen anzuwenden ist.
Ist die öffentliche Sicherheit und Ordnung ernsthaft bedroht, können die Schengen-Staaten bei vorhersehbaren Ereignissen die Binnengrenzkontrollen sechs Monate einseitig einführen und bei bestehender Bedrohungslage um weitere sechs Monate verlängern (Art. 25 a Abs. 5 SGK). Zusätzlich haben die Schengen-Staaten eine Risikobewertung vorzunehmen, wenn die Binnengrenzkontrollen gestützt auf Artikel 25 a Absatz 5 SGK (vorhergesehene Bedrohungen) bereits seit sechs Monaten durchgeführt werden (Art. 26 Abs. 2 SGK). Die Höchstdauer dieser Kontrollen sollte zwei Jahre nicht überschreiten (Art. 25 a Abs. 5 SGK). In Ausnahmefällen soll es jedoch möglich sein, die Binnengrenzkontrollen maximal zwei Mal um jeweils sechs Monate zu verlängern (Art. 25 a Abs. 6 SGK). Dauern die Grenzkontrollen aufgrund der bestehenden Bedrohungslage bereits seit 12 Monaten an, gibt die Europäische Kommission eine Stellungnahme zur Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit dieser Massnahmen ab (Art. 27 a Abs. 3 SGK).
Bei unvorhergesehenen Bedrohungen können die Schengen-Staaten sofort einseitige Binnengrenzkontrollen für den Zeitraum von neu 30 Tagen einführen. Wenn die ernsthafte Bedrohung anhält, kann der Zeitraum bis auf drei Monate verlängert werden (bis anhin 30 Tage) (Art. 25 a Abs. 1 und 3 SGK).
Ferner sehen die Änderungen des SGK detailliertere Mitteilungen an die Europäische Kommission vor (Art. 27 SGK). Die Schengen-Staaten haben bei der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen die Verhältnismässigkeit und Notwendigkeit der Massnahme zu begründen und dabei nicht nur die Auswirkungen auf die Personenfreizügigkeit, sondern auch auf die Grenzregionen zu berücksichtigen. Auch haben sie zu prüfen, ob alternative Massnahmen angebracht sind und eingesetzt werden können, wenn sie die Binnengrenzkontrollen zu verlängern gedenken (Art. 26 SGK).
Schliesslich werden im neuen Artikel 27 a ebenfalls die Konsultationen zwischen der Europäischen Kommission und den betreffenden Schengen-Staaten geregelt.
²4 Die 2016 festgestellten schwerwiegenden Mängel bei den Kontrollen an der griechischen Schengen-Aussengrenze führten zur Annahme von vier Empfehlungen des Rates, in denen fünf Mitgliedstaaten (Österreich, Deutschland, Schweden, Dänemark und Norwegen) auf der Grundlage von Artikel 29 dazu aufgerufen wurden, zwischen Mai 2016 und November 2017 wieder vorübergehende Grenzkontrollen an ihren Binnengrenzen einzuführen.

2.3.5 Verstärkter Einsatz alternativer Massnahmen an den Binnengrenzen und im Grenzraum (Art. 23 und 26 SGK)

Schengen-Staaten haben weiterhin die Möglichkeit, anstelle von Binnengrenzkontrollen verstärkt auf andere Kontrollen, insbesondere polizeiliche Kontrollen im Grenzraum, durchzuführen (Art. 23). So könnten sich beispielsweise verstärkte Polizeikontrollen in Grenzgebieten als alternative Massnahmen ebenso wirksam erweisen wie Grenzkontrollen an den Binnengrenzen, da sie flexibler sind und einfacher an neue Bedrohungslagen angepasst werden können. Die Kontrollen müssen nicht zwingend von Polizeibehörden durchgeführt werden, sondern können auch durch andere Behörden vorgenommen werden, die nach nationalem Recht dazu ermächtigt sind, hoheitliche Befugnisse auszuüben. Dabei dürfen auch Überwachungstechnologien eingesetzt werden. Diese Massnahmen sollen jedoch nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen erlangen und sollen auf einer Risikoanalyse beruhen.
Der SGK sieht vor, dass die Schengen-Staaten, welche Grenzkontrollen einführen oder verlängern wollen, zunächst prüfen, ob diese Massnahme durch andere Alternativen gemäss Artikel 23 SGK ersetzt werden könnte (Art. 25 Abs. 2, Art. 26 Abs. 1, Art. 27 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 6 SGK).

2.3.6 Neues Überstellungsverfahren im Rahmen der grenzüberschreitenden operativen Zusammenarbeit zwischen den Schengen-Staaten (Art. 23

a

SGK)

Des Weiteren sieht der SGK die Möglichkeit vor, irregulär aufhältige ausländische Personen an einen anderen Schengen-Staat zu überstellen, wenn eindeutige Hinweise bestehen, dass diese Personen direkt aus einem Schengen-Staat ausgereist sind und an den Binnengrenzen im Rahmen der grenzüberschreitenden bilateralen Zusammenarbeit aufgegriffenen wurden. Explizit von diesem Verfahren ausgenommen sind Asylsuchende und Asylberechtigte. Artikel 23 a und Anhang XII SGK legen das Verfahren fest, das in diesen Fällen zur Anwendung kommt. Gegen diese Überstellung besteht die Möglichkeit ein Rechtsmittel einzulegen; dieses hat jedoch keine aufschiebende Wirkung.

2.3.7 Umsetzung von Massnahmen zur Eindämmung der negativen Folgen von Binnengrenzkontrollen für Grenzregionen (Art. 26 Abs. 3 SGK) und Meldung der grenzüberschreitenden Regionen (Art. 39 und Art. 42

b

SGK)

Der SGK sieht des Weiteren vor, dass bei der Wiedereinführung und Verlängerung von Binnengrenzkontrollen geeignete Schutzmassnahmen getroffen werden sollten, um die negativen Folgen der Binnengrenzkontrollen für den Personen- und Güterverkehr, insbesondere in Grenzregionen, zu begrenzen (Art. 26 Abs. 3 SGK). Zusätzlich sind diese Regionen der Europäischen Kommission zu melden (Art. 39 und Art. 42 b SGK).

2.4 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln der Verordnung (EU) 2024/1717

2.4.1 Anpassung der Verordnung (EU) 2016/399 (Art. 1)

Art. 2 Nr. 12 und 27-30
Artikel 2 SGK enthält die Begriffsbestimmungen, welche in der EU-Verordnung verwendet werden.
Nummer 12 definiert, was unter «Grenzüberwachung» zu verstehen ist. Neu wird präzisiert, dass der Begriff «Grenzüberwachung» auch vorbeugende Massnahmen zur Aufdeckung und Verhinderung unbefugter Grenzübertritte oder der Umgehung von Grenzübertrittskontrollen beinhaltet. Mit den Massnahmen soll die Lageerfassung verbessert werden.
In den Nummern 27 bis 30 von Artikel 2 SGK werden neue Definitionen der Begriffe «gesundheitliche Notlage grossen Ausmasses» (Nr. 27), «unbedingt notwendige Reisen» (Nr. 28), «nicht unbedingt notwendige Reisen» (Nr. 29) und «Verkehrsknotenpunkte» (Nr. 30) aufgenommen.
Art. 5 Abs. 3 und 4
Artikel 5 SGK regelt die Grundsätze in Bezug auf das Überschreiten der Schengen-Aussengrenzen. So dürfen diese - wie bisher - grundsätzlich nur an den offiziellen Grenzübergangstellen und während den entsprechenden Öffnungszeiten überschritten werden.
Die vorliegende Änderung des SGK fügt einen neuen Unterabsatz in Absatz 3 ein. Dieser stellt klar, dass die Schengen-Staaten die erforderlichen Massnahmen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit, Recht und Ordnung ergreifen können, wenn eine grosse Zahl von Migrantinnen und Migranten unter Anwendung von Gewalt, ihre Schengen-Aussengrenzen unerlaubt zu überschreiten.
Ebenfalls wird ein neuer Absatz 4 eingefügt, der festhält, welche Massnahmen die Schengen-Staaten an ihren Grenzübergangsstellen ergreifen können (vorübergehende Schliessung der Grenzübergangsstellen oder Beschränkung der Öffnungszeiten), wenn sie mit der Instrumentalisierung von Migranten aus Drittstaaten i. S. v. Artikel 1 Absatz 4 Buchstabe b Verordnung (EU) 2024/1359 ²5 konfrontiert sind. Mit dieser Änderung sollen illegale Grenzübertritte verhindert werden.
Der neue Absatz 4 sieht vor, dass die Schengen-Staaten insbesondere beim Erzwingen der Einreise in den Schengen-Raum durch Drittstaatsangehörige mit gewaltsamen Mitteln, Massnahmen treffen, die verhältnismässig sind. Diese Massnahmen müssen auch diejenigen Rechte von Personen berücksichtigen, die Anspruch auf freien Personenverkehr haben, welche in der EU für einen langfristigen Aufenthalt berechtigt sind und von Drittstaatsangehörigen, die um internationalen Schutz nachsuchen.
Art. 13
Grenzüberwachung
Diese Bestimmung erhält mit der vorliegenden Änderung des SGK eine neue, leicht angepasste Fassung.
Absatz 1 präzisiert, dass die Grenzüberwachung auch dazu beitragen soll, das Lagebewusstsein zu verbessern und Risikoanalysen durchzuführen. Personen, die eine Grenze illegal überschreiten und nicht berechtigt sind, sich im Hoheitsgebiet des betreffenden Schengen-Staates aufzuhalten, sind einem Verfahren gemäss der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) zu unterziehen.
Absatz 2 präzisiert, dass die Personen unter Berücksichtigung der Grundrechte nicht nur daran gehindert werden sollen, die Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu umgehen, sondern auch davon abgehalten werden sollen, die Grenze unbefugt zwischen den Grenzübergangsstellen zu überschreiten. Zur Überwachung der Grenze sollen alle erforderlichen Mittel eingesetzt werden, einschliesslich stationärer oder mobiler Einheiten.
Absatz 3 entspricht weitgehend dem bisherigen Absatz 3 von Artikel 13 SGK. Es wird lediglich präzisiert, dass die Grenzüberwachung so erfolgen soll, dass unbefugte Grenzübertritte wirksam entdeckt oder verhindert werden können. Die Lagebilder sind entsprechend zu nutzen. Diese enthalten Informationen über Vorfällen zu unerlaubten Grenzübertritten, grenzüberschreitender Kriminalität oder unerlaubter Sekundärmigration. Damit sollen allfällige Trends frühzeitig erkannt werden können.
Absatz 4 präzisiert, in welcher Form die Überwachung erfolgen kann (stationäre oder mobile Einheiten). Ziel dieser Überwachung soll die Verhinderung des unbefugten Grenzübertritts oder die Festnahme von Personen im Zusammenhang mit dem unbefugten Überschreiten der Schengen-Aussengrenze sein. Die Überwachung kann auch unter Einsatz technischer und elektronischer Mittel erfolgen.
Die Europäische Kommission kann gemäss Absatz 5 delegierte Rechtsakte erlassen, welche Mindeststandards für die Grenzüberwachung festlegen. Diese Mindeststandards haben namentlich die Art der Grenze (Land-, See- oder Luftgrenze) sowie Faktoren wie die geographischen Besonderheiten zu berücksichtigen.
Kapitel V
«Bestimmte Massnahmen in Bezug auf die Aussengrenzen»
Dieses bestehende Kapitel erhält eine neue Überschrift. Er bezieht sich neu nicht mehr nur auf Massnahmen im Falle schwerwiegender Mängel bei den Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen.
Art. 21a
Vorübergehende Beschränkungen für Reisen in die Union
Diese neue Regelung sieht vor, dass bei gesundheitlichen Notlagen grossen Ausmasses vorübergehende Einreisebeschränkungen und gesundheitsbezogene Beschränkungen (etwa Test, Quarantäne und Selbstisolierung) für notwendige und nicht notwendige Reisen in den Schengen-Raum an den Schengen-Aussengrenzen vorgesehen werden können. Diese vorübergehenden Reisebeschränkungen müssen verhältnismässig und nichtdiskriminierend sein (Abs. 1 und 2).
Dieser Artikel überträgt daher dem Rat der EU die Befugnis, auf Grundlage eines Vorschlags der Europäischen Kommission, eine Durchführungsverordnung zu erlassen, die diese vorübergehenden Reisebeschränkungen an den Schengen-Aussengrenzen verbindlich festlegt (Art. 21 a Abs. 2 SGK).
Die Schengen-Staaten dürfen für ihr Staatsgebiet zum Schutz der öffentlichen Gesundheit strengere vorübergehende Reisebeschränkungen vorsehen, als diejenigen in der Durchführungsverordnung (Art. 21 a Abs. 2 SGK). Jedoch müssen diese Massnahmen verhältnismässig und nichtdiskriminierend sein.
Artikel 21 a SGK legt Rahmenbedingungen fest, an welche sich der Rat der EU beim Erlass der Durchführungsverordnung halten muss. Freizügigkeitsberechtigte Personen, Personen mit Wohnsitz in einem Schengen-Staat und Personen, die internationalen Schutz eines Schengen-Staates geniessen, sowie deren Familienangehörige, sind von den Einreisebeschränkungen ausgenommen. Ihnen ist die Einreise in die EU resp. in den Schengen-Raum gestattet (Abs. 3). Jedoch können diese Personengruppen (wie auch die übrigen Personen) Gesundheitsrestriktionen unterliegen. Diese sind in der Durchführungsverordnung aufzuführen (Abs. 6 Bst. d).
Für unbedingt notwendige Reisen werden im Teil A des Anhangs XI des SGK Personengruppen aufgelistet, welche von den Einreisebeschränkungen ausgenommen werden (Abs. 4). Zusätzlich werden im Teil B des Anhangs XI Personengruppen aufgelistet, welche ebenfalls von den Einreisebeschränkungen ausgenommen sind, sofern sie in der oben genannten Durchführungsverordnung aufgeführt sind (Abs. 5).
In der Durchführungsverordnung sollen alle geografischen Gebiete oder Drittstaaten aufgeführt werden, für welche die Reisebeschränkungen oder Ausnahmen von Reisebeschränkungen gelten können. Zudem soll die Durchführungsverordnung ein Verfahren festlegen, mit dem die Lage in den betreffenden Gebieten oder Ländern und die verhängten Reisebeschränkungen regelmässig überprüft werden (Abs. 6 Bst. b). Ferner sind diejenigen Personengruppen aus dem Teil B des Anhangs XI des SGK aufzuführen, die im Falle von unbedingt notwendigen Reisen grundsätzlich von den Einreisebeschränkungen in den Schengen-Raum ausgenommen sind (Abs. 6 Bst. a). Zudem werden die Bedingungen geregelt, unter denen nicht unbedingt notwendige Reisen Beschränkungen unterliegen oder von Beschränkungen ausgenommen werden können. Zusätzlich muss die Durchführungsverordnung ebenfalls die vorzulegenden Nachweise festlegen, welche eine Ausnahme der Beschränkungen rechtfertigt (Abs. 6 Bst. c) und es sind die vorübergehenden gesundheitsbezogenen Mindestbeschränkungen anzugeben (Abs. 6 Bst. d).
Die Einreisebeschränkungen für Personen, die unbedingt notwendige Reisen unternehmen, dürfen nur ausnahmsweise für einen streng begrenzten Zeitraum verhängt werden. Dieser Zeitraum gilt solange, bis ausreichende Informationen über die schwere gesundheitliche Notlage grossen Ausmasses vorliegen und bis andere gesundheitsbezogene Beschränkungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vom Rat beschlossen wurden (Abs. 7). In Abweichung von Absatz 4 können in der Durchführungsverordnung aber Voraussetzungen aufgeführt werden, unter denen Personen, die eine unbedingt notwendige Reise vornehmen, trotzdem Reisebeschränkungen auferlegt werden können (Abs. 6 Bst. e).
Art. 23
Kontrollen innerhalb des Hoheitsgebiets
Dieser Artikel regelt, welche Arten von Massnahmen keine (grundsätzlich unzulässige) Kontrollen an den Binnengrenzen darstellen und daher weiterhin zulässig sind. Mit der vorliegenden Änderung des SGK enthält diese Regelung eine neue Fassung, die einige Präzisierungen bringt, sich aber weitestgehend am bisherigen Regelungsgehalt der Bestimmung orientiert.
Buchstabe a widmet sich den Polizeikontrollen und anderen Arten von Kontrollen, die nach nationalem Recht durch die zuständigen Behörden im Hoheitsgebiet und im grenznahen Raum an den Binnengrenzen durchgeführt werden.
Zudem wird neu vorgesehen, dass dazu auch Kontroll- und Überwachungstechnologien eingesetzt werden dürfen. Wie bis anhin dürfen die Massnahmen keine Grenzkontrollen zum Ziel haben (Ziff. i). Sie sollen dazu dienen, neben der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und irregulären Migration auch die Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit epidemischem Potenzial gemäss dem Europäischen Zentrum für Seuchenbekämpfung einzudämmen (Ziff. ii). Ziffer iii wird leicht ergänzt. Sie hält fest, dass sich die Kontrollen im Hoheitsgebiet oder an den Binnengrenzen von den systematischen Personenkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen zu unterscheiden sind und zwar neu auch dann, wenn sie «an Verkehrsknotenpunkten oder direkt an Bord von Personenverkehrsdiensten durchgeführt werden und sofern sie auf einer Risikobewertung beruhen».
Buchstabe b, welcher die Durchführung von Sicherheitskontrollen zulässt, wenn diese bei allen Personen vorgenommen werden, welche innerhalb des betreffenden Schengen-Staates reisen, wird sprachlich leicht angepasst, erfährt aber materiell keine Änderung.
Buchstabe c bleibt materiell unverändert.
Buchstabe d sieht derzeit vor, dass die Schengen-Staaten gemäss Artikel 22 SDÜ die Möglichkeit haben, im nationalen Recht eine Verpflichtung vorzusehen, wonach Drittstaatsangehörige ihre Anwesenheit im Hoheitsgebiet melden müssen. Neu wird festgehalten, dass die Schengen-Staaten im nationalen Recht vorsehen können, dass Leitende von Beherbergungsstätten oder deren Beauftragte sicherstellen müssen, dass beherbergte Ausländerinnen und Ausländer Meldevordrucke ausfüllen und unterschreiben und sich mit einem gültigen Identitätsdokument ausweisen (Art. 45 SDÜ). In der Schweiz ist diese Pflicht der Beherbergungsstätten bereits in Artikel 16 AIG geregelt.
Art. 23a
Verfahren zur Überstellung von in Binnengrenzgebieten aufgegriffene Personen
Diese neue Bestimmung sieht vor, dass nicht einreise- oder aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, die im Rahmen der grenzüberschreitenden operativen bilateralen Zusammenarbeit der zuständigen Behörden (z. B. auf gemeinsamen Polizeipatrouillen) in Binnengrenzgebieten aufgegriffen werden, an denjenigen Schengen-Staat überstellt werden, aus dem sie unmittelbar ausgereist sind. Dies setzt voraus, dass eindeutige Hinweise bestehen, dass die betreffende Person die Binnengrenze nur kurze Zeit vorher überschritten hat und dass die betreffenden Schengen-Staaten die Anwendung eines solchen Verfahrens im Rahmen dieser bilateralen Zusammenarbeit vereinbart haben. Wird im Rahmen dieses Verfahrens eine minderjährige Person überstellt, muss sichergestellt werden, dass alle Massnahmen zum Wohl des Kindes getroffen werden.
Von diesem neuen Verfahren ausgeschlossen sind folgende Personenkategorien (Erw. 27):
-
Drittstaatsangehörige, die Inhaber eines langfristigen Aufenthaltstitels der EU sind und deren Familienangehörige gemäss der Richtlinie 2003/109/EG ²6 des Rates;
-
Familienangehörige von Unionsbürgern, die gemäss der Richtlinie 2004/38/EG ²7 des Europäischen Parlaments und des Rates das Recht auf Freizügigkeit geniessen;
-
Drittstaatsangehörige, die Inhaber eines gültigen Visums für den längerfristigen Aufenthalt sind, und ihre Familienangehörigen gemäss den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften;
-
Drittstaatsangehörige, die Inhaber eines gültigen Visums für den kurzfristigen Aufenthalt sind;
-
Drittstaatsangehörige, die während eines Zeitraums von 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen Anspruch auf visumfreies Reisen im Schengen-Raum haben, sofern sie diesen 90-Tage-Zeitraum nicht überschritten haben;
-
Personen, die internationalen Schutz beantragen oder bereits internationalen Schutz in einem Schengen-Staat geniessen. Werden Personen aufgegriffen, die bereits in der EU internationalen Schutz beantragt haben, kommt das Dublin-Verfahren zur Anwendung.
Personen, welche im Rahmen dieses Verfahrens in einen anderen Schengen-Staat überstellt werden, können gestützt auf das nationale Recht ein Rechtsmittel einlegen. Dieses soll jedoch keine aufschiebende Wirkung haben (Abs. 3). Die EU-Verordnung erwähnt zusätzlich, dass es sich um einen wirksamen Rechtsbehelf gemäss Artikel 47 Charta der Grundrechte der Europäischen Union ²8 (Grundrechtecharta) handeln muss. Da die Grundrechtecharta für die Schweiz nicht verbindlich ist, gelten die Bestimmungen der Konvention vom 4. November 1950 ²9 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) analog.
Mit Artikel 23 a soll die bilaterale Zusammenarbeit, welche insbesondere gemeinsame Polizeipatrouillen umfassen soll, gefördert werden. Sie soll die Überstellung von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen, die im Grenzgebiet aufgegriffen werden, an den Schengen-Staat, aus dem sie gekommen sind, erleichtern.
Diese neue Bestimmung des SGK legt das Verfahren fest, das in diesen Fällen zur Anwendung kommt. Die Überstellung erfolgt unbeschadet vorbestehender bilateraler Abkommen oder Vereinbarungen im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie (Abs. 4 und 6).
Die praktischen Modalitäten können die Schengen-Staaten im Rahmen ihrer bilateralen Kooperationsrahmen vereinbaren (Abs. 5).
Die Schengen-Staaten haben jährlich der Europäischen Kommission die aufgezeichneten Daten über die Anwendung dieses Verfahrens zu statistischen Zwecken zu übermitteln (Abs. 7).
Art. 24 Abs. 1
Diese Regelung verlangt die Beseitigung von Verkehrshindernissen, die nicht ausschliesslich zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit dienen, an den Strassenübergängen der Binnengrenzen. Mit der vorliegenden Änderung des SGK wird Absatz 1 dahingehend präzisiert, dass Verkehrshindernisse auch dann nicht beseitigt werden müssen, wenn sie für den Einsatz von Kontroll- und Überwachungstechnologien an Strassengrenzübergangsstellen an den Binnengrenzen erforderlich sind.
Art. 25
Allgemeiner Rahmen für die vorübergehende Wiedereinführung oder Verlängerung von Kontrollen an den Binnengrenzen
Der bestehende Artikel 25, welcher einen allgemeinen Rechtsrahmen für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen schafft, wird mit der vorliegenden Änderung des SGK angepasst und erhält eine neue Fassung. Er enthält Beispiele für die Art der Bedrohung, die zur einseitigen Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen führen kann, und die Umstände, unter denen die Kontrollen an den Binnengrenzen verlängert werden können.
Wie bis anhin hat ein Schengen-Staat bei der Wiedereinführung von Grenzkontrollen insbesondere das Kriterium der Verhältnismässigkeit zu beachten. In Absatz 1 wird neu exemplarisch aufgeführt, wann eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als gegeben erachtet werden kann (bspw. Terrorismus, gesundheitliche Notlagen grossen Ausmasses oder grosse internationale Anlässe etc.).
Wie heute sollen Binnengrenzkontrollen «nur als letztes Mittel» eingeführt resp. verlängert werden. Absatz 2 präzisiert, dass diese Massnahme erforderlich und verhältnismässig sein muss und der Umfang sowie die Dauer der Wiedereinführung nicht über das erforderliche Mass, um auf die festgestellte ernste Bedrohung angemessen zu reagieren, hinausgehen dürfen. Die konkreten Massnahmen werden gestützt auf die Artikel 25 a (vorhersehbare und unvorhersehbare Ereignisse), 28 (schwere gesundheitliche Notlage) oder 29 SGK (schwerwiegende Mängel an den Aussengrenzen, die das Funktionieren des Schengen-Raumes gefährden) eingeführt und können, falls dieselbe Bedrohung weiter anhält, verlängert werden (Abs. 3). Die Schengen-Staaten haben dabei die in den Artikeln 26 bzw. 30 SGK aufgelisteten Kriterien zu beachten.
Art. 25a
Verfahren für die Fälle, die Massnahmen aufgrund unvorhersehbarer oder vorhersehbarer Ereignisse erfordern
Wie bis anhin unterscheidet der SGK zwischen unvorhersehbaren und vorhersehbaren Ereignissen, welche die einseitige Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen durch die Schengen-Staaten im Einzelfall notwendig macht. Der neue Artikel 25 a SGK legt das entsprechende Verfahren fest.
Wie bisher dürfen Schengen-Staaten bei unvorhersehbaren ernsthaften Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Ausnahmefällen für einen Zeitraum von bis zu einem Monat Binnengrenzkontrollen einführen. Dauert die Bedrohungslage an, dürfen die Kontrollen neu jeweils für eine Dauer von maximal einem Monat wiedereingeführt und jeweils um einen Monat verlängert werden. Die Höchstdauer der Binnengrenzkontrollen darf drei Monate insgesamt (bisher 30 Tage) nicht überschreiten (Abs. 1 und Abs. 3). Führt ein Schengen-Staat Binnengrenzkontrollen wieder ein, hat er die anderen Schengen-Staaten sowie die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat der EU zu informieren (Abs. 2 i. V. m. Art. 27 Abs. 1 SGK).
Bei vorhersehbaren Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann der betreffende Schengen-Staat Binnengrenzkontrollen für eine Dauer von bis zu sechs Monaten wieder einführen und bei bestehender Bedrohungslage um jeweils weitere Zeitspannen von maximal sechs Monaten verlängern (Abs. 5). Er hat grundsätzlich spätestens vier Wochen vor der geplanten Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen die anderen Schengen-Staaten und die Europäischen Kommission sowie das Europäische Parlament und den Rat der EU zu informieren (Abs. 4 i. V. m. Art. 27 Abs. 1 SGK). Ebenfalls mitzuteilen hat er jeweils eine allfällige Verlängerung der Massnahme. Die Kontrollen dürfen insgesamt nicht länger als zwei Jahre wiedereingeführt werden (Abs. 5).
Ist der betroffenen Schengen-Staat der Auffassung, dass in Bezug auf eine anhaltende Bedrohung eine schwerwiegende Ausnahmesituation vorliegt, welche eine Fortsetzung der Binnengrenzkontrollen über den in Absatz 5 genannten Höchstzeitraum von zwei Jahren rechtfertigt, so ist eine weitere Verlängerung von bis zu sechs Monaten möglich. Der betroffene Staat muss seine Intention, die Kontrollen zu verlängern, spätestens vier Wochen vor der Verlängerung dem Europäischen Parlament, dem Rat der EU, der Europäischen Kommission und den anderen Schengen-Staaten mitteilen und eine Risikobewertung gemäss Artikel 26 Absatz 2 vorlegen (Abs. 6). Bei seiner Entscheidung muss der jeweilige Schengen-Staat die Stellungnahme der Europäischen Kommission berücksichtigen.
Reichen diese weiteren sechs Monate nicht aus, um alternative Massnahmen zur Bewältigung der anhaltenden Bedrohung zu gewährleisten, kann der betroffene Schengen-Staat die Binnengrenzkontrollen für einen weiteren und letzten Zeitraum von maximal sechs Monaten verlängern. Auch in diesen Fällen muss unverzüglich eine Mitteilung an die Europäische Kommission erfolgen und eine Risikobewertung vorgelegt werden. Die Europäische Kommission hat daraufhin eine Empfehlung zur Vereinbarkeit einer solchen weiteren Verlängerung mit den Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit zu verabschieden. Darin können durch die Europäische Kommission ebenfalls Ausgleichsmassnahmen vorgesehen werden.
Art. 26
Kriterien für die vorübergehende Wiedereinführung und Verlängerung von Kontrollen an den Binnengrenzen
In dieser Regelung werden die Kriterien erläutert, die von den Schengen-Staaten bei der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen nach Artikel 25 Absatz 2 SGK zu berücksichtigen sind. Damit soll sichergestellt werden, dass Binnengrenzkontrollen das Mittel der letzten Wahl bleiben.
Mit der vorliegenden Änderung des SGK erhält Artikel 26 eine neue Fassung. Wie bis anhin haben die betroffenen Schengen-Staaten bei der erstmaligen Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen zu bewerten, ob diese Massnahme geeignet und verhältnismässig ist.
Absatz 1 wird präzisiert und es werden die einzelnen Gesichtspunkte aufgeführt, welche der Schengen-Staat bei seinem Entscheid über die Einführung von Binnengrenzkontrollen zu berücksichtigen hat. Der Schengen-Staat hat neben der Auswirkung auf den freien Personenverkehr u. a. auch die Auswirkungen auf grenzüberschreitende Regionen zu berücksichtigen und zu prüfen, ob es mildere Mittel gibt, um der Bedrohungslage mächtig zu werden.
Wurden bereits für sechs Monate Binnengrenzkontrollen eingeführt (vgl. Art. 25 a Abs. 5), muss der betroffene Schengen-Staat eine Risikobewertung durchführen. Diese beinhaltet zusätzlich zu den in Artikel 27 Absätze 2 und 3 genannten Elementen eine Neubewertung der Kriterien gemäss Absatz 1 (Abs. 2).
Beschliesst ein Schengen-Staat Binnengrenzkontrollen wieder einzuführen oder zu verlängern, sorgt er dafür, dass diese mit geeigneten, komplementären Massnahmen einhergeht, die die Auswirkungen auf den Personen- und Güterverkehr abmildern. Dabei sind die starken sozialen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen den grenzübergreifenden Regionen sowie Personen, die wichtige Reisen unternehmen, besonders zu berücksichtigen (Abs. 3).
Art. 27
Mitteilung über die vorübergehende Wiedereinführung oder Verlängerung von Kontrollen an den Binnengrenzen und Risikobewertung
Der bisherige Artikel 27 SGK wird durch eine neue Regelung ersetzt. Diese hat die Meldung der Schengen-Staaten zur vorübergehenden Wiedereinführung oder Verlängerung von Binnengrenzkontrollen zum Gegenstand (Abs. 1). Zudem wird darin die Verpflichtung verankert, eine Risikobewertung vorzulegen, wenn diese Kontrollen zur Abwehr einer vorhersehbaren Bedrohung verlängert werden sollen (Abs. 2 und 3).
Absatz 1 regelt, welche Angaben die Mitteilung des Schengen-Staats über die Wiedereinführung oder Verlängerung von Binnengrenzkontrollen enthalten muss (Gründe, Umfang, betroffene Grenzübergangsstellen etc.). Diese erfolgt anhand eines Musters, welches die Europäische Kommission verfügbar macht.
Besteht die Binnengrenzkontrolle bereits über einen Zeitraum von sechs Monaten hinweg (Art. 25 a Abs. 5 SGK) und soll sie vom betroffenen Schengen-Staat erneut verlängert werden, hat er die Europäische Kommission davon in Kenntnis zu setzen und zu begründen, weshalb die Bedrohung weiterhin besteht. Er hat der Meldung ebenfalls eine Risikobewertung beizufügen. (Abs. 2).
Wurde die Wiedereinführung oder Verlängerung der Binnengrenzkontrollen aufgrund sehr hoher Zahlen unerlaubter Migrationsbewegungen (Art. 25 Abs. 1 Bst. c SGK) beschlossen, hat der Schengen-Staat zusätzlich zur Risikobewertung weitere Informationen anzugeben (z. B. Datenanalysen aus einschlägigen europäischen Informationssystemen, Abs. 3).
Die Europäische Kommission kann wie bis anhin um Übermittlung weiterer Informationen ersuchen, wenn sie es als notwendig erachtet (Abs. 4).
Der betroffene Schengen-Staat kann wie bis anhin beschliessen, die übermittelten Informationen als «Verschlusssache» einzustufen (Abs. 5). Diese Einstufung kann jedoch eine allfällige Weiterleitung der Informationen über geeignete und sichere Kanäle der Polizeizusammenarbeit an andere, von der vorübergehenden Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen betroffene Schengen-Staaten, nicht verhindern.
Die Europäische Kommission kann gestützt auf Absatz 6 Durchführungsrechtsakte zur Erstellung des in Absatz 1 genannten Musters erlassen.
Art. 27a
Konsultation der Mitgliedstaaten und Stellungnahme der Kommission
In dieser neuen Bestimmung wird geregelt, in welchen Konstellationen die Konsultationen zwischen der Europäischen Kommission und den betreffenden Schengen-Staaten durchzuführen sind und unter welchen Umständen eine Stellungnahme zur Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit der eingeführten Binnengrenzkontrollen abzugeben ist.
Nach Erhalt der Mitteilung durch den Schengen-Staat, welcher die Binnengrenzkontrollen wieder eingeführt hat, kann die Europäische Kommission aus eigener Initiative oder auf Anfrage eines direkt betroffenen Schengen-Staates einen Konsultationsprozess einleiten (gegebenenfalls mit anderen von dieser Massnahme betroffenen Schengen-Staaten). Ziel ist es, die festgestellte Bedrohung, die Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit der wieder eingeführten Binnengrenzkontrollen unter Berücksichtigung der Angemessenheit alternativer Massnahmen sowie die Auswirkungen der Wiedereinführung zu prüfen (Abs. 1). Der Schengen-Staat hat die Ergebnisse dieses Konsultationsverfahrens in seinen Entscheidungsprozess zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen mit einzubeziehen.
Die Europäische Kommission muss und jeder andere Schengen-Staat kann eine Stellungnahme abgeben, wenn Bedenken zur Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit der Massnahme bestehen (Abs. 2).
Wenn die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen während eines Zeitraums von insgesamt zwölf Monaten durchgeführt wurden, ist die Europäische Kommission dazu verpflichtet, eine Stellungnahme zur Verhältnismässigkeit und Notwendigkeit dieser Kontrollen mit möglichen Empfehlungen abzugeben (Abs. 3) und einen Konsultationsprozess mit den Schengen-Staaten in die Wege zu leiten (Abs. 4).
Art. 28
Spezifischer Mechanismus, wenn eine gesundheitliche Notlage grossen Ausmasses das Funktionieren des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen insgesamt gefährdet
Artikel 28 SGK, der bisher das besondere Verfahren für Fälle, die sofortiges Handeln erfordern, beinhaltete, wird mit einer Regelung zu einem spezifischen Schutzmechanismus für den Schengen-Raum ersetzt. Diese soll greifen, wenn eine gesundheitliche Notlage grossen Ausmasses mehrere Schengen-Staaten betrifft und das Funktionieren des Schengen-Raums insgesamt gefährdet ist und wenn die in den nArtikeln 21 a und 23 SGK genannten Massnahmen nicht ausreichen. Mit einem solchen Mechanismus soll ein kohärenter Rahmen für den Einsatz von Binnengrenzkontrollen geschaffen werden. Das Recht der Schengen-Staaten, die erforderlichen Massnahmen zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr zu ergreifen, bleibt auch mit der Einführung dieses Mechanismus gewahrt.
Mit diesem Artikel wird dem Rat der EU die Befugnis übertragen, auf Vorschlag der Europäischen Kommission einen Durchführungsbeschluss zu erlassen, der ein koordiniertes Vorgehen zur Abwehr der in mehreren Schengen-Staaten festgestellten schweren gesundheitlichen Notlage vorsieht und an die Stelle etwaiger nationaler Massnahmen tritt. Die Schengen-Staaten können die Europäische Kommission auch darum ersuchen, dem Rat der EU einen solchen Vorschlag vorzulegen (Abs. 1).
Mit diesem Verfahren wird dem Rat der EU somit die Möglichkeit eingeräumt, die von der gesundheitlichen Notlage grossen Ausmasses betroffenen Schengen-Staaten zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen für maximal sechs Monate zu ermächtigen. Auf Vorschlag der Europäischen Kommission kann er bei anhaltender Notlage die Mitgliedstaaten ermächtigen, diesen Zeitraum um weitere sechs Monate zu verlängern (Abs. 2). Eine maximale Obergrenze besteht nicht. Einen entsprechenden Beschluss des Rates der EU vorausgesetzt, sollen die Massnahmen nur solange weitergeführt werden können, wie es die Situation erfordert (Art. 25 Abs. 2 SGK).
Führen die Schengen-Staaten in dieser Zeit Binnengrenzkontrollen ein, so basieren diese auf dem Beschluss des Rats der EU (Abs. 3). Sie haben die Europäische Kommission und die anderen Schengen-Staaten unverzüglich zu informieren (Abs. 5).
Die Europäische Kommission überprüft sowohl die Entwicklung der gravierenden Notlage als auch die Auswirkungen der ergriffenen Massnahmen regelmässig. Je nach Ergebnis ihrer Prüfung kann sie vorschlagen, die Grenzkontrollen so schnell wie möglich aufzuheben (Abs. 4).
Die Schengen-Staaten können auch alternative Massnahmen nach Artikel 23 SGK (Massnahmen in Binnengrenzgebieten) ergreifen, um den Umfang der Binnengrenzkontrollen zu begrenzen. Die Europäische Kommission nimmt diese in ihre Überprüfung nach Absatz 4 auf (Abs. 6).
Art. 33
Bericht über die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen
Artikel 33 SGK wird dahingehend geändert, dass die Verpflichtung zur Berichterstattung über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen unabhängig davon besteht, ob diese Kontrollen aufgehoben wurden oder nicht. Werden die Grenzkontrollen länger als sechs Monate beibehalten, sollte ein solcher Bericht nach zwölf Monaten und nach 24 Monaten vorgelegt werden (Abs. 2).
Im Bericht werden u. a. die Erst- und Folgebewertung über die Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit sowie eine ex-post-Bewertung dieser, die Durchführung der Kontrollen (inkl. der Zusammenarbeit mi den benachbarten Schengen-Staaten) sowie die Auswirkungen auf den freien Personenverkehr dargelegt (Abs. 3).
Die Europäische Kommission legt für diesen Bericht ein einheitliches Format im Rahmen eines Durchführungsrechtsakts fest (Abs. 4).
Wie bis anhin kann die Europäische Kommission zu dieser Ex-Post-Bewertung eine Stellungnahme abgeben (Abs. 5).
Zudem hat die Europäische Kommission zuhanden des Europäischen Parlaments und des Rates mindestens einmal im Jahr einen Bericht (Schengen-Statusbericht) vorzulegen, der u. a. eine Liste aller Beschlüsse zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen im laufenden Jahr sowie die durch die Europäische Kommission ergriffenen Massnahmen enthält. Im Bericht soll ein besonderes Augenmerk auf die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen gelegt werden, die länger als zwölf Monate bestanden haben. Die Europäische Kommission kann diesen Bericht auch separat mit dem Europäischen Parlament und dem Rat erörtern. (Abs. 6).
Art. 36
Änderungen der Anhänge
Diese Regelung erhält eine neue Formulierung.
Absatz 1 enthält die Befugnis, dass die Europäische Kommission gemäss Artikel 37 delegierte Rechtsakte zur Änderung der Anhänge III, IV und VIII erlassen kann. Ferner erlaubt Absatz 2 der Europäischen Kommission, delegierte Rechtsakte zu erlassen, die in Anhang XI Teil B weitere Personenkategorien aufnehmen, die essentielle Reisen vornehmen können.
Bei Dringlichkeit findet das in Artikel 37 a vorgesehene Verfahren auf den Erlass delegierter Rechtsakte durch die Europäische Kommission Anwendung.
Art. 37a
Dringlichkeitsverfahren
Diese Regelung sieht ein neues Dringlichkeitsverfahren vor. Delegierte Rechtsakte, die in diesem Verfahren erlassen werden, treten direkt in Kraft und gelten so lange, wie keine Einwände durch das Europäische Parlament oder den Rat erhoben werden (Abs. 1). Werden Einwände erhoben, hebt die Europäische Kommission den Rechtsakt unverzüglich auf (Abs. 2).
Art. 39 Abs. 1 Bst. h
Diese Bestimmung regelt, welche Informationen die Schengen-Staaten der Europäischen Kommission mitzuteilen haben. Mit der vorliegenden Änderung des SGK wird in Absatz 1 ein neuer Buchstabe h eingefügt. Dieser sieht vor, dass die Schengen-Staaten dazu verpflichtet werden, der Europäischen Kommission die Grenzregionen mitzuteilen, damit der räumliche Geltungsbereich etwaiger Massnahmen zur Eindämmung der negativen Folgen der Binnengrenzkontrollen festgelegt werden kann.
Art. 42b
Mitteilung von Grenzregionen
Diese neue Regelung verpflichtet die Schengen-Staaten dazu, der Europäischen Kommission spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten der Änderung des SGK in Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten die Grenzregionen mitzuteilen. Damit können die Interessen dieser Gebiete bei der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen, insbesondere im Rahmen der Risikobewertung besser berücksichtigt werden.
Anhang XI
Unbedingt notwendige Reisen
Teil A
In Artikel 21
a
Absatz 4 genannte Personenkategorien
Der neue Anhang XI Teil A enthält eine Liste von wesentlichen Funktionen, bei deren Erfüllung das Reisen erlaubt wird. Darunter fallen u. a. Angehörige von Gesundheitsberufen, Grenzgängerinnen und Grenzgänger oder Personen, die internationalen Schutz bedürfen.
Teil B
In Artikel 21
a
Absatz 5 genannte Personenkategorien
Teil B des Anhangs listet zusätzlich Personenkategorien auf, welche ebenfalls von den Einreisebeschränkungen ausgenommen sind, sofern sie in der Durchführungsverordnung, welche vom Rat gestützt auf Artikel 21 a Absatz 2 SGK verabschiedet werden kann, aufgeführt sind (vgl. zudem Art. 21 a Absatz 5 SGK). Auf der Liste sind u. a. Saisonarbeiterinnen und -arbeiter, Partner und Kinder von Personen, die essentielle Reisen vornehmen als auch Kinder im Vorschulalter aufgelistet.
Anhang XII Teil A
Verfahren zur Überstellung von in Binnengrenzgebieten aufgegriffene Personen
Der neue Anhang XII regelt das Überstellungsverfahren, welches gestützt auf den neuen Artikel 23 a SGK zur Anwendung kommt bei Personen, die im Rahmen der grenzüberschreitenden operativen Zusammenarbeit der zuständigen Behörden (z. B. auf gemeinsamen Polizeipatrouillen) im Binnengrenzgebiet aufgegriffen werden.
Die Gründe, weshalb die ausländische Person nicht zum Aufenthalt im Schengen-Staat, in dem sie aufgegriffen wurden, berechtigt ist, werden im Überstellungsentscheid aufgeführt. Dieser wird dem betroffenen Drittstaatsangehörigen mittels eines Standardformulars eröffnet (Anhang XII Teil B). Der Überstellungsentscheid ist unmittelbar wirksam und ein allfälliges dagegen eingereichtes Rechtsmittel hat keine aufschiebende Wirkung (Abs. 1 und Abs. 5). Die betroffene ausländische Person hat ihren Empfang mittels Unterschrift zu bestätigen. Verweigert die Person die Unterschrift, wird dies durch die zuständige Behörde im Formular entsprechend vermerkt (Abs. 2). Gegen den Überstellungsentscheid kann ein Rechtsmittel eingereicht werden. Das Verfahren richtet sich dabei nach dem nationalen Recht. Auch hier findet sich in der EU-Verordnung ein Verweis auf Artikel 47 Grundrechtecharta. Für die Schweiz gelten die einschlägigen Bestimmungen der EMRK analog.
Absatz 3 hält fest, dass die nationalen Behörden, welche einen Überstellungsentscheid erlassen, die Daten im Formular, welches in Teil B dieses Anhangs genannt wird, erfassen müssen. Zu den zu speichernden Daten gehören neben den Daten zur Identifikation der betroffenen Person, Datum und Uhrzeit des Aufgreifens, Angaben zum Identitätsdokument und zu allfälligen Visa unter anderem auch die Angabe, aus welchem Staat die betroffene Person eingereist ist und wieso sie kein Recht auf Aufenthalt im Zielstaat hat.
Ferner haben die Schengen-Staaten zu statistischen Zwecken die Zahl der Personen, die überstellt wurden, den Schengen-Staat, in den sie überstellt wurden, die Überstellungsgründe und, sofern bekannt, die Nationalität der überstellten Person der Europäischen Kommission zu melden (Abs. 4).
Die Überstellung hat innerhalb von 24 Stunden an die zuständige Behörde des entsprechenden Schengen-Staats zu erfolgen. Die zuständigen Behörden beider Schengen-Staaten arbeiten zu diesem Zweck zusammen. Eine Überstellung nach Ablauf dieser Frist ist nicht möglich und das weitere Verfahren ist nach den einschlägigen Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie weiterzuführen (Abs. 6).
Anhang XII Teil B
Standardformular für die Überstellung von in Binnengrenzgebieten aufgegriffenen Personen
Wird ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Rahmen der grenzüberschreitenden operativen Zusammenarbeit der zuständigen Behörden (z. B. auf gemeinsamen Polizeipatrouillen) in Binnengrenzgebieten aufgegriffen und kommt das Verfahren nach Artikel 23 a i. V. m. Anhang XII Teil A SGK zur Anwendung, kann dieser an die Behörden des Staates überstellt werden, aus dem er ausgereist ist. Die Überstellung wird ihm mittels dem im neuen Anhang XII Teil B aufgeführten Standardformular eröffnet.
²5 Verordnung (EU) 2024/1359 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl und zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/1147, ABl. L, 2024/1359, 22.5.2024.
²6 Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen; ABl. L 16 vom 23.1.2004, S. 44.
²7 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG; ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77.
²8 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389.
²9 SR 0.101

2.4.2 Inkrafttreten und Anwendbarkeit (Art. 2)

In der EU wird die vorliegende Änderung des SGK 20 Tage nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten und gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten der EU.
Da vorliegend die Bundesversammlung für die Genehmigung des Notenaustausches zuständig ist (vgl. Ziff. 2.9.3), hat die Schweiz der EU am 28. Juni 2024 in ihrer Antwortnote mitgeteilt, dass die betreffende Weiterentwicklung für sie erst «nach Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Voraussetzungen» und somit nach Ablauf der zweijährigen Frist rechtsverbindlich werden kann (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Dies bedeutet, dass die neuen Bestimmungen des SGK für die Schweiz erst ca. zwei Jahre nach der Anwendbarkeit in der EU anwendbar werden. Die Schweiz wird während dieser Übergangszeit bei einer allfälligen Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen die heute bestehenden Vorschriften des SGK anwenden.

2.5 Grundzüge des Umsetzungserlasses

2.5.1 Die beantragte Neuregelung

Die meisten Bestimmungen der Verordnung (EU) 2024/1717 sind direkt anwendbar und bedürfen keiner Umsetzung in das Schweizer Recht. Einige Bestimmungen erfordern jedoch Anpassungen im AIG. Im Hinblick auf die Neuerungen, welche die Änderungen des SGK mit sich bringen, sind Gesetzesänderungen in folgenden Bereichen notwendig:
Die Regelungen zum Grenzübertritt, zur Grenzkontrolle und zur Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen werden präzisiert (Art. 7 und Art. 8 E-AIG). Insbesondere werden die bestehenden Kompetenzen zur Anordnung der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Schweiz auf Gesetzesstufe gehoben (bisher Art. 30 der Verordnung vom 15. August 2018 3⁰ über die Einreise und die Visumserteilung [VEV]). An der bestehenden Kompetenzverteilung zwischen Bundesrat und EJPD wird keine Änderung vorgenommen. Zudem soll der Bundesrat wie bis anhin die Einzelheiten der Kontrollen auf Verordnungsstufe regeln können.
Die bestehenden Bestimmungen zur Vertrauensperson bei Wegweisungen für unbegleitete minderjährige ausländische Personen werden materiell unverändert in eine eigene Bestimmung überführt (neuer Art. 66 E-AIG, bisher Art. 64 Abs. 4 f. AIG).
Ferner wird ein neues Überstellungsverfahrens ins AIG aufgenommen (Art. 64 c bis E-AIG). Neu können aufgrund des Artikels 23 a SGK nicht einreise- oder aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, welche bei gemeinsamen Kontrollen mit anderen Schengen-Staaten (z. B. auf gemeinsamen Polizeipatrouillen) aufgegriffen wurden, an denjenigen Schengen-Staat überstellt werden, aus dem sie unmittelbar ausgereist sind. Gegen den Überstellungsentscheid (Formular nach Anhang XII Teil B SGK) kann innerhalb von fünf Arbeitstagen nach dessen Eröffnung ein Rechtsmittel eingereicht werden. Die Wegweisung ist sofort vollstreckbar (Art. 64 d Abs. 2 Bst. g E-AIG). Die Wegweisungsverfügung wird nicht übersetzt, jedoch erhält die betroffene Person ein übersetztes Informationsblatt (Art. 64 f Abs. 2 E-AIG).
Schliesslich werden gestützt auf Artikel 65 a E-AIG neue Einreisebeschränkungen und weitere Massnahmen an den Schengen-Aussengrenzen eingeführt. Der Bundesrat soll gestützt auf den SGK zum Schutz der öffentlichen Gesundheit sowohl vorübergehende Einreisebeschränkungen an den Schengen-Aussengrenzen der Schweiz sowie weitere Massnahmen zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit (wie bspw. Tests, Quarantäne und Selbstisolierung) anordnen können.
Missachtet eine ausländische Person diese Einreisebeschränkung und die weiteren Massnahmen mehrmals und versucht, trotz der von der EU und der Schweiz beschlossenen Massnahmen in die Schweiz einzureisen, kann das SEM ein Einreiseverbot verfügen (Art. 67 Abs. 2 Bst. c E-AIG). Auch die Sorgfaltspflicht der Luftverkehrsunternehmen wird entsprechend angepasst, um sicherzustellen, dass nur Personen befördert werden, die nicht aus Risikogebieten in die Schweiz einreisen (Art. 92 Abs. 1bis E-AIG).
3⁰ SR 142.204

2.5.2 Umsetzungsfragen

Der neue Anhang XII regelt das Überstellungsverfahren nach Artikel 23 a SGK. Wenn ein Überstellungsentscheid erlassen wurde, muss die überstellende Behörde (sei es der Kanton oder das BAZG) die Daten im Teil B dieses Anhangs genannten Formular erfassen. Zudem haben die Schengen-Staaten zu statistischen Zwecken die Zahl der Personen, die überstellt wurden, den Schengen-Staat, in den sie überstellt wurden und, sofern bekannt, die Nationalität der überstellten Person zu erheben.
Die Daten im Teil B des Anhangs XII werden im eGov-Modul «eMAP» zu erfassen sein. eMAP dient seit dem 7. März 2023 zur Erfassung von Wegweisungen, Landesverweisungen und Einreiseverboten. Der Zugriff auf eMAP erfolgt über den Link ZEMIS eGov-Cockpit im SSO-Portal. Gewisse Datenfelder bestehen bereits in der Verordnung über das zentrale Migrationsinformationssystem vom 12. April 2006 3¹ (ZEMIS-Verordnung) (Daten zur Person, zum Dokument etc.). Andere werden noch zu schaffen sein resp. es werden entsprechende Codes in ZEMIS verwendet.
3¹ SR 142.513

2.6 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Umsetzungserlasses

2.6.1 Ausländer- und Integrationsgesetz

Art. 7 Abs. 1 zweiter Satz und 2
Abs. 1 zweiter Satz
Der bisherige Absatz 1 hielt fest, dass sich die Ein- und Ausreise nach den Schengen-Assoziierungsabkommen richtet.
Neu wird präzisiert, dass sich die Grenzkontrollen nach den Vorgaben des SGK richten. Da die Begriffe im Bereich der Kontrolle von Grenzübertritten in dem für die Schweiz verbindlichen SGK und im AIG nicht einheitlich verwendet werden, sollen diese im AIG angepasst werden.
Gemäss SGK umfasst der Begriff der «Grenzkontrolle» sowohl die Ein- und Ausreisekontrollen an den Grenzübergangsstellen als auch die Überwachung der Grenze zwischen den Grenzübergangsstellen. Der operative Vorgang, den Personen beim Überschreiten der Schengen-Aussengrenze durchlaufen, wird hingegen als «Grenzübertrittskontrolle» bezeichnet.
Des Weiteren findet der Begriff «Grenzkontrolle» auch bei einer Wiedereinführung von Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz im SGK Verwendung (Art. 25 ff. SGK).
Das AIG und seine Ausführungsbestimmungen hingegen verwenden heute lediglich die Begriffe «Grenzkontrolle» und «Personenkontrolle». Der im SGK verwendete Begriff «Grenzübertrittskontrolle» wird nicht verwendet. Dafür wird der Begriff «Grenzübertritt» im AIG mehrfach verwendet, wobei er sich nicht immer nur auf die Schengen-Aussengrenze bezieht. So fällt beispielsweise unter dem in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a AIG genannten Begriff «Grenzübertritt» die Einreise in die Schweiz von einem Schengen-Staat, aber auch die Einreise (über den Luftweg) von einem Drittstaat herkommend. Wo die Begriffe «Grenzkontrolle» bzw. «Personenkontrolle» verwendet werden, ist die aus dem SGK ableitbare Begriffsunterscheidung nicht erkennbar übernommen worden. Vielmehr werden die Begriffe im nationalen Recht meist als Synonyme verwendet. Dies zeigt sich insbesondere bei Bestimmungen, in denen in der Sachüberschrift der eine, im Normtext jedoch der andere Begriff verwendet wird oder gar ein Absatz beide Begriffe verwendet, ohne dass eine Differenzierung ersichtlich wäre (bspw. Art. 7, 9 und 104 a Abs. 3 AIG).
Mit Blick auf die Begriffsbestimmung des SGK soll daher überall dort, wo das geltende nationale Recht mit Bezug auf das Überschreiten der Schengen-Aussengrenze den Begriff «Personenkontrolle» verwendet, dieser durch den Begriff «Grenzkontrolle» ersetzt werden. Diese Begrifflichkeiten sind auch auf Verordnungsstufe anzupassen (z. B. Art. 31 VEV).
Sind hingegen Kontrollen im Sinne der vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz (Art. 25 ff. SGK) gemeint, soll im AIG neu der Begriff «Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz» verwendet werden.
Abs. 2
Wie bis anhin soll der Bundesrat die Einzelheiten der Kontrollen auf Verordnungsstufe regeln. Zudem soll der bisherige Begriff «Personenkontrolle» durch den Begriff «Grenzkontrolle» ersetzt werden (siehe dazu Ausführungen zu Abs. 1). Zusätzlich erfolgt ein Verweis auf den Absatz 1. Dadurch wird ersichtlich, dass der Bundesrat die Modalitäten sowohl der Grenzkontrollen an den Schengen-Aussen- als auch an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz regeln kann.
Wie bis anhin dürfen Kontrollen an den Binnengrenzen keine den Grenzkontrollen gleichwertige Wirkung haben. Sie sind nach Massgabe von Artikel 23 SGK ausschliesslich im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit zulässig. Bereits im Jahre 2015 wies die Europäische Kommission anlässlich einer unangekündigten Schengen-Evaluation an der schweizerisch-italienischen Binnengrenze darauf hin, dass die Ausübung bestimmter, den schweizerischen Grenzschutzbeamten übertragener polizeilicher Befugnisse in den Binnengrenzgebieten keine den Grenzübertrittskontrollen gleichwertige Wirkung haben sollten. Der EuGH hat dazu in einem früher ergangenen Urteil vom 22. Juni 2010 insbesondere festgehalten, dass nationale Regelungen zu Kontrollen auf dem Hoheitsgebiet eines Schengen-Staates, welche die gleiche Wirkung entfalten wie eine Grenzkontrolle, nicht mit dem SGK vereinbar sind. 3² Davon ausgenommen sind die Zollkontrollen. Da die Schweiz nicht Mitglied der Zollunion ist, ist sie weiterhin berechtigt, gemäss Zollgesetz vom 18. März 2005 3³ (ZG) den grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehr zu kontrollieren.
Zusätzlich kann der Bundesrat künftig die grenzüberschreitenden Regionen im Einvernehmen mit den Kantonen und den Nachbarstaaten bestimmen. Diese Verpflichtung geht aus Artikel 42 b SGK hervor, wonach die Schengen-Staaten, die grenzüberschreitenden Regionen gemeinsam mit den Nachbarstaaten zu bestimmen und der EU zu melden haben. Diese Regionen bezeichnen indessen kein Gebiet, in welchem bestimmte hoheitliche Handlungen erlaubt oder verboten sein sollen (territorialer Geltungsbereich von Massnahmen). Vielmehr dienen sie einzig als abstrakte Bezugsgrösse für die im SGK vorgeschriebene Bewertung der Auswirkungen (risk assessment), die im Vorfeld einer geplanten Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen durchgeführt werden muss.
Art. 8
Vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Schweiz
Neu werden die Kompetenzen zur Anordnung der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Schweiz auf Gesetzesstufe gehoben und präzisiert. Die bestehenden Kompetenzen bleiben unverändert. Die Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen erfolgt grundsätzlich in enger Absprache mit den zuständigen Grenzkontrollbehörden (EFD und Kantone).
Bis anhin waren die Grundzüge des Vorgehens im Hinblick auf die Wiedereinführung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen in Artikel 30 VEV geregelt. Artikel 8 sieht vor, dass der Bundesrat für die Wiedereinführung und Verlängerung der Grenzkontrollen an den Schengener Binnengrenzen der Schweiz zuständig ist (Abs. 1). In dringenden Fällen, also bei nicht vorhersehbaren Ereignissen, ordnet das EJPD in Absprache mit dem EFD die notwendigen Massnahmen zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen an. Zudem hat es den Bundesrat umgehend darüber zu unterrichten (Abs. 2).
Abs. 1
Wie bis anhin soll der Bundesrat bei vorhersehbaren Ereignissen entscheiden, ob Grenzkontrollen an den Schengen Binnengrenzen der Schweiz eingeführt werden (nArt. 25 a SGK). Er hat dabei die Voraussetzungen und Kriterien, welche in den neuen Artikeln 25 und 26 SGK aufgeführt sind, zu berücksichtigen. Bei seinem Entscheid hat er insbesondere das Kriterium der Verhältnismässigkeit zu beachten. Binnengrenzkontrollen sollen «nur als letztes Mittel» eingeführt respektive verlängert werden. Zudem hat er bei seinem Entscheid auch die Auswirkungen auf die grenzüberschreitenden Regionen zu berücksichtigen (nArt. 26 Abs. 1 und Abs. 3 SGK). Die Fristen und das Verfahren für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen sind im neuen Artikel 25 a SGK geregelt.
Abs. 2
Wie bis anhin soll das EJPD in Absprache mit dem EFD bei unvorhersehbaren Ereignissen im Sinne des Artikels 25 a Absatz 1 SGK die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz anordnen. Es hat daraufhin den Bundesrat, die Europäische Kommission und die übrigen Schengen-Staaten, welche von der Wiedereinführung betroffen sind, entsprechend zu informieren. Eine Verlängerung ist nach Artikel 25 a Absatz 3 SGK für eine Zeitspanne von maximal einem Monat zulässig. Dabei darf die Höchstdauer der wiedereingeführten Grenzkontrollen von insgesamt drei Monaten nicht überschritten werden.
Abs. 3
Der Rat der EU kann mittels Durchführungsbeschluss die Schengen-Staaten dazu ermächtigen, die Einführung von Binnengrenzkontrollen im Schengen-Raum zu beschliessen, wenn eine gravierende Notlage grossen Ausmasses im Bereich der öffentlichen Gesundheit in einer Mehrheit der Schengen-Staaten vorliegt (nArt. 28 SGK). Er kann die Einführung von Binnengrenzkontrollen im Schengen-Raum zudem bei Vorliegen von aussergewöhnlichen Umständen aufgrund anhaltender schwerwiegender Mängel bei den Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen empfehlen (Art. 29 SGK). In diesen beiden Fällen wird sich der Beschluss respektiv die Empfehlung des Rates der EU nur dann an die Schweiz richten, wenn ihre Binnengrenzen betroffen sein werden. Daher sieht Absatz 3 vor, dass in diesen beiden Konstellationen jeweils der Bundesrat die Wiedereinführung der Grenzkontrollen an den Schengener Binnengrenzen der Schweiz sowie deren Verlängerung abschliessend anordnen kann. Er kann auch andere Massnahmen vorsehen (nArt. 23 und 23 a SGK). Die Schweiz hat die Europäische Kommission und die übrigen Schengen-Staaten über den Entscheid der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen zu informieren.
Abs. 4
Aus Gründen der Klarheit sollen die Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz gemäss SGK auf Gesetzesstufe geregelt werden. Bereits nach geltendem Recht obliegt für den Fall der Wiedereinführung von Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz gemäss SGK die Durchführung dieser Kontrollen - im Einvernehmen mit den Grenzkantonen - dem BAZG (Art. 30 Abs. 3 VEV). Diese Zuständigkeit drängt sich aus praktischen Gründen auf. Bei einer sofortigen Wiedereinführung der Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz verfügt das BAZG aufgrund seiner ständigen Aufgabe der zollrechtlichen Kontrolle bereits über das entsprechende Kontrolldispositiv und kann damit sofort eingesetzt werden. Zudem verfügen einzelne Grenzkantone nicht über ausreichende Mittel, welche eine unverzügliche Kontrolltätigkeit ermöglichen würden. Das BAZG müsste aber bei Bedarf mit entsprechenden zusätzlichen Ressourcen ausgestattet werden, um zusätzlich zu seinem Grundauftrag die Kontrollen an den Binnengrenzen effektiv und effizient realisieren zu können.
Finden die Kontrollen an einem Flugplatz statt, der auch eine Schengen-Aussengrenze bildet, so sind die kantonalen Behörden nach Artikel 9 für die Durchführung zuständig. So fallen bspw. am Flughafen Zürich wie bis anhin jegliche Grenzkontrollen auch bei der Wiedereinführung der Kontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz ausschliesslich in die Zuständigkeit der Kantonspolizei Zürich.
Abs. 5
Der Bundesrat soll auf Verordnungsstufe die Eckwerte für das Verfahren zur vorübergehenden Wiedereinführung der Grenzkontrollen an den Schengener Binnengrenzen der Schweiz sowie deren allfällige Verlängerung und Aufhebung festlegen.
Art. 9
Zuständigkeit für die Grenzkontrollen an den Schengen
-Aussengrenzen der Schweiz
Mit der Änderung der Sachüberschrift soll präzisiert werden, dass Artikel 9 lediglich die ausländerrechtlichen Kontrollen von Personen regelt. Daher wird die Sachüberschrift in «Zuständigkeiten für die Grenzkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen der Schweiz» geändert.
Die Regelung in Artikel 9 entspricht dem bisherigen Absatz 1 von Artikel 9. Für die Personenkontrollen im Rahmen des Grenzübertritts sind nach wie vor die Kantone auf ihrem Kantonsgebiet zuständig und das BAZG im Einvernehmen mit den Grenzkantonen im Grenzraum. Bei einer Wiedereinführung der Grenzkontrolle an den Binnengrenzen führt das BAZG diese im Einvernehmen mit den Grenzkantonen durch (Art. 30 VEV). Es erfolgt keine materielle Änderung, sondern die heutige Praxis wird präziser abgebildet. Die Grenzkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen (Flughäfen) werden grundsätzlich durch die Kantone durchgeführt, wobei der Bund (EJPD) die Durchführung dieser Kontrollen regelt (Art. 7 Abs. 2 E-AIG, Art. 31 Abs. 1 VEV). Vorbehalten bleiben Vereinbarungen, die eine Kontrolle durch das BAZG vorsehen.
Der geltende Absatz 2 regelt, dass der Bundesrat im Einvernehmen mit den Grenzkantonen die Grenzkontrolle durch den Bund im Grenzraum (Grenzgebiet nach SGK) regelt. Für diese Kontrollen sind originär die Kantone, sowie gestützt auf das Zollgesetz (Art. 96 f. ZG) das BAZG zuständig. Die Abgrenzung der Aufgabenerfüllung ergibt sich bereits aus dem Zollgesetz (Art. 96 ZG für die Sicherheitsaufgaben des BAZG im Grenzraum; Art. 97 ZG für die Übernahme kantonaler polizeilicher Aufgaben durch das BAZG) und braucht keine weitere Konkretisierung auf Verordnungsstufe.
Art. 64 Abs. 4 und 5, Art. 64a Abs. 3bis und Art. 66
Vertrauensperson für unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer im Wegweisungsverfahren
Die Absätze 4 und 5 von Artikel 64 werden aufgehoben und neu in eine eigene Bestimmung überführt. Neu regelt Artikel 66, dass die zuständigen kantonalen Behörden für unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer unverzüglich eine Vertrauensperson zu bestimmen haben, die deren Interessen während des Wegweisungsverfahrens wahrnimmt (Abs. 1). Der Bundesrat regelt auf Verordnungsstufe die Zuständigkeiten und Aufgaben dieser Person (Abs. 2). Diese Regelung gilt für sämtliche Wegweisungsverfahren und nicht nur für die Wegweisungen nach Artikel 64 AIG. Daher ist sie neu in einer eigenen Bestimmung. Eine materielle Änderung erfährt Artikel 66 jedoch nicht.
Art. 64c Abs. 1 Bst. b Fussnote
Die vorliegende Bestimmung wird angepasst, da die Fussnote zum SGK neu auf die Fussnote des Artikels 7 Absatz 1 AIG verweist.
Art. 64cbis
Wegweisung bei gemeinsamen Kontrollen mit anderen Schengen
-Staaten
Im vorliegenden Artikel soll das im SGK neu geschaffene Überstellungsverfahren geregelt werden. Neu sieht Artikel 23 a SGK ein Verfahren zur Überstellung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vor, die in Grenzgebieten aufgegriffen werden. Dabei sind die einschlägigen internationalen Zusammenarbeitsvereinbarungen vorbehalten.
Artikel 64 c bis AIG findet keine Anwendung, wenn an den Binnengrenzen wieder Grenzkontrollen durchgeführt werden.
Abs. 1
Der neue Artikel 23 a SGK sieht vor, dass nicht einreise- oder aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, d.h. Ausländerinnen und Ausländer, die keine erforderliche Bewilligung besitzen oder die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 AIG nicht bzw. nicht mehr erfüllen, und die im Rahmen der grenzüberschreitenden operativen bilateralen Kontrollen der zuständigen Behörden (z. B. auf gemeinsamen Polizeipatrouillen) im Binnengrenzraum aufgegriffen werden, an denjenigen Schengen-Staat überstellt werden können, aus dem sie unmittelbar ausgereist sind. Ausgenommen sind diejenigen ausländischen Personen, die ein Asylgesuch oder ein Gesuch um vorübergehende Schutzgewährung einreichen (Bst. c).
Abs. 2
Sofern eine formlose Wegweisung nach Artikel 64 c Absatz 1 Buchstabe a AIG möglich ist, kann auf eine Wegweisung nach Absatz 1 verzichtet werden. In erster Linie ist somit zu prüfen, ob die betroffene Person gestützt auf ein bereits bestehendes Rückübernahmeabkommen überführt werden kann.
Abs. 3 und 4
Der SGK sieht vor, dass gegen diese Massnahme die Möglichkeit bestehen muss, ein Rechtsmittel einzulegen. Die Gründe, weshalb die ausländische Person nicht zum Aufenthalt im Schengen-Staat, in welchem sie aufgegriffen wurden, berechtigt ist, werden in der Überstellungsverfügung aufgeführt. Bei der Überstellungsverfügung handelt es sich um ein Standardformular, welches dem Anhang XII Teil B des SGK entspricht. Für den Vollzug einer Wegweisung ist aufgrund des Vollzugsföderalismus grundsätzlich der betroffene Kanton zuständig, solange er diese Aufgabe nicht an das BAZG delegiert hat.
Gestützt auf Absatz 4 kann gegen den Entscheid ein Rechtsmittel innerhalb von fünf Arbeitstagen nach deren Eröffnung eingereicht werden. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, die Beschwerdeinstanz entscheidet über deren Wiederherstellung.
Abs. 5
Die für den Vollzug zuständige Behörde kann die betroffene Person maximal 24 Stunden festhalten (siehe auch Art. 73 AIG), um die Wegweisung zu vollziehen. Nach Ablauf dieser 24 Stunden ist eine Überstellung gestützt auf Artikel 64 c bis bzw. Artikel 23 a SGK nicht mehr möglich. Dies bedingt, dass nach Ablauf der Frist von 24 Stunden eine Wegweisungsverfügung nach Artikel 64 erlassen werden muss.
Art. 64d Abs. 2 Einleitungssatz (betrifft nur den französischen Text) und Bst. e Fussnote und g
In der französischen Fassung wurde in Absatz 2 der Einleitungssatz folgendermassen angepasst: «peut être immédiatement exécutoire» wurde ersetzt durch «est immédiatement exécutoire».
Die Fussnote von Absatz 2 Buchstabe e wurde angepasst.
Artikel 64 d Absatz 2 regelt, in welchen Fällen die Wegweisung sofort vollstreckbar ist, bzw. bei Vorliegen von besonderen Umständen eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen angesetzt werden kann.
Der SGK sieht in Anhang XII Teil A vor, dass die Überstellung nach Artikel 23 a SGK im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit innerhalb vom 24 Stunden zu vollziehen ist. Entsprechend muss Absatz 2 mit einem neuen Buchstaben g ergänzt werden.
Art. 64f Abs. 2 erster Satz
Bei Wegweisungsverfügungen mittels Standardformular erfolgt keine Übersetzung. In diesem Fall ist der betroffenen Person ein Informationsblatt zusammen mit dem Standardformular auszuhändigen, welches insbesondere Hinweise auf die rechtlichen Grundlagen der Verfügung, auf die Möglichkeit der Einreichung eines Rechtsmittels und auf die Folgen der Nichteinhaltung der Ausreisefrist hinweist.
Da die Überstellung nach Artikel 23 a SGK im Rahmen der grenzübergreifenden Zusammenarbeit mittels eines Formulars nach Anhang XII Teil B des SGK eröffnet wird, ist der bestehende Absatz 2 von Artikel 64 f mit Artikel 64cbis Absatz 3 entsprechend zu ergänzen. Auch in diesen Fällen wird keine Übersetzung des Formulars vorgenommen.
Art. 65 Abs. 2 erster Satz Fussnote
Die Fussnote von Absatz 2 wurde angepasst.
Art. 65a
Einreisebeschränkungen und weitere Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit an Flugplätzen, die eine Schengen-Aussengrenze bilden
Artikel 21 a SGK überträgt dem Rat der EU die Befugnis, Beschränkungen für nicht unbedingt notwendige und unbedingt notwendige Reisen in die EU vorzusehen, die an den Schengen-Aussengrenzen verhängt werden können, wenn gesundheitliche Notfälle grossen Ausmasses bestehen und diese eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit im Schengen-Raum darstellen. Die vorübergehenden Reisebeschränkungen müssen verhältnismässig und nichtdiskriminierend sein. Der neue Artikel 65 a E-AIG regelt darüber hinaus, dass der Bundesrat gestützt auf Artikel 41 Epidemiengesetz Einreisebeschränkungen und weitere Massnahmen anordnen kann, wenn dies zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nötig ist.
Abs. 1
Die Schengen-Staaten dürfen laut SGK für ihr Staatsgebiet zum Schutz der öffentlichen Gesundheit strengere vorübergehende Reisebeschränkungen vorsehen, als sie in der Durchführungsverordnung des Rates der EU (Art. 21 a SGK) festlegt sind. Die strengeren Massnahmen zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit an den Aussen- und den Binnengrenzen der Schweiz richten sich in einem solchen Fall nach Artikel 41 EpG.
Abs. 2
Wie bereits während der «COVID-19-Pandemie» soll die Möglichkeit bestehen, im Einzelfall Ausnahmen von den Einreisebeschränkungen zu bewilligen. Eine entsprechende Bestimmung soll in Absatz 2 aufgenommen werden. Das SEM kann aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen weitere Ausnahmen verfügen, sofern diese keinen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz entgegenstehen (vgl. auch Art. 3 Abs. 4 VEV). Es prüft auf Gesuch hin im Einzelfall, ob sich eine Ausnahme von der Einreisebeschränkung rechtfertigt.
Art. 66
Vertrauensperson für unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer im Wegweisungsverfahren
Siehe dazu Ausführungen zu Artikel 64 Absatz 4 und 5 und Artikel 64 a Absatz 3bis E-AIG.
Art. 67 Abs. 2 Einleitungssatz (betrifft nur den französischen und italienischen Text) und Bst. c
Der Einleitungssatz von Absatz 2 wird sprachlich angepasst.
Artikel 67 Absatz 2 AIG regelt, unter welchen Bedingungen das SEM Einreiseverbote gegenüber Ausländerinnen und Ausländern verfügen kann.
Neu wird ein Buchstabe c eingefügt. Versucht eine Ausländerin oder ein Ausländer mehrmals trotz der Einreisebeschränkungen oder Massnahmen zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit nach Artikel 65 a in die Schweiz einzureisen, kann das SEM ein Einreiseverbot verfügen. Die rechtsanwenden Behörden haben bei der Anordnung eines Einreiseverbots im Einzelfall den Anforderungen des Verhältnismässigkeitsgebots (vgl. Art. 5 Abs. 2 und 36 Abs. 3 Bundesverfassung [BV]) ³4 ) genügen müssen.
Art. 71 Abs. 1 Einleitungssatz
Diese Bestimmung wird angepasst, da die Abkürzung «EJPD» neu in Artikel 8 Absatz 2 eingeführt wird und in der vorliegenden Bestimmung daher direkt die Abkürzung verwendet werden kann.
Art. 80a Abs. 6
Diese Bestimmung muss angepasst werden, da der Verweis auf Artikel 64 a Absatz 3bis AIG nicht mehr stimmt. Neu wird auf Artikel 66 AIG verwiesen.
Art. 92 Sachüberschrift und Abs. 1bis
Sorgfaltspflicht der Luftverkehrsunternehmen
Artikel 92 AIG regelt die Sorgfaltspflicht der Luftverkehrsunternehmen.
Da Artikel 92 nur die Sorgfaltspflicht der Luftverkehrsunternehmen regelt, soll die Sachüberschrift entsprechend ergänzt werden.
Ferner wird ein Absatz 1bis eingefügt. Es soll sichergestellt werden, dass zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit nur Personen befördert werden, die nicht aus Risikogebieten in die Schweiz einreisen. Die Luftverkehrsunternehmen verletzen somit ihre Sorgfaltspflicht, wenn sie Passagiere befördern, die Einreiseverweigerungen und weitere gesundheitsbezogene Massnahmen missachten.
Art. 122a Abs. 1 erster Satz
Die Anpassungen des Artikel 122 a Absatz 1 erster Satz stützen sich nicht auf geltendes Recht, sondern auf die Anpassung dieses Artikels im Rahmen des Bundesbeschlusses vom 25. September 2020 über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 ³5 über das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) ³6 .
Artikel 122 a regelt die Massnahmen, die zu ergreifen sind, wenn Luftverkehrsunternehmen ihre Sorgfaltspflicht verletzen. Die Sorgfaltspflicht nach dem neuen Absatz 1bis von Artikel 92 E-AIG werden erweitert, da ansonsten die Durchsetzung der Verpflichtung für die Behörden gegenüber den Luftverkehrsunternehmen unmöglich sei. Ferner wird präzisiert, dass keine Personen befördert werden dürfen, welche einer Einreisebeschränkung nach Artikel 65 a AIG unterliegen.
3² ECLI:EU:C:2010:363 des Gerichtshofes vom 22. Juni 2010 in den verbundenen Rechtssachen C-188/10 und C-189/10 in Sachen Melki und Abdeli,
curia.europa.eu > Rechtsprechung > Zugang zur elektronischen Sammlung > Allgemeine Sammlung > Gerichtshof.
3³ SR 631.0
³4 SR 101
³5 Verordnung (EU) 2018/1240 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. September 2018 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1077/2011, (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/1624 und (EU) 2017/2226; ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 1.
³6 BBl 2020 7911

2.6.2 Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes

Art. 16 Abs. 2 Bst. o und 5 Bst. c Ziff. 1 (betrifft nur den französischen Text)
Die Fussnote in Absatz 2 Buchstabe o zum SGK muss aufgrund der vorliegenden Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 angepasst werden.
Die Anpassung in Absatz 5 Buchstabe c Ziffer 1 erfolgt nur in der französischen Fassung. Neu wird nicht mehr die Fomulierung «contrôle aux frontières, conformément au code frontières Schengen» sondern «contrôle à la frontière, conformément au code frontières Schengen» verwendet.

2.7 Koordinationsbedarf mit der ETIAS-Vorlage

Es besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf die Vorlage zur Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) ³7 . Der entsprechende Bundesbeschluss wurde am 25. September 2020 vom Parlament angenommen.
Artikel 122 a Absatz 1 erster Satz E-AIG ist mit der vorliegenden Vorlage 1 zu koordinieren, da der Bundesbeschluss vom 25. September 2020 noch nicht in Kraft ist. Sollte der Bundesbeschluss gleichzeitig mit der vorliegenden Änderung des AIG oder später in Kraft treten, ist bei der Inkraftsetzung die Fassung des vorliegenden ersten Satzes von Absatz 1 zu berücksichtigen. Der Bundesbeschluss vom 25. September 2020 muss zwingend vor oder gleichzeitig mit dieser Vorlage in Kraft gesetzt werden.
³7 BBl 2020 7911

2.8 Auswirkungen der Verordnung (EU) 2024/1717 und des Umsetzungserlasses

2.8.1 Auswirkungen auf den Bund

Auf das SEM
Mit der vorliegenden Revision des SGK wird u. a. ein neues Wegweisungsverfahren eingeführt. Zur Erfassung der statistischen Daten, welche die Schweiz jährlich an die EU liefern muss, ist eine technische Anpassung des Systems eMAP erforderlich, damit dort die nötigen Angaben erfasst werden können.
Die Projektkosten belaufen sich auf rund CHF 0,2 Mio. und werden über das IKT-Budget des SEM finanziert. Sie sind im Finanzplan 2026 eingestellt. Personelle Auswirkungen hat die Vorlage keine.
Auf das BAZG
Die finanziellen und personellen Auswirkungen in Zusammenhang mit der Durchführung allfällig wiedereingeführter Grenzkontrollen durch das BAZG sind zum heutigen Zeitpunkt nicht abschliessend festzulegen. Die Durchführung solcher Kontrollen über längere Zeit unter Einhaltung des Grundauftrags sind erfahrungsgemäss nur mit mehr personellen Ressourcen realisierbar. Diese hängen aber von dem jeweiligen Umfang und den Modalitäten des durch den Bundesrat bzw. das EJPD getroffenen Entscheids zur Wiedereinführung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ab.

2.8.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Änderung des SGK hat keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden.

2.8.3 Auswirkungen in weiteren Bereichen

In den Bereichen Volkswirtschaft, Gesellschaft und Umwelt sind keine direkten Auswirkungen zu erwarten.

2.9 Rechtliche Aspekte

2.9.1 Verfassungsmässigkeit

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für auswärtige Angelegenheiten zuständig ist.
Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren.
Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7 a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 ³8 ).
Im vorliegenden Fall hat der Bundesrat gemäss Artikel 100 Absatz 2 Buchstabe a AIG die Kompetenz, internationale Abkommen über die Visumpflicht und die Durchführung der Grenzkontrollen abzuschliessen. Die zu übernehmende Verordnung ändert u. a. die Regelung des SGK betreffend die Bedingungen und Verfahren für die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen. Der vorliegende Notenaustausch fällt mithin in den Anwendungsbereich von Artikel 100 Absatz 2 Buchstabe a AIG. Jedoch muss im vorliegenden Fall das AIG angepasst werden. So ist u. a. das neue Wegweisungsverfahren nach Artikel 23 a SGK im AIG zu regeln. Diese Anpassung kann der Bundesrat nicht selbstständig vornehmen. Deshalb sind der Notenaustausch betreffend die Übernahme der Änderung des SGK und die für dessen Umsetzung erforderliche Änderung des AIG dem Parlament gemeinsam zur Genehmigung zu unterbreiten.
³8 SR 172.010

2.9.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Mit der Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 als Schengen-Weiterentwicklung erfüllt die Schweiz ihre Verpflichtungen gegenüber der EU, die sie im Rahmen des SAA eingegangen ist. Sie gewährleistet damit einheitliche Grenzkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen und setzt die Schengen-Bestimmungen zur grundsätzlichen Abwesenheit von Kontrollen an den Binnengrenzen um.
Die Übernahme der EU-Verordnung und die damit verbundenen gesetzlichen Anpassungen sind auch mit den anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

2.9.3 Erlassform des Bundesbeschlusses und des Umsetzungserlasses

Die Übernahme der EU-Verordnung stellt keinen Beitritt der Schweiz zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft dar. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des entsprechenden Notenaustauschs ist deshalb nicht dem obligatorischen Referendum nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV zu unterstellen.
Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Nach Artikel 22 Absatz 4 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 ³9 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG) sind unter rechtsetzenden Normen Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.
Der vorliegende Notenaustausch wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit gekündigt werden und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch führt die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 zu Gesetzesanpassungen. Demzufolge ist der Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Vertrags dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.
Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).
Nach Artikel 141 a Absatz 2 BV können Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden, wenn dieser dem fakultativen Referendum untersteht. Die vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1717 und ergeben sich unmittelbar aus den dort enthaltenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses kann deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden.
³9 SR 171.10

2.9.4 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Im Gesetzesentwurf sind folgende Delegationen an den Bundesrat enthalten:
Art. 8 Abs. 5
Modalitäten Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen
Diese Kompetenzdelegation an den Bundesrat stützt sich auf Artikel 182 Absatz 1 BV, wonach der Bundesrat rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung erlassen kann. Hierbei handelt es sich um rechtsetzende Bestimmungen, welche die Modalitäten des Verfahrens zur vorübergehenden Wiedereinführung der Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen der Schweiz sowie deren allfällige Verlängerung und Aufhebung regeln.
Art. 65a Abs. 1
Einreisebeschränkungen und weitere Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit an Flugplätzen,
die eine Schengen
-Aussengrenzen
bilden
Diese Kompetenzdelegation an den Bundesrat stützt sich auf Artikel 182 Absatz 1 BV, wonach der Bundesrat rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung erlassen kann. Hierbei handelt es sich um rechtsetzende Bestimmungen, welche die Einreisebeschränkungen und weiteren (gesundheitsbezogenen) Massnahmen an den Schengen-Aussengrenzen der Schweiz zur Eindämmung einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite regeln.
Art. 66 Abs. 2
Vertrauenspersonen im Wegweisungsverfahren
Diese Kompetenzdelegation an den Bundesrat besteht derzeit im geltenden Artikel 64 Absatz 4 AIG und stützt sich auf Artikel 182 Absatz 1 BV, wonach der Bundesrat rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung erlassen kann. Hierbei handelt es sich um rechtsetzende Bestimmungen, welche die Rolle, die Zuständigkeit und die Aufgaben der Vertrauensperson regeln.

2.9.5 Datenschutz

Auch wenn die vorliegende EU-Verordnung keine spezifischen Datenschutzbestimmungen vorsieht, da sie hauptsächlich Änderungen am SGK beinhaltet, steht sie im Einklang mit dem Datenschutzrecht der EU. In der Erwägung (Erw. 53) der vorliegenden Änderung des SGK wird festgehalten, dass die Kontrollen der zuständigen Behörden im Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten stets unter uneingeschränkter Wahrung der Datenschutzvorschriften des Unionsrechts durchzuführen sind und verweist dabei auf die Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung [EU] 2016/679 4⁰ ) und die Richtlinie (EU) 2016/680 4¹ .
Das Bundesgesetz über den Datenschutz vom 25. September 2020 4² (Datenschutzgesetz, DSG), das am 1. September 2023 in Kraft getreten ist, setzt die Anforderungen der Datenschutzrichtlinie allgemein für alle Bundesorgane um. Obwohl die Datenschutz-Grundverordnung keine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt, trägt das DSG den Anforderungen der Verordnung vollumfänglich Rechnung. Somit ist der Grundsatz der Äquivalenz zum EU-Recht gewährleistet. Diese Vorlage steht ausserdem in Einklang mit den Grundsätzen des DSG und insbesondere den Artikeln 6, 34 Absatz 2 Buchstabe a und 43 Absatz 4.
Zudem hat die Schweiz sicherzustellen, dass die im ZEMIS erfassten Daten aus dem Standardformular des Überstellungsverfahrens rechtmässig bearbeitet werden. Der Zugriff auf die Daten muss in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen. Er darf nur gewährt werden, sobald die Daten im Einzelfall für die Erfüllung der Aufgaben der zuständigen Behörden erforderlich sind. Die Berechtigungen zur Abfrage und Bearbeitung der Daten werden in Anhang I der ZEMIS-Verordnung abschliessend festzulegen sein.
4⁰ Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1.
4¹ Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates, ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 89.
4² SR 235.1

2.9.6 Keine Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage 1 werden keine neuen Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

3 Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Vorlage 2)

3.1 Ausgangslage

3.1.1 Handlungsbedarf und Ziele

Mit der Verordnung (EU) 2018/1240 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) (nachfolgend: ETIAS-V) wird im Schengen-Raum ein Reisegenehmigungssystem errichtet (ähnlich wie das ESTA 4³ der USA). Visumbefreite Drittstaatsangehörige werden - mit wenigen Ausnahmen - verpflichtet, vor Antritt ihrer Reise in den Schengen-Raum online eine Reisegenehmigung zu beantragen. Diese Reisegenehmigung kostet sieben Euro und ist drei Jahre gültig. Die Bundesversammlung hat dem Bundesbeschluss zur Genehmigung und Umsetzung des ETIAS am 25. September 2020 zugestimmt. 4⁴ Die Referendumsfrist ist am 14. Januar 2021 ungenutzt verstrichen. Mit der Mitteilung der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen (Ratifikation) ist der Notenaustausch zur Übernahme der ETIAS-V am 15. Januar 2021 für die Schweiz in Kraft getreten. Anwendbar wird er allerdings erst auf den Zeitpunkt, den die Europäische Kommission für die Inbetriebnahme des Systems festlegen wird.
Die Verordnungen (EU) 2021/1150 ⁴5 und (EU) 2021/1152 ⁴6 enthalten die Folgeänderungen, die sich aus der Verabschiedung der neuen SIS-Verordnungen ⁴7 und den Interoperabilitätsverordnungen ⁴8 ergaben. Durch die Änderung sollte ETIAS ab seiner Inbetriebnahme mit den anderen EU-Systemen (Ein- und Ausreisesystem [EES], SIS und Visainformationssystem [VIS]) interoperabel sein. Die Bundesversammlung hat dem Bundesbeschluss zur Genehmigung und Umsetzung des ETIAS am 16. Dezember 2022 zugestimmt. ⁴9 Die Referendumsfrist ist am 8. April 2023 ungenutzt verstrichen. Mit der Mitteilung der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen (Ratifikation) ist der Notenaustausch zur Übernahme der ETIAS-Verordnungen (EU) 2021/1150 und (EU) 2021/1152 am 21. April 2023 für die Schweiz in Kraft getreten. Anwendbar wird er allerdings erst auf den Zeitpunkt, den die Europäische Kommission für die Inbetriebnahme des Systems festlegen wird.
Im Rahmen der Umsetzung der Verordnungen (EU) 2021/1150 und 2021/1152 wurden die Rechtsgrundlagen für den Aufbau eines nationalen ETIAS-Systems (N-ETIAS) geschaffen (Art. 108 i , Art. 108 j und Art. 108 k AIG). Dieses dient der manuellen Bearbeitung der ETIAS-Gesuche durch die NES im SEM und u. a. auch zur Konsultation nationaler Behörden im Rahmen der Prüfung von ETIAS-Reisegenehmigungsgesuchen (Art. 108 h Abs. 2 Bst. b AIG). Der Zugriff auf das N-ETIAS für die Bearbeitung und Beantwortung von Konsultationsanfragen ist derzeit dem Bundesamt für Polizei (fedpol) und dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) vorbehalten (Art. 108 j Abs. 1 Bst. b AIG). Im Verlauf der Projektarbeiten zur technischen Umsetzung von ETIAS wurde der Bedarf erkannt, dass die NES in bestimmten Fällen auch das EDA (konkret: das Protokoll in Bern und die Schweizer Mission in Genf) konsultieren muss. Entsprechend soll die vorliegende Vorlage dazu genutzt werden, diese Anpassung im AIG vorzunehmen.
4³ Electronic System for Travel Authorization
4⁴ BBl 2020 7911
⁴5 Verordnung (EU) 2021/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1862 und (EU) 2019/818 hinsichtlich der Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für die Zwecke des Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems, Fassung gemäss ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 1.
⁴6 Verordnung (EU) 2021/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240, (EU) 2018/1860, (EU) 2018/1861 und (EU) 2019/817 hinsichtlich der Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für die Zwecke des Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems, Fassung gemäss ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 15.
⁴7 Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Änderung und Aufhebung des Beschlusses 2007/533/JI des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und des Beschlusses 2010/261/EU der Kommission, ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 56; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1150, ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 1.
⁴8 Verordnung (EU) 2019/817 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen in den Bereichen Grenzen und Visa und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2016/399, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240, (EU) 2018/1726 und (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Entscheidung 2004/512/EG des Rates und des Beschlusses 2008/633/JI des Rates, Fassung gemäss ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 27. Verordnung (EU) 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) und zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1726, (EU) 2018/1862 und (EU) 2019/816, Fassung gemäss ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 85.
⁴9 Bundesbeschluss vom 16. Dezember 2022 über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2021/1150 und 2021/1152 zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für die Zwecke des Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS), BBl 2022 3212 .

3.1.2 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu den Strategien des Bundesrates

Die Vorlage 2 ist nicht ausdrücklich in der Botschaft vom 24. Januar 2024 5⁰ zur Legislaturplanung 2023-2027 und im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 5¹ über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt. Sie steht jedoch in Zusammenhang mit Ziel 17 («Die Schweiz sorgt für eine stringente Asyl- und Integrationspolitik, nutzt die Chancen der Zuwanderung und setzt sich für eine effiziente europäische und internationale Zusammenarbeit ein»).
5⁰ Die «Botschaft zur Legislaturplanung 2023-2027» wird im Bundesblatt nur durch Verweis veröffentlicht, BBl 2024 525 : www.fedlex.admin.ch > Allgemeine Informationen > Umfang der Veröffentlichung > Veröffentlichung durch Verweis.
5¹ BBl 2024 1440

3.2 Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren

3.2.1 Allgemeine Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren

Zu den allgemeinen Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren s. Ziffer 2.2.1.

3.2.2 Detaillierte Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren und Würdigung der Ergebnisse

Economiesuisse erachtet die Ergänzung von Artikel 108 j Absatz 1 Buchstabe b E-AIG, wonach das EDA diesen Zugriff erhält, als stufengerecht, notwendig und verhältnismässig. Auch FDP und FER begrüssen diese Änderung des AIG.
DJS, AsyLex, JRS und Solinetz hingegen erachten die Zugriffserweiterung auf das EDA als äusserst kritisch und lehnen diese ab. Das EDA solle keinen Zugriff auf das N-ETIAS erhalten. Der Zugriff auf diese Datenbank sei für die Funktion des EDA und die damit verbundenen Bundesstellen nicht notwendig und stelle einen schweren Eingriff in die Grundrechte auf Schutz der Privatsphäre insbesondere geflüchteter Personen dar. Die Daten dürften nicht in Bezug auf das Asylverfahren genutzt werden. Sie empfinden es zudem als störend, dass das SEM als nationale ETIAS-Stelle benannt ist.
Zudem müsse gemäss AsyLex, DJS, JRS, SFH, Solinetz und ZiAB die Zugriffserweiterung auf das EDA zwingend vom Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) geprüft und beurteilt werden.
Haltung des Bundesrates
Auch der Bundesrat erachtet den vorgeschlagenen Zugriff des EDA auf N-ETIAS als notwendig und verhältnismässig. Dieser ist für die Konsultation des EDA im Rahmen des ETIAS-Verfahrens notwendig. Dennoch präzisiert der Bundesrat im E-AIG neu, dass innerhalb des EDA lediglich das Protokoll Bern und die Schweizer Mission in Genf Zugriff erhalten sollen.
Der Zugriff stellt keinen Eingriff in die Grundrechte geflüchteter Personen dar. Diese Daten werden nicht für das Asylverfahren genutzt.
Der EDÖB konnte im Rahmen von zwei Ämterkonsultationen zur Vorlage Stellung nehmen und hat keine Anmerkungen angebracht.

3.2.3 Anpassung der Vorlage

Die Vorlage 2 wurde gestützt auf das Vernehmlassungsverfahren leicht angepasst. Neu wird festgehalten, welche Einheiten des EDA Zugriff auf das N-ETIAS haben werden.

3.3 Beantragte Neuregelung

Die NES soll neu die Möglichkeit erhalten, das Protokoll in Bern und die Schweizer Mission in Genf insbesondere bei Gesuchen zur Erteilung einer räumlich und zeitlich begrenzten ETIAS-Reisegenehmigung systemgestützt zu konsultieren. So kann sich das EDA im Rahmen seiner Zuständigkeiten zum Vorliegen von Gründen des nationalen Interesses oder zu internationalen Verpflichtungen äussern.
Wenn die Erteilungsvoraussetzungen für ETIAS-Reisegenehmigungen nicht oder nicht mehr erfüllt sind, kann die NES in Ausnahmefällen Reisegenehmigungen mit räumlich und zeitlich begrenzter Gültigkeit aus humanitären Gründen, aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen erteilen. Dies entspricht der gleichen Konstruktion wie bei Schengen-Visa. Die Einreise kann beispielsweise bewilligt werden bei schwerer Krankheit oder Tod einer oder eines Angehörigen oder einer anderen nahestehenden Person in der Schweiz (humanitäre Gründe) oder bei politischen oder öffentlichen kulturellen Veranstaltungen in der Schweiz wie beispielsweise dem World Economic Forum (WEF) in Davos (nationale Interessen). Insbesondere für diese Fälle muss es möglich sein, das Protokoll in Bern und die Schweizer Mission in Genf über das N-ETIAS zu konsultieren.
Das Protokoll in Bern und die Schweizer Mission in Genf müssen die Konsultationsanfrage im N-ETIAS lesen und die Konsultationsantwort als Anwender im System erfassen und speichern können. Entsprechend soll Artikel 108 j Absatz 1 Buchstabe b AIG dahingehend ergänzt werden, dass auch das Protokoll in Bern und die Schweizer Mission in Genf diesen Zugriff erhalten.
Der Entscheid zum Gesuch wird schliesslich von der NES gefällt und zusammen mit der Entscheidbegründung in der ETIAS-Software der EU erfasst.

3.4 Erläuterungen zum Artikel

Art. 108j Abs. 1 Bst. b
Der Artikel 108 j AIG regelt den Zugang zum N-ETIAS. Für jede zugriffsberechtigte Behörde werden die Kategorie der verfügbaren Daten und der Zweck des Zugriffs festgelegt. Die Einzelheiten, insbesondere die Unterscheidung zwischen Bearbeitung und Abfrage von Daten, werden auf Verordnungsstufe geregelt.
Lediglich die Mitarbeitenden des SEM im Rahmen ihrer Tätigkeit als NES oder im Rahmen des Konsultationsverfahrens sowie die Mitarbeitenden des NDB und des fedpol erhalten Zugriff auf die Daten im N-ETIAS. Dieser Zugriff ist auf den jeweiligen Zweck und gewisse Daten über festgelegte Rollen mit Berechtigungen der jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschränkt.
Für die Bearbeitung von Konsultationsanfragen im Rahmen der ETIAS-Gesuchsbearbeitung beschränkt sich der Zugriff derzeit auf die Mitarbeitenden des NDB und des fedpol. Mit der vorliegenden AIG-Änderung soll es auch den Mitarbeitenden des Protokolls in Bern und der Schweizer Mission in Genf möglich sein, die Konsultationsanfrage insbesondere bei Gesuchen zur Erteilung einer räumlich und zeitlich begrenzten ETIAS-Reisegenehmigung im N-ETIAS zu lesen und die Konsultationsantwort als Anwender im System erfassen und speichern zu können. Entsprechend wird neu neben fedpol und dem NDB auch das Protokoll in Bern und die Schweizer Mission in Genf aufgeführt.

3.5 Koordinationsbedarf mit der ETIAS-Vorlage

Es besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf die Vorlage zur Übernahme und Umsetzung der Rechtsgrundlagen zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für die Zwecke des ETIAS 5² .
Der entsprechende Bundesbeschluss wurde am 16. Dezember 2022 vom Parlament genehmigt. Die vorliegende Gesetzesänderung bezieht sich auf eine Bestimmung des AIG, die durch den verabschiedeten Bundesbeschluss ins AIG aufgenommen wurde.
Artikel 108 j Absatz 1 Buchstabe b nAIG ist mit der vorliegenden Vorlage 2 zu koordinieren, da der Bundesbeschluss vom 16. Dezember 2022 noch nicht in Kraft ist. Sollte der Bundesbeschluss gleichzeitig mit der vorliegenden Änderung des AIG oder später in Kraft treten, ist bei der Inkraftsetzung die Fassung des neuen Buchstaben b von Artikel 108 j Absatz 1 E-AIG dieser Vorlage 2 zu berücksichtigen. Der Bundesbeschluss vom 16. Dezember 2022 muss zwingend vor oder gleichzeitig mit dieser Vorlage in Kraft gesetzt werden.
5² BBl 2022 3212

3.6 Auswirkungen

Die neue Bestimmung hat keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund und die Kantone.

3.7 Rechtliche Aspekte

3.7.1 Verfassungsmässigkeit

Der Entwurf zur Änderung des AIG stützt sich auf Artikel 121 Absatz 1 BV (Gesetzgebungskompetenz des Bundes über die Gewährung von Asyl sowie Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern). Sie ist mit der Verfassung vereinbar.

3.7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz und Verhältnis zum europäischen Recht

Die Änderung des AIG, die unabhängig von der vorliegenden Übernahme der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands (Vorlage 1) erfolgt, ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

4 Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Vorlage 3)

4.1 Ausgangslage

4.1.1 Handlungsbedarf und Ziele

Unabhängig von der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands (Vorlage 1) und der Vorlage 2 werden einige, grösstenteils formelle Anpassungen des bestehenden Rechts vorgenommen, mit denen mit Ausnahme von Artikel 7 Absatz 3 E-AIG keine inhaltliche Neuregelung verbunden ist. Es handelt sich um überwiegend redaktionelle Anpassungen im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs «Grenze». Damit soll eine sprachliche Annäherung an die Begriffe des Schengener Grenzkodex und damit eine kohärentere Terminologie im AIG erreicht werden.
Diese Anpassungen waren bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit der Vorlage Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG): Umsetzung «Aktionsplan Integrierte Grenzverwaltung» in der Vernehmlassung, welche am 13. Dezember 2019 eröffnet wurde und bis am 19. April 2020 dauerte 5³ , wurden dann aber aufgrund der Coronakrise und der Schwierigkeiten der Luftfahrtbranche im Frühjahr 2021 zurückgestellt. Sie sollen nun in der vorliegenden Vorlage wieder aufgenommen werden.
5³ www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungsverfahren > Abgeschlossene Vernehmlassungsverfahren > 2019 > EJPD > 2019/83

4.1.2 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu den Strategien des Bundesrates

Die Vorlage 3 ist nicht in der Botschaft vom 24. Januar 2024 5⁴ zur Legislaturplanung 2023-2027 und im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 5⁵ über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt.
5⁴ Die «Botschaft zur Legislaturplanung 2023-2027» wird im Bundesblatt nur durch Verweis veröffentlicht, BBl 2024 525 : www.fedlex.admin.ch > Allgemeine Informationen > Umfang der Veröffentlichung > Veröffentlichung durch Verweis.
5⁵ BBl 2024 1140

4.2 Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren

4.2.1 Allgemeine Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren

Zu den allgemeinen Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren s. Ziffer 2.2.1.

4.2.2 Detaillierte Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren und Würdigung der Ergebnisse

FDP und FER begrüssen die Harmonisierung der Terminologie des AIG mit derjenigen des SGK, da dies zu einer besseren rechtlichen Kohärenz beitrage. Economie-suisse unterstützt die Vorlage ebenfalls, da damit Unklarheiten und unterschiedlichen Interpretationen in einem politisch sensiblen Bereich vorgebeugt und rechtliche Klarheit geschaffen werde.
Der Flughafen Genf stellt fest, dass Artikel 9 a Absatz 1 E-AIG vorsieht, dass die Ankunft von Flugpassagieren durch technische Erkennungsverfahren überwacht werden kann. Er gehe davon aus, dass - sollte eine solche Einrichtung eingeführt werden - die Flughafenbetreiber vorab konsultiert würden und die Kosten für die Installation und den Betrieb vollständig vom Bund übernommen würden. Gemäss AsyLex, JRS und Solinetz müsse die Änderung in Artikel 9 a E-AIG klarer definiert werden. Insbesondere sei die Bedeutung einer «konkreten Gefährdung» unklar und müsse erläutert bzw. verständlich gemacht werden.
In Bezug auf Artikel 103 c Absatz 2 Buchstabe a E-AIG betrachten AsyLex, JRS und Solinetz die Nutzung von biometrischen Daten (Gesichtsbilder und Fingerabdrücke) weiterhin als kritisch. Sie fordern daher die höchsten Standards betreffend Datenschutz.
Haltung des Bundesrates
Die Bestimmung zur automatisierten Gesichtserkennung ist bereits heute geltendes Recht und soll im Rahmen der vorgesehenen formellen Anpassungen keine materielle Änderung erfahren.

4.2.3 Anpassung der Vorlage

Nach der Vernehmlassung wurden die folgenden Artikel angepasst:
-
Artikel 7 Sachüberschrift (betrifft nur die französische Fassung) und Absatz 3 E-AIG;
-
Artikel 103 c Absatz 2 Buchstabe a E-AIG;
-
Artikel 104 a Absatz 3 E-AIG;
-
Artikel 109 a Absatz 2 Buchstabe c E-AIG.
Zusätzlich wurden die folgenden Bestimmungen neu in die Vorlage aufgenommen:
-
Artikel 68 c Absatz 1 erster Satz E-AIG;
-
Artikel 68 d Absatz 2 E-AIG;
-
Artikel 100 Absatz 2 Buchstabe a E-AIG;
-
Artikel 100 a Absatz 2 erster Satz E-AIG;
-
Artikel 103 b Absatz 2 Buchstabe c E-AIG;
-
Artikel 103 c Absatz 1 Buchstabe a E-AIG;
-
Artikel 104 c Absätze 1 und 4 E-AIG;
-
Artikel 110 c Absatz 1 Buchstabe b E-AIG.

4.3 Beantragte Neuregelung

Derzeit werden die Begrifflichkeiten des AIG im Bereich der Grenzkontrollen uneinheitlich verwendet. Dem soll mit redaktionellen Anpassungen Abhilfe geschaffen werden, indem die Terminologie im AIG so weit wie möglich an SGK angeglichen wird. Materielle Änderungen sind damit nicht verbunden. Die vorgeschlagene Angleichung der Terminologie dient der Transparenz und der Rechtssicherheit.

4.4 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 7 Sachüberschrift und Abs. 3
Artikel 7 regelt im AIG den Grenzübertritt und die Grenzkontrollen.
Sachüberschrift
Die Anpassung der Sachüberschrift erfolgt nur in der französischen Fassung. Neu wird die Formulierung «Franchissement de la frontière et contrôle» verwendet.
Abs. 3
Der heutige Absatz 3 erhält einen neuen Inhalt. Unter dem Titel «Schengener Aussengrenzen» regelt Artikel 29 VEV heute, dass das SEM im Einvernehmen mit dem BAZG und den für die Kontrollen an den Grenzen zuständigen Behörden der Kantone und des Bundes sowie dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) die Schengen-Aussengrenzen der Schweiz festlegt. Diese Regelung soll neu auf Gesetzesstufe gehoben werden. Dabei soll lediglich der Begriff «Personenkontrollen» durch «Grenzkontrollen» ersetzt werden. Zudem wurden in der französischen Fassung einige redaktionelle Anpassungen vorgenommen. In der Folge kann Artikel 29 Absatz 1 VEV mit Inkrafttreten dieser Bestimmung aufgehoben werden.
Die bisherige Regelung in Absatz 3 wird ersatzlos gestrichen, da die Schweiz im Sinne der Rechtsprechung des EuGH im Urteil C-143/22 ADDE vom 21. September 2023 ⁵6 auch bei einer Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen keine Einreiseverweigerungen gestützt auf den SGK direkt an der Grenze vornehmen darf. Vielmehr sind aufgegriffene Ausländerinnen und Ausländer, die sich illegal in der Schweiz aufhalten und kein Asylgesuch stellen, aus der Schweiz bzw. aus dem Schengen-Raum gestützt auf die Vorgaben der Rückführungsrichtlinie wegzuweisen. Die geltenden bilateralen Rückübernahmeabkommen sind jedoch weiterhin anwendbar.
Art. 9a Abs. 1 Einleitungsteil und 2 erster Satz
⁵7
Dieser Artikel befasst sich mit der Überwachung der Ankunft von Flugpassagieren am Flughafen. Mit der vorliegenden Vorlage erfolgt lediglich eine redaktionelle Angleichung an den SGK («Grenzkontrolle» resp. «Grenzkontrollen», vgl. dazu Kommentierung zu Art. 7 Abs. 1 E-AIG unter Ziff. 2.6.1 bei der Vorlage 1). Der Verweis auf Artikel 7 und 9 wurde gestrichen.
In der französischen Fassung des Textes wird die Benennung der zuständigen Behörden zum Zwecke der Vereinheitlichung angepasst.
Es besteht jedoch ein Koordinationsbedarf mit der Vorlage zur Übernahme und Umsetzung der Verordnungen (EU) 2019/817 ⁵8 und (EU) 2019/818 ⁵9 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen 6⁰ (nachfolgend «IOP-Vorlage»); vgl. Ziff. 4.5.2), da mit dieser der Inhalt des bisherigen Artikels 103 AIG ohne materielle Änderungen in Artikel 9 a überführt wurde.
Art. 65 Sachüberschrift und Abs. 1
Einreiseverweigerung und Wegweisung an Flugplätzen, die eine Schengen-Aussengrenze bilden
Bei der Sachüberschrift erfolgt eine Angleichung der verwendeten Begriffe an den SGK. Materielle Änderungen gehen damit nicht einher. Das Schengen-Recht 6¹ kennt lediglich zwei Kategorien von Luftaussengrenzen, nämlich «Internationale Flughäfen» («aéroports internationaux», «aeroporti internazionali») und «Landeplätze» («aérodromes», «aerodromi»). Die heutige Praxis in der Schweiz unterteilt die Luftaussengrenzen zusätzlich und in Übereinstimmung mit der Zollpraxis in vier Unterkategorien (A, B, C, D). Diese Unterteilung bringt aus ausländerrechtlicher Sicht keinen Mehrwert, weshalb zukünftig darauf verzichtet werden soll. Die Unterscheidung zwischen internationalen Flughäfen und Landeplätzen ergibt sich insbesondere aufgrund der Grösse, der Anzahl Flugbewegungen und der Regelmässigkeit internationaler Flugverbindungen (insbesondere von Linien- und Charterflügen). Sie wirkt sich in der Praxis so aus, dass beispielsweise an internationalen Flughäfen die vollständige Trennung sogenannter Schengen- und Non-Schengen-Passagiere physisch, also durch bauliche Vorkehrungen zu erfolgen hat. Auf Landeplätzen kann diese lediglich durch organisatorische Vorkehren gewährleistet werden. Zudem müssen die für die Grenzkontrolle auf Landeplätzen zuständigen Behörden nicht permanent anwesend sein, solange sichergestellt ist, dass sie bei Bedarf rechtzeitig vor Ort sind.
Neu sollen internationale Flughäfen und Landeplätze, die eine Schengener Aussengrenze darstellen, als «Flugplätze, die eine Schengen-Aussengrenze bilden» bezeichnet werden. Jene Landeplätze, die keine Schengener Aussengrenze darstellen, sollen künftig als «Schengen-Binnenflugplätze» bezeichnet werden.
Im AIG soll der Begriff «Flughafen» durch «Flugplatz» ersetzt werden. Auf eine Änderung des Begriffs im AsylG soll jedoch verzichtet werden. Sie wäre mit grossen Auswirkungen auf der faktischen Ebene verbunden (bspw. Umbenennung des bekannten Begriffs «Flughafenverfahren» in «Flugplatzverfahren»). Da die Bezeichnung «Flughafen» im AsylG, anders als im AIG, lediglich der geografischen Eingrenzung auf ein Gebiet (auf welchem ein Flughafen betrieben wird) dient, scheint dies gerechtfertigt. Zudem werden Asylverfahren ausschliesslich an «internationalen Flughäfen» der Schweiz durchgeführt, was den Verzicht auf die Begriffsänderung im AsylG ebenfalls rechtfertigt.
Abs. 1
Neu wird der Begriff «Flugplatz, der eine Schengen-Aussengrenze bildet» eingeführt. Daraus resultieren keine materiellen Änderungen.
Art. 67 Abs. 4 erster Satz
Die Bestimmung muss angepasst werden, da neu die Abkürzung «NDB» verwendet wird.
Art. 68c Abs. 1 erster Satz und Art. 68d Abs. 2
Neu wird «Grenzkontrollbehörde» durch «für die Grenzkontrolle zuständige Behörde» ersetzt. Es handelt sich hier um redaktionelle Angleichungen an den SGK. Daraus resultieren jedoch keine materiellen Änderungen.
Art. 92a Abs. 1
Diese Regelung befasst sich mit der Meldepflicht der Luftverkehrsunternehmen und hat mit der IOP-Vorlage den Inhalt des bestehenden Artikels 104 AIG ohne materielle Änderungen übernommen. Entsprechend besteht ein Koordinationsbedarf mit der IOP-Vorlage (vgl. Ziff. 4.5.2).
Mit der vorliegenden Vorlage erfolgt eine redaktionelle Anpassung. Es wird nicht mehr die Formulierung «die Grenzkontrollbehörden», sondern «die für die Grenzkontrollen zuständigen Behörden» verwendet. In der französischen Fassung des Gesetzestextes wird entsprechend «des autorités chargées du contrôle à la frontière» ersetzt durch «d’une autorité compétente en matière de contrôle à la frontière».
Daraus resultieren keine materiellen Änderungen.
Art. 95
Weitere Transportunternehmen
Mit der vorliegenden Vorlage erfolgt in der deutschen Sprachfassung eine Angleichung eines Begriffs («Landgrenzen» anstatt «Landesgrenzen») an den SGK. Daraus resultieren keine materiellen Änderungen. Zudem wird die Abkürzung «SDÜ» gestrichen.
Zur Vereinheitlichung wurde in der französischen Fassung die Formulierung «frontière extérieure de l’espace Schengen» durch «frontière extérieure Schengen» ersetzt.
Art. 100 Abs. 2 Bst. a, Art. 100a Absatz 2 erster Satz, Art. 104c Abs. 1 und 4 sowie 110c Abs. 1 Bst. b
In der deutschen Fassung der Gesetzesartikel wurden zur Vereinheitlichung der Verwendung des Begriffs «Grenzkontrolle» im Singular und im Plural aufgenommen. Neu wird der Begriff im Fall einer spezifischen Kontrolle im Singular und in allen anderen Fällen im Plural verwendet.
In der französischen Fassung wurde in Artikel 104 c Absatz 1 und 4 sowie Artikel 100 a Absatz 2 erster Satz zur Vereinheitlichung die Formulierung «autorités responsables des contrôles aux frontières» resp. «autorités chargées du contrôle à la frontières» durch «autorités compétentes en matière de contrôle à la frontière» ersetzt. In der französischen Fassung wird noch der Begriff «Schengen-Aussengrenze» leicht angepasst.
Ferner wird in allen Sprachfassungen Artikel 110 c Absatz 1 Buchstabe b neu der Begriff BAZG und nicht mehr EZV verwendet.
Art. 102b Abs. 2
Es erfolgt eine redaktionelle Angleichung an den SGK («Flugplätze», vgl. dazu Kommentierung zu Art. 65 Abs. 1 E-AIG).
Zudem wird der Begriff «für Personenkontrollen» gestrichen und durch «zu diesem Zweck» ergänzt, da bereits festgehalten wird, dass das Lesen der auf dem Datenchip gespeicherten Fingerabdrücke im Rahmen der Identitätsüberprüfung einer Person zu erfolgen hat. Diese Änderung betrifft lediglich die deutsche Fassung des Gesetzestextes.
In der französischen Fassung wird zur Vereinheitlichung der Begriff «compagnies» durch «entreprises» ersetzt.
Art. 103b Abs. 2 Bst. c (betrifft nur den französischen Text)
Diese Änderung betrifft nur den französischen Text. Anstelle von «l’autorité chargée du contrôle à la frontière» steht neu «l’autorité compétente en matière de contrôle à la frontière».
Art. 103c Abs. 1 Bst. a und 2 Bst. a
Abs. 1 Bst. a
Neu wird der Begriff «verantwortlichen» durch den Begriff «zuständigen» ersetzt. Ferner wird der Begriff «Grenzkontrolle» in der deutschen Fassung neu im Plural verwendet. Aus Gründen der Harmonisierung wird in der französischen Fassung die Formulierung ««chargées du contrôle aux frontières extérieures de Schengen» ersetzt durch «compétentes en matière de contrôle aux frontières extérieures Schengen».
Abs. 2 Bst. a
Mit dieser Änderung wird der Begriff «Grenzkontrolle» neu in der deutschen Fassung im Plural verwendet. Zudem wird wie in Absatz 1 Buchstabe a der Begriff «verantwortlichen» durch den Begriff «zuständigen» ersetzt.
In der französischen Fassung erfolgen folgende redaktionelle Anpassungen: «chargées du contrôle aux frontières extérieures de Schengen» wird ersetzt durch «compétentes en matière de contrôle aux frontières extérieures Schengen» und die Formulierung «mener les contrôles aux points de passage aux frontières extérieures de Schengen et sur le territoire suisse» wird ersetzt durch «réaliser le contrôle aux frontières extérieures Schengen en Suisse».
Art. 103g
Automatisierte Grenzkontrollen an Flugplätzen, die eine Schengen
-Aussengrenze bilden
Sachüberschrift sowie Abs. 1
Mit dieser Anpassung soll eine redaktionelle Angleichung an den SGK in der Sachüberschrift und in den Absätzen 1 und 3 erfolgen. Neu wird der Begriff «Flughäfen» durch «Flugplätze, die eine Schengen-Aussengrenze bilden» ersetzt (vgl. dazu Kommentierung zu Art. 65 Abs. 1 E-AIG). Daraus resultiert jedoch keine materielle Änderung.
Abs. 2 und 4
In den Absätzen 2 und 4 wird neu lediglich der jetzige Begriff «automatisierte Grenzkontrolle» in «automatisiertes Verfahren» geändert. Daraus resultiert jedoch keine materielle Änderung.
Zudem wird in Absatz 2 die deutsche Sprachfassung an die französische und italienische Fassung angeglichen («ab dem 12. Altersjahr» wird durch «ab 12 Jahre» ersetzt).
Abs. 3
Absatz 3 entsprich dem geltenden Recht und wird nicht angepasst.
Art. 104a Abs. 3
In der deutschen Fassung wird mit der vorliegenden Vorlage erfolgt eine redaktionelle Angleichung an den SGK («Grenzkontrolle» resp. «Grenzkontrollen», vgl. dazu Kommentierung zu Art. 7 Abs. 1 E-AIG unter Ziff. 2.6.1 bei der Vorlage 1). Die Formulierung «Personenkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen» wird durch den Begriff «Grenzkontrollen» ersetzt.
In der französischen Fassung erfolgen folgende redaktionelle Anpassungen: «chargées du contrôle aux frontières extérieures de Schengen» wird ersetzt durch «compétentes en matière de contrôle aux frontières extérieures Schengen» und die Formulierung «mener les contrôles aux points de passage aux frontières extérieures de Schengen et sur le territoire suisse» wird ersetzt durch «réaliser le contrôle aux frontières extérieures Schengen en Suisse».
Gleichzeitig wird neu nicht mehr auf Artikel 104 Absatz 3, sondern Artikel 92 a Absatz 3 verwiesen.
Aus den Anpassungen resultieren jedoch keine materiellen Änderungen.
Art. 109a Abs. 2 Bst. c
Ausser an den Schengen-Aussengrenzen an den Flughäfen finden auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz keine Grenzkontrollen, sondern lediglich Personenkontrollen statt (vgl. dazu auch Art. 103 c Abs. 2 Bst. a AIG). Für die Online-Abfrage des C-VIS bei Personenkontrollen ausserhalb von Grenzkontrollen ist Artikel 109 a Absatz 2 Buchstabe d einschlägig, weshalb der Begriff «und im Hoheitsgebiet» ersatzlos gestrichen werden kann.
Mit der vorliegenden Vorlage erfolgt zudem eine redaktionelle Angleichung an den SGK.
So wird die Formulierung «Kontrollen an den Übergangsstellen der Aussengrenzen» durch «Grenzkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen» ersetzt. Zudem wird wie in Artikel 103 c Absatz 1 Buchstabe a der Begriff «verantwortlichen» durch den Begriff «zuständigen» ersetzt.
Daraus resultiert jedoch keine materielle Änderung.
Art. 111c Abs. 1
Es handelt sich hier um eine redaktionelle Angleichung an den SGK. Es wird nicht mehr die Formulierung «die Grenzkontrollbehörden», sondern «die für die Grenzkontrollen zuständigen Behörden» verwendet. Dies betrifft die deutsche Fassung des Gesetzestextes. Die Änderung in der französischen Fassung betrifft die Formulierung der Behörde. «Les autorités chargées du contrôle à la frontière» wird ersetzt durch «autorités compétentes en matière de contrôle à la frontière». Daraus resultiert jedoch keine materielle Änderung.
⁵6 ECLI:EU:C:2023:689 des Gerichtshofes vom 21. September 2023 in der Rechtssache C-143/22 in Sachen ADDE,
curia.europa.eu > Rechtsprechung > Zugang zur elektronischen Sammlung > Allgemeine Sammlung > Gerichtshof.
⁵7 BBl 2021 674
⁵8 Verordnung (EU) 2019/817 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen in den Bereichen Grenzen und Visa und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2016/399, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240, (EU) 2018/1726 und (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Entscheidung 2004/512/EG des Rates und des Beschlusses 2008/633/JI des Rates; ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 27.
⁵9 Verordnung (EU) 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) und zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1726, (EU) 2018/1862 und (EU) 2019/816; ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 85.
6⁰ BBl 2021 674
6¹ Anhang VI, Ziff. 2 SGK

4.5 Koordinationsbedarf

Bei der vorliegenden Änderung des AIG (Vorlage 3) besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf:
-
die Vorlage zur Übernahme und Umsetzung der Verordnungen (EU) 2021/1133 6² und (EU) 2021/1134 6³ zur Reform des Visa-Informationssystems (VIS) und der damit verbundenen Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für VIS-Zwecke 6⁴ (nachfolgend: VIS-Vorlage);
-
die IOP-Vorlage;
-
das zukünftige Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Abgabenerhebung und die Kontrolle des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG-Vollzugsaufgabengesetz, BAZG-VG) 6⁵ .

4.5.1 Koordinationsbedarf mit der VIS-Vorlage

Bei der vorliegenden Vorlage besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf die Revision des VIS 6⁶ (Verordnungen [EU] 2021/1134 und [EU] 2021/1133).
Die Vorlage zur Revision des VIS passt u. a. die Fussnote zum SGK in Artikel 7 Absatz 3 erster Satz AIG an. Mit der vorliegenden Vorlage wird Absatz 3 jedoch erneut angepasst. U. a. fällt diese Fussnote weg, da der SGK neu bereits im Absatz 2 von Artikel 7 zitiert wird.
Unabhängig davon, wann der Bundesbeschluss zur Revision des VIS in Kraft tritt, muss die Bestimmung in der vorliegenden Fassung (und nicht diejenige in der Fassung VIS) gelten.
6⁶ BBl 2022 3213

4.5.2 Koordinationsbedarf mit der IOP-Vorlage

Bei der vorliegenden Vorlage besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf die Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen den EU-Informationssystemen ⁶7 (Verordnungen [EU] 2019/817 und [EU] 2019/818).
Von der Koordination sind die Bestimmungen Artikel 9 a und 92 a E-AIG der vorliegenden Vorlage betroffen.
Mit der IOP-Vorlage wurden ohne materielle Änderung die Inhalte des bisherigen Artikels 103 AIG in Artikel 9 a AIG und des Artikels 104 AIG in Artikel 92 a AIG überführt. Mit der vorliegenden Vorlage werden beide Bestimmungen formell angepasst und redaktionell an den SGK angeglichen «Grenzkontrolle» resp. «Grenzkontrollen», vgl. dazu Kommentierung zu Art. 7 Abs. 1 E-AIG unter Ziff. 2.6.1 bei der Vorlage 1).
Falls der Bundesbeschluss zu IOP gleichzeitig mit der vorliegenden Änderung des AIG oder später in Kraft tritt, soll die Bestimmung in der Fassung SGK (und nicht diejenige in der Fassung IOP) gelten. Die IOP-Vorlage muss zwingend vor oder gleichzeitig mit dieser Vorlage in Kraft gesetzt werden.
⁶7 BBl 2021 674

4.5.3 Koordinationsbedarf mit dem zukünftigen BAZG-Vollzugsaufgabengesetz

Im Rahmen des aktuell laufenden Transformationsprogramms DaziT ⁶8 wird das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) unter anderem organisatorisch weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung hat zur Folge, dass die Einheiten «Zoll» und «Grenzwachtkorps (GWK)» zusammengeführt werden. Aufgaben, welche nach heutigem Recht von Angehörigen des Grenzwachtkorps wahrgenommen werden, werden künftig von entsprechend ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BAZG ausgeführt. Im Zusammenhang mit DaziT erfolgt ebenfalls eine Totalrevision des Zollgesetzes. Es soll ein Rahmengesetz geschaffen werden, mit welchem unter anderem die Aufgabenbereiche des BAZG harmonisiert werden. Dieses zukünftige Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Abgabenerhebung und die Kontrolle des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG-Vollzugsaufgabengesetz, BAZG-VG) ⁶9 wird aktuell vom Parlament beraten. 7⁰
Um die Weiterentwicklung des BAZG zu einer aufgabenorientierten Organisation zu ermöglichen, sind im E-BAZG-VG keine Organisationsbestimmungen mehr vorgesehen. Entsprechend wird das GWK als Organisationseinheit im E-BAZG-VG nicht mehr genannt. Dies führt unter anderem dazu, dass die Zugriffsrechte auf das neue Informationssystem des BAZG nach Artikel 118 E-BAZG-VG nicht mehr anhand von Organisationseinheiten abgebildet werden. Vielmehr sollen auf Stufe E-BAZG-VG wie auch auf Verordnungsstufe für die rechtliche Abbildung der Zugriffe einheitliche Funktionen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BAZG verwendet werden. Eine Funktion fasst dabei die Aufgaben von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BAZG zusammen, deren Erfüllung die gleichen oder ähnlichen Zugriffe auf das Informationssystem des BAZG bedingen. Um Unstimmigkeiten und Unklarheiten zu vermeiden, ist bei der Abbildung der Zugriffe auf externe Informationssysteme durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAZG die gleiche Zugriffstruktur anzuwenden wie im E-BAZG-VG. Als Konsequenz muss im Zusammenhang mit den Zugriffsregelungen auf externe Informationssysteme die im geltenden Recht verwendeten Bezeichnungen «Grenzwachtkorps (GWK)» und «die für die Personenkontrolle an der Grenze eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAZG» durch die im E-BAZG-VG vorgesehene neue Terminologie ersetzt werden.
Die nachfolgend genannten Funktionen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BAZG gelangen für die Umschreibungen der Zugriffe in der Regel anstelle der im geltenden Recht verwendeten Bezeichnung «Grenzwachtkorps (GWK)» zur Anwendung. Diese Funktionen übernehmen die Mehrheit der GWK-Aufgaben. Es sind dies: «Kontrolle von Waren, Personen und Transportmitteln», «Kontrollexpertise», «Einsatzkoordination» sowie «Risikoanalyse». Diese Funktionen werden jedoch erst beim Inkrafttreten des E-BAZG-VG offiziell eingeführt. Aus diesem Grund können in der vorliegenden Vorlage die Bezeichnungen «Grenzwachtkorps (GWK)» und «die für die Personenkontrolle an der Grenze eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAZG» noch nicht geändert werden. Vielmehr ist eine entsprechende Koordination mit der parallel laufenden Totalrevision des Zollgesetzes (BAZG-VG) erforderlich, weil das AIG in Bezug auf die Zugriffe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BAZG bereits im Rahmen vorgenannter Totalrevision angepasst wird. Von der Koordination betroffen sind die Artikel 103 c und 109 a E-AIG der vorliegenden Vorlage. Sollte der E-BAZG-VG vor oder gleichzeitig mit dieser Gesetzesrevision in Kraft treten, so ist beim Inkrafttreten der vorliegenden Vorlage sicherzustellen, dass die mit dem E-BAZG-VG eingeführten Funktionen nicht wieder durch den Begriff «Grenzwachtkorps» ersetzt werden. Sollte hingegen die vorliegende Vorlage vor dem E-BAZG-VG in Kraft treten, so dürfen die mit dieser Vorlage vorgenommenen redaktionellen Anpassungen nicht beim Inkrafttreten des E-BAZG-VG rückgängig gemacht werden - abgesehen von Anpassungen infolge des Wechsels von «Grenzwachkorps» zu den Funktionen.
⁶8 Siehe auch www.dazit.admin.ch .
⁶9 BBl 2022 2725 , Botschaft vom 24. August 2022 zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Abgabenerhebung und die Kontrolle des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit sowie zur Totalrevision des Zollgesetzes zum neuen Zollabgabengesetz, BBl 2022 2724 .
7⁰ www.parlament.ch > Ratsbetrieb > Suche in Curia Vista > 22.058 > Zollgesetz
6² Verordnung (EU) 2021/1133 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 603/2013, (EU) 2016/794, (EU) 2018/1862, (EU) 2019/816 und (EU) 2019/818 hinsichtlich der Festlegung der Voraussetzungen für den Zugang zu anderen Informationssystemen der EU für Zwecke des Visa-Informationssystems, ABl. L 248 vom 13.7.2021, S. 1.
6³ Verordnung (EU) 2021/1134 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EG) Nr. 810/2009, (EU) 2016/399, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240, (EU) 2018/1860, (EU) 2018/1861, (EU) 2019/817 und (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Entscheidung 2004/512/EG und des Beschlusses 2008/633/JI des Rates zur Reform des Visa-Informationssystems, ABl. L 248 vom 13.7.2021, S. 11.
6⁴ BBl 2022 3213
6⁵ BBl 2022 2725

4.6 Auswirkungen

Die neuen Bestimmungen haben keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund und die Kantone.

4.7 Rechtliche Aspekte

4.7.1 Verfassungsmässigkeit

Die redaktionellen Angleichungen von Begriffen des AIG an den SGK stützen sich auf Artikel 121 Absatz 1 BV (Gesetzgebungskompetenz des Bundes über die Gewährung von Asyl sowie Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern) sowie auf Artikel 123 Absatz 1 BV (Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts). Sie ist mit der Verfassung vereinbar.

4.7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz und Verhältnis zum europäischen Recht

Die redaktionelle Angleichung von Begriffen des AIG an den SGK steht im Einklang mit dem Europäischen Recht und sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.
Abkürzungsverzeichnis
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ABl. Amtsblatt der Europäischen Union
AIG Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 2005, SR 142.20
BV Bundesverfassung, SR 101
BAZG Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit
BAZL Bundesamt für Zivilluftfahrt
BGer Bundesgericht
BVGer Bundesverwaltungsgericht
DJS Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz
DSG Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz, SR 235.1
economiesuisse Verband Schweizer Unternehmen
EES Ein- und Ausreisesystem
EDA Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten
EFD Eidgenössisches Finanzdepartement
EJPD Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
EMRK Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101
EpG Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen, SR 818.101
ETIAS Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems
ETIAS-V Verordnung (EU) 2018/1240 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems
EuGH Europäische Gerichtshof
EU Europäische Union
fedpol Bundesamt für Polizei
FER Fédération des Entreprises Romandes
GWK Grenzwachtkorps
i. S. v. im Sinn von
i. V. m. in Verbindung mit
JRS Jesuiten-Flüchtlingsdienst Schweiz
KKJPD Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren
KKPKS Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz
NES nationale ETIAS-Stelle
N-ETIAS nationalen ETIAS-System
NDB Nachrichtendienst des Bundes
ParlG Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002, SR 171.10
Rückführungsrichtlinie Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger
SAA Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, SR 0.362.31
SAV Schweizerischer Arbeitgeberverband
SBAA Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht
SDÜ Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen
SGB Schweizerischer Gewerkschaftsbund
SGK Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex)
SEM Staatssekretariat für Migration
SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe
SIS Schengener Informationssystem
SVZ Schweizerischer Verband für Zivilstandswesen
VEV Verordnung über die Einreise und die Visumerteilung vom 15. August 2018, SR 142.204
VIS Visainformationssystem
VKM Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden
VSAA Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden
VwVG Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968, SR 172.021
WEF World Economic Forum
ZEMIS Zentrales Migrationsinformationssystem
ZEMIS-Verordnung Verordnung über das Zentrale Migrationsinformationssystem vom 12. April 2006, SR 142.513
ZiAB Plattform «Zivilgesellschaft in Asyl-Bundeszentren»
ZG Zollgesetz vom 18. März 2005, SR 631.0
Bundesrecht
Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) sowie weitere Änderungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG)
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