Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2024/1351, (EU) 2024/1359, (EU) 2024/1349, (EU) 2024/1358 und (EU) 2024/1356 (EU-Migrations- und Asylpakt) (Weiterentwicklungen des Schengen- und des Dublin-/ Eurodac-Besitzstands)
Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2024/1351, (EU) 2024/1359, (EU) 2024/1349, (EU) 2024/1358 und (EU) 2024/1356 (EU-Migrations- und Asylpakt) (Weiterentwicklungen des Schengen- und des Dublin-/ Eurodac-Besitzstands)
vom 21. März 2025
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, die Entwürfe von vier Bundesbeschlüssen über die Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2024/1351, (EU) 2024/1359, (EU) 2024/1349, (EU) 2024/1358 und (EU) 2024/1356 (EU-Migrations- und Asylpakt) (Weiterentwicklungen des Schengen- und des Dublin-/Eurodac-Besitzstands).
Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben:
| 2023 | P | 23.3859 | Chancen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für die Schweizer Asylpolitik (N 27.9.2023, Pfister) |
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
| 21. März 2025 | Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Karin Keller-Sutter Der Bundeskanzler: Viktor Rossi |
Übersicht
Inhalt dieser Botschaft ist die Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zum EU-Migrations- und Asylpakt und die damit notwendigen Anpassungen auf Gesetzesstufe. Mit der vorliegenden Botschaft soll ausserdem das Postulat 23.3859 Pfister «Chancen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für die Schweizer Asylpolitik» beantwortet werden.
Ausgangslage
Der EU-Migrations- und Asylpakt ist ein Bündel von Regelungen zur Schaffung eines gerechteren, effizienteren und krisenresistenteren Migrations- und Asylsystems für die EU bzw. den Schengen-/Dublin-Raum. Mit dieser Reform soll insbesondere die irreguläre Migration in die EU bzw. den Schengen-/Dublin-Raum und die Sekundärmigration innerhalb der EU bzw. des Schengen-/Dublin-Raums verringert werden und Asylsuchende sollen solidarischer innerhalb der EU verteilt werden.
Die Regelungen sehen unter anderem ein weiterentwickeltes Dublin-System für die raschere Zuständigkeitsbestimmung und eine ausgeweitete Datenregistrierung im Eurodac-System vor. An den EU-Aussengrenzen sollen rasche Asyl- und Wegweisungsverfahren durchgeführt werden. Des Weiteren soll nach dem Prinzip der gemeinsamen Verantwortung und Solidarität eine Entlastung der besonders stark von irregulärer Migration betroffenen EU-Mitgliedstaaten geschaffen werden. Die Asylverfahren an der EU-Aussengrenze und die Solidaritätsmassnahmen stellen jedoch keine Weiterentwicklung des Schengen-/Dublin-Besitzstands dar.
Inhalt der Vorlage
Die von der Schweiz zu übernehmenden Rechtsgrundlagen des EU-Migrations- und Asylpakts umfassen die Verordnungen (EU) 2024/1351, (EU) 2024/1359, (EU) 2024/1349, (EU) 2024/1358 und (EU) 2024/1356. Diese wurden am 14. Mai 2024 vom Europäischen Parlament und vom Rat der EU verabschiedet. Sie wurden der Schweiz am 17. Mai 2024 als Weiterentwicklungen des Dublin-/Eurodac- bzw. des Schengen-Besitzstands notifiziert. Der Bundesrat hat deren Übernahme am 14. August 2024 gutgeheissen, vorbehaltlich der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen.
Die Verordnung (EU) 2024/1351 (AMMR-Verordnung) regelt die Zuständigkeiten für die Durchführung von Asylverfahren sowie den Solidaritätsmechanismus. Sie ist nur zu gewissen Teilen als Weiterentwicklung des Dublin-Besitzstands bindend für die Schweiz. Verbindlich sind die Regelungen zur Bestimmung der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens, wodurch die aktuell geltende Dublin III-Verordnung aufgehoben und ersetzt wird. Die bisherigen Regeln zur Bestimmung der Zuständigkeit werden im Grundsatz beibehalten. Im Vergleich zur aktuellen Dublin III-Verordnung werden mit der AMMR-Verordnung die Fristen für das Stellen und Beantworten von Übernahmeersuchen verkürzt und es werden höhere Anforderungen an den Übergang der Verantwortung für ein Asylgesuch von einem auf einen anderen Dublin-Staat vorgesehen, um die Sekundärmigration zu erschweren. Der in der AMMR-Verordnung vorgesehene Solidaritätsmechanismus ist hingegen für die an Dublin assoziierten Staaten nicht verpflichtend; sie können sich allerdings freiwillig daran beteiligen.
Auch die Verordnung (EU) 2024/1359 (Krisenverordnung) ist für die Schweiz nur zu gewissen Teilen als Dublin-Weiterentwicklung relevant. Sie sieht für den Fall eines ausserordentlichen Migrationsdrucks oder einer Situation höherer Gewalt - wie etwa eine Pandemie - verschiedene Möglichkeiten für Ausnahmen und Abweichungen von den Bestimmungen der AMMR-Verordnung und der Verordnung (EU) 2024/1348 (Asylverfahrensverordnung), die keine Dublin-Weiterentwicklung darstellt, vor.
Mit der neuen Verordnung (EU) 2024/1349 (Rückkehrgrenzverfahrensverordnung) wird ein neues Wegweisungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze für Drittstaatsangehörige und Staatenlose geschaffen, deren Asylgesuch im Rahmen eines Asylgrenzverfahrens nach den Bestimmungen der neuen Asylverfahrensverordnung oder nach äquivalenten nationalen Regelungen abgelehnt wurde. Die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung ist im Gegensatz zur Asylverfahrensverordnung zwar eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands, doch eine Anwendungs- und Umsetzungspflicht besteht für die assoziierten Staaten nur dann, wenn ein der Asylverfahrensverordnung äquivalentes Grenzverfahren nach nationalem Recht besteht. Da die in der Schweiz bestehenden Asylverfahren an den Schengen-Aussengrenzen von den Regelungen der Asylverfahrensverordnung abweichen, ist die Schweiz nicht verpflichtet, das Wegweisungsverfahren nach der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung anzuwenden und umzusetzen.
Die Verordnung (EU) 2024/1358 (Eurodac-Verordnung) ersetzt die derzeitige Eurodac-Verordnung. Sie ist eine Weiterentwicklung des Dublin-/Eurodac-Besitzstands (mit Ausnahme der Bestimmungen zu Relocation und temporärem Schutz) und somit bindend für die Schweiz. Die Eurodac-Datenbank enthält gegenwärtig die Fingerabdrücke aller bei ihrer irregulären Einreise in den Schengen-Raum registrierten Migrantinnen und Migranten sowie von Asylsuchenden. Das reformierte Eurodac-System soll künftig mithelfen, die irreguläre Einwanderung in den Schengen-Raum verstärkt zu kontrollieren, indem unter anderem die (biometrischen) Daten neu auch von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen im Eurodac-Zentralsystem gespeichert und mit dem bereits vorhandenen Datenbestand abgeglichen werden. Zudem wird mit der revidierten Eurodac-Verordnung das Mindestalter für die Registrierung von 14 Jahren auf sechs Jahre herabgesetzt, und es werden zahlreiche zusätzliche Daten erfasst. Eurodac bleibt ein Instrument, das hauptsächlich für die Umsetzung der Dublin-Zuständigkeitskriterien, die in die AMMR-Verordnung übernommen wurden, konzipiert wurde.
Die Verordnung (EU) 2024/1356 (Überprüfungsverordnung) ist eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Sie sieht ein Verfahren an der Schengen-Aussengrenze und im Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten vor, um die Identität irregulär ankommender bzw. angekommener Drittstaatsangehöriger festzustellen und sie dem richtigen Verfahren (Rückführung, Asylverfahren oder Übernahme durch einen anderen Schengen-Staat gestützt auf den Solidaritätsmechanismus) zuzuweisen. Das Überprüfungsverfahren umfasst insbesondere die Identifizierung und Registrierung der betroffenen Personen, einen Abgleich mit den einschlägigen Datenbanken sowie eine Gesundheitsprüfung. Ein unabhängiger Überwachungsmechanismus wird sicherstellen, dass dabei die Grundrechte durchgehend eingehalten werden.
Die Umsetzung dieser EU-Verordnungen bedingt auf Bundesebene teilweise Gesetzesanpassungen. Die finanziellen und personellen Auswirkungen der Vorlagen hängen von der konkreten Umsetzung der verschiedenen EU-Verordnungen ab und können derzeit nicht definitiv beziffert werden. Die noch nicht quantifizierbaren Auswirkungen werden im Rahmen der weiteren Arbeiten in den nächsten zwei Jahren erhoben. Die Umsetzung steht unter dem Vorbehalt der laufenden Aufgaben- und Subventionsüberprüfung des Bundes.
Die vorliegende Vorlage erfüllt zudem den im Rahmen des Postulats 23.3859 «Chancen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für die Schweizer Asylpolitik» vom 15. Juni 2023 formulierten Auftrag. Mit diesem Postulat wurde der Bundesrat beauftragt, einen Bericht zu erstellen, wie er den EU-Migrations- und Asylpakt beurteilt.
Botschaft
1 Ausgangslage
Die vorliegende Botschaft umfasst vier Bundesbeschlüsse, welche die Übernahme und Umsetzung von fünf EU-Verordnungen betreffen, die durch die Europäische Union (EU) im Rahmen des EU-Migrations- und Asylpakts am 14. Mai 2024 verabschiedet und der Schweiz als Weiterentwicklungen des Schengen- bzw. Dublin-/Eurodac-Besitzstands am 17. Mai 2024 notifiziert wurden.
Ferner wird durch die vorliegende Botschaft das von Nationalrat Gerhard Pfister eingereichte Postulat 23.3859 «Chancen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für die Schweizer Asylpolitik» ¹ beantwortet (vgl. insbesondere Ziff. 1.1 und 1.2).
1.1 EU-Migrations- und Asylpakt
1.1.1 Übersicht
Der EU-Migrations- und Asylpakt besteht aus den folgenden zehn zusammenwirkenden Rechtstexten, wovon die ersten fünf gesamthaft oder teilweise in den Geltungsbereich der Schengen-/Dublin-Assoziierungsabkommen fallen und somit von der Schweiz grundsätzlich zu übernehmen sind:
-
Verordnung (EU) 2024/1351 ² (nachfolgend «AMMR-Verordnung»; Ziff. 3);
-
Verordnung (EU) 2024/1359 ³ (nachfolgend «Krisenverordnung»; Ziff. 3);
-
Verordnung (EU) 2024/1349 ⁴ (nachfolgend «Rückkehrgrenzverfahrensverordnung»; Ziff. 4);
-
Verordnung (EU) 2024/1358 ⁵ (nachfolgend «Eurodac-Verordnung»; Ziff. 5);
-
Verordnung (EU) 2024/1356 ⁶ (nachfolgend «Überprüfungsverordnung»; Ziff. 6);
-
Verordnung (EU) 2024/1348 ⁷ (nachfolgend «Asylverfahrensverordnung»);
-
Verordnung (EU) 2024/1347 ⁸ (nachfolgend «Qualifikationsverordnung»);
-
Richtlinie (EU) 2024/1346 ⁹ (nachfolgend «Aufnahmerichtlinie»);
-
Verordnung (EU) 2024/1350 1⁰ (nachfolgend «Resettlement-Verordnung»);
-
Verordnung (EU) 2024/1352 1¹ .
Mit der Verabschiedung des EU-Migrations- und Asylpakts im Mai 2024 konnte nach jahrelangen Verhandlungen eine Einigung über eine umfassende Reform des europäischen Migrations- und Asylsystems erreicht werden.
Primäres Ziel des EU-Migrations- und Asylpakts ist es, einen neuen gemeinsamen Rahmen für das Asyl- und Migrationsmanagement auf EU-Ebene zu schaffen. Staaten, die unter besonderem Migrationsdruck stehen, sollen nach dem Prinzip der gemeinsamen Verantwortung entlastet werden. Zudem sollen rasche Asyl- und Rückkehrverfahren an den EU-Aussengrenzen eingeführt und insgesamt effizientere Verfahren an der Aussengrenze gewährleistet werden.
Die Kohärenz der Reform hängt von der konsequenten und einheitlichen Umsetzung aller Vorschläge ab. Die Schweiz ist aufgrund ihrer geografischen Lage in Bezug auf die Migration stark von der Wirksamkeit der europäischen Migrationspolitik abhängig. Sie hat somit ein vitales Interesse an einer funktionierenden und möglichst krisenresistenten Migrations- und Asylpolitik der EU.
Die Schweiz hat sich in den verschiedenen europäischen Gremien im Rahmen ihrer Mitwirkungsrechte als ein an Schengen und Dublin assoziierter Staat aktiv und konstruktiv in die Diskussionen zum EU-Migrations- und Asylpakt eingebracht.
Die wichtigsten Ziele der Reform liegen auch im Interesse der Schweiz: eine Verringerung der irregulären Migration in die EU bzw. den Schengen-/Dublin-Raum, eine Reduktion der Sekundärmigration innerhalb der EU bzw. des Schengen-/Dublin-Raums, eine verstärkte europäische Kooperation und damit verbundene Solidaritätsmassnahmen in der EU, die die Belastung der Staaten ausgleichen soll, während die Grundrechte der Betroffenen gewahrt werden.
Die Schweiz hat die Stossrichtung des EU-Migrations- und Asylpakts deshalb unterstützt und sich für eine umfassende, solidarische und grundrechtskonforme Reform des europäischen Asyl- und Migrationssystems ausgesprochen. In diesem Sinn begrüsste die Schweiz auch die für sie verpflichtenden Elemente.
² Verordnung (EU) 2024/1351 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 über Asyl- und Migrationsmanagement, zur Änderung der Verordnungen (EU) 2021/1147 und (EU) 2021/1060 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, Fassung gemäss ABl. L, 2024/1351, 22.05.2024.
³ Verordnung (EU) 2024/1359 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl und zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/1147, Fassung gemäss ABl. L, 2024/1359, 22.05.2024.
⁴ Verordnung (EU) 2024/1349 der Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Festlegung des Rückführungsverfahrens an der Grenze und zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/1148, ABl. L, 2024/1349, 22.05.2024.
⁵ Verordnung (EU) 2024/1358 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich biometrischer Daten zur effektiven Anwendung der Verordnungen (EU) 2024/1351 und (EU) 2024/1350 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2001/55/EG sowie zur Feststellung der Identität illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten, zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, Fassung gemäss ABl. L, 2024/1358, 22.05.2024.
⁶ Verordnung (EU) 2024/1356 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Einführung der Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den Aussengrenzen und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/817, Fassung gemäss ABl. L, 2024/1356, 22.05.2024.
⁷ Verordnung (EU) 2024/1348 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens für internationalen Schutz in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU, Fassung gemäss ABl. L, 2024/1348, 22.05.2024.
⁸ Verordnung (EU) 2024/1347 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des gewährten Schutzes, zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, Fassung gemäss ABl. L, 2024/1347, 22.05.2024.
⁹ Richtlinie (EU) 2024/1346 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, Fassung gemäss ABl. L, 2024/1346, 22.05.2024.
1⁰ Verordnung (EU) 2024/1350 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Schaffung eines Unionsrahmens für Neuansiedlung und Aufnahme aus humanitären Gründen sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/1147, Fassung gemäss ABl. L, 2024/1350, 22.05.2024.
1¹ Verordnung (EU) 2024/1352 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Änderung der Verordnungen (EU) 2019/816 und (EU) 2019/818 zur Einführung der Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den Aussengrenzen; ABl. L, 2024/1352, 22.05.2024.
1.1.2 Ein politischer Kompromiss
Angesichts der hohen Migrationszahlen in den Jahren 2015 und 2016 traten die Mängel des europäischen Migrations- und Asylsystems in aller Deutlichkeit ans Licht. Auch wurde ersichtlich, dass in solchen Phasen hohen Migrationsdrucks die Belastung für die europäischen Staaten sehr unterschiedlich ausfällt, da keine Ausgleichsmechanismen bestehen. Während in der Schweiz der sogenannte Verteilschlüssel einen Ausgleich unter den Kantonen sicherstellt, fehlt ein solches Instrument auf europäischer Ebene. Im Jahr 2016 wurden in der EU punktuelle und zeitlich begrenzte Massnahmen zur Bewältigung der Migrationssituation eingeführt, beispielsweise ein einmaliges Umverteilungsprogramm (Relocation), und gleichzeitig eine umfassende Reform vorgeschlagen. Diese scheiterte zunächst an den weit auseinanderliegenden und polarisierten Positionen der EU-Mitgliedstaaten. Im September 2020 präsentierte die Europäische Kommission den neuen EU-Migrations- und Asylpakt. Der EU-Migrations- und Asylpakt zielt in einem umfassenden Ansatz darauf ab, ein solidarisches und krisenfesteres europäisches Migrations- und Asylsystem zu etablieren.
Der EU-Migrations- und Asylpakt will die irreguläre Migration in die EU bzw. den Schengen-/Dublin-Raum sowie die Sekundärmigration innerhalb dieser Gebiete reduzieren und einen Ausgleich der Verantwortung zwischen den EU-Mitgliedstaaten herbeiführen. Er setzt auf rasche Verfahren an den Schengen-Aussengrenzen, ein weiterentwickeltes Dublin-System, eine ausgeweitete Datenregistrierung im Eurodac-System und einen obligatorischen Solidaritätsmechanismus zwischen den EU-Mitgliedstaaten.
Die Verhandlungen zu diesen Texten waren schwierig, und zwar nicht nur unter den EU-Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat der EU und dem Europäischen Parlament (vgl. Ziff. 3.1.2, 4.1.2, 5.1.2 und 6.1.2). Besonders umstritten war die Frage der Verantwortung sowie der Solidarität gegenüber den EU-Mitgliedstaaten an den Aussengrenzen. Diese sahen sich durch die Vorschläge für das Überprüfungsverfahren an den Aussengrenzen und die neuen Asylgrenzverfahren mit zusätzlichen Aufgaben konfrontiert. Gleichzeitig blieben sie gemäss den überarbeiteten Dublin-Bestimmungen weiterhin für einen Grossteil der Asylverfahren zuständig. Daraus resultierte seitens der Staaten an der EU-Aussengrenze die Forderung nach Entlastung und somit nach mehr Solidarität.
Intensiv diskutiert wurde deshalb insbesondere der Solidaritätsmechanismus, also die Frage, ob und wie die EU-Mitgliedstaaten zu einer regelmässigen Solidaritätsleistung für besonders unter Druck stehende Staaten verpflichtet werden sollen.
Der Schulterschluss gelang schliesslich, weil wichtige Akteure von ihren Maximalforderungen abwichen und Kompromisse eingingen. So einigte man sich beispielsweise auf Übergangsfristen für die Einführung von Grenzverfahren, eine maximale Verfahrenskapazität für diese Verfahren und eine jährliche Minimalanzahl an Umsiedlungen von Asylsuchenden (sog. Relocations). Beim Solidaritätsmechanismus bestand der Kompromiss darin, dass er zwar für alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtend sein wird, dass die Form der Solidaritätsleistung aber flexibel gewählt werden kann (z. B. Übernahme von Asylsuchenden oder Leistung finanzieller Beiträge). Diese und andere Kompromisse bilden sich auch darin ab, dass manche Verordnungstexte offen formuliert sind. So gelang es, die nötigen Mehrheiten für die politische Einigung zu gewinnen. Allerdings führte dieses Vorgehen auch dazu, dass hinsichtlich der Umsetzung dieser Reform eine Reihe von Fragen noch offenbleiben. Auch deshalb lassen sich derzeit die konkreten Auswirkungen des EU-Migrations- und Asylpakts, der ab Mitte 2026 anwendbar werden soll, nur schwer abschätzen.
1.1.3 Inhalt des EU-Migrations- und Asylpakts
Der EU-Migrations- und Asylpakt besteht aus zehn zusammenwirkenden Rechtsakten (siehe Ziff. 1), wovon fünf ganz oder teilweise in den Geltungsbereich der Schengen-/Dublin-Assoziierung fallen und somit von der Schweiz in diesem Umfang grundsätzlich zu übernehmen sind. Nicht übernehmen muss die Schweiz die zwei zentralen Neuerungen des EU-Migrations- und Asylpakts, nämlich die Asylgrenzverfahren, die in der Asylverfahrensverordnung verankert sind, und den Solidaritätsmechanismus, der in der AMMR-Verordnung geregelt ist, da diese nicht Dublin- bzw. Schengen-relevant sind.
1.1.3.1 AMMR-Verordnung
Die AMMR-Verordnung ist nur zu gewissen Teilen bindend für die Schweiz. Verbindlich sind vor allem jene Abschnitte, welche die aktuell geltende Dublin III-Verordnung ¹2 ersetzen. Der Solidaritätsmechanismus hingegen ist für die an Dublin assoziierten Staaten nicht verpflichtend; sie können sich allerdings freiwillig daran beteiligen.
Die AMMR-Verordnung regelt die Zuständigkeiten für die Durchführung von Asylverfahren sowie die gegenseitige Solidarität im Migrationsbereich (s. Ziff. 3). Eines der wichtigsten Ziele der EU-Verordnung besteht darin, durch die Verlängerung gewisser Fristen für den Zuständigkeitsübergang die Anreize für Sekundärmigration innerhalb der EU bzw. des Dublin-Raums zu verringern.
Gleichzeitig wird mit der AMMR-Verordnung mittels eines obligatorischen Solidaritätsmechanismus für die EU-Staaten gegenüber Mitgliedstaaten, die unter besonderem Migrationsdruck stehen, ein Gleichgewicht zwischen Solidarität und Verantwortung geschaffen. Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, sich daran zu beteiligen, wobei die Art der Solidaritätsleistung flexibel ist. Diese kann entweder aus finanziellen Beiträgen, der Übernahme von Personen oder gestützt auf eine Vereinbarung zwischen den Staaten aus alternativen Leistungen (z. B. Entsendung von Expertinnen und Experten) bestehen. Dabei wird eine Minimalanzahl von 30 000 Plätzen für Relocations fixiert (vgl. Ziff. 3.4.4).
¹2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung); ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31.
1.1.3.2 Krisenverordnung
Auch diese Verordnung ist nur zu gewissen Teilen bindend für die Schweiz. Sie sieht für den Fall eines ausserordentlichen Migrationsdrucks, einer höheren Gewalt - wie etwa einer Pandemie - oder einer Instrumentalisierung von Migrantinnen und Migranten verschiedene Möglichkeiten für Ausnahmen und Abweichungen von den Regelungen der AMMR-Verordnung, der Asylverfahrensverordnung und der Aufnahmerichtlinie vor (wobei die beiden letzten nicht Schengen-/Dublin-relevante Rechtsakte sind). So kann in Bezug auf die AMMR-Verordnung von den Zuständigkeitsregeln für die Behandlung von Asylgesuchen in gewissen Fällen abgewichen werden oder es können gewisse Fristen (z. B. Frist für das Einreichen eines Aufnahmegesuchs oder für die Überstellung) verlängert werden. Dadurch sollen diejenigen Staaten, die sich in einer solchen Krisensituation befinden, entlastet werden. Dabei ist auch möglich, dass ein Staat im Krisenfall die Registrierung von Asylgesuchen temporär verspätet vornimmt bzw. die Behandlung von bestimmten Asylgesuchen temporär priorisiert, sodass vulnerable Personen Vorrang erhalten.
Insbesondere die Bestimmungen zu Abweichungen von Zuständigkeitsregelungen der AMMR-Verordnung für die Durchführung von Asyl- und Wegweisungsverfahren stellen eine Weiterentwicklung des Dublin-/Eurodac-Besitzstands dar und sind für die Schweiz relevant (Erw. 67; Art. 12 und 13 der Krisenverordnung und die Artikel 1-6, sofern sie die Artikel 12 und 13 betreffen). Betroffen sind die verlängerten Fristen für das Ersuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme und die Überstellungen. Zudem geht die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren nach einem Jahr auf den Staat über, bei dem zum zweiten Mal ein Asylgesuch eingereicht wurde.
1.1.3.3 Rückkehrgrenzverfahrensverordnung
Diese neue Verordnung ist zwar eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands und somit grundsätzlich von der Schweiz zu übernehmen. Die Schweiz muss jedoch das darin vorgesehene Wegweisungsverfahren nicht anwenden und entsprechend auch nicht umsetzen. Denn dies ist nur verlangt, wenn die assoziierten Staaten nach nationalem Recht ein dem in der Asylverfahrensverordnung vorgesehenen Grenzverfahren äquivalentes Asylverfahren an den Schengen-Aussengrenzen vorsehen. Dies ist in der Schweiz nicht der Fall (vgl. dazu Ziff. 4.5).
1.1.3.4 Eurodac-Verordnung
Die revidierte Eurodac-Verordnung ist eine Weiterentwicklung des Dublin-/Eurodac-Besitzstands (mit Ausnahme der Bestimmungen zur Datenerfassung zu Relocation, zum Resettlement und zum vorübergehenden Schutz) und somit grundsätzlich von der Schweiz zu übernehmen. Die Zugriffe der Strafverfolgungsbehörden auf Eurodac stützen sich auf das Protokoll vom 27. Juni 2019 ¹3 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und dem Fürstentum Liechtenstein zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags betreffend den Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke (sog. Eurodac-Protokoll). Mit der Eurodac-Verordnung werden die Modalitäten zur Erfassung von Personen- und Verfahrensdaten unter anderem im Asylverfahren im Informationssystem Eurodac geregelt. Mit der revidierten Verordnung kann - wie heute schon - die Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats vereinfacht werden. Neu wird das Mindestalter für die Registrierung von 14 Jahren auf sechs Jahre herabgesetzt, und es werden zahlreiche zusätzliche Daten erfasst (u. a. Foto, Name, Alter, Nationalität, Daten von Dublin-Überstellungen, Rückführungen). Zudem werden zusätzliche Kategorien eingeführt, in welchen die Personen je nach Art ihrer Ankunft registriert werden (z. B. irregulärer Aufenthalt, Search and Rescue, Personen mit vorübergehendem Schutzstatus). Neu können alle Registrierungskategorien gegeneinander abgeglichen werden. Ausserdem wird mit der EU-Verordnung die Grundlage dafür geschaffen, dass mit der zukünftigen Interoperabilität über die Eurodac-Datenbank neu direkt Abgleiche mit anderen IT-Systemen der EU vorgenommen werden können.
¹3 SR 0.142.392.682
1.1.3.5 Überprüfungsverordnung
Diese Verordnung stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands dar und ist entsprechend relevant für die Schweiz. Sie sieht ein Überprüfungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze vor, um die Identität irregulär ankommender Personen festzustellen. Das Überprüfungsverfahren umfasst insbesondere die Identifizierung und Registrierung der ankommenden Personen, einen Abgleich mit den einschlägigen Datenbanken (Sicherheitsprüfung) sowie eine Gesundheitsprüfung. Ziel des Überprüfungsverfahrens ist es, die betroffenen Personen anschliessend dem richtigen Verfahren (Rückführung, Asylverfahren oder Übernahme durch einen anderen Staat gestützt auf den Solidaritätsmechanismus) zuzuweisen. Ist ein Überprüfungsverfahren an der Aussengrenze unterblieben, muss dieses bei einem allfälligen späteren Aufgriff im Binnenraum nachgeholt werden.
1.1.3.6 Asylverfahrensverordnung
Diese Verordnung ist keine Weiterentwicklung des Dublin-Besitzstands und somit nicht bindend für die Schweiz. Sie ersetzt die bisherige Asylverfahrensrichtlinie und aktualisiert Grundregeln und Mindeststandards für die Durchführung der Asylverfahren in den EU-Mitgliedstaaten, mit welchen die nationalen Asylverfahren vereinheitlicht und beschleunigte Asylverfahren im Inland sowie Grenzverfahren an den EU-Aussengrenzen eingeführt werden. Die Asylgrenzverfahren dauern maximal drei Monate. Für Personen aus Herkunftsstaaten, deren Schutzquote im Asylverfahren im europäischen Durchschnitt 20 Prozent oder weniger beträgt, die eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darstellen oder ungenügend mit den Behörden kooperieren, ist die Anwendung eines Asylgrenzverfahrens verpflichtend. Unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) sind von den Grenzverfahren ausgenommen, ausser sie stellen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar. Bei der Durchführung der Grenzverfahren werden Familien mit Kindern priorisiert. Während des Verfahrens an den EU-Aussengrenzen werden die betreffenden Drittstaatsangehörigen nicht in das Hoheitsgebiet der EU zugelassen. Bei Personen, deren Gesuch im Rahmen des Asylverfahrens an der Grenze abgewiesen wurde, kommt unverzüglich ein Rückkehrverfahren an der Grenze zur Anwendung. Geregelt ist dieses in der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung.
1.1.3.7 Weitere EU-Rechtsakte
Zusätzlich beinhaltet der EU-Migrations- und Asylpakt noch weitere Rechtstexte (vgl. Auflistung in Ziff. 1.1.1). Diese stellen keine Weiterentwicklungen des Schengen- oder Dublin-Besitzstands dar und sind deshalb von der Schweiz nicht zu übernehmen. Dazu zählt einerseits die Resettlement-Verordnung, die den Rahmen für die humanitäre Aufnahme und die Neuansiedlung von Personen mit internationalem Schutzbedarf aus Drittstaaten vorgibt. Gemäss dieser Verordnung sind die assoziierten Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz eingeladen, an der Umsetzung dieses EU-Rahmens freiwillig mitzuwirken, wobei insbesondere die vorgegebenen Verfahren gebührend berücksichtigt werden müssten (Art. 12 der Resettlement-Verordnung). Die Schweiz verfügt über ein nationales Resettlement-Programm, das aktuell aufgrund von Herausforderungen im schweizerischen Asylsystem temporär suspendiert ist. Je nach Entwicklung der Migrationssituation auf nationaler und europäischer Ebene kann zu gegebener Zeit eine allfällige freiwillige Beteiligung geprüft werden. Andererseits wurde auch die Aufnahmerichtlinie aktualisiert, welche die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in den EU-Mitgliedstaaten vereinheitlichen soll. Die bisherige Qualifikationsrichtlinie, welche die Kriterien für die Anerkennung von internationalem Schutz präzisiert und die Rechte von anerkannt Schutzberechtigten vereinheitlicht, wird neu in die Erlassform einer Verordnung umgewandelt (neu «Qualifikationsverordnung»). Verordnungen sind im Unterschied zu Richtlinien in den EU-Mitgliedstaaten direkt anwendbar und wirken damit stärker vereinheitlichend. Nicht zuletzt ist auch noch die Verordnung (EU) 2024/1352 vorgesehen. Diese stellt die Kohärenz zwischen dem Überprüfungsverfahren und den EU-internen IT-Systemen (Europäisches Strafregisterinformationssystem, ECRIS-TCN) sicher.
1.1.4 Verfahren zur Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-/Dublin-Besitzstands
Gestützt auf Artikel 2 Absatz 3 des Abkommen vom 26. Oktober 2004 ¹4 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der EU und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (SAA) bzw. Artikel 1 Absatz 1 des Abkommen vom 26. Oktober 2004 ¹5 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (DAA) hat sich die Schweiz grundsätzlich verpflichtet, alle Rechtsakte, welche die EU seit der Unterzeichnung des SAA und des DAA am 26. Oktober 2004 als Weiterentwicklungen des Schengen-/Dublin-Besitzstands erlassen hat, zu übernehmen und, soweit erforderlich, in das Schweizer Recht umzusetzen.
Artikel 7 SAA und Artikel 4 DAA sehen ein spezielles Verfahren für die Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-/Dublin-Besitzstands vor. Zunächst notifiziert die EU der Schweiz «unverzüglich» die Annahme eines Rechtsakts, der eine Weiterentwicklung des Schengen-/Dublin-Besitzstands darstellt. Danach verfügt der Bundesrat über eine Frist von 30 Tagen, um dem zuständigen Organ der EU (Rat der EU oder Europäische Kommission) mitzuteilen, ob und gegebenenfalls innert welcher Frist die Schweiz die Weiterentwicklung übernimmt. Die dreissigtägige Frist beginnt mit der Annahme des Rechtsakts durch die EU zu laufen (Art. 7 Abs. 2 Bst. a SAA und Art. 4 Abs. 2 DAA).
Soweit die zu übernehmende Weiterentwicklung rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaustausch, der aus Sicht der Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt. Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben muss dieser Vertrag entweder vom Bundesrat oder vom Parlament und, im Fall eines Referendums, vom Volk genehmigt werden.
Die zur Übernahme anstehende AMMR-Verordnung, die Krisenverordnung, die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung, die Eurodac-Verordnung und die Überprüfungsverordnung sind rechtsverbindlich. Die Übernahme hat daher mittels Abschlusses eines Notenaustauschs zu erfolgen.
Vorliegend ist die Bundesversammlung für die Genehmigung der Notenaustausche zuständig (vgl. Ziff. 3.10.1, 4.7.1, 5.9.1 und 6.9.1). Entsprechend hat die Schweiz der EU am 14. August 2024 in ihrer Antwortnote mitgeteilt, dass die betreffenden Weiterentwicklungen für sie erst «nach Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Voraussetzungen» rechtsverbindlich werden können (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA und Art. 4 Abs. 3 DAA). In einem solchen Fall verfügt die Schweiz ab der Notifizierung der Rechtsakte durch die EU für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklungen über eine Frist von maximal zwei Jahren. Innerhalb dieser Frist müsste auch eine allfällige Referendumsabstimmung stattfinden.
Mit der Überprüfungsverordnung werden auch folgende EU-Verordnungen angepasst, die Schengen-relevant sind:
-
Verordnung (EG) Nr. 767/2008 ¹6 ;
-
Verordnung (EU) 2017/2226 ¹7 ;
-
Verordnung (EU) 2018/1240 ¹8 ;
-
Verordnung (EU) 2019/817 ¹9 .
Es handelt sich dabei um EU-Verordnungen, welche die Schweiz bereits als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands übernommen hat.
Mit der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung wird auch die Verordnung (EU) 2021/1148 2⁰ zur Schaffung eines Instruments für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik (BMVI-Verordnung) angepasst, die Schengen-relevant ist. Es handelt sich dabei um eine EU-Verordnung, welche die Bundesversammlung bereits genehmigt hat. Mit dem unbenutzten Ablauf der Referendumsfrist am 4. Juli 2024 wird das innerstaatliche Verfahren zur Übernahme dieser EU-Verordnung abgeschlossen sein.
Mit der Eurodac-Verordnung wird auch die Verordnung (EU) 2019/818 2¹ angepasst, die Schengen-relevant ist. Es handelt sich dabei um eine Verordnung, welche die Schweiz bereits als Weiterentwicklung übernommen hat und bei der derzeit das Übernahme- und Umsetzungsverfahren läuft.
Im Rahmen der vorliegenden Übernahme muss die Schweiz die erforderlichen Änderungen in den nationalen Rechtsgrundlagen vornehmen (Ziff. 3.7, 5.6 und 6.6). Dazu gehören auch die Rechtsgrundlagen, die in parallelen Vorlagen beispielsweise zur Übernahme der Interoperabilitätsverordnungen 2² , der Verordnung über das Visainformationssystem VIS ²3 und der Verordnung über das Einreise- und -Ausreisesystem EES ²4 vorgesehen sind.
Sobald das innerstaatliche Verfahren abgeschlossen ist und alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung der EU-Verordnungen erfüllt sind, unterrichtet die Schweiz den Rat der EU und die Europäische Kommission unverzüglich in schriftlicher Form hierüber. Wird kein Referendum gegen die Übernahme und Umsetzung der EU-Verordnungen ergriffen, erfolgt diese Mitteilung, die der Ratifizierung der Notenaustausche gleichkommt, unmittelbar nach Ablauf der Referendumsfrist. Die Mitteilung über die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen stellt die Ratifizierung des Notenaustauschs dar.
Setzt die Schweiz eine Weiterentwicklung des Schengen-/Dublin-Besitzstands nicht fristgerecht um, so riskiert sie die Beendigung der Zusammenarbeit von Dublin/Eurodac insgesamt, und damit auch von Schengen (Art. 7 Abs. 4 SAA i. V. m. Art. 14 Abs. 2 DAA).
Im vorliegenden Fall wurden die AMMR-Verordnung, die Krisenverordnung, die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung, die Eurodac-Verordnung und die Überprüfungsverordnung am 14. Mai 2024 vom Europäischen Parlament und dem Rat der EU verabschiedet. Infolgedessen hätte die Schweiz ihre Antwortnote bis spätestens am 13. Juni 2024 an das Generalsekretariat des Rates der EU respektive an die Europäische Kommission übermitteln müssen. Aufgrund der unvollständigen Notifikation der Eurodac-Verordnung durch die Europäische Kommission wurden zusätzliche Abklärungen und eine Korrektur der erfolgten Eurodac-Notifikation durch die EU nötig. Das Abwarten dieser Klärungen hat zu Verzögerungen geführt, aufgrund welcher die Schweiz ihre Antwortnoten zu sämtlichen ihr notifizierten EU-Verordnungen am 14. August 2024 übermittelt hat. So konnte eine gesamthafte Rücknotifikation sichergestellt werden.
Die Notifikationen der AMMR-Verordnung, der Krisenverordnung, der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung, der Eurodac-Verordnung und der Überprüfungsverordnung an die Schweiz erfolgten am 17. Mai 2024. Damit endet die maximale Frist für die Übernahme und Umsetzung der vorliegenden EU-Verordnungen am 17. Mai 2026.
Die zu übernehmenden EU-Verordnungen sehen für die EU-Mitgliedstaaten ebenfalls eine Umsetzungsfrist von zwei Jahren ab Inkrafttreten vor. Die Anwendungsdaten sind jedoch für die EU-Verordnungen unterschiedlich: Ab dem 1. Juli 2026 werden die AMMR-Verordnung und die Krisenverordnung angewendet. Bereits ab dem 12. Juni 2026 kommen die Eurodac-Verordnung (mit Ausnahme von Art. 26 der Eurodac-Verordnung, der ab dem 12. Juni 2029 angewendet wird), die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung und die Überprüfungsverordnung zur Anwendung.
¹4 SR 0.362.31
¹5 SR 0.142.392.68
¹6 Verordnung (EG) Nr. 767/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über das Visa-Informationssystem (VIS) und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (VIS-Verordnung), ABl. L 218, 13.8.2008, S. 60; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1152; ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 15.
¹7 Verordnung (EU) 2017/2226 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2017 über ein Einreise-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten sowie der Einreiseverweigerungsdaten von Drittstaatsangehörigen an den Aussengrenzen der Mitgliedstaaten und zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zum EES zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken und zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen sowie der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008 und (EU) Nr. 1077/2011, ABl. L 327 vom 9.12.2017, S. 20; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1152, ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 15.
¹8 Verordnung (EU) 2018/1240 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. September 2018 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1077/2011, (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/1624 und (EU) 2017/2226, ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1152, ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 15.
¹9 Verordnung (EU) 2019/817 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen in den Bereichen Grenzen und Visa und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2016/399, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240, (EU) 2018/1726 und (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Entscheidung 2004/512/EG des Rates und des Beschlusses 2008/633/JI des Rates; ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 27; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1152, ABl. L 249 vom 14.7.2⁰21, S. 15.
2⁰ Verordnung (EU) 2021/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Schaffung eines Instruments für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik im Rahmen des Fonds für integrierte Grenzverwaltung, ABl. L 251 vom 15. Juli 2021, S. 48.
2¹ Verordnung (EU) 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) und zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1726, (EU) 2018/1862 und (EU) 2019/816; ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 85; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1150, ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 1.
2² BBl 2021 674
²3 BBl 2022 3213
²4 BBl 2019 4573
1.2 Postulat 23.3859 Pfister Gerhard
Mit dem Postulat 23.3859 «Chancen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für die Schweizer Asylpolitik» von Nationalrat Gerhard Pfister vom 15. Juni 2023 wurde der Bundesrat beauftragt, «Bericht zu erstatten, wie er die Reformvorschläge der EU-Innenministerinnen und -Innenminister für ein gemeinsames europäisches Asylsystem (GEAS) beurteilt, welche Chancen sich für die Schweiz ergeben, welche Risiken, und welche Elemente einer solchen Reform für die Schweiz besonders wichtig sind. Zudem wird der Bundesrat beauftragt, in diesem Bericht aufzuzeigen, welche finanziellen Folgen und welchen legislatorischen Bedarf er aufgrund der Reformvorschläge für die Schweiz sieht. Darüber hinaus soll er aufzeigen, welchen Beitrag die Schweiz leisten soll zu dieser Reform, und welche Strategie der Bundesrat hat, damit die Schweiz die Chancen dieser Reform nutzen kann».
In diesem Bericht soll auch dargelegt werden, ob die Reform in einer Weiterentwicklung des Schengen-/Dublin-Besitzstands von der Schweiz übernommen werden soll oder ob ein neues Abkommen zwischen der Schweiz und der EU erforderlich wird.
Der Bundesrat beantragte am 23. August 2023 die Annahme des Postulats, woraufhin der Nationalrat das Postulat am 27. September 2023 angenommen hat. Der Bundesrat hat zur Erfüllung des Postulats zwei Jahre Zeit (Art. 124 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 ²5 über die Bundesversammlung [ParlG]). Die Beantwortung des Postulats erfolgt im Rahmen der vorliegenden Botschaft (Art. 124 Abs. 3 ParlG). Dazu dienen die vorliegenden Ziffern 1.2 und 1.3.
²5 SR 171.10
1.3 Handlungsbedarf und Ziele
1.3.1 Chancen und Risiken der Reform für die Schweiz
Die Evaluation der Reform im Hinblick auf ihre Chancen und Risiken dient der Festlegung der Position und Strategie der Schweiz durch den Bundesrat im europäischen Kontext und der Beantwortung des eingangs erläuterten Postulats 23.3859 Pfister.
Der Bundesrat unterstützt die Stossrichtung und die Ziele des EU-Migrations- und Asylpakts. Er sieht diese Reform somit grundsätzlich als Chance für die Schweiz. Dennoch ist die Frage nach Chancen und Risiken der Reform nicht einfach zu beantworten, insbesondere weil im Rahmen der politischen Kompromissfindung eine Reihe von Umsetzungsfragen bewusst offengelassen wurden. Die Wirksamkeit der Reform wird von internen (umsetzungsbezogenen) wie auch externen Faktoren (z. B. Migration in Richtung Europa) beeinflusst.
Der EU-Migrations- und Asylpakt ist in einem multidimensionalen Kontext eingebettet. Die Wirksamkeit der Reform wird auf der einen Seite von internen Faktoren abhängig sein:
Nur eine einheitliche Umsetzung in den EU-Mitgliedstaaten und den an Schengen und Dublin assoziierten Staaten wird ermöglichen, dass die verschiedenen Elemente der Reform wirksam ineinandergreifen. Die neuen Verfahren an der EU-Aussengrenze sollen bewirken, dass die irreguläre Migration in die EU bzw. den Schengen-/Dublin-Raum reduziert und Asylgesuche mit wenig Aussicht auf Schutz bereits an der EU-Aussengrenze schnell und grundrechtskonform behandelt werden. Anreize für Sekundärmigration will der EU-Migrations- und Asylpakt möglichst verringern. Es besteht die Erwartung, dass dadurch die Asylsysteme in den europäischen Ländern und auch in der Schweiz entlastet werden.
In den letzten Jahren zeigte sich jedoch auch, dass Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich des Lebensstandards, der staatlichen Leistungen, der Integrationsmassnahmen sowie des Vorhandenseins einer Diaspora zu Sekundärmigration geführt haben. Das heisst: Viele Personen, die bereits in einem Dublin-Staat internationalen Schutz beantragt haben, ziehen es aus den genannten Gründen vor, in einen anderen Staat in Europa weiterzuziehen. Erst mit der Umsetzung der Reform wird sich zeigen, ob und in welchem Ausmass mit den beschlossenen Massnahmen solche Migrationsbewegungen innerhalb des Schengen-Raums vermindert werden können.
Der EU-Migrations- und Asylpakt schafft einen neuen Referenzrahmen, in dem die Rechte und Pflichten sowohl der gesuchstellenden Personen als auch der Schengen-Staaten klarer festgehalten werden. Die Rechtssicherheit wird dadurch erhöht. Die Schweiz wird sich wie bisher auf EU-Ebene dezidiert dafür einsetzen, dass die Grundrechte der Migrantinnen und Migranten an den EU-Aussengrenzen zu jeder Zeit gewahrt werden.
Auf der anderen Seite unterliegen die Umsetzung und die Wirkung der Reform externen Faktoren :
Die Migrationssituation innerhalb Europas hängt auch stark von aussereuropäischen Faktoren ab, insbesondere von Kriegen, Krisen und Konflikten, von Armut und von Naturkatastrophen. Europa kann die globalen Treiber der Migration zwar mit migrationspolitischen Instrumenten angehen, der Einfluss bleibt aber letztendlich begrenzt.
Aufgrund interner und externer Faktoren lassen sich die Auswirkungen des EU-Migrations- und Asylpakts somit vor der effektiven Umsetzung nicht genau abschätzen oder gar empirisch berechnen. Deshalb ist es zwar sehr wohl möglich, Chancen und Risiken zu benennen; Aussagen und Einschätzungen über die Eintretenswahrscheinlichkeit dieser Chancen und Risiken sind aber mit grossen Unsicherheiten behaftet. Erst die konkrete Umsetzung wird zeigen, ob sich diese Chancen und Risiken realisieren. Nachfolgend werden die grösseren Chancen und Risiken für die Schweiz entlang der Kernelemente des EU-Migrations- und Asylpakts skizziert.
1.3.1.1 Das Überprüfungsverfahren
Das Überprüfungsverfahren ist in der entsprechenden Überprüfungsverordnung (vgl. Ziff. 6) geregelt und findet auch in der Schweiz Anwendung.
Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens soll eine irregulär eingereiste Person an den Schengen-Aussengrenzen rasch identifiziert werden, und durch eine Überprüfung in den entsprechenden Datenbanken soll festgestellt werden, ob sie ein Sicherheitsrisiko darstellt. Die Überprüfung ermöglicht es ausserdem, Personen rasch dem geeigneten Verfahren zuzuweisen und spezifische Vulnerabilitäten oder vorhandene Gesundheitsprobleme schneller festzustellen. Mit diesen Neuerungen können hilfsbedürftige und vulnerable Personen schneller identifiziert werden. Auch das Herkunftsland wird im Rahmen des Überprüfungsverfahrens erhoben. Die in diesem Verfahren erhobenen Informationen tragen zu den Entscheidgrundlagen für die Zuweisung an das geeignete Verfahren bei.
Für die Schweiz ist diese Weiterentwicklung zunächst mit einem Mehraufwand verbunden, da sie eine Anpassung der bestehenden Prozesse erfordert. Dieser Mehraufwand ist gerechtfertigt, wenn Sicherheitsrisiken verringert und im weiteren Verfahren in der Schweiz und in der Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Behörden Effizienzgewinne erzielt werden können. Dies liegt klar im Interesse der Schweiz. Der Bundesrat sieht in der Überprüfungsverordnung keine signifikanten Risiken für die Schweiz.
1.3.1.2 Das Grenzverfahren für Asylgesuche an der EU-Aussengrenze
Das Asylgrenzverfahren, das in der Asylverfahrensverordnung geregelt ist, ist für die Schweiz nicht verbindlich.
Eine konsequente Umsetzung dieses Verfahrens durch die EU-Mitgliedstaaten an den Schengen-Aussengrenzen dürfte jedoch direkte Auswirkungen auf die Asyl- und Migrationssituation in der Schweiz entfalten. Die Grenzverfahren zielen darauf ab, Asylverfahren von Personen, die ein Sicherheitsrisiko für den Schengen-Raum darstellen oder die mit grosser Wahrscheinlichkeit keinen Anspruch auf Schutz haben, direkt an den EU-Aussengrenzen durchzuführen und somit eine (formelle) Einreise in die EU bzw. den Schengen-/Dublin-Raum zu verhindern. Das setzt die Einrichtung von entsprechenden Unterbringungsstrukturen voraus, in der die Personen während ihres Verfahrens untergebracht und an der Einreise gehindert werden. Die Durchführung von Grenzverfahren sollte demnach die Sicherheit in der EU bzw. im Schengen-/Dublin-Raum erhöhen und die sekundären Migrationsbewegungen innerhalb der EU bzw. des Schengen-/Dublin-Raums reduzieren. Aufgrund ihrer geografischen Lage würde die Schweiz von dieser Verringerung der irregulären Migration profitieren.
Es besteht das Risiko, dass es den Staaten an der EU- bzw. Schengen-Aussengrenze nicht oder nicht rechtzeitig gelingt, die erforderlichen Plätze für die Grenzverfahren bereitzustellen. Zudem sind die Plätze im neuen Asylgrenzverfahren begrenzt. Ist die Maximalzahl erreicht, kommt erneut das reguläre Asylverfahren zum Einsatz. Dadurch würde einerseits der erhoffte Effekt, dass die Grenzverfahren die nationalen Asylkapazitäten entlasten könnten, nicht erreicht.
Für den Bundesrat muss des Weiteren gewährleistet sein, dass die Standards in den Zentren der Grenzverfahren auch für die Unterbringung von Familien angemessen sind. Mängel aufgrund von Überbelegung oder ungeeigneter Einrichtungen könnten nicht nur gegen Menschenrechtsstandards verstossen, sondern auch die Legitimität der Grenzverfahren beeinträchtigen und zu gerichtlichen Verfahren führen. Deshalb unterstützt die Schweiz sämtliche Elemente, die zur Sicherung der grundrechtskonformen Abwicklung der Grenzverfahren beitragen.
Schliesslich hängt die Wirksamkeit der Grenzverfahren davon ab, dass bei negativen Entscheiden auch die anschliessende Rückkehr funktioniert. Kann die Rückkehr nicht innerhalb der vorgesehenen zwölf Wochen vollzogen werden, verlieren die schnelleren Grenzverfahren an Effizienz und damit an Wirkung.
Personen, die im Rahmen des Rückkehrgrenzverfahrens nicht zurückgeführt werden können, müssen in das normale Verfahren übernommen werden. Dort besteht ein erhöhtes Risiko einer Weiterwanderung innerhalb des Schengen-Raums. Das Risiko für die Schweiz bestünde darin, dass die Reform in diesem Bereich keinen Mehrwert erzeugen würde und damit die Sekundärmigration, mit der auch die Schweiz konfrontiert ist, weiterhin anhielte.
Auf europäischer Ebene würde ein unzureichend funktionierendes Grenzverfahren die Balance zwischen Verantwortung und Solidarität empfindlich stören, und es wäre mit politischen Spannungen und Auseinandersetzungen innerhalb der EU zu rechnen.
1.3.1.3 Erweiterung der Eurodac-Datenbank
Die reformierte Eurodac-Verordnung (vgl. Ziff. 1.1.3.4) ist für die Schweiz verbindlich. Durch zusätzliche Kategorien und zusätzlich erfasste Daten wie das Alter oder das Gesichtsbild werden Abgleiche präziser durchgeführt werden können. Dadurch sollten bei einer Abfrage des Hintergrunds der Personen genauere Treffer im System möglich sein. Neu werden auch die Daten von irregulär aufhältigen Personen in Eurodac gespeichert, was ein genaueres Bild über die Aufenthaltsorte einer Person innerhalb des Schengen-Raums ermöglicht. Neue Kategorien, beispielsweise Informationen zu erfolgten Dublin-Überstellungen in einen anderen Dublin-Staat, sollen ausserdem dazu beitragen, dass die für das Verfahren relevanten Sachverhalte früher zur Verfügung stehen. Dies wiederum ermöglicht genauere Rückschlüsse auf den für die gesuchstellende Person zuständigen Staat und die Art, auf welche diese Person in den Schengen-Raum eingereist ist. Durch die effizienteren Abklärungen im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung können Dublin-Überstellungen schneller durchgeführt werden. Zudem kann durch die verbesserte Datenerfassung die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei Hintergrundabklärungen zu Personen ebenfalls effizienter werden.
Für die Schweiz entstehen dadurch kaum Risiken. Es ist aber mit einem bundesinternen Mehraufwand in der Auswertung der Eurodac-Treffer zu rechnen.
1.3.1.4 Neue Zuständigkeitsregelung für die Durchführung von Asyl- und Wegweisungsverfahren
Die in der AMMR-Verordnung geregelten überarbeiteten Zuständigkeitsregeln für die Durchführung von Asyl- und Wegweisungsverfahren lösen die alten Dublin-Bestimmungen ab (vgl. Ziff. 1.1.3.1). Sie sind für die Schweiz verbindlich.
Mit den neuen Regeln soll der zuständige Dublin-Staat schneller identifiziert und die Überstellung von Personen effizienter durchgeführt werden. Dazu trägt beispielsweise bei, dass die Dublin-Staaten einander Rückübernahmen nur noch notifizieren und nicht mehr formell beantragen müssen. Diese Neuerung dürfte zu einer Beschleunigung führen und den administrativen Aufwand auch für die Schweiz reduzieren.
Taucht eine gesuchstellende Person während des Verfahrens unter oder widersetzt sie sich der Überstellung, bleibt die Zuständigkeit neu für drei Jahre (bisher 18 Monate) beim ersten Staat. Damit soll der Anreiz für Sekundärmigration gesenkt werden. Würde dieses Ziel erreicht, hätte dies direkte Auswirkungen auf die Schweiz, nämlich eine Reduktion der Sekundärmigration. Würde dieses Ziel nur teilweise erreicht und eine gewisse Sekundärmigration anhalten, könnte die Schweiz dennoch mehr Dublin-Fälle in andere europäische Staaten überstellen, da diese länger zuständig blieben.
Durch raschere Dublin-Verfahren können die Unterbringungsstrukturen in der Schweiz entlastet werden, da sich Personen im Dublin-Verfahren im Durchschnitt weniger lang in den nationalen Strukturen aufhalten dürften.
Die neuen Dublin-Bestimmungen führen neue Kriterien ein, die dem individuellen Bezug einer Gesuchstellerin oder eines Gesuchstellers zu einem Dublin-Staat vermehrt Rechnung tragen. So wird beispielsweise der Familienbegriff breiter gefasst. Neu sind auch Familien, die sich ausserhalb des Herkunftslands - jedoch vor dem Antrag auf internationalen Schutz - formiert haben, entscheidend, um festzustellen, in welchem Staat die Asylgesuche dieser Personen behandelt werden sollen. Dadurch können persönliche Beziehungen bei der Bestimmung, in welchem Staat die Asylgesuche behandelt werden sollen, besser berücksichtigt werden und so mehr Schutz für die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller bieten. Dies kann dazu führen, dass die Schweiz in gewissen Fällen für die Behandlung eines Asylgesuchs zuständig wird, in denen dies früher nicht der Fall war. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass die Schweiz für gewisse Fälle nicht mehr zuständig sein wird, für die sie früher zuständig war. Mit dieser Änderung kann eine wichtige Motivation für Sekundärmigration beseitigt werden.
Die Situation im Schweizer Asylbereich wird nicht unwesentlich davon beeinflusst, wie gut die Zusammenarbeit mit den Dublin-Staaten funktioniert. Die Schweiz hat vom Dublin-System seit dessen Einführung profitiert. Es gab aber Staaten, in die Dublin-Überstellungen phasenweise aus unterschiedlichen Gründen ganz oder teilweise nicht möglich waren. Dieses Risiko wird auch in Zukunft bestehen, allerdings besteht mit der neuen Krisenverordnung ein gesetzlich genau geregelter Rahmen für solche Ausnahmesituationen.
Aufgrund des Solidaritätsmechanismus dürften sich die europäischen Staaten stärker verpflichtet fühlen, sich an die Regeln zu halten, da sie aufgrund der AMMR-Verordnung zu Solidaritätsleistungen berechtigt sind. Dies läge im Interesse der Schweiz, weil sie immer wieder von einseitigen Dublin-Aussetzungen und gerichtlichen Überstellungsverboten betroffen war - und es auch heute ist.
Insgesamt überwiegen für den Bundesrat die Chancen, die sich aus den neuen Dublin-Bestimmungen ergeben.
Durch die Einführung von neuen Bestimmungen im Dublin-Bereich, die bisher nicht vorgesehen waren, beispielsweise Tonaufnahmen während Dublin-Befragungen, ist mit einem Mehraufwand zu rechnen.
1.3.1.5 Zuständigkeitsregeln in Krisensituationen
In der Krisenverordnung (vgl. Ziff. 1.1.3.2) werden im Fall einer Krise oder höherer Gewalt sowie bei einer Instrumentalisierung von Migrantinnen und Migranten Abweichungen vom ordentlichen Recht festgehalten. Für die Schweiz sind die Bestimmungen in Bezug auf die Dublin-Zuständigkeitsregeln bindend.
Durch die Möglichkeit, in einer Krisensituation von den normalen Regeln abzuweichen, wird den betroffenen EU-Mitgliedstaaten vorübergehend mehr Flexibilität gegeben. Ziel ist dabei, so bald wie möglich zum Status quo zurückzukehren. Durch diese Flexibilität soll das ganze europäische Migrationsmanagement mehr auf den dynamischen Charakter der Migration, der von externen Faktoren geprägt ist, eingehen können. Diese Flexibilität soll verhindern, dass eine Überlastung in einer Krise auf andere Staaten übertragen wird, indem zu viele Fälle pendent bleiben oder es zu ausserordentlichen Migrationsbewegungen vom betroffenen Staat in andere europäische Staaten kommt.
Vor allem aber wird mit dieser EU-Verordnung die Rechtssicherheit gestärkt. In der Vergangenheit haben EU-Staaten mehrfach zu unilateralen Massnahmen gegriffen. Die Schweiz findet sich mit der neuen Verordnung bei unilateralen Abweichungen durch EU-Mitgliedstaaten vom ordentlichen Recht zwar in einem komplexeren Umfeld wieder, hat jedoch die Gewissheit, auf welche Rechtsgrundlage sich diese Praxisänderungen stützen, und kann dementsprechend reagieren. Damit sollen solche Situationen künftig antizipiert und das System insgesamt krisenresistenter gemacht werden.
Für die Schweiz kann dies bedeuten, dass sich die Dublin-Verfahren in gewissen Situationen verlängern und gesuchstellende Personen nicht an den für sie zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden können, da sich dieser in einer Krisensituation befindet. In ausgedehnten Krisensituationen ist es möglich, dass die Schweiz Dublin-Überstellungen nicht vollziehen kann und in der Konsequenz für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wird. Dieses Szenario, das im Rahmen des geltenden Dublin-Systems auch schon eingetreten ist, wird mit dem neuen Rechtsrahmen legalisiert. Allerdings kann die Schweiz im Krisenfall ebenfalls von diesen Ausnahmeregelungen profitieren.
1.3.1.6 Ein obligatorischer, aber flexibler Solidaritätsmechanismus
Der erstmals im europäischen Recht (AMMR-Verordnung) festgehaltene verbindliche Solidaritätsmechanismus hat den Zweck, diejenigen Staaten, die unter besonderem Druck im Migrationsbereich stehen, durch Leistungen der anderen EU-Mitgliedstaaten zu entlasten (vgl. Ziff. 3.4.4). Er macht das europäische Migrations- und Asylsystem dadurch insgesamt fairer und ausgewogener. Der Solidaritätsmechanismus ist für die Schweiz nicht verbindlich. Die Verordnung sieht aber die Möglichkeit einer freiwilligen Beteiligung der an Dublin assoziierten Staaten vor.
Durch den Solidaritätsmechanismus soll die Planung und Vorhersehbarkeit im Migrationsbereich erhöht werden. Die Migrationssituation in der Schweiz wird immer von der Lage in anderen europäischen Ländern auf der Migrationsroute beeinflusst. Ein Monitoring, wie sich die Migrationslage in den EU-Mitgliedstaaten verändert und wo sich Überlastungen abzeichnen, soll in erster Linie der EU und den EU-Mitgliedstaaten ermöglichen, sich frühzeitig auf potenzielle Überlastungssituationen vorzubereiten und geeignete, auf die Situation zugeschnittene Massnahmen zu ergreifen, um diese zu verhindern.
In der Vergangenheit hatten überlastete Asylsysteme in einzelnen Dublin-Staaten negative Auswirkungen auf die Möglichkeit der Schweiz, Personen in die betroffenen Staaten zu überstellen. Eine wirksame Umsetzung des Solidaritätsmechanismus ist somit im Interesse der Schweiz, da sie solche Situationen künftig vermeiden sollte. Somit dürfte dies den Schengen-/Dublin-Raum insgesamt stärken und einer konsequenten Anwendung der rechtlichen Bestimmungen dienen.
Die Schweiz hat in den vergangenen Jahrzehnten gute Erfahrungen mit einem Lastenausgleich zwischen den Kantonen gemacht. Der geltende Verteilschlüssel trägt zur Akzeptanz des Asylwesens bei. Der europäische Solidaritätsmechanismus bleibt zugunsten einer grösseren Flexibilität hinter dem Schweizer Modell zurück. Er beruht aber auf dem gleichen Grundgedanken der Lastenteilung und der gegenseitigen Unterstützung. Wenn die Umsetzung gelingt, sind damit die gleichen Vorteile verbunden, wie wir sie aus der Schweiz kennen: ein krisenresistenteres System, in dem hohe regionale Belastungen besser abgefedert werden. Der Solidaritätsmechanismus bietet einen festen Rahmen für die Kooperation unter den EU-Mitgliedstaaten und ersetzt die bisherigen Ad-hoc-Bemühungen um punktuelle Unterstützung besonders belasteter Staaten.
Ob der Mechanismus funktioniert, ist davon abhängig, inwieweit die EU-Mitgliedstaaten bereit sein werden, über finanzielle Unterstützungsleistungen hinauszugehen und sich auch mit der Übernahme der Zuständigkeit für Asylgesuche in ihrem Hoheitsgebiet (Zuständigkeitsausgleich / «Responsibility Offsets») oder mittels Übernahme von Personen (Relocation) an der gemeinsamen Verantwortung für die Migration zu beteiligen. Die Übernahme der Zuständigkeit für Asylgesuche oder von Asylsuchenden aus EU-Mitgliedstaaten hat dabei auch eine hohe Signalwirkung, weil sie eine besonders konkrete Entlastung von überlasteten Strukturen darstellt. Grundsätzlich sollten sich die EU-Mitgliedstaaten an der jährlichen Empfehlung der Europäischen Kommission bei der Einreichung der sogenannten «Pledges» (angebotene Solidaritätsleistungen) orientieren. Die Effizienz des Mechanismus wird also namentlich davon abhängen, ob die Solidaritätszusagen der EU-Mitgliedstaaten den tatsächlichen Bedürfnissen des zu entlastenden EU-Mitgliedstaats entsprechen.
Alle profitieren letztendlich von einem funktionierenden System. Voraussetzung dafür ist, dass sich die EU-Mitgliedstaaten gegenseitig unterstützen, damit die Verantwortung für die Migration, die Europa erreicht, gemeinsam getragen wird und das Dublin-System funktioniert. Der Solidaritätsmechanismus steht im Zentrum dieses sorgfältig austarierten Gleichgewichts zwischen Verantwortung und Solidarität. Die Regeln der AMMR-Verordnung sehen deshalb vor, dass ein Staat nur dann von Solidaritätsmassnahmen profitieren kann, wenn er sich an die internationalen Verpflichtungen von Schengen/Dublin hält. Über die bedarfsgerechte Unterstützung von besonders geforderten EU-Mitgliedstaaten wird wiederum sichergestellt, dass alle von einem funktionierenden Dublin-System profitieren können. Gelingt es nicht, besonders belastete Staaten im Rahmen des Mechanismus wirksam zu unterstützen, so könnten sich diese veranlasst sehen, wiederum unilateral von ihren Verpflichtungen aus dem EU-Migrations- und Asylpakt abzuweichen. Dies würde einen Rückfall in die Situation vor der Verabschiedung des EU-Migrations- und Asylpakts bedeuten und damit den Erfolg der gesamten Reform gefährden.
Der Bundesrat erachtet den Solidaritätsmechanismus als Chance für das europäische Asylwesen und somit auch für die Schweiz. Sollte er nicht zielführend umgesetzt werden, wäre dies mit erheblichen Risiken verbunden.
1.3.2 Strategie des Bundesrates
Aus Schweizer Perspektive besteht eine Besonderheit dieser Reform darin, dass nur gewisse Elemente des EU-Migrations- und Asylpakts für die Schweiz rechtlich bindend sind. Diese Elemente stellen eine Weiterentwicklung des Schengen-/Dublin-Besitzstands dar und müssen von der Schweiz im Rahmen der üblichen Abläufe übernommen und gegebenenfalls in nationales Recht übertragen werden. Die Übernahme dieser Schengen-/Dublin-Weiterentwicklungen stellt für den Bundesrat eine Priorität dar.
Andere Elemente des EU-Migrations- und Asylpakts betreffen ausschliesslich die EU-Mitgliedstaaten respektive den EU-Asylbesitzstand, dem die assoziierten Staaten nicht angehören. Dies ist auf den umfassenden Ansatz des EU-Migrations- und Asylpakts zurückzuführen, der darauf abzielt, die verschiedenen Aspekte der europäischen Migrationspolitik miteinander zu verknüpfen und eine weitere Harmonisierung der Asylstandards zu erreichen. Dieser Ansatz ist im Hinblick auf die Effizienz des europäischen Systems sinnvoll, macht die Beteiligung der assoziierten Staaten jedoch komplexer. Obwohl nur eine begrenzte Anzahl von Gesetzesvorschlägen für die Schweiz rechtlich bindend ist, hängt die Kohärenz der Reform von der konsequenten Umsetzung aller Vorschläge ab. Die Schweiz hat ein Interesse an einer funktionierenden und krisenresistenten europäischen Migrations- und Asylpolitik. Sie ist allein schon aufgrund ihrer geografischen Lage in Bezug auf die Migration stark von der Wirksamkeit der europäischen Migrationspolitik abhängig, weswegen es für sie relevant ist, sich aktiv dafür einzusetzen, dass die Reform als Ganzes wirksam ist.
Der Bundesrat steht einer umfassenden Reform der europäischen Migrationspolitik positiv gegenüber. Die wichtigsten Ziele der Reform liegen im Interesse der Schweiz: eine Verringerung der irregulären Migration in die EU bzw. den Schengen-/Dublin-Raum, eine Reduktion der Sekundärmigration innerhalb der EU bzw. des Schengen-/Dublin-Raums, eine verstärkte europäische Kooperation und damit verbunden ein solidarischer Mechanismus, der die Belastung der Staaten ausgleichen soll. Der Bundesrat setzt sich im Weiteren auf europäischer Ebene schon seit Jahren dafür ein, dass die Asylsysteme und Asylstandards in Europa, soweit rechtlich möglich, einander angeglichen werden, um Anreize für irreguläre Weiterwanderungen zu reduzieren.
Die Schweiz hat sich im Rahmen ihrer Mitwirkungsrechte als ein an Schengen und Dublin assoziierter Staat aktiv und konstruktiv in die Diskussionen zum EU-Migrations- und Asylpakt eingebracht. Sie hat die Stossrichtung des EU-Migrations- und Asylpakts unterstützt und sich stets für eine umfassende, solidarische und grundrechtskonforme Reform des europäischen Asyl- und Migrationssystems ausgesprochen. Sie wird dies auch im Hinblick auf die Umsetzung des EU-Migrations- und Asylpakts tun.
Der Bundesrat teilt mit der EU das Ziel eines sicheren und freien Schengen-Raums. Die Schweizer Asylpolitik beruht auf dem Grundprinzip, in raschen und rechtsstaatlichen Verfahren festzustellen, ob Menschen Schutz benötigen. Negative Asylentscheide sollen rasch vollzogen werden. Dazu verfolgt die Schweiz eine konsequente Rückkehrpolitik und eine enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Herkunftsstaaten. Ausserdem wendet die Schweiz die Dublin-Regeln konsequent an. Aufgrund ihrer geografischen Lage inmitten Europas profitiert die Schweiz vom Dublin-System. Sie überstellt deutlich mehr Personen an andere Dublin-Staaten, als sie selbst übernehmen muss. Sie setzt sich für eine Anwendung des geltenden Rechts durch alle Staaten ein, unter bedingungsloser Einhaltung der Grund- und Menschenrechte. Diesen Ansatz wird der Bundesrat weiterverfolgen und damit zu einer effizienten Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen im Schengen- und Dublin-Raum beitragen.
Der Bundesrat ist der Ansicht, dass in Europa Belastungen im Migrationsbereich in Zukunft ausgewogener und gerechter verteilt werden sollen. Die Schweiz kennt mit dem kantonalen Verteilschlüssel für die Verteilung von Asylsuchenden ein solches Ausgleichsinstrument. Der im EU-Migrations- und Asylpakt vorgesehene Solidaritätsmechanismus sieht einen Ausgleich der Belastung auf europäischer Ebene vor. Der Bundesrat erachtet diesen Mechanismus als sinnvoll. Werden einzelne Staaten unter starkem Migrationsdruck allein gelassen, hat dies in aller Regel eine Schwächung des gesamten Schengen- und Dublin-Raums zur Folge, was nicht im Interesse der Schweiz ist. Der neue Solidaritätsmechanismus stellt keine Weiterentwicklung des Dublin-Besitzstands dar, und die Teilnahme daran ist für die Schweiz freiwillig. Im Rahmen der entsprechenden Diskussionen hielt die Schweiz fest, dass sie sich an früheren Solidaritätsmassnahmen der EU jeweils beteiligt hatte. In den Jahren 2015 und 2016 nahm sie im Rahmen des damaligen Relocation-Programms 1500 Asylsuchende auf, die sich in Italien und Griechenland aufhielten. Im Jahr 2022 beteiligte sie sich zudem am freiwilligen temporären Solidaritätsmechanismus, indem sie Projekte zur Stärkung der Migrationssysteme in Italien und Griechenland in der Höhe von insgesamt 1,2 Millionen Franken finanzierte.
Mit Blick auf die übergeordneten politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU weist der Bundesrat darauf hin, dass er eine freiwillige Beteiligung der Schweiz am europäischen Solidaritätsmechanismus als Eckpfeiler der europäischen Reform unterstützen kann. Der Bundesrat ist deshalb gewillt, sein bisheriges Engagement fortzuführen und sich auch künftig mit besonders belasteten Staaten, insbesondere an den Schengen-Aussengrenzen, solidarisch zu zeigen. Er spricht sich deshalb im Grundsatz für eine Beteiligung der Schweiz an Solidaritätsmassnahmen aus. Für die Entscheidung, wie und in welchem Umfang sich die Schweiz beteiligt, werden sowohl die Asyl- und Migrationslage in der Schweiz als auch die Entwicklungen in Europa sowie die Situation in besonders belasteten Staaten zu berücksichtigen sein. Die Schweiz wird somit von Jahr zu Jahr prüfen, ob und wenn ja in welcher Form sie sich am Solidaritätsmechanismus beteiligen wird. Für eine Beteiligung an finanziellen oder anderen materiellen und personellen Unterstützungsmassnahmen wird der Bundesrat, falls erforderlich, dem Parlament die entsprechenden finanziellen Mittel mit den geeigneten finanzpolitischen Instrumenten beantragen. Um über den nötigen Handlungsspielraum für die allfällige Beteiligung an zukünftigen Solidaritätsprogrammen zu verfügen, soll im nationalen Recht eine Ergänzung der gesetzlichen Grundlage (vgl. Ziff. 3.7.2) geschaffen werden. Der Bundesrat gibt gleichzeitig mit dem Erlass dieser Botschaft dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) den Auftrag, die Umsetzung der Solidaritätsbeteiligung aufzuzeigen. Dafür soll ein Umsetzungskonzept erarbeitet werden, welches beinhaltet, nach welchen Kriterien und Prozessen die Schweiz festlegt, ob und auf welche Weise sie sich an einem jährlichen Solidaritätszyklus der EU beteiligen wird. Die Umsetzungselemente sollten dabei nicht über die Anforderungen der AMMR-Verordnung hinausgehen. Die Kantone und interessierten Kreise werden bei der Erarbeitung miteinbezogen. Das EJPD und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) sollen ausserdem ein Verhandlungsmandat ausarbeiten, um mit der EU die prozeduralen und technischen Abläufe zu regeln, die bei einer Teilnahme am Solidaritätsmechanismus Anwendung finden würden. Im Rahmen dieser Aufträge soll der gesetzliche Anpassungsbedarf ermittelt und gegebenenfalls dem Bundesrat unterbreitet werden.
Die Schweiz verfügt über weitere Instrumente, um sich in Europa im Migrationsbereich zu engagieren und solidarisch zu zeigen: Ein weiteres wichtiges Element der europapolitischen Migrationsstrategie des Bundesrates ist der Verpflichtungskredit Migration des Zweiten Schweizer Beitrags an die EU. Mit diesem Instrument unterstützt die Schweiz in den Jahren 2021-2029 gezielt ausgewählte EU-Mitgliedstaaten bei der Stärkung ihrer Migrationssysteme und trägt somit zu einer konsequenten Umsetzung der Reformvorschläge des EU-Migrations- und Asylpakts bei. Der materielle Abschluss der Verhandlungen mit der EU auf Grundlage des Paketansatzes sieht auch künftig einen regelmässigen Kohäsionsbeitrag an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten vor. Wichtige gemeinsame Herausforderungen, beispielsweise im Bereich der Migration, können dabei berücksichtigt werden. Dies wäre auch langfristig als Beitrag der Schweiz für die solidarische Unterstützung besonders belasteter Staaten zu verstehen. Synergien zwischen diesem Beitrag und den in der AMMR-Verordnung vorgesehenen Solidaritätsleistungen sollen im Rahmen des Umsetzungskonzepts geprüft werden.
Was die übrigen, über ihre Schengen-/Dublin-Assoziierung hinausgehenden Elemente der Reform hinausgeht, so sieht der Bundesrat derzeit keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Hinsichtlich der neuen Grenzverfahren an der Aussengrenze der EU besitzt die Schweiz bereits ein etabliertes und funktionierendes Verfahren an ihrer Schengen-Aussengrenze (an den internationalen Flughäfen Zürich und Genf) für Personen, die ein Asylgesuch stellen. Dieses beinhaltet ein Asyl- und Rückkehrverfahren. Wie die neuen Grenzverfahren in der EU erfüllt dieses Verfahren den Zweck, die Asylgesuche an den Aussengrenzen möglichst rasch abzuwickeln. Der Bundesrat sieht zum aktuellen Zeitpunkt keinen Anpassungsbedarf in diesem Bereich. Auch in den EU-Mitgliedstaaten kommt das neue Recht erst ab Juni 2026 zum Tragen. Für die Themenbereiche der Unterbringung, der medizinischen Versorgung und der Sozialleistungen kann zum heutigen Zeitpunkt deshalb noch nicht beurteilt werden, inwieweit die neue EU-Praxis von unserer nationalen Praxis abweichen wird, sodass mit nachteiligen Auswirkungen auf die Schweiz zu rechnen ist.
1.4 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates
Die vier Vorlagen sind weder in der Botschaft vom 24. Januar 2024 ²6 zur Legislaturplanung 2023-2027 noch im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 ²7 über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt. Es handelt sich um Schengen-/Dublin-Weiterentwicklungen, die im Rahmen von Ziel Nr. 17 der Botschaft fristgerecht zu übernehmen sind. Gemäss diesem Ziel sorgt die Schweiz für eine stringente Asyl- und Integrationspolitik, nutzt die Chancen der Zuwanderung und setzt sich für eine effiziente europäische und internationale Zusammenarbeit ein.
Die Übernahme und die Umsetzung der EU-Verordnungen stehen mit keiner Strategie des Bundesrates in Konflikt. Sie sind angezeigt, um den Verpflichtungen der Schweiz aus dem SAA bzw. DAA nachzukommen.
²6 BBl 2024 525
²7 BBl 2024 1440
1.5 Erledigung parlamentarischer Vorstösse
Diese Vorlage ermöglicht die vollständige Umsetzung des Postulats 23.3859 Pfister «Chancen der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für die Schweizer Asylpolitik», in Abhandlung in den Kapiteln 1.2 und 1.3 der vorliegenden Botschaft.
1.6 Übersicht über die Auswirkungen
Die Übernahme und Umsetzung der vorliegenden fünf EU-Verordnungen wird sowohl finanzielle als auch personelle Auswirkungen auf den Bund und die Kantone haben.
Im Groben muss mit den nachfolgenden finanziellen (einmalige Investitions- sowie wiederkehrende Betriebskosten) und personellen Auswirkungen auf den Bund gerechnet werden. Die noch nicht quantifizierbaren Auswirkungen werden im Rahmen der weiteren Arbeiten ermittelt.
Tabelle vergrössern
open_with
| EU-Verordnungen | Investitionskosten in Mio. CHF (VK) | Jährliche Betriebskosten in Mio. CHF | Transferkosten (Sozialhilfe usw.) | Personalbedarf in Vollzeitäquivalent (FTE) |
|---|---|---|---|---|
| AMMR-Verordnung: | ||||
| - Tonaufnahme Dubli-Befragung (verpflichtend) | 1,0 (Funktionsaufwand) | noch offen | - | 1,75 |
| - Solidaritätsmassnahmen (nicht verpflichtend) | - | - | abhängig von konkreter Solidaritätsmassnahme (Beschluss mittels Bundesratsbeschluss inkl. Obergrenzen Mengengerüst und finanzieller Rahmen inkl. allf. VK) | abhängig vom Mengengerüst der Solidaritätsmassnahme |
| Krisenverordnung (teilweise verpflichtend) | - | - | Abhängig von Art und Dauer der Krise | Abhängig von Art und Dauer der Krise |
| Rückkehrgrensverfahrensverordnung (verpflichtend, aber nicht umgesetzt) | - | - | - | - |
| Eurodac- Verordnung (teilweise verpflichtend) | ||||
| Auswirkungen auf: | ||||
| - das Staats- sekretariat für Migration (SEM) | 3,6 (VK SD III) | 1,0 (Funktionsaufwand) | - | noch offen |
| - das Bundesamt für Polizei (fedpol) | noch offen | noch offen | - | noch offen |
| - das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) | noch offen | noch offen | - | gemäss aktuellem Kenntnisstand und bei normaler Lage voraussichtlich mit bestehenden Mitteln umsetzbar |
| Überprüfungsverordnung (verpflichtend) | gering | - | - | SEM: gering, wird intern kompensiert BAZG: bei normaler Lage voraussichtlich mit bestehenden Mitteln umsetzbar |
Auf die hier aufgeführten Auswirkungen auf den Bund wird in den Ziffern 3.9.1, 3.9.2, 4.6, 5.8.1, 5.8.2 und 6.8.1 eingegangen.
Die Auswirkungen in Bezug auf die Kantone sind in den Ziffern 3.9.3, 4.6, 5.8.3 und 6.8.2 enthalten. Die vorgesehenen Umsetzungselemente, welche die Kantone betreffen, gehen nicht über die Anforderungen des EU-Migrations- und Asylpakts hinaus.
¹ vgl. www.parlement.ch > 23.3859.
2 Allgemeine Ausführungen zum Vernehmlassungsverfahren
Unter Ziffer 2 wird das Gesamtergebnis des Vernehmlassungsverfahrens zusammengefasst (Ziff. 2.1) und ein Überblick über die Rückmeldung der Kantone (Ziff. 2.2), der Parteien und Dachverbände (Ziff. 2.3) sowie der weiteren interessierten Kreise (Ziff. 2.4) zu sämtlichen für die Schweiz relevanten Verordnungen des EU-Migrations- und Asylpakts gegeben. Ferner werden Rückmeldungen zu Themen abgehandelt, die EU-Regelungen betreffen, welche für die Schweiz nicht relevant sind (Ziff. 2.5). Unter den Ziffern 3.2, 4.2, 5.2 und 6.2 wird detailliert über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zu den einzelnen EU-Verordnungen informiert.
2.1 Zusammenfassung der Gesamtergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 2005 ²8 wurde zu folgenden vier Vorlagen vom 14. August bis zum 14. November 2024 eine Vernehmlassung ²9 durchgeführt:
-
Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1351 über das Asyl- und Migrationsmanagement und der Verordnung (EU) 2024/1359 über die Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl (Weiterentwicklung des Dublin-/Eurodac-Besitzstands);
-
Bundesbeschluss über die Genehmigung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1349 zur Festlegung des Rückkehrverfahrens an der Grenze und zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/1148 (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands);
-
Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Eurodac-Verordnung (EU) 2024/1358 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich biometrischer Daten (Weiterentwicklung des Dublin-/Eurodac-Besitzstands);
-
Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1356 zur Einführung der Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den Aussengrenzen und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/817 (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands).
Zu diesen vier Vorlagen sind 76 Eingaben eingegangen. Insgesamt haben sich 25 Kantone, sieben politische Parteien (Evangelische Volkspartei [EVP], FDP.Die Liberalen [FDP], die GRÜNEN, die Grünliberale [GLP], die Mitte, Sozialdemokratische Partei [SP] und Schweizerische Volkspartei [SVP]), vier Dachverbände (Schweizerischer Verband für Zivilstandswesen [SVZ], Schweizerischer Arbeitgeberverband [SAV], Schweizerischer Gewerkschaftsbund [SGB] und Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden [VSAA]), das Bundesgericht (BGer), das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) sowie 38 weitere interessierte Kreise schriftlich geäussert. Davon haben sechs Vernehmlassungsteilnehmer ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet (SVZ, SAV, VSAA, BGer, Flughafen Zürich und Centre Patronal).
Rund die Hälfte der Vernehmlassungsteilnehmer begrüsst die vier Vorlagen und die damit notwendigen Gesetzesanpassungen.
²8 SR 172.061
²9 Die Dokumente sind verfügbar unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2024 > EJPD.
2.2 Rückmeldung der Kantone
Eine Mehrheit der Kantone stimmt den vier Vorlagen grundsätzlich zu. Dabei werden auch viele Änderungsvorschläge eingebracht. AI, JU und OW haben keine Anmerkungen. Einige Kantone (z. B. AR, BS, GR, NW, SH, SO, UR, VD und ZH sowie sinngemäss auch FR, SG, TI, VD und ZG) begrüssen, dass sich die Schweiz den Bemühungen der EU anschliesst, die irreguläre Migration nach und innerhalb Europas zu reduzieren. TG hält fest, dass die Schweiz geografisch im Zentrum der EU liege. Ein Anschluss sei unabdingbar, um die Sekundärmigration einzudämmen und die entsprechenden IT-Systeme wie Eurodac, EES oder das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) konsequent nutzen zu können.
Trotz der grundsätzlichen Zustimmung äussern sich einige Kantone (z. B. FR, NW und VD) auch kritisch bezüglich der neuen Verpflichtungen bei der Eurodac- und Überprüfungsverordnung und der damit verbundenen personellen und finanziellen Aufwände für die Kantone. Es stehe der Schweiz frei, gewisse Aufgaben nicht auf die Kantone, sondern auf den Bund zu übertragen. Es sei unerlässlich, dass der Bund die Kantone bei der Umsetzung dieser Massnahmen finanziell unterstütze und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stelle (u. a. NW, sinngemäss auch FR und VD). Zudem bestehe im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung der vorgeschlagenen Massnahmen Optimierungspotenzial insbesondere im Bereich der Dublin-Haft und der Durchführung von Asylverfahren (z. B. NW). Gewisse Gesetzesanpassungen würden über die blosse Übernahme des Dublin-Besitzstands hinausgehen und könnten eine Verlagerung des Verwaltungsaufwands auf die Kantone bewirken (z. B. GE).
2.3 Rückmeldung der Parteien und Dachverbände
Die Mitte, GLP und FDP unterstützen die Reform im Grundsatz und begrüssen die vorgeschlagenen Anpassungen im nationalen Recht. Nach Ansicht der Mitte sei es im Interesse der Schweiz, ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen innerhalb des Schengen- und Dublin-Raums zu etablieren und die irreguläre Migration nach Europa sowie die Sekundärmigration innerhalb des EU-Raums zu verringern. Der Bundesrat sei gefordert, den Mehrwert der Reform laufend zu beurteilen und sich bei deren Umsetzung für einen Ausgleich zwischen Solidarität und Verantwortung einzusetzen. Die GLP ist überzeugt, dass die EU mit dem Pakt einen bedeutenden Schritt in der Weiterentwicklung des europäischen Asylsystems gemacht habe, der einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der europäischen Länder, der Bevölkerung und der Schutzsuchenden leiste. Die FDP begrüsst insbesondere die verstärkte Umsetzung von Asylverfahren und Rückführungen an den EU-Aussengrenzen. Für die Schweiz sei es von zentraler Bedeutung, sich aktiv an diesen Entwicklungen zu beteiligen, um eine effektive Steuerung der Migration sicherzustellen und Sekundärmigration zu verhindern. Ablehnend steht die FDP jedoch der Aufnahme von Asylsuchenden im Rahmen der freiwilligen Teilnahme am Solidaritätsmechanismus gegenüber.
Die SP unterstützt zwar die Übernahme des EU-Migrations- und Asylpakts, unter anderem da die Schweiz an vielen negativen Auswirkungen, die dieser Pakt mit sich bringe, nicht beteiligt sei. Auch sei ein Anschluss an das EU-Migrations- und -Asylsystem zum Zweck einer gemeinsamen und solidarischen Migrations- und Asylpolitik zwingend. Es sei jedoch unabdingbar, dass die Schweiz den verbleibenden nationalen Spielraum ausnutze, um die Solidarität mit Geflüchteten und deren Rechte ins Zentrum zu stellen. Des Weiteren hebt sie hervor, dass die neuen Regeln des EU-Migrations- und Asylpakts das Kernproblem der bestehenden Regelungen nicht zu lösen vermögen. So bleibe die ungleiche Verantwortungsteilung im europäischen Asylsystem auch mit dem EU-Migrations- und Asylpakt weitgehend unangetastet, und der Druck auf exponierte Staaten an den Schengen-Aussengrenzen dürfte insbesondere wegen der neuen Pflichten sogar noch zunehmen. Sie fordert, wie unter anderen auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) oder das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (HEKS), ergänzende Massnahmen der Solidarität, eine Verbesserung der nationalen Umsetzung der rechtlichen EU-Vorgaben und die Übernahme des subsidiären Schutzes.
Auch die GRÜNEN äussern sich grundsätzlich kritisch, unter anderem bezüglich der Verfahren an den EU-Aussengrenzen und dass massive Verletzungen der Grundrechte in Kauf genommen werden. Die Inhaftierung von schutzsuchenden Familien und Kindern an den EU-Aussengrenzen und die generelle Schwächung der Rechte Geflüchteter stehe im Widerspruch zu den Grundwerten der EU und der Schweiz. Die GRÜNEN bemängeln, dass der Bundesrat den EU-Migrations- und Asylpakt in seinen bisherigen Stellungnahmen positiv gewürdigt habe.
Die EVP kritisiert, dass der EU-Migrations- und Asylpakt der Beachtung der Menschenwürde nicht gerecht werde und Abschottung und Härte Vorrang hätten. Ferner äussert sie sich auch kritisch gegenüber dem Grenzverfahren, da Schutzsuchende während des gesamten Verfahrens faktisch interniert würden und der Zugang unter anderem zu medizinischem und psychologischem Personal, zu Rechtsberatung und -vertretung sowie zu Dolmetschenden erschwert würde.
Als einzige Partei lehnt die SVP die gesamte Vorlage in der vorgeschlagenen Form ab. Insbesondere lehnt sie die zahlreichen rein bürokratischen und kostspieligen Weiterentwicklungen ab und fordert den Bundesrat zu einer schlanken und vernünftigen Umsetzung auf. Sie erinnert daran, dass sie das Prinzip der dynamischen bzw. automatischen Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-/Dublin-Besitzstands nicht akzeptiere. Die Schweiz müsse souveräne, einseitige und unabhängige Kontrollen an ihren Landesgrenzen durchführen können. Illegalen Einwanderern, die mit Hilfe von Schleppern über sichere Drittstaaten einreisen, dürfe kein Asyl mehr gewährt werden. Sie seien umgehend in das betreffende Land zurückzuschicken. Asylgesuche sollten nur noch in geschlossenen Zentren eingereicht werden können, die nur vom Ausland aus zugänglich seien. Die europäische Grenz- und Asylpolitik sei generell gescheitert, und entsprechende Konsequenzen müssten gezogen werden.
Der SGB teilt zwar das Bestreben des Bundesrates nach einem funktionierenden, krisenresistenten und gerechten europäischen Migrations- und Asylsystem. Er steht den vorliegenden Weiterentwicklungen des Schengen- und Dublin-Besitzstands jedoch kritisch gegenüber. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Einschränkung des Zugangs zum Asylverfahren. Zudem äussert er Bedenken darüber, ob die vorliegende Reform geeignet sei, ihre Ziele zu erreichen. So würden auch in Zukunft die Staaten an den Schengen-Aussengrenzen die grössten Lasten tragen müssen. Anstelle einer solidarischen Lastenverteilung würden diese Staaten standardisierte Schnellverfahren durchführen können. Dies sei eine Abkehr von den Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Bundesrat sei aufgefordert, sich auf internationaler und nationaler Ebene mit Vehemenz für ein menschenwürdiges und menschenrechtskonformes Asyl- und Migrationssystem einzusetzen.
2.4 Rückmeldung der weiteren interessierten Kreise
Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz (KKPKS) heissen die Vorlagen grundsätzlich gut. Gemäss der KKPKS beinhalte der EU-Migrations- und Asylpakt verschiedene Massnahmen, die auch aus polizeioperativer Sicht sinnvoll seien. Die KKJPD unterstützt die mit dem EU-Pakt verfolgten Ziele der EU, die irreguläre Migration zu reduzieren, ausdrücklich. Beide machen jedoch geltend, dass gewisse Neuerungen einen Mehraufwand für die kantonalen Polizei- und Migrationsbehörden mit sich bringen würden. Gemäss der KKPKS stelle sich die Frage einer Entschädigung der Kantone durch den Bund. Die KKJPD weist darauf hin, dass bei der Umsetzung darauf zu achten sei, dass die Übernahme der neuen Regelungen mit anderen innerstaatlichen Arbeiten zur Verbesserung des Asylsystems (z. B. der Gesamtstrategie Asyl) koordiniert würden.
Ebenfalls begrüssen die Internationale Organisation für Migration (IOM), Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden (VKM), die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) und die Schweizerische Menschenrechtsinstitution (SMRI) die Übernahme des EU-Migrations- und Asylpakts. Die VKM begrüsst insbesondere, dass sich die Schweiz den Bemühungen der EU, die irreguläre Migration zu reduzieren, anschliesse. Die IOM begrüsst, dass sich die Schweiz durch die Übernahme des EU-Migrations- und Asylpakts für ein widerstandsfähigeres Migrations- und Asylsystem einsetze, das auch die Rechte von Menschen auf der Flucht schütze. Der EU-Migrations- und Asylpakt sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem umfassenderen Ansatz für die Steuerung der Migration in Europa. Die IOM ist der Ansicht, dass der EU-Migrations- und Asylpakt der Schweiz die Gelegenheit einräume, die technische Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Grenzverwaltung zu verbessern. Die SMRI äussert sich insbesondere zum Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung und begrüsst diesbezüglich ausdrücklich die Schaffung eines unabhängigen Überwachungsmechanismus. Sie ist aber auch der Ansicht, dass die Übernahme des EU-Migrations- und Asylpakts aus menschenrechtlicher Perspektive mehr Risiken als Chancen bringe und die strukturellen Fehlanreize des europäischen Migrations- und Asylsystems durch diese Reform eher verstärkt würden.
Kritisch eingestellt zum EU-Migrations- und Asylpakt sind Amnesty International Schweiz (AICH), AsyLex, Brava, FP (Flüchtlingsparlament), Justitia et Pax (J+P), Eidgenössische Migrationskommission (EKM), Ordre des avocats de Genève (ODAGE), Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), HEKS, Schweizerisches Rotes Kreuz (SRK), Caritas und SFH. Insbesondere wird kritisiert, dass die Reform vor allem auf Abschottung, Abschreckung und restriktive Grenzverfahren setze und zahlreiche Verschärfungen auf Kosten der Schutzsuchenden beinhalte (sinngemäss auch z. B. Caritas, J+P und Schweizer Bischofskonferenz). Gerade auch für FINTA-Personen (Frauen, intergeschlechtliche, nicht binäre, Trans- und Agender- Personen) habe dies drastische Auswirkungen. Insbesondere, da ihren Bedürfnissen und Rechten im Asylverfahren und in den Unterkünften bereits jetzt viel zu wenig Rechnung getragen werde (Brava). Der EU-Migrations- und Asylpakt löse die Herausforderungen an den Schengen-Aussengrenzen und die bestehenden Probleme im Migrations- und Asylbereich in Europa nicht. Er beinhalte dieselben strukturellen Defizite des derzeitigen Dublin-Systems und biete keine wirksame Lösung für die mangelnde Solidarität zwischen den europäischen Staaten. Dadurch steige der Druck auf die exponierten Staaten an den Schengen-Aussengrenzen (so auch u. a. SP, EVP, Brava, SFH, HEKS, FP und J+P). Wie auch die SP fordern weitere Vernehmlassungsteilnehmer (z. B. SFH, HEKS, FP, J+P und Schweizer Bischofskonferenz), dass der nationale Spielraum bei der Umsetzung des EU-Migrations- und Asylpakts genutzt werde, um die Solidarität mit Geflüchteten und ihren menschenrechtlich begründeten Ansprüchen in den Vordergrund zu stellen (so auch AICH, EKM, J+P, SRK und Schweizer Bischofskonferenz).
Das SRK begrüsst zwar das starke Engagement der Schweiz für eine solidarische und menschenrechtskonforme Umsetzung des EU-Migrations- und Asylpakts, dennoch beinhalte dieser einen sicherheitsorientierten und restriktiven Ansatz. Dies führe zu einem deutlich erhöhten Risiko von Menschenrechtsverletzungen und gefährde die Achtung der Menschenwürde. Gemäss AICH müsse der Schutz von Personen mit besonderen Bedürfnissen im Asyl- und Migrationssystem eine zentrale Rolle spielen und durch klare und verbindliche Massnahmen gewährleistet werden.
AsyLex lehnt die Übernahme der im EU-Migrations- und Asylpakt enthaltenen Verordnungen nicht grundsätzlich ab, da die Schengen-Assoziierung der Schweiz nicht gefährdet werden dürfe. Allerdings dürfe dies nicht zulasten der Menschenrechte gehen, und bei der Umsetzung im nationalen Recht seien die Menschenrechte und der Flüchtlingsschutz weiterhin zu wahren (sinngemäss auch EKM und ODAGE).
Die EKM empfiehlt, die Schwächen und Lücken im Asylsystem durch flankierende Massnahmen zu beheben (z. B. Schaffung von sicheren Zugangswegen wie der Wiederaufnahme des Resettlement-Programms, Ausstellen von Visa aus humanitären Gründen oder Einführung eines neuen Schutzstatus). Die EKM fordert, dass die Schweiz aufgrund ihres internationalen Status eine moralische und politische Führungsrolle in Bezug auf den Schutz verletzlicher Personen verkörpern müsse.
Auch J+P und Schweizer Bischofskonferenz kritisieren unter anderem, dass die Kernelemente der Reform unzulängliche Schnellverfahren an den EU-Aussengrenzen unter faktischen Haftbedingungen seien, wovon selbst Familien mit Kindern nicht ausgenommen würden. Der EU-Migrations- und Asylpakt schaffe ein System von Menschen mehrerer Klassen.
Die SFH kritisiert den Bundesrat für seine weitgehend unkritische Unterstützung der Reform und den Fokus auf Abschottung, Härte und Migrationsabwehr.
Gemäss Caritas sei verpasst worden, das bereits in den Dublin-Verordnungen existierende und problematische Konzept zu ersetzen, dass der Ersteinreisestaat für den Asylprozess zuständig sei. Dieses sei im Gegenteil sogar noch verstärkt worden und werde zu Mehraufgaben für die Staaten an der Schengen-Aussengrenze führen. Caritas fordert, dass die Schweiz nicht nur den Pflichtteil dieser Vorlage umsetze, sondern sich zudem zur Solidarität verpflichte und sich für faire Verfahren einsetze.
Die übrigen 18 interessierten Kreise (Bündnis Asyl, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, Demokratische Jurist*innen der Schweiz [DJS], Freiplatzaktion Basel [FPABS], Freiplatzaktion Zürich [FPAZH], elisa-asile, Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht [SBAA], Pikett Asyl, Solidarité sans frontières [sosf], Plattform «Zivilgesellschaft in Asyl-Bundeszentren» [ZiAB], Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration [FIZ], Plateforme Traite, Schweizer Bischofskonferenz, Stopexclusion, solidaritéS, collectif Solidarité Tattes und Centre social protestant [CSP]) lehnen die Verschärfungen für Schutzsuchende und die Übernahme des EU-Migrations- und Asylpakts und die für die Umsetzung notwendigen Gesetzesanpassungen daher ab.
2.5 Weitere, unabhängig vom EU-Migrations- und Asylpakt eingegangene Stellungnahmen
Zusätzlich zu den Bemerkungen zur Übernahme und Umsetzung des EU-Migrations- und Asylpakts wurden von den Parteien und interessierten Kreisen unter anderem die folgenden weiteren Anliegen vorgebracht:
2.5.1 Schaffung eines subsidiären Schutzstatus und Angleichung des Status S und F
AsyLex, EVP, die GRÜNEN, SP, HEKS, SFH, die Schweizer Bischofskonferenz, die FP, die FIZ, die J+P, ODAGE, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Pikett Asyl, sosf und CSP fordern eine Angleichung der Rechtsstellung von Personen mit einer vorläufigen Aufnahme an diejenige von Personen, die in der EU vom subsidiären Schutzstatus profitieren (vgl. Art. 20-36 der Qualifikationsverordnung). Damit sollen die betroffenen Personen einen einheitlichen, langfristigen humanitären Schutzstatus erhalten, auch wenn diese die Kriterien für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllen. Gemäss Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Pikett Asyl, sosf und CSP soll der Status «vorläufige Aufnahme» in «humanitärer Schutzstatus» umbenannt und den Betroffenen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Bezüglich des Familiennachzugs soll zudem eine dem Recht auf Achtung des Familienlebens und der übergeordneten Kindsinteressen angemessene Lösung gefunden werden (z. B. Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl und sosf).
Haltung des Bundesrates
In seinem Bericht «Vorläufige Aufnahme und Schutzbedürftigkeit: Analyse und Handlungsoptionen» vom 12. Oktober 2016 hat der Bundesrat die Rechtsgrundlagen und die Praxis zur vorläufigen Aufnahme und des vorübergehenden Schutzes umfassend dargelegt und mögliche Anpassungsvarianten vorgeschlagen 3⁰ . Dieser Bericht wurde im Parlament ausführlich diskutiert. In der Folge wurden zwei Motionen angenommen und mit der Änderung vom 17. Dezember 2021 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 3¹ über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG) umgesetzt (Einschränkungen für Reisen ins Ausland und Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme) 3² . Dabei wurde insbesondere der Kantonswechsel von vorläufig Aufgenommenen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erleichtert.
Ferner hat die Evaluationsgruppe Schutzstatus S in ihrem Bericht vom Juni 2024 die heutige Situation untersucht und drei mögliche Varianten für eine Neugestaltung der vorläufigen Aufnahme und des Schutzstatus S vorgeschlagen. 3³ Auch in diesem Bericht wird eine unterschiedliche Regelung je nach Grund für die Schutzbedürftigkeit zur Sprache gebracht. Der Bundesrat hat am 20. September 2024 von diesem Bericht Kenntnis genommen. Er erteilte dem EJPD den Auftrag, bis Ende Mai 2025 vertieft abzuklären, welche Angleichungen in der Rechtsstellung der Schutzsuchenden vorgenommen werden sollen, und einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen zu unterbreiten. Dabei sollen die vorläufige Aufnahme und der Schutzstatus S grundsätzlich beibehalten werden.
Bezüglich der Bezeichnung «humanitärer Schutzstatus» verweist der Bundesrat auf seine Ausführungen in der Botschaft zur Änderung des AIG (Einschränkungen für Reisen ins Ausland und Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme) vom 26. August 2020. Er hält dort fest, dass diese Bezeichnung für die Gründe der Unmöglichkeit und der Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs bei einer Anordnung der vorläufigen Aufnahme rechtlich nicht korrekt ist. ³4
Vor diesem Hintergrund besteht keine Notwendigkeit, im Rahmen der vorliegenden Vorlagen die vorläufige Aufnahme und den Schutzstatus S anzupassen.
3⁰ www.sem.admin.ch > Publikationen und Service > Berichte > Vorläufige Aufnahme und Schutzbedürftigkeit.
3¹ SR 142.20
3² AS 2024 188
3³ www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Schutzstatus S bewährt sich gemäss Evaluationsgruppe > Bericht.
³4 BBl 2020 7457 , 7471
. Übernahme der Aufnahmerichtlinie, der Daueraufenthaltsrichtlinie und der EU-Resettlement-Verordnung
Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Pikett Asyl, sosf und die GRÜNEN schlagen vor, dass die Schweiz gewisse Bestimmungen der Aufnahmerichtlinie (Art. 17-20, 22 und 24-28) und der Daueraufenthaltsrichtlinie (Art. 4 und 5) ins nationale Recht übernimmt und sich an der Resettlement-Verordnung beteiligt (sinngemäss auch SRK und UNHCR). Zudem solle die Schweiz das nationale Resettlement-Programm wieder aufnehmen, ihre sehr restriktive Vergabe von humanitären Visa anpassen und Familienzusammenführungen erleichtern. Auch CSP schlägt vor, das Schweizer Recht mit den europäischen Standards zu harmonisieren. Das UNHCR empfiehlt, zumindest eine Ermächtigungsnorm auf Gesetzesstufe aufzunehmen, die es dem Bundesrat ermögliche, am EU-Resettlement-Programm teilzunehmen.
Haltung des Bundesrates
Die Daueraufenthaltsrichtlinie ³5 regelt den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen (Personen, die nicht EU-Bürgerinnen und -Bürger oder deren Angehörige sind), die sich seit mehr als fünf Jahren rechtmässig in der EU aufhalten. Durch die Änderungsrichtlinie vom 11. Mai 2011 ³6 wurde der Anwendungsbereich der Daueraufenthaltsrichtlinie ausgedehnt auf Personen, die internationalen Schutz geniessen. Die Daueraufenthaltsrichtlinie ist nicht Bestandteil des EU-Migrations- und Asylpakts.
Die neue Aufnahmerichtlinie regelt die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in den EU-Mitgliedstaaten. Sie ist zwar Bestandteil des EU-Migrations- und Asylpakts, gehört aber nicht zum Schengen-/Dublin-Besitzstand und ist deshalb für die Schweiz nicht verbindlich. Eine Umsetzung dieser für die Schweiz nicht verbindlichen Richtlinien geht weit über die zentralen Themen des EU-Migrations- und Asylpakts hinaus. Eine Angleichung des Schweizer Rechts an diese EU-Richtlinien erachtet der Bundesrat deshalb derzeit als nicht angezeigt.
Um der starken Belastung des Schweizer Asylsystems in den Bereichen Unterbringung und Betreuung Rechnung zu tragen, hat das EJPD per 1. April 2023 auf Empfehlung des Sonderstabs Asyl und in Absprache mit den Kantonen die Aufnahme von Flüchtlingsgruppen im Rahmen des Resettlement-Programms suspendiert. Gestützt auf den Bundesratsbeschluss vom 29. Mai 2019 für eine Verstetigung der Resettlement-Politik haben sich die Mitglieder der Begleitgruppe trotz der Suspendierung zugunsten des Vorschlags des EJPD für ein Programm 2024/2025 ausgesprochen. So genehmigte der Bundesrat im Juni 2023 das Resettlement-Programm 2024/25, das die Aufnahme von bis zu 1600 besonders vulnerablen Flüchtlingen ermöglicht. Die Aktivierung und die Umsetzung dieses Programms können jedoch nur in Absprache mit den Kantonen und Gemeinden erfolgen und unter der Bedingung, dass sich die Situation in Bezug auf die Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden entspannt hat. Das EJPD beobachtet die Situation im Asylbereich fortlaufend und evaluiert regelmässig, ob die Voraussetzungen für eine Reaktivierung des Resettlement-Programms erfüllt sind.
Da das nationale Resettlement-Programm derzeit ausgesetzt ist, sieht der Bundesrat zurzeit von einer freiwilligen Beteiligung am europäischen Rechtsrahmen ab und zieht es vor, den Bemühungen im Rahmen des Solidaritätsmechanismus den Vorrang einzuräumen. Er ist aber offen dafür, die EU-Resettlement-Verordnung zu einem späteren Zeitpunkt eingehend zu prüfen und dabei die Erfahrungen anderer Mitgliedstaaten mit dieser Verordnung zu berücksichtigen. Entsprechend erachtet er eine Delegationsklausel, die es ihm ermöglichen würde, über eine Beteiligung am EU-Resettlement-Rahmen zu entscheiden, zum heutigen Zeitpunkt als nicht angezeigt.
Humanitäre Visa sind ein Instrument für spezifische Einzelfälle und kein Instrument für die Einreise einer grossen Anzahl von Personen in Krisensituationen. Auch handelt es sich dabei um keinen Ersatz für das Resettlement-Programm. Ein humanitäres Visum kann dann erteilt werden, wenn bei einer Person offensichtlich davon ausgegangen werden muss, dass sie im Heimat- oder Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist (Art. 4 Abs. 2 der Verordnung vom 15. August 2018 ³7 über die Einreise und die Visumerteilung [VEV]). Die betroffene Person muss sich in einer besonderen Notsituation befinden, die ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich macht und die Erteilung eines Einreisevisums rechtfertigt. Bei der Prüfung des Visumgesuchs können neben der aktuellen Gefährdung, der persönlichen Verhältnisse und der Lage im Heimat- oder Herkunftsstaat auch weitere Kriterien mitberücksichtigt werden (z. B. das Bestehen von Bindungen zur Schweiz, die hier bestehenden Integrationsaussichten oder die Unmöglichkeit, in einem anderen Land um Schutz nachzusuchen).
Das SEM hat im Rahmen eines Studienprojekts unter Einbezug einer Begleitgruppe analysiert, welche Instrumente ergänzend zum Resettlement zur Verfügung stehen, um Menschen auf der Flucht Schutz in der Schweiz zu gewähren. Dazu hat es einen Ländervergleich in Auftrag gegeben und geprüft, inwieweit die im Ausland existierenden Zugangswege mit dem schweizerischen Recht vereinbar wären. Im Rahmen dieser Studie hat das SEM festgestellt, dass die Schweiz die meisten der international eingesetzten Instrumente mit Ausnahme des «Private Sponsorship Programme» und der humanitären Korridore bereits anwendet. Der Bundesrat weist darauf hin, dass in der Schweiz ausschliesslich der Bund für die direkte Aufnahme von Flüchtlingen zuständig ist. Eine Verlagerung dieser Kompetenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingsgruppen würde weitreichende gesetzliche und finanzielle Anpassungen erfordern. Zusätzlich wären politische Vereinbarungen zwischen Kantonen, Städten und Gemeinden notwendig. Die Studie zeigt zudem auf, dass die Schweiz mit der Möglichkeit, überall auf der Welt ein humanitäres Visum zu beantragen, weiter geht als andere Aufnahmestaaten.
³5 Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, ABl. L 16 vom 23.1.2004, S. 44.
³6 Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates zur Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auf Personen, die internationalen Schutz geniessen Text von Bedeutung für den EWR, ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1.
³7 SR 142.204
2.5.2 Streichung der Möglichkeit zur Rückforderung und zum Verzicht der Ausrichtung von Pauschalabgeltungen
FP, FIZ, Plateforme Traite, die GRÜNEN, SP, SFH und HEKS schlagen die Streichung von Artikel 89 b des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 ³8 (AsylG) vor. Damit sollen stossende Überstellungspraxen verhindert und den Kantonen mehr Spielraum eingeräumt werden, Überstellungspraxen human umzusetzen.
Haltung des Bundesrates
Artikel 89 b AsylG ermöglicht es dem Bund, im Interesse eines effizienten Vollzugs von Wegweisungen von den entsprechenden Bundessubventionierungen abzusehen. Es ist wichtig, dass die Wegweisung von Personen, deren Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt wurde und die die Schweiz verlassen müssen, effektiv vollzogen werden kann. Wird diese wichtige Aufgabe schuldhaft nicht oder nur mangelhaft erfüllt, so ist es gerechtfertigt, entsprechende Sanktionsmassnahmen vorzusehen. Der Bundesrat lehnt daher dieses Anliegen ab.
³8 SR 142.31
3 Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der AMMR-Verordnung und der Krisenverordnung
3.1 Ausgangslage
3.1.1 Handlungsbedarf und Ziele
Die Dublin-Zusammenarbeit basiert auf dem Grundsatz, dass jedes Asylgesuch, das im Dublin-Raum gestellt wird, auch effektiv geprüft wird und nur ein Staat für die Behandlung eines bestimmten Asylgesuchs zuständig ist. Die Dublin-Kriterien legen fest, welcher Dublin-Staat für die Prüfung eines Asylgesuchs zuständig ist.
Diese Kriterien haben auch zum Ziel, missbräuchlichen Mehrfachgesuchen (sog. «asylum shopping») vorzubeugen. Zudem soll verhindert werden, dass sich kein Staat für Asylsuchende als zuständig erklärt (sog. «refugees in orbit»).
Letztmals wurde das Dublin-System 2013 reformiert. Damals ersetzte die Dublin III-Verordnung die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ³9 (Dublin II-Verordnung), die von der Schweiz mit der Unterzeichnung des DAA übernommen worden war. Die Grundprinzipien des Dublin-Systems blieben damals unangetastet. Die Dublin III-Verordnung führte zu verschiedenen Anpassungen in Bezug auf die Funktionsweise des Dublin-Systems (u. a. Einführung neuer Fristen, Einführung neuer Haftbestimmungen, Stärkung der Rechtsweggarantien, Zusammenführung von «abhängigen» Familienangehörigen).
Im Jahr 2016 schlug die Europäische Kommission ein Reformpaket des GEAS vor, das aus sieben Gesetzgebungsvorschlägen bestand:
-
Neufassung der Dublin III-Verordnung 4⁰ ;
-
Neufassung der Eurodac-Verordnung 4¹ ;
-
Verordnung über die Asylagentur der Europäischen Union 4² ;
-
Asylverfahrensverordnung 4³ ;
-
Anerkennungsverordnung 4⁴ ;
-
Neufassung der Richtlinie über Aufnahmebedingungen ⁴5 ;
-
Verordnung über den Neuansiedlungsrahmen der Union ⁴6 .
Im September 2018 legte die Europäische Kommission zudem einen geänderten Vorschlag für eine Verordnung über die Asylagentur der Europäischen Union ⁴7 vor.
Obwohl eine vorläufige politische Einigung bei gewissen Vorschlägen gelang, konnten sich die Dublin-Staaten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen, und die Verhandlungen gerieten ins Stocken. Eine Einigung auf die gesamte Reform konnte nicht gefunden werden.
Um diese Blockade zu beenden, zog die Europäische Kommission den Vorschlag aus dem Jahr 2016 zur Revision der Dublin III-Verordnung zurück und publizierte am 23. September 2020 einen neuen Vorschlag zu einem EU-Migrations- und Asylpakt ⁴8 .
Der EU-Migrations- und Asylpakt baute auf den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Reform des GEAS aus den Jahren 2016 und 2018 auf und übernahm teilweise Legislativvorschläge daraus. Durch ihn wurde die Dublin III-Verordnung aufgehoben und mit der AMMR-Verordnung ersetzt.
Die neue AMMR-Verordnung legt einen gemeinsamen Rahmen für ein europäisches Asyl- und Migrationsmanagement fest. Der neue Solidaritätsmechanismus, der für die Schweiz nicht verbindlich ist, sieht gegenseitige Unterstützungsmassnahmen für EU-Mitgliedstaaten vor, wenn diese von einer überdurchschnittlich hohen Anzahl neu ankommender Migrantinnen und Migranten betroffen sind. Zudem soll die AMMR-Verordnung das System zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats verbessern, indem beispielsweise die Fristen für das Stellen und Beantworten von Gesuchen beträchtlich verkürzt werden. Ferner werden die Asylsuchenden dazu verpflichtet, ihr Gesuch im Dublin-Staat der ersten Einreise oder des rechtmässigen Aufenthalts zu stellen und in dem als zuständig bestimmten Dublin-Staat zu bleiben. Sollte die betroffene Person ihr Asylgesuch nicht im Staat der Erstregistrierung einreichen, so kann sie mit verhältnismässigen Konsequenzen bezüglich der sogenannten Aufnahmebedingungen (Leistungen im Aufenthaltsstaat) rechnen. Mit dieser Regelung soll die Sekundärmigration innerhalb des Dublin-Raums eingeschränkt und Asylmissbrauch verhindert werden.
Die neue Krisenverordnung schafft einen strukturierten, allgemeinen Ansatz zur Bewältigung von Krisensituationen, um Ad-hoc-Reaktionen einzelner EU-Staaten zu vermeiden. Sie enthält Verfahrensvorschriften und Ausnahmeregelungen zu AMMR-Bestimmungen und ermöglicht dadurch auch eine rasche Aktivierung von Solidaritätsmassnahmen, die in der AMMR-Verordnung geregelt sind, zugunsten eines oder mehrerer EU-Staaten, um auf Krisensituationen zügig reagieren zu können.
Die AMMR-Verordnung und die Krisenverordnung wurden der Schweiz am 17. Mai 2024 als Weiterentwicklungen des Dublin-/Eurodac-Besitzstands notifiziert. Der Bundesrat hat die Notenaustausche zur Übernahme der beiden EU-Verordnungen am 14. August 2024 unter Vorbehalt der parlamentarischen Genehmigung gutgeheissen. Die entsprechende Antwortnote wurde der EU am gleichen Tag übermittelt.
³9 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50 vom 25.2.2003, S. 1 (vgl. Art. 1 DAA).
4⁰ COM(2016) 270 final
4¹ COM(2016) 194 final
4² COM(2016) 271 final
4³ COM(2016) 467 final
4⁴ COM(2016) 466 final
⁴5 COM(2016) 465 final
⁴6 COM(2016) 468 final
⁴7 COM(2018) 633 final
⁴8 COM(2020) 610 final
3.1.2 Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis
Anders als bei der Schengen-Zusammenarbeit sieht das DAA keine Beteiligung der Schweiz an den Beratungen im Rat der EU vor. Gestützt auf Artikel 2 DAA können Sachverständige der Schweiz lediglich im Hinblick auf die Ausarbeitung eines Kommissionsvorschlags einbezogen werden. Eine Beteiligung an den Beratungen neuer Rechtsakte ist vertraglich nicht vorgesehen (Art. 2 Abs. 1, 2 und 6 DAA). Nachdem die Europäische Kommission ihren Vorschlag präsentiert hatte, konnte sich die Schweiz jedoch dazu - sowie zu möglichen Umsetzungsfragen - im Rahmen des Gemischten Ausschusses, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Europäischen Kommission, der Mitgliedstaaten und der Schweiz, äussern (Art. 2 Abs. 3 bzw. Art. 3 Abs. 4 DAA). So konnte die Schweiz Stellung nehmen und Anregungen einbringen. Über ein Stimmrecht verfügt die Schweiz jedoch nicht (vgl. Art. 5 Abs. 1 DAA).
Im September 2020 stellte die Europäische Kommission den Vorschlag für die AMMR-Verordnung als Teil des EU-Migrations- und Asylpakts vor. Die Beratungen über den Vorschlag zur AMMR-Verordnung wurden in der Ratsarbeitsgruppe «Asyl» des Rats, im Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER), im Strategischen Ausschuss für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen (SCIFA) und im Rat der EU-Innenministerinnen und -Innenminister beraten. Die Schweiz und die anderen assoziierten Staaten waren lediglich in den Diskussionen auf Ministerebene direkt vertreten. Die jeweilige Präsidentschaft informierte jedoch regelmässig im Rahmen informeller Sitzungen über den Stand der Verhandlungen in den Arbeitsgruppen.
Besonders intensiv zwischen den Mitgliedstaaten diskutiert wurde der in der AMMR-Verordnung geregelte Solidaritätsmechanismus als Ausgleich zu den in der Asylverfahrensverordnung geregelten Asylgrenzverfahren und die damit verbundene Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten an den EU-Aussengrenzen. Das EU-Parlament verabschiedete das Verhandlungsmandat für die AMMR-Verordnung am 20. April 2023, während im Rat der EU eine entsprechende Einigung am 8. Juni 2023 erreicht wurde.
Am 23. September 2020 stellte die Europäische Kommission auch eine Verordnung zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl ( Krisenverordnung ) vor. Im Kontext der Instrumentalisierung von Migration durch Belarus an den Grenzen zu Polen, Litauen und Lettland erarbeitete die Europäische Kommission im Dezember 2021 einen Vorschlag für eine Verordnung mit Massnahmen für einen geordneten und grundrechtskonformen Umgang mit dieser Situation. ⁴9 Im Januar 2023 schlug die Europäische Kommission vor, die Verordnung für Krise und höhere Gewalt mit der Verordnung betreffend Instrumentalisierung zusammenzuführen. Am 4. Oktober 2023 verabschiedete der Rat das Verhandlungsmandat zur Krisenverordnung, die auch die relevanten Bestimmungen zum Umgang mit instrumentalisierter Migration beinhaltete.
Die Beratungen der Krisenverordnung erfolgten in denselben Gremien, wie die der AMMR-Verordnung. Die Schweiz konnte im Rahmen ihres Mitspracherechts erwirken, dass im Krisenfall auch die assoziierten Staaten von längeren Fristen bzw. einem schnelleren Übergang der Zuständigkeit im Dublin-Verfahren profitieren können.
Der Trilog mit dem EU-Parlament erfolgte im Paketansatz; das heisst, die Überprüfungsverordnung, die Eurodac-Verordnung, die AMMR-Verordnung, die Asylverfahrensverordnung und die Krisenverordnung wurden zeitgleich verhandelt und das Gesamtpaket wurde erst verabschiedet, nachdem zu allen zehn Rechtstexten des EU-Migrations- und Asylpakts eine Einigung erzielt werden konnte. Am 20. Dezember 2023 gelang der EU-Ratspräsidentschaft diese Einigung mit dem EU-Parlament. Der erzielte Kompromiss wurde vom Plenum des Europäischen Parlaments am 10. April 2024 und vom Ministerrat am 14. Mai 2024 gebilligt. Die formelle Verabschiedung der EU-Verordnungen folgte am 14. Mai 2024 mit der Unterzeichnung des Rechtsakts durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates der EU.
Die AMMR-Verordnung und die Krisenverordnung wurden der Schweiz am 17. Mai 2024 als Weiterentwicklungen des Dublin-/Eurodac-Besitzstands notifiziert.
⁴9 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bewältigung von Situationen der Instrumentalisierung im Bereich Migration und Asyl, COM/2021/810 final.
3.2 Vernehmlassungsverfahren
3.2.1 Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse
3.2.1.1 Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs betreffend die Übernahme der AMMR-Verordnung
Die Vorlage wird von den Kantonen mehrheitlich begrüsst. Insbesondere GL weist darauf hin, dass die Kantone bei der Umsetzung in die Entscheidungsprozesse sachgerecht miteinbezogen werden sollten. BE begrüsst die Bemühungen zur Beschleunigung der Dublin-Verfahren grundsätzlich. Die beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung hänge neben den Rechtsgrundlagen jedoch im Wesentlichen davon ab, wie effizient die einzelnen Mitgliedstaaten die Bestimmungen umsetzen würden. Ein erfolgreicher Dublin-Vollzug könne nur funktionieren, wenn sich alle Behörden im In- und Ausland konsequent an die rechtlichen Vorgaben halten. Der Kanton BS begrüsst insbesondere die Verlängerung der Frist zur Überstellung an den zuständigen Dublin-Staat von 18 Monaten auf drei Jahre, wenn die asylsuchende Person während des Dublin-Verfahrens untertaucht.
Eine deutliche Mehrheit der Kantone begrüsst zudem insbesondere den neuen Haftgrund «Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung» bei der Dublin-Haft und die neue Verwendung des Begriffs «Fluchtgefahr» in der AMMR-Verordnung. Der entsprechende Ermessenspielraum der zuständigen Behörden solle ausgeweitet werden. Die Verkürzung der Haftdauer bei der Dublin-Haft wird aufgrund des dadurch entstehenden erheblichen Zeitdrucks kritisiert.
Die Mitte und die FDP begrüssen die EU-Verordnung. Die schweizerische Migrationslage hänge gemäss der Mitte zu einem erheblichen Teil von der Lage in den umliegenden Staaten ab. So habe es in der Vergangenheit teilweise Schwierigkeiten bei den Dublin-Überstellungen gegeben, da die Übernahmestaaten sich mit einem erhöhten Migrationsdruck konfrontiert sahen. Die Mitte ist sich bewusst, dass es weiterhin zu solchen Situationen kommen könne. Mit den überarbeiteten Zuständigkeitsregeln, der neuen Krisenverordnung und dem neuen Solidaritätsmechanismus sei jedoch ein Rahmen vorgesehen, der solche Situationen in Zukunft abfedern sollte.
Die FDP fordert eine konsequente Anwendung der Dublin-Verordnung, um die Rückführung von Asylsuchenden, die bereits in einem anderen Dublin-Staat ein Gesuch eingereicht haben, zu gewährleisten. Darüber hinaus sollten Drittstaaten, die sich weigern, abgewiesene Personen zurückzunehmen, stärker unter Druck gesetzt werden.
Die SP, EVP und die GRÜNEN stehen der Vorlage kritisch gegenüber. Die SVP lehnt die Tonaufnahmen aufgrund des Verwaltungsaufwands ab. Auch die Mehrheit der interessierten Kreise äussert sich kritisch.
Von den Parteien (EVP, SP und die GRÜNEN) und interessierten Kreisen, die allen Vorlagen kritisch gegenüberstehen oder diese ablehnen, sowie vom SGB wurden insbesondere folgende Anliegen vorgebracht: Unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) seien im Dublin-Verfahren grundsätzlich nicht zu überstellen. In Bezug auf die Dublin-Haft werden die neuen Haftgründe, die vorgesehene Dublin-Vorbereitungshaft von vier Wochen, die unzureichende Begründung der Haft und deren Dauer, die Haftanordnung und die Inhaftierung von Kindern und ihren Eltern kritisiert. Gefordert werden eine unentgeltliche Rechtsvertretung, eine regelmässige Haftüberprüfung von Amtes wegen, ein Einsichtsrecht und das Recht zur Verwendung der Tonaufnahmen als Beweismittel. Ausserdem solle die Definition «Familie» im AIG und im AsylG harmonisiert werden. Zudem müssten sich Asylsuchende gegen die Tonaufnahme aussprechen können. Neu seien auch Asylanhörungen auf Ton aufzuzeichnen und klare Kriterien festzulegen, wann ein Selbsteintritt zwingend geboten sei. Ebenfalls wird die Einschränkung der zulässigen Beschwerdegründe mehrheitlich abgelehnt. Schliesslich sei die Beschwerdefrist im Dublin-Verfahren auf drei Wochen zu verlängern.
Die SP hält fest, dass die bisherigen Vorgaben an einigen Stellen zwar verbessert würden, die AMMR-Verordnung insgesamt jedoch eine Verschlechterung für die Rechte der asylsuchenden Personen darstelle. Gemäss Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl und sosf sind die Änderungen für die Asylsuchenden überwiegend negativer Natur und würden teilweise zu erheblichen Nachteilen gegenüber der heutigen Regelung führen.
SolidaritéS kritisiert insbesondere die Dublin-Rückführungen, die auf UMA ausgeweitet würden, die verlängerten Fristen für die Durchführung von Überstellungen im Allgemeinen sowie jene bei Krankheit und die verlängerte Dauer der Administrativhaft. Solidarité Tattes kritisiert zusätzlich die Rückführung von Kindern und lehnt die Übernahme und Umsetzung des EU-Migrations- und Asylpakts ab. Sie erwarte vom Bundesrat, dass er eine Wende hin zu einer echten Asylpolitik vollziehe, beispielsweise durch die Abschaffung der Bundesasylzentren (BAZ), der beschleunigten Rückführungsverfahren (insbesondere Dublin) und der F-Bewilligungen.
Das UNHCR bedauert, dass sich die Mitgliedstaaten nicht auf eine grundsätzliche Reform des Dublin-Systems einigen konnten und die Verantwortung für die Durchführung des Asylverfahrens weiterhin im Wesentlichen bei den EU-Mitgliedstaaten an den Aussengrenzen verbleibe. Der neu eingeführte Solidaritätsmechanismus bringe hoffentlich Entlastung, reiche aber möglicherweise nicht aus, um die Effizienz des Dublin-Systems sicherzustellen. Die enormen Kosten dieses komplexen Systems der Zuständigkeitsverteilung und die entsprechenden Einschränkungen für die betroffenen Asylsuchenden liessen sich nur dann rechtfertigen, wenn eine gerechte und effektive Verantwortungsteilung erzielt werden könne.
AsyLex ist der Ansicht, dass die Verwendung des Begriffs «Management» in Zusammenhang mit Asyl und Migration problematisch und euphemistisch sei. Die Vorstellung, Asyl und Migration liessen sich wie ein administrativer Ablauf steuern, verkenne die Realität sowie die historischen Erfahrungen mit Migration. Im Mittelpunkt solle nicht die Steuerung von Fluchtbewegungen stehen; vielmehr solle der Fokus darauf gelegt werden, fairere und effizientere Verfahren koordiniert zu implementieren, um dem Schutz der Menschenrechte und dem Asylrecht gerecht zu werden.
Die Überprüfung von Tonaufzeichnungen könne gemäss BVGer zu einem Mehraufwand führen. Bezüglich der Einschränkung der Beschwerdegründe weist das BVGer darauf hin, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle nicht den neuen Regelungen entspreche. Hinsichtlich der Ordnungsfrist zur Behandlung von Beschwerden wird eine Frist von einem Monat beantragt. Ferner soll in Dublin-Fällen nach dem AIG das BVGer im Einzelrichterverfahren entscheiden können.
3.2.1.2 Solidaritätsmechanismus
Die KKJPD und der Kanton BL befürworten eine Beteiligung der Schweiz am Solidaritätsmechanismus der EU. Die KKJPD fordert, dass die Kantone in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden. Dieses Anliegen wird auch von der Mehrheit der Kantone (z. B. AG, AR, BE, BS, GE, NE, SH, SG, SO, TI, UR und ZG) vorgebracht. Dies sei im Gesetz explizit festzuhalten. Die IOM unterstreicht die Bedeutung der Beiträge der Schweiz am Solidaritätsmechanismus. Mit diesen würden die am stärksten von Migrationsströmen betroffenen Länder an den Schengen-Aussengrenzen entlastet und ein reibungsloses Funktionieren des Dublin-Systems gewährleistet.
In Bezug auf den Solidaritätsmechanismus steht der Kanton BE einer Beteiligung unter anderem angesichts der finanziell angespannten Situation des Bundeshaushalts sowie der meisten Kantonshaushalte kritisch gegenüber. Gewisse Kantone fordern eine finanzielle Beteiligung des Bundes, sollte sich die Schweiz am Solidaritätsmechanismus beteiligen (z. B. BE und GE). GE spricht sich gegen eine Beteiligung aus, sofern der Einbezug der Kantone und die finanzielle Unterstützung nicht erfolge.
Die Mitte befürwortet den Solidaritätsmechanismus im Grundsatz. Sie ist der Ansicht, dass es aufgrund der ungleichen Exposition sowie Belastung der EU-Staaten in Bezug auf die irreguläre Migration eine Art Ausgleichsmechanismus innerhalb der EU brauche. Die Mitte spricht sich im Grundsatz dafür aus, dass sich die Schweiz am Solidaritätsmechanismus beteilige und sich mit stark belasteten Staaten, insbesondere an den Aussengrenzen, solidarisch zeige. Dies unter der Voraussetzung, dass diese Staaten ihren Verpflichtungen nachgekommen seien. Die Mitte begrüsst jedoch auch, dass sich die Schweiz jeweils im Hinblick auf eine konkrete Situation und unter Berücksichtigung der inländischen Migrationslage punktuell für oder gegen eine Teilnahme bzw. die Form der Teilnahme am Solidaritätsmechanismus entscheiden könne.
Von den übrigen Parteien (EVP, SP und die GRÜNEN) und interessierten Kreisen werden insbesondere folgende Forderungen vorgebracht: Es sei eine systematische, langfristige und gesetzlich geregelte Beteiligung erforderlich. Zwar solle der neue Solidaritätsmechanismus zu einer gerechteren «Verteilung» Asylsuchender auf die Mitgliedstaaten beitragen, dieser sehe jedoch keine verbindliche Übernahme von Asylsuchenden vor. Er eröffne vielmehr die Möglichkeit eines Freikaufens von der Verantwortung, wobei die so generierten finanziellen Mittel zur weiteren Abschottung Europas an den Aussengrenzen beitragen würden (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Pikett Asyl und sosf). Auch J+P kritisiert, dass der Pakt es den Mitgliedstaaten ermögliche, sich von der Verteilung von Verantwortung loszukaufen. Solidarität solle einzig die Übernahme von asylsuchenden Personen umfassen. Finanzbeiträge sollten lediglich zur Verbesserung nationaler Aufnahmesysteme, für Verbesserungen beim Zugang zum Rechtsschutz sowie für Integrationsmassnahmen dienen, und nicht zur Grenzsicherung. Auch sollten reguläre Zugangswege geschaffen werden, unter anderem durch die Wiederaufnahme des Resettlement-Programms, die Anpassung der restriktiven Vergabe von humanitären Visa und eine Ausweitung des Familienbegriffs. Die SVP lehnt die Teilnahme am Solidaritätsmechanismus als Ganzes aufgrund der aktuellen Finanzlage des Bundes entschieden ab. Die FDP lehnt spezifisch die Aufnahme von Asylsuchenden über den Solidaritätsmechanismus ab.
3.2.1.3 Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs betreffend die Übernahme der Krisenverordnung
GE weist darauf hin, dass jeder Kanton in der Lage sein müsse, solche Krisen zu antizipieren. Es brauche eine enge Zusammenarbeit mit dem Bund und den Einbezug der Kantone. Auch sei die Koordination mit dem SEM zu verstärken, und ein ständiger Dialog mit den Nachbarstaaten sei notwendig. NW weist darauf hin, dass die unter der Krisenverordnung vorgesehenen Abweichungen nicht als Automatismus ausgestaltet werden dürfen.
Von den Parteien haben die EVP, SP und die GRÜNEN zu dieser Vorlage Stellung genommen. Von diesen und den interessierten Kreisen, die allen Vorlagen kritisch gegenüberstehen oder diese ablehnen, wurden in Bezug auf die Krisenverordnung insbesondere folgende Anliegen vorgebracht: Es solle auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe festgelegt werden, dass die Schweiz in Krisensituationen nach Ermessen auf Asylgesuche der betroffenen Personen eintrete. Die Schweiz dürfe in keinem Fall von den Mindeststandards für asylsuchende Personen abweichen. Selbst wenn Migration als Druckmittel gegen die EU verwendet werden sollte, müsse davon ausgegangen werden, dass es sich bei den betroffenen Personen um schutzsuchende Menschen handle. Die Verlängerung der regulären Überstellungsfrist in Krisensituationen führe zu deutlich längeren Wartezeiten für Asylsuchende, zu mehr Unsicherheit und zu einer verzögerten Integration (SP, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Pikett Asyl und sosf). Gleichzeitig würden in bestimmten Fällen Überstellungen in Dublin-Staaten, in denen eine Krise herrsche, völlig ausgesetzt. Schliesslich wird von gewissen interessierten Kreisen die Erarbeitung einer nationalen Strategie zur Prävention und Reaktion in Krisensituationen verlangt. Obschon die FIZ die Verabschiedung des EU-Migrations- und Asylpakts nicht unterstützt, teilt sie die Analyse des Bundesrates, dass es nicht zielführend sein könne, wenn Aussengrenzstaaten nicht adäquat unterstützt und deshalb unilateral von ihren Verpflichtungen aus dem Pakt abweichen würden.
3.2.2 Würdigung der Vernehmlassungsergebnisse
3.2.2.1 Überstellung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden
Neu ist nicht mehr der Dublin-Staat für die Behandlung der Asylgesuche von UMA zuständig, in dem sie sich aufhalten, sondern der Staat der ersten Einreise, sofern dies dem Kindeswohl entspricht. Aufgrund dieser Neuerung ergeben sich aus Sicht des Kantons AG und der VKM Fragen in Bezug auf den Informationsfluss der bereits getätigten Kindeswohlabklärungen. Auch weist AG darauf hin, dass die kindesgerechte Gestaltung einer Rückführung bei den Migrationsbehörden und allfälligen Begleitpersonen zu einem erheblichen Mehraufwand führe.
Viele Vernehmlassungsteilnehmer fordern, dass auf eine Überstellung von UMA generell verzichtet werde, da dies der Rechtsprechung des EuGH, den UN-Kinderrechten und dem Kindeswohl widerspreche. Sie kritisieren die neue Beweislastumkehr bei der Beurteilung des Kindeswohls (AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, SP, EVP, SFH, HEKS, SRK und CSP). Das SEM solle im Rahmen des Selbsteintritts diese Asylgesuche weiterhin selbst prüfen, sofern der Verbleib dem übergeordneten Kindeswohl entspreche. Es solle eine entsprechende Regelung auf Verordnungsstufe aufgenommen werden. Der Spielraum des Selbsteintritts solle zudem insbesondere für vulnerable Personen mehr genutzt werden (hierzu AsyLex, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, FIZ, Plateforme Traite und Caritas).
Gemäss dem UNHCR sollen auf Verordnungsstufe Ausführungsbestimmungen aufgenommen werden, insbesondere bezüglich der Durchführung von adäquaten Kindeswohlprüfungen im Einzelfall sowie deren Berücksichtigung bei Entscheiden über die Zuständigkeit. Um Verbesserungen zu erreichen, seien die Erarbeitung und Implementierung von spezifischen Abklärungsverfahren, entsprechende Schulungen durch Fachleute und allenfalls auch der Einbezug von Kindesschutzspezialisten notwendig. AICH fordert zusätzlich einen umfassenden Zugang zu rechtlichen Beschwerdemöglichkeiten für UMA.
Haltung des Bundesrates
Das SEM ist derzeit daran, in einem Projekt die neuen Abläufe im Dublin-Verfahren, welche die Umsetzung des EU-Migrations- und Asylpakts mit sich bringen, zu prüfen und wo notwendig anzupassen. Dabei wird auch ein Augenmerk auf den Umgang mit UMA gelegt.
Bereits heute sieht das AsylG vor, dass UMA eine Vertrauensperson zur Seite gestellt wird (Art. 17 AsylG). Eine entsprechende Bestimmung besteht auch im heutigen AIG (Art. 64 a ). Das Kindeswohl wird bei der Zuständigkeitsprüfung und im Wegweisungsverfahren schon heute vorrangig berücksichtigt, und durch den EU-Migrations- und Asylpakt wird ihm verstärkt Rechnung getragen (insb. Art. 23 der AMMR-Verordnung).
Der Bundesrat erinnert jedoch daran, dass das Kindeswohl allein keinen Aufenthaltsanspruch in der Schweiz zu begründen vermag. Dem Kindeswohl ist immer im Rahmen einer Gesamtbeurteilung unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens Rechnung zu tragen. Dies gilt sowohl bei der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch beim Vollzug der Wegweisung nach einem rechtskräftigen ablehnenden Asylentscheid. Auch bei Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen berücksichtigen die zuständigen Behörden nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit die kinderspezifischen Wegweisungshindernisse und prüfen die Zulässigkeit, die Zumutbarkeit und die Möglichkeit eines allfälligen Wegweisungsvollzugs.
3.2.2.2 Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft im Dublin-Verfahren
Die Kantone begrüssen explizit die Einführung des zusätzlichen Haftgrunds «Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung» (so AG, BL, BS und OW) und regen gemeinsam mit der VKM, der KKJPD sowie der KKPKS an, dass dieser möglichst grosszügig ausgelegt werde (AG, AR, BL, BS, GL, GR, NW, SH, SO, TG, TI, UR und ZH). Für die Kantone wäre es wichtig, dass dieser Haftgrund insbesondere auch bei Personen zur Anwendung gelangen würde, die das System und die Gesellschaft mit ihrer wiederkehrenden Kleinkriminalität vor grosse Herausforderungen stellen.
Die Anpassung des Haftgrunds «Fluchtgefahr» in der AMMR-Verordnung wird von den Kantonen ebenfalls explizit begrüsst (AG, BS, KKPKS und KKJPD). Auch hier regen sie an, diese Anpassung in der nationalen Gesetzgebung so umzusetzen, dass der Ermessensspielraum der zuständigen Behörden ausgeweitet werde (AR, BL, BS, GL, GR, NW, SH, SO, TG, TI und UR sowie VKM). Der Kanton ZH schlägt entsprechend vor, Artikel 76 a Absatz 1 Buchstabe a VE-AIG dahingehend anzupassen, dass nicht mehr «konkrete Anzeichen» für die Untertauchensgefahr nötig sind, sondern nur «Anzeichen» dafür genügen.
Auch wenn die Kantone die Einführung der neuen Haftgründe begrüssen, weisen sie teilweise (AG, NW und SG) darauf hin, dass mit einer Erhöhung von ausländerrechtlichen Administrativhaften zu rechnen sei. Dies könne zu einem Mehraufwand bei den kantonalen Behörden führen. Zudem seien die zusätzlich notwendigen Haftplatzkapazitäten nicht bezifferbar, da das Mengengerüst derzeit nicht abschätzbar sei.
Einige der interessierten Kreise kritisieren generell die Haft im Rahmen des Wegweisungsverfahrens und insbesondere im Rahmen des Dublin-Systems (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl und sosf). Auch die Erweiterung der Haftgründe wird abgelehnt, da sie den kantonalen Behörden mehr Ermessensspielraum einräume (AsyLex, FIZ, Plateforme Traite und SFH, so auch UNHCR). AsyLex und ODAGE erachten insbesondere den neuen Haftgrund der «Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung» im Migrationskontext als problematisch. Das UNHCR hält es für notwendig, die Haftgründe eng auszulegen und anzuwenden. Es schlägt vor, den Haftgrund der «öffentlichen Sicherheit und Ordnung» in Artikel 76 a VE-AIG entsprechend dem Haftgrund der «Fluchtgefahr» detailliert zu regeln. Zudem solle das Verhältnismässigkeitsprinzip im Gesetz verankert werden.
Als problematisch erachten gewisse Kantone (AG, BL, LU und OW) und die KKPKS die Verkürzung der Dauer der Vorbereitungshaft. Kürzere Fristen könnten die Einhaltung der Überstellungsfrist gefährden und würden ein erhöhtes Risiko mit sich bringen, dass die Zuständigkeit für das Asylverfahren wegen Verfristung an die Schweiz übergehe. Die Kantone seien entsprechend darauf angewiesen, dass das SEM die Entscheide umgehend erlasse und den zuständigen Vollzugsbehörden zustelle. Gemäss dem Kanton OW müssen sich das SEM und die zuständigen kantonalen Migrationsbehörden gegenseitig absprechen und die Verfahren koordinieren. Durch die Fristverkürzung werde gemäss der VKM und den Kantonen BS und GR der Zeitdruck insbesondere für die Bundesbehörden spürbar sein. Einige Kantone (BS, GE, NW, SH, SO, TI und UR) sowie die VKM erachten die Verkürzung der Dublin-Vorbereitungshaft für die kantonalen Migrationsämter als nicht sehr problematisch. Die Verkürzung der Dublin-Ausschaffungshaft sehen die Kantone kritisch (explizit BL und LU). Viele Kantone (BS, GL, GR, NW, SH, SO, TG, TI, UR, VS und ZH) und die VKM weisen darauf hin, dass diese Verkürzung alle beteiligten Behörden unter erheblichen Zeitdruck setzen würde. Dies gelte vor allem, wenn eine betroffene Person nicht kooperiere und alle Vollzugsstufen bis zum Sonderflug durchlaufen werden müssten. Die VKM regt an, als Massnahme gegen eine Verfristung die umgehende Fällung der SEM-Entscheide und deren umgehende Zustellung an die kantonalen Vollzugsbehörden auf Verordnungsstufe zu verankern.
In Bezug auf die Haftdauer kritisiert die grosse Mehrheit der interessierten Kreise, dass die nationale Umsetzung der Haftregelung für das Dublin-Verfahren den Vorgaben der AMMR-Verordnung widerspreche, da die AMMR-Verordnung lediglich eine Frist von drei Wochen und nicht von vier Wochen vorsehe (AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, SP, ODAGE, UNHCR, HEKS, SRK und CSP). Verzögerungen im Verwaltungsverfahren, die nicht der asylsuchenden Person anzulasten seien, dürften keine Haftverlängerung rechtfertigen. Sie schlagen eine entsprechende Anpassung von Artikel 76 a Absatz 3 Buchstabe a VE-AIG vor. Zudem müsse gemäss AsyLex und ODAGE die Dublin-Ausschaffungshaft ab Zustimmung des Aufnahmestaats beginnen, und nicht ab Haftanordnung. Diese Abweichung im schweizerischen Recht sei unzulässig.
Im Gegensatz dazu begrüsst das UNHCR, dass die Schweiz eine Maximaldauer für die Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft festgelegt und den gegenwärtigen Gesetzesvorschlag genutzt hat, diese zu kürzen (Art. 76 a VE-AIG).
Viele Vernehmlassungsteilnehmer sind der Ansicht, dass die Begründung der Haft und deren Dauer unzureichend seien. Sie fordern, dass eine entsprechende Verpflichtung zur individuellen Begründung von Haft und Haftdauer im AIG aufgenommen werde (AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Pikett Asyl, sosf, die GRÜNEN, SP, EVP, SFH, UNHCR, HEKS, SRK und CSP).
In Bezug auf die Haftanordnung fordern einige Vernehmlassungsteilnehmer, dass diese im Dublin-Verfahren durch eine richterliche Instanz zu erfolgen habe, und schlagen eine entsprechende Formulierung im AIG vor (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl und sosf).
Zudem fordern viele Vernehmlassungsteilnehmer, bei Anordnung der Dublin-Haft eine unentgeltliche Rechtsvertretung von Amtes wegen vorzusehen (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, UNCHR, die GRÜNEN, SP, SFH und HEKS). Auch wird von einigen Vernehmlassungsteilnehmern eine regelmässige Haftüberprüfung von Amtes wegen gefordert (AsyLex, FP, FIZ, ODAGE, Plateforme Traite, J+P, Schweizer Bischofskonferenz, SP, SFH, UNHCR, HEKS und CSP). Einige schlagen eine entsprechende Anpassung im AIG vor (FP, FIZ, Plateforme Traite, SFH, HEKS und CSP).
Ferner solle sichergestellt werden, dass alle Personen in Haft unmittelbar und verständlich über ihre Möglichkeit einer Haftüberprüfung informiert werden (AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, SP, SFH, UNHCR und HEKS).
Schliesslich wird von einer Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer gefordert, dass auf eine Inhaftierung von Kindern verzichtet werde, da Zwangsmassnahmen zu keinem Zeitpunkt dem Wohl des Kindes dienen (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Pikett Asyl, sosf, FP, FIZ, J+P, Plateforme Traite, SP, EVP, SFH, UNHCR, HEKS, CSP, Caritas, die GRÜNEN, Schweizer Bischofskonferenz und AICH). Teilweise wird auch vorgeschlagen, auf eine Inhaftierung von Eltern zu verzichten (FP, FIZ, SP, SFH, Schweizer Bischofskonferenz, HEKS, CSP, sinngemäss auch AICH). ODAGE und SRK erinnern daran, dass die Inhaftierung von Minderjährigen eine Massnahme sein sollte, die als letztes Mittel eingesetzt werde und so kurz wie möglich zu sein habe.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat hat Verständnis für die Anliegen der Kantone und kommt der Forderung des Kantons ZH nach, Artikel 76 a Absatz 1 Buchstabe a VE-AIG dahingehend anzupassen, dass der Begriff «konkret» gestrichen wird.
Er teilt auch die Haltung der Kantone, wonach die Verkürzung der Administrativhaft im Dublin-Verfahren alle beteiligten Behörden unter erheblichen Zeitdruck setzt. Entsprechend werden derzeit im Rahmen des Umsetzungsprojekts die Verfahrensabläufe geprüft, unter anderem auch im Hinblick auf eine Beschleunigung der einzelnen Verfahrensschritte.
In Bezug auf die Dublin-Vorbereitungshaft von vier Wochen weist der Bundesrat darauf hin, dass die AMMR-Verordnung an sich (wie auch zuvor die Dublin III-Verordnung) keine Maximaldauer für die Dublin-Administrativhaft vorsieht. Die EU-Verordnung verkürzt lediglich die Behandlungsfristen für das Dublin-Verfahren, wenn sich eine Person in Administrativhaft befindet. Um dem Anliegen der Kantone Rechnung zu tragen, hat der Bundesrat die maximale Dauer der Dublin-Vorbereitungshaft von den ursprünglich vorgesehenen vier Wochen auf maximal fünf Wochen erhöht (vgl. Art. 76 a Abs. 3 Bst. a E-AIG).
Um eine Maximaldauer für die Dublin-Haft festlegen zu können, hat sich der Gesetzgeber bereits bei der Übernahme und Umsetzung der Dublin III-Verordnung an den Konsultationsdauern im Dublin-Verfahren orientiert. Da das Redigieren eines Nichteintretens- bzw. Wegweisungsentscheids und dessen Eröffnung als notwendiger prozessualer Schritt ebenfalls zum Dublin-Verfahren gehören, wurde bereits im Rahmen der Dublin III-Verordnung eine zusätzliche Frist von einer Woche eingeführt. Die EU hat diesen notwendigen Verfahrensschritt in die EU-Verordnung aufgenommen und sieht dafür eine Frist von zwei Wochen vor. Eine Redaktion eines Nichteintretensentscheids und eine zeitgleiche Eröffnung des Entscheids wäre in der Praxis im Übrigen ohnehin nicht umsetzbar. Ohne eine zusätzliche Frist von zwei Wochen, wie sie die AMMR-Verordnung vorsieht, müssten die betroffenen Personen trotz Untertauchensgefahr noch vor der Eröffnung des Nichteintretensentscheids aus der Dublin-Vorbereitungshaft entlassen werden, wenn der andere Dublin-Staat erst am letzten Tag der einwöchigen Frist antwortet. Dies kann nicht im Sinne von Artikel 45 der AMMR-Verordnung sein. Die EU-Verordnung hält selber fest, dass die Haft der Gewährleistung von Überstellungsverfahren dient.
Auch die Erweiterung der Haftgründe ist eine Vorgabe der AMMR-Verordnung. Sie ist somit für die Schweiz und ihre Behörden und Gerichte direkt anwendbar und bindend. Der Bundesrat kommt jedoch dem Anliegen des UNHCR nach. Neu wird in Artikel 76 a Absatz 2 Buchstaben a und b E-AIG differenziert, in welchen Situationen eine Vermutung für das Bestehen welchen Haftgrunds besteht.
Im Hinblick auf die Begründung der Haft und deren Dauer sieht bereits die AMMR-Verordnung vor, dass bei der Anordnung die sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft angegeben werden müssen. Es liegt anschliessend in der Zuständigkeit des Haftrichters, diese zu prüfen. Es ist nicht notwendig, diese Vorgaben im AIG zu wiederholen.
Die AMMR-Verordnung überlässt es explizit den Dublin-Staaten, ob sie eine zügige gerichtliche Überprüfung der Rechtmässigkeit der Inhaftnahme von Amtes wegen oder auf Antrag vorsehen wollen. Insbesondere im Hinblick auf die kurze Dauer der Dublin-Haft ist der Bundesrat der Ansicht, dass die bisherige Praxis beibehalten werden kann.
Die Anordnung einer ausländerrechtlichen Administrativhaft ist auch im Dublin-Verfahren gegenüber Minderjährigen unter 15 Jahren bereits heute ausgeschlossen (Art. 80 a Abs. 5 AIG). Bereits im November 2018 wurden die Kantone vom SEM angehalten, keine minderjährigen Personen unter 15 Jahren in Administrativhaftanstalten mit ihren Eltern unterzubringen und stattdessen für den Vollzug der Wegweisungen in diesen Fällen alternative Möglichkeiten zu prüfen. Als Alternativen zur Administrativhaft werden in der kantonalen Praxis für den Vollzug von Wegweisungen bei Familien und Minderjährigen vor allem Meldepflichten auferlegt und Eingrenzungen angeordnet.
In den Fällen, in denen die Kantone bei Minderjährigen über 15 Jahre Administrativhaft anordnen, müssen sie bei der Ausgestaltung der Haft den Bedürfnissen von unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Minderjährigen vollumfänglich Rechnung tragen. Dies bedeutet, dass Familien und unbegleitete Minderjährige in Haft eine gesonderte Unterbringung erhalten, womit insbesondere ein angemessenes Mass an Privatsphäre gewährleistet und eine räumliche Trennung von Straftäterinnen und Straftätern sichergestellt wird. Bei der Haftüberprüfung im Rahmen des Dublin-Verfahrens (Art. 80 a AIG) berücksichtigen die zuständigen richterlichen Behörden auch die Umstände des Haftvollzugs.
Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Garantien des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 5⁰ (KRK) im Bereich der Zwangsmassnahmen im Dublin-Verfahren bereits heute vollumfänglich beachtet werden, und sieht aktuell keinen weiteren Handlungsbedarf.
5⁰ SR 0.107
3.2.2.3 Verlängerung der Zuständigkeitsfristen
Der Kanton BS und die KKJPD begrüssen die Verlängerung der Frist zur Überstellung an den zuständigen Dublin-Staat, wenn die betroffene Person während des Dublin-Verfahrens untertaucht.
Im Gegensatz dazu lehnt ein Grossteil der interessierten Kreise diese als unverhältnismässige Massnahme, die schwerwiegende Konsequenzen für die betroffenen Personen und ihre Grundrechte mit sich bringe, ab. Es wird eine restriktive Anwendung der verlängerten Überstellungsfrist gefordert (SGB, SP, AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, SP, EVP, SFH, HEKS und CSP). Zudem werden klare und transparente Regelungen auf Verordnungs- oder Weisungsstufe für Situationen gefordert, die eine Verlängerung der Überstellungsfrist nach sich ziehen können (SP, SFH und HEKS). Besonders für Opfer von Menschenhandel (FIZ und Plateforme Traite) oder bei einer unverschuldeten Krankheit (AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, ZiAB und CSP) sei die Verlängerung der Überstellungsfrist problematisch. Daher wird von einigen Vernehmlassungsteilnehmern gefordert, dass in diesen Fällen grundsätzlich der Selbsteintritt und bei kurzfristigen Erkrankungen die Ansetzung eines neuen Überstellungstermins innerhalb der regulären sechsmonatigen Frist anzuordnen sei (AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, SP, EVP und SFH). Schliesslich seien die asylsuchenden Personen umfassend und in einer für sie verständlichen Sprache über die Gründe und die Konsequenzen einer Fristverlängerung zu informieren (AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, SP, EVP, SFH und HEKS).
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat hat Verständnis dafür, dass die Verlängerung der Zuständigkeit für die Betroffenen in Einzelfällen belastend sein kann. Die Fristen der AMMR-Verordnung sind aber verbindlich und auch von der Schweiz einzuhalten. Die Verlängerung der Überstellungsfrist wurde in die AMMR-Verordnung aufgenommen, um der Sekundärmigration entgegenzuwirken. Die dreijährige Frist gilt hauptsächlich bei Personen, die selbst dazu beitragen, dass eine Überstellung an den zuständigen Dublin-Staat nicht möglich ist, indem sie beispielsweise untertauchen oder sich der Überstellung widersetzen. Die Betroffenen haben es somit selber in der Hand, dass die Überstellungsfrist nicht automatisch auf drei Jahre verlängert wird. In Bezug auf die medizinischen Anforderungen wird bereits heute im Einzelfall geprüft, inwieweit eine Überstellung möglich ist.
Wie bis anhin kann die Schweiz auch mit den neuen Regelungen unter Einbezug aller Umstände im Einzelfall prüfen, ob ein Selbsteintritt erforderlich ist. Eine explizite Regelung dieser Kompetenz erachtet der Bundesrat als nicht notwendig.
3.2.2.4 Sekundärmigration
AsyLex gibt zu bedenken, dass strengere Regelungen der Sekundärmigration nicht entgegenwirken können. Vielmehr seien schlechte Bedingungen in einem Aufnahmeland oder die familiären und ethnischen Netzwerke im Zielland ein wichtiger Anreiz zur Weiterreise (sinngemäss auch z. B. FP, J+P, SP, SFH, Schweizer Bischofskonferenz und CSP). Zur Reduktion der Sekundärmigration schlägt AsyLex vor, die Definition von «Familienangehörigen» auf erwachsene Geschwister auszuweiten und Ehegatten in die Abhängigkeitsklausel miteinzubeziehen.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat teilt die Meinung der Vernehmlassungsteilnehmer, wonach Sekundärmigration von verschiedenen Faktoren wie Familienkonstellation, individuelle Bezüge zu einem bestimmten Staat oder ungleiche Aufnahme- und Verfahrensstandards in den einzelnen Staaten beeinflusst wird. Aus diesem Grund hat der EU-Migrations- und Asylpakt bei verschiedenen dieser Faktoren angesetzt, um Anreize für die Sekundärmigration zu beseitigen. So stärkt er beispielsweise die gemeinsamen Standards in Bezug auf die Verfahren und die Aufnahmebedingungen. Ferner werden neue Regeln bei Familienkonstellationen vorgesehen oder das Diplom wird ein neues Zuständigkeitskriterium. Ist die Zuständigkeit zudem einmal bestimmt, geht es nach den neuen Regeln länger, bis diese auf einen anderen Staat übergeht.
3.2.2.5 Harmonisierung des Familienbegriffs
Einige Vernehmlassungsteilnehmer begrüssen zwar die Ausweitung des Familienbegriffs in der neuen AMMR-Verordnung, kritisieren jedoch gleichzeitig, dass der Familienbegriff nicht noch mehr ausgeweitet wurde. Sie bedauern, dass Geschwister weiterhin ausgeschlossen sind (AsyLex und CSP) und Familien, die nach Ankunft in der Schweiz gegründet wurden, ebenfalls nicht darunterfallen (FP, SP, EVP, SFH, HEKS und CSP). Sie regen an, die Kriterien und Definitionen des Begriffs «Familie» in Artikel 2 der AMMR-Verordnung in den relevanten ausländer- und asylrechtlichen Bestimmungen zu harmonisieren (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf und ZiAB).
Unter den Begriff der Familie sollten auf der Flucht gegründete Familien sowie die Eltern oder andere erwachsene, verantwortliche Personen von minderjährigen Schutzsuchenden fallen (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, ZiAB und die GRÜNEN).
In Bezug auf die Vorgaben an die Beweisführung zur Familienzusammenführung fordern einige interessierte Kreise, diese zwecks Rechtsgleichheit auf Verordnungsstufe in der Verordnung vom 24. Oktober 2007 5¹ über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) festzulegen. Es solle festgehalten werden, dass für den Familiennachzug formelle Beweise wie Originalbelege und DNA-Tests nicht erforderlich seien, wenn die vorgebrachten Indizien kohärent, überprüfbar und hinreichend detailliert seien (FP, FIZ, Plateforme Traite, EVP, SFH, EKM und HEKS; ähnlich auch SRK, das eine Formulierung vorschlägt, die in das Handbuch des SEM zu Asyl und Rückkehr aufgenommen werden könnte). Dieser Ermessensspielraum solle zugunsten des Schutzes der Familieneinheit genutzt werden.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat lehnt dieses Anliegen ab. Eine Ausweitung des anspruchsberechtigten Personenkreises analog der EU-Verordnung auf Eltern (oder andere verantwortliche Personen) von minderjährigen Flüchtlingen (sog. umgekehrter Familiennachzug) sowie auf Familien, die zwischen der Ausreise aus dem Heimatstaat und der Ankunft in der Schweiz gegründet wurden, widerspricht dem Gesetzeswortlaut von Artikel 51 AsylG. So wurde der Kreis der Begünstigten vom Gesetzgeber in Artikel 51 AsylG abschliessend definiert. Der Familienbegriff in der AMMR-Verordnung ist zudem nicht Dublin-relevant und somit für die Schweiz nicht verbindlich.
Der Anspruch auf Einbezug in die Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung von Familienasyl ist auf Ehegatten (gleichgestellt: eingetragene Partner [Art. 79 a AsylG] und Konkubinatspartner [Art. 1 a Bst. e der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 5² über Verfahrensfragen [AsylV 1]]) sowie auf die minderjährigen Kinder von Flüchtlingen beschränkt. Mit der Aufhebung von Artikel 51 Absatz 2 AsylG im Jahr 2014, der den Familiennachzug unter gewissen Voraussetzungen auch für andere nahe Verwandte ermöglichte, wollte der Gesetzgeber den Kreis der Begünstigten des Familienasyls beschränken. Diese Bestimmung kann daher nicht extensiv ausgelegt werden, um beispielsweise auch die Eltern und die Geschwister eines Minderjährigen einzuschliessen (vgl. auch BVGE 2015/29; BVGE 2020 VI/7). Zudem kann Familienangehörigen nur dann eine Einreisebewilligung erteilt werden, wenn die Familie «durch die Flucht getrennt» wurde (Art. 51 Abs. 4 AsylG). Das Erfordernis der Trennung durch Flucht setzt eine bereits zum Zeitpunkt der Flucht vorbestandene Familienbeziehung im Heimatstaat oder Herkunftsstaat voraus. Familienbeziehungen, die erst nach der Ausreise aus dem Verfolgerstaat, das heisst in einem Drittstaat oder in der Schweiz, eingegangen wurden, werden nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht erfasst.
Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen (Art. 7 AsylG). Asylsuchende sind somit verpflichtet, an der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken (Art. 8 Abs. 1 Bst. a, b und d AsylG). Dies gilt auch für den Nachweis der Voraussetzungen der Familienzusammenführung. Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller sind somit verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren bei der Feststellung der Identität und der Abstammungsverhältnisse mitzuwirken. Bereits heute wird jedoch der besonderen Situation von anerkannten Flüchtlingen und deren Angehörigen Rechnung getragen. So werden anerkannte Flüchtlinge nicht aufgefordert, zwecks Beschaffung von Identitätspapieren Kontakt mit den heimatlichen Behörden aufzunehmen. Auch bei Angehörigen von Flüchtlingen hängt die Bewilligung der Einreise nicht zwingend vom Vorhandensein rechtsgenüglicher Identitätspapiere ab, etwa wenn die Beschaffung der Papiere nicht möglich oder die dafür erforderliche Kontaktaufnahme mit den heimatlichen Behörden nicht zumutbar ist (vgl. BVGE 2022 VII/2). Hinsichtlich der Erstellung von DNA-Profilen kann das SEM seinen Entscheid davon abhängig machen, ob begründete Zweifel an der Abstammung oder an der Identität einer Person bestehen (z. B. wenn keine rechtsgenüglichen Identitätspapiere bzw. Zivilstandsdokumente vorhanden sind oder die eingereichten Dokumente eine ungenügende Beweiskraft aufweisen).
5¹ SR 142.201
5² SR 142.311
3.2.2.6 Aufnahmebedingungen im Falle von Nicht-Kooperation
Viele Vernehmlassungsteilnehmer weisen darauf hin, dass die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in der Schweiz bereits heute auf einem minimalen Stand ausgestaltet seien, sodass eine Herabstufung der Aufnahmebedingungen in jedem Fall unverhältnismässig und deshalb unzulässig sei (FP, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, ZiAB, FIZ, Plateforme Traite, SP, SFH, HEKS, ODAGE und CSP). Die Schweiz solle sich am Standard der Aufnahmerichtlinie anpassen (insbesondere Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sprachkursen, Ausbildung, Gesundheitsversorgung usw.; Art. 17-19 und 24 der Aufnahmerichtlinie), auch wenn diese für die Schweiz nicht bindend sei (hierzu ODAGE).
Das UNHCR teilt die im erläuternden Bericht zum Ausdruck kommende Einschätzung, dass es keiner weitergehenden Einschränkungen bedarf.
Haltung des Bundesrates
Die Übernahme der Aufnahmerichtlinie ist für die Schweiz nicht verpflichtend. Wie in seiner Antwort auf die Interpellation 12.3590 Amarelle «Sozialhilfe und Nothilfe für Asylsuchende in einem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung» bereits ausgeführt, ist der Bundesrat der Auffassung, dass die an weggewiesene Asylsuchende ausgerichteten Nothilfeleistungen gemäss Artikel 12 Bundesverfassung (BV) 5³ den Anforderungen an einen «statut d’accueil minimal», wie er vom UNHCR für Asylsuchende gefordert wird, entsprechen. Dieser «statut» soll unter anderem ein Dasein in Würde ermöglichen, was Nahrung, Kleidung, Unterkunft und medizinische Versorgung umfasst.
Zudem sind im geltenden Betriebskonzept des SEM zur Unterbringung von Asylsuchenden die Richtlinien zur Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden in den BAZ sowie zum Zugang zu Beschäftigung, Bildung, materiellen Leistungen und Gesundheitsversorgung geregelt. Das SEM arbeitet zudem zwecks Qualitätskontrolle der Unterbringung von Asylsuchenden eng mit der NKVF, dem UNHCR und dem Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe zusammen. Diese haben jederzeit unangemeldet Zugang zu den BAZ und können ihre Empfehlungen einbringen, welche vom SEM so rasch als möglich geprüft werden.
5³ SR 101
3.2.2.7 Tonaufzeichnung des Dublin-Gesprächs
Viele der interessierten Kreise begrüssen die geplante Tonaufzeichnung der Dublin-Gespräche im Grundsatz, da sie im Nachhinein bei Unstimmigkeiten oder unterschiedlichen Ansichten als Beweismittel herangezogen werden könne (SP, EVP, AsyLex, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, ZiAB, FIZ, Plateforme Traite, SFH, HEKS, SRK und ODAGE). Die SVP lehnt die Tonaufnahmen aufgrund des erhöhten Verwaltungsaufwands ab.
Der Rechtsvertretung sei im Rahmen der Akteneinsicht der Zugang zur Tonaufnahme in Form von Kopien oder über eine gesicherte Internetplattform zu gewähren (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, ZiAB und CSP, sinngemäss auch die GRÜNEN, AsyLex, FP, HEKS und SRK). Darüber hinaus wird eine Regelung auf Verordnungsstufe gefordert, wonach Tonbandaufnahmen vor Gericht als Beweismittel zugelassen werden (EVP, SP, FP, FIZ, Plateforme Traite und HEKS, sinngemäss auch AsyLex).
In Bezug auf die Aufbewahrungsdauer beantragen gewisse Vernehmlassungsteilnehmer eine Regelung auf Verordnungsstufe, wonach die Tonaufnahme nicht länger gespeichert werden dürfe, als es für das Verfahren absolut notwendig sei (EVP, SP, AsyLex, FP, FIZ, HEKS und Plateforme Traite).
Gefordert wird ferner, dass sich die asylsuchende Person gegen die Verwendung des Tonbands aussprechen kann, ohne dadurch ihre Mitwirkungspflicht zu verletzen. In diesen Fällen solle weiterhin eine Protokollierung des Interviews erfolgen (die GRÜNEN, EVP, FP, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, ZiAB, FIZ, Plateforme Traite, SFH, ODAGE, HEKS, SRK und CSP; einige schlagen eine entsprechende Anpassung im AsylG vor: EVP, FP, FIZ, Plateforme Traite, SFH und SRK).
Schliesslich weist das BVGer darauf hin, dass die Prüfung, ob das Protokoll der Tonaufnahme entspreche, zu einer Mehrarbeit für Richter und Gerichtschreiber führen könne.
Haltung des Bundesrates
Während heute unter der Dublin-Verordnung das Aufnahmeverfahren («take charge») wie auch das Wiederaufnahmeverfahren («take back») ein Ersuchen an den vermutlich zuständigen Staat voraussetzt, wird die Wiederaufnahme einer Person unter der AMMR-Verordnung dem in Eurodac als zuständig verzeichneten Staat nur noch notifiziert. Eine persönliche Anhörung mit Tonaufzeichnung ist im Rahmen der AMMR-Verordnung nur dann verpflichtend vorgesehen, wenn der zuständige Staat noch nicht bestimmt worden ist, das heisst in sogenannten «take-charge»-Konstellationen. In «take-back»-Konstellationen sieht die AMMR-Verordnung hingegen im Gegensatz zur Dublin-Verordnung keine Pflicht vor, ein Dublin-Gespräch durchzuführen.
Tonaufzeichnungen können als Beweismittel hinzugezogen werden, wenn Uneinigkeit über das Gesagte im Rahmen eines Dublin-Gesprächs besteht. Dies fällt unter den Zweck der Aufnahme (Art. 26 Abs. 3quater Bst. a E-AsylG). Eine explizite Nennung ist nicht notwendig. Im AsylG soll eine Delegation an den Bundesrat vorgesehen werden, wonach er auf Verordnungsstufe Ausnahmen von Tonaufzeichnungen regeln kann (vgl. Art. 26 Abs. 3ter E-AsylG). So kann er einen Verzicht auf die Tonaufnahme aus technischen Gründen oder auf Wunsch der befragten Person vorsehen. In letzterem Fall bleibt das bisherige Verfahren unverändert. Es wird weiterhin eine schriftliche Zusammenfassung des Dublin-Gesprächs ohne Tonaufnahmen erstellt. Dies wird auch nicht als Verletzung der Mitwirkungspflicht festgestellt.
Das Anhören der Tonaufzeichnung muss durch die Beschwerdepartei in den Räumlichkeiten der zuständigen Behörde erfolgen, da auch die Rechte der anderen am Dublin-Gespräch Beteiligten gewahrt werden müssen. Es ist derzeit keine technische Möglichkeit vorgesehen, das Akteneinsichtsrecht aus der Ferne wahrzunehmen.
Da nur die Dublin-Gespräche in sogenannten «take-charge»-Konstellationen aufgezeichnet werden und die Asylsuchenden in der innerstaatlichen Umsetzung der AMMR-Verordnung auf eine solche Aufzeichnung verzichten können, wird die Mehrarbeit für Richter und Gerichtsschreiber entsprechend niedriger ausfallen, als wenn jedes Dublin-Gespräch auf Ton aufgezeichnet werden müsste.
3.2.2.8 Kriterien für Selbsteintritt
Viele Vernehmlassungsteilnehmer fordern klare Kriterien, wann ein Selbsteintritt zwingend geboten sei. Diese seien auf Gesetzes-, Verordnungs- oder Weisungsstufe zu regeln (AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, EVP, SFH, HEKS, SRK, CSP, die GRÜNEN, SP, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf und ZiAB). AsyLex, FP, FIZ, Plateforme Traite, SP, EVP, SFH und CSP führen Beispiele auf, in denen zwingend ein Selbsteintritt vorgesehen sein muss. J+P ist der Ansicht, dass es eine grosszügigere Schweizer Praxis bezüglich Dublin-Selbsteintritten geben sollte (ähnlich auch Caritas).
Im Interesse der Rechtsweggarantie wird die Schaffung einer eigenständigen Beschwerdemöglichkeit für den Selbsteintritt gefordert (AsyLex, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf und ZiAB). ODAGE fordert zudem, die Ermessensklausel, die derzeit nur auf Verordnungsstufe (vgl. Art. 29 a Abs. 3 AsylV 1) enthalten sei, auf Gesetzesstufe zu heben. Das UNHCR schlägt vor, in der entsprechenden Verordnungsbestimmung festzuhalten, in welchen Fällen die Ausübung des Selbsteintrittsrechts in Betracht komme.
Haltung des Bundesrates
Bereits heute prüft das SEM jedes einzelne Asylgesuch sorgfältig und nach den konkreten Umständen im Einzelfall. Zum Selbsteintritt verpflichtet ist ein Dublin-Staat dann, wenn eine Überstellung völkerrechtliche Bestimmungen verletzen würde. Weiter kann aus humanitären Gründen vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht werden. Dies betrifft hauptsächlich besonders verletzliche Personen wie unbegleitete Minderjährige, Familien, alleinerziehende Personen oder Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die einen gewissen Schweregrad aufweisen. Auch bei diesen Personengruppen muss aber im konkreten Einzelfall beurteilt werden, ob die Überstellung eine besondere Härte bedeuten würde und die Anwendung der Souveränitätsklausel angebracht ist.
Der Bundesrat erachtet es als nicht notwendig, einen verbindlichen Kriterienkatalog vorzusehen, zumal dieser dem Einzelfall nicht gerecht werden würde. Die Würdigung der Kriterien muss gestützt auf die spezifischen Umstände des Einzelfalls erfolgen. Meist liegt einem Selbsteintritt eine Kombination von verschiedenen Elementen zugrunde, die für sich allein besehen keine besondere Härte bedeuten, aber durch die Kumulierung einen Grad erreichen, der die Anwendung der Souveränitätsklausel nahelegt. Das SEM orientiert sich dabei an der Rechtsprechung des BVGer.
Der Bundesrat verweist hinsichtlich der eigenständigen Beschwerdemöglichkeit für Selbsteintritte auf das Urteil des EuGH. Dieses kommt in seinem Urteil (C-359/22) 5⁴ zum Schluss, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, entsprechende Beschwerdemöglichkeiten in Bezug auf die Anwendung der Souveränitätsklausel zu gewähren. Eine Beschwerde mit aufschiebender Wirkung ist lediglich gegen die Wegweisungsentscheidung in den zuständigen Mitgliedstaat möglich.
5⁴ Urteil EuGH vom 18. April 2024; AHY gegen Minister for Justice, ECLI:EU:C:2024:334.
3.2.2.9 Rechtsschutz
Artikel 43 der AMMR-Verordnung schränkt neu die Beschwerdegründe im Dublin-Verfahren ein. Viele Vernehmlassungsteilnehmer sprechen sich gegen die Übernahme dieser Bestimmung ins AsylG aus und schlagen eine Streichung von Artikel 107 a Absatz 4 VE-AsylG vor (AsyLex, SFH, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, ZiAB, FIZ, Plateforme Traite, SP, EVP, SFH, HEKS und CSP). Sie fordern, dass alle Beschwerdegründe, die bisher unter der Dublin III-Verordnung geltend gemacht werden konnten, auch weiterhin zulässig bleiben. Die EuGH-Rechtsprechung habe im Hinblick auf subjektive Rechte von asylsuchenden Personen zur Sicherstellung und Einklagung der korrekten Anwendung der AMMR-Verordnung weiterhin Geltung. Das BVGer weist darauf hin, dass die bisherige Rechtsprechung des EuGH zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle der Beschwerdegründe, die unter der Dublin III-Verordnung entwickelt wurde, nicht derjenigen entspreche, welche die AMMR-Verordnung neu vorsehe. Diese Rechtsprechung sei vom BVGer übernommen worden.
In Bezug auf die Beschwerdefristen schlagen viele Vernehmlassungsteilnehmer vor, im Dublin-Verfahren eine Beschwerdefrist von drei Wochen vorzusehen (Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf, ZiAB, die GRÜNEN, SP und CSP).
Das BVGer stellt in Bezug auf Artikel 64 a Absatz 2bis VE-AIG klar, dass es im geltenden AIG zwar eine Frist von fünf Tagen gebe, um über das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden, es aber an einer Frist für die Behandlung der Beschwerde fehle. Zudem sehe das AIG im Gegensatz zum AsylG keine Möglichkeit vor, dass das BVGer in einer reduzierten Zusammensetzung entscheiden könne, weshalb es gestützt auf das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 5⁵ über das Bundesverwaltungsgericht (VGG) in der Regel mit drei Richtern entscheide. Einen Entscheid innerhalb von fünf Arbeitstagen in einem Kollegium von drei Richtern zu treffen, erscheine umso schwieriger, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet worden sei. Aus diesem Grund schlägt das BVGer eine Ordnungsfrist von einem Monat ab dem Entscheid über die Gewährung der aufschiebenden Wirkung vor. Zudem solle eine neue Regelung im VGG aufgenommen werden, die es dem Gericht ermögliche, bei Dublin-Rückführungen nach Artikel 64 a AIG in offensichtlich begründeten respektive unbegründeten Fällen im Einzelrichterverfahren zu entscheiden. Auch im AsylG schlägt das BVGer eine Anpassung bei den Ordnungsfristen für das Beschwerdeverfahren bei Dublin-Fällen vor (Art. 107 a Abs. 3 zweiter Satz VE-AsylG soll gestrichen werden).
Haltung des Bundesrates
Auch bei der Streichung des Verweises auf Artikel 43 der AMMR-Verordnung im AsylG bleibt diese Bestimmung kraft AMMR-Verordnung weiterhin für die Dublin-Staaten anwendbar.
Im Hinblick auf die Beschleunigung der Dublin-Verfahren erachtet der Bundesrat eine Verlängerung der Beschwerdefrist als nicht notwendig, schlägt jedoch vor, die Anliegen des BVGer aufzunehmen und im AIG (Art. 64 a bis E-AIG) und AsylG (Art. 107 a Abs. 2-5 E-AsylG) die Ordnungsfristen in Bezug auf den materiellen Beschwerdeentscheid festzulegen. Es soll zudem vorgesehen werden, dass in offensichtlich begründeten und unbegründeten Fällen die Einzelrichterin bzw. der Einzelrichter über die Beschwerde innerhalb von fünf Arbeitstagen befinden kann. Auf einen Schriftenwechsel kann verzichtet werden.
5⁵ SR 173.32
3.2.2.10 Solidaritätsmechanismus
Zu den wichtigsten Kritikpunkten vgl. Ziffer 2.2.2 oben.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat unterstützt eine Beteiligung am Solidaritätsmechanismus im Grundsatz und sieht es als Chance, die Strukturen in besonders unter Migrationsdruck stehenden Staaten, namentlich an den Aussengrenzen, zu entlasten und damit die Situation der Asylsuchenden vor Ort zu verbessern. Davon sollte letztlich auch das Dublin-System profitieren, da Überlastungssituationen in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass Dublin-Überstellungen in gewisse Staaten nicht mehr oder nur erschwert möglich waren. Der Solidaritätsmechanismus ist ein wichtiger Eckpfeiler der europäischen Reform. Bei einer Nichtbeteiligung geht die Schweiz das Risiko ein, dass sie die Dublin-Zusammenarbeit mit besonders betroffenen Staaten in Zukunft gefährdet. Sollte die Schweiz aufgrund einer erschwerten Dublin-Zusammenarbeit öfters die Zuständigkeit für ein Asylgesuch übernehmen müssen, würde dies langfristig zu mehr Kosten führen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass ein konkretes Bekenntnis der Schweiz zur Solidarität notwendig ist.
Die Schweiz kann freiwillig jährlich an Solidaritätsmassnahmen teilnehmen. Sie kann aufgrund dieses freiwilligen Beitragscharakters jedoch nicht mit solidarischer Unterstützung durch die EU-Staaten im Rahmen des Solidaritätsmechanismus rechnen. Aus diesem Grund ist ein Vorbehalt der Schweiz bei einer freiwilligen Teilnahme notwendig, sich unter Berücksichtigung der gesamteuropäischen und inländischen Asyllage nicht an Solidaritätsmassnahmen zu beteiligen. Der Bundesrat schlägt deshalb vor, auf Gesetzesstufe einen nationalen Handlungsspielraum für die Beteiligung offen zu lassen.
Der Bundesrat ist gewillt, sein bisheriges Engagement fortzuführen und sich auch künftig mit besonders belasteten Staaten, insbesondere an den Schengen-Aussengrenzen, solidarisch zu zeigen. Die konkrete Beteiligung der Schweiz ist abhängig von den Kapazitäten des Bundes, der Kantone und Gemeinden. Für die Entscheidung, wie und in welchem Umfang sich die Schweiz beteiligt, werden daher sowohl die Asyl- und Migrationslage in der Schweiz als auch die Entwicklungen in Europa sowie die Situation in besonders belasteten Staaten zu berücksichtigen sein. Die Schweiz wird somit von Jahr zu Jahr prüfen, ob und wenn ja in welcher Form sie sich konkret am Solidaritätsmechanismus beteiligen wird. Vor diesem Hintergrund schlägt der Bundesrat vor, auf eine Priorisierung oder Einschränkung allfälliger Solidaritätsmassnahmen auf Gesetzesstufe zu verzichten und stattdessen einen Handlungsspielraum beizubehalten.
Der Bundesrat teilt die Einschätzung der KKJPD, VKM und der Kantone, dass die Umsetzung der Beteiligung an Solidaritätsmassnahmen nur unter Mitwirkung insbesondere der Kantone erfolgen kann. Aus diesem Grund soll der Bundesrat dem EJPD den Auftrag für ein nationales Umsetzungskonzept erteilen, wobei die Umsetzungselemente nicht über die Anforderungen der AMMR-Verordnung hinausgehen sollen. Dieses soll unter Mitwirkung der relevanten Interessengruppen und Partner erstellt werden.
Daneben sollen das EJPD und das EDA ein Verhandlungsmandat ausarbeiten, um mit der EU die prozeduralen und technischen Abläufe zu regeln, die bei einer Teilnahme am Solidaritätsmechanismus Anwendung finden würden, wobei diese nicht über die AMMR-Verordnung hinausgehen sollen. Im Rahmen dieser Aufträge soll der gesetzliche Anpassungsbedarf ermittelt und gegebenenfalls dem Bundesrat unterbreitet werden.
Aufgrund der Rückmeldungen in der Vernehmlassung schlägt das EJPD schliesslich eine Anpassung in Artikel 113 E-AsylG vor. Dem Anliegen der Kantone, vor der Festlegung allfälliger Solidaritätsmassnahmen konsultiert zu werden, soll in dieser Regelung Rechnung getragen werden (Abs. 3). Dieser Artikel soll zu einem späteren Zeitpunkt konkretisiert werden. Die geeignete Finanzierung allfälliger Massnahmen ist dabei von den noch zu konkretisierenden Modalitäten abhängig. Von der Schaffung eines neuen Verpflichtungskredits «Solidarität Schengen/Dublin», wie in Artikel 114 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 VE-AsylG vorgeschlagen, soll daher zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen werden.
3.2.3 Krisenverordnung
Zu den wichtigsten Kritikpunkten vgl. Ziffer 3.2.1.3 oben.
Haltung des Bundesrates
In Bezug auf den Selbsteintritt verweist der Bundesrat auf seine Ausführungen unter Ziffer 3.2.2.10. Der Schweiz steht es frei, je nach Krisensituation entsprechende Massnahmen flexibel und ad hoc zu ergreifen. Eine starre Regelung erachtet der Bundesrat als nicht notwendig. Der Bundesrat teilt die Auffassung des Kantons GE, wonach eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen insbesondere in Krisensituationen notwendig ist.
3.2.4 Anpassung der Vorlage
Nach der Vernehmlassung wurde Artikel 64 a E-AIG angepasst und ein neuer Artikel 64 a bis wurde ins AIG aufgenommen, der neu das Beschwerdeverfahren im Dublin-Verfahren regelt. In Artikel 76 a E-AIG wurde Absatz 1 Buchstabe a sprachlich angepasst und in Absatz 2 differenziert, in welchen Situationen eine Vermutung für das Bestehen welchen Haftgrunds besteht. Zudem wurde die Dauer der Vorbereitungshaft gemäss Artikel 76 a Absatz 3 E-AIG um eine Woche verlängert. Sprachlich leicht angepasst wurde ebenfalls Artikel 111 a bis E-AIG (Anpassung des Begriffs «medizinische Daten»).
In Artikel 20 E-AsylG wurde präzisiert, dass kein Dublin-Verfahren zur Aufnahme durchgeführt wird, wenn eine asylsuchende Person eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt. Artikel 26 Absatz 3bis E-AsylG wurde dahingehend angepasst, dass die Dublin-Gespräche auf einem «Tonträger» aufgezeichnet werden. In Bezug auf Artikel 37 E-AsylG wurde die Änderung von Absatz 3 aus der Vorlage gestrichen. In Artikel 102 g Absatz 2 AsylG wurde ein Verweis korrigiert. Ferner wurde in diesem Artikel sowie in Artikel 102 k Absatz 1 Buchstabe g eine Anpassung der Fussnoten vorgenommen. In Artikel 107 a Absätze 3 und 4 E-AsylG wurden die Ordnungsfristen im Dublin-Beschwerdeverfahren angepasst. Artikel 102 a bis E-AsylG wurde gestrichen, da er nicht mehr durch den vorliegenden Bundesbeschluss angepasst wird. Er wird im Bundesbeschluss zu Eurodac aufgeführt (Ziff. 5.6.2).
In Bezug auf die Solidaritätsmassnahmen wurde der Artikel 113 E-AsylG überarbeitet und die in der Vernehmlassung vorgeschlagenen Artikel 113 a und 114 VE-AsylG wurden gestrichen. Schliesslich wurde in das VGG in Bezug auf die besondere einzelrichterliche Zuständigkeit im Dublin-Beschwerdeverfahren eine neue Bestimmung (Art. 23 Abs. 2 Bst. abis) aufgenommen.
Die übrigen Artikel bleiben unverändert.
3.3 Grundzüge der EU-Verordnungen
3.3.1 Grundzüge der AMMR-Verordnung
Die AMMR-Verordnung enthält unterschiedliche Teile. Die meisten davon sind nicht Dublin-relevant, da sie über den Anwendungsbereich des DAA hinausgehen. Der als Weiterentwicklung des Dublin-/Eurodac-Besitzstands geltende Teil löst insbesondere die derzeitige Dublin III-Verordnung ab, die Vorschriften zur Bestimmung des Dublin-Staats enthält, der für die Prüfung eines Asylgesuchs zuständig ist. Auch wenn die Grundprinzipien des Dublin-Systems mit der neuen EU-Verordnung unangetastet bleiben, so führt die AMMR-Verordnung doch zu verschiedenen Anpassungen bei der Funktionsweise des Dublin-Systems.
Die AMMR-Verordnung besteht aus den folgenden Teilen:
-
Teil I - Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen (grundsätzlich nicht Dublin-relevant; siehe Ziff. 3.4.1);
-
Teil II - Gemeinsamer Rahmen für Asyl- und Migrationsmanagement (nicht Dublin-relevant; siehe Ziff. 3.4.2);
-
Teil III - Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (Dublin-relevant; siehe Ziff. 3.4.3);
-
Teil IV - Solidarität (nicht Dublin-relevant; siehe Ziff. 3.4.4);
-
Teil V - Allgemeine Bestimmungen (Dublin-relevant; siehe Ziff. 3.4.5);
-
Teil VI - Änderung anderer Rechtsakte der Union (nicht Dublin-relevant; siehe Ziff. 3.4.6);
-
Teil VII - Übergangs- und Schlussbestimmungen (Dublin-relevant; siehe Ziff. 3.4.7).
Da lediglich die Teile III, V und VII «Dublin-relevant» sind, sind nur diese von der Schweiz im Rahmen ihrer Verpflichtung aus dem DAA zu übernehmen.
Die AMMR-Verordnung enthält zusammenfassend folgende wichtige Neuerungen (wobei nicht alle Dublin-relevant sind, aber hier in der Übersicht aufgeführt werden):
-
Anpassung der Definitionen (Art. 2 der AMMR-Verordnung; grundsätzlich nicht Dublin-relevant): Neu werden unter den Begriff «Familienangehörige» auch verwandtschaftliche Beziehungen miteinbezogen, die nach Verlassen des Herkunftslands, aber vor der Ankunft im Hoheitsgebiet des Dublin-Staats entstanden sind. Geschwister fallen wie bis anhin nicht unter die Definition. Neu werden die Begriffe «Diplom» und «Qualifikationsnachweis» aufgeführt. Mit Artikel 30 der AMMR-Verordnung wird ein neues Kriterium zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats eingeführt, nach welchem derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig wird, aus dem er ein Zeugnis bzw. einen Befähigungsnachweis einer Bildungseinrichtung besitzt. Zudem werden aufgrund der Einführung des Solidaritätsmechanismus neue Definitionen in die AMMR-Verordnung aufgenommen. Auch wenn die Definitionen grundsätzlich nicht Dublin-relevant sind, so wird ihnen im Dublin-Verfahren Rechnung getragen, damit unterschiedliche Begrifflichkeiten nicht zu Schwierigkeiten im Ablauf des Dublin-Verfahrens führen.
-
Vor der Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat: neue Prüfung, ob die betroffene Person eine Gefahr für die innere Sicherheit für die Dublin-Staaten darstellt (Art. 16 Abs. 4 der AMMR-Verordnung): Es muss gewährleistet sein, dass die asylsuchende Person keine Gefahr für die innere Sicherheit eines Dublin-Staats darstellt, bevor eine Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat erfolgt. Wenn die in Artikel 15 der Überprüfungsverordnung vorgesehene Sicherheitskontrolle nicht durchgeführt wurde oder berechtigte Gründe für eine Prüfung bestehen, so hat der erste Dublin-Staat, in dem das Asylgesuch registriert wurde, vor Anwendung der Zuständigkeitskriterien zu beurteilen, ob hinreichende Gründe dafür vorliegen, dass die betroffenen Asylsuchenden eine Gefahr für die innere Sicherheit eines Dublin-Staats darstellen. Ergibt die Beurteilung, dass eine asylsuchende Person eine Gefahr für die Sicherheit darstellt, so wird derjenige Staat zum zuständigen Dublin-Staat, der diese Beurteilung durchgeführt hat. Wenn die betreffende Person eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt, nachdem die Zuständigkeit bereits festgestellt wurde, kann eine Überstellung erfolgen, sofern die Bestimmung über den Austausch sicherheitsrelevanter Informationen eingehalten wird (vgl. Art. 49 der AMMR-Verordnung).
-
Klare Regeln zum Stellen des Asylgesuchs (Art. 17 Abs. 1 und 2 der AMMR-Verordnung i. V. m. Art. 18 der AMMR-Verordnung): Die neue AMMR-Verordnung verpflichtet die Asylsuchenden explizit, ihr Asylgesuch im Dublin-Staat der ersten Einreise bzw. in dem Dublin-Staat zu stellen, der ihnen einen Aufenthaltstitel oder ein Visum ausgestellt hat. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, kann dies wie bisher Konsequenzen in Bezug auf die Aufnahmebedingungen der betroffenen Person haben, wobei die Konsequenzen verhältnismässig sein müssen (Art. 18 der AMMR-Verordnung). Damit wird bekräftigt, dass Asylsuchende nicht aussuchen können, in welchem Dublin-Staat sie ihr Asylgesuch stellen oder welcher Dublin-Staat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist.
-
Verstärkung der Pflichten der Asylsuchenden im Dublin-Verfahren (Art. 17 Abs. 3-5 der AMMR-Verordnung): Die AMMR-Verordnung enthält Verpflichtungen der Asylsuchenden zur rechtzeitigen Bereitstellung aller relevanten Informationen sowie zur Kooperation mit den zuständigen Behörden. So sind Asylsuchende verpflichtet, sich im entsprechenden Dublin-Staat aufzuhalten, sich den dortigen Behörden zur Verfügung zu halten und der Überstellungsentscheidung Folge zu leisten.
-
Verstärkte Informationspflicht der Dublin-Staaten im Dublin-Verfahren (Art. 19 der AMMR-Verordnung): Der Umfang der Informationen, die den Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens mitzuteilen sind, wird durch die AMMR-Verordnung erweitert.
-
Tonaufnahmen bei persönlicher Befragung (Art. 22 Abs. 7 der AMMR-Ver ordnung): Neu soll im Verfahren zur Festlegung der Zuständigkeit die Befragung nicht nur schriftlich zusammengefasst, sondern im Rahmen von Aufnahmeverfahren auf Ton aufgenommen werden. Die betroffene Person ist darüber im Voraus zu informieren. Bei Zweifeln über die während der Befragung gemachten Angaben ist die Tonaufzeichnung massgebend. Der betroffenen Person bzw. ihrer Rechtsvertretung wird vor Erlass des Dublin-Entscheids eine schriftliche Zusammenfassung zur Kenntnis gebracht. Sie oder ihre Rechtsvertretung kann sich mündlich oder schriftlich zu fehlerhaften Übersetzungen, Missverständnissen oder anderen sachlichen Fehlern in der schriftlichen Zusammenfassung äussern.
-
Verstärkte Würdigung des Kindeswohls (Art. 23 der AMMR-Verordnung): Die Bestimmung über Garantien für unbegleitete Minderjährige wird durch die AMMR-Verordnung dahingehend angepasst, dass dem Kindeswohl verstärkt Rechnung getragen wird.
-
Anpassung der Zuständigkeitskriterien und der Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats (Art. 25 ff. der AMMR-Verordnung): In Bezug auf unbegleitete Minderjährige, die keine Familienangehörige, Geschwister oder andere Verwandte im Dublin-Raum haben, wird neu festgehalten, dass der Dublin-Staat, in dem die minderjährige Person ihr Asylgesuch erstmals einreicht, zuständig sein wird, es sei denn, dass dies nachweislich ihrem Wohl zuwiderläuft (Art. 25 Abs. 5). Zudem wurden die Zuständigkeitskriterien für Personen, die im Besitz eines Visums, mehrerer Visa oder eines Aufenthaltstitels sind, präzisiert. Verfügt eine asylsuchende Person über einen Aufenthaltstitel oder ein Visum, der bzw. das neu seit weniger als drei Jahren bzw. 18 Monaten abgelaufen ist, finden die Zuständigkeitskriterien nach Artikel 29 Absätze 1-3 Anwendung (Art. 29 Abs. 4). Die Zuständigkeit geht somit neu erst nach Ablauf von drei Jahren (bei Aufenthaltstiteln) bzw. 18 Monaten (bei Visa) auf den Dublin-Staat über, in dem das Asylgesuch eingereicht wurde. Neu kann in gewissen Fällen auch ein Dublin-Staat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig werden, wenn die asylsuchende Person über ein Zeugnis oder einen Befähigungsnachweis verfügt, der von einer in einem Dublin-Staat niedergelassenen Bildungseinrichtung ausgestellt wurde (Art. 30). Ferner wurde die Zeitdauer, nach der die Zuständigkeit des Einreisestaats nach der irregulären Einreise endet, von zwölf Monaten auf 20 Monate verlängert (Art. 33). Die für die Bestimmung der Zuständigkeit geltenden Vorschriften über die Beweismittel werden flexibler gestaltet, um die Familienzusammenführung zu erleichtern (Art. 34).
Neu wird der zuständige Dublin-Staat verpflichtet, auch eine drittstaatsangehörige Person, die er von einem anderen Dublin-Staat im Rahmen der Resettlement-Verordnung oder eines nationalen Neuansiedlungsprogramms aufgenommenen hat und die in einem anderen Dublin-Staat ein Asylgesuch eingereicht hat oder sich dort irregulär aufhält, wieder aufzunehmen (Art. 36 Abs. 1 Bst. c).
Zudem werden der Übergang der Zuständigkeit (Art. 37) und das Einleiten des Dublin-Verfahrens (Art. 38) präzisiert.
-
Kürzere Fristen im Dublin-Verfahren : Die AMMR-Verordnung sieht zur Verfahrensbeschleunigung kürzere Fristen für die verschiedenen Verfahrensschritte vor. Dies betrifft die Fristen für die Einreichung und Beantwortung von Aufnahmegesuchen (Art. 39 und 40) und die Wiederaufnahmemitteilung (Art. 41) sowie den Erlass einer Überstellungsentscheidung (Art. 49 Abs. 1).
-
Neue Wiederaufnahmemitteilung (Art. 41 der AMMR-Verordnung) : Das komplexe Wiederaufnahmeverfahren mittels Gesuchs zur Überstellung eines Asylsuchenden in den für sein Asylgesuch zuständigen Dublin-Staat wird durch eine einfache Wiederaufnahmemitteilung ersetzt. Der unterrichtete Dublin-Staat erhält die Möglichkeit, rasch Einwände gegen die Mitteilung zu erheben.
-
Kürzere Dublin-Haft und neuer Haftgrund (Art. 44 und 45 der AMMR-Verordnung): Die Behandlungsfristen für das Dublin-Verfahren werden verkürzt, wenn sich eine Person in Dublin-Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft befindet. Zudem wird neu die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung als neuer eigenständiger Haftgrund eingefügt. Auch wird neu geregelt, welche Behörde die Haft anordnen kann.
-
Verlängerung der Überstellungsfristen bei Untertauchen (Art . 46 Abs. 2 der AMMR-Verordnung): Die Frist für die Überstellung an den zuständigen Dublin-Staat wird verlängert, wenn Asylsuchende während des Dublin-Verfahrens untertauchen oder sich auf andere Weise der Überstellung entziehen. In diesen Fällen kann der überstellende Dublin-Staat neu während bis zu drei Jahren die Überstellung durchführen, falls er der Person wieder habhaft werden sollte. Bis anhin betrug diese Frist 18 Monate.
-
10 000 Euro pro Dublin-Überstellung (Art. 47 der AMMR-Verordnung): Alle Dublin-Staaten, die am «Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds» (AMIF) beteiligt sind, erhalten bei der Aufnahme für die Überstellung einer Person einen Beitrag von 10 000 Euro. Die Schweiz ist am AMIF nicht beteiligt und wird daher auch keine Beiträge aus diesem Fonds erhalten.
-
Informationsaustausch zwischen den Dublin-Staaten (Art. 48, 51 und 54 der AMMR-Verordnung): Der Informationsaustausch zwischen den Dublin-Staaten vor der Überstellung wird auf Daten ausgeweitet, die im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach der neuen Überprüfungsverordnung erhoben wurden (Art. 48 Abs. 2 Bst. e). Die Vorgaben zum Informationsaustausch wurden in Artikel 51 der AMMR-Verordnung in Bezug auf das Auskunftsrecht angepasst, und die Antwortfrist auf ein Informationsersuchen wurde von fünf auf drei Wochen gekürzt. Zudem wird von der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) neu ein Netz bzw. mehrere Netze zuständiger Stellen eingerichtet und verwaltet, um die praktische Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Dublin-Staaten zu stärken (Art. 54).
-
Anpassung des Rechtsmittelverfahrens: Das Rechtsmittelverfahren soll durch die Einführung von Mindest- und Maximalfristen für die Einlegung eines Rechtsmittels beschleunigt und vereinheitlicht werden (Art. 43).
-
Streichung des bestehenden Frühwarn- und Vorsorgemechanismus: Die bestehende Regelung zum Frühwarn- und Vorsorgemechanismus in Artikel 33 der Dublin III-Verordnung wird ersatzlos gestrichen.
-
Abschluss von bilateralen Verwaltungsvereinbarungen (Art. 53 der AMMR-Verordnung): Die Dublin-Staaten können zur Verbesserung der Zusammenarbeit neu auch in Bezug auf Solidaritätsmassnahmen bilateral Verwaltungsvereinbarungen abschliessen (Abs. 1 Bst. c).
-
Schlichtungsverfahren zwischen den Dublin - Staaten (Art. 55 der AMMR-Ver ordnung): Das Schlichtungsverfahren als Streitbeilegungsmechanismus wird angepasst, um seine Anwendung zu erleichtern. Diese Bestimmung ist für die Schweiz nicht anwendbar (obwohl in Teil III der AMMR-Verordnung aufgeführt), da für die assoziierten Staaten ein spezifisches Schlichtungsverfahren im DAA vorgesehen ist.
-
Neue Solidaritätsmassnahmen (Art. 56 ff.; nicht Dublin-relevant): Um EU-Staaten, die unter besonderem Migrationsdruck stehen, zu entlasten, wird mit der AMMR-Verordnung ein umfassender Solidaritätsmechanismus eingeführt. Der Solidaritätsmechanismus sieht die Einrichtung eines sogenannten «Solidaritätspools» vor.
Der jährliche Solidaritätspool umfasst Massnahmen wie Übernahme von Personen (sog. «Relocation»), finanzielle Unterstützung oder alternative Massnahmen (z. B. Massnahmen zum Kapazitätsaufbau). Alle Staaten, die dem Solidaritätsmechanismus obligatorisch unterstehen, müssen einen angemessenen Anteil zum Solidaritätspool beitragen, sind aber in der Wahl der geleisteten Massnahmen frei. Kein Dublin-Staat soll verpflichtet werden, Übernahmen von Asylsuchenden im Rahmen des Solidaritätsmechanismus vorzunehmen. Die an Dublin assoziierten Staaten können sich freiwillig an den Solidaritätsmassnahmen beteiligen.
Es wird eine jährliche Mindestanzahl geben für Übernahmen aus Dublin-Staaten, in denen die meisten Personen in die EU einreisen, durch Dublin-Staaten, die weniger stark von solchen Ankünften betroffen sind. Diese Zahl wird auf mindestens 30 000 Personen jährlich EU-weit festgesetzt. Alternativ können die Staaten auch finanzielle Beiträge in der Höhe von 20 000 Euro pro Übernahme leisten. Ein Minimum von 600 Millionen Euro jährlich wird für die finanziellen Gesamtbeiträge ebenfalls festgelegt. Diese Zahlen können bei Bedarf erhöht werden, und es werden auch Situationen berücksichtigt, in denen in einem bestimmten Jahr kein Solidaritätsbedarf vorgesehen ist (Art. 12 der AMMR-Verordnung).
Um eine möglicherweise unzureichende Anzahl zugesagter Übernahmen auszugleichen, wurde als zusätzliche Massnahme ein «Zuständigkeitsausgleich» (engl. «Responsibility Offsets») für die von der Solidarität begünstigten Dublin-Staaten eingeführt. Dies bedeutet, dass der beitragende Dublin-Staat unter gewissen Umständen die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylgesuchs von Personen übernimmt, die unter normalen Umständen in den begünstigten Dublin-Staat überstellt würden. Diese Regelung wird verbindlich, wenn die Übernahmezusagen eines beitragenden Staats unter 60 Prozent seines Anteils für das betreffende Jahr liegen oder die Zusagen aller teilnehmenden Staaten die in der Verordnung festgelegte Gesamtzahl (30 000 Personen) nicht erreichen.
Hält sich ein Dublin-Staat nicht an seine internationalen Verpflichtungen, beispielsweise indem er keine Dublin-Überstellungen mehr akzeptiert, kann er grundsätzlich nicht von Solidaritätsmassnahmen profitieren.
Die Solidaritätsmassnahmen sind, wie bereits erwähnt, nicht Dublin-relevant und daher für die Schweiz nicht verbindlich. Den assoziierten Staaten steht aber die freiwillige Teilnahme an Solidaritätsmassnahmen offen. Dabei ist ihnen freigestellt, ob sie dies beispielsweise durch Übernahme von Personen oder finanzielle Beiträge tun.
3.3.2 Grundzüge der Krisenverordnung
Als weitere Neuerung soll ein Krisenmechanismus eingeführt werden, der vorübergehende und ausserordentliche Massnahmen in Krisenzeiten ermöglicht. Die neue EU-Verordnung sieht besondere Regelungen vor, die es in Krisenzeiten ermöglichen, von den Bestimmungen in der AMMR-Verordnung, der Asylverfahrensverordnung und der Aufnahmerichtlinie abzuweichen. Damit soll gewährleistet werden, dass die EU-Mitgliedstaaten flexibel auf Krisen oder force majeure -Ereignisse reagieren und dass die Solidaritätsmassnahmen, die in der AMMR-Verordnung geregelt sind, entsprechend der Migrationslage angepasst werden können. Die Europäische Kommission und der Rat entscheiden gemeinsam über die zu ergreifenden Massnahmen.
3.4 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der AMMR-Verordnung
3.4.1 Teil I - Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen (Art. 1-2) (nicht Dublin-relevant)
Art. 1
Gegenstand
Neben der Festlegung der Kriterien für den zuständigen Dublin-Staat und der Regelung des entsprechenden Verfahrens führt die AMMR-Verordnung neu auch einen gemeinsamen Rahmen für die Steuerung von Asyl und Migration in der EU und für das Funktionieren des GEAS ein und legt einen Solidaritätsmechanismus fest.
Damit wird der Anwendungsbereich der AMMR-Verordnung weiter gefasst als die DAA mit der Schweiz, Liechtenstein, Norwegen oder Island. Die AMMR-Verordnung bildet ein Gesamtkonzept auf Grundlage eines gemeinsamen Rahmens für das Migrationsmanagement. Die zentralen Regelungen hinsichtlich der Bestimmung des für die Prüfung eines Asylgesuchs zuständigen Dublin-Staats sind jedoch weiterhin ein Schlüsselelement und wurden in der AMMR-Verordnung beibehalten.
Um die Teilnahme der assoziierten Staaten am Dublin-System weiterhin zu gewährleisten, sind Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein im Rahmen des DAA nur an die Teile III, V und VII der AMMR-Verordnung gebunden. Dies gilt ebenfalls für Dänemark. Obwohl Dänemark ein EU-Mitgliedstaat ist, beteiligt es sich nicht an der Annahme der Massnahmen durch den Rat der EU, die unter Titel V des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ⁵6 fallen. Es hat der Europäischen Kommission aber mitzuteilen, ob es die Teile III, V und VII der AMMR-Verordnung umsetzen wird. Dies, da Dänemark 2006 die Dublin III-Verordnung aufgrund eines mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) abgeschlossenen völkerrechtlichen Abkommens anwendet. ⁵7
⁵6 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung) Protokolle Anhänge des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union; ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 1.
⁵7 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Staates, der für die Prüfung eines in Dänemark oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellten Asylantrags zuständig ist, sowie über «Eurodac» für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens; ABl. L 66 vom 8.3.2006, S. 38.
Art. 2
Begriffsbestimmungen
Wie bereits in der bisherigen Dublin III-Verordnung enthält Artikel 2 die Definitionen von Begriffen, die in der AMMR-Verordnung verwendet werden.
Die Definition «Drittstaatsangehöriger» wurde leicht angepasst (Abs. 1). Neu fallen Personen, die einen Anspruch auf freien Personenverkehr gemäss Artikel 2 Nummer 5 der Verordnung (EU) 2016/399 ⁵8 (Schengener Grenzkodex, SGK) haben, nicht unter diesen Begriff. Gemeint sind hier, wie bis anhin, die Staatsangehörigen eines an Dublin assoziierten Staats. Der Buchstabe erfährt somit keine materielle Änderung.
Neu aufgenommen wurde die Definition «Staatenloser» (Abs. 2). Es handelt sich hierbei um eine Person, die von keinem Staat nach dessen Recht als Staatsangehöriger angesehen wird.
Die Definitionen «Antrag auf internationalen Schutz» bzw. «Antrag» (Abs. 3 und 4) werden sprachlich angepasst. Der Verweis auf die Richtlinie 2011/95/EU ⁵9 wird gestrichen.
Die Definition «Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz» (Abs. 5) verweist neu auf die neue Asylverfahrensverordnung und die Anerkennungsverordnung. Wie bereits unter der Dublin III-Verordnung fallen «Dublin-Verfahren» nicht darunter.
Absatz 6 («Rücknahme eines Antrags auf internationalen Schutz») und Absatz 7 («Begünstigter internationalen Schutzes») entsprechen inhaltlich den Buchstaben e und f von Artikel 2 der Dublin III-Verordnung. Neu werden jedoch die Verweise angepasst.
Der Begriff «Familienangehörige» (Absatz 8) erfährt folgende Neuerung: Neu muss die Familie nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden haben. Es reicht, wenn sich die Familie erst auf der Flucht gebildet hat. Sie muss jedoch vor Ankunft des Asylsuchenden oder dessen Familienangehörigen im Hoheitsgebiet eines Dublin-Staats bestanden haben. Ansonsten bleibt die Definition unverändert. Weiterhin vom Familienbegriff ausgenommen sind Geschwister.
Die Definitionen «Verwandter» (neuer Abs. 9), «Minderjähriger» (neuer Abs. 10), «unbegleiteter Minderjähriger» (neuer Abs. 11) und «Aufenthaltstitel» (neuer Bst. in Abs. 13) bleiben materiell unverändert.
Die Definition «Vertreter» (Abs. 12) erfährt eine leichte Anpassung. Die Präzisierung, die der letzte Satz in Bezug auf den Fall enthält, in dem eine Organisation als zuständiger Vertreter ernannt wird, wird ersatzlos gestrichen.
Die Definition «Visum» (Abs. 14) wird sprachlich leicht angepasst, erfährt jedoch materiell keine Änderung.
In Absatz 15 sind neu die Definitionen zu «Zeugnis oder Befähigungsnachweis» enthalten. Dabei handelt es sich um Nachweise, die in einem Mitgliedstaat nach einem mindestens einjährigen Studium im Rahmen eines anerkannten, staatlichen oder regionalen Bildungs- oder Ausbildungsprogramms erworben und bescheinigt werden. Neu wird daher auch die Definition «Bildungseinrichtung» in die AMMR-Verordnung aufgenommen (Abs. 16).
Ebenfalls wird neu eine Definition zu «Flucht» in die AMMR-Verordnung aufgenommen (Abs. 17). Es handelt sich dabei um eine Handlung, bei der die betroffene Person sich der zuständigen Verwaltungs- oder Justizbehörde entzieht.
Die Definition der «Fluchtgefahr» wird neu in Absatz 18 von Artikel 2 geregelt und sprachlich leicht angepasst. Wie bis anhin sind die objektiven Kriterien der Fluchtgefahr im nationalen Recht zu regeln.
Schliesslich werden aufgrund der Einführung des Solidaritätsmechanismus folgende Definitionen in die AMMR-Verordnung aufgenommen: «begünstigter Mitgliedstaat» (Abs. 19), «beitragender Mitgliedstaat» (Abs. 20), «Überstellung» (Abs. 21), «Übernahme» (Abs. 22), «Such- und Rettungseinsätze» (Abs. 23), «Migrationsdruck» (Abs. 24), «ausgeprägte Migrationssituation» (Abs. 25), «Aufnahmebedingungen» (Abs. 26), «neu angesiedelte oder aufgenommene Person» (Abs. 27) und «EU-Solidaritätskoordinator» (Bst. 28).
⁵8 Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex); ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2024/1717, ABl. L, 2024/1717, 20.06.2024.
⁵9 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung); ABl. L 337, 20.12.2011, S. 9.
3.4.2 Teil II - Gemeinsamer Rahmen für das Asyl- und Migrationsmanagement (Art. 3-15) (nicht Dublin-relevant)
Kapitel 1: Gesamtkonzept (Art. 3-8)
In diesem Kapitel werden die Grundlagen bzw. Massnahmen im Hinblick auf ein umfassendes Migrationsmanagement dargelegt. Artikel 3 hält als Grundsatzziel fest, dass die Handlungen der EU und der Mitgliedstaaten im Bereich des umfassenden Migrationsmanagements sich auf den in Artikel 80 AEUV verankerten Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortung stützen. Die Artikel 4 und 5 zählen die einzelnen Komponenten einer wirksamen Steuerung der Migration auf. Dazu gehören insbesondere Partnerschaften mit Drittstaaten, die Bekämpfung von Schleuserkriminalität und Menschenhandel sowie die Gewährleistung eines effektiven Zugangs zu Verfahren zur Gewährung und Aberkennung des internationalen Schutzes und zur Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz. Weitere Schwerpunktthemen bilden der Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortung (Art. 6), ein strategischer Ansatz auf nationaler Ebene (Art. 7) sowie eine langfristige europäische Strategie (Art. 8) zur Steuerung von Asyl und Migration auf nationaler Ebene. Erwähnenswert ist auch das in Artikel 6 Absatz 3 geregelte ständige EU-Instrumentarium zur Migrationsunterstützung. Als Dublin-assoziierter Staat wird die Schweiz von diesem Angebot grundsätzlich nicht direkt profitieren können. Die Dienstleistungen bestehen insbesondere in der operativen und technischen Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten durch die zuständigen Europäischen Agenturen, in der finanziellen Unterstützung aus den einschlägigen europäischen Fonds sowie beispielsweise in der Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Erleichterung der Rückübernahme.
Kapitel II: Jährlicher Migrationsmanagementzyklus (Art. 9-15)
Art. 9
Jährlicher Europäischer Asyl- und Migrationsbericht
Diese Bestimmung regelt die Erstellung eines jährlichen Europäischen Asyl- und Migrationsberichts («European Annual Asylum and Migration Report») durch die Europäische Kommission. Dieser Bericht bewertet die Asyl-, Aufnahme- und Migrationssituation in den zwölf vorangehenden Monaten und soll einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen ermöglichen. Mit dem Bericht soll eine strategische Lagebeschreibung erfolgen, die der EU auch als Frühwarn- und Sensibilisierungsinstrument dient. Der Bericht stützt sich dabei auf einschlägige Daten und Informationen, die von den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Auswärtigen Dienst, der EUAA, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex), der Europäischen Agentur für die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden (Europol) und der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) bereitgestellt werden. Die Übermittlung dieser Daten hat in jedem Jahr bis zum 1. Juni zu erfolgen.
Der Bericht soll eine Gesamtbewertung der Migrationslage auf allen Migrationsrouten und in allen Mitgliedstaaten, Zukunftsprognosen, Informationen zum Bereitschaftsgrad und den Kapazitätsniveaus der Mitgliedstaaten sowie Monitoring-Ergebnisse enthalten. Zudem wird in Konsultation mit dem betroffenen Mitgliedstaat geprüft, ob Solidaritätsmassnahmen und Massnahmen aus dem EU-Werkzeugkasten («permanent EU Toolbox») erforderlich sind, um diesen Staat zu unterstützen. Die Europäische Kommission übermittelt den entsprechenden Bericht jedes Jahr bis zum 15. Oktober an den Rat und das Europäische Parlament. Wobei der erste Bericht bis zum 15. Oktober des Jahres zu übermitteln ist, das auf das Jahr des Inkrafttretens der AMMR-Verordnung folgt. Die Berichte bilden die Grundlage für Entscheidungen über die zur Steuerung von Migrationssituationen erforderlichen Massnahmen auf Unionsebene.
Die Europäische Kommission beruft in der ersten Julihälfte eines jeden Jahres eine Sitzung des EU-Mechanismus zur Abwehrbereitschaft und Bewältigung von Migrationskrisen ein, um eine erste Bewertung der Lage vorzunehmen und Informationen auszutauschen. Bis zum 30. September eines jeden Jahres wird durch die Europäische Kommission eine weitere Sitzung des EU-Mechanismus einberufen. An dieser soll eine konsolidierte Bewertung der Lage vorgelegt werden. Die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des EU-Mechanismus werden in der Empfehlung (EU) 2020/1366 6⁰ geregelt.
6⁰ Empfehlung (EU) 2020/1366 der Kommission vom 23. September 2020 über einen Vorsorge- und Krisenmanagementmechanismus der EU für Migration (Vorsorge- und Krisenplan für Migration), ABl. L 317 vom 1.10.2020, S. 26.
Art. 10
Informationen für die Bewertung der Gesamtmigrationslage, des Migrationsdrucks, der Gefahr von Migrationsdruck oder einer ausgeprägten Migrationslage
Diese Regelung legt fest, dass die Europäische Kommission bei der Bewertung der Gesamtlage der Migration und des Migrationsdrucks, dem ein Mitgliedstaat ausgesetzt ist, die Informationen gemäss Artikel 9 Absatz 3 Buchstabe a verwendet. Dazu gehören unter anderem auch die Anzahl der Asylanträge und die Nationalität der antragstellenden Personen, die Anzahl der Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen mit vorübergehendem Schutz (gemäss Qualifikationsverordnung), der (identifizierten) Personen, die sich ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung im Land aufhalten, der Rückführungsentscheidungen, der Personen, die das Land nach einer Rückführungsentscheidung verlassen haben, sowie Informationen über Umsiedlungsprogramme oder die Anzahl der versuchten irregulären Grenzübertritte, sofern die Daten verfügbar und überprüfbar sind.
Die Europäische Kommission berücksichtigt ebenfalls die durch die Mitgliedstaaten vorgebrachten Informationen, einschliesslich der Einschätzungen von Bedarf und Kapazität, sowie Angaben zum Ausmass der Zusammenarbeit mit Drittstaaten in Sachen Migration, Rückkehr und Rückübernahme. Auch die geopolitische Situation in relevanten Drittstaaten und die Grundursachen der Migration werden in Erwägung gezogen. Unter anderem sollen auch Informationen, Empfehlungen und Berichte verschiedener EU-Akteure und Agenturen (z. B. Frontex, EUAA oder FRA) berücksichtigt werden.
Darüber hinaus berücksichtigt die Europäische Kommission bei der Beurteilung, ob ein Mitgliedstaat mit einer signifikanten Migrationssituation konfrontiert ist, auch die kumulative Wirkung der aktuellen und früheren jährlichen Einreisen von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen.
Art. 11
Durchführungsbeschluss der Kommission über die Festlegung der Mitgliedstaaten, die Migrationsdruck ausgesetzt sind, für die die Gefahr von Migrationsdruck besteht oder die sich in einer ausgeprägten Migrationslage befinden
Basierend auf dem Bericht gemäss Artikel 9 erlässt die Europäische Kommission in Konsultation mit dem betroffenen Mitgliedstaat bis zum 15. Oktober eines jeden Jahres einen Durchführungsbeschluss. Dieser legt fest, inwiefern dieser Staat unter Migrationsdruck steht und ob er im folgenden Jahr migrationsbedingtem Druck oder einer signifikanten Migrationslage ausgesetzt ist. Bei der Bewertung der Gesamtmigrationslage stützt sich die Europäische Kommission, unter Einbezug des Berichts, auf die gemäss Artikel 10 gesammelten Informationen. Dabei hat sie insbesondere auch die Besonderheiten des strukturellen Phänomens der Ausschiffung nach Such- und Rettungsmassnahmen und der unerlaubten Verbringung von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen zwischen den Mitgliedstaaten sowie den früheren Migrationsdruck und die derzeitige Situation in vollem Umfang zu berücksichtigen.
Art. 12
Vorschlag der Kommission für einen Durchführungsrechtsakt des Rates zur Errichtung des Jährlichen Solidaritätspools
Diese Bestimmung legt fest, dass die Europäische Kommission bis zum 15. Oktober eines jeden Jahres einen Vorschlag für einen Durchführungsrechtsakt des Rates zur Einrichtung des Solidaritätspools vorlegt. Dieser Pool ist erforderlich, um die Migrationslage im kommenden Jahr in ausgewogener und wirksamer Weise zu bewältigen und um den voraussichtlichen jährlichen Solidaritätsbedarf der unter Migrationsdruck stehenden Mitgliedstaaten widerzuspiegeln. Die Empfehlung umfasst neben jährlichen Zahlen für Übernahmen (mindestens 30 000 pro Jahr) und finanziellen Beiträgen auf Unionsebene (mindestens EUR 600 Mio.) ebenfalls jährliche Richtbeträge der einzelnen Mitgliedstaaten, die sich aus der Anwendung des in Artikel 66 festgelegten Referenzschlüssels ergeben. Diese Richtwerte sollen das Verfahren für die Abgabe von Zusagen gemäss Artikel 13 erleichtern.
Bei der Festlegung des unionsweiten Verantwortungsgrads und des daraus resultierenden Solidaritätsniveaus berücksichtigt die Europäische Kommission relevante qualitative und quantitative Kriterien. Mitgliedstaaten, die als begünstigte Mitgliedstaaten gelten werden (Art. 58 Abs. 1), sind nicht verpflichtet, ihre Solidaritätsbeiträge zu leisten. Die Europäische Kommission kann bei Bedarf in Ausnahmesituationen höhere Umsiedlungszahlen, direkte finanzielle Beiträge oder alternative Solidaritätsmassnahmen (Art. 56 Abs. 2 Bst. c) festlegen. In Ausnahmesituationen, in welchen kein Bedarf an Relocations oder direkten finanziellen Beiträgen besteht, berücksichtigt der Vorschlag dies dementsprechend.
Art. 13
Hochrangiges EU-Solidaritätsforum
Diese Regelung sieht die Einberufung eines hochrangigen EU-Solidaritätsforums vor. An diesem nehmen Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedstaaten teil, um die effektive Umsetzung von Teil IV (Solidarität) der AMMR-Verordnung sicherzustellen. Der Vorsitz wird durch denjenigen Mitgliedstaat geführt, der ebenfalls den Ratsvorsitz innehat. Drittstaaten, die mit der EU ein Übereinkommen über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten oder in diesem Drittstaat eingereichten Asylantrags geschlossen haben (vorliegend die am Dublin-Besitzstand assoziierten Staaten), können gegebenenfalls zur Teilnahme am hochrangigen Solidaritätsforum eingeladen werden, um auf Ad-hoc-Basis einen Beitrag zur Solidarität zu leisten.
Der Rat beruft das Solidaritätsforum innerhalb von 15 Tagen nach der Annahme des Berichts (Art. 9), des Durchführungsbeschlusses (Art. 11) und des Vorschlags der Europäischen Kommission (Art. 12) ein.
Das hochrangige Solidaritätsforum evaluiert den Bericht, den Kommissionsbeschluss und die Empfehlung, macht eine Bestandesaufnahme der Gesamtsituation und zieht Schlussfolgerungen bezüglich der erforderlichen Solidaritätsmassnahmen und deren Höhe sowie nötigenfalls anderer migrationspolitischer Massnahmen. Die Mitgliedstaaten haben sodann ihren Solidaritätsbeiträgen für die Einrichtung des Solidaritätspools zuzusagen.
Ist der Rat auf Initiative eines Mitgliedstaats oder auf Ersuchen der Europäischen Kommission der Auffassung, dass die Solidaritätsbeiträge zum Solidaritätspool im Verhältnis zum ermittelten Bedarf unzureichend sind, der Bedarf eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, die unter Migrationsdruck stehen, höher als erwartet ist oder die Gesamtsituation eine zusätzliche solidarische Unterstützung erfordert, so beruft er das hochrangige EU-Solidaritätsforum mit einfacher Mehrheit erneut ein. An diesem werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, zusätzliche Solidaritätsbeiträge zu leisten.
Art. 14
Fachebene des EU-Solidaritätsforums
Damit die effektive Umsetzung von Teil IV der Verordnung gewährleistet wird, wird neu ebenfalls ein EU-Solidaritätsforum auf technischer Ebene geschaffen. Das Forum wird durch den EU-Solidaritätskoordinator im Namen der Europäischen Kommission einberufen und geleitet. Es setzt sich ebenfalls aus Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zusammen. Drittstaaten, die mit der EU ein Übereinkommen über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten oder in diesem Drittstaat eingereichten Asylantrags geschlossen haben, können ebenfalls zur Teilnahme am hochrangigen Solidaritätsforum eingeladen werden, um auf Ad-hoc-Basis einen Beitrag zur Solidarität zu leisten.
Im Unterschied zum hochrangigen Solidaritätsforum nimmt die EUAA ebenfalls am technischen Forum teil. Frontex, die FRA sowie weitere UN-Agenturen nehmen auf Einladung des EU-Solidaritätskoordinators teil.
Art. 15
EU-Solidaritätskoordinator
Der bereits in Artikel 14 genannte EU-Solidaritätskoordinator wird durch die Europäische Kommission ernannt. In Artikel 15 Absatz 2 wird festgehalten, welche Aufgaben diesem übertragen werden. So hat er unter anderem die Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten und den an der Umsetzung des Solidaritätsmechanismus beteiligten Agenturen und Einrichtungen zu koordinieren und zu unterstützen, den Überblick über den Bedarf der begünstigten Mitgliedstaaten und die Beiträge der beitragenden Mitgliedstaaten zu behalten sowie das EU-Solidaritätsforum auf technischer Ebene einzuberufen und zu leiten. Zusätzlich nimmt er die Aufgaben gemäss Artikel 7 der Krisenverordnung wahr.
Absatz 3 bestimmt, dass der EU-Solidaritätskoordinator von einem Büro unterstützt und mit den erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet wird.
. Teil III - Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (Art. 16-55) (Dublin-relevant)
Kapitel I: Allgemeine Grundsätze und Schutzgarantien (Art. 16-23)
Art. 16
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
Die Bestimmung enthält die Grundsätze, wonach die Dublin-Staaten jedes Asylgesuch von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in ihrem Hoheitsgebiet einschliesslich der Grenzen oder Transitzonen prüfen. Zudem soll ein Antrag von einem einzigen Staat gemäss den einschlägigen Zuständigkeitskriterien der AMMR-Verordnung geprüft werden.
Grundsätzlich ist der erste Dublin-Staat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz registriert wurde, für dessen Prüfung zuständig, wenn sich anhand der Kriterien der AMMR-Verordnung kein anderer Staat bestimmen lässt.
Zudem wird das Vorgehen geregelt, wenn sich eine Überstellung an den eigentlich für die Übernahme zuständigen Dublin-Staat als unmöglich erweist, weil stichhaltige Gründe darauf hinweisen, dass für den Betroffenen die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht. Der betroffene Dublin-Staat prüft in solchen Fällen anhand der weiteren Zuständigkeitskriterien nach der AMMR-Verordnung (Kriterien des Teils III Kapitel II oder der Klauseln des Teils III Kapitel III der AMMR-Verordnung), ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Trifft keines dieser Kriterien zu, geht die Zuständigkeit auf ihn über.
Zudem wird festgelegt, dass kein Aufnahmegesuch nach Artikel 39 der AMMR-Verordnung eingereicht wird, wenn ein Dublin-Staat zuvor aufgrund einer Sicherheitsprüfung zum Schluss gelangt ist, dass eine asylsuchende Person eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt.
Art. 17
Pflichten des Antragstellers und Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden
Diese Bestimmung regelt neu explizit die Verpflichtungen der Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen im Rahmen des Dublin-Verfahrens. Eine solche Regelung ist in der geltenden Dublin III-Verordnung nicht enthalten.
Diese Bestimmung enthält die grundlegende Verpflichtung, das Asylgesuch in demjenigen Staat einzureichen, in den die erste Einreise erfolgt (Abs. 1). Abweichend davon ist das Gesuch in demjenigen Staat einzureichen, in dem die Person über einen gültigen Aufenthaltstitel oder ein gültiges Visum verfügt; ist die Person im Besitz eines abgelaufenen, für ungültig erklärten, entzogenen oder aufgehobenen Aufenthaltstitels oder Visums, so hat sie das Asylgesuch in dem Dublin-Staat zu stellen, in dem sie sich aufhält (Abs. 2).
Weiter sind Pflichten vorgesehen, die eine umfassende Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden der Dublin-Staaten verlangen. Diese beinhalten insbesondere, dass die betroffene Person so bald wie möglich, spätestens jedoch zum Zeitpunkt der Anhörung nach Artikel 22 alle notwendigen Informationen offenlegt und zur Verfügung stellt. Die Identitätsdokumente sind vorzulegen, und die betroffene Person ist zur Mitwirkung bei der Erfassung der biometrischen Daten auf der Grundlage der Eurodac-Verordnung verpflichtet. Falls die betroffene Person zum Zeitpunkt der Anhörung noch nicht in der Lage ist, die notwendigen Angaben zu machen oder das Formular nach Artikel 22 Absatz 1 der AMMR-Verordnung auszufüllen, kann ihr die zuständige Behörde eine Nachfrist nach Artikel 39 Absatz 1 der AMMR-Verordnung gewähren (Abs. 3).
Die gesuchstellende Person hat sich bis zur Bestimmung des zuständigen Staats bzw. bis zur Durchführung des Überstellungsverfahrens in demjenigen Staat aufzuhalten, in dem das Asylgesuch eingereicht wurde. Nach der Überstellung hat sie sich für die Fortführung des Verfahrens in diesem Staat aufzuhalten (Abs. 4).
Schliesslich wird festgehalten, dass sich die von einer Überstellungsentscheidung betroffene Person an diese zu halten hat und auch bei der Überstellung mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten muss (Abs. 5).
Art. 18
Folgen bei Verstössen
Nach Zustellung der Überstellungentscheidung hat die betroffene Person grundsätzlich nur noch in dem Staat, in dem sie sich gemäss Artikel 17 Absatz 4 der AMMR-Verordnung aufzuhalten hat, Anspruch auf die Leistungen (sog. Aufnahmebedingungen) gemäss den Artikeln 17-20 der Aufnahmerichtlinie (nicht Dublin-relevanter Rechtsakt). Nach der Überstellungsentscheidung wird dies grundsätzlich der Staat sein, in den die Person überstellt werden sollte. Eine Verletzung der Pflicht nach Artikel 17 kann somit Konsequenzen auf die Aufnahmebedingungen haben. Dies unter der Voraussetzung, dass die betroffene Person zuvor über die Pflichten und die Folgen der Pflichtverletzung nach den Artikeln 17 und 18 der AMMR-Verordnung gemäss Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen bzw. den Artikeln 8 Absatz 1 und 21 der Überprüfungsverordnung unterrichtet wurde (Abs. 1). Dabei muss jedoch ein Lebensstandard gewährleistet werden, der im Einklang mit dem Unionsrecht, einschliesslich der Charta, und internationalen Verpflichtungen steht.
Informationen und Angaben der betroffenen Person im Hinblick auf die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, die nach Ablauf der Frist vorgelegt wurden, sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie Nachweise liefern, die für die ordnungsgemässe Anwendung der vorliegenden Verordnung entscheidend sind (insbesondere in Bezug auf UMA und die Familienzusammenführung, Abs. 2).
Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn sich die betroffene Person nicht in dem Mitgliedstaat befindet, in dem sie sich aufhalten muss, und die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem sie sich aufhält, begründeten Anlass zu der Annahme haben, dass sie möglicherweise Opfer einer der in den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie 2011/36/EU 6¹ genannten Straftaten geworden ist (Abs. 3).
Bei der Anwendung von Artikel 18 sind schliesslich die individuellen Umstände der betroffenen Person zu berücksichtigen und alle von den Mitgliedstaaten getroffenen Massnahmen müssen verhältnismässig sein (Abs. 4).
6¹ Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, ABl. L 101 vom 15.4.2011, S. 1.
Art. 19
Recht auf Information
Die zuständigen Behörden sollen die betroffene Person so schnell wie möglich, jedoch spätestens bei der Registrierung des Asylgesuchs über die Anwendung der AMMR-Verordnung, ihre Rechte sowie die Verpflichtungen nach Artikel 17 der AMMR-Verordnung und die Folgen von Verstössen nach Artikel 18 der AMMR-Verordnung informieren. Die Informationsinhalte, die nicht abschliessend aufgelistet werden, betreffen insbesondere die einzelnen Verfahrensschritte, die Tatsache, dass der Staat, der für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig ist, nicht frei wählbar ist, die Mitwirkungspflicht, die Beschwerdemöglichkeiten sowie datenschutzrechtliche Aspekte.
Art. 20
Zugänglichkeit der Information
Gemäss Absatz 1 müssen die in Artikel 19 genannten Informationen schriftlich, in einer verständlichen, leicht zugänglichen Form und in einer einfachen Sprache erteilt werden. Sofern nötig, werden die Informationen ebenfalls mündlich erteilt. Dies bietet den Antragstellenden die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
Zur Informationsbereitstellung wird das von der EUAA gemeinsam mit den Mitgliedstaaten erstellte Informationsmaterial benutzt. Gleichzeitig werden spezifische Informationen für unbegleitete Minderjährige und weitere besonders schutzbedürftige Antragstellende erstellt. Das gemeinsame Informationsmaterial enthält auch Informationen über die Anwendung der Eurodac-Verordnung, insbesondere über den Zweck, zu dem die Daten der Antragstellenden im Rahmen von Eurodac verarbeitet werden dürfen (Abs. 2).
Bei Minderjährigen werden die in Artikel 19 genannten Informationen in kindgerechter Weise von entsprechend geschultem Personal und in Anwesenheit der Vertreterin oder des Vertreters der gesuchstellenden Person erteilt (Abs. 3).
Art. 21
Recht auf Rechtsauskunft
Die Gesuchstellenden haben während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats das Recht, eine Rechtsberatung oder eine sonstige Beratung in Bezug auf die Anwendung der Kriterien des Kapitels II oder der Klauseln des Teils III Kapitel III in Anspruch zu nehmen.
Eine unentgeltliche Rechtsberatung kann beantragt werden. Diese wird von Personen geleistet, die nach innerstaatlichem Recht zur Beratung, Unterstützung oder Vertretung der Gesuchstellenden zugelassen oder berechtigt sind. Dasselbe gilt für Regierungsorganisationen, die ebenfalls nach innerstaatlichem Recht zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen oder zur Vertretung von Gesuchstellenden zugelassen sind. Die Modalitäten und die zu erbringenden Leistungen dieser unentgeltlichen Rechtsberatung werden in den Absätzen 4-7 geregelt.
Zudem steht es den Gesuchstellenden frei, eine eigene Rechtsberatung auf eigene Kosten zu wählen.
Art. 22
Persönliche Anhörung
Grundsätzlich soll mit der betroffenen Person zeitnah vor einem Aufnahmegesuch nach Artikel 39 der AMMR-Verordnung eine Anhörung (vor Ort oder per Videokonferenz) durchgeführt werden. Während dieser Anhörung sollen die zuständigen Behörden durch proaktive Fragen Informationen über die individuelle Situation der betroffenen Person sammeln, die die Bestimmung des für die Anwendung von Artikel 39 zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen.
Liegen Hinweise darauf vor, dass die betroffene Person Familienangehörige oder Verwandte in einem Mitgliedstaat haben könnte, erhält diese ein von der EUAA zu erstellendes Formular. Die Agentur entwickelt ferner Leitlinien für die Identifizierung und Ermittlung von Familienangehörigen.
Auf die Befragung kann ausnahmsweise verzichtet werden, wenn die betroffene Person untergetaucht ist, wenn sie unentschuldigt nicht zur Anhörung erschienen ist oder wenn sie nach Erhalt der Informationen nach Artikel 19 der AMMR-Verordnung die für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats notwendigen Informationen bereits übermittelt hat. Bei einem Verzicht auf eine Anhörung ist der betroffenen Person die Gelegenheit zu geben, alle weiteren Informationen, die für die Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats relevant sind, innerhalb der Frist nach Artikel 39 Absatz 1 der AMMR-Verordnung vorzulegen.
Die Anhörung soll in der von der gesuchstellenden Person bevorzugten Sprache durchgeführt werden - es sei denn, es gibt eine andere Sprache, die sie versteht und in der sie sich deutlich verständigen kann. Bei Minderjährigen ist die Anhörung in Anwesenheit der Vertreterin oder des Vertreters und/oder der Rechtsberatung in kindgerechter Weise durchzuführen. Falls notwendig ist eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher beizuziehen. Die betroffenen Personen können auf Antrag bei der Anhörung von Personen des eigenen Geschlechts befragt und begleitet werden. Zusätzlich kann eine Kulturmediatorin oder ein Kulturmediator beigezogen werden. Auf Wunsch der betroffenen Person und soweit möglich, müssen die befragende Person sowie die Dolmetscherin oder der Dolmetscher dem von der gesuchstellenden Person bevorzugten Geschlecht angehören.
Von der Anhörung ist eine Tonaufzeichnung anzufertigen und eine schriftliche Zusammenfassung zu erstellen, beispielsweise in Form eines Berichts oder eines Standardformulars. Der Bericht ist der gesuchstellenden Person oder deren Rechtsvertretung vor der Entscheidung über den zuständigen Mitgliedstaat zuzustellen. Es besteht sodann die Möglichkeit, Fehler und Missverständnisse in der Zusammenfassung zu monieren. Bei Zweifeln über die von der gesuchstellenden Person geäusserten Angaben ist die Tonaufzeichnung massgebend.
Art. 23
Garantien für Minderjährige
Diese Bestimmung regelt die einzuhaltenden Garantien für begleitete und unbegleitete Minderjährige im Rahmen des Dublin-Verfahrens. Das Kindeswohl ist bei allen Verfahren im Rahmen der AMMR-Verordnung vorrangig zu betrachten. So werden Verfahren, die Minderjährige betreffen, auch vorrangig durchgeführt. Die Dublin-Staaten sind verpflichtet, bei unbegleiteten Minderjährigen für alle Verfahren in Zusammenhang mit der AMMR-Verordnung innerhalb von 15 Arbeitstagen eine Vertretung sicherzustellen. Dies gilt, wenn objektive Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Person minderjährig und unbegleitet ist, aber auch dann, wenn die betroffene Person angibt, minderjährig zu sein.
Zudem werden die Anforderungen an die Vertretung, deren Befugnisse und deren Aufgaben festgelegt. So unterstützt die Vertretung die betroffene minderjährige Person insbesondere bei der Bereitstellung der für das Verfahren notwendigen Informationen oder bei der Anhörung nach Artikel 22 der AMMR-Verordnung. Die Dublin-Staaten sollen bei der Würdigung des Kindeswohls eng zusammenarbeiten und dabei verschiedene Faktoren berücksichtigen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere die Prüfung der Möglichkeiten einer Familienzusammenführung oder Sicherheitsabwägungen, insbesondere bei Minderjährigen, bei welchen es sich um Opfer von Gewalt oder Ausbeutung handelt.
Vor der Überstellung einer unbegleiteten minderjährigen Person muss gewährleistet werden, dass dem Kindeswohl in jedem Einzelfall Rechnung getragen wird, und der übernehmende Mitgliedstaat muss bestätigen, dass angemessene Massnahmen unverzüglich nach erfolgter Überstellung ergriffen werden, einschliesslich der Bestellung einer Vertreterin oder eines Vertreters. Der Dublin-Staat, in dem ein Asylgesuch einer unbegleiteten minderjährigen Person zuerst registriert wurde, unternimmt unverzüglich die geeigneten Schritte, um in anderen Staaten aufhältige Familienangehörige zu ermitteln. Die Europäische Kommission wird zur Unterstützung dieser Ermittlungen Durchführungsrechtsakte erlassen.
Kapitel II: Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (Art. 24-33 )
Dieses Kapitel regelt die objektiven Kriterien zur Feststellung des Dublin-Staats, der für die Prüfung eines im Dublin-Raum gestellten Asylgesuchs zuständig ist.
Art. 24
Rangfolge der Kriterien
Wie bis anhin gelangen die verbindlichen Zuständigkeitskriterien in einer konkreten Rangfolge zur Anwendung. Die Rangfolge richtet sich nach der Reihenfolge, in der die Zuständigkeitskriterien in diesem Kapitel aufgeführt sind; dies gilt auch in Bezug auf die einzelnen Absätze innerhalb der Artikel. Diese Bestimmung entspricht weitgehend Artikel 7 der geltenden Dublin III-Verordnung.
Art. 25
Unbegleitete Minderjährige
Dieser Artikel enthält die einzige und abschliessende Zuständigkeitsbestimmung für unbegleitete Minderjährige und entspricht inhaltlich Artikel 8 der geltenden Dublin III-Verordnung. Es gelten ausschliesslich die Kriterien dieses Artikels in der Rangfolge der Absätze. Die Anwendung anderer Zuständigkeitskriterien ist somit ausgeschlossen.
Es soll derjenige Dublin-Staat das Asylgesuch einer minderjährigen unbegleiteten Person prüfen, in dem sich ein Angehöriger ihrer Familie oder eines ihrer Geschwister rechtmässig aufhält, sofern dies nicht dem Kindeswohl widerspricht (Abs. 2). Wer Familienangehöriger im Sinne von Artikel 25 ist, bestimmt sich nach Artikel 2 Absatz 8. Geschwister fallen nicht unter diese Definition. Sie werden daher im vorliegenden Artikel explizit erwähnt. Hat die unbegleitete minderjährige Person einen Verwandten, der sich rechtmässig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, so ist dieser Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat, sofern der Verwandte für die Gesuchstellerin oder den Gesuchsteller sorgen kann und dies dem Wohl des Kindes nicht nachweislich widerspricht (Abs. 3). Halten sich Familienangehörige, Geschwister oder Verwandte in mehr als einem Dublin-Staat auf, bestimmt sich der zuständige Dublin-Staat nach dem Kindeswohl (Abs. 4). Wenn keine Angehörigen ausfindig gemacht werden können, ist der Dublin-Staat zuständig, in dem das Asylgesuch eingereicht wurde, sofern dies dem Kindeswohl entspricht (Abs. 5).
Art. 26
Familienangehörige, die sich legal in einem Mitgliedstaat aufhalten
Absatz 1 dieses Artikels regelt die Zuständigkeit eines Dublin-Staats, wenn ein Familienangehöriger bereits Anspruch auf internationalen Schutz in einem Dublin-Staat hat oder sich dieser aufgrund eines längerfristigen Aufenthaltstitels rechtmässig im Mitgliedstaat aufhält. Erforderlich für die Bestimmung der Zuständigkeit ist jedoch, dass die betroffenen Personen die Familienzusammenführung explizit wünschen und dies schriftlich kundtun.
Gemäss Absatz 2 ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Gesuchs zuständig, in welchem dem Familienangehörigen zuvor der Aufenthalt als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz gestattet wurde, er später jedoch Staatsangehöriger geworden ist. Auch in diesem Fall muss eine schriftliche Erklärung der betroffenen Personen vorliegen. Wer Familienangehöriger ist, bestimmt sich auch hier nach Artikel 2 Absatz 8 der AMMR-Verordnung.
Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Zuständigkeiten gelten auch für Kinder, die erst nach der Ankunft des Familienangehörigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren wurden (Abs. 3).
Art. 27
Familienangehörige, die internationalen Schutz beantragt haben
Dieses Zuständigkeitskriterium regelt die Situation, in der das Asylverfahren eines Familienangehörigen der asylsuchenden Person in einem anderen Dublin-Staat noch nicht abgeschlossen ist. Die Regelung entspricht Artikel 10 der geltenden Dublin III-Verordnung.
Wie in den Fällen von Artikel 16 ist auch hier eine schriftliche Bekundung der betroffenen Personen notwendig.
Art. 28
Familienverfahren
Dieser Artikel entspricht weitgehend Artikel 11 der geltenden Dublin III-Verordnung und regelt die Zuständigkeit, wenn mehrere Familienangehörige oder unverheiratete minderjährige Geschwister in demselben Dublin-Staat gleichzeitig ein Asylgesuch stellen.
Art. 29
Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa
Wie bis anhin ist ein Dublin-Staat dann für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig, wenn dieser der betroffenen Person zuvor entweder einen Aufenthaltstitel oder ein Visum ausgestellt hat.
Dieser Artikel entspricht weitgehend Artikel 12 der geltenden Dublin III-Verordnung. Ein Unterschied besteht jedoch in Absatz 4. Verfügt eine asylsuchende Person über einen Aufenthaltstitel oder ein Visum, das seit weniger als drei Jahren bzw. 18 Monaten abgelaufen ist (früher zwei Jahre beim Aufenthaltstitel bzw. sechs Monate beim Visum), finden die Zuständigkeitskriterien nach den Absätzen 1-3 Anwendung. Die Zuständigkeit geht somit neu erst nach Ablauf von drei Jahren auf den Dublin-Staat über, in dem das Asylgesuch eingereicht wurde. Auch entfällt die bisherige Voraussetzung, dass die betroffene Person den Dublin-Raum in der Zwischenzeit nicht verlassen haben darf.
Weiterhin gilt, dass der Dublin-Staat auch dann für das Asylgesuch zuständig bleibt, wenn die Aufenthaltsbewilligung oder das Visum erschlichen wurden, ausser wenn nach der Ausstellung des Aufenthaltstitels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde (Abs. 5).
Art. 30
Zeugnisse und sonstige Befähigungsnachweise
Ist die betroffene Person im Besitz eines Diploms oder eines Befähigungsnachweises, das bzw. der in einer im Mitgliedstaat ansässigen Bildungseinrichtung ausgestellt wurde, so ist der Mitgliedstaat, in dem diese Bildungseinrichtung ansässig ist, für die Prüfung des Antrags zuständig. Die Anwendung dieses Kriteriums gilt jedoch nur, wenn das Gesuch weniger als sechs Jahre nach Ausstellung des Diploms oder des Befähigungsnachweises registriert wird.
Verfügt die betroffene Person über Diplome oder Befähigungsnachweise aus mehreren Mitgliedstaaten, ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, in dem die längste Studienzeit verbracht wurde. Sollten die Studienzeiten identisch sein, ist der Mitgliedstaat der letzten Studienzeit zuständig.
Art. 31
Visafreie Einreise
Diese Bestimmung regelt die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylgesuchs, wenn die betroffene Person zuvor visumfrei in den entsprechenden Dublin-Staat eingereist ist. Sie entspricht Artikel 14 der bisherigen Dublin III-Verordnung. Reist die betroffene Person in einen anderen Dublin-Staat ebenfalls ohne Visumpflicht weiter und stellt dort ein Asylgesuch, wird dieser Dublin-Staat, als Staat der letzten visumfreien Einreise, für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig (Abs. 2).
Art. 32
Antrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens
Dieser Artikel regelt die Zuständigkeit eines Dublin-Staats für Fälle, in denen das Asylgesuch im Transitbereich eines Flughafens gestellt wird. Die Bestimmung entspricht Artikel 15 der Dublin III-Verordnung.
Art. 33
Einreise
Gemäss dieser Bestimmung ist derjenige Dublin-Staat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig, dessen Schengen-Aussengrenze die asylsuchende Person irregulär überschritten hat. Dieser Grundsatz ist bereits heute in Artikel 13 der Dublin III-Verordnung enthalten. Die Zeitdauer, nach der die Zuständigkeit nach der irregulären Einreise endet, wird von zwölf Monaten auf neu 20 Monate verlängert (Abs. 1). Dies gilt auch für Asylsuchende, die nach einem Such- und Rettungseinsatz im Hoheitsgebiet der Dublin-Staaten ausgeschifft werden. Wurde das Gesuch mehr als zwölf Monate nach dem Tag der Ausschiffung registriert, gilt diese Zuständigkeit jedoch nicht mehr (Abs. 2).
Keine Anwendung findet diese Regelung neu bei Asylsuchenden, die im Rahmen von Solidaritätsmassnahmen von einem anderen Dublin-Staat übernommen wurden (sog. Relocation). In diesen Fällen ist der Dublin-Staat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig, der die betroffene Person vom anderen Dublin-Staat übernommen hat (Abs. 3).
Ferner begründet der ununterbrochene fünfmonatige illegale Aufenthalt der asylsuchenden Person im Dublin-Staat neu keine Zuständigkeit mehr (bisheriger Abs. 2 Unterabs. 2 von Art. 13 der Dublin III-Verordnung).
Kapitel III: Abhängige Personen und Ermessensklauseln (Art. 34 und 35)
Art. 34
Abhängige Personen
Diese Bestimmung entspricht Artikel 16 der Dublin III-Verordnung. Sie regelt die Zusammenführung von «abhängigen» Familienangehörigen. Es handelt sich dabei um Angehörige, die auf die Unterstützung der asylsuchenden Person angewiesen sind, oder um asylsuchende Personen, die auf die Unterstützung eines Angehörigen angewiesen sind. Zudem wird die Zusammenführung von unbegleiteten Minderjährigen mit Angehörigen geregelt, die für sie sorgen können.
Liegen zudem Hinweise vor, dass sich ein Kind, ein Geschwister oder ein Elternteil rechtmässig im Hoheitsgebiet des Dublin-Staats aufhält, in dem sich die abhängige Person aufhält, so hat dieser Dublin-Staat zu prüfen, ob das Kind, das Geschwister oder der Elternteil für die abhängige Person sorgen kann, bevor dieser Staat ein Aufnahmegesuch nach Artikel 39 der AMMR-Verordnung stellt. Dies soll neu klar festgehalten werden (Abs. 1).
Art. 35
Ermessensklauseln
Unabhängig von den aufgeführten Zuständigkeitskriterien kann jeder Dublin-Staat ein Asylgesuch materiell prüfen, auch wenn ein anderer Dublin-Staat für die Prüfung zuständig wäre (sog. Selbsteintritt bzw. Souveränitätsklausel; Abs. 1). Damit wird er zum verantwortlichen Staat zur Prüfung des Asylgesuchs und die Zuständigkeit des anderen Dublin-Staats besteht bei Ausübung des Selbsteintritts nicht mehr. Eine Zustimmung der asylsuchenden Person ist nicht notwendig.
Zudem kann jeder Dublin-Staat auf Ersuchen eines anderen Dublin-Staats die Behandlung eines Asylgesuchs, für das er nicht zuständig ist, aus humanitären Gründen übernehmen, sofern die asylsuchende Person dem zustimmt (sog. humanitäre Klausel; Abs. 2).
Diese beiden Klauseln waren bis anhin in Artikel 17 der Dublin III-Verordnung enthalten. Sie wurden neu in Artikel 35 der AMMR-Verordnung überführt und leicht präzisiert.
Kapitel IV: Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats (Art. 36 und 37)
Art. 36
Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
Die Pflichten des zuständigen Dublin-Staats gegenüber der asylsuchenden Person bestimmen sich nach Artikel 36 der AMMR-Verordnung. Nimmt der zuständige Dublin-Staat die betroffene Person auf oder wieder auf, hat er das Asylgesuch zu prüfen bzw. abzuschliessen (Abs. 3). Diese Bestimmung entspricht weitgehend Artikel 18 der Dublin III-Verordnung, wobei sie gewisse Präzisierungen erfahren hat.
So wird der zuständige Dublin-Staat verpflichtet, auch Personen wieder aufzunehmen, zu deren Aufnahme er sich nach der Resettlement-Verordnung bereit erklärt hat, die er im Rahmen eines nationalen Neuansiedlungsprogramms aufgenommen hat, die in einem anderen Dublin-Staat ein Asylgesuch eingereicht haben oder die sich dort irregulär aufhalten (Abs. 1 Bst. c). Ferner wird präzisiert, dass Minderjährige grundsätzlich mit ihren Familienangehörigen aufgenommen werden oder wieder aufzunehmen sind, auch wenn die minderjährige Person selbst kein Asylgesuch eingereicht hat. Ein schriftliches Einverständnis ist dabei nicht notwendig (Abs. 2). Absatz 3 verweist in Bezug auf die Prüfung des Asylgesuchs auf die neue Asylverfahrensverordnung der EU (nicht Dublin-relevanter Rechtsakt).
Art. 37
Übergang der Zuständigkeit
Die Bestimmung für die Übertragung der Zuständigkeit für Asylsuchende zwischen den Dublin-Staaten wurde präzisiert. Bisher war diese Regelung in Artikel 19 der Dublin III-Verordnung enthalten.
Neu wird festgehalten, in welchen Fällen ein Dublin-Staat für das Asylverfahren zuständig wird: Wenn er der gesuchstellenden Person einen Aufenthaltstitel ausstellt, den Selbsteintritt gemäss Artikel 35 beschliesst, der Auffassung ist, dass die Überstellung eines unbegleiteten Minderjährigen nicht dem Kindeswohl entspricht, oder die betroffene Person nicht innerhalb der vorgegebenen Frist an den zuständigen Dublin-Staat überstellt (Abs. 1).
Neu wird in den Absätzen 2 und 3 festgehalten, dass nach der Durchführung eines Asylverfahrens an der Schengen-Aussengrenze die Wiederaufnahmeverpflichtung 15 Monate nach rechtskräftiger Ablehnung des Asylentscheids erlischt. Stellt die Person nach diesen 15 Monaten erneut ein Asylgesuch, gilt dies als neues Asylgesuch, das ein neues Dublin-Verfahren auslöst. Reicht die betroffene Person innerhalb dieser Frist in einem anderen Dublin-Staat ein Asylgesuch ein und ist bei Ablauf der Frist von 15 Monaten ein Wiederaufnahmeverfahren hängig, endet die Zuständigkeit erst dann, wenn das Wiederaufnahmeverfahren abgeschlossen oder die Frist für die Überstellung gemäss Artikel 46 der AMMR-Verordnung abgelaufen ist.
Die in Artikel 36 Absatz 1 der AMMR-Verordnung genannten Verpflichtungen des zuständigen Staats gegenüber der asylsuchenden Person erlöschen, wenn festgestellt wird (neu mittels Eintrags im EES oder Eurodac oder anderer Belege), dass die betreffende Person das Hoheitsgebiet des Dublin-Staats definitiv für neun Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines gültigen, vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels (Abs. 4). Stellen Personen nach freiwilliger Rückkehr oder einem vollzogenen Wegweisungsentscheid erneut ein Asylgesuch, gilt dies als neues Asylgesuch, das ein neues Dublin-Verfahren auslöst (Abs. 5).
Kapitel V: Verfahren (Art. 38-50)
Abschnitt I: Einleitung des Verfahrens (Art. 38)
Art. 38
Einleitung des Verfahrens
Das Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung des Asylgesuchs verantwortlichen Dublin-Staats wird - wie bis anhin - eingeleitet, sobald das Asylgesuch in einem der Dublin-Staaten gestellt wird (bisheriger Art. 20 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung). Neu kann auch der Staat, der Asylsuchende von einem anderen Dublin-Staat im Rahmen der Umsiedlung übernommen hat, ein Dublin-Verfahren einleiten (Abs. 1).
Auch wenn die betroffene Person untertaucht, ist das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats weiterzuführen (Abs. 2).
Der Dublin-Staat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats durchgeführt hat oder der gemäss Artikel 16 Absatz 4 zuständig geworden ist, muss in Eurodac seine Zuständigkeit bzw. die Zuständigkeit des Dublin-Staats, der einem Gesuch um Aufnahme der antragstellenden Person nach Artikel 40 stattgegeben hat (Art. 16 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung), angeben (Abs. 3).
Absatz 4 präzisiert, dass eine asylsuchende Person, die sich ohne Aufenthaltsbewilligung in einem anderen Dublin-Staat aufhält oder dort während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats in einem anderen Dublin-Staat ein Asylgesuch einreicht, von dem Dublin-Staat, bei dem das Asylgesuch zuerst registriert wurde und der die Zuständigkeit bestimmt, wieder aufzunehmen ist. Diese Pflicht erlischt dann, wenn der die Zuständigkeit bestimmende Dublin-Staat nachweisen kann, dass der Asylsuchende von einem anderen Dublin-Staat eine Aufenthaltsbewilligung erhalten hat.
Absatz 5 hält fest, dass eine asylsuchende Person, die sich ohne Aufenthaltsbewilligung in einem anderen Dublin-Staat aufhält und dort ein Asylgesuch einreicht, nachdem ein anderer Dublin-Staat bereits bestätigt hat, diese Person zu übernehmen (Art. 67 Abs. 9 der AMMR-Verordnung), von diesem Übernahmestaat wieder aufzunehmen ist. Diese Pflicht erlischt dann, wenn der Übernahmestaat nachweisen kann, dass die Person von einem anderen Dublin-Staat eine Aufenthaltsbewilligung erhalten hat.
Abschnitt II: Aufnahmeverfahren (Art. 39 und 40)
Art. 39
Aufnahmegesuch
Eine Verpflichtung zur Aufnahme (sog. «take charge») besteht für einen Staat dann, wenn aufgrund der Dublin-Kriterien dieser und nicht der aktuelle Aufenthaltsstaat der gesuchstellenden Person für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig ist. Artikel 39 enthält die Vorgaben für das Stellen des Aufnahmegesuchs von einem an den anderen Dublin-Staat und entspricht materiell dem bisherigen Artikel 21 der Dublin III-Verordnung. Er hat inhaltlich jedoch folgende Änderungen erfahren:
Die Fristen zum Stellen eines Aufnahmeersuchens wurden gekürzt (Art. 39 Abs. 1 der AMMR-Verordnung). Das Aufnahmegesuch ist sofort, auf jeden Fall aber spätestens zwei Monate nach der Registrierung des Asylgesuchs zu stellen (bisher drei Monate). Gesuche, die gestützt auf die Artikel 25-28 und 34 der AMMR-Verordnung eingereicht wurden, werden prioritär behandelt. Liegt ein Treffer in Eurodac oder im VIS (Art. 21 der Verordnung [EG] Nr. 767/2008) vor, muss das Aufnahmeersuchen neu innerhalb von einem Monat nach Vorliegen der Treffermeldung gestellt werden (bisher zwei Monate).
Werden diese Fristen nicht eingehalten, gilt wie bis anhin der Grundsatz, dass in diesen Fällen der Dublin-Staat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, in dem das Gesuch registriert wurde. Eine Ausnahme besteht jedoch neu in Bezug auf UMA. Neu sieht die AMMR-Verordnung vor, dass auch wenn die oben genannten Fristen zur Stellung eines Aufnahmegesuchs nicht eingehalten werden, ein Gesuch an den anderen Dublin-Staat dennoch bis zum Abschluss des Asylverfahrens jederzeit möglich ist, sofern es dem Kindeswohl dient.
Absatz 3 präzisiert neu, dass für das Aufnahmegesuch an den anderen Dublin-Staat ein spezielles Formblatt zu verwenden ist und dieses eine vollständige und ausführliche Begründung enthalten soll, die alle Aspekte des Falls enthält und die Hierarchie der Dublin-Kriterien berücksichtigt.
Art. 40
Antwort auf ein Aufnahmegesuch
Diese Bestimmung regelt die Vorgaben zur Antwort auf ein Aufnahmegesuch durch einen Dublin-Staat an den anderen und entspricht materiell dem bisherigen Artikel 22 der Dublin III-Verordnung. Sie hat inhaltlich jedoch folgende Änderungen erfahren:
Der ersuchte Dublin-Staat hat neu innerhalb von einem Monat (bisher zwei Monate) dem ersuchenden Dublin-Staat zu antworten (Abs. 1). Die Mitgliedstaaten behandeln die auf der Grundlage der Artikel 25-28 und von Artikel 34 gestellten Gesuche vorrangig. Wurde das Aufnahmeersuchen gestützt auf einen Eurodac- oder VIS-Treffer gestellt, verkürzt sich die Antwortfrist von einem Monat auf zwei Wochen nach Erhalt des Gesuchs (neuer Abs. 2).
Die Absätze 3-6 entsprechen den bisherigen Absätzen 2-5 von Artikel 22 der Dublin III-Verordnung. In Absatz 4 erfolgt eine kleine materielle Anpassung: Neu werden die Muster der verschiedenen Arten der von den Verwaltungen der Mitgliedstaaten verwendeten Dokumente nicht mehr dem Ausschuss, sondern der Europäischen Kommission zugestellt. Auch Absatz 6 erhält einen neuen Zusatz. Sofern das Gesuch auf der Grundlage der Artikel 25-28 und 34 gestellt wurde und der ersuchte Mitgliedstaat der Auffassung ist, dass die Indizien nicht kohärent, überprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu begründen, so hat er dies neu in der Antwort nach Absatz 8 zu begründen.
Absatz 7 entspricht grundsätzlich der Regelung von Artikel 22 Absatz 6 der bisherigen Dublin III-Verordnung. Er regelt die Antwortfrist des ersuchenden Dublin-Staats, wenn dieser um eine dringende Antwort ersucht wurde. Diese Frist wird von bisher maximal einem Monat auf neu zwei Wochen nach Erhalt des Gesuchs gekürzt. Zudem entfällt die Ausnahmeregelung, wonach der ersuchende Dublin-Staat sich mehr Zeit zur Antwort auf ein Aufnahmeersuchen einräumen kann, wenn es sich um einen komplizierten Fall handelt.
Erhebt der ersuchte Dublin-Staat innerhalb eines Monats bzw. innerhalb von zwei Wochen in seiner Antwort an den ersuchenden Dublin-Staat keine Einwände, gilt das Aufnahmeersuchen als stillschweigend akzeptiert und er wird für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig.
Ist der ersuchte Dublin-Staat nach Prüfung der Unterlagen der Auffassung, dass er nicht zuständig ist, hat er dies in seiner ablehnenden Antwort zu begründen.
Der ersuchende Dublin-Staat kann eine erneute Prüfung des Übernahmeersuchens verlangen, wenn er mit der ablehnenden Antwort nicht einverstanden ist oder wenn beispielsweise neue Beweismittel oder Indizien vorliegen. Ein solches Remonstrationsverfahren gemäss der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 6² muss innerhalb von drei Wochen nach der ablehnenden Antwort eingeleitet werden. Der ersuchte Dublin-Staat hat daraufhin zwei Wochen Zeit, um auf das erneute Ersuchen um Wiederaufnahme oder Aufnahme zu reagieren. Ein Remonstrationsverfahren kann beliebig oft gestellt werden. Mit der Verordnung (EU) Nr. 118/2014 6³ wurde die geltende Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 angepasst. Diese Revision bewirkte damals jedoch keine Änderung des Verfahrens. Ob das Remonstrationsverfahren aufgrund der neuen AMMR-Verordnung eine Änderung erfahren wird, ist derzeit noch offen. Die Verordnungen (EG) Nr. 1560/2003 und auch (EG) Nr. 118/2014 bleiben formell so lange bestehen, wie sie nicht durch einen Durchführungsrechtsakt der EU aufgehoben werden (siehe dazu Erläuterungen zu Art. 83).
6² Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 222 vom 5.9.2003, S. 3.
6³ Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 39 vom 8.2.2014, S. 1.
Abschnitt III: Verfahren für Wiederaufnahmemitteilungen (Art. 41)
Art. 41
Übermittlung einer Wiederaufnahmemitteilung
Wiederaufnahme (sog. «take back») bedeutet, dass ein Dublin-Staat verpflichtet ist, die betroffene Person aus einem anderen Dublin-Staat zurückzunehmen, wenn er in Eurodac (vgl. Art. 1 Abs. 1 Bst. a der Eurodac-Verordnung) als für diese Person verantwortlicher Dublin-Staat eingetragen ist. Dieser Dublin-Staat ist entweder für das Asylverfahren zuständig oder die betroffene Person ist bereits durch diesen Staat als Flüchtling anerkannt worden. Ferner muss er die betroffene Person dann zurücknehmen, wenn er sie im Rahmen einer Solidaritätsmassnahme zur Durchführung des Asyl- oder Wegweisungsverfahrens übernommen hat.
Neu handelt es sich beim Wiederaufnahmeersuchen um kein eigentliches Ersuchen, sondern um eine sogenannte Wiederaufnahmemitteilung. Der Dublin-Staat, in dem sich die Person aufhält (unabhängig davon, ob sie ein Asylgesuch eingereicht hat oder nicht), hat unverzüglich, jedoch spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Eurodac-Treffers den zuständigen Dublin-Staat mittels einer standardisierten Wiederaufnahmemitteilung zu informieren. Erfolgt die Wiederaufnahmemitteilung nicht innerhalb dieser Frist, bleibt der zuständige Dublin-Staat weiterhin verpflichtet, die betreffende Person wieder zurückzunehmen (Abs. 1 und 2).
Der unterrichtete Dublin-Staat muss innerhalb von zwei Wochen den Eingang der Wiederaufnahmemitteilung bestätigen, ausser wenn er innerhalb dieser Frist nachweisen kann, dass er nicht mehr zuständig ist oder die Wiederaufnahmemitteilung aufgrund eines inkorrekten Eintrags in Eurodac erfolgte (Abs. 3).
Bestätigt der unterrichtete Dublin-Staat den Eingang der Wiederaufnahmemitteilung nicht innert Frist, so gilt die Mitteilung als eingegangen und er wird zum zuständigen Dublin-Staat (Abs. 4).
Abschnitt IV: Verfahrensgarantien (Art. 42 et 43)
Art. 42
Mitteilung der Überstellungsentscheidung
Der Dublin-Staat, dessen Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch angenommen wurde, muss innerhalb von maximal zwei Wochen eine Überstellungsentscheidung erlassen (Abs. 1). Die weiteren Vorgaben dieser Bestimmung entsprechen inhaltlich der bisherigen Regelung in Artikel 26 der Dublin III-Verordnung. Der Entscheid zur Überstellung der betroffenen Person ist unverzüglich und in einer einfachen Sprache schriftlich mitzuteilen (Abs. 2). Falls die betroffene Person über eine Rechtsvertretung verfügt, kann die Mitteilung auch an diese erfolgen (Abs. 3). Die Überstellungsentscheidung muss eine Rechtsmittelbelehrung enthalten sowie die Information, dass die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel beantragt werden kann. Des Weiteren muss sie die für die Durchführung der Überstellung geltenden Fristen enthalten und falls notwendig die Angabe des Orts und des Zeitpunkts, an dem die betreffende Person zu erscheinen hat, wenn sie sich selbstständig in den zuständigen Dublin-Staat begibt. Wenn die betroffene Person nicht über eine Rechtsvertretung verfügt, ist sie in einer ihr verständlichen Sprache über die wesentlichen Elemente der Überstellungsentscheidung zu informieren.
Art. 43
Rechtsbehelfe
Diese Bestimmung ersetzt Artikel 27 der geltenden Dublin III-Verordnung. Neu wird der Prüfungsumfang des Rechtsbehelfs festgelegt. Dieser beschränkt sich auf drei Situationen: ob die betroffene Person einer tatsächlichen Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Europäischen Charta der Grundrechte 6⁴ ausgesetzt wäre, ob es nach der Überstellungsentscheidung Umstände gibt, die für die korrekte Anwendung der AMMR-Verordnung entscheidend sind, und ob bei Personen, die nach Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe a der AMMR-Verordnung aufgenommen wurden, gegen die Artikel 25-28 (unbegleitete Minderjährige, Familienangehörige, Familienverfahren) und Artikel 34 der AMMR-Verordnung (abhängige Personen) verstossen wurde. Der Rechtsbehelf bzw. die Beschwerde hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, und die Beschwerdefrist beträgt mindestens eine bis maximal drei Wochen. Die betroffene Person kann innerhalb der im nationalen Recht vorgesehenen Beschwerdefrist die aufschiebende Wirkung beantragen. Die Dublin-Staaten können vorsehen, dass ein entsprechender Antrag zusammen mit der Beschwerde eingereicht werden muss. Der Entscheid über die vorläufige Aussetzung der Überstellung soll spätestens innerhalb eines Monats ab Einreichung eines entsprechenden Antrags durch das zuständige Gericht gefällt werden. Das Gericht muss zudem innerhalb eines Monats seit Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung über die Beschwerde entscheiden.
Die betroffene Person kann auf Antrag unentgeltliche Rechtspflege in Anspruch nehmen, wenn sie die Kosten nicht selber tragen kann. Die Dublin-Staaten können auch vorsehen, dass bezüglich der Unentgeltlichkeit des Beschwerdeverfahrens die gleichen Regelungen zur Anwendung gelangen wie für die eigenen Staatsangehörigen. Die Dublin-Staaten können somit auch vorsehen, dass keine unentgeltliche rechtliche Beratung und Vertretung gewährt wird, wenn eine Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat. Falls eine Behörde entscheidet, keine unentgeltliche Beratung oder Vertretung zu gewähren, so ist eine Beschwerdemöglichkeit gegen diesen Entscheid vorzusehen (zusammen mit dem Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung usw.). Die Einschränkung des Zugangs zur rechtlichen Beratung und Vertretung darf nicht willkürlich sein, und der wirksame Zugang zu den Gerichten darf nicht beeinträchtigt werden. Die rechtliche Beratung und Vertretung soll zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Vertretung vor Gericht umfassen und kann auf Rechtsbeistände und Berater beschränkt werden, die nach einzelstaatlichem Recht zur Bereitstellung von Unterstützung und Vertretung berufen sind. Die Verfahren für die Inanspruchnahme rechtlicher Beratung werden im einzelstaatlichen Recht festgelegt.
6⁴ Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389
Abschnitt V: Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung (Art. 44 und 45)
Art. 44
Haft
Eine Person kann nicht allein deshalb in Administrativhaft genommen werden, weil sie dem Dublin-Verfahren unterliegt (Abs. 1). Die Administrativhaft im Dublin-Verfahren darf nur im Einzelfall bei Flucht zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs angeordnet werden (sog. «Überstellungsverfahren»). Zudem muss die Haft verhältnismässig sein, und weniger einschneidende Massnahmen dürfen sich nicht wirksam anwenden lassen (Abs. 2).
Diese Grundsätze entsprechen auch der bisherigen Regelung in der Dublin III-Verordnung (Art. 28).
Dies gilt grundsätzlich auch für Absatz 2 (vgl. Art. 28 Abs. 2 der Dublin III-Verordnung). Neu wird jedoch als Voraussetzung für die Anordnung der Dublin-Haft nicht mehr eine «erhebliche Untertauchens- bzw. Fluchtgefahr» verlangt, sondern lediglich das Bestehen einer «Fluchtgefahr». Zudem wird die Gefährdung der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung neu als Haftgrund eingeführt.
Die Unterabsätze von Artikel 28 Absatz 3 der bisherigen Dublin III-Verordnung (Behandlungsfristen) werden in Artikel 45 der AMMR-Verordnung geregelt.
Hinsichtlich der Haftbedingungen entspricht Absatz 4 materiell Artikel 28 Absatz 4 der bisherigen Dublin III-Verordnung.
Neu regelt die AMMR-Verordnung, dass die Dublin-Haft entweder durch eine Administrativbehörde oder eine Justizbehörde anzuordnen ist (Abs. 5). Wird die Haft durch eine Administrativbehörde angeordnet, ist durch den Dublin-Staat im nationalen Recht eine rasche Haftüberprüfung vorzusehen. Es steht dem Dublin-Staat frei zu wählen, wie er diese Haftüberprüfung regeln will. Er kann eine Haftüberprüfung von Amtes wegen oder auf Antrag der inhaftierten Person vornehmen.
Art. 45
Fristen für in Haft genommene Antragsteller
Diese Regelung entspricht grundsätzlich der bisherigen Regelung in der Dublin III-Verordnung (Unterabsätze von Art. 28 Abs. 3). Aus Absatz 4 i. V. m. Artikel 42 Absatz 1 geht neu ausdrücklich eine Frist von zwei Wochen ab Zustimmung des Aufnahmegesuchs oder Bestätigung des Wiederaufnahmegesuchs hervor, innert der ein Nichteintretens- und Wegweisungsentscheid (Überstellungsentscheidung) ergehen muss (Art. 42 Abs. 1). Mit der AMMR-Verordnung werden die Behandlungsfristen für das Dublin-Verfahren, wenn sich eine Person in Dublin-Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft befindet, verkürzt. Es wird aber keine explizite Haftdauer festgelegt.
Wenn sich eine Person in Dublin-Vorbereitungshaft befindet, muss das Übernahmeersuchen (Aufnahmegesuch oder Wiederaufnahmemitteilung) in allen Fällen innerhalb von zwei Wochen ab Einreichung des Gesuchs bzw. einer Woche wenn die betroffene Person nach Gesuchseinreichung in Haft genommen wurde, gestellt werden (bis anhin vier Wochen; Abs. 1). Die Frist von zwei Wochen gilt neu auch, wenn eine Person kein neues Asylgesuch eingereicht hat und sich illegal in einem Dublin-Staat aufhält, aber ein anderer Dublin-Staat gemäss der AMMR-Verordnung für die Behandlung eines früheren Asylgesuchs zuständig ist (vgl. Abs. 1). Diese Frist läuft zwei Wochen nach Erhalt des entsprechenden Eurodac-Treffers.
Die Antwortfrist bei Aufnahmegesuchen beträgt neu eine Woche (bis anhin zwei Wochen gemäss Dublin III-Verordnung) (Abs. 2). Die Frist zur Bestätigung des unterrichteten Dublin-Staats bei Wiederaufnahmegesuchen beträgt zwei Wochen (Art. 41 Abs. 3 und 4) und wird durch Artikel 45 der AMMR-Verordnung nicht gekürzt.
Nach Erhalt der Zustimmung bei einem Aufnahmegesuch oder Bestätigung bei einem Wiederaufnahmegesuch ist innert zwei Wochen ein Nichteintretens- und Wegweisungsentscheid zu fällen (Art. 45 Abs. 4 i. V. m. Art. 42 Abs. 1 der AMMR-Verordnung).
Befindet sich eine Person im Rahmen des Dublin-Verfahrens in Administrativhaft, so muss diese in den zuständigen Dublin-Staat überstellt werden, sobald die Überstellung praktisch durchführbar ist. Die Überstellung muss spätestens neu innerhalb von fünf Wochen (bis anhin sechs Wochen) nach der Annahme des Übernahmegesuchs bzw. der Bestätigung der Wiederaufnahme erfolgen (Abs. 3 Bst. a).
Wird ein Rechtsmittel gegen den Dublin-Entscheid ergriffen, so muss die Überstellung spätestens innerhalb von neu fünf Wochen (bis anhin sechs Wochen) ab dem Zeitpunkt erfolgen, ab dem das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr hat (Abs. 3 Bst. b). Erfolgt keine Überstellung innerhalb dieser Frist, ist die betroffene Person aus der Administrativhaft zu entlassen.
Die Regelung in Bezug auf die Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft ist gestützt auf das «effet utile»-Prinzip auszulegen. Nach dem Wortlaut der AMMR-Verordnung müsste faktisch die Dublin-Vorbereitungshaft umgehend mit dem Eurodac-Treffer angeordnet werden. Es kann jedoch sein, dass sich die Fluchtgefahr erst ein paar Tage später ergibt. In diesen Fällen muss es möglich sein, die Person auch später für die gesamte mögliche Länge in Vorbereitungshaft zu nehmen, sofern der Nichteintretens- und Wegweisungsentscheid zum Zeitpunkt der Inhaftnahme noch nicht verfügt wurde. In Bezug auf die Ausschaffungshaft wäre nur eine Anordnung der Administrativhaft zu Beginn des Dublin-Verfahrens möglich, nicht jedoch, wenn die fünf Wochen nach Annahme des Übernahmegesuchs bzw. der Bestätigung der Wiederaufnahme verstrichen sind. Das heisst, wenn die Untertauchensgefahr oder die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sich erst zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der Überstellungsfrist von sechs Monaten manifestiert, wäre eine Anordnung der Administrativhaft nicht möglich und Personen könnten trotz Untertauchensgefahr oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht mehr in Haft genommen werden. Dies würde dem Sinn und Zweck von Artikel 44 zuwiderlaufen, wonach zur Gewährleistung von Überstellungsverfahren eine Inhaftnahme im Einzelfall möglich sein soll. Ferner würde die Auslegung, wonach der ausschlaggebende Zeitpunkt für den Fristenlauf für die Ausschaffungshaft die Zustimmung des anderen Dublin-Staats ist, dazu führen, dass die betroffene Person in Ausschaffungshaft genommen werden müsste, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein Nichteintretensentscheid oder eine Wegweisungsverfügung verfügt worden wäre, um die gesamte Frist der Ausschaffungshaft für die Überstellungsvorbereitung nutzen zu können. Eine Person darf aber aus rechtsstaatlichen Gründen aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs erst in Haft genommen werden, wenn dies angeordnet wurde bzw. wenn eine Verfügung vorliegt, welche die Person anfechten kann und nicht nur, weil ein Verfahrensschritt im Dublin-Verfahren abgeschlossen ist. Im Zeitpunkt der Zustimmung kann jedoch nicht im selben Moment der Nichteintretensentscheid bzw. die Wegweisungsverfügung redigiert und zeitgleich der betroffenen Person eröffnet werden. Die hierfür notwendige Zeit für diesen wesentlichen Schritt im Dublin-Verfahren wurde in Artikel 42 Absatz 1 der AMMR-Verordnung auf zwei Wochen festgelegt. Daher muss der Nichteintretens- und Wegweisungsentscheid für die Berechnung der maximalen Haftdauer für die Ausschaffungshaft grundsätzlich massgebend sein. Sollte eine Person jedoch erst nach dem Zeitpunkt dieses Entscheids in Haft genommen werden, weil sich die entsprechende Gefahr erst später gezeigt hat, sollte die Haftdauer für die Ausschaffungshaft erst ab dem Zeitpunkt der Inhaftnahme zu laufen beginnen.
Solange die aufschiebende Wirkung während des Beschwerdeverfahrens aufrechterhalten wird, kann die betroffene Person in Administrativhaft belassen werden, womit die Dauer der Dublin-Haft gemäss der AMMR-Verordnung nach oben hin offen ist.
Abschnitt VI: Überstellung (Art. 46-50)
Art. 46
Ausführliche Vorschriften und Fristen
Diese Bestimmung regelt die Überstellung von Personen, die dem Dublin-Verfahren unterliegen (Asylsuchende und Drittstaatsangehörige i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Bst. b und c), an den zuständigen Dublin-Staat. Sie gilt für das Aufnahme- und das Wiederaufnahmeverfahren und entspricht materiell weitgehend Artikel 29 der bisher geltenden Dublin III-Verordnung.
Wie bis anhin beträgt die maximale Frist für die Überstellung sechs Monate ab der Annahme des Aufnahmegesuchs, der Bestätigung der Wiederaufnahmemitteilung oder der Entscheidung über ein allfällig ergriffenes Rechtsmittel, falls diese aufschiebende Wirkung hat. Wenn ein Mitgliedstaat einem Antrag gestützt auf die Artikel 25-28 und 34 zugestimmt hat, überstellt er die Gesuchstellenden vorrangig. Unabhängig von dieser sechsmonatigen Frist hat die Übernahme von Drittstaatsangehörigen im Rahmen von Solidaritätsmassnahmen zum Zweck der Umsiedlung innerhalb von höchstens vier Wochen zu erfolgen (Abs. 1 Unterabs. 3 i. V. m. Art. 67 Abs. 11).
Der Grundsatz, wonach die Zuständigkeit zurück an den überstellenden Mitgliedstaat geht, wenn die Überstellungsfristen überschritten werden, gilt weiterhin (Abs. 2 Unterabs. 1). Wie bis anhin wird die Frist von sechs Monaten höchstens auf ein Jahr verlängert, wenn die Überstellung aufgrund der Verbüssung einer Haftstrafe der betreffenden Person nicht erfolgen konnte. Neu wird die bisherige maximale Frist von 18 Monaten für die Dublin-Überstellung (bisheriger Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-Verordnung) auf maximal drei Jahre verlängert, wenn die zu überstellende Person oder ihr Familienangehöriger während des laufenden Dublin-Verfahrens untergetaucht ist, sich physisch der Überstellung entzieht, eine selbstverschuldete Überstellungsunfähigkeit verursacht oder den medizinischen Vorgaben für eine Überstellung nicht nachkommt. Taucht die betroffene Person wieder auf, hat der überstellende Dublin-Staat drei Monate Zeit, die Überstellung an den zuständigen Dublin-Staat durchzuführen, auch wenn die verbleibende Zeit bis zum Ablauf der dreijährigen Überstellungsfrist kürzer als drei Monate ist (Abs. 2).
Die Absätze 3 und 4 entsprechen materiell unverändert der bisherigen Regelung in Artikel 29 Absätze 3 und 4 der Dublin III-Verordnung.
Art. 47
Kosten der Überstellung
Diese Regelung entspricht weitgehend Artikel 30 der bisherigen Dublin III-Verordnung. Lediglich Absatz 1 wird angepasst, die Absätze 2 und 3 bleiben unverändert. Grundsätzlich trägt der überstellende Dublin-Staat die Kosten der Überstellung. Neu sieht die AMMR-Verordnung jedoch vor, dass die Dublin-Staaten einen finanziellen Beitrag in der Höhe von 10 000 Euro pro Person für die Überstellung aus dem AMIF erhalten (Art. 20 der Verordnung [EU] 2021/1147 6⁵ ; Abs. 1). Da die EU diesen Fonds als nicht Schengen-relevant bezeichnet hat, ist die Schweiz nicht daran beteiligt und wird daher auch keine Beiträge für die Überstellung erhalten. Im Gegenzug muss sie aber auch keine Beiträge an den Fonds leisten.
6⁵ Verordnung (EU) 2021/1147 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Einrichtung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds; ABl. L 251 vom 15.7.2021, S. 1.
Art. 48
Austausch relevanter Informationen vor Durchführung einer Überstellung
Diese Bestimmung regelt die Pflicht zum Austausch relevanter Informationen vor einer Überstellung und entspricht weitgehend Artikel 31 der bisherigen Dublin III-Verordnung. Mittels des bestehenden elektronischen Datenübermittlungskanals «DubliNet» (Art. 18 der Verordnung [EG] Nr. 1560/2003) sollen nur personenbezogene Daten der zu überstellenden asylsuchenden Person übermittelt werden, die es den zuständigen Asylbehörden im jeweiligen Dublin-Staat ermöglichen, diese Personen zu empfangen und allenfalls notwendige medizinische Versorgung zu leisten. Inhaltlich unverändert bleiben die Absätze 1 und 3-5.
Absatz 2 enthält eine nicht abschliessende Liste der Informationen, die dem übernehmenden Dublin-Staat vor der Überstellung zu übermitteln sind. Buchstabe b entspricht der bisherigen Formulierung in Artikel 31 Absatz 2 der Dublin III-Verordnung. Die Buchstaben a und c entsprechen ebenfalls der bisherigen Regelung in der Dublin III-Verordnung (vgl. Art. 31 Abs. 2 Bst. a und c), jedoch wird bei beiden ein Zusatz in Bezug auf das Kindeswohl hinzugefügt. Der Buchstabe d wurde sprachlich ergänzt, und es wurden zwei neue Buchstaben (e und f) eingefügt. Buchstabe e sieht vor, dass auch Informationen übermittelt werden sollen, die im Rahmen des Überprüfungsverfahrens erhoben wurden (Art. 17 der Überprüfungsverordnung). In Buchstabe f wird vorgesehen, dass alle sonstigen sachdienlichen Informationen ebenfalls mitzuteilen sind.
Art. 49
Austausch sicherheitsrelevanter Informationen vor Durchführung einer Überstellung
Diese Bestimmung wird neu in die AMMR-Verordnung aufgenommen. Wenn eine zu überstellende Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eines Dublin-Staats darstellt, nachdem die Zuständigkeit bereits festgestellt wurde, kann die Überstellung erfolgen, sofern zuvor die sicherheitsrelevanten Informationen ausgetauscht wurden. Die zuständigen Behörden des übernehmenden Dublin-Staats sind über das Sicherheitsrisiko zu informieren. Der Datenaustausch erfolgt zwischen den Strafverfolgungs- oder anderen zuständigen Behörden der Dublin-Staaten über die bereits bestehenden Informationskanäle. Liegt eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) zur Person vor, erfolgt der Datenaustausch über das SIRENE-Büro. In der Schweiz erfolgt der Datenaustausch in allen übrigen Fällen über die Alarm- und Einsatzzentrale des fedpol, die im konkreten Einzelfall den entsprechenden Kommunikationskanal bestimmt.
Art. 50
Austausch von Gesundheitsdaten vor Durchführung einer Überstellung
Vor einer Überstellung können Gesundheitsdaten mittels einer gemeinsamen Gesundheitsbescheinigung zwischen den Dublin-Staaten zum Zweck der medizinischen Versorgung ausgetauscht werden. Der Austausch dieser Daten folgt nur mit ausdrücklicher Einwilligung der asylsuchenden Person oder ihrer Vertretung und nur zwischen Angehörigen der Gesundheitsberufe. Diese Bestimmung entspricht weitgehend Artikel 32 der bisher geltenden Dublin III-Verordnung und erfährt nur leichte sprachliche Anpassungen in Absatz 1.
Kapitel VI: Verwaltungskooperation (Art. 51-54)
Art. 51
Informationsaustausch
Diese Bestimmung regelt den Austausch personenbezogener Daten zwischen den Dublin-Staaten mittels Informationsübermittlungsersuchens und entspricht weitgehend Artikel 34 der bisherigen Dublin III-Verordnung. Wenige Anpassungen gab es in den Absätzen 1-3 und 5. Gewisse Absätze aus Artikel 34 der Dublin III-Verordnung wurden nicht in die AMMR-Verordnung übernommen.
Der Informationsaustausch erfolgt wie bis anhin auf Antrag eines Dublin-Staats zu einem spezifischen Zweck (z. B. Prüfung des Asylgesuchs; Abs. 1 und 6). In Absatz 1 wird ein Buchstabe d eingefügt, gemäss dem neu ein Informationsübermittlungsersuchen auch in Bezug auf den Vollzug einer Wegweisungsverfügung gestellt werden kann. Die Datenübermittlung erfolgt via «DubliNet». Welche Daten übermittelt werden können, wird in Absatz 2 geregelt. Bei den biometrischen Daten wurde neu der Verweis auf die im Rahmen von Eurodac abgenommenen Daten aufgenommen (Bst. c). Absatz 3 bezieht sich auf Informationsersuchen in Bezug auf die Asylgründe und -entscheide. Gestrichen wurde in Absatz 3 die Voraussetzung, wonach die Datenübermittlung nur erfolgen kann, sofern die betroffene Person schriftlich zustimmt. Hinzugefügt wurde jedoch, dass die gesuchstellende Person im Voraus über die vom ersuchenden Mitgliedstaat angeforderten spezifischen Informationen und den Grund für das Ersuchen informiert werden soll.
Neu wurde die Antwortfrist des ersuchten Dublin-Staats von fünf auf drei Wochen gekürzt (Abs. 5). Ansonsten bleibt die Regelung unverändert und entspricht Artikel 34 Absatz 5 der Dublin III-Verordnung.
Die Absätze 4 (Begründungspflicht), 6 (Bestimmung der Behörden), 7 (Datenverwendung) und 8 (Berichtigungspflicht) entsprechen materiell unverändert den jeweiligen Absätzen in Artikel 34 der Dublin III-Verordnung.
Die Absätze 9 (Recht auf Auskunft), 11 (Aufbewahrungsdauer) und 12 (Kontrolle) von Artikel 34 der Dublin III-Verordnung wurden gestrichen. Absatz 10 (Register) von Artikel 34 der Dublin III-Verordnung entspricht neu Absatz 9 von Artikel 51 der AMMR-Verordnung.
Art. 52
Zuständige Behörden und Mittelausstattung
Gemäss dieser Bestimmung sind die Dublin-Staaten verpflichtet, diejenigen Behörden zu nennen, die für die Durchführung des Dublin-Verfahrens im jeweiligen Dublin-Staat zuständig sind. Dieser Artikel entspricht Artikel 35 der bisherigen Dublin III-Verordnung und hat durch die AMMR-Verordnung lediglich kleinere sprachliche Anpassungen erfahren. Neu wird explizit geregelt, dass die Behörden die Verfahrens- und Grundrechte wahren müssen und ein zügiges Verfahren zu gewährleisten ist, um Familienangehörige zusammenzuführen.
Art. 53
Verwaltungsvereinbarungen
Die Dublin-Staaten können zur Verbesserung der Dublin-Zusammenarbeit bilateral Verwaltungsvereinbarungen abschliessen. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich mehrheitlich Artikel 36 der bisher geltenden Dublin III-Verordnung. Die Absätze 3-5 wurden materiell unverändert übernommen. Lediglich die Absätze 1 und 2 erfahren kleinere Anpassungen. Absatz 1 führt neu aus, dass auch zu Solidaritätsbeiträgen gemäss Teil IV der AMMR-Verordnung Verwaltungsvereinbarungen abgeschlossen werden können (Bst. c). Absatz 2 erlaubt die Weiterverwendung von Vereinbarungen, die vor der Anwendung der AMMR-Verordnung abgeschlossen wurden. Neu verweist der Absatz dabei sowohl auf Vereinbarungen, die im Rahmen der Dublin II-Verordnung als auch im Rahmen der Dublin III-Verordnung abgeschlossen wurden.
Art. 54
Netz zuständiger Stellen
Neu wird von der EUAA ein Netz oder mehrere Netze zuständiger Stellen eingerichtet und verwaltet. Dieses soll die praktische Zusammenarbeit (inkl. Überstellungen) und den Informationsaustausch zwischen den Dublin-Staaten fördern, unter anderem bei der Ausarbeitung praxisbezogener Hilfsmittel und Leitlinien.
Frontex und andere einschlägige Einrichtungen, Ämter und Agenturen der EU können falls nötig in einem oder mehreren Netzen vertreten sein.
Kapitel VII: Schlichtung (Art. 55)
Art. 55
Schlichtung
Das bisher in Artikel 36 der Dublin III-Verordnung vorgesehene Schlichtungsverfahren wird in diesem Artikel angepasst.
Das Schlichtungsverfahren wird ausgelöst, wenn ein Dublin-Staat oder mehrere Dublin-Staaten bei ihrer Dublin-Zusammenarbeit auf Schwierigkeiten stossen. Neu sollen die betreffenden Staaten zuerst Konsultationen durchführen, um gemeinsam eine geeignete Lösung zu finden (Abs. 1).
Zudem besteht neu keine Verpflichtung mehr, der vom Ausschuss vorgeschlagenen Lösung Rechnung zu tragen. Wird bilateral keine Lösung gefunden, kann die Europäische Kommission neu Konsultationen durchführen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Sie kann diesbezüglich auch Empfehlungen an die betreffenden Dublin-Staaten aussprechen (Abs. 2). Das entsprechende Verfahren berührt die in dieser Verordnung im Einzelfall festgelegten Fristen nicht.
Unberührt davon bleiben die Befugnisse der Europäischen Kommission, in Anwendung der Artikel 258 und 260 AEUV, den Gerichtshof der EU anzurufen. Ferner haben die betreffenden Dublin-Staaten die Möglichkeit, ihre Streitigkeit nach Artikel 273 des Vertrags dem Gerichtshof vorzulegen oder ihn nach Artikel 259 des Vertrags anzurufen.
Obwohl diese Bestimmung in Teil III der AMMR-Verordnung enthalten ist, ist sie für die Schweiz nicht Dublin-relevant. Für die am Dublin-Besitzstand assoziierten Staaten ist ein spezifisches Schlichtungsverfahren im DAA vorgesehen.
3.4.2 Teil IV - Solidarität (Art. 56-71) (nicht Dublin-relevant)
Kapitel I: Solidaritätsmechanismus (Art. 56-66)
Art. 56
Jährlicher Solidaritätspool
Zusätzlich zur ständigen EU-Toolbox für die Unterstützung der Dublin-Staaten im Bereich der Migration dient der in Artikel 56 der AMMR-Verordnung geschaffene Jährliche Solidaritätspool als wichtigstes Instrument für die Leistung von Solidaritätsmassnahmen für Mitgliedstaaten, die unter Migrationsdruck stehen (siehe dazu auch Erläuterungen zu Art. 12 der AMMR-Verordnung).
Der Solidaritätspool besteht aus drei gleichwertigen Solidaritätsmassnahmen. Die Dublin-Staaten können selber festlegen, welche Solidaritätsleistungen sie erbringen wollen (Art. 56 Abs. 2 Bst. a-c der AMMR-Verordnung):
-
Übernahme (Relocation) von Personen gemäss den Artikeln 67 und 68 der AMMR-Verordnung, die internationalen Schutz beantragt haben, oder von Personen, die seit weniger als drei Jahren bereits internationalen Schutz geniessen, wenn eine bilaterale Vereinbarung zwischen dem begünstigten und dem beitragenden Dublin-Staat besteht (Bst. a);
-
finanzielle Beiträge prioritär für Projekte in den Bereichen Migration, Aufnahme, Wiedereingliederung vor der Ausreise, Grenzmanagement, Asyl und operative Unterstützung in Drittstaaten oder für Projekte in Transit- und Herkunftsstaaten, einschliesslich für Programme zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und der Wiedereingliederung (Bst. b; siehe dazu auch Art. 64 der AMMR-Verordnung);
-
alternative Massnahmen in den Bereichen Migration, Aufnahme, Asyl, Rückkehr und Wiedereingliederung sowie Grenzverwaltung. Innerhalb dieser Bereiche soll der Fokus auf der operativen Unterstützung, dem Kapazitätsaufbau, Dienstleistungen, der personellen Unterstützung, Infrastruktur und der technischen Unterstützung liegen (Bst. c; siehe dazu auch Art. 65 der AMMR-Verordnung).
Gestützt auf den jährlichen Europäischen Migrationsmanagementbericht (siehe dazu ausführliche Erläuterungen zu Art. 9 der AMMR-Verordnung) werden diejenigen Dublin-Staaten identifiziert, die Unterstützung aus dem Solidaritätspool benötigen (siehe dazu Erläuterungen zu Art. 58 der AMMR-Verordnung). Darüber hinaus können auch Dublin-Staaten, die im Bericht als nicht unterstützungsbedürftig identifiziert wurden, um Hilfe aus dem Pool ersuchen (siehe dazu Erläuterungen zu Art. 59 der AMMR-Verordnung).
In Absatz 2 Buchstabe b wird geregelt, für welche Tätigkeiten die Finanzbeiträge für Projekte in Drittstaaten verwendet werden dürfen (z. B. Ausbau der Asyl- und Aufnahmekapazität, Förderung der legalen Migration oder Unterstützung der freiwilligen Rückkehr).
Art. 57
Durchführungsrechtsakt des Rates zur Errichtung des Jährlichen Solidaritätspools
Auf der Grundlage des Kommissionsvorschlags (Art. 12) und im Einklang mit den auf dem hochrangigen EU-Solidaritätsforum (Art. 13) gemachten Zusagen erlässt der Rat der EU jährlich vor Ende eines jeden Kalenderjahres einen Durchführungsrechtsakt zur Einrichtung des Solidaritätspools. Im Durchführungsrechtsakt werden die Referenzzahl der erforderlichen Umsiedlungen, die Finanzbeiträge für den Jährlichen Solidaritätspool auf Unionsebene und die spezifischen Zusagen, die jeder Mitgliedstaat gemacht hat, angegeben (Abs. 1).
Im Durchführungsrechtsakt wird sofern erforderlich auch der indikative Prozentsatz des Jährlichen Solidaritätspools festgelegt. Dieser kann denjenigen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden, die aufgrund einer grossen Anzahl von Ankünften infolge wiederholter Ausschiffungen im Anschluss an Such- und Rettungsmassnahmen unter Migrationsdruck stehen. Ferner kann er andere Formen der Solidarität gemäss Artikel 56 Absatz 2 Buchstabe c festlegen (Abs. 2).
Die Beiträge der einzelnen Dublin-Staaten an den Solidaritätspool richten sich nach der Empfehlung der Europäischen Kommission und einem obligatorischen Anteil (sog. «fair share»; Abs. 3), der nach einem vorgegebenen Verteilschlüssel gemäss Artikel 66 und Anhang 1 der AMMR-Verordnung berechnet wird. Der Verteilschlüssel basiert zu je 50 Prozent auf der Bevölkerungszahl und dem BIP eines jeden Dublin-Staats.
Die Dublin-Staaten sind bei der Wahl oder der Kombination der Solidaritätsmassnahmen frei. Sagen die Dublin-Staaten alternative Solidaritätsmassnahmen zu, müssen sie den finanziellen Wert dieser Massnahmen angeben (Abs. 4).
Art. 58
Mitteilung hinsichtlich der Absicht der Nutzung des Jährlichen Solidaritätspools durch einen Mitgliedstaat, der nach dem Beschluss der Kommission Migrationsdruck ausgesetzt ist
Wenn ein Dublin-Staat, der in der Entscheidung gemäss Artikel 11 als Staat aufgeführt ist, welcher Unterstützung aus dem Solidaritätspool benötigt, die Unterstützung aus dem Solidaritätspool tatsächlich auch in Anspruch nehmen will, kann er dies der Europäischen Kommission und dem Rat mitteilen (Art und Umfang der Solidaritätsmassnahmen, Begründung; Abs. 1 und 2). Die Europäische Kommission unterrichtet daraufhin das Europäische Parlament. Nach Erhalt dieser Informationen hat der betreffende Mitgliedstaat Zugang zum Solidaritätspool (vgl. Art. 60). Spätestens zehn Tage nach Erhalt dieser Mitteilung beruft der EU-Solidaritätskoordinator das Solidaritätsforum auf technischer Ebene ein, um die Solidaritätsmassnahmen in die Praxis umzusetzen (Abs. 3).
Art. 59
Notifizierung des Erfordernisses der Nutzung des Jährlichen Solidaritätspools durch einen Mitgliedstaat, der sich selbst Migrationsdruck ausgesetzt sieht
Dublin-Staaten, die in der Entscheidung gemäss Artikel 11 als nicht unterstützungsbedürftig identifiziert wurden, können trotzdem um Unterstützung aus dem Solidaritätspool ersuchen, wenn sie sich selbst einem Migrationsdruck ausgesetzt sehen. Sie haben dies der Europäischen Kommission und dem Rat zu notifizieren. Die Europäische Kommission informiert daraufhin das Europäische Parlament (Abs. 1). Diese Notifizierung ist entsprechend zu begründen. Auch sind die Art und der Umfang der beantragten Solidaritätsmassnahmen aufzuführen (Abs. 2). Die EUAA, Frontex und die FRA sowie der betreffende Mitgliedstaat können die Europäische Kommission bei der Bewertung des Migrationsdrucks unterstützen (Abs. 3).
Die Beschlussfassung, ob dem anfragenden Dublin-Staat der Zugang zum Solidaritätspool erlaubt oder versagt wird, obliegt in erster Linie der Europäischen Kommission (Abs. 4). Der Rat und das Europäische Parlament sind über den Entscheid der Europäischen Kommission zu informieren (Abs. 5). Innerhalb von zwei Wochen hat der EU-Solidaritätskoordinator das EU-Solidaritätsforum auf technischer Ebene einzuberufen, um die Solidaritätsmassnahmen umzusetzen (Abs. 6).
Der Rat der EU kann jedoch den positiven Entscheid der Europäischen Kommission mittels Durchführungsrechtsakt innerhalb von zwei Wochen wieder aufheben und dem beantragenden Dublin-Staat den Zugang zum Solidaritätspool verweigern (z. B. weil keine ausreichenden Kapazitäten vorhanden sind; Abs. 6). In diesen Fällen findet Artikel 13 Absatz 4 der AMMR-Verordnung Anwendung und das hochrangige EU-Solidaritätsforum wird spätestens eine Woche nach dem Beschluss der Europäischen Kommission einberufen. Entscheidet die Europäische Kommission, der Notifizierung des anfragenden Dublin-Staats nicht zu entsprechen, so kann dieser Staat die Europäische Kommission und den Rat der EU erneut um Unterstützung anfragen (Abs. 7).
Art. 60
Praktische Umsetzung und Koordinierung der Solidaritätsbeiträge
Die praktische Umsetzung des Solidaritätspools für das betreffende Jahr läuft über das EU-Solidaritätsforum auf technischer Ebene. Der EU-Solidaritätskoordinator koordiniert in diesem Forum die Bedürfnisse und die Solidaritätsbeiträge und definiert einen Zeitplan für die Umsetzung (Abs. 1 und 2). Die Staaten können in diesem Rahmen die Planung für die Umsetzung ihrer Solidaritätsbeiträge und mögliche Profile der zu übernehmenden Personen angeben (Abs. 4).
Die Dublin-Staaten haben bis Ende des entsprechenden Jahres ihre zugesagten Solidaritätsmassnahmen (mit Ausnahme der finanziellen Beiträge) für den Solidaritätspool umzusetzen, sofern nicht ihre Beiträge gekürzt wurden (Art. 61 und 62) oder sie selbst begünstigter Dublin-Staat sind (Abs. 3). Zudem müssen die Zusagen durch die beitragenden Dublin-Staaten dann nicht erfüllt werden, wenn die Europäische Kommission feststellen sollte, dass im begünstigten Dublin-Staat systemische Mängel vorliegen.
Art. 61 und 62
Kürzung von Solidaritätsbeiträgen bei Migrationsdruck Kürzung von Solidaritätsbeiträgen in ausgeprägten Migrationslagen
Dublin-Staaten, die gemäss dem Beschluss in Artikel 11 unter Migrationsdruck stehen oder sich selbst als unter Migrationsdruck stehend betrachten, können bei der Europäischen Kommission verlangen, dass sie teilweise oder vollständig von der Verpflichtung zur Teilnahme an Solidaritätsmassnahmen befreit werden. Der Rat wird entsprechend informiert und erhält innerhalb von vier Wochen eine Einschätzung der Situation durch die Europäische Kommission. Er entscheidet im Anschluss, ob der Solidaritätsbeitrag des anfragenden Staats gekürzt wird oder nicht.
Art. 63
Verrechnungen der Verantwortlichkeiten
Diese Bestimmung sieht sogenannte «Zuständigkeitsausgleiche» vor (sog. «responsibility offsets»): Wenn die Zusagen für Übernahmen der Dublin-Staaten 50 Prozent der in der Empfehlung der Europäischen Kommission angegebenen Zahl erreicht haben, kann ein begünstigter Dublin-Staat die anderen Dublin-Staaten anstelle von Übernahmen um Ausgleiche bei den Dublin-Fällen gemäss einem festgelegten Verfahren bitten. Dies bedeutet, dass der beitragende Dublin-Staat die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylgesuchs vom begünstigten Dublin-Staat übernimmt (Abs. 1 und 2).
Liegen die zugesagten Übernahmezahlen unter der in der Empfehlung der Europäischen Kommission definierten Gesamtzahl oder unter 60 Prozent der im Rahmen des hochrangigen EU-Solidaritätsforums vereinbarten Solidaritätsbeiträge, so haben die beitragenden Dublin-Staaten die fehlenden «Beiträge» mit der Übernahme von Dublin-Fällen bis zu den durch den Verteilschlüssel festgelegten Anteilen zu kompensieren. Die Dublin-Staaten sind jedoch nicht verpflichtet, darüber hinausgehende Zuständigkeiten zu übernehmen (Abs. 3 und 7 sowie Art. 66 der AMMR-Verordnung). Diejenigen Dublin-Staaten, die in der Höhe ihres «fair share» mit Übernahmen zum Jährlichen Solidaritätspool beigetragen haben, sind somit von Verpflichtungen des «Zuständigkeitsausgleichs» ausgenommen.
Absatz 8 dieser Bestimmung hält fest, in welchen Fällen bzw. bei welchen Personenkategorien dieser sogenannte «Zuständigkeitsausgleich» nicht zur Anwendung kommt (z. B. bei unbegleiteten Minderjährigen; Bst. a).
Absatz 9 sieht ferner vor, dass der beitragende Dublin-Staat auch Drittstaatsangehörige oder Staatenlose aufnehmen kann, wenn deren Asylgesuch im begünstigten Dublin-Staat abgelehnt wurde. In diesen Fällen kommen die Artikel 55 und 56 der Asylverfahrensverordnung zur Anwendung.
Art. 64 und 65
Finanzbeiträge und alternative Solidaritätsmassnahmen
Finanzbeiträge bestehen aus Beitragsüberweisungen der «beitragenden» Mitgliedstaaten an den Haushalt der EU und stellen zweckgebundene externe Einnahmen dar. Sie werden für die Durchführung der Massnahmen des Solidaritätspools verwendet.
Gemäss Artikel 64 Absatz 2 ermitteln die begünstigten Mitgliedstaaten Massnahmen, die durch solche Finanzbeiträge finanziert werden können. Sie legen diese dem EU-Solidaritätsforum auf technischer Ebene vor. Der EU-Solidaritätskoordinator führt ein Verzeichnis der Massnahmen.
Die Europäische Kommission hat mittels Durchführungsrechtsakt Vorschriften für die Verwendung der Finanzbeiträge festzulegen (Art. 64 Abs. 3).
Ferner können auf Ersuchen eines begünstigten Dublin-Staats alternative Solidaritätsmassnahmen vereinbart werden. Diese Massnahmen richten sich nach den spezifischen Bedürfnissen des begünstigten Dublin-Staats und gelten als finanzielle Solidarität. Ihr konkreter Wert wird von den beitragenden und den begünstigten Dublin-Staaten festgelegt (Art. 65).
Art. 66
Referenzschlüssel
Der Anteil an den Solidaritätsbeiträgen wird nach einer vorgegebenen Formel berechnet. Die Bevölkerungszahl und das BIP werden dabei zu je 50 Prozent gewichtet.
Kapitel II: Verfahrensvorschriften (Art. 67-70)
Art. 67
Verfahren vor der Übernahme
Diese Bestimmung regelt das Verfahren zur Übernahme von ausländischen Personen, die im Rahmen von Solidaritätsmassnahmen zur Prüfung ihres Asylgesuchs, zum Verbleib oder zur Wegweisung aus einem Dublin-Staat (sog. begünstigter Mitgliedstaat) durch einen anderen Dublin-Staat übernommen werden (Abs. 1; siehe dazu auch Art. 56 der AMMR-Verordnung).
Vor der Überstellung an den anderen Dublin-Staat hat der begünstigte Dublin-Staat sicherzustellen, dass die Person keine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt. Diese Personenkategorie ist vom Verfahren der Übernahme grundsätzlich ausgeschlossen (Abs. 2).
Der begünstigte Dublin-Staat (bzw. auf Ersuchen dieses Staats die EUAA) entscheidet, welche Person konkret durch den anderen Dublin-Staat übernommen werden soll. Die Person selber kann nicht beantragen, einem bestimmten Dublin-Staat zur Übernahme zugewiesen zu werden. Der Mitgliedstaat kann das Bestehen bedeutsamer Bindungen zwischen der betreffenden Person und dem Umsiedlungsmitgliedstaat (z. B. aufgrund familiärer oder kultureller Erwägungen) berücksichtigen. Der begünstigte Mitgliedstaat gibt der umzusiedelnden Person die Möglichkeit, über das Bestehen von bedeutsamen Bindungen zu bestimmten Mitgliedstaaten zu informieren und einschlägige Informationen und Unterlagen zur Feststellung dieser Bindungen vorzulegen. Dies beinhaltet jedoch nicht das Recht, einen bestimmten Umsiedlungsmitgliedstaat zu wählen (Abs. 3). Zudem haben die Dublin-Staaten sicherzustellen, dass Familien nicht getrennt werden und Familienangehörige in das Hoheitsgebiet desselben Dublin-Staats übernommen werden (Abs. 6).
Die betroffene Person ist vor der Übernahme durch den anderen Dublin-Staat durch den begünstigten Dublin-Staat zu unterrichten (Abs. 5).
Handelt es sich bei der identifizierten umzusiedelnden Person um eine Person mit Anspruch auf internationalen Schutz, so wird die betreffende Person erst umgesiedelt, wenn sie der Umsiedlung schriftlich zugestimmt hat (Abs. 4).
Unter Verwendung eines Standardformulars übermittelt der begünstigte Dublin-Staat dem Übernahmestaat alle sachdienlichen Informationen und Dokumente. Dieser prüft, ob allenfalls Gründe vorliegen, dass die betreffende Person eine Sicherheitsgefahr darstellt. Er kann diese Informationen auch im Rahmen einer persönlichen Anhörung überprüfen. Die betroffene Person wird über den Zweck der Anhörung informiert (Abs. 8). Falls der Übernahmestaat feststellt, dass keine stichhaltigen Gründe dafürsprechen, dass die Person eine Sicherheitsgefahr darstellt, hat er dem begünstigten Staat innerhalb einer Woche zu bestätigen, dass er die betreffende Person übernehmen wird. Stellt jedoch der Übernahmestaat fest, dass die Person eine Sicherheitsgefahr darstellt, hat er den begünstigten Dublin-Staat innerhalb einer Woche (maximal zwei Wochen) zu informieren. Eine Übernahme der betreffenden Person findet in diesen Fällen grundsätzlich nicht statt. Reagiert der Übernahmestaat nicht innert Frist, hat er die Person zu übernehmen (Abs. 9).
Der begünstigte Dublin-Staat hat der betroffenen Person die Überstellungsentscheidung (Nichteintretensentscheid auf das Asylgesuch) spätestens zwei Tage vor der Überstellung schriftlich zu eröffnen. Hat die betroffene Person Anspruch auf internationalen Schutz, erfolgt die Eröffnung der Überstellungsentscheidung eine Woche vor der Überstellung (Abs. 10). Die Überstellung erfolgt grundsätzlich innerhalb von vier Wochen nach Bestätigung des Übernahmestaats oder dem endgültigen Entscheid nach einem Rechtsbehelf (Abs. 11).
Die entsprechenden Bestimmungen des Dublin-Verfahrens in Bezug auf die Überstellung gelten auch für das Übernahmeverfahren (konkret: Art. 42 Abs. 3-5 [Zustellung der Überstellungsentscheidung, insb. Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen], Art. 43 [Rechtsmittel], Art. 44 [Dublin-Haft], Art. 46 Abs. 1 und 3 [Überstellungsfristen], Art. 47 Abs. 2 und 3 [Überstellungskosten], Art. 48 [Datenaustausch vor einer Überstellung] und Art. 50 [Austausch von Gesundheitsdaten]).
Art. 68
Verfahren nach der Übernahme
Diese Bestimmung regelt das Verfahren, nachdem der Übernahmestaat die betroffene Person vom begünstigten Dublin-Staat übernommen hat. Der Übernahmestaat hat den begünstigten Dublin-Staat, die EUAA und den EU-Solidaritätskoordinator entsprechend zu informieren, ob die Überstellung erfolgt ist (Abs. 1). Hat der Übernahmemitgliedstaat eine gesuchstellende Person übernommen, für die der zuständige Mitgliedstaat noch nicht bestimmt wurde, führt der Übernahmestaat das Dublin-Verfahren durch. Kann kein zuständiger Dublin-Staat nach den entsprechenden Kriterien bestimmt werden, so wird der Übernahmestaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und gibt seine Zuständigkeit in Eurodac ein (Abs. 2). Die Zuständigkeit für die Prüfung des Gesuchs auf internationalen Schutz geht ebenfalls auf den Übernahmemitgliedstaat über, wenn eine gesuchstellende Person übernommen wird, für die der begünstigte Mitgliedstaat als zuständig bestimmt wurde, und der auch für mögliche nachfolgende Asylgesuche, welche die Person stellen könnte, zuständig wäre (Abs. 3). Wurde ein anerkannter Flüchtling überstellt, ist kein Dublin-Verfahren notwendig und der Übernahmemitgliedstaat anerkennt die Flüchtlingseigenschaft der betroffenen Person (Abs. 4).
Art. 69
Verfahren für Verrechnungen von Verantwortlichkeiten gemäss Artikel 63 Absätze 1 und 2
Im Rahmen der sogenannten «Zuständigkeitsausgleiche» ersucht der begünstigte Dublin-Staat einen anderen Dublin-Staat, die Zuständigkeit für die Prüfung für eine gewisse Zahl an Asylgesuchen zu übernehmen, für die er ursprünglich verantwortlich wäre. Der ersuchte Staat hat innerhalb von 30 Tagen darüber zu entscheiden. Er kann sich auch zur Übernahme einer geringeren Anzahl von Asylgesuchen entscheiden (Abs. 1 und 2). Wenn er sich als zuständig erklärt, hat er dies in Eurodac entsprechend einzutragen (Abs. 3, siehe auch Art. 16 Abs. 3 der Eurodac-Verordnung).
Art. 70
Sonstige Verpflichtungen
Die Dublin-Staaten haben die Europäische Kommission und den EU-Solidaritätskoordinator laufend über durchgeführte Solidaritätsmassnahmen zu informieren.
Kapitel III: Finanzielle Unterstützung durch die Union (Art. 71)
Art. 71
Finanzielle Unterstützung
Für jede überstellte Person erhalten EU-Staaten eine finanzielle Unterstützung in der Höhe von 10 000 Euro gemäss den Vorgaben von Artikel 20 der Verordnung (EU) 2021/1147.
3.4.3 Teil V - Allgemeine Bestimmungen (Art. 72-80) (Dublin-relevant)
Art. 72
Datensicherheit und Datenschutz
Diese Bestimmung enthält die datenschutzrechtlichen Regelungen. Die Absätze 2 und 3 entsprechen materiell mehrheitlich der bisherigen Regelung in Artikel 38 Absätze 1 und 2 der Dublin III-Verordnung.
Absatz 1 verweist neu auf die europäischen Datenschutzregelungen in den Verordnungen (EU) 2016/679 6⁶ (Datenschutz-Grundverordnung) und 2018/1725 ⁶7 sowie auf die Richtlinie 2016/680 ⁶8 . Die Datenschutz-Grundverordnung ist der grundlegende Datenschutzerlass auf Ebene der EU. Sie regelt den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, die im Bereich des Binnenmarkts bearbeitet werden, doch sie gilt auch für den öffentlichen Sektor. Die Richtlinie (EU) 2016/680 regelt den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich des Strafrechts. Die Verordnung (EU) 2018/1725 regelt den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe der EU.
Die Bearbeitung der Daten im Dublin-Verfahren hat im Einklang mit diesen EU-Verordnungen und der genannten EU-Richtlinie zu erfolgen. Für die Schweiz verbindlich ist jedoch lediglich die Richtlinie 2016/680, da nur diese Richtlinie Teil des Schengen-Besitzstands ist.
6⁶ Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung); ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1.
⁶7 Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG; ABl. L 295 vom 21.11.2018, S. 39.
⁶8 Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates; ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 89.
Art. 73
Vertraulichkeit
Diese Bestimmung entspricht Artikel 39 der bisherigen Dublin III-Verordnung und erfährt mit Ausnahme des angepassten Verweises auf den neuen Artikel 52 der AMMR-Verordnung keine Anpassung.
Art. 74
Sanktionen
Die Dublin-Staaten sehen im nationalen Recht wirksame, verhältnismässige und dissuasive Sanktionen vor, die bei Verstössen gegen die AMMR-Verordnung zu verhängen sind. Dies könnte auch bei Datenschutzverstössen in Bezug auf das Dublin-Verfahren der Fall sein, was bisher in Artikel 40 der bisherigen Dublin III-Verordnung vorgesehen war.
Art. 75
Berechnung der Fristen
Diese Bestimmung enthält die Regeln zum Fristenlauf und entspricht materiell Artikel 42 der bisherigen Dublin III-Verordnung.
Art. 76
Räumlicher Geltungsbereich
Die Bestimmung, wonach die AMMR-Verordnung für Frankreich nur für ihr europäisches Hoheitsgebiet gilt, entspricht inhaltlich Artikel 43 der bisherigen Dublin III-Verordnung und erfährt keine Änderung.
Art. 77
Ausschussverfahren
Der Ausschuss unterstützt die Europäische Kommission beim Erlass von Durchführungsrechtsakten im Rahmen des sogenannten «Prüfungsverfahrens». Dieser Artikel entspricht inhaltlich Artikel 44 der bisherigen Dublin III-Verordnung und erfährt keine Anpassung.
Art. 78
Ausübung der Befugnisübertragung
Diese Bestimmung regelt den Erlass von delegierten Rechtsakten durch die Europäische Kommission. Sie entspricht materiell weitgehend Artikel 45 der bisherigen Dublin III-Verordnung und erfährt nur leichte Anpassungen.
Absatz 1 entspricht weiterhin Absatz 1 von Artikel 45 der bisherigen Dublin III-Verordnung. In den Absätzen 2 und 3 werden lediglich die Verweise auf andere Artikel aktualisiert. Der neue Absatz 4 hält fest, dass die Europäische Kommission vor Erlass eines delegierten Rechtsakts benannte Sachverständige zu konsultieren hat. Die Absätze 5 und 6 entsprechen den Absätzen 4 und 5 von Artikel 45 der Dublin III-Verordnung. Sie erfahren keine inhaltliche Änderung.
Art. 79
Überwachung und Evaluierung
Diese Bestimmung regelt die Begleitung und Bewertung der AMMR-Verordnung durch die Europäische Kommission und entspricht materiell grundsätzlich Artikel 46 der bisherigen Dublin III-Verordnung. Neu hat die Europäische Kommission jährlich die Solidaritätsmassnahmen, die in Teil IV Kapitel I-III enthalten sind, zu überprüfen und über die Durchführung der festgelegten Massnahmen zu berichten. Der Bericht wird dem Europäischen Parlament und dem Rat übermittelt. Zudem hat die Europäische Kommission regelmässig (mindestens alle drei Jahre) die in Artikel 12 Absatz 2 Buchstaben a und b aufgeführten Zahlen zu kontrollieren. Im Rahmen dieser Prüfung hat sie zu analysieren, ob die Definition «Familienangehörige» und die unter Teil III festgelegten Fristen geändert werden sollten.
Schliesslich hat die Europäische Kommission spätestens fünf Jahre nach Anwendungsbeginn der AMMR-Verordnung und danach alle fünf Jahre eine Bewertung dieser vorzunehmen.
Art. 80
Statistiken
Die Dublin-Staaten haben Eurostat statistische Daten über die Anwendung der AMMR-Verordnung zu liefern. Diese Bestimmung entspricht materiell Artikel 47 der bisherigen Dublin III-Verordnung und erfährt keine inhaltliche Änderung.
3.4.4 Teil VI - Änderung anderer Rechtsakte der Union (Art. 81 und 82) (nicht Dublin-relevant)
Art. 81
Änderungen der Verordnung (EU) 2021/1147
Mit der AMMR-Verordnung werden die Artikel 2, 15, 20, 35 Absatz 2 und die Anhänge II und VI der Verordnung (EU) 2021/1147 angepasst. Die EU-Verordnung ist jedoch nicht Teil des Schengen- oder Dublin-Besitzstands und daher für die Schweiz nicht anwendbar.
Art. 82
Änderungen der
Verordnung (EU) 2021/1060
Mit der AMMR-Verordnung werden die Artikel 36 und 63 Absätze 6 und 7 der Verordnung (EU) 2021/1060 ⁶9 angepasst.
Die Anpassungen sind erforderlich, weil die Solidaritätsmassnahmen aus der AMMR-Verordnung über das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik (BMVI-Fonds) finanziert werden.
Artikel 36 erhält einen neuen Absatz 3 a , der vorsieht, dass keine Unionsbeiträge für technische Hilfe zur Unterstützung von Solidaritätsmassnahmen geleistet werden dürfen. Artikel 63 Absatz 6 wird um einen neuen Unterabsatz erweitert, der festlegt, dass der erste Unterabsatz dieses Absatzes nicht auf die Unterstützung von Solidaritätsmassnahmen anwendbar ist. Artikel 63 Absatz 7 erhält einen vierten Unterabsatz, der vorsieht, dass im Rahmen einer Programmänderung eine finanzielle Unterstützung für Solidaritätsmassnahmen eingeführt werden kann und dass die Förderfähigkeit von Ausgaben in Zusammenhang mit dieser Änderung ab dem Datum des Inkrafttretens dieser Änderungsverordnung beginnt.
⁶9 Verordnung (EU) 2021/1060 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Juni 2021 mit gemeinsamen Bestimmungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Kohäsionsfonds, den Fonds für einen gerechten Übergang und den Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds sowie mit Haushaltsvorschriften für diese Fonds und für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, den Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik, ABl. L 231 vom 30.6.2021, S. 159; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2023/435, ABl. L 63 vom 28.2.2023, S. 1.
3.4.5 Teil VII - Übergangs- und Schlussbestimmungen (Art. 83-85)
Art. 83
Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013
Die Dublin III-Verordnung wird aufgehoben, sobald die AMMR-Verordnung gemäss Artikel 85 auf das Dublin-Verfahren Anwendung findet (24 Monate nach Inkrafttreten der AMMR-Verordnung). Die Verweise auf die aufgehobene Dublin III-Verordnung in anderen EU-Rechtsakten gelten als Verweise auf die neue AMMR-Verordnung. Die Durchführungsverordnung 1560/2003 zur Dublin II-Verordnung bleibt solange in Kraft, als sie durch Durchführungsrechtsakte der Europäischen Union angepasst wird.
Art. 84
Übergangsmassnahmen
Die Regelung zu den Übergangsbestimmungen entspricht im Wesentlichen der bisherigen Regelung in Artikel 41 der Dublin III-Verordnung. Wird ein Asylgesuch nach der Anwendung der AMMR-Verordnung registriert, werden die Sachverhalte, welche die Zuständigkeit eines Dublin-Staats für das Dublin-Verfahren betreffen, auch dann berücksichtigt, wenn sie aus der Zeit vor der Anwendung der AMMR-Verordnung stammen. Wird ein Asylgesuch vor Anwendung der AMMR-Verordnung registriert, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats nach der Dublin III-Verordnung.
Die Dublin-Staaten haben gestützt auf den gemeinsamen Durchführungsplan der Europäischen Kommission sechs Monate nach Inkrafttreten der AMMR-Verordnung einen eigenen nationalen Durchführungsplan zu erstellen. In diesem sollen die Massnahmen zur Umsetzung der AMMR-Verordnung und der Zeitplan für deren Durchführung festgelegt werden. Die im Durchführungsplan vorgesehene Umsetzung ist bis zum Beginn der Anwendung der AMMR-Verordnung abzuschliessen (Abs. 3).
Die Europäische Kommission legt im Rahmen der ersten beiden Berichte nach Artikel 9 einen Statusbericht über die Umsetzung des gemeinsamen Durchführungsplans und der nationalen Durchführungspläne vor. Bis zum Vorliegen dieser Berichte unterrichtet die Europäische Kommission das Europäische Parlament und den Rat alle sechs Monate über den Stand der Umsetzung des gemeinsamen Durchführungsplans und der nationalen Durchführungspläne.
Art. 85
Inkrafttreten und Anwendung
Die AMMR-Verordnung wird am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Anwendbar wird sie ab dem ersten Tag des 25. Monats nach ihrem Inkrafttreten. Das Anwendungsdatum wurde auf den 1. Juli 2026 festgelegt. Bis dahin bleibt die Dublin III-Verordnung anwendbar.
Gewisse Artikel sind in der EU bereits ab dem Tag des Inkrafttretens der AMMR-Verordnung anwendbar. Zum einen betrifft dies folgende Artikel zu den Solidaritätsmassnahmen:
-
Artikel 7 (Strategischer Ansatz für das Asyl- und Migrationsmanagement auf nationaler Ebene);
-
Artikel 8 (Langfristige Europäische Strategie für Asyl- und Migrationsmanagement);
-
Artikel 9 (Jährlicher Europäischer Asyl- und Migrationsbericht);
-
Artikel 10 (Informationen für die Bewertung der Gesamtmigrationslage, des Migrationsdrucks, der Gefahr von Migrationsdruck oder einer ausgeprägten Migrationslage);
-
Artikel 11 (Durchführungsbeschluss der Kommission über die Festlegung der Mitgliedstaaten, die Migrationsdruck ausgesetzt sind, für die die Gefahr von Migrationsdruck besteht oder die sich in einer ausgeprägten Migrationslage befinden);
-
Artikel 12 (Vorschlag der Kommission für einen Durchführungsrechtsakt des Rates zur Einrichtung des Jährlichen Solidaritätspools);
-
Artikel 13 (Hochrangiges EU-Solidaritätsforum);
-
Artikel 14 (Fachebene des EU-Solidaritätsforums);
-
Artikel 15 (EU-Solidaritätskoordinator);
-
Artikel 56 (Jährlicher Solidaritätspool);
-
Artikel 57 (Durchführungsrechtsakt des Rates zur Einrichtung des Jährlichen Solidaritätspools).
Ferner betrifft es das von der EUAA zu erstellende Formular für die Ermittlung von Familienangehörigen (Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 4), die Befugnis der Europäischen Kommission zum Erlass von Durchführungsrechtsakten (Art. 23 Abs. 7, 25 Abs. 6 und 7, 34 Abs. 3 und 4, 39 Abs. 3 Unterabs. 2, 40 Abs. 4 und 8 Unterabs. 2, 41 Abs. 5, 46 Abs. 1 Unterabs. 5, 46 Abs. 4, 48 Abs. 4, 50 Abs. 1 Unterabs. 2 und Abs. 5, 52 Abs. 4, 64 Abs. 3, 67 Abs. 14) und delegierten Rechtsakten (Art. 78) sowie die Übergangsmassnahmen (Art. 84).
3.5 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der Krisenverordnung
3.5.1 Allgemeine Bestimmungen (Art. 1)
Art. 1
Gegenstand
Diese Bestimmung legt fest, von welchen EU-Verordnungen im Krisenfall vorübergehend abgewichen werden kann, und definiert, was als Krisensituationen sowie als Situation höherer Gewalt zu verstehen ist. Ebenfalls Gegenstand der Verordnung sind Situationen, in der Drittstaatsangehörige und Staatenlose instrumentalisiert werden, beispielsweise wenn ein Drittstaat oder ein feindseliger nichtstaatlicher Akteur Reisen von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen an die Schengen-Aussengrenzen fördert oder erleichtert mit dem Ziel, einen Mitgliedstaat zu destabilisieren.
Die im Krisenfall vorübergehend eingesetzten Massnahmen müssen notwendig und verhältnismässig sein.
3.5.2 Verwaltung (Art. 2-7)
Art. 2
Begründetes Ersuchen eines Mitgliedstaats
Befindet sich ein Mitgliedstaat in einer Krisensituation oder in einer Situation höherer Gewalt, kann er einen Antrag an die Europäische Kommission richten. Damit kann er verlangen, von Solidaritätsmassnahmen zu profitieren und von einschlägigen Vorschriften beispielsweise im Dublin-Verfahren abweichen zu können.
Art. 3
Durchführungsbeschluss der Kommission über das Vorliegen einer Krisensituation oder einer Situation höherer Gewalt
Die Europäische Kommission prüft den Antrag und erlässt einen entsprechenden Durchführungsbeschluss. Die Beurteilung erfolgt nach den Kriterien gemäss Absatz 4. Im Rahmen dieses Durchführungsbeschlusses hat die Europäische Kommission anzugeben, weshalb die Massnahmen der EU-Toolbox zur Unterstützung (Art. 6 Abs. 3 der AMMR-Verordnung) nicht ausreichen, um die Situation zu bewältigen.
Zudem kann die Europäische Kommission empfehlen, ein beschleunigtes Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes für bestimmte Personenkategorien gemäss Artikel 14 vorzusehen (Abs. 2).
Art. 4
Kommissionsvorschlag und Durchführungsbeschluss des Rates zur Genehmigung von Ausnahmeregelungen und zur Festlegung von Solidaritätsmassnahmen
Gleichzeitig mit dem Erlass des Durchführungsbeschlusses (Art. 3) legt die Europäische Kommission einen Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss des Rates vor. Der Rat der EU prüft den Vorschlag und erlässt innerhalb von zwei Wochen nach dessen Eingang einen Durchführungsbeschluss, mit dem der betreffende Mitgliedstaat ermächtigt wird, die in den Artikeln 10-13 vorgesehenen Ausnahmeregelungen anzuwenden. Zudem stellt er, soweit angemessen, einen Solidaritätsplan mit Solidaritätsmassnahmen auf, die der betreffende Mitgliedstaat zur Bewältigung der Situation in Anspruch nehmen kann. Im Durchführungsbeschluss legt der Rat der EU zudem die Dauer fest, in der die in den Artikeln 10-13 vorgesehenen Ausnahmen angewendet werden dürfen.
Art. 5
Dauer
Die Frist zur Anwendung der Ausnahmeregelungen und Solidaritätsmassnahmen beträgt drei Monate. Sie kann einmal um einen Zeitraum von drei Monaten verlängert werden, wenn die Krisensituation oder die Situation höherer Gewalt weiterhin besteht und von der Europäischen Kommission bestätigt wird (Abs. 1). Nach Ablauf dieses Zeitraums kann die Europäische Kommission auf Antrag des betreffenden Mitgliedstaats erneut einen Vorschlag für einen neuen Durchführungsbeschluss des Rates vorlegen, damit die Massnahmen um einen Zeitraum von weiteren drei Monaten verlängert werden können. Auch dieser Durchführungsbeschluss kann um einen neuen Zeitraum von drei Monaten verlängert werden.
Die Gesamtdauer der Anwendung der Massnahmen beträgt maximal zwölf Monate.
Art. 6
Überwachung
Die Europäische Kommission und der Rat der EU überwachen fortlaufend, ob die in einem Durchführungsbeschluss der Europäischen Kommission festgestellte Krisensituation oder die Situation höherer Gewalt weiterhin andauert. Dabei achtet die Europäische Kommission besonders auf die Einhaltung der Grundrechte. Ist die Europäische Kommission der Auffassung, dass sich die Umstände geändert haben, schlägt sie dem Rat der EU vor, den Durchführungsbeschluss aufzuheben. Dauert die Krisensituation oder die Situation höherer Gewalt an, kann sie dem Rat der EU auch die Änderung oder Verlängerung der Massnahmen vorschlagen. Die Europäische Kommission erstattet alle drei Monate nach Inkrafttreten des Durchführungsbeschlusses des Rates Bericht über die Wirksamkeit der Massnahmen.
Art. 7
EU-Solidaritätskoordinator
Der EU-Solidaritätskoordinator wird durch die Europäische Kommission ernannt (Art. 15 und 60 der AMMR-Verordnung). Er hat unter anderem die Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten und den an der Umsetzung des Solidaritätsmechanismus beteiligten Agenturen und Einrichtungen zu koordinieren und zu unterstützen. Er nimmt zusätzlich die Aufgaben gemäss Artikel 7 der Krisenverordnung wahr. Zudem hat er die Umsiedlungsmassnahmen zu unterstützen und eine Kultur der Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Bereich von Asyl und Migration zu fördern, unter anderem auch durch den Austausch bewährter Praktiken.
3.5.3 In einer Krisensituation anwendbare Solidaritätsmassnahmen (Art. 8 und 9)
Art. 8
Solidaritäts- und Unterstützungsmassnahmen in einer Krisensituation
Die EU-Mitgliedstaaten, die sich in einer Krisensituation befinden, können als Solidaritäts- und Unterstützungsmassnahmen Folgendes beantragen: die Übernahme bzw. Umsiedlung von Personen, die internationalen Schutz beantragt haben oder denen internationaler Schutz gewährt wurde (Art. 67 und 68 der AMMR-Verordnung), die Finanzierung von Projekten (Art. 64 der AMMR-Verordnung) und alternative Solidaritätsmassnahmen (Art. 56 Abs. 2 Bst. c i. V. m. Art. 65 Abs. 2 und 3 der AMMR-Verordnung).
Art. 9
Verrechnungen der Verantwortlichkeiten
Liegen die bestehenden Übernahme- und Umsiedlungszusagen anderer EU-Mitgliedstaaten unter den vom Rat für die Krisensituation ermittelten Übernahmebedarf, übernehmen die beitragenden EU-Mitgliedstaaten die Verantwortung für die Anträge um internationalen Schutz für den jeweiligen EU-Mitgliedstaat, der sich in der Krisensituation befindet, in der Grössenordnung des gesamten Übernahmebedarfs.
Wird die Richtlinie 2001/55/EG 7⁰ (sog. Massenzustrom-Richtlinie) aktiviert und vereinbaren die EU-Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Aktivierung, Artikel 11 der Richtlinie nicht anzuwenden, so finden die obligatorischen Aufrechnungen keine Anwendung. Reichen die Solidaritätsmassnahmen nicht aus, wird unverzüglich das EU-Solidaritätsforum einberufen. Der begünstigte EU-Mitgliedstaat kann die anderen Mitgliedstaaten ersuchen, die Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz, für die er als zuständig bestimmt wurde, anstelle von Umsiedlungen zu übernehmen. Der beitragende EU-Mitgliedstaat kann seinen Anteil in Bezug auf künftige Solidaritätsbeiträge im Rahmen der kommenden Jahreszyklen entsprechend anpassen lassen.
Befindet sich ein anderer EU-Mitgliedstaat ebenfalls in einer Krisensituation, so kann er auch Solidaritätsmassnahmen oder eine vollständige oder teilweise Verringerung seiner Solidaritätsbeiträge, die zur Unterstützung des anderen Mitgliedstaats in der Krisensituation vorgesehen sind, beantragen.
7⁰ Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Massnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten; ABl. L 212 vom 7.8.2001, S. 12.
3.5.4 Ausnahmen (Art. 10-13)
Art. 10
Registrierung von Anträgen auf internationalen Schutz in Krisensituationen oder Situationen höherer Gewalt
Diese Bestimmung enthält Ausnahmeregelungen zur Asylverfahrensverordnung im Krisenfall. Die Frist zur Registrierung des Asylgesuchs wird bei Krisensituationen von sieben Tagen auf vier Wochen verlängert (Abs. 1). Die Registrierung von Minderjährigen und deren Familienangehörigen ist zu priorisieren (Abs. 2). Da die Asylverfahrensverordnung keine Dublin-Weiterentwicklung und damit für die Schweiz nicht verbindlich ist, ist diese Ausnahmebestimmung für die Schweiz nicht relevant.
Art. 11
In einer Krisensituation oder Situation höherer Gewalt auf das Asylverfahren an der Grenze anwendbare Massnahmen
Diese Bestimmung enthält Ausnahmeregelungen zur Asylverfahrensverordnung für das Asylverfahren an der Schengen-Aussengrenze. In Krisensituationen oder in Situationen höherer Gewalt können die EU-Staaten die Höchstdauer der Prüfung des Asylgesuchs an der Schengen-Aussengrenze um einen zusätzlichen Zeitraum von höchstens sechs Wochen verlängern (Abs. 1). Bei Vorliegen einer Krisensituation können die EU-Mitgliedstaaten nicht verpflichtet werden, Asylgrenzverfahren durchzuführen, wenn die Unterstützungsmassnahmen nicht ausreichen, um die Krise zu bewältigen (Abs. 2). Abweichend von der Asylverfahrensverordnung können in einer Krisensituation die EU-Mitgliedstaaten das Asylverfahren beschleunigen und im Grenzverfahren den Asylentscheid fällen, wenn die asylsuchende Person die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats hat oder hatte (bei Staatenlosen, wenn ihr früherer Aufenthalt in einem Drittstaat war), dessen Schutzquote aufgrund der verfügbaren Eurostat-Daten unionsweit im Jahresdurchschnitt 5 Prozent oder weniger beträgt (die Asylverfahrensverordnung sieht in Art. 42 Abs. 1 Bst. j eine Schutzquote von 20 % vor) (Abs. 2). Desgleichen kann der Anwendungsbereich des Grenzverfahrens auf Drittstaatsangehörige und Staatenlose ausgeweitet werden, deren EU-weite Anerkennungsquote in erster Instanz 50 Prozent oder weniger beträgt (Abs. 3 und 4). Der betreffende EU-Mitgliedstaat hat eine Priorisierung der Prüfung der Asylgesuche beispielsweise von Minderjährigen und ihren Familien vorzunehmen (Abs. 5). Ferner können die EU-Staaten beschliessen, alle registrierten Asylgesuche in den Einrichtungen an der Schengen-Aussengrenze zu entscheiden (Abs. 6). Es können jedoch Ausnahmen vorgesehen werden (Abs. 7-9). Das Non-Refoulement-Gebot und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf sind einzuhalten (Abs. 10). Dauert das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats länger als die Höchstdauer des Asylgrenzverfahrens in einer Krisensituation oder in Fällen höherer Gewalt, so wird das Verfahren im Hoheitsgebiet des bestimmten Mitgliedstaats abgeschlossen (Abs. 11). Da die Asylverfahrensverordnung keine Dublin-Weiterentwicklung und damit für die Schweiz nicht verbindlich ist, sind diese Ausnahmebestimmungen für die Schweiz nicht relevant.
Art. 12
Verlängerung der festgelegten Fristen für Aufnahmegesuche, Wiederaufnahmemitteilungen und Überstellungen in einer Krisensituation gemäss Artikel 1 Absatz 4 Buchstabe a oder einer Situation höherer Gewalt
Im Falle einer Krisensituation oder einer Situation höherer Gewalt können die Fristen, welche die AMMR-Verordnung für das Dublin-Verfahren in den Artikeln 39-41 und 46 vorsieht, verlängert werden (Abs. 1). So beträgt die Frist für das Stellen des Aufnahmegesuchs vier Monate anstatt zwei (bzw. einen Monat; Abs. 2 Bst. a). Die Frist für die Antwort auf das Aufnahmegesuch wird von einem Monat auf zwei Monate verlängert (Bst. b). Die Übermittlung einer Wiederaufnahmemitteilung muss nicht innerhalb von zwei Wochen, sondern innerhalb von einem Monat erfolgen (Bst. c). Die Überstellungsfrist wird von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert (Bst. d).
Hält der Dublin-Staat diese Fristen nach den Buchstaben a, b oder d von Absatz 2 nicht ein, geht die Zuständigkeit auf ihn über (Abs. 3). In einer Krisensituation werden zudem Dublin-Überstellungen in den sich in einer Krise befindlichen Staat ausgesetzt. Erfolgt die Überstellung wegen des Fortbestehens der Krisensituation oder der Situation höherer Gewalt nicht innerhalb eines Jahres nach Annahme des Aufnahmegesuchs oder der Bestätigung der Rückübernahme, wird der zuständige Dublin-Staat abweichend von Artikel 46 der AMMR-Verordnung von seinen Verpflichtungen zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person entbunden. Die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Dublin-Staat über (Abs. 4).
Da die vorliegend genannten Ausnahmen Bestimmungen der AMMR-Verordnung betreffen, die Dublin-relevant sind, stellen diese ebenfalls Dublin-relevante Bestimmungen dar und sind entsprechend von der Schweiz zu übernehmen. Die Schweiz kann somit auch in Krisensituationen die Anwendung dieser Ausnahme verlangen.
Art. 13
Ausnahmen von der Pflicht zur Wiederaufnahme eines Antragstellers im Fall von aussergewöhnlichen Massenankünften
Ist ein Dublin-Staat im Rahmen einer Krisensituation mit einem Massenzustrom von Asylsuchenden konfrontiert, kann er von der Verpflichtung zur Wiederaufnahme der betreffenden Person entbunden werden, sofern das Asylgesuch dieser Person während der Krisensituation und höchstens bis zu vier Monate vor dem Erlass des Durchführungsbeschlusses nach Artikel 4 Absatz 3 registriert wurde (Abs. 1). In diesen Fällen geht die Zuständigkeit auf den Dublin-Staat über, in dem das zweite Gesuch registriert wurde, falls kein anderer Dublin-Staat als zuständig bestimmt werden kann (Abs. 2 und 3).
Da die vorliegend genannte Ausnahme eine Bestimmung der AMMR-Verordnung betrifft, die Dublin-relevant ist, stellt diese Ausnahme ebenfalls eine Dublin-relevante Bestimmung dar und ist entsprechend von der Schweiz zu übernehmen. Die Schweiz kann somit auch in Krisensituationen die Anwendung dieser Ausnahme verlangen.
3.5.5 Rasches Verfahren (Art. 14)
Art. 14
Rasches Verfahren
Wenn objektive Umstände darauf hindeuten, dass Anträge auf internationalen Schutz von Gruppen von Antragstellern aus einem bestimmten Herkunftsland oder Land des früheren gewöhnlichen Aufenthalts oder einem Teil dieses Landes begründet sein könnten, kann die Europäische Kommission nach Anhörung des Hochrangigen EU-Solidaritätsforums eine Empfehlung für die Anwendung eines beschleunigten Verfahrens abgeben. Sie stellt die einschlägigen Informationen bereit. Verzichtet die nationale Asylbehörde auf die persönliche Anhörung und prüft das Asylgesuch vorrangig, so hat die Behörde sicherzustellen, dass die Prüfung der Begründetheit des Asylgesuchs spätestens vier Wochen nach Einreichung des Gesuchs abgeschlossen ist.
3.5.6 Schlussbestimmungen (Art. 15-19)
Art. 15
Besondere Bestimmungen und Garantien
Diese Regelung sieht vor, dass die betroffenen Asylsuchenden von den EU-Staaten in Fällen der Anwendung dieser EU-Verordnung ausreichend informiert werden (z. B. wo die Asylgesuche einzureichen sind).
Art. 16
Krisenvorsorge
Die nationalen Strategien gemäss Artikel 7 der AMMR-Verordnung haben auch Präventivmassnahmen zur Verringerung des Risikos von Krisensituationen und eine Notfallplanung sowie Massnahmen zur Bewältigung von Krisensituationen und Fällen höherer Gewalt zu enthalten.
Art. 17
Zusammenarbeit und Bewertung
Bei Vorliegen einer Krisensituation haben sich die betroffenen EU-Staaten, die Europäische Kommission und die betroffenen EU-Agenturen regelmässig auszutauschen und eng zusammenzuarbeiten. Die von einer Krisensituation betroffenen EU-Mitgliedstaaten können unter anderem auch die Unterstützung durch von der EUAA entsandte Expertinnen und Experten anfordern. Auch das UNHCR soll von den betroffenen EU-Staaten miteinbezogen werden.
Art. 18
Finanzielle Unterstützung
EU-Mitgliedstaaten, die Umsiedlungen als Solidaritätsmassnahmen durchführen, können eine finanzielle Unterstützung der EU erhalten (Abs. 1). Einem EU-Mitgliedstaat, der sich in einer Krisensituation befindet, kann auch Soforthilfe gewährt werden (Abs. 2).
Art. 19
Änderung der Verordnung (EU) 2021/1147
Artikel 31 der Verordnung (EU) 2021/1147 wird mit vorliegender Verordnung geändert. Der neue Buchstabe ba führt neu auch die Krisensituation auf.
Art. 20
Inkrafttreten
Diese EU-Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft und wird für alle EU-Staaten und Dublin-Staaten ab dem ersten Tag des 25. Monats nach dessen Inkrafttreten anwendbar. Das Anwendungsdatum wurde damit auch für diese Verordnung auf den 1. Juli 2026 festgelegt.
3.6 Grundzüge des Umsetzungserlasses
3.6.1 Die beantragte Neuregelung
Bei Ziffer 3 der vorliegenden Botschaft handelt es sich um die Übernahme von zwei Weiterentwicklungen des Dublin-Besitzstands. Um die Umsetzung dieser Dublin-Weiterentwicklungen in der Schweiz sicherzustellen, sind Anpassungen in Bundesgesetzen und später auch auf Verordnungsstufe notwendig. Der überwiegende Teil der Dublin-relevanten Bestimmungen der AMMR-Verordnung erfordert keine gesetzlichen Anpassungen, da diese direkt anwendbar und im Einklang mit dem geltenden Recht sind. Gewisse Bestimmungen der AMMR-Verordnung sind jedoch landesrechtlich zu konkretisieren. Andere Neuerungen haben nur Auswirkungen auf Verordnungsstufe. Die Krisenverordnung muss rechtlich nicht umgesetzt werden. Die Bestimmungen sind direkt anwendbar.
Der konkrete Anpassungsbedarf in den einzelnen Gesetzen wird im Folgenden zusammengefasst (vgl. Ziff. 3.7 für die Erläuterungen der einzelnen Artikel).
Im AIG (Ziff. 3.7.1) betreffen die wichtigsten Änderungen die Neuregelung des Beschwerdeverfahrens im Dublin-Verfahren (Art. 64 a und 64 a bis E-AIG), die Kürzung der Fristen für die Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft (Art. 76 a E-AIG), den Austausch von Informationen über den Gesundheitszustand vor einer Dublin-Überstellung (Art. 111 a bis E-AIG) sowie die Anpassung einer Bestimmung im Bereich des Datenschutzes (Art. 111 a E-AIG).
Im AsylG (Ziff. 3.7.2) werden die weiteren Pflichten im Dublin-Verfahren aufgeführt (Art. 8 b E-AsylG), das Ergebnis der neuen Sicherheitskontrolle von Personen, die ein Asylgesuch einreichen, eingeführt (Art. 20 E-AsylG) und eine Rechtsgrundlage für die Tonaufzeichnung von Dublin-Befragungen aufgenommen (vgl. Art. 26 Abs. 3bis und 3ter E-AsylG).
Zudem werden die Bestimmungen zum Dublin- und zum Rechtsmittelverfahren in Dublin-Fällen ergänzt (Art. 26 b , 37, 106, 107 a E-AsylG). Ferner wird eine neue Bestimmung geschaffen, wonach der Bund bei erhöhtem Migrationsdruck die EU ad hoc im Rahmen des Solidaritätsmechanismus unterstützen kann (Art. 113 E-AsylG). Auch wird die Anpassung einer Bestimmung im Bereich des Datenschutzes vorgeschlagen (Art. 102 b E-AsylG; siehe dazu Art. 111 a E-AIG).
Im AIG und im AsylG ist aus Transparenzgründen die Bestimmung zum Datenaustausch mit den zuständigen Behörden in den jeweiligen Dublin-Staaten zu präzisieren. Neu wird insbesondere festgehalten, dass der Austausch von Informationen über den Gesundheitszustand ausschliesslich zwischen Angehörigen der Gesundheitsberufe oder Personen, die einem Berufs- oder Amtsgeheimnis unterliegen, und grundsätzlich nur mit Zustimmung der betroffenen Person oder deren Vertreterin oder Vertreter stattfinden darf (vgl. Art. 102 b E-AsylG und Art. 111 a bis E-AIG). Ferner wurden in Artikel 102 g Absatz 2 Buchstabe b E-AsylG und in Artikel 102 k Absatz 1 Buchstabe g E-AsylG Anpassungen der Fussnoten vorgenommen.
Zudem werden neu die Begriffe «Schengen-Staat» und «Dublin-Staat» ins AsylG aufgenommen, und die Anhänge, in welchen die Dublin-Assoziierungsabkommen aufgeführt sind, werden neu sowohl im AIG als auch im AsylG mit dem Eurodac-Protokoll ergänzt (Anhang 1 Ziff. 2 E-AIG und Anhang 1 E-AsylG).
Schliesslich wird das VGG angepasst. Im VGG ist festzuhalten, in welchen Fällen besondere Zuständigkeiten der Einzelrichterin oder des Einzelrichters im Dublin-Beschwerdeverfahren bestehen (Art. 23 Abs. 2 Bst. abis E-VGG).
Darüber hinaus werden wo nötig die Verweise auf die neue AMMR-Verordnung nachgeführt.
3.6.2 Vereinbarkeit der freiwilligen Teilnahme am Solidaritätsmechanismus mit Artikel 121
a
der Bundesverfassung
Für die Schweiz als an den Dublin-Besitzstand assoziierter Staat ist der Solidaritätsmechanismus nicht verpflichtend. Die Schweiz hat aber die Möglichkeit, sich freiwillig ad hoc an solidarischen Massnahmen zu beteiligen (siehe dazu Ziff. 3.7.2). Artikel 121 a Absatz 2 BV schreibt dem Gesetzgeber vor, die Einwanderung autonom zu steuern, indem er die Zahl der erteilten Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt. Dies gilt für alle längerfristigen Aufenthalte, unabhängig vom Zulassungsgrund.
Die Solidaritätsmassnahmen betreffen vor allem eine Ausländerkategorie, die nicht in den persönlichen Geltungsbereich der Verfassungsbestimmung fällt. Asylsuchende halten sich nämlich nicht dauerhaft in der Schweiz auf; sie dürfen nur so lange hierbleiben, wie ihr Asylgesuch hängig ist. Diese Personenkategorie wandert also nicht im Sinne von Artikel 121 a Absatz 1 BV in die Schweiz ein. Anders verhält es sich bei anerkannten Flüchtlingen und Staatenlosen. Für die Einreise und den Aufenthalt dieser Personenkategorien müssten, wenn sie im Rahmen des Solidaritätsmechanismus gemäss der AMMR-Verordnung aufgenommen werden sollen, Höchstzahlen festgelegt werden. Es wird zu einem späteren Zeitpunkt im Gesetz zu konkretisieren sein, nach welchem Verfahren und anhand welcher Kriterien die entsprechenden Entscheide für eine Festlegung dieses Kontingents in der Schweiz gefällt werden. Die Vorlage ist daher mit Artikel 121 a BV vereinbar.
3.7 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Umsetzungserlasses
3.7.1 Ausländer- und Integrationsgesetz
Art. 64a
Wegweisung aufgrund der Dublin-Assoziierungsabkommen
Diese Bestimmung regelt die Wegweisung aufgrund der Dublin-Assoziierungsabkommen, soweit ausländische Personen betroffen sind, die kein Asylgesuch eingereicht haben und sich illegal in der Schweiz aufhalten. Diese Personen können in den Dublin-Staat, der für die Behandlung eines bereits früher eingereichten Asylgesuchs sowie die Durchführung des Wegweisungsverfahrens zuständig ist, weggewiesen werden.
Abs. 1
Der Verweis auf die neue AMMR-Verordnung wird angepasst. Ferner wird neu auf Artikel 37 Absätze 1 und 3 des AsylG verwiesen, die Maximalfristen für die Eröffnung des Dublin-Entscheids von drei bzw. fünf Arbeitstagen vorsehen. Die dort enthaltenen Fristen gelten sinngemäss für die Wegweisungsverfügung. Damit wird den Vorgaben von Artikel 42 Absatz 1 der AMMR-Verordnung, die Fristen von maximal zwei Wochen für die Überstellungsentscheidung vorsieht, Rechnung getragen. Mit diesem Verweis soll klargestellt werden, dass diese Fristen auch für Dublin-Fälle nach dem AIG (d. h. Rücküberstellungen ohne Asylgesuch) gelten.
Abs. 2
Hält sich eine ausländische Person in einem anderen als dem zuständigen Dublin-Staat auf, ohne dort ein (neuerliches) Asylgesuch einzureichen, so kann der betroffene Staat ein Wiederaufnahmeverfahren initiieren. Dies gilt auch für den Fall, dass die Person im zuständigen Staat ein Asylverfahren durchlaufen hat, die Rückführung in einen Drittstaat aber noch nicht erfolgt ist. Im Rahmen dieses Wiederaufnahmeverfahrens finden die entsprechenden Regelungen des AsylG sinngemäss Anwendung. Daher verweist das AIG für diese Fälle neu in Absatz 2 auf die relevanten Bestimmungen des AsylG (Art. 26 Abs. 2, 3, 4 und 5 sowie 26 b E-AsylG).
Abs. 3 und 4
Diese Absätze entsprechen dem geltenden Recht und erfahren keine materielle Änderung.
Bisheriger Abs. 3bis
Der geltende Absatz 3bis, der in Bezug auf unbegleitete Minderjährige auf Artikel 64 Absatz 4 AIG verweist, wird im Rahmen der Vorlage «Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) 7¹ » aufgehoben und neu in eine eigene Bestimmung (neuer Art. 66 AIG) überführt. Diese Regelung soll für sämtliche Wegweisungsverfahren und nicht nur für die Wegweisungen nach Artikel 64 AIG gelten. Daher ist sie neu in einer eigenen Bestimmung. Eine materielle Änderung erfährt Artikel 66 jedoch nicht. Diese Vorlage wird voraussichtlich gleichzeitig mit der vorliegenden Vorlage durch das Parlament behandelt. Es ist daher eine entsprechende Koordination notwendig (siehe dazu Ziff. 3.8.3).
7¹ Verordnung (EU) 2024/1717 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen; ABl. L, 2024/1717, 20.6.2024.
Art. 64abis
Beschwerdeverfahren im Rahmen der Dublin
-Assoziierungsabkommen
Abs. 1
Dieser Absatz entspricht dem ersten Satz des geltenden Artikels 64 a Absatz 2 AIG. Da das Beschwerdeverfahren in Dublin-Fällen neu in einer eigenen Bestimmung geregelt werden soll, wird präzisiert, dass es sich um Beschwerden gegen Wegweisungsentscheide nach Artikel 64 a E-AIG handelt. Wie bis anhin ist die Beschwerde innerhalb von fünf Arbeitstagen nach der Eröffnung der Wegweisungsverfügung einzureichen. Diese Frist beträgt gemäss Artikel 43 Absatz 2 der AMMR-Verordnung eine Woche, wobei gemäss Artikel 75 Buchstabe d der AMMR-Verordnung Samstage, Sonntage und Feiertage bei der Fristenberechnung einbezogen werden.
Abs. 2
Dieser Absatz verweist auf die Beschränkung der Beschwerdegründe nach Artikel 43 Absatz 1 der AMMR-Verordnung. Im AsylG wurde dieser Verweis ebenfalls aufgenommen (siehe hierzu neuer Art. 107 a Abs. 4 E-AsylG).
Abs. 3
Dieser Absatz regelt, dass die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat. Diese kann innerhalb der Beschwerdefrist nach Absatz 1 beantragt werden. Dies entspricht der geltenden Regelung in Artikel 64 a Absatz 2 zweiter und dritter Satz AIG.
Das BVGer soll neu innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Eingang eines Antrags um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung darüber entscheiden (heute fünf Tage, siehe Art. 64 a Abs. 2 AIG). Die AMMR-Verordnung sieht eine Maximalfrist von einem Monat ab dem Zeitpunkt, an dem das Gericht den Antrag um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erhalten hat, vor (Art. 43 Abs. 3 Unterabs. 1). Zur Beschleunigung des Dublin-Verfahrens soll jedoch die Frist von fünf Arbeitstagen vorgesehen werden.
Wird die aufschiebende Wirkung nicht gewährt, so kann die Wegweisung vollzogen werden (Art. 43 Abs. 3 Unterabs. 2 der AMMR-Verordnung), wie dies bereits im geltenden Recht vorgesehen ist.
Abs. 4
Die AMMR-Verordnung sieht vor, dass die Beschwerdeinstanz über eine Beschwerde gegen die Überstellungsentscheidung innerhalb von einem Monat entscheidet, wenn diese die aufschiebende Wirkung gewährt hat (Art. 43 Abs. 3 Unterabs. 4). Die heute geltende Behandlungsfrist des BVGer im AsylG bei Beschwerden im Rahmen von Dublin-Verfahren beträgt fünf Arbeitstage (vgl. Art. 109 Abs. 3 AsylG).
Für Beschwerden gegen eine Überstellungsentscheidung ist im Sinne einer Ordnungsfrist vorgesehen, dass das BVGer neu innerhalb von 20 Tagen entscheidet.
Abs. 5
Neu soll die Regelung im AsylG über die einzelrichterliche Zuständigkeit bei offensichtlich begründeten oder unbegründeten Beschwerden (Art. 111 Bst. e AsylG) im AIG übernommen werden. Offensichtlich (un-)begründete Beschwerden gegen die Überstellungsentscheidung sollen durch eine Einzelrichterin oder einen Einzelrichter mit Zustimmung einer zweiten Richterin oder eines zweiten Richters entschieden werden. Die Behandlungsfrist soll in diesen Fällen fünf Arbeitstage betragen (ab Rechtshängigkeit der Beschwerde bzw. ab Entscheid über die aufschiebende Wirkung). Zudem wird aufgrund der kurzen Ordnungsfrist vorgeschlagen, dass das BVGer auf einen Schriftenwechsel verzichten kann und den materiellen Entscheid nur summarisch begründet.
Der Spruchkörper des BVGer setzt sich in der Regel aus drei Richterinnen und Richtern zusammen (Art. 21 Abs. 1 VGG). Das VGG enthält Regelungen, in welchen Fällen eine einzelrichterliche Zuständigkeit möglich ist (Art. 23 VGG). Artikel 23 des VGG ist entsprechend anzupassen (siehe dazu Kommentar zu Art. 23 Abs. 4 E-VGG). Ohne eine einzelrichterliche Zuständigkeit wäre es dem BVGer nicht möglich, innerhalb der Behandlungsfrist von fünf Tagen einen materiellen Entscheid zu fällen.
Abs. 6
Die AMMR-Verordnung regelt, dass der Beschwerdeführer sprachliche Hilfe in Anspruch nehmen kann, wenn dies notwendig ist (Art. 43 Abs. 4). Im Rahmen des Dublin-Verfahrens im Asylbereich wird eine betroffene Person im Beschwerdeverfahren durch eine Rechtsvertretung unterstützt. Diese hat unter anderem zur Aufgabe, die Beschwerdeschrift zu verfassen (vgl. Art. 102 h Abs. 3 und 102 k Abs. 1 Bst. d AsylG). Damit ist im AsylG gewährleistet, dass die betroffene Person bei der Einreichung einer Beschwerde die notwendige sprachliche Unterstützung erhält. Im AIG fehlt aber eine solche Regelung. Da sich diese Personen im Kanton aufhalten, ist dieser für die Zurverfügungstellung der Dolmetschenden im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens verantwortlich. Entsprechend wird festgehalten, dass der Kanton nötigenfalls eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher beizuziehen hat.
Die Möglichkeit für eine unentgeltliche Rechtspflege ist bereits durch die BV und Artikel 65 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 7² (VwVG) unter bestimmten Voraussetzungen garantiert und entspricht der Regelung in der AMMR-Verordnung (Art. 43 Abs. 5).
7² SR 172.021
Art. 76a Abs. 1 Bst. a und c, Abs. 2 und 3
Im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der Dublin III-Verordnung wurde eine Bestimmung zur Dublin-Haft ins AIG aufgenommen (Art. 76 a AIG). Diese ist an die neuen Vorgaben der AMMR-Verordnung anzupassen (siehe dazu Ziff. 3.4.3).
Abs. 1 Bst. a und c
Dieser Absatz regelt die Voraussetzung für die Inhaftnahme im Rahmen des Dublin-Verfahrens (vgl. Art. 44 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 18 der AMMR-Verordnung). Neu führt die AMMR-Verordnung neben der Untertauchensgefahr als zusätzlichen Haftgrund die Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit ein.
Entsprechend wird Buchstabe a von Absatz 1 um den Haftgrund der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergänzt. Es handelt sich hier um eine gängige Wendung im AIG (vgl. beispielsweise Art. 74 AIG).
Die Haftgründe müssen auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung festgestellt werden und dürfen nur insoweit Anwendung finden, als die Haft verhältnismässig ist und andere, weniger zwingende Alternativmassnahmen nicht wirksam angewandt werden können. Diese Voraussetzungen werden entsprechend in Buchstabe c von Absatz 1 aufgeführt.
Der Begriff «konkret» in Bezug auf die Anzeichen in Buchstabe a des Absatzes 1 wird gestrichen. Die Situationen, die eine Vermutung für das Bestehen des Haftgrunds der Untertauchensgefahr respektive des Haftgrunds der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulassen, werden in Absatz 2 Buchstaben a und b bereits konkret aufgeführt.
Abs. 2
Neu soll auch hier der Begriff «konkret» in Bezug auf das Vorliegen der Anzeichen gestrichen werden (siehe Kommentar zu Absatz 1).
Absatz 2 regelt, in welchen Situationen eine Vermutung für das Bestehen des Haftgrunds der Untertauchensgefahr (Bst. a Ziff. 1-7) respektive des Haftgrunds der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Bst. b Ziff. 1-3) besteht. Die in Artikel 76 a Absatz 2 Buchstaben a-f und i des geltenden Rechts umschriebenen Tatbestände beziehen sich auf eine mögliche Fluchtgefahr, während die in den Buchstaben g, h und j umschriebenen Tatbestände sich auf eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung beziehen. Die entsprechenden Buchstaben wurden ohne materielle Änderungen in die Ziffern unter den Buchstaben a und b eingefügt.
Abs. 3
Mit der AMMR-Verordnung werden die Behandlungsfristen für das Dublin-Verfahren, wenn sich eine Person in Dublin-Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft befindet, verkürzt (Art. 45 der AMMR-Verordnung, siehe Ziff. 3.4.3). Die Fristen in Absatz 3 sind entsprechend anzupassen und fallen ab Haftanordnung wie folgt aus:
-
Die Dublin-Vorbereitungshaft dauert neu maximal fünf Wochen (Bst. a).
-
Die Haftdauer während des Differenzbereinigungsverfahrens wird nicht angepasst, da diese Regelung trotz Revision der Dublin III-Verordnung nicht in die AMMR-Verordnung eingeflossen ist (Bst. b), das Verfahren jedoch weiterhin besteht, solange die Dublin-Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 dieses Verfahren vorsieht.
-
Die Dublin-Ausschaffungshaft wird von sechs auf fünf Wochen gekürzt (Bst. c).
Gemäss Artikel 44 Absatz 3 der AMMR-Verordnung darf der Gewahrsam nicht länger dauern als nötig, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung nach dieser Verordnung vollzogen ist. Das heisst, wenn die Vorbereitung des Dublin-Entscheids gemäss Absatz 1 Buchstabe a schneller durchgeführt wird, reduziert sich die Haftdauer entsprechend.
Bst. a
Während der Vorbereitung des Entscheids über die Zuständigkeit für das Asylgesuch darf die Haftdauer neu maximal fünf Wochen dauern. Sie setzt sich wie folgt zusammen:
-
Maximal zwei Wochen für die Stellung des Übernahmegesuchs oder die Übermittlung der Wiederaufnahmemitteilung (vgl. Art. 45 Abs. 1 der AMMR-Verordnung), sofern die Person bei der Einreichung des Asylgesuchs in Dublin-Haft genommen wurde, bzw. maximal eine Woche, wenn die Person nach der Einreichung des Asylgesuchs in Dublin-Haft genommen wurde, oder zwei Wochen ab Erhalt des entsprechenden Eurodac-Treffers, wenn eine Person kein neues Asylgesuch eingereicht hat und sich illegal in einem Dublin-Staat aufhält, aber ein anderer Dublin-Staat gemäss der AMMR-Verordnung für die Behandlung eines früheren Asylgesuchs zuständig ist (vgl. Art. 45 Abs. 1 der AMMR-Verordnung) und die Person mit dem Eurodac-Treffer in Haft genommen wird. Wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt in Haft genommen wird, läuft die Frist von zwei Wochen ab Inhaftnahme.
-
Eine Woche, die Artikel 45 Absatz 2 der AMMR-Verordnung für die Antwort des angefragten Dublin-Staats im Fall eines Übernahmegesuchs vorsieht. Eine Abweichung von der zweiwöchigen Frist für die Bestätigung der Wiederaufnahme nach Artikel 41 Absatz 3 wird in Artikel 45 Absatz 2 nicht explizit aufgeführt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Verkürzung der Frist auch für die Bestätigung der Wiederaufnahme gelten muss.
-
Zwei Wochen, während der die Schweiz die erhaltene Antwort prüfen und die weiteren Verfahrensschritte auslösen muss (Redaktion und Eröffnung des Nichteintretensentscheids mit Wegweisungsverfügung; Anordnung Ausschaffungshaft). Diese Frist entspricht Artikel 42 Absatz 1 der AMMR-Verordnung. Diese Bestimmung sieht vor, dass der anfragende Dublin-Staat zwei Wochen nach Annahme des Gesuchs oder nach der Bestätigung einer Überstellungsentscheidung einen Nichteintretens- und Wegweisungsentscheid zu fällen hat. Artikel 45 der AMMR-Verordnung sieht für die Fristberechnung keine abweichenden Regelungen vor. Eine solche Frist ist insbesondere für die Anordnung einer anschliessenden Dublin-Ausschaffungshaft unabdingbar. Die AMMR-Verordnung sieht vor, dass eine Ausschaffungshaft ab der Zustimmung durch den zuständigen Dublin-Staat zum Übernahmegesuch angeordnet werden kann (Art. 45 Abs. 3 der AMMR-Verordnung). Es ist aber in der Praxis nur schwer möglich, im Zeitpunkt der Zustimmung des Gesuchs bereits die Dublin-Verfügung zu erlassen und gleichzeitig auch noch der betroffenen Person zu eröffnen. Ohne Eröffnung des Nichteintretens- und Wegweisungsentscheids ist aber eine Haftanordnung rechtlich nicht möglich.
Ohne die vorgeschlagene Regelung würde somit in der Praxis die Gefahr bestehen, dass eine Person (bei der die entsprechende Untertauchens- oder Sicherheitsgefahr weiterhin besteht) aus der Vorbereitungshaft entlassen werden müsste, bevor eine Ausschaffungshaft gestützt auf einen Wegweisungsentscheid angeordnet werden kann. Eine solche Konsequenz wäre auch nicht vereinbar mit dem Sinn und Zweck («effet utile») von Artikel 45 der AMMR-Verordnung, der darin besteht, eine Inhaftnahme bzw. einen Verbleib in Haft zu ermöglichen, wenn eine entsprechende Gefahr bestehen sollte (vgl. Kommentar zu Art. 45). Das SEM ist jedoch an das Beschleunigungsgebot gebunden. Dies bedeutet, dass es den Dublin-Entscheid so rasch als möglich eröffnen muss, damit die Haft angeordnet werden kann.
Bst. b
Für das Differenzbereinigungsverfahren (sog. Remonstrationsverfahren) mit einem anderen Dublin-Staat bezüglich der Zuständigkeit soll ebenfalls die Möglichkeit einer Verlängerung der Vorbereitungshaft vorgesehen werden. In der Dublin III-Verordnung wie auch in der AMMR-Verordnung fehlt eine solche Regelung, obwohl das Remonstrationsverfahren ein wichtiger Bestandteil des Dublin-Verfahrens ist. Damit bleibt es weiterhin nur in der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 geregelt. Demnach dauert dieses Verfahren höchstens fünf Wochen. Entsprechend soll die maximale Haftdauer während dieses Verfahrens ebenfalls fünf Wochen betragen. Diese Regelung wird somit grundsätzlich beibehalten.
Neu soll Buchstabe b jedoch nicht mehr auf die Dublin-Durchführungsverordnung verweisen, sondern explizit das Verfahren zur neuerlichen Prüfung des Übernahmeersuchens erwähnen (Remonstrationsverfahren bzw. Differenzbereinigungsverfahren).
Sollte die Europäische Kommission im Rahmen eines Durchführungsrechtsakts die bisherige Dublin-Durchführungsverordnung zukünftig anpassen, müsste der Verweis auf Gesetzesstufe nicht mehr angepasst werden. Sollte das Remonstrationsverfahren zukünftig komplett gestrichen werden, fände Buchstabe b keine Anwendung und die Dublin-Vorbereitungshaft würde entsprechend Buchstabe a kürzer ausfallen.
Bst. c
Gemäss Artikel 45 Absatz 3 der AMMR-Verordnung soll die Rücküberstellung so schnell wie möglich erfolgen. Diese Bestimmung regelt die maximale Dauer der Ausschaffungshaft im Dublin-Verfahren ab dem Zeitpunkt, an dem das Übernahmegesuch stattgegeben oder die Wiederaufnahmemitteilung bestätigt wurde. Sie beträgt neu höchstens fünf Wochen (bis anhin sechs Wochen) (Art. 45 Abs. 3 der AMMR-Verordnung). Dabei wird die Dauer eines allfälligen Beschwerdeverfahrens, dem aufschiebende Wirkung zukommt, nicht an diese Frist angerechnet. Die AMMR-Verordnung lässt die Möglichkeit offen, eine Person während eines laufenden Beschwerdeverfahrens mit aufschiebender Wirkung in Haft zu belassen. Es besteht auch die Möglichkeit, die Haft zu unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt neu anzuordnen; dabei darf jedoch die Gesamtdauer von fünf Wochen nicht überschritten werden.
Im Falle eines Rechtsbehelfs, dem aufschiebende Wirkung zukommt, berechnet sich die maximale Haftdauer für die Ausschaffungshaft von fünf Wochen ab dem Tag, an dem der Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung mehr hat.
Wie bereits in der Botschaft zur Übernahme und Umsetzung der Dublin III-Verordnung 7³ festgehalten, würde eine wörtliche Auslegung dieser Bestimmung, die neu in Artikel 45 Absatz 3 der AMMR-Verordnung verankert ist, in dem Sinne, dass die Frist stets ab dem dort genannten Zeitpunkt läuft, zu stossenden Resultaten führen. Dies würde nämlich bedeuten, dass eine Inhaftierung nicht mehr möglich wäre, wenn sich die Gefahr, die zu einer Ausschaffungshaft berechtigen würde, beispielsweise erst später als fünf Wochen nach dem Zeitpunkt ergibt, an dem der betreffende Dublin-Staat seine Zuständigkeit anerkennt oder dem Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung mehr zukommt. Die hier bestehende Lücke soll daher geschlossen werden, indem für den Beginn der Berechnung der maximalen Haftdauer der Zeitpunkt der Haftanordnung allgemein als massgebend im Einleitungssatz zu Absatz 3 festgelegt wird. Die Haft soll daher auch später als fünf Wochen nach den in Artikel 45 Absatz 3 der AMMR-Verordnung vorgesehenen Verfahrensschritten angeordnet werden können. So besteht die Möglichkeit einer Haftanordnung, wenn beispielsweise die betroffene Person längere Zeit untergetaucht ist. Die Haftdauer kann in einem solchen Fall entsprechend der bereits getroffenen Vorkehrungen zur Überstellung angemessen verkürzt werden. Dass die Frist ab Haftanordnung und nicht ab Zustimmung zu laufen beginnt, ist auch deshalb überzeugend, weil wie bereits oben ausgeführt, die Ausschaffungshaft nicht bereits mit der Zustimmung der Übernahme angeordnet werden kann. Um aber die mögliche Gesamtdauer für eine Ausschaffungshaft zu haben, müsste in diesem Fall die betroffene Person ohne Vorliegen eines Wegweisungsentscheids in Ausschaffungshaft genommen werden. Ein solch stossendes Ergebnis kann ebenfalls nicht dem Sinn und Zweck von Artikel 45 der AMMR-Verordnung entsprechen (vgl. Kommentar zu Art. 45).
7³ Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) Nr. 603/2013 und (EU) Nr. 604/2013 (Weiterentwicklungen des Dublin/Eurodac-Besitzstands); BBl 2014 2675 .
Art. 81 Abs. 4 Bst. b
Artikel 81 AIG regelt die Haftbedingungen und führt in Absatz 4 Buchstabe b auf, nach welchen Vorgaben sich diese bei Dublin-Überstellungen zu richten haben. Der heutige Verweis auf die Dublin III-Verordnung wird angepasst. Neu wird auf Artikel 44 Absatz 4 der AMMR-Verordnung verwiesen.
Art. 109a Abs. 2 Einleitungssatz und Bst. b
Artikel 109 a AIG Absatz 2 Buchstabe b regelt die Abfrage der Daten des zentralen Visa-Informationssystems durch das SEM zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats. Der heutige Verweis auf die Dublin III-Verordnung wird angepasst. Neu wird auf die AMMR-Verordnung verweisen.
Gliederungstitel 14c. Kapitel
Datenschutz im Rahmen der Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen
Im Rahmen des Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/ 818 7⁴ zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands) 7⁵ wurde der Gliederungstitel «14 b. Kapitel» aus systematischen Gründen in «14 c. Kapitel» geändert. Dieser enthält alle Bestimmungen, die den Datenschutz im Rahmen des SAA betreffen.
Mit der vorliegenden Vorlage wird der Titel erneut angepasst. Neu wird neben dem SAA auch das DAA im Titel aufgeführt, da gewisse Datenschutzregelungen im AIG beide Abkommen betreffen.
7⁴ Verordnung (EU) 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) und zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1726, (EU) 2018/1862 und (EU) 2019/816; ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 85.
7⁵ BBl 2021 674
Art. 111a Abs. 1 und 3
Artikel 111 a AIG regelte bis anhin die Datenbekanntgabe im Rahmen des SAA zwischen den Schengen-Staaten (Abs. 1) und der für die Überwachung der Schengen-Aussengrenzen zuständigen Europäischen Agentur (Abs. 2).
Abs. 1
Neu wird aus Transparenzgründen die Bekanntgabe von Personendaten an die zuständigen Behörden nicht nur von Schengen-Staaten, sondern auch von Dublin-Staaten der Bekanntgabe von Personendaten zwischen Bundesorganen gleichgestellt.
Abs. 3
Artikel 48 der AMMR-Verordnung regelt den Austausch von relevanten Informationen vor der Durchführung der Überstellung. Absatz 2 von Artikel 48 der AMMR-Verordnung enthält eine nicht abschliessende Liste der Informationen, die dem übernehmenden Dublin-Staat vor der Überstellung mittels des elektronischen Datenübermittlungskanals «DubliNet» (vgl. Art. 18 der Verordnung Nr. 1560/2003) zu übermitteln sind. Absatz 3 regelt neu den Kommunikationsweg für den Austausch dieser Informationen. Aus Transparenzgründen soll im AIG neu präzisiert werden, dass die Kommunikation allgemein (und damit auch jene betreffend Überstellung) zwischen den zuständigen Behörden der Dublin-Staaten über das elektronische Kommunikationsnetz der EU erfolgt. Die Terminologie «DubliNet» soll im Gesetz nicht explizit erwähnt werden, da es allenfalls in der Zukunft eine Namensänderung seitens EU geben könnte. Dieselbe Änderung wird auch in das AsylG aufgenommen (siehe Art. 102 b E-AsylG).
Art. 111abis
Austausch von Informationen über den Gesundheitszustand einer Person vor ihrer Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat
Diese Regelung nimmt Bezug auf Artikel 50 der AMMR-Verordnung, der die Datenbekanntgabe zum Zweck der medizinischen Versorgung der zu überstellenden Person regelt. Darunter fallen insbesondere Informationen über besondere Bedürfnisse der betroffenen Person. Neu soll aus Transparenzgründen vorgesehen werden, dass der Austausch von Informationen über den Gesundheitszustand nur zwischen Angehörigen der Gesundheitsberufe oder Personen, die einem Berufs- oder Amtsgeheimnis unterliegen, und nur mit Zustimmung der betroffenen Person oder deren Vertretung stattzufinden hat (Abs. 1).
Dieser Informationsaustausch erfolgt über das elektronische Kommunikationsnetz der EU «DubliNet» nach Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003, über das bereits heute die Kommunikation solcher Daten erfolgt ist. Die Terminologie «DubliNet» soll auch hier im Gesetz nicht explizit erwähnt werden, da es allenfalls in der Zukunft eine Namensänderung seitens der EU geben könnte.
Auf die Zustimmung der betroffenen Person oder ihrer Vertretung kann verzichtet werden, wenn die Übermittlung von Informationen über den Gesundheitszustand zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder eines Dritten erforderlich und die Person ausserstande ist, ihre Zustimmung zu geben (Abs. 2). Dort wo eine Zustimmung erforderlich ist, soll eine fehlende Zustimmung einer Dublin-Überstellung jedoch nicht entgegenstehen (Abs. 3).
Der Bundesrat regelt auf Verordnungsstufe die Einzelheiten des Informationsaustauschs, die Aufbewahrungsdauer der entsprechenden Daten und den Zeitpunkt ihrer Löschung (Abs. 4).
Anhang
Anhang 1 Ziffer 2 erhält eine neue Fassung. Neu wird das Eurodac-Protokoll in die Liste der Abkommen aufgenommen (Bst. e).
3.7.2 Asylgesetz
Art. 8b
Weitere Pflichten im Dublin-Verfahren
Der neue Artikel 8 b AsylG verweist auf die Pflichten von Asylsuchenden im Rahmen eines Dublin-Verfahrens gemäss Artikel 17 der AMMR-Verordnung. Diese umfassen unter anderem die Pflicht der Asylgesuchstellung beim Staat der ersten Einreise, die Mitwirkungspflicht bei den Abklärungen der Dublin-Zuständigkeit und die Pflicht, bei der Dublin-Überstellung zu kooperieren (vgl. Erläuterungen zu Art. 17, Ziff. 3.4.3).
Artikel 18 Absatz 1 der AMMR-Verordnung regelt unter anderem die Folgen hinsichtlich der Unterstützungsleistungen (sog. Aufnahmebedingungen) für die betroffene Person bei einer Verletzung der Pflicht nach Artikel 17 Absatz 4. Demnach hat sie nach Eröffnung des Wegweisungsentscheids in keinem anderen Dublin-Staat als demjenigen, in dem sie sich gemäss Artikel 17 Absatz 4 der AMMR-Verordnung aufzuhalten hat, Anspruch auf Aufnahmeleistungen (darunter finanzielle Unterstützungsleistungen) nach den Artikeln 17-20 der Aufnahmerichtlinie. Schon heute erhalten Personen nach Eintritt der Rechtskraft des Nichteintretensentscheids ausschliesslich Nothilfe (Art. 82 Abs. 1 AsylG). Dies entspricht auch den Vorgaben der AMMR-Verordnung (Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2), wonach den betroffenen Personen ein Lebensstandard gewährleistet werden muss, der im Einklang mit dem Unionsrecht, einschliesslich der Charta, und internationalen Verpflichtungen steht. Entsprechend ist eine weitergehende Gesetzesänderung nicht notwendig.
Artikel 19 der AMMR-Verordnung regelt, dass die zuständigen Behörden die betroffene Person insbesondere über die Pflichten nach Artikel 17 und die Folgen bei deren Verletzung nach Artikel 18 der AMMR-Verordnung zu informieren haben.
Wie bis anhin ist die betroffene Person über ihre Mitwirkungspflichten im Rahmen des Asylverfahrens zu informieren; fortan aber auch über die in der AMMR-Verordnung vorgesehenen neuen Pflichten nach Artikel 17 der AMMR-Verordnung sowie die Folgen einer Pflichtverletzung nach Artikel 18 der AMMR-Verordnung. Die Pflichten sind von den betroffenen Personen neben den Mitwirkungspflichten, die heute in Artikel 8 AsylG aufgeführt sind, zu beachten.
Art. 20
Ergebnis der Sicherheitskontrolle im Dublin-Verfahren
Artikel 16 Absatz 4 der AMMR-Verordnung regelt, dass vor dem Dublin-Verfahren eine Sicherheitskontrolle der asylsuchenden Person stattzufinden hat, sofern nicht bereits ein Überprüfungsverfahren im Sinne von Artikel 15 der Überprüfungsverordnung durchgeführt wurde oder wenn vernünftige Gründe für eine Prüfung bestehen. Ergibt die Sicherheitskontrolle, dass Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person eine Bedrohung für die innere Sicherheit darstellt, ist der Dublin-Staat, der die Sicherheitskontrolle durchgeführt hat, für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig. Eine Bedrohung für die innere Sicherheit wird insbesondere dann angenommen, wenn die betroffene Person in Verdacht steht, terroristische Tätigkeiten vorzunehmen bzw. solche bereits begangen hat. In diesen Fällen wird kein Dublin-Verfahren zur Aufnahme nach Artikel 39 der AMMR-Verordnung durchgeführt. Es betrifft nur die Dublin-Fälle, in denen die Person in der Schweiz ein Asylgesuch eingereicht hat. Da die Schweiz bei entsprechendem Ergebnis der Sicherheitsprüfung zuständig wird, wird diese Zuständigkeitsbegründung in die neu zu schaffenden Regelungen im AsylG betreffend die Sicherheitsprüfung (Art. 21 a und 26 E-AsylG) aufgenommen. Da diese Bestimmungen im Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung vorgesehen sind, der Bestandteil des EU-Migrations- und Asylpakts ist (Ziff. 6), ist die vorliegende Vorlage mit dem genannten Bundesbeschluss zu koordinieren (vgl. dazu Ziff. 3.8.1).
Art. 22 Abs. 1ter Einleitungssatz
Der heutige Artikel 22 AsylG regelt das Asylverfahren am Flughafen. Absatz 1ter regelt, in welchen Fällen die Einreise für die Durchführung des Dublin-Verfahrens durch das SEM bewilligt wird. Der heutige Absatz verweist auf die Dublin III-Verordnung. Neu wird auf die AMMR-Verordnung verwiesen.
Art. 26 Abs. 3bis-3quater und 4
Abs. 3bis
Im Rahmen der Vorbereitungsphase im Asylverfahren sollen möglichst alle zur Durchführung eines Asylverfahrens notwendigen Vorabklärungen unmittelbar nach Eintritt in ein BAZ vorgenommen werden (Art. 26 AsylG). In der Vorbereitungsphase wird auch die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens im Rahmen eines Dublin-Gesprächs geklärt.
Aufgrund des neuen Artikels 22 Absatz 7 der AMMR-Verordnung muss neu neben einer schriftlichen Zusammenfassung (Bericht oder Standardformular) auch eine Tonaufnahme des Verfahrens auf Festlegung der Zuständigkeit im Rahmen der Erstbefragung erfolgen. Die betroffene Person ist vorgängig darüber zu informieren. Bei Zweifeln über die Richtigkeit der während der Befragung gemachten Angaben ist die Tonaufzeichnung massgebend. Die betroffene Person bzw. deren Rechtsvertretung erhält vor Ergehen des Dublin-Entscheids Zugang zu einer schriftlichen Zusammenfassung und kann sich entweder mündlich oder schriftlich zu fehlerhaften Übersetzungen, Missverständnissen oder anderen sachlichen Fehlern äussern.
Diese Grundsätze sollen im neuen Absatz 3bis geregelt werden. Das Gespräch zur Festlegung der Zuständigkeit im Rahmen der Erstbefragung ist schriftlich zusammenzufassen und auf einem Tonträger aufzunehmen. Bevor das Gespräch aufgezeichnet wird, ist die betroffene Person über die Tonaufnahme zu informieren.
Im Rahmen eines Akteneinsichtsgesuchs können die Betroffenen oder deren Rechtsvertretung verlangen, die entsprechende Tonaufnahme abzuhören, da diese als Beweismittel dienen kann (Art. 6 AsylG i. V. m. Art. 26 Abs. 1 Bst. b VwVG). Dabei soll die Möglichkeit bestehen, die Tonaufnahme vollumfänglich und im Original anzuhören und sich uneingeschränkt dazu zu äussern. Eine Aushändigung der Aufnahmen ist nicht möglich. Das Abhören der Aufnahmen ist nur in den Lokalitäten der zuständigen Behörde möglich, und es sollen keine Kopien der Aufnahmen ausgehändigt werden. Im Rahmen der Akteneinsicht vor Ort muss unter anderem sichergestellt werden, dass keine unerlaubten Ton-Such-Abfragen im Internet durchgeführt werden, um die Sprechenden zu identifizieren. Dem BVGer werden die Aufnahmen zur Verfügung gestellt, da bei Zweifeln über die während der Befragung gemachten Angaben die Tonaufzeichnung massgebend ist, und nicht die schriftliche Zusammenfassung. Diese sowie weitere Modalitäten wird der Bundesrat auf Verordnungsstufe regeln (siehe nachfolgend Abs. 3ter und 3quater).
Abs. 3ter
Der Bundesrat wird ermächtigt festzulegen, in welchen Fällen auf eine Tonaufzeichnung ausnahmsweise verzichtet werden kann (z. B. bei Vorliegen einer technischen Störung oder Fehlen der entsprechenden Infrastruktur oder bei Verzicht auf die Tonaufzeichnung durch die betroffene Person). Weigert sich die Person, sich aufzeichnen zu lassen, wird auf eine Aufzeichnung verzichtet und das Gespräch wird wie bis anhin schriftlich zusammengefasst.
Abs. 3quater
Der Bundesrat soll auf Verordnungsstufe namentlich Folgendes regeln:
-
Zweck und Art der Aufnahme (Bst. a): Es ist insbesondere zu regeln, dass die Tonaufnahme als Beweismittel vor Gericht oder zur Qualitätskontrolle dient. Ferner soll geregelt werden, dass die Aufnahme digital aufgezeichnet wird.
-
Ort und Modalitäten der Speicherung und der Archivierung der Aufnahme (Bst. b): Es muss sichergestellt werden, dass eine Speicherung und eine Archivierung gewählt werden, die es verunmöglichen, dass Ton- und Bildaufnahmen aus Versehen an Dritte versendet werden. Eine Speicherung ist aus technischen Gründen zurzeit im heutigen ZEMIS-Dossier (eDossier) nicht möglich. Dieses soll jedoch im Rahmen eines bereits laufenden Projekts durch das eGov-Dossier ersetzt werden, in dem künftig die Speicherung von Ton- und Bildaufnahmen möglich sein soll. Die Speicherung der entsprechenden Aufnahmen könnte somit im Rahmen des künftigen eGov-Dossiers erfolgen. Eine Anpassung des Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 7⁶ über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich (BGIAA) wäre in diesem Fall nach gegenwärtigem Wissensstand nicht notwendig. Derzeit ist das Projekt jedoch in einer Neuplanung, und das eGov-Dossier wird voraussichtlich nicht innerhalb der vorgegebenen Frist von zwei Jahren eingeführt werden können. Aus diesem Grund soll der Bundesrat auf Verordnungsstufe eine mögliche Übergangslösung regeln.
Bereits heute regelt die ZEMIS-Verordnung vom 12. April 2006 7⁷ , dass Daten des Asylbereichs, die im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) gespeichert sind, in jedem Fall archiviert werden müssen (Art. 18 Abs. 2 der ZEMIS-Verordnung). In den übrigen Fällen wird die Frage der Archivierung in einer Vereinbarung zwischen dem SEM und dem Schweizerischen Bundesarchiv geregelt, wobei das Letztere zu entscheiden hat, ob die Aufnahmen archivwürdig sind oder nicht. Geprüft wird des Weiteren eine mögliche Löschung der Tonaufnahmen nach einer gewissen Zeitspanne.
-
Modalitäten des Akteneinsichtsrechts und Zugriffe auf die Aufnahme (Bst. c und d): Neben den Modalitäten des Akteneinsichtsrechts müssen auch die konkreten Zugriffe auf die Aufnahmen geregelt und entsprechend eingeschränkt werden. Sollten die Tonaufzeichnungen im ZEMIS gespeichert werden, ist der Zugriff in der ZEMIS-Verordnung zu regeln.
-
Vorgehen bei einer technischen Störung oder einer fehlerhaften Aufnahme (Bst. e): Es muss geregelt werden, wie vorzugehen ist, wenn während der Aufnahme festgestellt wird, dass eine technische Störung vorliegt und das Gespräch nicht oder fehlerhaft aufgezeichnet wird bzw. wenn nach dem Gespräch festgestellt wird, dass die Aufnahme fehlerhaft ist.
Abs. 4
Neu wird im AsylG für den «Staat, der durch ein Dublin-Assoziierungsabkommen gebunden ist» der Begriff «Dublin-Staat» verwendet. In Absatz 4 wird dieser Begriff eingeführt. Eine materielle Änderung erfolgt nicht.
7⁶ SR 142.51
7⁷ SR 142.513
Art. 26b Abs. 2
Die Bestimmung setzt Artikel 38 Absatz 2 der AMMR-Verordnung um, wonach im Rahmen eines Aufnahmeverfahrens ein allfälliges Untertauchen einer asylsuchenden Person keine Auswirkungen auf das Dublin-Verfahren hat. Solange das Aufnahmeverfahren nicht abgeschlossen ist, erfolgt keine formlose Abschreibung des Asylgesuchs.
Art. 31b Abs. 1 Einleitungssatz
Auch hier wird neu der Begriff «Dublin-Staat» verwendet (siehe Erläuterungen zu Art. 26 Abs. 4 E-AsylG).
Art. 35a
Artikel 35 a AsylG regelt die Wiederaufnahme des Asylverfahrens im Rahmen des Dublin-Verfahrens. Bis anhin verwies der Artikel auf die Dublin III-Verordnung. Neu wird auf die AMMR-Verordnung verwiesen.
Art. 37 Abs. 1
In Absatz 1 wird lediglich der Verweis auf die AMMR-Verordnung angepasst. Der die Zuständigkeit bestimmende Dublin-Staat hat nach der AMMR-Verordnung spätestens zwei Wochen nach Annahme des Überstellungsgesuchs oder nach Bestätigung der Wiederaufnahmemitteilung eine Überstellungsentscheidung zu treffen (Art. 42 Abs. 1 der AMMR-Verordnung). Bei dieser Frist handelt es sich um eine Maximalfrist. Die geltende Frist von drei Arbeitstagen kann deshalb beibehalten werden. Diese hat sich auch in der Praxis bewährt. Sie dient der Verfahrensbeschleunigung und der schnellen Feststellung des zuständigen Dublin-Staats.
Art. 102b
Bekanntgabe von Personendaten an einen Dublin-Staat
Sachüberschrift
Der Begriff «Dublin-Staat», welcher bereits eingeführt wurde, ersetzt die Formulierung «Staat, der durch eines der Dublin-Assoziierungsabkommen gebunden ist»..
Abs. 1
Es handelt sich hier um eine redaktionelle Anpassung. Da neu zwei zusätzliche Absätze (Abs. 2 und 3) eingefügt werden, soll die bisherige Regelung von Artikel 102 b materiell unverändert in Absatz 1 eingefügt werden. Zudem wird neu der Begriff «Dublin-Staat» verwendet.
Abs. 2
Artikel 48 der AMMR-Verordnung regelt den Austausch von relevanten Informationen vor der Durchführung der Überstellung mittels des elektronischen Datenübermittlungskanals «DubliNet». Aus Transparenzgründen wird präzisiert, dass die Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden der Dublin-Staaten über das elektronische Kommunikationsnetz der EU erfolgt. Die Terminologie «DubliNet» soll im Gesetz nicht explizit erwähnt werden, da es allenfalls in der Zukunft eine Namensänderung seitens EU geben könnte. Dieselbe Anpassung wurde auch im AIG vorgenommen (vgl. Art. 111 a Abs. 3 E-AIG).
Art. 102c
Bekanntgabe von Personendaten an einen Nicht-Dublin-Staat
Die Sachüberschrift wird insofern angepasst, als neu der Begriff «Nicht-Dublin-Staat» verwendet wird.
Art. 102g Abs. 2 und 3
Absatz 2 Buchstabe a entspricht dem geltenden Absatz 2.
Der bestehende Absatz 3 wird aufgehoben, und dessen Inhalt wird neu in Absatz 2 Buchstabe b ohne materielle Änderung überführt.
In Buchstabe b ist ferner der Verweis auf die Verordnung (EU) 2019/1896 ⁷8 zu aktualisieren mit «geändert durch Verordnung (EU) 2021/1134, ABl. L 248 vom 13.7.2021, S. 11». Eine Aktualisierung des Verweises auf diese EU-Verordnung ist auch in der Fussnote zu Artikel 102 k Absatz 1 Buchstabe g AsylG vorzunehmen.
Der neue Buchstabe c von Absatz 2 umfasst die Beratung über das Asylverfahren und soll neu gestützt auf Artikel 19 der AMMR-Verordnung die Informationen zum Dublin-Verfahren enthalten. Das Merkblatt zum Asylverfahren wird entsprechend ergänzt werden. Die Information soll so früh wie möglich nach der Einreichung des Asylgesuchs und in angemessener Form erfolgen.
⁷8 Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624, Fassung gemäss ABl. L 295 vom 14.11.2019, S. 1.
Art. 102k Abs. 1 Bst. g Fussnote
Siehe Erläuterungen zu Artikel 102 g Absatz 2 Buchstabe b E-AsylG.
Art. 106 Abs. 2
Die Beschwerdegründe im Asyl- und Dublin-Verfahren werden in Artikel 106 AsylG geregelt. Neu wird in Absatz 2 als Vorbehalt auf Artikel 107 a Absatz 5 AsylG verwiesen (vgl. Erläuterungen zu Art. 107 a E-AsylG).
Art. 107a Abs. 2-5
Abs. 2
Dieser Absatz wird ergänzt mit dem ersten Satz des geltenden Absatzes 3. Es wird präzisiert, dass es sich bei der Frist von fünf Tagen um Arbeitstage und nicht Kalendertage handelt.
Abs. 3
Absatz 3 entspricht dem bisherigen zweiten Satz von Absatz 3.
Abs. 4
Die AMMR-Verordnung legt die Behandlungsfrist durch das Gericht auf maximal einen Monat fest. Entsprechend ist für Beschwerden gegen eine Überstellungsentscheidung im Sinne einer Ordnungsfrist vorgesehen, dass das BVGer innerhalb von 20 Tagen entscheidet.
Für die Behandlung von Dublin-Fällen für offensichtlich begründete und unbegründete Beschwerden wird eine Frist von fünf Tagen ab Rechtshängigkeit der Beschwerde bzw. ab Entscheid über die aufschiebende Wirkung vorgesehen. In diesen Fällen entscheidet eine Einzelrichterin oder ein Einzelrichter mit Zustimmung einer zweiten Richterin oder eines zweiten Richters gemäss Artikel 111 Buchstabe e AsylG i. V. m. Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a VGG in der Fassung von BBl 2022 3212.
Abs. 5
Die Beschwerdegründe sind abschliessend in Artikel 43 Absatz 1 der AMMR-Verordnung aufgeführt (vgl. Erläuterungen zu Art. 43, Ziff. 3.4.3). Auf diese wird im neuen Absatz 5 verwiesen.
Art. 113
Grundsätze
Der bisherige Artikel 113 statuiert, dass sich der Bund an der Lösung von Flüchtlingsproblemen im Ausland und an der Harmonisierung der europäischen Flüchtlingspolitik auf internationaler Ebene beteiligt, wobei er namentlich mit dem UNHCR zusammenarbeitet und die Tätigkeit internationaler Hilfswerke unterstützt.
Mit dem neuen Artikel 113 werden diese Grundsätze beibehalten. So entspricht Absatz 1 dem bisherigen ersten Satz von Artikel 113. Absatz 2 Buchstabe b entspricht dem zweiten Satz des bisherigen Artikels 113, und Absatz 2 Buchstabe c enthält den dritten Satz von Absatz 2.
Neu wird in Buchstabe a auf die Solidaritätsmassnahmen der EU verwiesen. Der Bund kann die EU im Rahmen des durch die AMMR-Verordnung vorgesehenen Solidaritätsmechanismus unterstützen. Da die konkreten Modalitäten erst noch erarbeitet werden müssen und mit der EU eine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen werden muss, kann gestützt auf diese Bestimmung noch keine Solidaritätsmassnahme durch den Bund ergriffen werden. Es wird voraussichtlich noch zusätzliche Gesetzesanpassungen brauchen, sobald eine Vereinbarung mit der EU vorliegt. Sollten Solidaritätsmassnahmen in Erwägung gezogen werden, werden insbesondere auch die Kantone in geeigneter Form in den Entscheid miteinbezogen (Abs. 3).
Anhang
In Artikel 21 AsylG wird der Begriff «Dublin-Assoziierungsabkommen» eingeführt und auf die Auflistung in Anhang 1 verwiesen. Diese Auflistung ist allerdings nicht mehr aktuell und muss um das Eurodac-Protokoll ergänzt werden (Bst. e). Dieselbe Änderung wurde ins AIG aufgenommen.
3.7.3 Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht
Art. 23 Abs. 2 Bst. abis
Artikel 23 regelt die einzelrichterliche Zuständigkeit. Die derzeitigen Ausnahmen vom Grundsatz des Dreierspruchkörpers für den Asyl- und den Sozialversicherungsbereich sind in Absatz 2 geregelt (vgl. Änderung von Art. 23 Abs. 2 Bst. a VGG in BBl 2022 3212).
Im neuen Artikel 64 a bis Absatz 5 E-AIG wird für das Dublin-Beschwerdeverfahren ebenfalls eine Ausnahme vom Grundsatz des Dreierspruchkörpers vorgeschlagen. Daher ist auch Artikel 23 Absatz 2 VGG anzupassen. Der neue Buchstabe abis verweist auf diese spezialgesetzlichen Regelungen zur Einzelrichterzuständigkeit. Die materielle Änderung findet sich dort.
3.8 Koordinationsbedarf
3.8.1 Koordinationsbedarf mit dem Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung
Artikel 20 E-AsylG verweist neu auf die Artikel 21 a und 26 E-AsylG, die im Rahmen des Bundesbeschlusses zur Überprüfungsverordnung neu ins AsylG aufgenommen werden. Entsprechend sind die beiden Vorlagen zu koordinieren.
Artikel 20 E-AsylG ist zwingend gleichzeitig mit Artikel 21 a und 26 E-AsylG in Kraft zu setzen, da er auf diese beiden Bestimmungen Bezug nimmt und von diesen thematisch abhängt. Ohne die beiden letztgenannten Bestimmungen des AsylG kann Artikel 20 E-AsylG nicht in Kraft gesetzt und angewendet werden.
3.8.2 Koordinationsbedarf mit dem Bundesbeschluss zur Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717
Mit der vorliegenden Vorlage wird Artikel 64 a E-AIG vollständig revidiert. In diesem Zusammenhang gibt es keinen Absatz 3bis mehr. Da dieselbe Bestimmung auch durch den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) angepasst wird, sind die beiden Vorlagen entsprechend zu koordinieren.
Beide Bundesbeschlüsse werden voraussichtlich zeitgleich in Kraft gesetzt, da die Umsetzungsfrist gemäss SAA für beide im Sommer 2026 endet. Der Bundesbeschluss zur Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 ist zwingend gleichzeitig oder vor dem vorliegenden Bundesbeschluss in Kraft zu setzen. Treten beide Bundesbeschlüsse zeitgleich in Kraft oder tritt der vorliegende Bundesbeschluss nach dem Bundesbeschluss zur Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 in Kraft, ist für Artikel 64 a bis E-AIG die Version des vorliegenden Bundesbeschlusses massgebend und für Artikel 66 E-AIG (welcher neu den Inhalt von Art. 64 a Abs. 3bis AIG aufnimmt) der Bundesbeschluss zur Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717.
Sollte der Bundesbeschluss zur Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 durch das Parlament nicht genehmigt oder im Rahmen eines möglichen Referendums durch das Volk abgelehnt werden, dürfte der bestehende Absatz 3bis in der vorliegenden Vorlage nicht aufgehoben werden.
3.9 Auswirkungen
Für den Bund (Ziff. 3.9.1 und 3.9.2) und die Kantone (Ziff. 3.9.3) ergeben sich sowohl finanzielle als auch personelle Auswirkungen in Zusammenhang mit der neuen Tonaufzeichnung der Dublin-Befragung. Aus dieser Vorlage ergeben sich keine finanziellen Auswirkungen im Bereich der Solidaritätsmassnahmen. Erst nach Klärung der Modalitäten der rechtlichen Umsetzung einer allfälligen Beteiligung der Schweiz an Solidaritätsmassnahmen können die dafür notwendigen Finanzierungsgrundlagen und die Höhe der finanziellen Auswirkungen abschliessend bestimmt werden.
Die Übernahme der Krisenverordnung kann in Zukunft finanzielle Auswirkungen auf Bund und Kantone haben, da diverse Fristen neu verlängert werden bzw. die Dublin-Staaten verpflichtet werden können, für diejenigen Staaten, die aufgrund einer Krisensituation unter Druck geraten, die Zuständigkeit zu übernehmen. Dies könnte die Strukturen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden belasten und entsprechende Kosten mit sich bringen. Umgekehrt könnte die Schweiz in einer Krisensituation auf die Unterstützung der Dublin-Staaten zurückgreifen, was mit Kostenersparnissen verbunden wäre. Die Übernahme der Krisenverordnung wird daher erst zu einem späteren Zeitpunkt Auswirkungen auf den Bund und die Kantone haben. Diese können zum aktuellen Zeitpunkt nicht beziffert werden, da sie von der Art und Dauer der Krise abhängen. Sie werden dem Bundesrat zu gegebener Zeit unterbreitet.
3.9.1 Finanzielle Auswirkungen auf den Bund
Kosten Tonaufzeichnungen
Neu sind Dublin-Befragungen auf Ton aufzuzeichnen (Art. 22 Abs. 7 der AMMR-Verordnung). Derzeit wird die technische und praktische Umsetzung dieser Vorgabe geprüft. Aktuell ist die Speicherung von Tonaufzeichnungen im ZEMIS nicht möglich. Erst mit der Einführung des eGov-Dossiers wird eine Speicherung dieser Aufnahmen möglich sein. Die anfallenden Mehrkosten werden somit stark davon abhängen, ob eine Übergangslösung implementiert werden muss oder ob das neue eGov-Dossier ab Mitte 2026 bereits zur Verfügung stehen wird. Zudem werden gewisse Systemanpassungen notwendig sein, falls über MIDES oder eAsyl auf die Aufnahmen zugegriffen werden soll. Für die Implementierung dieser EU-Vorgabe ist mit finanziellen Aufwendungen von rund einer Million Franken zu rechnen. Diese Kosten beinhalten beispielsweise die Materialkosten für die Technik in den BAZ inkl. Installation, akustische Massnahmen für die Räume, eine technische Übergangslösung, falls das eGov-Dossier nicht termingerecht zur Verfügung stehen sollte sowie allfällige Projektkosten. Je nachdem, ob eine technische Übergangslösung geschaffen werden muss oder nicht, könnten die Kosten auch tiefer oder höher ausfallen. Die Betriebskosten können derzeit noch nicht genauer beziffert werden, da diese ebenfalls davon abhängen, ob es für die Speicherung der Tonaufzeichnungen eine Übergangslösung brauchen wird oder nicht. Zum aktuellen Zeitpunkt geht das SEM davon aus, dass diese Kosten über die im Voranschlag 2024 bzw. im Voranschlag 2025 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2026-2028 eingestellten Mittel finanziert werden können.
Kosten Solidaritätsmassnahmen
Pro 100 Asylsuchende, welche die Schweiz als Solidaritätsmassnahme im Rahmen von Relocation übernehmen würde, würden - bei einer angenommenen Schutzquote von 75 Prozent (d. h. 75 % erhalten nach dem Verfahren eine vorläufige Aufnahme oder Asyl) - Ausgaben von ca. 10 Millionen Franken für Verfahrenskosten, Sozialhilfe, Integration, Nothilfe sowie Ein- und Ausreisekosten entstehen (rund CHF 100 000 pro Fall; exkl. zusätzliche Personalkosten). In Übereinstimmung mit den Artikeln 20 und 24 der Asylverordnung 2 vom 11. August 1999 ⁷9 über Finanzierungsfragen (Asylverordnung 2; AsylV 2) deckt dieser Betrag von 10 Millionen Franken einen Zeitraum von fünf Jahren für Flüchtlinge und sieben Jahren für vorläufig Aufgenommene ab (Mittelwert von sechs Jahren bei der Annahme einer gleichmässigen Verteilung). Diese Kosten werden über bestehende Finanzierungsquellen abgerechnet. Bei einer tiefen durchschnittlichen Schutzquote würden sich die Kosten entsprechend verringern und sich teilweise von der Integration auf die Nothilfe und den Wegweisungsvollzug verschieben.
Es wird davon ausgegangen, dass für einen Experteneinsatz, wie das im Rahmen einer alternativen Solidaritätsmassnahme möglich wäre, mit jährlichen Kosten von rund 170 000 Franken pro Person und Einsatzjahr zu rechnen ist (Ansatz für eine EUAA-Entsendung).
Für eine finanzielle Beteiligung am Solidaritätsmechanismus zur Unterstützung von Massnahmen in den Bereichen Migration, Grenzverwaltung und Asyl würde der Bundesrat die entsprechenden Mittel zu gegebener Zeit beantragen.
⁷9 SR 142.312
3.9.2 Personelle Auswirkungen auf den Bund
Kosten Tonaufzeichnungen
Die Vor- und Nachbereitung der Tonaufnahmen (inkl. Abspeicherung/Archivierung) von Dublin-Befragungen führt zu einem geringen zusätzlichen Zeitaufwand im Dublin-Verfahrensprozess von geschätzten 15 Minuten pro Befragung. Auf der Grundlage von rund 6500 Dublin-Befragungen pro Jahr wird der zusätzliche personelle Aufwand im Dublin-Verfahrensprozess einschliesslich der Akteneinsicht auf 1,5 FTE pro Jahr geschätzt. Während der Dublin-Befragung muss zusätzlich technischer Support in jedem BAZ mit Verfahrensfunktion (Altstätten, Basel, Bern, Boudry, Chiasso, Zürich) sowie an den Flughäfen Zürich und Genf gewährleistet sein, sollte es technische Schwierigkeiten bei den Tonaufzeichnungen geben. Aktuell ist dafür ein Modell mit einem First-Level-Support vor Ort und einem Second-Level-Support mit SEM-Personal vorgesehen. Den rein technischen Third-Level-Support würde das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation vor Ort übernehmen. Für die Sicherstellung des First- und Second-Level-Supports wird aktuell ein zusätzlicher Personalaufwand von 0,25 FTE geschätzt, was rund 300 Support-Stunden entspricht und der beim SEM im First- und Second-Level-Support anfallen würde.
Aktuell werden die gesamten personellen Auswirkungen der Tonaufzeichnungen von Dublin-Befragungen beim SEM auf ca. 1,75 FTE geschätzt.
Kosten Solidaritätsmassnahmen
Aus dieser Vorlage ergeben sich keine personellen Auswirkungen im Bereich der Solidaritätsmassnahmen. Erst nach Klärung der Modalitäten der rechtlichen Umsetzung einer allfälligen Beteiligung der Schweiz an Solidaritätsmassnahmen kann die Höhe der personellen Auswirkungen abschliessend bestimmt werden. Die Höhe ist von der jeweiligen Massnahme abhängig. Den Ausgangspunkt bieten grundsätzlich folgende Berechnungen: Zusätzliche Aufnahmen von Asylsuchenden haben Auswirkungen auf den Personalbedarf im Asylverfahren. Diese zusätzlichen personellen Auswirkungen belaufen sich bei Aufnahme von hypothetisch 100 Asylsuchenden im Rahmen von Solidaritätsmassnahmen auf geschätzte 1,75 FTE pro Jahr. Diese Schätzung von 1,75 FTE für 100 Aufnahmen basiert auf der Annahme einer Schutzquote von 75 % und setzt sich aus einem Zusatzaufwand von 0,15 FTE für die Identifikation in einem EU-Land, 1,5 FTE für die Bearbeitung der Asylgesuche und 0,1 FTE für die Rückkehrfälle zusammen.
Zusammenfassung
Diese allfällig zusätzlich benötigten, grob geschätzten Mittel fallen aus heutiger Sicht im Eigenbereich des SEM an und müssen entweder departementsintern kompensiert oder im Rahmen der Bedarfserhebung für den Entwicklungsrahmen 2027-2028 eingegeben werden.
3.9.3 Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden
Kosten Tonaufzeichnungen
Der Bund trägt die Kosten für die technischen Anpassungen an den Bundessystemen (Speicherung im e-Gov-Dossier oder Übergangslösung). Da lediglich die Verfahren zur Festlegung der Zuständigkeit im Rahmen der Erstbefragung auf Ton aufgezeichnet werden müssen, haben die Tonaufzeichnungen keine finanziellen Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden.
3.10 Rechtliche Aspekte
3.10.1 Verfassungsmässigkeit
Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der AMMR-Verordnung und der Krisenverordnung stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für auswärtige Angelegenheiten zuständig ist.
Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren.
Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7 a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 8⁰ [RVOG]).
Im vorliegenden Fall fehlt es an einer besonderen gesetzlichen oder vertraglichen Ermächtigung für den Bundesrat; zudem handelt es sich nicht um einen Vertrag von beschränkter Tragweite. Somit ist die Bundesversammlung für die Genehmigung der vorliegenden Notenaustausche zuständig.
Der im Anhang des Bundesbeschlusses enthaltene Gesetzesentwurf lässt sich auf Artikel 121 Absatz 1 BV abstützen, wonach die Gesetzgebung über die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern sowie über die Gewährung von Asyl Sache des Bundes ist.
Die Vorlage ist im Übrigen auch mit Artikel 121 a BV vereinbar, welcher den Bund zur eigenständigen Steuerung der Zuwanderung mittels Festlegung jährlicher Höchstzahlen und Kontingente für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern verpflichtet und den Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen untersagt, die diesen Vorgaben widersprechen. Mit der AMMR-Verordnung wird das bestehende Dublin-System, das einen Kriterienkatalog zur Zuweisung der Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylgesuchs sowie einen Mechanismus zur Überstellung der betroffenen Personen in den zuständigen Staat enthält, reformiert. Die AMMR-Verordnung verpflichtet den zuständigen Dublin-Staat zur (Wieder-)Aufnahme von Asylsuchenden und gegebenenfalls zu deren Wegweisung in einen Drittstaat. Sie bezieht sich damit auf Personen, die vom personellen Anwendungsbereich von Artikel 121 a BV nicht erfasst sind, weil sie nur vorübergehend, zum Zwecke der Durchführung des Asyl- oder Wegweisungsverfahrens einreisen und damit nicht im Sinne der Verfassungsbestimmung einwandern. 8¹
8⁰ SR 172.010
8¹ Zur Vereinbarkeit einer freiwilligen Teilnahme am Solidaritätsmechanismus siehe Ziff. 2.6.2.
3.10.2 Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Mit der Übernahme der AMMR-Verordnung und der Krisenverordnung als Dublin-/Eurodac-Weiterentwicklungen erfüllt die Schweiz ihre Verpflichtungen gegenüber der EU, die sie im Rahmen des DAA eingegangen ist. Sie gewährleistet damit eine einheitliche Anwendung der Bestimmungen in Bezug auf das Dublin-Verfahren.
Die Übernahme der AMMR-Verordnung und der Krisenverordnung sowie die damit verbundenen Gesetzesänderungen stehen unter anderem im Einklang mit der Konvention vom 4. November 1950 8² zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK]) und der Konvention vom 28. Juli 1951 8³ über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Fassung des Protokolls vom 31. Januar 1967 8⁴ über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.
Somit sind die Übernahme der AMMR-Verordnung und der Krisenverordnung sowie die damit verbundenen gesetzlichen Anpassungen mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.
8² AS 1974 2151 ; BBl 1974 I 1035 ( SR 0.101 )
8³ SR 0.142.30
8⁴ SR 0.142.301
3.10.3 Erlassform
Die Übernahme der EU-Verordnungen stellt keinen Beitritt der Schweiz zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft dar. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung der entsprechenden Notenaustausche ist deshalb nicht dem obligatorischen Referendum nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV zu unterstellen.
Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.
Die vorliegenden Notenaustausche werden auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, können aber jederzeit gekündigt werden und sehen keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch enthält die AMMR-Verordnung nicht nur wichtige rechtsetzende Bestimmungen, sondern erfordert auch Gesetzesanpassungen. Demzufolge ist der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.
Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).
Nach Artikel 141 a Absatz 2 BV können Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden, wenn dieser dem fakultativen Referendum untersteht.
Die vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der AMMR-Verordnung und ergeben sich unmittelbar aus den dort enthaltenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses kann deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden.
. Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
Im Gesetzesentwurf sind folgende Delegationen an den Bundesrat enthalten:
Art. 111abis Abs. 4 E-AIG
Einzelheiten zum Austausch von Informationen über den Gesundheitszustand vor einer Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat
Die in Absatz 4 von Artikel 111 a bis E-AIG enthaltene Kompetenzdelegation an den Bundesrat stützt sich auf Artikel 182 Absatz 1 BV, wonach der Bundesrat rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung erlassen kann. Hierbei handelt es sich um rechtsetzende Bestimmungen, welche die Einzelheiten des Informationsaustausches sowie die Dauer der Datenaufbewahrung und die Löschung dieser Daten regelt.
Art. 26 Abs. 3ter und 3quater E-AsylG
Modalitäten der Tonaufnahmen von Befragungen im Dublin-Verfahren
Diese Kompetenzdelegation an den Bundesrat stützt sich auf Artikel 182 Absatz 1 BV, wonach der Bundesrat rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung erlassen kann. Hierbei handelt es sich um rechtsetzende Bestimmungen, die einerseits die Möglichkeit vorsehen, Ausnahmen von Tonaufnahmen vorzusehen, und andererseits die Modalitäten der Tonaufnahmen und der schriftlichen Zusammenfassung der Befragung im Dublin-Verfahren regeln.
. Datenschutz
In Bezug auf den Datenschutz werden lediglich Artikel 111 a E-AIG und Artikel 102 a E-AsylG aus Transparenzgründen präzisiert. Sie regeln den Datenaustausch zwischen dem schweizerischen Dublin-Office, das im SEM angesiedelt ist, und den übrigen zuständigen Behörden der anderen Dublin-Staaten.
Die Datenbearbeitung durch das SEM richtet sich dabei nach dem Bundesgesetz vom 25. September 2020 8⁵ über den Datenschutz (DSG). Sie untersteht der Aufsicht des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB).
In der AMMR-Verordnung sind die datenschutzrechtlichen Regelungen neu in Artikel 72 geregelt.
In der EU hat die Bearbeitung personenbezogener Daten im Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung bzw. der Richtlinie (EU) 2016/680 sowie der Verordnung (EU) 2018/1725 zu stehen. Die Bearbeitung der Daten im Dublin-Verfahren hat im Einklang mit diesen EU-Verordnungen und der genannten EU-Richtlinie zu erfolgen. Für die Schweiz verbindlich ist jedoch lediglich die Richtlinie 2016/680, da nur diese Richtlinie Teil des Schengen-Besitzstands ist. Die Datenschutz-Grundverordnung gilt (im Gegensatz zur Richtlinie) nicht für die Schweiz; diese hat die EU-Verordnung aber im Rahmen der Revision des Datenschutzgesetzes berücksichtigt, sodass sie über ein gegenüber dem EU-Recht äquivalentes Datenschutzniveau verfügt.
Ferner untersteht die Datenbearbeitung durch die EUAA den Vorgaben der Verordnung (EU) 2021/2303 8⁶ . Die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben erfolgt durch den europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB).
Der EDSB wurde gemäss Artikel 42 der Verordnung (EU) 2018/1725 konsultiert. Er hat am 30. November 2020 zum Vorschlag des neuen Migrations- und Asylpakts eine Stellungnahme abgegeben. 8⁷
Der EDSB anerkennt die Notwendigkeit einer effektiveren Steuerung von Migration und Asyl. Er ist der Auffassung, dass «der vorgeschlagene umfassende Ansatz auf der uneingeschränkten Achtung der Grundrechte von Personen, die internationalen Schutz suchen, und anderen Migranten, einschliesslich ihres Rechts auf Datenschutz und Privatsphäre, beruhen» müsse.
Zudem hält er fest, dass eine Datenschutz-Folgenabschätzung zu den Grundrechten und zum Datenschutz vorzunehmen sei. Er ist ferner der Ansicht, dass in den Entwürfen der EU-Verordnungstexte die jeweiligen Zuständigkeiten der verschiedenen Akteure, die an der Verarbeitung personenbezogener Daten beteiligt sind, klar festgelegt werden sollten.
Zur AMMR-Verordnung und zur Krisenverordnung hielt der EDSB fest, dass der vorgeschlagene Artikel 72 der AMMR-Verordnung keinen Bezug auf die einschlägigen Rechtsvorschriften der EU zum Datenschutz genommen habe. Im Rahmen der Ausarbeitung der AMMR-Verordnung wurde dieses Versäumnis nachgeholt und ein neuer Absatz (Abs. 1) in Artikel 72 eingefügt, der neu auf die Datenschutz-Grundverordnung und die Verordnung 2018/1725 sowie auf die Richtlinie (EU) 2016/680 verweist. Ebenso sprachlich korrigiert wurde der vom EDSB kritisierte Absatz 3 des Artikels 72 der AMMR-Verordnung. In Bezug auf die Krisenverordnung wurden keine Anpassungen vorgenommen.
8⁵ SR 235.1
8⁶ Verordnung (EU) 2021/2303 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2021 über die Asylagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 439/201; ABl. L 468 vom 30.12.2021, S. 1.
8⁷ Stellungnahme des EDSB zum neuen Migrations- und Asylpaket; abrufbar unter: www.edps.europa.eu > Datenschutz > Unsere Arbeit > Stellungnahme des EDSB zum neuen Migrations- und Asylpaket.
3.10.2 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Mit der Vorlage werden keine neuen Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.
4 Bundesbeschluss zur Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung
4.1 Ausgangslage
4.1.1 Handlungsbedarf und Ziele
Mit der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung soll ein neues Wegweisungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze geschaffen werden für Drittstaatsangehörige und Staatenlose, deren Asylgesuch im Rahmen des Asylverfahrens an der Schengen-Aussengrenze nach den Artikeln 43-56 der Asylverfahrensverordnung abgelehnt wurde. Damit soll die Kontinuität zwischen dem Asylverfahren und dem Wegweisungsverfahren gewährleistet werden. Das Wegweisungsverfahren ist an der Grenze durchzuführen und hat innert zwölf Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem die betreffende Person nicht mehr zum Verbleib im Hoheitsgebiet berechtigt ist oder ihr der Verbleib nicht länger gestattet ist, zu erfolgen. In Krisensituationen kann diese Frist um höchstens sechs Wochen verlängert werden.
Dieses neue Wegweisungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze ist jedoch nicht für alle Schengen-Staaten anwendbar. So sind Dänemark und die an Schengen assoziierten Staaten durch die Asylverfahrensverordnung nicht gebunden, da diese weder zum Schengen- noch zum Dublin-Besitzstand gehört. Diese Staaten müssen auch kein Asylverfahren an der Schengen-Aussengrenze vorsehen, können es aber. Wenn die Staaten auf nationaler Ebene ein dem EU-Aussengrenzverfahren gleichwertiges Verfahren vorsehen, gelten die Verweise in der vorliegenden EU-Verordnung auf die Bestimmungen der Asylverfahrensverordnung als Verweise auf gleichwertige Bestimmungen im nationalen Recht (vgl. Art. 2 der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung).
. Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis
Die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung stellt formell eine Schengen-Weiterentwicklung dar.
Im ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission vom September 2020 waren die Rückkehrverfahren an der Grenze jedoch noch Teil der für die Schweiz nicht verbindlichen Asylverfahrensverordnung, der Krisenverordnung und der AMMR-Verordnung (mögliche Solidaritätsleistung durch den BMVI-Fonds). Dies, obwohl Aspekte der Rückkehr grundsätzlich als Teil des Schengen-Besitzstands erachtet werden. Die Verhandlungen erfolgten im Rahmen dieser Verordnungen mit politischer Einigung am 20. Dezember 2023 (vgl. dazu Ziff. 3.1.2). Infolge einer rechtlichen Auseinandersetzung auf EU-Ebene zur Natur dieser Rückkehrregeln als zum Schengen-Besitzstand gehörende Bestimmungen, und da EU-Rechtsakte gemäss Rechtsprechung des EuGH 8⁸ nicht nur teilweise Schengen-relevant sein können, wurden die entsprechenden Bestimmungen aus den genannten Verordnungen in eine separate, Schengen-relevante Verordnung überführt. Dies war auch der Grund, weshalb diese Verordnung erst am 3. Februar 2024 publiziert wurde. Die Schweiz konnte in den folgenden Verhandlungen von ihrem Schengen-Mitspracherecht Gebrauch machen. Trotzdem bleibt die neue Verordnung ihrer ursprünglichen Logik treu und kann nur in Verbindung mit den entsprechenden Regeln der Asylverfahrensverordnung bzw. mit äquivalenten Bestimmungen im nationalen Recht angewendet werden. Sind keine solche äquivalenten Bestimmungen vorhanden, kann das vorgesehene Rückkehrverfahren an der Schengen-Aussengrenze nicht angewendet werden. Da das Schweizer Asylverfahren am Flughafen kein zum EU-Grenzasylverfahren äquivalentes Verfahren darstellt, muss die Schweiz aktuell keine Rückkehrverfahren nach Massgabe dieses Schengen-Rechtsakts durchführen (vgl. hierzu Ziff. 4, insbesondere Ziff. 4.5.3).
8⁸ Vgl. dazu Urteil des EuGH vom 26. Oktober 2010 C-482/08 Vereinigtes Königreich gegen Rat, Slg. 2010 I-10413 Randnr. 48, 49 und 58.
4.2 Vernehmlassungsverfahren
4.2.1 Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse
Die Kantone bringen keine kritischen Anmerkungen vor. Der SGB kritisiert, dass die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung den Staaten erlaube, Geflüchtete in gesonderten Asylverfahren zu behandeln oder unter «Fiktion der Nichteinreise» in sichere Drittstaaten zurückzuweisen. Eine Vielzahl der interessierten Kreise lehnen die Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung durch die Schweiz ab (siehe dazu nachfolgend Ziff. 4.2.2). Die SVP lehnt die Übernahme dieser EU-Verordnung ab. Die anderen Parteien bringen keine Anmerkungen vor.
4.2.2 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
AG wiederholt, dass das Schweizer Asylverfahren am Flughafen kein äquivalentes Verfahren zum EU-Grenzasylverfahren darstelle. Die Schweiz müsse zurzeit keine Rückkehrverfahren nach Massgabe dieses Schengen-Rechtsakts durchführen. Daher sei eine Übernahme der Verordnung ins nationale Recht nicht notwendig (so auch GE). Der Kanton SO geht bei erfolgreicher Umsetzung der Massnahmen in der entsprechenden Verordnung davon aus, dass die irreguläre Migration abnehmen und die Belastungen für die Kantone sinken werde. Die entsprechenden Massnahmen seien zu begrüssen. Der Kanton GE betont, dass eine Zusammenarbeit mit den Grenzländern und insbesondere Frankreich von entscheidender Bedeutung sei.
Der SGB erachtet es als problematisch, dass die EU-Verordnung den Staaten an den Schengen-Aussengrenzen erlaube, Geflüchtete - je nach Herkunftsland - in gesonderten Asylverfahren zu behandeln oder unter «Fiktion der Nichteinreise» in sichere Drittstaaten zurückzuweisen.
Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, DJS, FPABS, FPAZH, elisa-asile, SBAA, Bündnis Asyl, Pikett Asyl, sosf und ZiAB erachten die Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung durch die Schweiz als sehr problematisch und lehnen diese ab. Sie sind der Ansicht, dass diese Verordnung eine De-facto-Haft an den Aussengrenzen etabliere. Mit der Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung legitimiere die Schweiz die Grenzverfahren und sie beteilige sich auch an den entsprechend unhaltbaren Zuständen an den Aussengrenzen. Sie weisen darauf hin, dass die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung auch in der Schweiz Anwendung finden könnte, sollte auf nationaler Ebene ein dem EU-Aussengrenzverfahren gleichwertiges Verfahren vorgesehen werden. Sie befürchten unter Verweis auf die Motionen 24.3949 und 24.3058, dass in Zukunft diese EU-Verordnung doch angewendet werden könnte. Die Schweiz solle deshalb die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung nicht übernehmen.
Auch die SVP lehnt die Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung ab. Sie gelte nicht auf Schweizer Gebiet. Aufgrund der «dynamischen» Übernahme des EU-Rechts sei nicht auszuschliessen, dass die in dieser Verordnung enthaltenen Normen früher oder später auch für die Schweiz verbindlich würden, weshalb es nicht unbedeutend sei, sich an solche Verordnungen zu binden.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat hat Verständnis für die Befürchtungen der interessierten Kreise und der SVP. Da die Schweiz über kein äquivalentes Asylverfahren auf nationaler Ebene verfügt, fehlt die Grundlage für die Anwendung des Rückkehrgrenzverfahrens durch die Schweiz. Die Schweiz wird das Rückkehrgrenzverfahren daher nicht umsetzen, auch wenn sie den Rechtsakt als Schengen-Weiterentwicklung aus formalen Gründen übernimmt.
4.2.3 Anpassung der Vorlage
Die Vorlage wurde nach der Vernehmlassung nicht angepasst.
4.3 Grundzüge der EU-Verordnung
Das Verfahren zur Wegweisung von Asylsuchenden, deren Gesuch an den Schengen-Aussengrenzen oder in den Transitzonen abgelehnt wurde, soll gemäss der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung innerhalb von zwölf Wochen durchgeführt werden. Wird es nicht innerhalb dieser Maximalfrist durchgeführt, gelangen die Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zur Anwendung.
Für dieses neue Wegweisungsverfahren bleiben gewisse Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie anwendbar (z. B. das Non-Refoulement-Gebot, die Garantien bis zur Rückführung, die Inhaftierung und die Haftbedingungen).
Auf Antrag der betroffenen Person kann eine freiwillige Ausreisefrist von maximal 15 Tagen gewährt werden. Diese Frist verleiht ihr jedoch kein Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet. Es bleibt den Schengen-Staaten frei, einem illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt aus humanitären oder anderen Gründen zu erlauben.
Besteht Fluchtgefahr oder stellt die Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, kann die betroffene Person für zwölf Wochen (Höchstdauer des Rückführungsverfahrens an der Grenze) in Ausschaffungshaft genommen werden, solange sie nicht bereits während des Asylverfahrens an der Grenze in Haft war (Art. 5 Abs. 3). Diese Haft wird an die maximale Haftdauer von 6-18 Monaten, die in der Rückführungsrichtlinie geregelt ist, angerechnet.
Mit der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung können vorgesehene Solidaritätsmassnahmen über den BMVI-Fonds abgewickelt werden. So könnten beispielsweise Kapazitäten an der Schengen-Aussengrenze ausgebaut werden. Entsprechend wird die BMVI-Verordnung durch die vorliegende EU-Verordnung geändert.
4.4 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung
Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen
Art. 1
Gegenstand und Anwendungsbereich
Für Drittstaatsangehörige und Staatenlose, deren Asylgesuch im Rahmen des Asylverfahrens an der Schengen-Aussengrenze nach den Artikeln 43-56 der Asylverfahrensverordnung abgelehnt wurde, wird mit der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung ein neues Wegweisungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze geschaffen. Zudem werden befristete spezifische Vorschriften eingeführt, wenn sich ein Staat in einer Krisensituation befindet (s. Ziff. 2.5.1; Art. 1 Abs. 4 der Krisenverordnung). Mit der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung können vorgesehene Solidaritätsmassnahmen durch den BMVI-Fonds abgewickelt werden. Schliesslich wird die BMVI-Verordnung geändert, damit die Solidaritätsmassnahmen im Rahmen der AMMR-Verordnung über den BMVI-Fonds abgewickelt werden können.
Art. 2
Bezugnahmen auf die Verordnung (EU) 2024/1348
Für diejenigen Schengen-Staaten, die nicht durch die Asylverfahrensverordnung gebunden sind, sind die Verweise, sofern solche bestehen, als Bezugnahmen auf gleichwertige Bestimmungen im nationalen Recht zu verstehen.
Art. 3
Begriffsbestimmungen
Die Bestimmung enthält die in der EU-Verordnung verwendeten Definitionen der Begriffe «Antrag auf internationalen Schutz» bzw. «Antrag» und «Antragsteller» und verweist dabei auf die Bestimmungen der Asylverfahrensverordnung.
Kapitel II: Rückkehrverfahren an der Grenze
Art. 4
Rückkehrverfahren an der Grenze
Dieser Artikel regelt den Grundsatz, wonach Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, deren Asylgesuch im Rahmen des Asylverfahrens an der Schengen-Aussengrenze abgelehnt wurde, die Einreise in das Hoheitsgebiet des jeweiligen Schengen-Staats nicht gestattet wird (Abs. 1).
Das Wegweisungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze hat innerhalb von maximal zwölf Wochen zu erfolgen. In dieser Zeit müssen sich die betroffenen Personen an der Schengen-Aussengrenze, in der Nähe der Schengen-Aussengrenze oder in Transitzonen aufhalten. Verfügt ein Schengen-Staat über keine Unterbringungsmöglichkeiten an diesen Standorten, können die abgewiesenen Asylsuchenden in seinem Hoheitsgebiet untergebracht werden (Abs. 2). Kann die Wegweisung nicht innerhalb von zwölf Wochen erfolgen, kommt das ordentliche Wegweisungsverfahren gemäss der Rückführungsrichtlinie zur Anwendung (Abs. 4).
Einige Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie sollen ebenfalls auf das neue Wegweisungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze zur Anwendung gelangen. Die Bestimmungen werden unter Absatz 3 aufgelistet.
Personen, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist, ist auf deren Antrag eine Frist von maximal 15 Tagen für die freiwillige Ausreise zu gewähren, ausser es besteht Fluchtgefahr, das Asylgesuch wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt oder die Personen stellen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Zur Verhinderung der Flucht während des Wegweisungsverfahrens werden die Reisedokumente eingezogen (Abs. 5).
Den Schengen-Staaten steht es offen, nach der Ablehnung eines Asylgesuchs an der Schengen-Aussengrenze eine Einreiseverweigerung nach Artikel 14 SGK auszusprechen und gestützt auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie die Vorgaben der Rückführungsrichtlinie nicht anzuwenden (Abs. 6). In diesen Fällen muss der Schengen-Staat jedoch sicherstellen, dass die Behandlung und das Schutzniveau der Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen trotzdem mit Artikel 4 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie sowie gewissen Vorgaben dieser EU-Verordnung gleichwertig sind (Art. 4 Abs. 2 und 4 sowie Art. 5 Abs. 4).
Art. 5
Haft
Um die Einreise in das Hoheitsgebiet des betreffenden Schengen-Staats zu verhindern oder wenn eine Fluchtgefahr besteht, können Drittstaatsangehörige und Staatenlose, deren Asylgesuch im Rahmen des Asylverfahrens an der Schengen-Aussengrenze abgelehnt wurde (Art. 4 Abs. 1), zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs gestützt auf eine Einzelfallprüfung in Haft genommen werden. Die Haft darf nur als letztes Mittel angeordnet werden (Abs. 1).
Die Haft ist so kurz wie möglich aufrechtzuerhalten und darf für maximal zwölf Wochen angeordnet werden. Sie ist an die Maximalhaftdauer von 6-18 Monaten der Rückführungsrichtlinie anzurechnen (Abs. 4 der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung; Art. 15 Abs. 5 und 6 der Rückführungsrichtlinie).
Kapitel III: In einer Krisensituation anwendbare Ausnahmeregelungen
Art. 6
In einer Krisensituation auf das Rückkehrverfahren an der Grenze anwendbare Massnahmen
Liegt eine Krisensituation gemäss der Definition der Krisenverordnung (Art. 1 Abs. 4) vor, kann das Wegweisungsverfahren von zwölf Wochen sowie die Ausschaffungshaft um weitere sechs Wochen verlängert werden (Abs. 1). Der Zugang der Rechtsberatung kann in Hafteinrichtungen nur eingeschränkt werden, wenn dies zur Sicherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder für die Verwaltung der Hafteinrichtung objektiv erforderlich ist und sofern dadurch der Zugang nicht erheblich behindert oder unmöglich gemacht wird (Abs. 3).
Art. 7
Verfahrensvorschriften
Ist ein Schengen-Staat der Auffassung, dass er sich in einer Krisensituation befindet, kann er einen Antrag an die Europäische Kommission stellen. Das Verfahren der Krisenverordnung ist massgebend (konkret Art. 1 Abs. 4, 2-6 und 17 Abs. 3 und 4 der Krisenverordnung).
Art. 8
Besondere Bestimmungen und Garantien
Liegt eine Krisensituation vor, haben die Schengen-Staaten die Asylsuchenden über die angewendeten Massnahmen und ihre Dauer zu informieren.
Kapitel IV: Änderung der Verordnung (EU) 2021/1148
Art. 9
Änderung der Verordnung (EU) 2021/1148
Die BMVI-Verordnung dient der Weiterentwicklung der gemeinsamen Visumpolitik und der Sicherstellung einer integrierten europäischen Grenzverwaltung an den Schengen-Aussengrenzen. Der mit der BMVI-Verordnung geschaffene BMVI-Fonds ist ein Solidaritätsfonds und dient der Unterstützung insbesondere jener Schengen-Staaten, die aufgrund ihrer ausgedehnten See- oder Landaussengrenzen oder bedeutenden internationalen Flughäfen hohe Kosten für den Schutz der Schengen-Aussengrenzen tragen. Die ursprüngliche Finanzausstattung für die Durchführung der Massnahmen im Rahmen des BMVI-Fonds betrug 6,241 Milliarden Euro und wurde von der EU auf 7,241 Milliarden erhöht. Diese Anpassung der BMVI-Verordnung wird der Schweiz separat als Schengen-Weiterentwicklung notifiziert. Die Schweiz wird sich mit Beitragszahlungen anteilsmässig an der Äufnung des neuen Fonds beteiligen. Mit den Zuweisungen aus dem BMVI-Fonds können diverse nationale Massnahmen gefördert werden, die zur Unterstützung der integrierten Grenzverwaltung und einer gemeinsamen Visumpolitik beitragen. Dazu gehören beispielsweise die Weiterentwicklung der IT-Grosssysteme im Schengen-Bereich. Die Bundesversammlung hat dem Bundesbeschluss zur Genehmigung und Umsetzung dieser EU-Verordnung am 15. März 2024 ⁸9 zugestimmt.
Mit Artikel 9 der vorliegenden EU-Verordnung soll die BMVI-Verordnung angepasst werden, damit die in der AMMR-Verordnung vorgesehenen Solidaritätsmassnahmen über den BMVI-Fonds abgewickelt werden können. Neu werden in der BMVI-Verordnung die Solidaritätsmassnahmen definiert (Art. 2 Nr. 11). Zudem können sie neu durch Beiträge der Mitgliedstaaten in Form externer zweckgebundener Einnahmen finanziert werden (Art. 10 Abs. 3). Bei förderfähigen Ausgaben soll für Solidaritätsmassnahmen der Beitrag auf 100 Prozent der förderfähigen Ausgaben erhöht werden können (Art. 12 Abs. 7 a ). Zudem müssen neu auch die Informationen zur Durchführung der Solidaritätsmassnahmen in der Leistungsbilanz der Mitgliedstaaten enthalten sein (Art. 29 Abs. 2 Bst. aa). Schliesslich werden die Anhänge II (neuer Bst. h mit dem Ziel der Unterstützung von Solidaritätsmassnahmen) und VI (neue Codes für die Solidaritätsmassnahmen) angepasst.
⁸9 BBl 2024 691
Kapitel V: Schlussbestimmungen
Art. 10
Anfechtung durch die Behörden
Die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung berührt nicht die Möglichkeit einer Behörde, ein im nationalen Recht vorgesehenes Rechtsmittelverfahren in Anspruch zu nehmen.
Art. 11
Berechnung der Fristen
Diese Bestimmung enthält die Regeln zum Fristenlauf.
Art. 12
Übergangsmassnahmen
Die Bestimmung sieht vor, dass drei Monate nach Inkrafttreten der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung die Europäische Kommission einen gemeinsamen Umsetzungsplan vorlegt. Gestützt auf diesen sollen die Schengen-Staaten nationale Umsetzungspläne erarbeiten, die von der Europäischen Kommission zu überwachen sind. Damit soll sichergestellt werden, dass die Schengen-Staaten rechtzeitig bis zum Anwendungszeitpunkt den Inhalt der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung national umsetzen.
Art. 13
Überwachung und Bewertung
Spätestens zwei Jahre nach dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung und danach alle fünf Jahre erstattet die Europäische Kommission Bericht über die Anwendung der Verordnung in den Schengen-Staaten und schlägt gegebenenfalls Änderungen vor.
Art. 14
Inkrafttreten und Geltung
Die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung wird am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Anwendbar wird sie jedoch erst zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten.
4.5 Asylverfahren an der Schengen-Aussengrenze
4.5.1 Europäisches Asylverfahren an den Schengen-Aussengrenzen
Die Asylverfahrensverordnung führt in der EU neu ein Asylverfahren an den EU-Aussengrenzen ein (Art. 43-56). Die Asylverfahrensverordnung und das Asylgrenzverfahren sind für die Schweiz nicht verbindlich, da sie nicht Bestandteil des Dublin- oder Schengen-Besitzstands sind.
Nach der Überprüfung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen (siehe dazu ausführlich Ziff. 6) kann ein Asylgesuch im Grenzverfahren geprüft werden, wenn die asylsuchende Person die Einreisevoraussetzungen nach dem SGK (Art. 6) nicht erfüllt und das Asylgesuch an einer Übergangsstelle der EU-Aussengrenze oder in der Transitzone, nach einer Festnahme in Zusammenhang mit dem irregulären Überschreiten der EU-Aussengrenze, nach der Ausschiffung im Hoheitsgebiet eines EU-Staats nach einer Such- und Rettungsaktion oder nach einer Umsiedlung (Relocation) gestellt wurde (Art. 43 Abs. 1 der Asylverfahrensverordnung). Die Einreise in das Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats ist nicht gestattet (Art. 43 Abs. 2 der Asylverfahrensverordnung).
Das Asylgrenzverfahren ist obligatorisch anzuwenden, wenn die asylsuchende Person die Behörden vorsätzlich täuscht und versucht, die Feststellung ihrer Identität zu verhindern, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt oder wenn sie eine Staatsangehörigkeit (bei Staatenlosen letzter Aufenthalt in einem Drittstaat) besitzt, bei der die Schutzquote gestützt auf die jährlichen unionsweiten durchschnittlichen Eurostat-Daten unter 20 Prozent liegt (Art. 44 Abs. 1 i. V. m. Art. 42 Abs. 1 Bst. a-g und j und Abs. 3 Bst. b der Asylverfahrensverordnung). Befinden sich Familien mit minderjährigen Kindern im Asylgrenzverfahren, werden ihre Gesuche vorrangig geprüft (Art. 44 Abs. 3 der Asylverfahrensverordnung). Die EU-Mitgliedstaaten können auch Asylgesuche vorrangig prüfen, wenn davon auszugehen ist, dass die Wegweisung rasch vollzogen werden kann.
Die Einheit der Familie ist auch im Asylgrenzverfahren zu wahren (Art. 45 Abs. 2 der Asylverfahrensverordnung). Die Familie muss aber bereits vor der Ankunft der asylsuchenden Person bestanden haben. Absatz 3 von Artikel 45 regelt die Definition der Familienangehörigen von Asylsuchenden.
Asylgesuche sind im Rahmen des Asylgrenzverfahrens innerhalb von fünf Tagen zu registrieren. Die Höchstdauer des Asylgrenzverfahrens beträgt zwölf Wochen ab dem Zeitpunkt der Registrierung. In dieser Frist ist auch ein mögliches Beschwerdeverfahren durchzuführen. Die Frist kann auf 16 Wochen verlängert werden, wenn die Person im Rahmen einer Solidaritätsmassnahme von einem anderen Staat übernommen wurde (Relocation). Nach Ablauf der Frist wird der asylsuchenden Person entweder die Einreise in das Hoheitsgebiet des EU-Staats gestattet oder sie wird im Rahmen des Rückkehrverfahrens an der EU-Aussengrenze weggewiesen (vgl. Art. 51 Abs. 2 der Asylverfahrensverordnung).
Sind die Voraussetzungen für die Durchführung des Asylgrenzverfahrens erfüllt, kann das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats ebenfalls an der EU-Aussengrenze oder in der Transitzone durchgeführt werden. Ebenso kann das Asylgrenzverfahren durchgeführt werden bei Personen, die im Rahmen einer Solidaritätsmassnahme von einem anderen EU-Mitgliedstaat übernommen wurden (Art. 52 der Asylverfahrensverordnung).
Das Asylgrenzverfahren wird bei unbegleiteten Minderjährigen grundsätzlich nicht angewendet. Davon ausgenommen sind Fälle, in denen die Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (Art. 53 Abs. 1 i. V. m. Art. 42 Abs. 3 Bst. b der Asylverfahrensverordnung). Die Asylverfahrensverordnung führt zusätzlich weitere Fälle auf, in denen das Asylgrenzverfahren nicht zur Anwendung kommt (besondere Aufnahme- oder Verfahrensbedürfnisse, medizinische Gründe usw.). In diesen Fällen wird die Einreise in den EU-Mitgliedstaat gestattet und das ordentliche Asylverfahren wird angewendet (vgl. Art. 53 Abs. 2 der Asylverfahrensverordnung).
Während des Asylgrenzverfahrens haben sich die Personen an der EU-Aussengrenze, in der Nähe der Transitzonen oder an speziell ausgewiesenen Orten im Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten aufzuhalten. Familien mit Minderjährigen sind in speziell auf ihre Bedürfnisse angelegten Aufnahmeeinrichtungen unterzubringen (vgl. Art. 55 der Asylverfahrensverordnung).
Muss eine asylsuchende Person zu einer medizinischen Behandlung oder einer Anhörung bei der Asylbehörde oder der Beschwerdeinstanz in den EU-Mitgliedstaat einreisen, gilt dies nicht als «Einreise» in das Hoheitsgebiet des EU-Mitgliedstaats (Art. 54 Abs. 5 der Asylverfahrensverordnung).
Der in der Überprüfungsverordnung (Art. 10) festgelegte Mechanismus zur Überwachung der Grundrechte (siehe dazu ausführlich Ziff. 6.5.2.3) findet ebenfalls Anwendung auf das Asylgrenzverfahren (Art. 43 Abs. 4 der Asylverfahrensverordnung).
Artikel 47 sieht vor, dass die Europäische Kommission im Rahmen eines Durchführungsrechtsakts gestützt auf eine festgelegte Formel (Abs. 4 von Art. 47 der Asylverfahrensverordnung) die Höchstzahl von Asylgesuchen festlegt, die ein EU-Mitgliedstaat pro Jahr im Rahmen des Asylgrenzverfahrens zu prüfen hat. EU-weit sollen jederzeit 30 000 Plätze für das Asylgrenzverfahren zur Verfügung stehen (Art. 46).
Sobald der EU-Staat diese Höchstzahl erreicht, ist er nicht mehr zur Anwendung des Asylgrenzverfahrens verpflichtet, bis die Zahlen wieder sinken.
4.5.2 Asylverfahren an einem Schweizer Flughafen, der eine Schengen-Aussengrenze bildet
Asylgesuche können an den internationalen Flughäfen von Genf und Zürich eingereicht werden (Art. 22-23 AsylG). Reicht eine Person ihr Asylgesuch an einem anderen Schweizer Flughafen ein, so wird sie in das nächstgelegene BAZ verlegt. Das Asylverfahren am Flughafen entspricht weitgehend dem ordentlichen nationalen Asylverfahren, es wird jedoch aufgrund der kürzeren Fristen rascher abgewickelt.
Der asylsuchenden Person wird innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Einreichung des Gesuchs eröffnet, dass ihr die Einreise in die Schweiz verweigert wird und dass sie für höchstens 60 Kalendertage der internationalen Transitzone des Flughafens Genf oder Zürich zugewiesen wird. Die asylsuchende Person wird auch darauf hingewiesen, dass sie gegen die Verweigerung der Einreise in die Schweiz bis zur Eröffnung des Asylentscheids (Art. 108 Abs. 4 AsylG) und gegen die Zuweisung zur internationalen Transitzone des Flughafens jederzeit (Art. 108 Abs. 5 AsylG) beim BVGer Beschwerde einreichen kann.
Asylsuchende werden innerhalb von zwei Tagen nach ihrer Ankunft am Flughafen von einer Rechtsvertretung kontaktiert. Während des Verfahrens werden sie in einer Unterkunft der internationalen Transitzone des Flughafens untergebracht.
Nach Erlass der Verfügung über die Einreiseverweigerung und die Zuweisung zur Flughafen-Transitzone organisiert das SEM für Asylsuchende eine Erstbefragung in Anwesenheit der Rechtsvertretung. Diese Befragung dient dazu, den rechtserheblichen Sachverhalt festzustellen, der es erlaubt, den für die Behandlung des Asylgesuchs zuständigen Dublin-Staat zu ermitteln. Der asylsuchenden Person wird das rechtliche Gehör gewährt, falls Zweifel hinsichtlich der Minderjährigkeit, der Staatsangehörigkeit oder der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats aufkommen (Dublin-Verfahren).
Nach der Erstbefragung werden unbegleitete Minderjährige unter 14 Jahren in das BAZ der betreffenden Region überstellt, wo gegebenenfalls ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird.
Wird das Flughafenverfahren weitergeführt, hat das SEM der asylsuchenden Person seinen Entscheid innerhalb von 20 Tagen ab Einreichung des Asylgesuchs zu eröffnen. Dabei kann es sich um einen Nichteintretensentscheid, einen negativen materiellen Entscheid oder eine Einreisebewilligung für die weitere Behandlung des Gesuchs in der Schweiz handeln.
Die Einreise kann bewilligt werden, wenn weitere Abklärungen erforderlich sind, für welche die Frist von 20 Kalendertagen nicht ausreicht, wenn der Vollzug der Wegweisung in den Heimatstaat oder in einen Drittstaat nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich ist oder wenn ein Dublin-Verfahren eingeleitet wurde, in dessen Rahmen eine Rückübernahme anvisiert werden kann, wobei die Antwort jedoch nicht innerhalb von 20 Kalendertagen eingetroffen ist.
Kann ein Entscheid nicht innerhalb der Frist von 20 Kalendertagen nach der Einreichung des Asylgesuchs getroffen werden, so erteilt das SEM die Bewilligung zur Einreise und weist die betreffende Person einem Kanton oder einem BAZ zu (Art. 23 Abs. 2 AsylG).
Bei einem im Flughafenverfahren getroffenen materiell ablehnenden Entscheid oder einem Nichteintretensentscheid beträgt die Frist für Beschwerden an das BVGer fünf Arbeitstage. Das BVGer entscheidet über entsprechende Beschwerden innerhalb von fünf Arbeitstagen.
Nach Eintritt der Rechtskraft des Asylentscheids wird die ausländische Person von den zuständigen kantonalen Behörden direkt ab Flughafen in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat oder in einen Drittstaat zurückgeführt oder nach Entscheideröffnung in den jeweiligen Vertragsstaat, der unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Dublin-Assoziierungsabkommen für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig ist.
Während des Flughafenverfahrens wird keine Administrativhaft angeordnet.
4.5.3 Vergleich der Gleichwertigkeit der Asylverfahren an der Schengen-Aussengrenze
Das europäische Asylgrenzverfahren an der Schengen-Aussengrenze unterscheidet sich namentlich in folgenden Punkten vom Schweizer Asylverfahren am Flughafen:
-
Zugelassener Personenkreis: Das europäische Asylgrenzverfahren wird nicht nur auf Personen angewendet, die das Asylgesuch an der Schengen-Aussengrenze oder in der Transitzone eingereicht haben, sondern auch auf Asylsuchende, die in Zusammenhang mit dem irregulären Überschreiten der Schengen-Aussengrenze festgenommen wurden, nach der Ausschiffung im Rahmen einer Such- und Rettungsaktion im Hoheitsgebiet eines EU-Staats ein Asylgesuch gestellt haben oder in einen anderen Dublin-Staat umgesiedelt wurden. Das Schweizer Asylverfahren am Flughafen richtet sich im Gegensatz dazu nur an Personen, die am Flughafen Zürich oder Genf ein Asylgesuch stellen.
-
Obligatorische Prüfung von Asylgesuchen an der Schengen-Aussengrenze: Die Asylverfahrensverordnung regelt die Fälle, in welchen das Asylgesuch obligatorisch an der Schengen-Aussengrenze zu prüfen ist (Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Anerkennungsquote unter 20 % usw.). Diese Unterscheidung findet in der Schweiz nicht statt. Das Asylverfahren wird in allen Fällen durchgeführt, unabhängig von beispielsweise der Anerkennungsquote. Lediglich unbegleitete Minderjährige unter 14 Jahren werden nach der Durchführung der Erstbefragung in das BAZ der betreffenden Region überstellt.
-
Unterschiedliche Dauer des Asylverfahrens: In der EU sind Asylgesuche innerhalb von fünf Tagen zu registrieren. Die Höchstdauer des Asylgrenzverfahrens inklusive des Beschwerdeverfahrens beträgt zwölf Wochen ab dem Zeitpunkt der Registrierung. Die Frist kann auf 16 Wochen verlängert werden. In der Schweiz dauert das Flughafenverfahren maximal 20 Kalendertage (nicht ganz drei Wochen). Die betroffene Person hält sich für maximal 60 Kalendertage (rund 8,5 Wochen) in der Transitzone des Flughafens Genf oder Zürich auf. In dieser Zeit wird das Dublin-Verfahren, das Beschwerdeverfahren und allenfalls auch das Wegweisungsverfahren durchgeführt. Das Schweizer Asylverfahren am Flughafen ist damit rund 1/3-mal schneller als dasjenige, das die EU vorsieht. Wird zum europäischen Asylgrenzverfahren von zwölf Wochen noch das Wegweisungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze von weiteren zwölf Wochen hinzugerechnet (Gesamtdauer 24 Wochen, ohne die Woche für die Registrierung), ist das neue europäische Asylgrenzverfahren fast dreimal so lang wie das bestehende Schweizer Flughafenverfahren.
-
Administrativhaft: Gestützt auf das neue Rückkehrverfahren an der Schengen-Aussengrenze kann bei abgewiesenen Asylsuchenden, bei denen Fluchtgefahr besteht, Administrativhaft angeordnet werden. Das Flughafenverfahren der Schweiz sieht ebenfalls die Möglichkeit vor, Administrativhaft anzuordnen, jedoch erst bei Personen mit einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid.
-
Keine festgelegten Jahreshöchstzahlen für die Prüfung von Asylgesuchen am Flughafen: Die EU sieht für die EU-Mitgliedstaaten Höchstzahlen vor für die Prüfung von Asylgesuchen an den Schengen-Aussengrenzen. Wenn die maximale Zahl erfüllt wurde, können ordentliche Asylverfahren angewendet werden. Das Schweizer Recht sieht dies nicht vor. Die Unterkünfte an den Flughäfen Genf und Zürich sind zwar faktisch beschränkt (Genf: Platz für 30 Personen, Zürich: Platz für 60 Personen), aber solange die Platzverhältnisse es zulassen, werden Asylverfahren am Flughafen durchgeführt. Eine fixe Quote, wie sie die EU vorsieht, gibt es in der Schweiz nicht.
Das europäische Asylgrenzverfahren und das Schweizer Flughafenverfahren sind folglich nicht gleichwertig. Das Schweizer Verfahren ist für einen anderen Personenkreis vorgesehen, ist schneller und sieht keine jährlichen Fixquoten vor.
Die EU wurde im Rahmen der Ausarbeitung dieser EU-Verordnung darüber informiert, dass die Schweiz über ein Asylverfahren an ihren Schengen-Aussengrenzen verfügt, das nicht mit dem EU-Asylgrenzverfahren gleichwertig ist. Würde man die europäischen Vorgaben umsetzen, würde sich das Wegweisungsverfahren ab Flughafen um mehrere Wochen verlängern. Zudem müsste die Administrativhaft angepasst werden, die in der Schweiz aufgrund der geografischen Lage und der Unterbringung in den Transitzonen der Flughäfen nicht notwendig ist. Die übrigen Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie, auf welche die EU-Verordnung verweist, hat die Schweiz bereits umgesetzt und wendet diese an. Sollten die Bestimmungen des Asylverfahrens am Flughafen künftig angepasst werden, müsste die Äquivalenzprüfung erneut durchgeführt werden.
4.6 Auswirkungen
Die Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung hat keine finanziellen Auswirkungen auf den Bund und die Kantone, da die Schweiz das in dieser EU-Verordnung vorgesehene Rückkehrverfahren an der Grenze nicht ins nationale Recht umsetzt.
4.7 Rechtliche Aspekte
4.7.1 Verfassungsmässigkeit
Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der vorliegenden EU-Verordnung stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für auswärtige Angelegenheiten zuständig ist.
Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren.
Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7 a Abs. 1 RVOG).
Im vorliegenden Fall fehlt es an einer besonderen gesetzlichen oder vertraglichen Ermächtigung für den Bundesrat; zudem handelt es sich nicht um einen Vertrag von beschränkter Tragweite. Somit ist die Bundesversammlung für die Genehmigung des vorliegenden Notenaustauschs zuständig.
Dieser Bundesbeschluss unterliegt dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. d Ziff. 3 BV). Die Schweiz hat, wie bereits ausgeführt (vgl. Ziff. 1.1.4), bis zum 17. Mai 2026 Zeit, das innerstaatliche Verfahren zur Übernahme der Verordnung abzuschliessen und die EU diesbezüglich über die Erfüllung aller verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zu informieren.
4.7.2 Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Mit der Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung als Schengen-Weiterentwicklung erfüllt die Schweiz ihre Verpflichtungen gegenüber der EU, die sie im Rahmen des SAA eingegangen ist. Sie muss die EU-Verordnung mangels der Gleichwertigkeit der Asylgrenzverfahren der EU und dem Flughafenverfahren der Schweiz jedoch nicht umsetzen.
Die Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung ist zudem mit den anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.
4.7.3 Erlassform
Die Übernahme der Rückkehrgrenzverfahrensverordnung stellt keinen Beitritt der Schweiz zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft dar. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des entsprechenden Notenaustauschs ist deshalb nicht dem obligatorischen Referendum nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV zu unterstellen.
Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.
Der vorliegende Notenaustausch wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit gekündigt werden und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch enthält die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung rechtsetzende Bestimmungen. Demzufolge ist der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.
Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).
4.7.4 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
Im Gesetzesentwurf sind keine Delegationen an den Bundesrat enthalten.
4.7.5 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Mit der Vorlage werden keine neuen Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.
4.7.6 Umsetzung ins nationale Recht
Die Rückkehrgrenzverfahrensverordnung ist ein detailliert ausgestalteter Rechtsakt des Europäischen Parlaments und des Rates. Er sieht ein neues Wegweisungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze vor für abgelehnte Asylsuchende, deren Gesuch an der Schengen-Aussengrenze nach den Vorgaben der Asylverfahrensverordnung bzw. gestützt auf äquivalentes nationales Recht abgelehnt wurde. Da das Schweizer Flughafenverfahren an der Schengen-Aussengrenze nicht äquivalent dem EU-Asylgrenzverfahren gestützt auf die Asylverfahrensverordnung (s. Ziff. 4.5.3) ist, ist die Schweiz nicht verpflichtet, die Bestimmungen dieser EU-Verordnung ins nationale Recht umzusetzen. Dies wurde von der Europäischen Kommission auch so bestätigt. Daher bedarf die Übernahme der Verordnung keiner Umsetzung im nationalen Recht.
5 Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der Eurodac-Verordnung
5.1 Ausgangslage
5.1.1 Handlungsbedarf und Ziele
Die Verordnung (EU) Nr. 603/2013 9⁰ , die für die Schweiz seit 2015 und in ihrer früheren Fassung seit 2008 in Kraft ist, ermöglicht die Erfassung der Fingerabdruckdaten von Asylsuchenden und Personen, die illegal in den Dublin-Raum eingereist sind. Diese Daten sind unabdingbar für die Anwendung der geltenden Dublin III-Verordnung. Mit der Totalrevision der Verordnung Nr. 603/2013 sollen der Umfang der erfassten Daten und deren Nutzung zu anderen Zwecken im Rahmen der allgemeinen Migrationspolitik der EU erweitert werden. Dies betrifft insbesondere die Rückkehr von illegal aufhältigen Personen und die Eindämmung der Sekundärmigration. Das Verfahren zum Erhalt von Daten durch die für die Sicherheit (Terrorismus, schwere Straftaten) zuständigen Behörden wird angepasst. Die Interoperabilität der EU-Systeme muss künftig auch das Eurodac-System umfassen.
Am 14. Mai 2024 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat der EU die Eurodac-Verordnung zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 603/2013. Diese Verordnung wurde der Schweiz am 17. Mai 2024 als Weiterentwicklung des Dublin-/Eurodac-Besitzstands notifiziert. Da die Schweiz sich im Rahmen des DAA grundsätzlich verpflichtet hat, alle Weiterentwicklungen des Dublin-/Eurodac-Besitzstands zu übernehmen und, soweit erforderlich, in das Schweizer Recht umzusetzen (Art. 1 Abs. 3 und Art. 4 DAA), hat der Bundesrat am 14. August 2024 beschlossen, diese EU-Verordnung unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsmässigen Voraussetzungen zu übernehmen (Art. 7 Abs. 2 Bst. b DAA).
Zudem enthält die Eurodac-Verordnung seit Juli 2013 Bestimmungen über den Zugriff der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden auf Eurodac-Daten. Der Zugang zu Eurodac zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken fällt nicht in den Geltungsbereich des DAA und stellt somit keine Weiterentwicklung des Dublin-/Eurodac-Besitzstands dar. Deshalb haben der Rat der EU und die Europäische Kommission den assoziierten Staaten und Dänemark aus Gründen der inneren Sicherheit vorgeschlagen, ein zusätzliches Abkommen abzuschliessen, damit diese Bestimmungen dennoch angewendet werden können. Das Eurodac-Protokoll wurde am 27. Juni 2019 in Brüssel unterzeichnet. Das Abkommen sieht für die Übernahme der geänderten Bestimmungen über den Zugang der Strafverfolgungsbehörden ein bestimmtes Verfahren zur Mitwirkung an der Ausarbeitung der Bestimmungen vor, das die Regeln des DAA übernimmt. Es kommt also das gleiche Verfahren zur Anwendung wie im ersten Absatz weiter oben beschrieben.
Neben den Fingerabdrücken enthält die Eurodac-Datenbank künftig auch das Gesichtsbild der verschiedenen Personenkategorien. Zudem wird der Datenkatalog des Eurodac-Systems erweitert (Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort usw.). Künftig wird das System auch neue Personenkategorien enthalten.
Die Inbetriebnahme des erneuerten Systems ist derzeit für Juni 2026 geplant.
9⁰ Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2014 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Grosssystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 1.
5.1.2 Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis
Anders als bei der Schengen-Zusammenarbeit sieht das DAA keine direkte Beteiligung der Schweiz an den Beratungen der EU-Organe vor. Die Schweiz kann jedoch ihr Mitspracherecht im Rahmen des Gemischten Ausschusses, der sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Europäischen Kommission und der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt, geltend machen. Die Neufassung der Eurodac-Verordnung wurde im Jahr 2016 mit einem neuen Antrag der Europäischen Kommission in Angriff genommen. 9¹ Die Arbeiten wurden jedoch unterbrochen. Im Rahmen des Entwurfs für den EU-Migrations- und Asylpakt wurde den europäischen Organen im September 2020 ein revidierter Antrag unterbreitet. Dieser Antrag stand in direktem Zusammenhang mit den Vorschlägen zur Neufassung der Dublin-Verordnung und dem neuen Solidaritätsmechanismus, der darin skizziert war. Die Revision der Eurodac-Verordnung erfolgte früher als andere Elemente des EU-Migrations- und Asylpakts. Dieses schrittweise Vorgehen war angezeigt, um politische Blockaden bei den Verhandlungen über den EU-Migrations- und Asylpakt zu vermeiden. Nach der politischen Einigung vom 22. Juni 2022 wurde am 12. Dezember 2022 das Verhandlungsmandat für die neue Eurodac-Verordnung durch den Europäischen Rat verabschiedet.
Die Schweiz war gemäss ihren Assoziierungsabkommen auf technischer Ebene nicht zu den Diskussionen betreffend Eurodac eingeladen. Hingegen war sie in der Regel in den Diskussionen auf Ministerstufe (JI-Rat) vertreten. Die jeweiligen Ratsvorsitzenden haben die assoziierten Staaten informell und in Echtzeit über den Stand der Gespräche in den Arbeitsgruppen informiert. Die Schweiz hat zudem schriftlich zur Anpassung der EU-Verordnung Stellung genommen und so ebenfalls ihr Mitwirkungsrecht ausgeübt.
Der Trilog konzentrierte sich besonders auf die neue Kategorie von Personen, die vorübergehenden Schutz geniessen. Das Europäische Parlament blieb gegenüber der Einbeziehung dieser Personenkategorie ablehnend eingestellt. Nach seiner Auffassung fallen Personen, die vorübergehenden Schutz geniessen, unter eine Nebenrichtlinie, und nicht unter die Gesetzgebung, die strikt an die Migrationssteuerung - den Hauptzweck von Eurodac - gebunden ist. Die Co-Gesetzgeber einigten sich schliesslich auf eine Speicherung der Daten von temporär Schutzberechtigten in Eurodac. Dies umfasst auch nationale Schutzstatus, die äquivalent zum temporären Schutzstatus der EU sind, wie der schweizerische Schutzstatus S in einem neuen Anwendungsfall.
Nach der Verabschiedung des Verhandlungsmandats des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE-Ausschuss) des Europäischen Parlaments am 22. Juni 2023 definierte der COREPER die Verhandlungsrichtlinien für den Trilog mit dem Europäischen Parlament. Im Rahmen des letzten Trilogs am 20. Dezember 2023 konnte ein Kompromiss gefunden werden. Der Verordnungstext wurde am 8. Februar 2024 vom COREPER und am 14. Februar 2024 vom LIBE-Ausschuss gutgeheissen. Der erzielte Kompromiss wurde vom Europäischen Parlament (Plenum) am 10. April 2024 und vom Ministerrat am 14. Mai 2024 gebilligt. Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands wurde der Schweiz am 17. Mai 2024 notifiziert.
Die Notifikation schloss für die Schweiz bestimmte Elemente der Eurodac-Verordnung aus, und dies ohne vorherige Information seitens der EU. In den Gesprächen mit der EU wurde für die für die Schweiz zentralen Elemente (Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu Eurodac-Daten, Abgleich der biometrischen Daten im Zentralsystem sowie Schengen-relevante Regelungen) eine weitere Notifikation in Aussicht gestellt. Am 12. Juni 2024 ist diese zweite Notifikation durch die EU erfolgt.
Die Gespräche mit der Europäischen Kommission haben hingegen gezeigt, dass eine Beteiligung der Schweiz an der Eurodac-Zusammenarbeit im Rahmen des vorübergehenden Schutzes und der Relocation bedingt, dass zusätzliche Abkommen mit der EU ausgehandelt und abgeschlossen werden.
9¹ KOM(2016) 272 endg.
5.2 Vernehmlassungsverfahren
5.2.1 Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse
Die Mehrheit der Kantone (AG, AI, AR, BE, BL, GL, GR, FR, JU, LU, NE, NW, OW, SG, SH, SO, TG, TI, UR, VD, VS, ZG und ZH), der Parteien und der interessierten Kreise (EVP, FDP, die Mitte, GLP, SP, KKPKS, KKJPD, SRK, VKM, EKM und IOM) begrüssen die Übernahme der Eurodac-Verordnung.
Die KKPKS und die KKJPD begrüssen, dass in Zukunft die biometrischen Daten von einer grösseren Anzahl von Personen, die illegal die Grenzen des Schengen-Raums überschreiten oder sich illegal in der Schweiz aufhalten, erfasst werden sollen. BE, BS, FR, GE, NW, SG, SO, TI, VD, KKPKS und KKJPD äussern sich besorgt über den Mehraufwand der kantonalen Vollzugsbehörden im Bereich der Datenerfassung (Eurodac und Überprüfungsverfahren) und über die Kosten.
Die SP kritisiert gewisse Aspekte von Eurodac, insbesondere die neuen Zwecke, das Risiko eines kriminalisierenden Profiling und die sicherheitsrelevanten Zugriffe, die wenig transparent geregelt seien. Sie schliesst sich in mehreren Punkten den Ansichten einiger Organisationen an. Die SVP lehnt den Entwurf bis auf diejenigen Elemente, die eine wirksame Bekämpfung der Sekundärmigration ermöglichen, ab und fordert eine flexible Umsetzung auf nationaler Ebene.
Die Mitte und mehrere Kantone begrüssen das reformierte Eurodac-System, das unter anderem bezweckt, die irreguläre Einwanderung in Schengen-Staaten verstärkt zu kontrollieren und die Identifizierung illegal anwesender Drittstaatsangehöriger und Staatenloser zu erleichtern. Die Anpassung des Verfahrens für den Erhalt von Eurodac-Daten zum Zweck der Verhütung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten analog dem Bereich der Strafverfolgung wird von mehreren Vernehmlassungsteilnehmern begrüsst.
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer (GE, SVP und die GRÜNEN) und interessierte Kreise (AsyLex, Solinetz Luzern, Solidaritätsnetz Bern, FPAZH, FPABS, HEKS, SolidaritéS, ODAGE, sosf, CSP, SGB, UNHCR, AICH, Bündnis Asyl, Caritas, elisa-asile, Pikett Asyl, Schweizer Bischofskonferenz, SFH, ZiAB und DJS) stehen der Übernahme der Eurodac-Verordnung sehr kritisch gegenüber. Einige lehnen die Übernahme dieser Weiterentwicklung des Dublin-Besitzstands sogar ganz ab. Die wichtigsten Kritikpunkte betreffen die neu erfassten Daten, die Herabsetzung des Alters für die Abnahme von Fingerabdrücken auf sechs Jahre, die neu vorgesehenen Personenkategorien, die Datenbekanntgabe an Drittstaaten im Rahmen der Rückkehr, die als zu lang erachtete Aufbewahrungsdauer der besonders schützenswerten Daten von Minderjährigen und das Verfahren für den Erhalt von Daten zu Sicherheitszwecken.
5.2.2 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
5.2.2.1 Abnahme von Fingerabdrücken und Gesichtsbild ab sechs Jahren
Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmer kritisieren, dass die Daten der verschiedenen Personenkategorien ab sechs Jahren in Eurodac erfasst werden. Darüber hinaus wird es als unverständlich erachtet, dass der Bundesrat in besonderen Fällen der Identifikation eine Datenerfassung bei noch jüngeren Kindern vorsieht.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat trägt den vorgebrachten Kritikpunkten Rechnung und gewährleistet im Hinblick auf Eurodac, dass die Abnahme der biometrischen Daten von Kindern, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das Alter von sechs Jahren erreicht haben, ohne Zwang oder unangemessene körperliche Eingriffe erfolgt. Im Fall einer Datenerfassung bei Kindern unter sechs Jahren ist festzuhalten, dass diese nicht in Eurodac, sondern in der schweizerischen AFIS-Datenbank erfolgt (Art. 99 Abs. 2 AsylG). Der Bundesrat verzichtet ausserdem auf die im Vorentwurf vorgesehene Möglichkeit, in Ausnahmefällen die Daten von Kindern unter sechs Jahren zwecks Identifizierung zu erfassen. Angesichts der zahlreichen vorgebrachten Kritikpunkte und des Umstands, dass die Schweiz im Asylbereich noch nie mit solchen Fällen konfrontiert war, wurde die entsprechende Delegation an den Bundesrat aus dem Entwurf gestrichen (Art. 99 Abs. 1 E-AsylG).
5.2.2.2 Datenschutz
Die meisten Kritikpunkte, welche die interessierten Kreise und einige Parteien wie die GRÜNEN und die SP vorgebracht haben, betreffen den Datenschutz und die Rechte der Betroffenen in Bezug auf die Kontrolle über die im neuen Eurodac-System erfassten Daten, einschliesslich des Datums der Ausreise aus dem Schengen-Raum. Die Interoperabilität und die zusätzlichen Zugriffe für Zwecke, die nicht dem Schutz einer Person oder der Bestimmung des für die Prüfung des Schutzgesuchs zuständigen Staats dienen, werden ebenfalls kritisch beurteilt oder gar abgelehnt.
Die neue Datenbank wird als Überwachungsmechanismus insbesondere in Bezug auf Sekundärmigration gesehen, und nicht als Hilfe zur Bestimmung des zuständigen Dublin-Staats. Einige Vernehmlassungsteilnehmer äussern Bedenken in Zusammenhang mit dem Risiko eines Profiling von Personen, und bestimmte neu im System enthaltene Informationen etwa zu Gefährlichkeit oder Waffenbesitz werden nicht gebilligt. Sie befürchten, dass sich diese Informationen auf andere Verfahren und insbesondere das Asylverfahren negativ auswirken könnten.
Die Erweiterung des Datenzugriffs, sei es für die Migrationsbehörden oder für Sicherheitszwecke, wird kritisiert. Ebenso die zu erstellenden Statistiken, wobei einige Organisationen Zweifel an der Anonymisierung der Daten äussern.
Im gleichen Kontext kritisieren zahlreiche Organisationen und einige Parteien, dass der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) künftig zur Verhütung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten auf Eurodac-Daten zugreifen kann. Ihrer Ansicht nach sollte der NDB nicht zum Zugriff auf solche Daten berechtigt sein, da er ein Nachrichtendienst und nicht im eigentlichen Sinn eine Strafverfolgungsbehörde sei.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat erinnert daran, dass der Datenschutz in der Verordnung (EU) 2024/1358 und im DSG klar geregelt ist. Das Recht auf Auskunft sowie auf Berichtigung und Löschung der erfassten Daten kann von der betroffenen Person jederzeit ausgeübt werden. Das Recht auf Information ist in den formellen Rechtsgrundlagen (DSG und Verordnung) ebenfalls vorgesehen. Die gesetzlichen Garantien für die Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten, wie sie im Rahmen von Eurodac und der Interoperabilität vorgesehen ist, sind also gegeben.
Die Eurodac-Datenbank erhält zwar neue Zwecke, sie kann aber nicht ein Mechanismus zur Überwachung von Personen sein. Es handelt sich um eine Migrationsdatenbank. Die Strafverfolgungsbehörden können nur unter ganz bestimmten Umständen Daten beantragen, nämlich zur Verhütung oder Aufdeckung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten, soweit ein übergeordnetes Interesse der öffentlichen Sicherheit besteht und davon ausgegangen wird, dass der Verdächtige, der Täter oder das Opfer einer Personenkategorie zugeordnet werden kann, die unter die Eurodac-Verordnung fällt. Dank der Interoperabilität lässt sich mittels Abfrage des CIR bestimmen, ob die gesuchte Person in Eurodac oder in einem anderen Schengen-System bekannt ist. Ist dies der Fall, wird ein Antrag auf Erhalt der Daten bei fedpol gestellt. Diese prüft, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Sicherheitsrelevante Angaben wie die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder der Umstand, dass die betreffende Person bewaffnet oder gewalttätig ist, sind in der Eurodac-Verordnung definierte Begriffe. Diese werden jedoch in Durchführungsverordnungen präzisiert und in nationales Recht umgesetzt. Die Behörde darf nur dann eine Sicherheitskennzeichnung vornehmen, wenn die Person gewalttätig oder unrechtmässig bewaffnet ist oder wenn eindeutige Hinweise darauf vorliegen, dass die Person an einer Straftat im Sinne der Richtlinie (EU) 2017/541 9² des Europäischen Parlaments und des Rates oder an einer Straftat im Sinne des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI 9³ des Rates beteiligt ist. Bei der Beurteilung, ob eine Person unrechtmässig bewaffnet ist, gilt es festzustellen, ob die Person eine Feuerwaffe ohne gültige Erlaubnis oder Genehmigung oder eine andere Art verbotener Waffe im Sinne des nationalen Rechts mitführt.
Die in der neuen Eurodac-Verordnung vorgesehenen Statistiken werden anonymisiert. Zudem besteht eine wesentliche Änderung in der Datenbank darin, dass die einer Person entsprechenden Datensätze miteinander verknüpft werden (z. B. eine aus Seenot gerettete Person mit Kategorie «Asylgesuch» und Kennzeichnung «Schutzgewährung»).
Die neu für Behörden vorgesehenen Zugriffe betreffen im Wesentlichen die Visumbehörden und die nationale ETIAS-Stelle, zur Erfüllung ihrer Aufgaben in Zusammenhang mit der Einreise für einen kurzfristigen Aufenthalt. So wird beispielsweise ersichtlich sein, ob eine Person, die in den Schengen-Raum einreisen will, wegen der Teilnahme an einem Resettlement-Programm oder aus einem anderen Grund in Eurodac erfasst worden ist.
Der NDB ist mit der Verhütung und Aufdeckung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten beauftragt. Er kommt vor der Einleitung eines Strafverfahrens zum Einsatz. Als Teil des schweizerischen Sicherheitsdispositivs ist er künftig zum Erhalt von Eurodac-Daten berechtigt, und dies im sehr begrenzten Rahmen der Verhütung schwerer Straftaten nach Artikel 5 der neuen Eurodac-Verordnung. Daher bleiben die genannten Bestimmungen unverändert.
9² Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates, ABl. L 88 vom 31.3.2017, S. 6.
9³ Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten - Stellungnahmen bestimmter Mitgliedstaaten zur Annahme des Rahmenbeschlusses, ABl. L 190 vom 18.7.2002, S 1; zuletzt geändert durch Rahmenbeschluss 2009/299/JI, ABl. L 81 vom 27.3.209, S. 24.
5.2.2.3 Vertrauensperson für unbegleitete Minderjährige bei der Eurodac-Erfassung
Die Kantone müssen neu bereits bei der Erfassung von Eurodac-Daten eine Vertrauensperson bestimmen. Stellen illegal anwesende Ausländerinnen und Ausländer oder Sans-Papiers kein Asylgesuch, müssen die Kantone die biometrischen Daten in Eurodac erfassen. Bei unbegleiteten Minderjährigen ist eine Vertrauensperson zu bestimmen. Nach Ansicht mehrerer Kantone soll das BAZG (Grenzwachtkorps) den entsprechenden Kanton kontaktieren können, damit eine Person bestimmt wird, die bei der Datenerfassung in Eurodac anwesend ist. Eine Überstellung der Minderjährigen in den Kanton wird nicht gewünscht. Im Allgemeinen sehen die Kantone in dieser zusätzlichen Verpflichtung eine Belastung und Verlangsamung der Verfahren.
Einige Kantone sind wie die VKM der Ansicht, dass BAZ, die über Vertrauenspersonen verfügen, sich auch um diese Fälle kümmern sollen. Einige erachten die Anwesenheit einer Vertrauensperson als nicht nötig, diese könne nach der Datenerfassung bestimmt werden. Ein Kanton regt an, dass der Bund selber eine Vertrauensperson bestimmen solle.
Haltung des Bundesrates
Eine Vertrauensperson zur Unterstützung von unbegleiteten Minderjährigen kann nicht mehr wie heute nur im Rahmen des Wegweisungsverfahrens bestimmt werden (Art. 64 Abs. 4 und 64 a Abs. 3bis AIG). Die Bestimmung einer Vertrauensperson sollte in Zusammenhang mit der Erfassung von Eurodac-Daten vorgesehen werden, unabhängig davon, ob diese im Rahmen der Überprüfung erfolgt oder nicht. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass mit der obligatorischen Anwesenheit einer Vertrauensperson ein Zusatzaufwand verbunden ist, sofern nicht bereits eine offizielle Rechtsvertretung bestimmt worden ist.
Die zuständigen kantonalen Behörden üben auf ihrem Gebiet die Personenkontrolle aus, vorbehaltlich der Zuständigkeiten des Grenzwachtkorps (Art. 9 AIG). Der Kanton, in dessen Hoheitsgebiet die ausländische Person aufgegriffen wird, bestimmt auf der Grundlage des Bundesrechts eine Vertrauensperson, wenn die Errichtung eines Mandats gestützt auf das Zivilgesetzbuch 9⁴ nicht rasch erfolgen kann. Für die Bestimmung einer Vertrauensperson sind die kantonalen Migrations- und Kindesschutzbehörden zuständig. Die Kantone können mit dem BAZG vereinbaren, wie die Fälle von unbegleiteten Minderjährigen, die sich unrechtmässig in der Schweiz aufhalten und vom BAZG aufgegriffen werden, in organisatorischer Hinsicht zu behandeln sind. Personen, die ein Asylgesuch einreichen, fallen in die Zuständigkeit des Bundes. Sie werden einem BAZ zugewiesen, das bei Bedarf eine Vertrauensperson bestimmt.
9⁴ SR 210
5.2.2.4 Mehraufwand für die Kantone
Die Kantone unterstreichen generell den Mehraufwand aufgrund der neu zu erfassenden Daten und des Umstands, dass künftig auch die biometrischen Daten der illegal in der Schweiz anwesenden Personen erfasst werden müssen. Diese zusätzlichen Aufgaben haben finanzielle Auswirkungen, und einige Kantone möchten diese Fragen in der KKJPD erörtern. Verschiedene Kantone möchten einen finanziellen Ausgleich.
Haltung des Bundesrates
Der Bund übernimmt die Kosten in Zusammenhang mit dem IT-Projekt Eurodac. Es ist aber tatsächlich so, dass die neuen Eingaben und zusätzlichen Daten mit einem höheren Aufwand bei den Kantonen oder beim BAZG verbunden sind. Da die Ausrüstung für die Biometrieerfassung bereits vorhanden ist, dürften für die Kantone keine nennenswerten Kosten entstehen. Die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen ermöglicht jedoch nicht eine generelle Übertragung dieser Aufgaben an den Bund. Das BAZG führt dennoch im Rahmen seiner zollrechtlichen Aufgaben bestimmte Überprüfungen durch und nimmt dabei auch bestimmte obligatorische Eingaben in Eurodac vor. Die Finanzierung der zusätzlichen Aufgaben obliegt in erster Linie den Kantonen.
5.2.2.5 Möglichkeit, Treffer bei biometrischen Daten überprüfen zu lassen
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer merken an, dass aus den Bestimmungen im Vorentwurf nicht klar hervorgehe, wann eine Überprüfung der Fingerabdrücke durch eine Expertin oder einen Experten für biometrische Daten erfolge. Umso wichtiger sei es, dass für die manuelle Überprüfung von Gesichtsbildern und Fingerabdrücken hohe Qualitätsanforderungen gelten und dass klare Beschwerde- und Berichtigungsmöglichkeiten vorgesehen werden für den Fall, dass die Übereinstimmungen von der betreffenden Person bestritten oder in Frage gestellt werden.
Haltung des Bundesrates
Dank technischer Fortschritte beim Abgleich von Fingerabdruckdaten wird nicht mehr jedes Mal eine Überprüfung durch eine Expertin oder einen Experten für biometrische Daten erforderlich sein. Eine Überprüfung erfolgt in Fällen, in denen der verwendete Algorithmus nicht mit Sicherheit auf eine Übereinstimmung schliessen kann und das geschulte Auge der Expertin oder des Experten für biometrische Daten benötigt wird (vgl. Ziff. 5.5.2.4).
Aufgrund der geäusserten Kritik schlägt der Bundesrat vor, dass das SEM eine Überprüfung der biometrischen Daten durch eine Expertin oder einen Experten anordnet, wenn ein nicht von einer Fingerabdruckexpertin oder einem Fingerabdruckexperten überprüfter Eurodac-Treffer bestritten wird und wenn Zweifel an der Genauigkeit des Verfahrens zur Abnahme von Fingerabdrücken sowie an der tatsächlichen Übereinstimmung der Daten aufkommen (Art. 109 l quinquies Abs. 4 E-AIG und 102 a quinquies Abs. 4 E-AsylG). Das SEM kann ausserdem in jedem Fall weitere Überprüfungen verlangen, wenn es dies für notwendig erachtet. Zudem kann jederzeit eine Intervention nach Artikel 49 DSG erfolgen. Nach einer Anzeige durch eine Person, die genügend Anzeichen hat, dass eine Datenbearbeitung gegen die Datenschutzvorschriften verstösst, kann beim EDÖB eine Untersuchung beantragt werden.
Darüber hinaus wurde die Bestimmung des AsylG zum automatischen Abgleich in Eurodac präzisiert, um besser zu ermitteln, welche Abgleiche bei der Eingabe von Daten aus dem Asylbereich in Eurodac stattfinden (Art. 102 a ter Abs. 6 und 7 E-AsylG). Diese Präzisierungen ergeben sich aus der Eurodac-Verordnung.
5.2.3 Anpassung der Vorlage
5.2.3.1 Gestützt auf die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
Der Entwurf des Bundesbeschlusses hat aufgrund der Rückmeldungen in der Vernehmlassung verschiedene Anpassungen erfahren. Die nachfolgend genannten Artikel wurden geändert:
Art. 109lquinquies Abs. 4 E-AIG und Art. 102aquinquies Abs. 4 E-AsylG
Das SEM muss künftig Fingerabdruckexperten beiziehen, wenn das von Eurodac gelieferte Ergebnis bestritten wird und es Hinweise gibt, die Zweifel an der tatsächlichen Übereinstimmung der Daten oder an der Richtigkeit der Erfassung biometrischer Daten aufkommen lassen und wenn die Eurodac-Übereinstimmung nur automatisiert und ohne Beizug einer Fingerabdruckexpertin oder eines Fingerabdruckexperten bestätigt wurde. Diese Neuerung wird vorgeschlagen, da künftig Fingerabdruckvergleiche und die Feststellung eines Treffers hauptsächlich durch einen automatisierten Mechanismus und nicht mehr durch natürliche Personen erfolgen (vgl. Ziff. 5.5.2.4).
Art. 102ater Abs. 6 und 7 E-AsylG
Es wurde präzisiert, in welchen Fällen anlässlich einer Datenerfassung kein oder ein eingeschränkter automatischer Abgleich in Eurodac erfolgt. Diese Präzisierung stützt sich auf die Eurodac-Verordnung und muss ins nationale Recht umgesetzt werden.
Art. 99 Abs. 1 E-AsylG
Auf die Delegation an den Bundesrat, wonach dieser in bestimmten Fällen die Abnahme der Fingerabdrücke und des Gesichtsbilds von Kindern unter 6 Jahren vorsehen kann, wurde verzichtet (siehe Ziff. 5.2.2.1).
5.2.3.2 Unabhängig vom Vernehmlassungsverfahren
Mehrere Artikel des Bundesbeschlusses zu Eurodac wurden ohne besonderen Zusammenhang mit dem Vernehmlassungsverfahren leicht geändert oder neu in den Entwurf aufgenommen. Dies gilt für die Artikel 1 Absatz 2 (Geltungsbereich) und 15 BGIAA (Bekanntgabe ins Ausland), Artikel 109 l ter E-AIG und 102 c bis E-AsylG (
Aus
füh
rungs
bestimmungen zu
Eurodac) sowie Artikel 354 Absatz 3 StGB (System AFIS).
Einige Artikel des AIG und des BGIAA in der Fassung IOP sind in Bezug auf bestimmte Verweise zu ändern (siehe Kapitel zum Koordinationsbedarf). Die erforderlichen Änderungen werden im Rahmen des Bundesbeschlusses zu Eurodac vorgenommen, da sich dieser ausschliesslich auf die in der Vorlage zur Interoperabilität vorgesehenen Änderungen dieser Gesetze stützt.
Darüber hinaus werden die vorgesehenen Kompetenzdelegationen an den Bundesrat leicht geändert: Die Verantwortung für die Datenbearbeitung wird nicht mehr erwähnt, da diese Frage mit der Umsetzung der Interoperabilität in Artikel 19 Absatz 1bis Buchstabe h des Verantwortlichkeitsgesetzes 9⁵ geregelt sein wird. Zudem ist der zu definierende Kreis der zugriffsberechtigten Behörden insofern restriktiver formuliert, als nur die Einheiten der Behörden mit Direktzugriff auf die Daten des Systems definiert werden sollen (Art. 109 l ter Bst. a E-AIG und Art. 102 c bis Bst. a E-AsylG).
Ebenso wird im Strafgesetzbuch (StGB), das die Datenbank AFIS regelt, neu das BGIAA als Nebengesetz erwähnt, das die mit den AFIS-Daten verknüpften Personendaten regelt. Die Übermittlung personenbezogener und biometrischer Daten an das Eurodac-System bedingt, dass bestimmte Daten im ZEMIS gespeichert werden.
Da die Fussnoten in Artikel 110 Absatz 1 E-AIG sowie die Fussnoten im Einleitungssatz von Artikel 16 a Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 2008 9⁶ über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI) im Rahmen der Umsetzung der Verordnung (EU) 2024/1356 aktualisiert werden (Überprüfungsverordnung; siehe Ziff. 6.6.2 und 6.6.3), ist es nicht notwendig, sie im Rahmen der neuen Eurodac-Verordnung gesondert zu aktualisieren.
Um die Konformität des Eurodac-Projekts mit der künftigen Umsetzung des Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Abkommens zwischen der Schweiz und der EU zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (Prümer Zusammenarbeit) und des Eurodac-Protokolls zwischen der Schweiz, der EU und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend den Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke 9⁷ (nachfolgend «Vorlage Prüm») zu gewährleisten, sowie in Anbetracht der Verabschiedung der Botschaft 9⁸ zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) 9⁹ , in dem eine Totalrevision des Schengen-Informationsaustausch-Gesetzes vom 12. Juni 2009 10⁰ (SIaG) vorgeschlagen wird, sollen neu Artikel 109 l quater Absatz 5 E-AIG und Artikel 102 a quater Absatz 5 E-AsylG eingeführt werden. Diese präzisieren die Begriffe «terroristische Straftaten» und «schwere Straftaten», die in Artikel 109 l quater Absatz 1 E-AIG und Artikel 102 a quater Absatz 1 E-AsylG enthalten sind.
9⁵ BBl 2021 674
9⁶ SR 361
9⁷ BBl 2021 2332
9⁸ BBl 2024 2359
9⁹ BBl 2024 2360
10⁰ SR 362.2
5.3 Grundzüge der EU-Verordnung
Das neue Eurodac-System ist ein nützliches Instrument in verschiedenen Verfahren. In erster Linie dient es zur Bestimmung des Dublin-Staats, der für die Prüfung eines Asylgesuchs zuständig ist. Künftig ist es auch für das Verfahren zur Neuansiedlung von Flüchtlingsgruppen (Resettlement) gemäss der Neuansiedlungsverordnung von Nutzen. Es soll auch im ausländerrechtlichen Verfahren genutzt werden, sofern die betreffende Person sich illegal im Dublin-Raum aufhält. Zudem muss künftig die Gewährung des vorübergehenden Schutzes gemäss der Massenzustrom-Richtlinie im System ersichtlich sein. Der Umstand, dass eine Person aus Seenot gerettet wurde, ist ebenfalls in Eurodac einzugeben.
Mit der neuen Verordnung werden auch die Verordnungen (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/818 geändert. Die geänderte Verordnung (EU) 2018/1240 sieht vor, dass das ETIAS-System seine Daten automatisch mit den Daten von Eurodac abgleicht. Ausserdem wird die nationale ETIAS-Stelle künftig bei Treffern einen schreibgeschützten Zugriff auf Eurodac erhalten. Und schliesslich muss ETIAS unabhängig von der Einführung der Interoperabilität mit Eurodac oder dem ECRIS-TCN betriebsbereit sein.
In der Verordnung (EU) 2019/818 wird neu erwähnt, dass die benannten Behörden nach Artikel 6 der Eurodac-Verordnung auch die «benannten Behörden» im Sinne dieser Verordnung sind. Zudem werden hier die von der Interoperabilität betroffenen Eurodac-Daten bestimmt.
Die neue Fassung der Verordnung lässt sich in folgenden Punkten zusammenfassen:
-
Neue Zwecke des Eurodac-Systems: Der wichtigste Zweck von Eurodac bleibt die Durchführung der Dublin-Verfahren, das heisst der neuen Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement, wie in Artikel 27 Absatz 5 der Verordnung vorgesehen. Eurodac soll aber auch dazu beitragen, das Dublin-Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, indem jeder Dublin-Verfahrensschritt in Eurodac abgebildet wird. Zudem soll Eurodac mithelfen, die irreguläre Einwanderung in die EU verstärkt zu kontrollieren, indem die Daten der illegal Einreisenden nicht nur in Eurodac gespeichert, sondern automatisch mit dem vorhandenen Datenbestand abgeglichen werden. Ausserdem soll die illegale Migration innerhalb der EU kontrolliert und unterbunden werden, indem die biometrischen Daten der Personen mit irregulärem Aufenthalt ebenfalls in Eurodac mit dem vorhandenen Datenbestand abgeglichen und neu gespeichert werden. Diese Ziele ergänzen die Ziele der neuen Überprüfungsverordnung (vgl. Ziff. 6). Die Schaffung des Migrations- und Asylpakts und der dazugehörenden Verordnungen mit dem Ziel, den Asyl- und Migrationsbereich auf europäischer Ebene zu reformieren, hat zudem die damals bereits laufende Revision der Eurodac-Verordnung beeinflusst. Das Bestreben nach einer nachhaltigeren Asylpolitik, die auf Solidarität und geteilter Verantwortung basiert, geht einher mit dem Willen, Sekundärmigration in der EU zu verhindern. Ausserdem besteht weiterhin ein Sicherheitsziel. Die Nutzung der Eurodac-Daten zu diesem Zweck ist gewährleistet.
-
Neue Personenkategorien: Um die genannten Ziele und insbesondere eine bessere Verteilung der Verantwortung unter den Dublin-Staaten zu erreichen, werden künftig die Daten von neuen Personenkategorien erfasst. Derzeit müssen Personen, die internationalen Schutz beantragen, und Personen, die illegal in den Schengen-Raum eingereist sind, ihre Fingerabdrücke abnehmen lassen. In Zukunft werden auch die Personendaten - einschliesslich der biometrischen Daten - von illegal aufhältigen Personen, Resettlement-Flüchtlingen und Personen, die vorläufigen Schutz geniessen, abgenommen und im Zentralsystem erfasst. Das Gleiche gilt für Personen, die aus Seenot gerettet wurden. Die Registrierung einer Person als Antragstellerin oder Antragsteller auf internationalen Schutz befreit die Dublin-Staaten jedoch nicht von der Pflicht, diese allenfalls in erster Linie als Person zu registrieren, die einer anderen Kategorie angehört (Seenotrettung oder illegaler Aufenthalt).
-
Interoperabilität: Das Informationssystem Eurodac soll ein integrierender Bestandteil der Interoperabilität und ihrer IT-Architektur werden und somit auch in anderen Verfahren beispielsweise in Zusammenhang mit den Systemen VIS, ETIAS und EES von Nutzen sein.
Dies bedeutet, dass bei der Datenerfassung oder der Aktualisierung einer Eurodac-Datei, die bestimmte Mindestdaten enthält, verschiedene EU-Systeme (EES, VIS, ETIAS, SIS und für die EU-Staaten ECRIS-TCN) abgefragt werden anhand der biometrischen Daten, der Identitätsdaten und der Daten des Reisedokuments. Zudem stehen die Daten des Detektors für Mehrfachidentitäten (MID) und des gemeinsamen Speichers für Identitätsdaten (CIR) neu auch den Behörden zur Verfügung, die für die Datenerfassung in Eurodac zuständig sind. Die Strafverfolgungsbehörden werden über den CIR ebenfalls auf Eurodac-Daten zugreifen können. Die Interoperabilitätsverordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 werden voraussichtlich im Jahr 2026 angewendet. Die anschliessende Anwendung der revidierten Eurodac-Verordnung wird gleichzeitig mit der Inbetriebnahme des interoperablen Eurodac-Systems erfolgen. Somit wird Eurodac aus einem Zentralsystem und aus dem CIR bestehen, der mit der Verordnung (EU) 2019/818 eingeführt wurde und der eine zentrale computergestützte Datenbank nutzt, die biometrische Daten und alphanumerische Daten umfasst.
-
Beibehaltung des Grundsatzes, dass der Schutz der betroffenen Person vorrangig zu gewährleisten ist: Wenn übereinstimmende biometrische Daten darauf hinweisen, dass ein Asylgesuch in der EU gestellt worden ist, stellt der Mitgliedstaat, der die Abfrage vorgenommen hat, sicher, dass systematisch nach dem Dublin-Verfahren vorgegangen wird. Der Eurodac-Abgleich soll in erster Linie gewährleisten, dass keine Person, die internationalen Schutz beantragt, entgegen dem Non-Refoulement-Prinzip in ihren Herkunftsstaat oder einen Drittstaat weggewiesen wird, ohne dass ihr Asylgesuch vom zuständigen Dublin-Staat geprüft worden ist.
-
Erfassung des Gesichtsbilds und besondere Regelung für Minderjährige: Von allen in Eurodac registrierten Personen ab sechs Jahren, und nicht mehr erst ab 14 Jahren, wird neben den Fingerabdrücken neu auch das Gesichtsbild abgenommen. Es ist auch eine besondere Regelung vorgesehen für die Vertretung von Minderjährigen und die Ausbildung des Personals, das die Fingerabdrücke und das Gesichtsbild abnimmt. Die Pflicht zur Abnahme und Übermittlung des Gesichtsbilds an das Eurodac-Zentralsystem dient zu dessen Abgleich zusammen mit den Fingerabdrücken oder separat, falls die Fingerabdrücke nicht verwendet werden können. Die Erfassung der Gesichtsbilddaten im Zentralsystem sollte langfristig Abfragen über eine Software zur Gesichtserkennung ermöglichen. Die Staaten werden weiterhin zehn Fingerabdrücke abnehmen. Anders als bei der Regelung für das VIS ist dafür kein Höchstalter vorgesehen.
Zur Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten können die benannten Behörden von EAZ fedpol Daten neu aufgrund eines Abgleichs von Gesichtsbilddaten einholen, sofern die Fingerabdrücke nicht verwendet werden können. Das Ergebnis dieses Abgleichs ist von Expertinnen und Experten für biometrische Daten zu prüfen.
-
Datenbekanntgabe: Die neue Eurodac-Verordnung sieht neue Bestimmungen zur Bekanntgabe von Daten an Drittstaaten, private Stellen oder internationale Organisationen vor (Art. 49 und 50). Die Datenbekanntgabe im Rahmen der Personenidentifikation zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist neu zulässig, da sie in Einklang mit dem neuen Zweck der Verordnung steht. Die betroffene Person darf jedoch wegen der Datenbekanntgabe keinesfalls einer Gefahr ausgesetzt werden. Durch diesen zusätzlichen Informationsaustausch mit Drittstaaten in bestimmten Fällen wird Eurodac in Bezug auf die Funktionsweise mit anderen Datenbanken wie VIS, ETIAS und EES, für die ähnliche Bestimmungen zum Datenaustausch insbesondere zum Zweck der Rückführung gelten, vereinheitlicht.
-
Neu in Eurodac erfasste Daten: Die revidierte Eurodac-Verordnung sieht die Erfassung neuer Daten oder Informationen für alle Personenkategorien, einschliesslich Personen in einem Resettlement-Verfahren (Aufnahme von Flüchtlingsgruppen) vor. Dabei geht es vor allem darum, ein umfassenderes Bild der im System erfassten Personen zu erhalten. Dem Sicherheitsaspekt ist ebenfalls Rechnung zu tragen. Deshalb muss das System auch Angaben über eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit enthalten, insbesondere in Zusammenhang mit der Analyse, die im Rahmen der Überprüfungsverordnung erfolgt ist.
-
Verknüpfung zwischen Datensätzen und Statistiken: Die verschiedenen Datensätze der betreffenden Personen werden miteinander verknüpft. Die Statistiken sind dadurch anschaulicher und stärker auf die einzelnen Personen bezogen. In diesem Zusammenhang wird auch eine verweigerte Schutzgewährung im System erfasst. Bei der Löschung eines Datensatzes in Eurodac werden auch alle verknüpften Datensätze gelöscht. Zudem soll eu-LISA in die Lage versetzt werden, mit den Daten der Systeme EES, VIS und ETIAS systemübergreifende Statistiken zu erstellen. Diese Statistiken werden der Europäischen Kommission sowie EUAA und Frontex zugänglich sein. Die Europäische Kommission muss ihren Inhalt festlegen. Dazu erhält sie Delegationsbefugnisse.
-
Aufbau und operative Verwaltung des Zentralsystems: Die Kommunikationsinfrastruktur wurde angepasst, damit das Zentralsystem das Netzwerk «EuroDomain» nutzen kann. Dies wird zu erheblichen Skaleneffekten führen. Die operative Verwaltung des Netzwerks «DubliNet» als separate Kommunikationsinfrastruktur für die Zwecke der Dublin-Verordnung wurde ebenfalls in die Systemarchitektur integriert. Dadurch ist die Übertragung der finanziellen wie auch operativen Verwaltung an eu-LISA gewährleistet.
5.4 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der Eurodac-Verordnung
Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen
Art. 1
Aufgabe von «Eurodac»
Neben den bisherigen Aufgaben soll Eurodac neu auch dazu dienen, Neuansiedlungspläne zu unterstützen (Abs. 1 Bst. b) und die Kontrolle der irregulären Zuwanderung in den Schengen-Raum, die Aufdeckung von Sekundärbewegungen und die Identifizierung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und Staatenloser zu erleichtern (Abs. 1 Bst. c). Zudem soll sie auch zur Unterstützung des Schutzes von Kindern dienen, insbesondere auch im Rahmen der Strafverfolgung (Abs. 1 Bst. d). Durch die Speicherung von biometrischen Daten sowie Daten zur Identität und zu Reisedokumenten im CIR soll die Identifizierung von in Eurodac erfassten Personen unterstützt werden (Abs. 1 Bst. f). Zusätzlich soll Eurodac auch die Ziele des ETIAS (Abs. 1 Bst. g) und des VIS (Abs. 1 Bst. h) sowie die Politikgestaltung durch die Erstellung von Statistiken unterstützen (Abs. 1 Bst. i). Schliesslich soll Eurodac neu auch der Umsetzung der Massenzustrom-Richtlinie dienen (Abs. 1 Bst. j).
Absatz 2 verweist neu auf die in den Verordnungen (EU) 2018/1240, (EU) 2019/818, (EG) Nr. 767/2008, der Massenzustrom-Richtlinie, der AMMR-Verordnung und der Neuansiedlungsverordnung genannten Zwecke und schränkt sich in Bezug auf die Datenverarbeitung ein. Er erwähnt zudem die Achtung der Grundrechte, der Menschenwürde und des Non-Refoulement-Gebots. Ausserdem darf die Verarbeitung personenbezogener Daten in Anwendung der Verordnung nicht zu Diskriminierung führ
en
.
Art. 2
Begriffsbestimmungen
Es werden neben den heute bereits bestehenden Definitionen der Eurodac-Verordnung neue Begriffsbestimmungen aufgenommen. Dazu gehört beispielsweise die Definition von biometrischen Daten (Abs. 1 Bst. s) und von alphanumerischen Daten (Abs. 1 Bst. t). Die zehn flachen Fingerabdrücke sind künftig zwingend bei allen Personenkategorien abzunehmen. Die Schweiz nimmt diese bereits heute ab. Ausserdem wird der Begriff des illegalen Aufenthalts definiert (Abs. 1 Bst. g). Auch andere Begriffe wie «Identitätsdaten» (Abs. 1 Bst. x) und «Datensatz» (Abs. 1 Bst. y) werden definiert.
Art. 3
Aufbau des Systems und Grundprinzipien
Heute besteht Eurodac aus dem Zentralsystem, einem Notfallplan, einem Notfallsystem und einer Kommunikationsinfrastruktur zwischen dem Zentralsystem und den Mitgliedstaaten. Neu beinhaltet Eurodac zusätzlich auch einen Teil des CIR gemäss der Verordnung (EU) 2019/818 (Abs. 1 Bst. c) und eine sichere Kommunikationsstruktur zwischen dem Zentralsystem und den zentralen Infrastrukturen des Europäischen Suchportals (ESP) und des CIR gemäss der Verordnung (EU) 2019/818 (Abs. 1 Bst. d).
Zudem wird präzisiert, welche Daten im CIR gespeichert werden (Abs. 2). Dazu gehören Fingerabdrücke, Gesichtsbild, Name, Vorname, frühere Namen, Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum, Geburtsort, Geschlecht und falls vorhanden die Art und Nummer des Ausweises oder des Reisedokuments sowie das Ablaufdatum des Reisedokuments. Die anderen Eurodac-Daten werden nur im Zentralsystem von Eurodac gespeichert. Auch wird festgelegt, dass die Eurodac-Kommunikationsinfrastruktur das bestehende Netz «Transeuropäische Telematikdienste zwischen Verwaltungen» (TESTA) nutzen wird. Personenbezogene Daten, die an oder von Eurodac übermittelt werden, werden verschlüsselt (Abs. 3).
Weiter soll jeder Mitgliedstaat über eine einzige nationale Zugangsstelle verfügen (Abs. 4). In der Schweiz wird diese Aufgabe durch das SEM wahrgenommen. Europol verfügt über eine einzige Europol-Zugangsstelle.
Absatz 5 bleibt unverändert und entspricht dem geltenden Artikel 3 Absatz 3. Die Verweise wurden angepasst.
Alle in Eurodac registrierten Datensätze, die ein und demselben Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen entsprechen, werden nacheinander verknüpft (Abs. 6). Eurodac verknüpft diese Datensätze automatisch auf der Grundlage des Vergleichs der Fingerabdrücke oder Gesichtsbilder. Erforderlichenfalls wird der Vergleich der Fingerabdrücke von einem Fingerabdruckexperten gemäss den Artikeln 27 und 28 überprüft und bestätigt (siehe dazu Kommentar von Art. 38). Bestätigt der empfangende Mitgliedstaat den Treffer, so übermittelt er eine Mitteilung an eu-LISA, die die Verknüpfung bestätigt.
Absatz 7 entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 3 Absatz 4 und erfährt keine Änderung. Die besonderen Vorschriften betreffend Eurodac gelten für die Übermittlung von Daten an das Zentralsystem bis zum Erhalt der Ergebnisse des Abgleichs.
Art. 4
Betriebsmanagement
Artikel 4 entspricht dem bis anhin geltenden Artikel 4. Neu soll eu-LISA, die bereits heute für das Betriebsmanagement von Eurodac zuständig ist, namentlich in der Eurodac-Verordnung erwähnt werden (Abs. 1). Eu-LISA ist es neu gestattet, echte personenbezogene Daten des Eurodac-Produktionssystems zu Testzwecken unter bestimmten Umständen zu verwenden (Abs. 2). Die entsprechende Verwendung unterliegt strengen Bedingungen, und die personenbezogenen Daten werden so anonymisiert, dass die betroffenen Personen nicht mehr identifizierbar sind. Sobald der Testzweck erreicht ist, werden die entsprechenden Daten unverzüglich und dauerhaft aus der Testumgebung gelöscht.
Art. 5
Zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken benannte Behörden der Mitgliedstaaten
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem bis anhin geltenden Artikel 5. Es wurden lediglich kleine redaktionelle Anpassungen vorgenommen. Neu können auch Einheiten benannt werden, die ausschliesslich für nachrichtendienstliche Tätigkeiten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit zuständig sind.
Art. 6
Zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken zugangsberechtigte Prüfstellen der Mitgliedstaaten
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem bis anhin geltenden Artikel 6. Mit der Formulierung «biometrische Daten» ist neu auch ein Abgleich von Gesichtsbildern möglich, und nicht mehr nur von Fingerabdrücken. Ebenfalls neu zulässig ist der Abgleich mit alphanumerischen Daten.
Art. 7
Zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken benannte Europol-Stelle und zugangsberechtigte Europol-Prüfstelle
Diese Bestimmung entspricht dem bis anhin geltenden Artikel 7. Europol benennt neu eine oder mehrere seiner operativen Einheiten als Europol-Behörde, die berechtigt ist, über die Europol-Zugangsstelle den Abgleich mit Eurodac-Daten zu beantragen. Dadurch sollen die Massnahmen der Mitgliedstaaten zur Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten, die in den Zuständigkeitsbereich von Europol fallen, unterstützt und verstärkt werden (Abs. 1).
Art. 8
Interoperabilität mit ETIAS
Damit die Interoperabilität gestützt auf die Interoperabilitätsverordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 vollständig wirksam werden kann, sind auch Anpassungen an der Eurodac-Verordnung erforderlich. Demnach soll das Zentralsystem von Eurodac mit dem ESP verbunden werden, um die automatisierte Bearbeitung durch das ETIAS-Zentralsystem zu ermöglichen (Abs. 1). Diese Bestimmung regelt eigentlich die Interoperabilität zwischen ETIAS und Eurodac. Dadurch kann überprüft werden, ob die antragstellende Person in Eurodac erfasst ist. Ergibt die automatisierte Bearbeitung einen oder mehrere Treffer, so konsultiert das ETIAS-Zentralsystem automatisch die ETIAS-Zentralstelle. Diese nimmt eine Überprüfung gemäss Artikel 20 der Verordnung (EU) 2018/1240 vor (Abs. 2). Dies betrifft die Daten gemäss den Artikeln 17, 19, 21-24 und 26.
Artikel 26 der ETIAS-Verordnung, der die manuelle Bearbeitung von Anträgen durch die nationalen ETIAS-Stellen regelt, ist anwendbar. Gemäss dieser Bestimmung wird das Gesuch von der nationalen ETIAS-Stelle des zuständigen Staats manuell bearbeitet, wenn die automatisierte Bearbeitung gemäss Artikel 20 Absätze 2-5 einen oder mehrere Treffer ergibt. Diese Stelle muss somit ebenfalls auf Eurodac-Daten zugreifen können.
Art. 9
Bedingungen für den Zugang zu Eurodac zum Zweck der manuellen Verarbeitung durch nationale ETIAS-Stellen
Die nationalen ETIAS-Stellen verwenden für die Abfrage in Eurodac dieselben alphanumerischen Daten wie bei der automatisierten Bearbeitung gemäss Artikel 8 (Abs. 1). Sie haben zur Erreichung der Ziele der ETIAS-Verordnung Zugang zu den Daten von Eurodac und können diese in schreibgeschützter Form abfragen, um Anträge auf Erteilung einer Reisegenehmigung zu prüfen. Dies betrifft die Daten, die gemäss den Artikeln 17, 19, 21-24 und 26 erfasst werden (Abs. 2). Die Analyse der Ergebnisse wird nur in den ETIAS-Datensätzen gespeichert (Abs. 3).
Art. 10
Zugang der zuständigen Visumbehörde zu Eurodac
Die Visumbehörden erhalten künftig vorübergehend einen schreibgeschützten Zugang zu Eurodac. Dies ermöglicht ihnen die manuelle Überprüfung von Treffern in diesem Informationssystem, die sich bei der Eingabe der Daten von Personen, die ein Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt beantragen, im VIS ergeben.
Art. 11
Interoperabilität mit dem VIS
Eurodac soll an das ESP angeschlossen werden, um eine automatisierte Verarbeitung zu ermöglichen, damit Eurodac abgefragt und die relevanten Daten im VIS mit den relevanten Daten in Eurodac verglichen werden können. Die Interoperabilität von Eurodac mit dem VIS besteht ab Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2021/1134 1⁰1 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 767/2008. Ab diesem Zeitpunkt wird Eurodac an das ESP angebunden sein.
1⁰1 Verordnung (EU) 2021/1134 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EG) Nr. 810/2009, (EU) 2016/399, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240, (EU) 2018/1860, (EU) 2018/1861, (EU) 2019/817 und (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Entscheidung 2004/512/EG und des Beschlusses 2008/633/JI des Rates zur Reform des Visa-Informationssystems, ABl. L 248 vom 13.7.2021, S. 11.
Art. 12
Statistik
Eu-LISA soll, wie bis anhin, monatlich eine Statistik über die Arbeit von Eurodac erstellen. Darin wird beispielsweise die Zahl der Gesuchstellenden, die Zahl der abgelehnten Asylsuchenden, die Zahl von minderjährigen Personen, die Zahl der nach Such- und Rettungseinsätzen ausgeschifften Personen oder die Anzahl Treffer zu Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, festgehalten (Abs. 1). Die statistischen Daten sollen monatlich veröffentlicht werden. Ende Jahr soll von eu-LISA zudem eine jährliche Statistik veröffentlicht werden (Abs. 2). Zusätzlich erstellt eu-LISA monatliche systemübergreifende Statistiken zur Unterstützung bei der Kontrolle der irregulären Einwanderung in die EU und bei der Aufdeckung von Sekundärbewegungen innerhalb der EU sowie bei der Identifizierung von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen. Diese werden der Kommission, dem Europäischen Parlament, der EUAA, Frontex, Europol sowie den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt. Ausserdem ist vorgesehen, dass die Europäische Kommission im Wege von Durchführungsrechtsakten den Inhalt der monatlichen systemübergreifenden Statistiken festlegt (Abs. 3). Eu-LISA kann zudem der Europäischen Kommission auf Ersuchen Statistiken zu bestimmten Aspekten in Zusammenhang mit der Anwendung der Eurodac-Verordnung und Statistiken gemäss Absatz 1 zur Verfügung stellen. Auf Ersuchen werden diese Statistiken auch einem Mitgliedstaat, dem Europäischen Parlament, der EUAA, Frontex und Europol zugänglich gemacht (Abs. 4). Die entsprechenden Daten werden von eu-LISA zu Forschungs- und Analysezwecken gespeichert (Abs. 5). Der Zugang zum Zentralen Speicher für Berichte und Statistiken CRRS wird eu-LISA, der Kommission, den befugten Nutzerinnen und Nutzern der EUAA, von Frontex, von Europol sowie den Mitgliedstaaten gewährt, wenn dieser Zugang für die Durchführung ihrer Aufgaben relevant ist (Abs. 6).
Art. 13
Verpflichtende Erfassung biometrischer Daten
Biometrische Daten sollen zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats abgenommen werden. Zudem sollen sie die Unterstützung von Neuansiedlungsplänen, die Kontrolle der irregulären Zuwanderung in den Schengen-Raum, die Aufdeckung von Sekundärbewegungen und die Identifizierung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und Staatenloser erleichtern sowie die Umsetzung der Massenzustrom-Richtlinie unterstützen (Abs. 1). Zu diesem Zweck sollen biometrische Daten von folgenden Personen abgenommen werden:
-
Personen, die internationalen Schutz beantragen;
-
Drittstaatsangehörige oder staatenlose Personen, die sich im Rahmen von Neuansiedlungsprogrammen beworben haben und aufgenommen wurden;
-
Drittstaatsangehörige oder staatenlose Personen, die in Zusammenhang mit dem irregulären Überschreiten einer Schengen-Aussengrenze aufgegriffen wurden;
-
Drittstaatsangehörige oder staatenlose Personen, die sich illegal in einem Schengen-Staat aufhalten;
-
Personen, die vorübergehenden Schutz gemäss der Massenzustrom-Richtlinie oder einen gleichwertigen Schutz in einem Mitgliedstaat geniessen;
-
Personen, die aus Seenot gerettet wurden.
Bei der Erfassung der biometrischen Daten sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Würde und körperliche Unversehrtheit der betroffenen Personen zu beachten (Abs. 2). Zudem sollen im nationalen Recht administrative Massnahmen zur Sicherstellung der Abnahme der biometrischen Daten vorgesehen werden (Abs. 3). Diese müssen wirksam, verhältnismässig und abschreckend sein. Als letztes Mittel sind Zwangsmassnahmen denkbar. Kann durch die im nationalen Recht vorgesehenen Massnahmen nicht sichergestellt werden, dass eine Person der Verpflichtung zur Bereitstellung ihrer biometrischen Daten nachkommt, so finden die einschlägigen Bestimmungen des Asylrechts der EU über die Nichteinhaltung dieser Verpflichtung Anwendung (Abs. 4). Ist die Erfassung der biometrischen Daten eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der als schutzbedürftige Person gilt, aufgrund des Zustands der Fingerkuppen oder des Gesichts dieser Person nicht möglich und hat diese Person diesen Zustand nicht absichtlich herbeigeführt, so ergreifen die Behörden dieses Mitgliedstaats keine administrativen Sanktionen (Abs. 5). Das Verfahren zur Erfassung biometrischer Daten wird nach der nationalen Praxis des betreffenden Mitgliedstaats und im Einklang mit den in der Charta der Grundrechte und in der EMRK verankerten Garantien festgelegt und angewendet (Abs. 6).
Art. 14
Besondere Bestimmungen betreffend Minderjährige
Neu müssen die biometrischen Daten von Minderjährigen ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr erfasst werden. Die vorliegende Bestimmung enthält nähere Vorgaben zur Erfassung von
biometrischen
Daten von Minderjährigen. Beispielsweise müssen die für die Erfassung zuständigen Personen speziell geschult und das Kindeswohl gewahrt werden (Abs. 1). Zudem müssen die Minderjährigen von einem erwachsenen Familienmitglied oder, wenn es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, von einer Vertretung oder einer geschulten Person begleitet werden.
Diese Begleitperson ist aber keinesfalls für die Abnahme der biometrischen Daten verantwortlich. Bestehen Zweifel am Alter von sechs Jahren, ist bei der Anwendung der Verordnung davon auszugehen, dass das Kind dieses Alter noch nicht erreicht hat.
Die für die Abnahme der biometrischen Daten zuständige Behörde kann in gewissem Umfang und als letztes Mittel Zwang anwenden. Dies hat in verhältnismässiger Weise und unter Achtung des innerstaatlichen oder europäischen Rechts zu erfolgen.
Verweigert ein Minderjähriger die Abgabe seiner biometrischen Daten und bestehen berechtigte Gründe für die Annahme, dass ein Risiko für die Sicherheit oder den Schutz des Kindes besteht, so wird der Minderjährige an die zuständigen nationalen Kindesschutzbehörden verwiesen (Abs. 2).
Eurodac-Daten, die sich auf Kinder unter 14 Jahren beziehen, dürfen nur dann zu Strafverfolgungszwecken verwendet werden, wenn die Vermutung besteht, dass dieses Kind eine terroristische Straftat oder eine andere schwere Straftat begangen hat oder begehen wird (Abs. 3).
Kapitel II: Personen, die internationalen Schutz beantragen
Art. 15
Erfassung und Übermittlung biometrischer Daten
Jeder Mitgliedstaat muss die biometrischen Daten von Personen abnehmen, die internationalen Schutz beantragen. Neben den Fingerabdrücken ist neu auch das Gesichtsbild zu erfassen. Das Mindestalter wurde dabei von 14 Jahren auf sechs Jahre herabgesetzt. Neu wird auch festgehalten, dass die biometrischen Daten an Eurodac übermittelt werden müssen, wenn der Antrag an einer Aussengrenzübergangsstelle oder in einer Transitzone gestellt wird und die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 6 SGK nicht erfüllt sind (Abs. 1 Bst. b). Auf Ersuchen eines Mitgliedstaats können die biometrischen Daten, die alphanumerischen Daten und, sofern verfügbar, eine eingescannte Farbkopie eines Ausweises oder Reisedokuments auch von speziell geschulten Mitgliedern der Europäischen Grenz- und Küstenwacheteams oder von Experten der Asyl-Unterstützungsteams erfasst und übermittelt werden (Abs. 3). Absatz 4 legt fest, dass ein Datensatz mit den Datensätzen, die denselben Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen betreffen, verknüpft wird.
Art. 16
Informationen zur Rechtsstellung der betroffenen Person
Sobald der verantwortliche Mitgliedstaat gemäss der AMMR-Verordnung bestimmt wurde, muss neu der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des verantwortlichen Mitgliedstaats durchführt, seinen zu der betreffenden Person gespeicherten Datensatz durch Hinzufügen des verantwortlichen Mitgliedstaats aktualisieren (Abs. 1).
Der neue Absatz 2 entspricht im Wesentlichen dem aktuellen Inhalt von Artikel 10 der Verordnung (ausser Bst. e, der in Abs. 3 einfliesst).
Geht die Zuständigkeit gemäss den Artikeln 37 und 68 der AMMR-Verordnung auf einen anderen Mitgliedstaat über, gibt der Mitgliedstaat, der die Verschiebung der Zuständigkeit feststellt, den zuständigen Mitgliedstaat an (Abs. 3).
In den beiden oben genannten Fällen unterrichtet Eurodac so bald wie möglich, spätestens jedoch innerhalb von 72 Stunden, alle Herkunftsmitgliedstaaten über die Übermittlung solcher Daten durch einen anderen Herkunftsmitgliedstaat, der einen Treffer erzielt hat. Diese Herkunftsmitgliedstaaten aktualisieren auch den neu zuständigen Mitgliedstaat in ihren entsprechenden Datensätzen (Abs. 4).
Art. 17
Datenspeicherung
Das Eurodac-System funktionierte bislang nur mit Fingerabdruckdaten, das heisst mit Ausnahme des Geschlechts der betroffenen Person wurden keine weiteren personenbezogenen Daten gespeichert. Neu müssen unter anderem weitere Personendaten (Gesichtsbild, Vornamen, Nachname[n], Aliasnamen, Nationalität, Geburtsdatum, Geburtsort; Abs. 1 Bst. b-f) sowie, falls vorhanden, Angaben zu den Ausweisdokumenten gespeichert werden (Art. 1 Bst. i). Dabei ist auch vorgesehen, dass eine eingescannte Farbkopie des Identitätsausweises oder des Reisedokuments im System erfasst wird (Bst. j).
Zusätzlich müssen unter anderem noch die folgenden Daten gespeichert werden, sofern diese vorhanden sind: der zuständige Mitgliedstaat gemäss Artikel 16 Absätze 1-3 (Abs. 2 Bst. a), die Ausstellung eines Visums, der ausstellende Mitgliedstaat und die zugehörige Nummer des Visumsantrags (Abs. 2 Bst. h). Zudem muss festgehalten werden, wenn eine Person nach einer Sicherheitskontrolle eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen könnte (Abs. 2 Bst. i). Falls ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt oder eine Unterstützung für die freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung gewährt wurde, muss dies ebenfalls erfasst werden (Abs. 2 Bst. j und l).
Absatz 3 legt zudem fest, welche dieser erhobenen Daten den Datensatz darstellen, mit dem eine Prüfung auf Mehrfachidentitäten gemäss Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2019/818 automatisch vorgenommen wird.
Kommt der Herkunftsmitgliedstaat nach dem Überprüfungsverfahren oder nach einer Prüfung gemäss Artikel 16 Absatz 4 der AMMR-Verordnung zum Schluss, dass die festgestellte Bedrohung der inneren Sicherheit nicht mehr besteht, löscht er die Sicherheitsmarkierung aus dem Datensatz, nachdem er alle anderen Mitgliedstaaten konsultiert hat, die einen Datensatz über dieselbe Person registriert haben. Diese Information geht an alle Mitgliedstaaten, die gewisse Treffer verursacht haben (Kategorien II, III und VII; Abs. 4)
Kapitel III : Zum Zweck der Durchführung eines Aufnahmeverfahrens registrierte Personen und gemäss einer nationalen Neuansiedlungsregelung aufgenommene Personen
Abschnitt 1: Zum Zweck der Durchführung eines Aufnahmeverfahrens gemäss dem Unionsrahmen für Neuansiedlung und Aufnahme aus humanitären Gründen registrierte Personen
Art. 18
Erfassung und Übermittlung biometrischer Daten
Nach der Registrierung und spätestens vor dem Entscheid über die allfällige Aufnahme gemäss Artikel 9 Absatz 9 der Resettlement-Verordnung übermittelt der Mitgliedstaat die biometrischen Daten von jeder Person ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr an Eurodac. Diese Verpflichtung gilt nicht, wenn ein negativer Entscheid ohne einen Abgleich biometrischer Daten gefällt werden kann (Abs. 1). Die biometrischen Daten müssen auch dann erhoben werden, wenn ein Mitgliedstaat internationalen Schutz oder einen nationalen humanitären Status gemäss der Resettlement-Verordnung gewährt, die Aufnahme aus einem der in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f oder Artikel 7 der Resettlement-Verordnung genannten Gründe verweigert oder das Aufnahmeverfahren einstellt. Diese und weitere Daten müssen spätestens 72 Stunden nach dem Entscheid an Eurodac gesendet werden (Abs. 2). Die Bestimmungen über die Nichteinhaltung der Frist und der fehlenden Möglichkeit der Abnahme der Daten aufgrund des Schutzes der Gesundheit entsprechen den bisherigen Bestimmungen, wobei die Frist von 48 Stunden nicht zur Anwendung kommt (Abs. 3). Die Abnahme und Übermittlung von Daten kann auf Ersuchen an einen anderen Mitgliedstaat, die EUAA oder eine internationale Organisation übertragen werden (Abs. 4). Die Agentur und internationale Organisationen haben für die Zwecke dieses Artikels keinen Zugriff auf Eurodac (Abs. 5).
Art. 19
Datenspeicherung
Artikel 19 legt fest, welche Daten dieser Personenkategorie in Eurodac gespeichert werden sollen. Insbesondere sollen das Datum der Entscheidung über die Gewährung eines internationalen Schutzes oder eines nationalen humanitären Status sowie die Daten der Verweigerung und der Einstellung des Zulassungsverfahrens gemäss der Resettlement-Verordnung gespeichert werden, sofern diese Daten vorhanden sind (Absatz 1 Bst. o-q). Weiter wird festgelegt, welche dieser erhobenen Daten den Datensatz darstellen, mit dem eine Prüfung auf Mehrfachidentitäten gemäss Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2019/818 automatisch vorgenommen wird (Abs. 2).
Abschnitt 2: Gemäss einer nationalen Neuansiedlungsregelung aufgenommene Personen
Art. 20
Erfassung und Übermittlung biometrischer Daten
Sobald eine Person ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr im Rahmen eines nationalen Neuansiedlungsprogramms zugelassen wurde, erfasst der Mitgliedstaat die biometrischen und die restlichen in Artikel 21 Buchstaben c-o genannten Daten und übermittelt diese spätestens nach 72 Stunden an Eurodac (Abs. 1).
Ist es aufgrund des Zustands der Fingerkuppen nicht möglich, Fingerabdrücke in einer angemessenen Qualität abzunehmen, nimmt der Herkunftsmitgliedstaat die Fingerabdrücke erneut ab und übermittelt sie anschliessend so bald wie möglich (Abs. 2).
Die Mitgliedstaaten nehmen die biometrischen Daten einer Person, die aufgrund von Massnahmen zur Gewährleistung ihrer Gesundheit oder zum Schutz der öffentlichen Gesundheit im Rahmen eines nationalen Neuansiedlungsprogramms aufgenommen wurde, so bald wie möglich, spätestens jedoch 48 Stunden nach Wegfall dieser gesundheitlichen Gründe ab und übermitteln sie (Abs. 3).
Art. 21
Datenspeicherung
Artikel 21 legt fest, welche Daten dieser Personenkategorie in Eurodac gespeichert werden sollen. Unter anderem soll das Datum gespeichert werden, an dem internationaler Schutz oder ein humanitärer Status nach nationalem Recht gewährt wurde (Abs. 1 Bst. o). Zudem wird festgelegt, mit welchem Datensatz eine Prüfung auf Mehrfachidentitäten gemäss Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2019/818 automatisch vorgenommen wird (Abs. 2).
Kapitel IV: Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die beim irregulären Überschreiten einer Aussengrenze aufgegriffen werden
Kapitel IV bezieht sich auf Personen, die illegal die Schengen-Grenze überschreiten. Diese Personenkategorie ist bereits in der geltenden Verordnung vorgesehen.
Art. 22
Erfassung und Übermittlung biometrischer Daten
Der revidierte Artikel sieht neu nicht nur die Erfassung der Fingerabdrücke, sondern auch des direkt vor Ort aufgenommenen Gesichtsbilds vor, einschliesslich von Minderjährigen ab sechs Jahren (Abs. 1). Die Bestimmungen zur Datenlieferung entsprechen weitgehend der geltenden Regelung. Absatz 2 regelt, welche Daten erfasst werden müssen. Es werden verschiedene neue Daten genannt, insbesondere eine eingescannte Farbkopie der Identitäts- oder Reisedokumente. Absatz 3 sieht vor, dass zusätzliche Daten bereitgestellt werden müssen, sofern verfügbar. Dazu gehört beispielsweise die Information, dass die Ausreise der betreffenden Person festgestellt worden ist oder dass sie rückgeführt wurde. Ebenfalls im System einzugeben ist der Staat, der die Person im Rahmen der Relocation übernimmt, sowie der Hinweis, dass die Person Rückkehrhilfe erhalten hat oder dass sie eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen könnte gemäss der Überprüfungsverordnung.
Die Absätze 4-6 entsprechen den geltenden Absätzen von Artikel 14 betreffend Personen, welche die Grenze illegal überschreiten. Sie beziehen sich auf die Datenübermittlung an das Zentralsystem und an den CIR innerhalb von 72 Stunden und die entsprechenden Ausnahmen. Im Zentralsystem ist auch anzugeben, ob die Person den Schengen-Raum aufgrund einer Wegweisungsverfügung oder einer Rückführung verlassen hat (Abs. 7). Ausserdem können
Mitglieder der europäischen Grenz- und Küs
tenwacheteams
und Asylsachverständige, die Aufgaben und Befugnisse gemäss der Verordnung (EU) 2019/1896 und der Verordnung (EU) 2021/2303 wahrnehmen, einen Scan des Reisedokuments oder des Identitätsausweises erfassen (Abs. 8). Zudem wird jeder Datensatz mit anderen Datensätzen der gleichen Personenkategorie verknüpft, wenn sie dieselbe Person betreffen (Abs. 9). Absatz 10 regelt zudem, unter welchen Umständen bzw. mit welchem Datensatz ein automatischer Abgleich mit anderen europäischen Informationssystemen im Sinne der Interoperabilität und eine Verifizierung von Mehrfachidentitäten nach Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2019/818 erfolgen.
Kapitel V: Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten
Dieses Kapitel befasst sich mit Personen, die sich unrechtmässig im Schengen-Raum aufhalten. Diese Personenkategorie besteht bereits. Heute werden ihre Daten zwecks Abgleichs erfasst, aber nicht in Eurodac gespeichert.
Art. 23
Erfassung und Übermittlung biometrischer Daten
Dieser Artikel ersetzt teilweise den geltenden Artikel 17.
Absatz 1 sieht künftig eine Pflicht zur Erfassung der biometrischen Daten aller illegal aufhältigen Personen ab sechs Jahren vor.
Gemäss Absatz 2 sollen die Daten analog der anderen Personenkategorien innerhalb von 72 Stunden nach dem Aufgreifen der betroffenen Person an das Zentralsystem übermittelt werden. Die Neuerungen in Bezug auf die Datenerfassung sind im Wesentlichen die gleichen wie bei Personen, die illegal eine Dublin-Grenze überschreiten. Es sind soweit möglich die gleichen zusätzlichen Daten zu erfassen, wie sie in Artikel 13 aufgeführt sind. Als weitere Information ist das Datum der Ankunft der betroffenen Person nach der erfolgreichen Überstellung im Rahmen eines Relocation-Verfahrens im System einzugeben (Abs. 3).
Absatz 4 hält fest, dass die massgebenden Daten auch an den CIR übermittelt werden und dass die Nichteinhaltung der Frist von 72 Stunden aus technischen Gründen die Staaten nicht von der Verpflichtung entbindet, die Daten spätestens 48 Stunden nach erfolgreicher Abnahme zu übermitteln. Absatz 5 sieht die gleiche Regelung vor in Fällen, in denen aufgrund von Massnahmen zum Schutz der Gesundheit keine Erfassung möglich ist. Im Zentralsystem ist auch anzugeben, ob und wann die Person den Schengen-Raum aufgrund einer Wegweisungsverfügung verlassen hat (Abs. 6). Auch hier werden die verschiedenen Datensätze, welche die gleiche Person betreffen und gemäss Absatz 1 erfasst werden, miteinander verknüpft (Abs. 7). Schliesslich wird geregelt, unter welchen Umständen, das heisst mit welchem Datensatz (vorhandene Daten) eine Verifizierung von Mehrfachidentitäten nach Artikel 27 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2019/818 erfolgt (Abs. 8).
Kapitel VI: Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die nach einem Such- und Rettungseinsatz ausgeschifft werden
Dieses neue Kapitel befasst sich mit der Erfassung der Daten von Personen, die nach einer Seenotrettung ausgeschifft werden, in Eurodac.
Art. 24
Erfassung und Übermittlung biometrischer Daten
Bei dieser neuen Personenkategorie sind die gleichen Daten zu erfassen wie bei den anderen Kategorien, und es gelten die gleichen Fristen (Abs. 2-5). Absatz 5 regelt das Vorgehen bei gravierenden technischen Problemen. Auch die Bestimmungen betreffend die Datenübermittlung sind die gleichen. Bei einem starken Zustrom von Migrantinnen und Migranten kann die vorgesehene Frist um weitere 48 Stunden verlängert werden (Abs. 6). Spezifisch für diese Personenkategorie zu übermitteln sind der Ort und das Datum der Ausschiffung.
Absatz 3 sieht vor, dass die Art und Nummer des Identitäts- oder Reisedokuments, der Code des ausstellenden Staats und das Ablaufdatum des Dokuments erfasst werden müssen, soweit diese Informationen oder Daten verfügbar sind. Es ist auch ein Scan der Personaldatenseite des Reisedokuments zu erfassen. Ebenso Informationen zur Relocation, zur Gewährung von Rückkehrhilfe und zum Sicherheitsaspekt. Die effektive Ausreise nach einem Rückkehrentscheid ist im System einzugeben (Abs. 7).
In bestimmten Fällen können Mitglieder der europäischen Grenz- und Küstenwacheteams oder Asylsachverständige in Ausübung ihrer Kompetenzen und im Namen des Staats, der sich an einer Rettungsaktion beteiligt, die Daten und den Scan der Personaldatenseite des Reisedokuments erfassen (Abs. 8). Auch hier wird jeder Datensatz mit anderen Datensätzen verknüpft, die denselben Drittstaatsangehörigen betreffen (Abs. 9). Dadurch, dass die Daten an das Eurodac-System übermittelt werden, darf weder die gesuchstellende Person noch die Anwendung der Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement beeinträchtigt werden (Abs. 10). Bei der Erstellung eines solchen Datensatzes wird ein automatischer Abgleich in den anderen Schengen-Systemen im Rahmen der Interoperabilität durchgeführt (Abs. 11).
Kapitel VII: Informationen für die Übernahme
Art. 25
Informationen zum Übernahmestatus der betroffenen Person
Sobald ein Dublin-Staat gemäss Artikel 67 Absatz 9 der AMMR-Verordnung zur Übernahme einer Person verpflichtet ist, aktualisiert der begünstigte Staat seine Datensätze (Asyl, illegale Einreise, illegaler Aufenthalt, Seenotrettung), indem er den Übernahmestaat hinzufügt (Abs. 1).
Der Staat, der die Übernahme einer Person bestätigt hat, erfasst nach deren Ankunft gemäss den Artikeln 17 und 23 der Eurodac-Verordnung die Daten zur Person, einschliesslich des Ankunftsdatums. Der Datensatz wird im Einklang mit Artikel 29 Absatz 1 zum Zweck des Datenabgleichs nach den Artikeln 27 und 28 der Eurodac-Verordnung gespeichert.
Kapitel VIII: Personen, die vorübergehenden Schutz geniessen
Art. 26
Erfassung und Übermittlung biometrischer Daten
Die Mitgliedstaaten sind künftig verpflichtet, die biometrischen Daten von Personen, denen vorübergehender Schutz gewährt wurde, unverzüglich in Eurodac zu erfassen (Abs. 1). Spätestens zehn Tage nach der Registrierung einer Person als vorübergehend schutzbedürftig müssen weitere Daten in Eurodac erfasst werden. Diese Daten entsprechen grundsätzlich denjenigen der übrigen Personenkategorien (vgl. u. a. Art. 10 Abs. 1 und 11 Abs. 2). Zusätzlich müssen der Ort und das Datum der entsprechenden Registrierung angegeben werden. Wird eine Person gemäss Artikel 28 der Massenzustrom-Richtlinie vom vorübergehenden Schutz ausgeschlossen, ist dies ebenfalls zu vermerken. Auch muss ein Verweis auf den einschlägigen Beschluss für die Anwendung des vorübergehenden Schutzes aufgenommen werden (Abs. 2 Bst. o und p).
Die weiteren Regelungen zur Übermittlung der Daten (Abs. 3-7) entsprechen denjenigen für die übrigen Personenkategorien.
Kapitel IX: Verfahren für den Abgleich der Daten von Personen, die internationalen Schutz beantragen, von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die beim illegalen Überschreiten einer Grenze aufgegriffen werden oder die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die zum Zweck der Durchführung eines Aufnahmeverfahrens registriert sind oder die gemäss einer nationalen Neuansiedlungsregelung aufgenommen wurden, von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die nach einem Such- und Rettungseinsatz ausgeschifft wurden, sowie von Personen, die«vorübergehenden Schutz geniessen
Art. 27
Abgleich von biometrischen Daten
Artikel 27 wird geändert und regelt neu den Abgleich von Fingerabdruck- und Gesichtsbilddaten im Eurodac-Zentralsystem.
Die Daten werden bei der Erfassung im System mit den Daten abgeglichen, die zuvor von einem Schengen-Staat nach den Artikeln 15, 18 Absatz 2, 20, 22-24 und 26 (internationaler Schutz, Resettlement, illegaler Grenzübertritt, illegaler Aufenthalt, aus Seenot gerettete Personen, Personen, die vorübergehenden Schutz geniessen) übermittelt wurden; davon ausgenommen sind die Fälle nach Artikel 16 Absatz 2 Buchstaben a (Ankunft im Zuge einer Überstellung) und c (Ausreise aus dem Schengen-Raum) sowie den Artikeln 18 und 20 (Resettlement). Die Staaten erhalten wie bereits heute das Ergebnis des Abgleichs (Abs. 4). Ein Treffer umfasst alle erfassten Personendaten sowie die gekennzeichneten Daten. Ein Treffer, der die Bestimmung der Dublin-Zuständigkeit ermöglicht, hat Vorrang vor allen anderen Treffern (Abs. 5).
Art. 28
Abgleich von Gesichtsbilddaten
Artikel 28 hält fest, dass eine Abfrage anhand der Gesichtsbilddaten erfolgen kann, wenn aufgrund der Qualität der Fingerabdrücke kein zuverlässiger Abgleich möglich ist oder wenn die Fingerabdrücke fehlen (Abs. 1). Die Ergebnisse werden gemäss dem Verfahren von Artikel 38 Absatz 5 an die Staaten übermittelt. Die Fingerabdruck- und Gesichtsbilddaten der sieben Datenkategorien (Personen, die internationalen Schutz beantragen, Personen in einem Rückübernahmeverfahren, Personen in einem Resettlement-Verfahren, Personen, die beim illegalen Grenzübertritt aufgegriffen werden, illegal aufhältige Personen, Personen, die vorübergehenden Schutz geniessen, aus Seenot gerettete Personen) werden künftig erfasst und können auch für einen Abgleich verwendet werden. Die Daten, anhand derer eine Abfrage erfolgen kann, entsprechen den in Artikel 27 genannten Daten. Durch erweiterte Abfragemöglichkeiten können irreguläre Bewegungen und Sekundärbewegungen in der gesamten EU nachverfolgt und unter Umständen auch die Identität der betreffenden Person auch ohne gültige Identitätsdokumente festgestellt werden (Abs. 4).
Kapitel X: Aufbewahrung der Daten, vorzeitige Löschung der Daten und Datenmarkierung
Art. 29
Aufbewahrung der Daten
Artikel 29 entspricht den geltenden Artikeln 12 und 16. Er regelt die Dauer der Datenaufbewahrung im Eurodac-System. Es wird nicht ausdrücklich auf den CIR verwiesen, obwohl die Daten dort ebenso lange gespeichert bleiben wie im Quellsystem (hier Eurodac). Die Daten von Personen, die internationalen Schutz beantragen, werden nach wie vor zehn Jahre lang aufbewahrt (Abs. 1). Damit soll sichergestellt werden, dass die Mitgliedstaaten Sekundärbewegungen innerhalb der EU von Personen, denen der internationale Schutzstatus gewährt wurde, nachverfolgen können.
Die biometrischen Daten der Personen, die für das Resettlement-Verfahren in Frage kommen, werden nicht in Eurodac gespeichert (Abs. 2). Die übrigen Daten dieser Personenkategorie werden während fünf Jahren aufbewahrt (Abs. 3). Die Daten von Personen, deren Aufnahme im Rahmen eines Neuansiedlungsprogramms verweigert wird, werden ab der Erfassung für drei Jahre gespeichert. Dies gilt auch für Personen, bei denen ein Mitgliedstaat das Aufnahmeverfahren einstellt (Abs. 4). Falls Personen in ein Resettlement-Programm aufgenommen werden, werden die Daten ab dem Zeitpunkt der Übermittlung der biometrischen Daten fünf Jahre aufbewahrt (Abs. 5).
Die Daten von illegal eingereisten Personen werden künftig nicht mehr 18 Monate, sondern fünf Jahre lang aufbewahrt (Abs. 6). Eine längere Datenaufbewahrung ist erforderlich für eine angemessene Überwachung der irregulären Einwanderung und Sekundärmigration in der EU. Diese Aufbewahrungsfrist entspricht der Höchstdauer eines Einreiseverbots zum Zweck der Migrationssteuerung gemäss Artikel 11 der Rückführungsrichtlinie, der Frist für die Speicherung von Visadaten (Art. 23 der Verordnung [EG] Nr. 767/2008) und der vorgeschlagenen Dauer für die Datenspeicherung im Einreise-/Ausreisesystem (Art. 34 der EES-Verordnung).
Fingerabdruckdaten von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen, die kein Asylgesuch gestellt haben, werden während fünf Jahren aufbewahrt (Abs. 7). Die Daten von aus Seenot geretteten Personen werden fünf Jahre (Abs. 8) und die Daten von Personen mit vorübergehender Schutzgewährung ein Jahr (Abs. 9) aufbewahrt. Die Aufbewahrungsdauer kann jedoch je nach Dauer des vorübergehenden Schutzes verlängert werden.
Nach Ablauf der vorgesehenen Aufbewahrungsdauer werden die Daten automatisch gelöscht (Abs. 10).
Art. 30
Vorzeitige Löschung der Daten
Artikel 30 entspricht dem geltenden Artikel 13. Eine vorzeitige Löschung im Eurodac-System und im CIR kann jedoch nur erfolgen, wenn die betreffende Person die Staatsangehörigkeit eines Schengen-Staats erworben hat. Die vorzeitige Löschung der Daten gilt unverändert für Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, sowie für irreguläre Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, welche die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats erworben haben. Diese Regelung gilt auch für die neuen Personenkategorien. Wenn diese Personen die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats erworben haben, fallen sie nicht mehr in den Anwendungsbereich der Verordnung und ihre Personendaten werden vorzeitig gelöscht. Eurodac informiert ausserdem den Herkunftsmitgliedstaat über die Löschung (Abs. 2).
Die Daten von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, denen ein Aufenthaltstitel erteilt wurde oder die das Hoheitsgebiet der EU verlassen haben, werden nicht mehr vorzeitig gelöscht. Diese Daten müssen gespeichert werden für den Fall, dass die Gültigkeit eines Aufenthaltstitels, mit dem in der Regel eine befristete Duldung erteilt wird, eines Tages abläuft und die betreffende Person die zulässige Aufenthaltsdauer überschreitet oder ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der in einen Drittstaat zurückgekehrt ist, versucht, irregulär wieder in die EU einzureisen.
Art. 31
Datenmarkierung
Artikel 31 entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 18. Neu sollen die Daten der in Eurodac registrierten Personen mit rechtswidrigem Aufenthalt, der zuvor aus Seenot geretteten Personen oder der Personen, die vorläufigen Schutz geniessen und eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben (Abs. 4), nicht mehr gelöscht, sondern markiert werden - so wie dies bereits heute für Personen mit internationaler Schutzgewährung vorgesehen ist (Abs. 1). Verliert die Person ihren Status oder wird eine Bewilligung widerrufen, so ist die Markierung in Eurodac zu entfernen. Somit ist ein Abgleich mit diesen Daten bis zu deren Löschung möglich.
Diese Daten sollen künftig markiert werden, damit ein Mitgliedstaat, der bei der Eurodac-Abfrage einen Treffer im Zentralsystem erzielt hat, anhand der markierten Daten feststellen kann, dass der Drittstaatsangehörige von einem anderen Dublin-Staat einen Aufenthaltstitel erhalten hat. Die betreffende Person kann dann gegebenenfalls nach Artikel 6 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie an den Staat überstellt werden, der den Aufenthaltstitel erteilt hat.
Daten zu Personen, die internationalen Schutz beantragen, und zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben und denen ein befristeter Aufenthaltstitel gewährt wurde, werden nicht für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke gesperrt. Die Daten sind abrufbar, solange sie im System gespeichert sind. Damit soll sichergestellt werden, dass in Fällen, in denen ein Aufenthaltstitel vor Ablauf der fünfjährigen Aufbewahrungsfrist abläuft, die Daten noch abrufbar sind. Daten zu Asylsuchenden werden diesbezüglich weiterhin anders behandelt, da es wahrscheinlicher ist, dass einer asylsuchenden Person, die internationalen Schutz geniesst, eine Verlängerung des Aufenthaltstitels oder ein langfristiger Aufenthaltstitel gewährt wird (Abs. 2 und 5). Eine Markierung wird daher beibehalten, solange der Schutz gewährt wird.
Ein neuer Absatz 6 sieht vor, dass für die Zwecke von Artikel 68 der AMMR-Verordnung der Übernahmestaat sich nach der Erfassung der Daten gemäss Artikel 25 Absatz 2 als zuständiger Staat registriert und diese Daten mit der vom Staat, der den Schutz gewährt hat, eingeführten Kennzeichnung markiert.
Kapitel XI: Verfahren für den Abgleich und die Übermittlung von Daten für Zwecke der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung
Art. 32
Verfahren für den Abgleich biometrischer oder alphanumerischer Daten mit Eurodac-Daten
Artikel 32 übernimmt den Inhalt des geltenden Artikels 19. Er erwähnt die Fingerabdrücke und das Gesichtsbild (biometrische Daten) sowie die alphanumerischen Daten und passt daher die Verweise auf die massgebenden Artikel an. Die Bestimmungen für den Zugang der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden wurden geringfügig geändert, um sicherzustellen, dass die im Zentralsystem gespeicherten Datenkategorien zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken überprüft werden können und künftig Abfragen anhand von Gesichtsbilddaten möglich sind. Zudem wird nun neu nicht mehr von Daten zum Zweck der Gefahrenabwehr, sondern präziser von Daten zu Strafverfolgungszwecken im Hinblick auf die Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerwiegender Straftaten gesprochen.
Art. 33
Voraussetzungen für den Zugang der benannten Behörden zu Eurodac
Artikel 33 entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 20, obwohl die Rechte der Behörden aufgrund der Möglichkeit, die Eurodac-Daten mit Gesichtsbilddaten und alphanumerischen Daten abzugleichen, effektiv gestärkt werden. Neu wird erwähnt, dass die Schengen-Staaten das zentrale Visumsystem und gleichzeitig das Eurodac-System abfragen können nach einem begründeten Antrag der benannten Behörden (Abs. 1). Der National Access Point übermittelt die massgebenden Daten an die zentrale Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörde, welche die Anträge der benannten Behörden prüft.
Die benannten Behörden sind auch zur direkten Abfrage des CIR berechtigt, um zu bestimmen, ob die betreffende Person in einer europäischen Datenbank registriert ist (Abs. 2). In diesem Fall können sie direkt Eurodac-Daten beantragen, ohne vorgängig eine Abfrage in nationalen Datensammlungen und in nationalen AFIS-Systemen aller Mitgliedstaaten vorzunehmen. Die Systemabfragen erfolgen anhand alphanumerischer oder biometrischer Daten (Abs. 3).
Art. 34
Voraussetzungen für den Zugang von Europol zu Eurodac
Artikel 34 entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 21. Neu wird festgehalten, dass Europol Zugang zum CIR hat. Zudem kann Europol künftig das Eurodac-System auch mit Gesichtsbilddaten und alphanumerischen Daten abfragen. Wie bereits heute kann die Abfrage auch anhand der Fingerabdrücke erfolgen. Europol kann die Eurodac-Daten nach einer Abfrage des CIR gemäss Artikel 22 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2019/818 abfragen, sofern dieser die Eurodac-Daten der gesuchten oder verdächtigen Person enthält (Abs. 2).
Art. 35
Kommunikation zwischen den benannten Behörden, den Prüfstellen, den nationalen Zugangsstellen und der Europol-Zugangsstelle
Artikel 35 entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 22. Er hält neu fest, dass Europol eine Abfrage über eine sichere zentrale Zugangsstelle vornehmen kann (Abs. 1). Europol muss die Daten künftig auch in einem für den Abgleich in Eurodac und im CIR geeigneten Format übermitteln (Abs. 2).
Kapitel XII: Datenverarbeitung, Datenschutz und Haftung
Art. 36
Verantwortung für die Datenverarbeitung
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem bis anhin geltenden Artikel 23. Es erfolgen lediglich sprachliche Anpassungen: Die Daten werden neu an Eurodac und nicht ans Zentralsystem übermittelt. Des Weiteren wurden hauptsächlich kleine redaktionelle Änderungen vorgenommen und Verweise angepasst.
Art. 37
Übermittlung
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 24. Es wurden hauptsächlich kleine redaktionelle Änderungen vorgenommen und Verweise angepasst. Die neuen Kategorien von Personen oder Anfragen sind in diesem Artikel dargestellt (Abs. 4).
Art. 38
Datenabgleich und Übermittlung der Ergebnisse
Neu muss das Ergebnis des Abgleichs der Fingerabdruckdaten nur noch von Expertinnen und Experten für biometrische Daten geprüft werden, wenn dies erforderlich erscheint. Zudem können Mitgliedstaaten das Ergebnis des Abgleichs von Gesichtsbilddaten überprüfen, wenn das Zentralsystem eine Übereinstimmung von Fingerabdrücken wie auch von Gesichtsbildern liefert. Für die in Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a-c und j dieser Verordnung genannten Zwecke erfolgt die Identifizierung durch den Herkunftsmitgliedstaat in Zusammenarbeit mit den anderen betroffenen Mitgliedstaaten (Abs. 4). Die Abgleiche anhand der Fingerabdrücke gehen jedoch vor (vgl. Art. 16 Abs. 1). Wenn nur eine Übereinstimmung auf der Grundlage eines Gesichtsbilds vorliegt, wird das Ergebnis im empfangenden Mitgliedstaat unverzüglich von einem geschulten Sachverständigen überprüft. Für die in Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a-c und j genannten Zwecke wird die Identifizierung vom Herkunftsmitgliedstaat in Zusammenarbeit mit den anderen betroffenen Mitgliedstaaten vorgenommen. Von Eurodac erhaltene Informationen über andere Daten, die sich als unzuverlässig erweisen, werden gelöscht, sobald die Unzuverlässigkeit der Daten festgestellt wird (Abs. 5). Die Mitgliedstaaten werden künftig nur noch eu-LISA über falsche Treffer in Eurodac unterrichten (Abs. 6).
Art. 39
Kommunikation zwischen Mitgliedstaaten und Eurodac
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 26.
Art. 40
Zugriff auf die in Eurodac gespeicherten Daten und Berichtigung oder Löschung dieser Daten
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 27. Neu wird das Zugangsrecht für die Abfrage der im CIR gespeicherten Eurodac-Daten geregelt. Der Zugang wird nach den Artikeln 20 und 21 der Verordnung (EU) 2019/818 den ordnungsgemäss ermächtigten Bediensteten der nationalen Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten und den Einrichtungen der EU gewährt. Dieser Zugang ist auf den Umfang beschränkt, der für die Erfüllung der Aufgaben dieser nationalen Behörden und EU-Einrichtungen im Einklang mit diesen Zwecken erforderlich ist. Zudem muss er in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen (Abs. 4). Ausserdem wird neu auf die Datenschutz-Grundverordnung verwiesen in Bezug auf die Berichtigung nicht korrekter Daten (Abs. 5). In Absatz 6 wird ein Verweis angepasst.
Art. 41
Aufzeichnung der Datenverarbeitungsvorgänge
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 28. In dieser Bestimmung wird neu festgehalten, dass eu-LISA Aufzeichnungen über jede Datenverarbeitung führt, wenn das ETIAS-Zentralsystem seine Daten mit denjenigen von Eurodac vergleicht oder die nationale ETIAS-Einheit auf das System zugreift (Abs. 2). Zudem führen die Mitgliedstaaten und eu-LISA Aufzeichnungen über jeden Datenverarbeitungsvorgang, der durch die zuständigen Visumbehörden in Eurodac und im VIS vorgenommen wird (Abs. 3).
Art. 42
Recht auf Information
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 29 Absätze 1-3. Neu wird festgehalten, dass eine Person informiert wird, wenn eine Sicherheitsprüfung ergeben hat, dass sie eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen könnte (Abs. 1 Bst. c) und sie insbesondere Auskunft über ihre Daten und die Löschung von unrechtmässig verarbeiteten Daten verlangen kann (Abs. 1 Bst. g). Zudem hat die betroffene Person neu das Recht, eine Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde einzureichen (Abs. 1 Bst. h). Bei der Erfassung biometrischer Daten von Minderjährigen muss das Verfahren mit Merkblättern, Infografiken, Demonstrationen oder gegebenenfalls einer Kombination dieser Hilfsmittel erläutert werden. Deren Gestaltung muss für die Minderjährigen verständlich sein (Abs. 2).
Art. 43
Recht auf Zugang zu personenbezogenen Daten sowie auf Berichtigung, Ergänzung, Löschung und Einschränkung der Verarbeitung dieser Daten
In den Absätzen 1, 2 (entspricht dem heutigen Art. 29 Abs. 4) und 3 (neu) werden Verweise angepasst und ausdrücklich die Rechte der betroffenen Personen erwähnt (Recht auf Auskunft, Berichtigung, Vervollständigung, Löschung, Einschränkung der Verarbeitung sowie Beschränkung der Rechte). Zudem wird explizit erwähnt, dass das Auskunftsrecht auch diejenigen Daten einschliesst, die festhalten, dass die betroffene Person eine Bedrohung für die innere Sicherheit darstellen könnte, vorbehaltlich der Einschränkung gemäss Artikel 23 der Datenschutz-Grundverordnung.
Die Absätze 4-8 entsprechen grundsätzlich den geltenden Absätzen 7-11, und Absatz 9 entspricht grundsätzlich dem geltenden Absatz 13.
Art. 44
Überwachung durch die nationalen Aufsichtsbehörden
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 30. Es wurden hauptsächlich kleine redaktionelle Änderungen vorgenommen und Verweise angepasst.
Art. 45
Kontrolle durch den Europäischen Datenschutzbeauftragten
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 31. Es wurden hauptsächlich kleine redaktionelle Änderungen vorgenommen.
Art. 46
Zusammenarbeit zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und dem Europäischen Datenschutzbeauftragten
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 32. Der gemeinsame Tätigkeitsbericht muss neu ein Kapitel über jeden Mitgliedstaat enthalten, das von der nationalen Aufsichtsbehörde des jeweiligen Mitgliedstaats erstellt wird.
Art. 47
Schutz der für die Zwecke der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verarbeiteten personenbezogenen Daten
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 33, wobei Absatz 1 dieser Bestimmung gestrichen wurde, da er auf einen nicht mehr geltenden Rahmenbeschluss Bezug nimmt. Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Europol wird neu vom EDSB überwacht (Abs. 2). Zudem wurden Verweise angepasst.
Art. 48
Datensicherheit
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 34. Zusätzlich zu den bisherigen Massnahmen muss gewährleistet werden, dass die Nutzung von automatisierten Datenverarbeitungssystemen durch Unbefugte verhindert wird (Abs. 2 Bst. e) und installierte Systeme im Fall einer Unterbrechung wiederhergestellt werden können (Abs. 2 Bst. l). Zudem muss sichergestellt sein, dass die Systemfunktionen von Eurodac ausgeführt werden, das Auftreten von Fehlern im System gemeldet wird und gespeicherte personenbezogene Daten nicht durch eine Fehlfunktion des Systems beschädigt werden können (Abs. 2 Bst. m). Neben den Mitgliedstaaten muss neu auch Europol eu-LISA über die in ihren Systemen in Zusammenhang mit Eurodac festgestellten Sicherheitsvorfälle benachrichtigen (Abs. 3). Eine Aktualisierung des Sicherheitsumfelds von Eurodac soll vor der operativen Nutzung des Systems stattfinden (Abs. 4). Die EUAA ist insbesondere für die Verabschiedung eines Datensicherheitsplans verantwortlich (Abs. 5).
Art. 49
Verbot der Übermittlung von Daten an Drittstaaten, internationale Organisationen oder private Stellen
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 35. Die Regelung des geltenden Absatzes 2 findet neu auch Anwendung, wenn Daten zwischen einem Mitgliedstaat und Europol ausgetauscht werden. Zudem muss die Datenübermittlung unter anderem notwendig sowie verhältnismässig sein und sie benötigt die Zustimmung des Mitgliedstaats, der die Daten erfasst hat (Abs. 3). Es dürfen keine Informationen bezüglich eines Antrags auf internationalen Schutz oder hinsichtlich der Durchführung oder Zulassung eines Neuansiedlungsprogramms (Resettlement) an einen Drittstaat weitergegeben werden (Abs. 4). Absatz 5 entspricht dem bisherigen Absatz 3, wobei die Verweise angepasst werden.
Art. 50
Übermittlung von Daten an Drittstaaten zum Zweck der Rückführung
Die Weitergabe von Informationen an Drittstaaten, internationale Organisationen oder private Stellen war bis anhin strikt untersagt. Wenn ein Mitgliedstaat unter gewissen Voraussetzungen aufgrund eines Treffers personenbezogene Daten von Personen erlangt hat, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, beim illegalen Überschreiten der Schengen-Aussengrenze aufgegriffen werden oder sich unrechtmässig in einem Mitgliedstaat aufhalten, können diese mit Zustimmung des Mitgliedstaats, der die Daten erfasst hat, neu an einen Drittstaat übermittelt werden (Abs. 1). Die Übermittlung der Daten an einen Drittstaat erfolgt in Übereinstimmung mit den einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts, allfälligen Rückübernahmeabkommen und dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, der die Daten übermittelt (Abs. 2). Die Daten werden ausschliesslich zum Zweck der Identifizierung und der Ausstellung eines Ausweises oder Reisedokuments für einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen im Hinblick auf seine Rückkehr übermittelt (Abs. 3 Bst a). Dabei muss der betroffene Drittstaatsangehörige darüber informiert werden, dass seine personenbezogenen Daten an die Behörden eines Drittstaats weitergegeben werden können (Abs. 3 Bst. b). Der Vollzug der Datenschutz-Grundverordnung bezüglich der Übermittlung personenbezogener Daten an Drittstaaten gemäss diesem Artikel sowie auch hinsichtlich des Zwecks, der Verhältnismässigkeit und der Notwendigkeit von Übermittlungen auf der Grundlage von Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe d der Datenschutz-Grundverordnung unterliegt der Überwachung durch die in Kapitel VI der Datenschutz-Grundverordnung eingerichtete nationale unabhängige Kontrollstelle (Abs. 4). Die Übermittlung von personenbezogenen Daten an Drittstaaten berührt die Rechte der betroffenen Personen nicht; dies betrifft insbesondere das Non-Refoulement-Gebot und das Verbot der Weitergabe oder Einholung von Informationen gemäss Artikel 7 der Asylverfahrensverordnung (Abs. 5). Ein Drittstaat darf auch keinen direkten Zugang zum Eurodac haben, um biometrische Daten oder andere personenbezogene Daten eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen abzugleichen oder zu übermitteln. Zudem darf ein Drittstaat auch keinen Zugang über die nationale Zugangsstelle eines Mitgliedstaats erhalten (Abs. 6).
Art. 51
Protokollierung und Dokumentierung
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 36. Neu wird festgehalten, dass das Protokoll oder die Dokumentation gegebenenfalls einen Hinweis auf die Nutzung des ESP zur Abfrage von Eurodac gemäss Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) enthält (Abs. 2 Bst. i).
Art. 52
Haftung
Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem geltenden Artikel 37. Es wird präzisiert, dass es sich bei einem von einer betroffenen Person erlittenen Schaden um einen materiellen oder einen immateriellen Schaden handeln kann. Neu hat eine betroffene Person auch Anspruch auf Schadenersatz gegenüber eu-LISA. Dies ist dann der Fall, wenn eu-LISA ihren Verpflichtungen gemäss dieser Verordnung nicht nachgekommen ist oder sie ausserhalb oder entgegen den rechtmässigen Anweisungen eines Mitgliedstaats gehandelt hat (Abs. 1). Für Schadenersatzansprüche gegen eu-LISA gelten die in den Verträgen vorgesehenen Bedingungen (Abs. 3).
Kapitel XIII: Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/818
Art. 53
Änderung der Verordnung (EU) 2018/1240
Artikel 11 der ETIAS-Verordnung wird mit einem Absatz 6 a ergänzt. Dieser sieht vor, dass das ETIAS-System das Eurodac-Zentralsystem automatisch abfragen kann anhand der Identitätsdaten der betreffenden Person oder der Daten des Reisedokuments.
Die ETIAS-Verordnung, geändert durch die Verordnung (EU) 2021/1152 1⁰2 , enthält einen neuen Artikel 25bis. Dieser Artikel wird mit einem Verweis auf die Daten der Artikel 17, 19, 21-24 und 26 der Eurodac-Verordnung ergänzt. Dies betrifft den Zugriff der nationalen ETIAS-Stelle auf Eurodac-Daten zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben, wozu insbesondere manuelle Abklärungen im Rahmen der Interoperabilität gehören (Zugang zu den Eurodac-Daten).
Zudem sieht Artikel 88 Absatz 6 klar vor, dass die Inbetriebnahme von ETIAS unabhängig von der Interoperabilität mit Eurodac oder ECRIS-TCN erfolgen muss.
1⁰2 Verordnung (EU) 2021/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240, (EU) 2018/1860, (EU) 2018/1861 und (EU) 2019/817 hinsichtlich der Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für die Zwecke des Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems, Fassung gemäss ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 15.
Art. 54
Änderung der Verordnung (EU) 2019/818
Artikel 4 Ziffer 20 der Verordnung definiert die «benannten Behörden» im Rahmen der Beantragung von Daten zu Strafverfolgungszwecken im Fall von Terrorismus oder anderen schweren Straftaten oder deren Verhütung. Diese Definition verweist künftig auf den neuen Artikel der Eurodac-Verordnung, der wie die anderen EU-Verordnungen die Einsetzung einer benannten Behörde vorsieht (Art. 5 der Eurodac-Verordnung).
Artikel 10 Absatz 1 der IOP-Verordnung wird sprachlich angepasst und enthält neu einen Verweis auf Artikel 51 der Eurodac-Verordnung. Dieser Artikel bezieht sich auf die Aufgaben von eu-LISA in Zusammenhang mit den ESP-Nutzungsprotokollen und bleibt im Grundsatz unverändert.
Artikel 13 Absatz 1, der sich mit dem gemeinsamen Dienst für den Abgleich biometrischer Daten (sBMS) befasst, verweist auf eine neue Kategorie biometrischer Daten gemäss der Verordnung (EU) 2019/816 1⁰3 (Bst. b) und der neuen Eurodac-Verordnung (Bst. c). Die Verordnung (EU) 2019/816 ist für die Schweiz nicht verbindlich, weil sich diese zurzeit nicht an der ECRIS-TCN-Zusammenarbeit beteiligt.
Artikel 14, der sich mit der Abfrage biometrischer Daten mithilfe des sBMS befasst, wird grundlegend revidiert. Dadurch wird die Interoperabilität mit der neuen Eurodac-Verordnung gewährleistet.
Artikel 16 Absatz 1 sieht vor, dass eu-LISA über sämtliche Abfragen im sBMS Protokolle führt. Neu wird auch auf die neue Eurodac-Verordnung verwiesen. Artikel 51 dieser Verordnung bleibt vorbehalten.
Artikel 18 Absatz 1, der sich mit dem gemeinsamen Speicher für Identitätsdaten (CIR) befasst, wird überarbeitet und regelt, welche Daten im CIR gemäss den verschiedenen Schengen-Systemen aufbewahrt werden. Die genauen Daten des Eurodac-Systems werden ebenso erwähnt wie die Daten des ECRIS-TCN.
Artikel 23 Absatz 1 verweist auf die automatische Löschung der Daten im CIR gemäss den Löschungsregeln der neuen Eurodac-Verordnung und der IOP-Verordnung.
Artikel 24 Absatz 1, der sich mit den von eu-LISA zu verwaltenden Protokollen über die Zugriffe auf den CIR befasst, erwähnt neu auch die Eurodac-Verordnung und behält Artikel 51 dieser Verordnung vor.
Artikel 26 Absatz 1, der sich mit dem Zugang der Behörden auf den MID befasst, sieht künftig einen Zugang der Behörden vor, die für die Erfassung von Eurodac-Daten zuständig sind. Er verweist auf die Behörden, die Daten von Drittstaatsangehörigen erfassen, die beim illegalen Grenzübertritt aufgegriffen werden oder die sich illegal im Schengen-Raum aufhalten. Neben den Asylbehörden sind dies die zuständigen Behörden gemäss den Kapiteln II, III, IV, V, VI und VIII der Eurodac-Verordnung.
Artikel 27 legt fest, wann die Prüfung auf Mehrfachidentitäten im CIR und im SIS eingeleitet wird. Er erwähnt neu die Erstellung eines Eurodac-Datensatzes im Sinne der vorliegenden Verordnung mit den erforderlichen Grunddaten (Abs. 1 Bst. c). Ausserdem werden die Identitätsdaten für eine Abfrage im CIR und im SIS genannt (Abs. 3 Bst. abis). Es handelt sich um die Identitätsdaten, die auf Grundlage der Artikel 17, 19, 21-24 und 26 der vorliegenden Verordnung erfasst werden.
Artikel 29 sieht vor, dass verschiedene Behörden neu eine manuelle Überprüfung der Identitäten im MID vornehmen können. Es handelt sich um die Asylbehörden sowie die Behörden, die für folgende Bereiche zuständig sind: Resettlement, illegales Überschreiten der Schengen-Aussengrenze, illegaler Aufenthalt, aus Seenot gerettete Personen, vorübergehender Schutz in der EU oder ähnlicher Schutz in assoziierten Staaten (Abs. 1 Bst. c-h).
Artikel 39 Absatz 2 wird inhaltlich geändert. Eu-LISA implementiert und unterhält die technischen Standorte des CRRS, das die Daten und Statistiken der verschiedenen Informationssysteme der EU und insbesondere die in der Eurodac-Verordnung genannten Daten enthält. Der Zugang zu diesen Daten wird nur dem dazu ermächtigten Personal nach Artikel 12 der Eurodac-Verordnung gewährt.
Artikel 47 Absatz 3 hält neu fest, dass die betroffenen Personen über die Verarbeitung ihrer Daten bei der Erstellung eines Eurodac-Datensatzes nach den Artikeln 5, 18, 20, 22-24 und 26 der Eurodac-Verordnung sowie über die Auswirkungen in Zusammenhang mit der entsprechenden IOP-Verordnung zu informieren sind.
Artikel 50, der sich mit der Datenübermittlung im Rahmen der Interoperabilität befasst, wird revidiert. Er verweist neu auch auf die massgebenden Bestimmungen der Eurodac-Verordnung, das heisst die Artikel 49 und 50. Die einzigen zulässigen Datenbekanntgaben sind in spezifischen Verordnungen geregelt, und nicht in den IOP-Verordnungen. Die Daten der Interoperabilitätskomponenten dürfen in diesem Zusammenhang nicht übermittelt werden.
1⁰3 Verordnung (EU) 2019/816 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Einrichtung eines zentralisierten Systems für die Ermittlung der Mitgliedstaaten, in denen Informationen zu Verurteilungen von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen (ECRIS-TCN) vorliegen, zur Ergänzung des Europäischen Strafregisterinformationssystems und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1726, ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 1.
Kapitel XIV: Schlussbestimmungen
Art. 55
Kosten
Dieser Artikel übernimmt die Regelung des geltenden Artikels 39. Die Kostenverteilung bleibt gegenüber der geltenden Verordnung unverändert. Die Kosten in Zusammenhang mit der Einrichtung und dem Betrieb von Eurodac und der Kommunikationsinfrastruktur gehen zu Lasten des EU-Haushaltsplans (Abs. 1). Die Kosten für den Zugang zum Zentralsystem durch die nationalen Zugangsstellen oder Europol werden von den Schengen-Staaten oder Europol getragen (Abs. 2). Diese übernehmen auch die Betriebs- und Unterhaltskosten für die Infrastruktur (Abs. 3).
Art. 56
Ausschussverfahren
Dieser neue Artikel sieht vor, dass die Europäische Kommission von einem Ausschuss im Sinne der Verordnung (EU) 182/2011 1⁰4 unterstützt wird. Dieser Ausschuss ist mit der Prüfung der Beschlussvorschläge (Durchführungsrechtsakte) der Europäischen Kommission beauftragt. Gibt der Ausschuss zu einem Entwurf keine Stellungnahme ab,
so erlässt die Europäische Kommission den Durchführungsrechtsakt nicht
und Artikel 5 Absatz 4 der genannten Verordnung findet Anwendung.
1⁰4 Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. L 55 vom 28. Februar 2011, S. 13.
Art. 57
Berichte, Überwachung und Bewertung
Dieser Artikel übernimmt die Regelung des geltenden Artikels 40. Die Absätze 1-3 übernehmen im Wesentlichen die geltenden Vorschriften. Eu-LISA unterbreitet dem Europäischen Parlament, dem Rat, der Europäischen Kommission und dem EDSB einen Jahresbericht über den Betrieb von Eurodac, der auch verwaltungs- und leistungsbezogene Aspekte des Systems umfasst. Eu-LISA stellt sicher, dass die Zielerreichung bewertet werden kann. Die Agentur muss auch zum Zweck der Wartung und zur Erstellung von Statistiken und Berichten auf das System zugreifen können.
Absatz 4 sieht neu vor, dass eu-LISA binnen drei Jahren nach Annahme dieser Verordnung eine Studie durchführt. Diese soll untersuchen, ob es technisch möglich ist, eine Gesichtserkennungssoftware im Zentralsystem einzuführen,
mit der Gesichtsbilder - auch von Minderjährigen - abgeglichen werden können
.
Absatz 5 hält neu fest, dass die Europäische Kommission binnen fünf Jahren nach Annahme der Verordnung und danach alle vier Jahre eine umfassende Bewertung von Eurodac vorlegt. Darin werden die Ergebnisse und die Auswirkungen auf die Grundrechte, insbesondere auf den Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre überprüft. Diese Bewertung muss künftig auch eine Einschätzung der Synergien zwischen der vorliegenden Verordnung und der Verordnung (EU) 2018/1862 1⁰5 umfassen. Dieser Bericht wird dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt.
Absatz 8 gibt neu eine Frist vor für die Erstellung von Berichten über die Wirksamkeit des Abgleichs von biometrischen Daten in Eurodac zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken mit entsprechenden Statistiken. Die Schengen-Staaten und Europol legen diese Berichte alle zwei Jahre vor. Die gleiche Frist wird der Kommission gesetzt für die Erstellung eines allgemeinen Berichts, der die Ergebnisse der Berichte gemäss den Absätzen 5 und 8 (Abs. 9) berücksichtigt.
1⁰5 Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Änderung und Aufhebung des Beschlusses 2007/533/JI des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und des Beschlusses 2010/261/EU der Kommission, Fassung gemäss ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 56.
Art. 58
Beurteilung
Gemäss diesem neuen Artikel wird spätestens 48 Monate nach Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung eine Beurteilung der operativen Effizienz jedes IT-Systems, das für den Austausch der Daten von Personen mit vorübergehender Schutzgewährung gemäss der Massenzustrom-Richtlinie genutzt wird, vorgenommen (Abs. 1). Die Europäische Kommission beurteilt ferner die erwarteten Auswirkungen des neuen Artikels 26 der Eurodac-Verordnung insbesondere im Hinblick auf die Verwendung dieser Daten zu Sicherheitszwecken durch die benannten Behörden (Abs. 2). Ausserdem legt die Europäische Kommission je nach Ergebnis der Beurteilungen einen Gesetzgebungsvorschlag zur Änderung von Artikel 26 der Verordnung vor (Abs. 3).
Art. 59
Sanktionen
Artikel 41 betreffend Sanktionen wird zu Artikel 59, erfährt jedoch keine materielle Änderung.
Art. 60
Territorialer Anwendungsbereich
Dieser Artikel hält fest, dass die Bestimmungen der Verordnung nicht anwendbar sind auf Staaten, welche die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement ebenfalls nicht anwenden, mit Ausnahme der Bestimmungen zur Anwendung der Neuansiedlungsverordnung (Bestimmung von Flüchtlingsgruppen).
Art. 61
Meldung der benannten Behörden und Prüfstellen
Dieser Artikel übernimmt die Regelung des geltenden Artikels 43 und erfährt nur formale Änderungen. Die Staaten und Europol teilen innert drei Monaten nach Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung der Europäischen Kommission ihre benannten Behörden nach Artikel 5 mit. Die Europäische Kommission veröffentlicht diese Informationen im Amtsblatt.
Art. 62
Aufhebung
Die Verordnung (EU) Nr. 603/2013 wird 24 Monate nach Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung aufgehoben.
Art. 63
Inkrafttreten und Anwendbarkeit
Artikel 63 bestimmt, dass die Verordnung 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft tritt (Abs. 1). Sie ist 24 Monate nach dem Inkrafttreten anwendbar (Abs. 2). Das Schnittstellenkontrolldokument
ist von den Dublin-Staaten und eu-LISA spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten der Verordnung zu genehmigen (Abs. 4).
Die Gesichtserkennung muss spätestens ein Jahr nach Abschluss der Studie gemäss Artikel 57 Absatz 4 technisch bereit sein. Bis dann sind die Gesichtsbilder als personenbezogene Daten im Zentralsystem zu erfassen und nach dem Abgleich der Fingerabdrücke, die einen Treffer ergeben haben, an die anderen Staaten zu übermitteln (Abs. 5).
Zudem wird festgehalten, dass die Bestimmungen der Eurodac-Verordnung nicht für Personen gelten, die vorübergehenden Schutz gemäss dem Durchführungsbeschluss 2022/382 1⁰6 des Rates (Ukraine) oder einen anderen gleichwertigen nationalen Schutz geniessen, der gemäss dem genannten Durchführungsbeschluss sowie dessen künftigen Änderungen und etwaigen Erweiterungen gewährt wird (Abs. 3). Die Bestimmungen zum vorübergehenden Schutz sind drei Jahre nach Inkrafttreten der übrigen Bestimmungen der vorliegenden Verordnung anwendbar (Abs. 2).
1⁰6 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes, ABl. L 71 vom 4.3.2022, S. 1.
5.5 Grundzüge des Umsetzungserlasses
5.5.1 Die beantragte Neuregelung
Die meisten Bestimmungen der Eurodac-Verordnung sind direkt anwendbar und bedürfen keiner Umsetzung in das Schweizer Recht. Einige Bestimmungen erfordern jedoch eine Anpassung des AIG, des AsylG, des BGIAA sowie des StGB.
Die Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 durch die neue Eurodac-Verordnung bringt neue Elemente mit sich, die eine Überprüfung der bereits bestehenden Gesetzesbestimmungen erfordern. Davon betroffen sind insbesondere nachfolgende Themen:
5.5.1.1 Interoperabilität
Die neue Eurodac-Verordnung sieht Präzisierungen vor, damit das Eurodac mit den anderen EU-Systemen interoperabel ist. Die entsprechenden Gesetzesanpassungen sind bereits im Rahmen der Vorlage zur Interoperabilität vorgesehen, die das Parlament im Frühling 2021 genehmigt hat. 1⁰7
Der CIR erfährt mit der Umsetzung der vorliegenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands insofern eine inhaltliche Änderung, als personenbezogene und biometrische Daten von Personen, die internationalen Schutz beantragen, beim illegalen Überschreiten der Schengen-Aussengrenze aufgegriffen werden, sich illegal in der Schweiz aufhalten, im Rahmen eines Resettlement-Verfahrens aufgenommen werden oder aus Seenot gerettet wurden, in bestimmten Fällen automatisch mit den Daten anderer EU-Systeme abgeglichen werden. Artikel 110 a Absatz 1 nAIG der Vorlage zur Interoperabilität 1⁰8 erwähnt bereits Eurodac.
Die Vorlage zur Interoperabilität ist jedoch dahingehend zu ändern, dass der Zugriff der Behörden, die für die Datenerfassung in Eurodac zuständig sind, auf den CIR und den MID gewährleistet ist. Damit können Fragen in Zusammenhang mit Mehrfachidentitäten oder bei zu verifizierenden Verknüpfungen zwischen verschiedenen Schengen-Systemen geklärt werden. Daher ist der künftige Artikel 110 c Absatz 1 AIG mit einem neuen Buchstaben e zu ergänzen (Abfrage des CIR zwecks Aufdeckung von Mehrfachidentitäten). Artikel 110 g Absatz 1 nAIG (manuelle Verifizierung verschiedener Identitäten im MID) erfährt ebenfalls indirekt eine inhaltliche Änderung, da er auf Artikel 110 c Absatz 1 nAIG verweist.
1⁰7 Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands), BBl 2020 7983 .
1⁰8 Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands), BBl 2021 674 .
5.5.1.2 Abnahme der biometrischen Daten ab sechs Jahren
Die biometrischen Daten, die je nach Personenkategorie abzunehmen sind, werden derzeit in den Gesetzen präzisiert. Daher sind Artikel 99 AsylG und Artikel 111 i AIG anzupassen. In Bezug auf die spezifischen Vorschriften für Minderjährige und insbesondere unbegleitete Minderjährige wird auf Artikel 17 AsylG verwiesen, der in keiner Weise angepasst werden muss. Im Ausländerbereich wird hingegen Artikel 111 i AIG präzisiert. Er wird im Rahmen dieser Vorlage zu Artikel 109 l E-AIG.
Da gemäss heutigem Zeitplan die geänderten Bestimmungen gleichzeitig mit der Vorlage zur Interoperabilität oder zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten werden, baut der vorliegende Vorentwurf auf der Vorlage zur Interoperabilität auf. Dieser hat bestimmte Artikel des AIG insbesondere betreffend Eurodac geändert.
5.5.1.3 Erfassung neuer Daten im Zentralsystem
Die revidierte Eurodac-Verordnung sieht die Erfassung neuer Daten vor, die in Zusammenhang mit laufenden Verfahren (Dublin oder andere) oder dem Verhalten der betreffenden Person stehen. Es ist auch anzugeben, ob die Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt oder ob sie Rückkehrhilfe erhalten hat. Die bisherigen und die neuen Daten werden künftig in Datenkategorien zusammengefasst. Diese Neuerung bedingt eine Änderung der geltenden Artikel. Es wird ein neuer Artikel 102 a bis E-AsylG vorgeschlagen, und Artikel 102 a ter übernimmt den geltenden Artikel 102 a bis AsylG mit einem neuen Wortlaut. Der geltende Artikel 111 i AIG (Art. 109 l VE-AIG, Nummerierung gestützt auf die Vorlage zur Interoperabilität) erfährt ebenfalls eine Änderung. Gleichzeitig wird ein einleitender Artikel 109 k E-AIG geschaffen. Dieser neue Artikel wird gestützt auf die Vorlage zur Interoperabilität nummeriert.
5.5.1.4 Neuerungen beim Zugang zu den Eurodac-Daten
Die Behörden, die Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt ausstellen, sollen neu Abfragen in Eurodac vornehmen können. Technisch erfolgen diese Abfragen immer über den NAP. Dieser übermittelt die Antwort an die abfragende Behörde. Ein Zugriff auf Eurodac-Daten ist nur für Behörden vorgesehen, die Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt ausstellen. Im Verlauf der Verhandlungen wurde darauf verzichtet, den für das Bewilligungsverfahren zuständigen Behörden einen solchen Zugriff zu gewähren, da diese ein allfälliges Migrationsrisiko nicht überprüfen müssen. Die Visumbehörden müssen also neu auf Eurodac-Daten zugreifen können, um insbesondere die Treffer zu Personen, die ein Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt beantragen, zu überprüfen (Art. 9 d der Verordnung [EG] Nr. 767/2008, geändert durch Verordnung [EU] 2021/1134).
Auch die nationale ETIAS-Stelle muss im Rahmen ihrer Aufgaben und insbesondere zur manuellen Überprüfung von übereinstimmenden ETIAS- und Eurodac-Datensätzen auf Daten des Eurodac zugreifen können.
Das Verfahren für den Erhalt der Eurodac-Daten zum Zweck der Verhinderung, Aufdeckung und Untersuchung terroristischer und sonstiger schwerer Straftaten erfolgt grundsätzlich nach Abfrage des CIR. Dieses zweistufige Verfahren ist in Artikel 110 d nAIG der Vorlage zur Interoperabilität 1⁰9 vorgesehen. Im Zuge der Verabschiedung des Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Abkommens zwischen der Schweiz und der EU zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (Prümer Zusammenarbeit) und des Eurodac-Protokolls zwischen der Schweiz, der EU und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend den Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke 11⁰ (nachfolgend «Vorlage Prüm») ist der Erhalt der Daten des Zentralsystems zu Strafverfolgungszwecken gesetzlich geregelt, insbesondere in Artikel 111 j AIG und in den Artikeln 99 Absätze 2-4 und 102 a quater AsylG. Die Vorlage Prüm wird voraussichtlich vor der Umsetzung der neuen Eurodac-Verordnung in Kraft treten. Da der materielle Inhalt dieser künftigen gesetzlichen Bestimmungen durch die Übernahme der Eurodac-Verordnung teilweise geändert wird, müssen die vom Parlament am 1. Oktober 2021 verabschiedeten Bestimmungen der Vorlage Prüm geringfügig geändert werden. Artikel 99 Absätze 2-4 und 102 a quater AsylG (Prüm) sowie Artikel 111 j AIG (Prüm) müssen auf die revidierte Eurodac-Verordnung verweisen. Artikel 111 j AIG (Prüm) wird ausserdem gestützt auf die Vorlage zur Interoperabilität nummeriert.
1⁰9 BBl 2020 8061 , S. 8071-8072
11⁰ BBl 2021 2332
5.5.1.5 Terminologie und Fussnoten
Die Fussnoten betreffend die Verordnung (EU) 2018/1240 ETIAS (Art. 5 E-AIG) sind anzupassen. Die Fussnoten betreffend die Verordnung (EU) 2019/818 (Art. 110 Abs. 1 AIG und Art. 16 a Abs. 1 BPI) werden im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der Überprüfungsverordnung angepasst.
5.5.1.6 Datenbekanntgabe
Die geltenden Grundsätze für die Bekanntgabe von Daten des Eurodac-Systems an Drittstaaten oder internationale Organisationen werden geringfügig geändert. Ein Änderungsbedarf ergibt sich bei Artikel 102 c Absätze 5 und 6 E-AsylG und bei der Fassung IOP der Datenbekanntgabe nach Artikel 109 l nAIG. Dieser Artikel wird neu zu Artikel 109 l bis E - AIG.
5.5.1.7 Gesichtsbildexperten
Künftig sollen Gesichtsbilder automatisch mit den in Eurodac und im CIR gespeicherten Gesichtsbilddaten abgeglichen werden können. Damit lässt sich bestimmen, ob es sich bei einer Person tatsächlich um die in der Eurodac-Datenbank registrierte Person handelt. Diese technischen Weiterentwicklungen sind noch nicht abgeschlossen. So wie bei den Fingerabdrücken ist auch beim Gesichtsbild eine Prüfung auf nationaler Ebene angezeigt. Artikel 102 a quinquies E-AsylG übernimmt den geltenden Artikel 102 a ter AsylG und wird entsprechend angepasst. Im AIG ist eine identische Bestimmung vorzusehen.
5.5.1.8 Löschung von Daten aus dem Zentralsystem und aus dem CIR
Künftig werden Eurodac-Datensätze nur dann vorzeitig gelöscht, wenn Drittstaatsangehörigen das Bürgerrecht eines Dublin-Staats erteilt wird. Dies gilt sowohl für Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, als auch für Personen aus dem Ausländerbereich. Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung oder das Verlassen des Schengen-Raums zieht nicht mehr eine vorzeitige Löschung der Daten nach sich. Die Dauer der Datenaufbewahrung wird ebenfalls geringfügig geändert, was eine Präzisierung in den bestehenden Artikeln und eine Umnummerierung zu Artikel 102 a ter E-AsylG und 109 l E-AIG bedingt .
5.5.1.9 Kompetenzdelegation an den Bundesrat
Das Asylgesetz und das Ausländer- und Integrationsgesetz müssen künftig Delegationsnormen an den Bundesrat vorsehen. Dieser muss verschiedene Aspekte der Eurodac-Datenbank in einer Ausführungsverordnung regeln können, sofern die Entwicklungen im IT-Bereich den Behörden einen Online-Zugang zu den Daten ermöglichen. Es ist also eine Liste der im System enthaltenen Daten mit den Zugriffsrechten der Behörden zur Abfrage oder Bearbeitung dieser Daten zu erstellen. Es ist auch zu präzisieren, welche Informationen bei einer bestätigten Übereinstimmung an die Behörden übermittelt werden. Für andere europäische Informationssysteme wie VIS, EES oder ETIAS sind diese Aspekte ebenfalls teilweise geregelt. Aus diesem Grund werden die neuen Artikel 109 l ter E-AIG und 102 c bis E-AsylG vorgeschlagen.
5.5.1.10 Sanktionen
Die Sanktionen bei missbräuchlicher Verwendung von Eurodac-Daten sind künftig im neuen Buchstaben e von Artikel 120 d AIG in der vom Parlament im Rahmen der Interoperabilität genehmigten Fassung geregelt. Hier sind im Wesentlichen die Artikel, auf die Buchstabe e verweist, zu aktualisieren.
5.5.1.11 Relocation
Die Relocation bezieht sich entweder auf Asylsuchende oder auf Personen, die bereits einen Schutz erhalten haben. Diese Fälle werden angesichts der Teilnotifikation der EU im vorliegenden Entwurf nicht berücksichtigt. Allenfalls müsste Artikel 102 a ter Absatz 9 Buchstabe e E-AsylG dahingehend geändert werden, dass Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge erwähnt werden.
5.5.1.12 Zugriff der nationalen ETIAS-Stellen und der Behörden, die Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt ausstellen, auf Daten des Eurodac
Die in den Artikeln 9 und 10 der neuen Verordnung vorgesehenen Zugriffe werden in den Entwurf zur Revision des AIG aufgenommen. Diese Bestimmungen werden in Artikel 109 l Absatz 10 E-AIG umgesetzt.
5.5.1.13 Abgleich der biometrischen Daten mit den bereits in Eurodac enthaltenen Daten
Gemäss Kapitel 9 der Eurodac-Verordnung werden die Verfahren zum Abgleich biometrischer Daten in die vorgeschlagenen Bestimmungen aufgenommen (Art. 109 l Abs. 5 E-AIG und Art. 102 a ter Abs. 5-7 E-AsylG).
5.5.1.14 Änderung der im Rahmen des Eurodac-Protokolls genehmigten Bestimmungen
Die im Rahmen der Vorlage Prüm genehmigten Bestimmungen müssen aufgrund der neuen Eurodac-Verordnung und der darin enthaltenen Verweise geändert werden. Ausserdem wird eine von der Übernahme der vorliegenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands unabhängige Revision vorgeschlagen. Bestimmte Artikel werden geändert (Art. 109 l quater E-AIG und 102 a quater E-AsylG), da der Begriff der «benannten Behörden» im Sinne der Eurodac-Verordnung neu definiert wird. Dieser entspricht dem Begriff der «benannten Behörden», der bereits im Rahmen des Erhalts der Daten des VIS, EES und ETIAS festgelegt worden ist.
5.5.1.15 Speicherung biometrischer Daten im AFIS
Die Rechtsgrundlagen für die Speicherung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten im AFIS durch das EJPD sind bereits heute vorgesehen. Es ist zu präzisieren, dass die Gesichtsbilder zu den im AFIS erfassten und gespeicherten biometrischen Daten gehören. Diese Präzisierung kann in der Verordnung vom 6. Dezember 2013 11¹ über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten und in Artikel 87 VZAE erfolgen. Artikel 354 StGB bildet die Rechtsgrundlage von AFIS. In Absatz 3 dieses Artikels ist zu präzisieren, dass nicht biometrische Personendaten im ZEMIS enthalten sind und dass diese Daten nicht nur im AIG und im AsylG geregelt sind, sondern auch im BGIAA.
Darüber hinaus soll das Vorhaben AFIS 2026 gewährleisten, dass die in der nationalen AFIS-Datenbank gespeicherten Gesichtsbilder für den Abgleich verwendet werden können. Dazu wird das bestehende AFIS-System mit einem neuen Modul ergänzt. Da die Umsetzung dieses Vorhabens zeitlich mit der Eurodac-Vorlage zusammenfällt, wurden verschiedene asylrechtliche Präzisierungen vorgenommen: Das AsylG verwendet in verschiedenen Artikeln den Begriff «Fotografie». Es wird vorgeschlagen, den Begriff «Gesichtsbild» zu verwenden entsprechend der Terminologie für biometrische Daten in der neuen Eurodac-Verordnung. In mehreren Artikeln des AsylG wird der Wortlaut jedoch beibehalten, da es sich um Dateneingaben im beschleunigten oder erweiterten Verfahren handelt und die Erfassung weiterer biometrischer Daten vorbehalten bleibt (Art. 22 und 26 AsylG).
11¹ SR 362.3
5.5.1.16 Erfassung neuer Daten im ZEMIS
Gemäss Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe c BGIAA unterstützt das ZEMIS das SEM bei der Erfüllung der folgenden Aufgaben im Ausländerbereich: Kontrolle der Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen der Ausländerinnen und Ausländer nach den Vorschriften des AIG sowie der Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen. Letzteres bezieht sich auch auf die Umsetzung der neuen Eurodac-Verordnung. Die für das Eurodac-System massgebenden Daten können daher im ZEMIS erfasst werden. Davon ausgenommen sind die biometrischen Daten, die im AFIS-System erfasst werden gemäss den einschlägigen Artikeln des AsylG und des AIG. Ausserdem hält Artikel 4 Absatz 2 BGIAA Folgendes fest: «Im Informationssystem können besonders schützenswerte Personendaten nach Artikel 5 Buchstabe c des Datenschutzgesetzes vom 25. September 2020 (DSG) bearbeitet werden, sofern dies zur Erfüllung der Aufgaben nach Artikel 3 dieses Gesetzes unerlässlich ist» .
Besonders schützenswerte Daten und Informationen wie das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, der Umstand, dass die betreffende Person unrechtmässig bewaffnet ist, oder die Gewährung von Schutz oder Rückkehrhilfe können nach geltendem Recht und der neuen Eurodac-Verordnung im ZEMIS oder im eRetour gespeichert werden. Daher müssen in diesem Entwurf keine besonderen Bestimmungen zu diesem Zweck geschaffen werden.
5.5.2 Umsetzungsfragen
5.5.2.1 Erfasste Daten
Bei Personen der Kategorie I müssen verschiedene Personendaten neu erfasst werden. Dazu gehört insbesondere das Gesichtsbild von Personen ab sechs Jahren. Zudem ist die Information, dass der Schutz verweigert wurde, dass eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung besteht oder dass Rückkehrhilfe gewährt wurde, im Zentralsystem zu erfassen.
Nach dieser Prüfung oder nach einer Änderung in Zusammenhang mit der Souveränitätsklausel oder unabhängig davon ist auch bei allen Kategorien rasch anzugeben, welcher Dublin-Staat zuständig ist. Zudem ist das Datum der Ausreise aus dem Schengen-Raum anzugeben, wenn feststeht, dass die Person diesen verlassen hat.
Ausserdem sind, soweit möglich, die Art und Nummer des Reisedokuments sowie eine eingescannte Farbkopie der Reisedokumente oder Identitätsausweise mit Hinweis auf deren Echtheit im System einzugeben. Ist kein solches Dokument vorhanden, sollte ein anderes Dokument, das die Identifizierung des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen erleichtert, mit Hinweis auf dessen Echtheit erfasst werden.
5.5.2.2 Verwaltungsmassnahmen bei Verweigerung der Abnahme der Fingerabdrücke
Gemäss der Eurodac-Verordnung können die assoziierten und EU-Staaten Verwaltungsmassnahmen beschliessen, wenn Personen, deren biometrische Daten in Eurodac erfasst werden müssen, nicht kooperieren. Das SEM hat diese Frage geprüft und ist der Ansicht, dass keine Verwaltungsmassnahme im Gesetz vorzusehen ist. Nach Prüfung der Praxis ist das SEM zum Schluss gekommen, dass keine Massnahmen erforderlich sind.
Wer die Abnahme von Fingerabdrücken oder Gesichtsbild verweigert, verletzt seine Mitwirkungspflicht nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe e AsylG. Dies kann zu einer Abschreibung nach Artikel 8 Absatz 3bis AsylG führen. Die Verletzung der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflicht (Art. 90 AIG) kann ebenfalls Folgen haben.
5.5.2.3 Markierung und Löschung der Daten
Die neue Eurodac-Verordnung bringt eine Änderung bei der Datenmarkierung mit sich. Die Daten von Personen, die einen Aufenthaltstitel oder ein Anwesenheitsrecht erhalten, ohne ein Asylgesuch gestellt zu haben, werden im Eurodac-System markiert statt gelöscht. So ist ersichtlich, ob und aus welchem Grund die Person einen Aufenthaltstitel erhalten hat. Das Gleiche gilt für Personen, die den Schengen-Raum verlassen haben. Diese Information ist im System enthalten und wird nicht mehr vorzeitig gelöscht.
5.5.2.4 Fingerabdruck- und Gesichtsbildexperten
Es wird weiterhin auf Fingerabdruckexperten zurückgegriffen. Neu soll nur bei Bedarf eine Analyse der Fingerabdrücke durchgeführt werden.
Derzeit werden aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung der EU alle Ergebnisse überprüft. Dies entspricht nicht dem aktuellen Stand der Technik. Der eingesetzte AFIS-Algorithmus ist leistungsstark genug für eine halbautomatisierte Arbeitsweise. Es sind Statistiken basierend auf früheren Befragungen zu erstellen. Diese Statistiken liefern Informationen über die Verteilung der Ergebnisse, also einen Wahrscheinlichkeitswert des Systems für einen Abgleich in Kombination mit den Schlussfolgerungen der Expertinnen und Experten. So lassen sich zwei Schwellenwerte bestimmen:
-
Mit dem unteren Schwellenwert wird ein Wert festgelegt, der besagt, dass ein darunter liegendes Ergebnis einem NoMatch entspricht und automatisiert direkt an den Kunden weitergeleitet wird, wobei ein minimales Risiko eines falsch-negativen Ergebnisses berücksichtigt wird.
-
Mit dem oberen Schwellenwert wird ein Wert festgelegt, der besagt, dass ein darüber liegendes Ergebnis einem Match entspricht und automatisiert direkt an den Kunden weitergeleitet wird, wobei ein nahezu inexistentes Risiko eines falsch-positiven Ergebnisses berücksichtigt wird.
Zwischen diesen beiden Schwellenwerten sind die vom System gelieferten Ergebnisse trotz der Leistungsfähigkeit der Algorithmen nicht unbestreitbar. In diesem Fall ist ein Fingerabdruckexperte beizuziehen. Da die Ergebnisse von verschiedenen Faktoren (Qualität der biometrischen Aufnahmen, Umfang der Datenbank) und vom Algorithmus abhängen, erfordert die Festlegung von Schwellenwerten umfangreiche Statistiken und eine ständige Anpassung.
Langfristig wird auch ein Abgleich der Gesichtsbilddaten erfolgen, sofern dies technisch möglich ist. Gemäss der EU-Verordnung sollten Treffermeldungen von Eurodac in Bezug auf Gesichtsbilddaten in jedem Fall überprüft werden, wenn nur diese biometrischen Daten zu einem automatischen Abgleich geführt haben.
5.6 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Umsetzungserlasses
5.6.1 Ausländer- und Integrationsgesetz
Art. 5 Abs. 1 Bst. abis zweite Fussnote
1¹2
Die Verordnung (EU) 2018/1240 wird im Rahmen der Totalrevision der Eurodac-Verordnung geändert. Daher ist in der entsprechenden Fussnote die Formulierung zu übernehmen, die in den Gesetzesänderungen für ETIAS vorgesehen ist.
1¹2 AIG geändert durch den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) vom 25. September 2020.
Art. 109k
Informationssystem Eurodac
Im Rahmen der Vorlage zur Interoperabilität wurde der geltende Artikel 111 i aufgehoben und in Artikel 109 k eingefügt. Der vorliegende Artikel 109 k stellt wie Artikel 102 a bis E-AsylG eine neue Bestimmung dar, die aufgrund der Übernahme der vorliegenden Eurodac-Verordnung geschaffen wird. Dieser Artikel umfasst neu eine Definition des Eurodac-Zentralsystems und dessen Inhalten, analog zu den anderen Schengen-Informationssystemen. Es wird darauf verzichtet, alle zu erfassenden Daten nach Personenkategorien zu erwähnen, da eine solche Liste sehr umfangreich wäre. Daher wird vorgeschlagen, nur die im Eurodac-Zentralsystem enthaltenen Datenkategorien im Gesetz zu regeln. In einer Ausführungsverordnung können sämtliche Daten des Systems aufgeführt werden.
In Absatz 1 wird festgehalten, dass das Eurodac-System die persönlichen Daten von Drittstaatsangehörigen enthält, die mindestens sechs Jahre alt sind und ein Asylgesuch gestellt haben (Bst. a), an einem Neuansiedlungsverfahren teilnehmen oder im Rahmen eines solchen aufgenommen werden (Bst. b), aus Seenot gerettet wurden (Bst. c), vorübergehenden Schutz geniessen und einer Gruppe Schutzbedürftiger angehören (Bst. d), illegal in den Schengen-Raum einreisen oder sich illegal im Schengen-Raum aufhalten (Bst. e und f).
In Absatz 2 werden die Kategorien von Daten aufgezählt, die über eine einzige nationale Schnittstelle an Eurodac übermittelt werden. Es handelt sich dabei um Identitätsdaten über die betreffenden Drittstaatsangehörigen sowie die Daten zu den Reisedokumenten und Identitätsdokumenten (Bst. a), Fingerabdrücke und Gesichtsbild (Bst. b), Daten zu Verfahren und Zuständigkeiten in den Schengen-Staaten und Dublin-Staaten (Bst. c) und weitere Daten nach Massgabe der Eurodac-Verordnung über die Person und ihre Identität (Bst. d). Dazu gehören auch gewisse besonders schützenswerte Personendaten, wie Daten über strafrechtliche Verfolgungen oder über die Gesundheit, eine allfällige Gewalttätigkeit und die Folgerung daraus, dass die Person eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen könnte (Bst. d). Eine finanzielle Unterstützung im Rahmen der Rückkehr wird auch darunter subsumiert.
In Absatz 3 wird festgehalten, dass die Daten nach Absatz 2 Buchstaben a und b automatisiert im CIR gespeichert werden.
Art. 109l
Erfassung, Abfrage und Bearbeitung der Daten in Eurodac
Der geltende Artikel 111
i
AIG entspricht Artikel 109
k
nAIG der Fassung IOP. Dieser Artikel erfährt aufgrund der neu in Eurodac erfassten Daten eine teilweise Änderung und wird aus Gründen der Systematik zu Artikel 109
l
E-AIG.
Er wird gestützt auf die Vorlage zur Interoperabilität umnummeriert.
Abs. 1
Mit der neuen Eurodac-Verordnung wird das Alter von Personen, denen die biometrischen Daten abgenommen werden müssen, auf sechs Jahre herabgesetzt. Bisher mussten die Personen 14 Jahre alt sein. Zudem wird neu festgehalten, dass nicht nur die Fingerabdrücke, sondern auch das Gesichtsbild abgenommen werden müssen (biometrische Daten). Dieser Absatz wird entsprechend angepasst. Bisher wurde im geltenden Absatz 2 abschliessend aufgelistet, welche personenbezogenen Daten neben den Fingerabdrücken erhoben werden müssen. Neu wird auf eine abschliessende Aufzählung im Gesetz verzichtet und lediglich mit einem Verweis auf die Eurodac-Verordnung auf die neben den Fingerabdrücken und dem Gesichtsbild zu erhebenden Daten verwiesen. Der bisherige Absatz 2 wird daher gestrichen. Die bisherigen Buchstaben a und b von Absatz 1 werden neu in Buchstabe a zusammengefasst, und zur Präzisierung wird eine redaktionelle Änderung vorgenommen. Im neuen Buchstaben b wird gemäss Artikel 23 der Eurodac-Verordnung ergänzend festhalten, dass die notwendigen Daten auch von Personen erhoben werden müssen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten. Mit dieser Ergänzung wird auch der bisherige Absatz 6 (illegaler Aufenthalt) hier ansatzweise integriert.
Die Pflicht zur Erfassung der Daten insbesondere von Personen, die sich illegal im Dublin-Raum aufhalten, ergibt sich aus Artikel 23 der Eurodac-Verordnung; bei Personen, die unrechtmässig die Schengen-Grenzen überschreiten, ergibt sich diese Pflicht aus Artikel 22 der Eurodac-Verordnung.
Die Bezeichnung der Behörden, die Daten in Eurodac erfassen oder bearbeiten werden, wird präzisiert. Dabei handelt es sich um die für die Personenkontrolle an den Grenzen oder im Hoheitsgebiet der Schweiz zuständigen Behörden und künftig das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) sowie die Ausländer- und Polizeibehörden der Kantone und Gemeinden. Die Dateneingabe ist obligatorisch und hat ebenfalls im Rahmen der Überprüfung zu erfolgen. Die genannten Behörden werden somit ebenfalls befugt sein, im Überprüfungsverfahren Eurodac-Daten zu erfassen.
Abs. 2
Ein neuer Absatz 2 muss eingeführt werden, da Artikel 14 der Eurodac-Verordnung neu vorsieht, dass für unbegleitete Minderjährige unverzüglich eine Vertrauensperson bestimmt werden muss, die ihre Interessen während der Erfassung der biometrischen Daten wahrnimmt. Der Bundesrat muss die Rolle dieser Vertrauensperson bestimmen, wie dies bereits heute im Rahmen des Wegweisungsverfahrens der Fall ist. Für die Ernennung einer Vertrauensperson sind die Kantone zuständig. Dieser Aspekt des Verfahrens ist von dem Kanton zu regeln, in dessen Hoheitsgebiet sich die betreffende Person aufhält.
Abs. 3
Dieser Absatz bleibt unverändert, ausser dass für die an Eurodac zu übermittelnden Daten neu auf Absatz 2 verwiesen wird.
Abs. 4
Dieser Absatz entspricht dem bisherigen Absatz 4. Er sieht wie bereits heute vor, dass Fingerabdrücke, die wegen des Gesundheitszustands der betroffenen Person oder wegen Massnahmen der öffentlichen Gesundheit nicht abgenommen werden können, spätestens 48 Stunden nach Wegfallen des Hinderungsgrunds übermittelt werden. Neu wird ergänzt, dass dies neben den Fingerabdrücken auch für das Gesichtsbild gilt.
Abs. 5
Dieser Absatz übernimmt und ändert die Regelungen der bisherigen Absätze 7 und 8 bezüglich des Abgleichs und der Speicherung in Eurodac. Neu wird festgehalten, dass alle übermittelten Daten nach Absatz 1 in der Eurodac-Datenbank gespeichert und die biometrischen Daten mit den in dieser Datenbank bereits gespeicherten Daten automatisch verglichen werden. Nach Artikel 28 der Eurodac-Verordnung findet jedoch ein Abgleich mittels Gesichtsbild nur statt, wenn dieser anhand der Fingerabdrücke nicht möglich ist.
Anschliessend wird das Ergebnis des Vergleichs dem SEM mitgeteilt.
Abs. 6
Dieser Absatz entspricht unverändert dem geltenden Absatz 5.
Abs. 7
Der bisherige Absatz 7 hält fest, dass die erhobenen Daten dem SEM zur Weiterleitung an die Zentraleinheit übermittelt werden. Diese Regelung wird aufgehoben. Neu wird in Absatz 7 in grundsätzlicher Weise festgehalten, dass das SEM als nationale Zugangsstelle im Rahmen der Anwendung der Dublin-Assoziierungsabkommen für den Verkehr mit der Zentraleinheit des Eurodac-Systems und die Bearbeitung der Daten zuständig ist.
Abs. 8
In diesem Absatz wird neu festgehalten, dass gemäss den Artikeln 13 und 14 der Eurodac-Verordnung der Zentraleinheit nach einem erfolgreichen Vollzug der Wegweisung der Zeitpunkt der Ausschaffung bzw. der Ausreise der gesuchstellenden Person aus dem Gebiet der Staaten, die durch eines der Dublin-Assoziierungsabkommen gebunden sind, übermittelt werden muss.
Abs. 9
Dieser Absatz entspricht dem geltenden Absatz 8. Artikel 29 Absätze 5-8 der Eurodac-Verordnung sieht eine neue Frist für die Aufbewahrung der Daten vor: Neu müssen die Daten fünf Jahre und nicht mehr 18 Monate aufbewahrt werden. Die Aufbewahrungsdauer wird somit um 3,5 Jahre verlängert. Zudem wird der Verweis auf die zu übermittelnden Daten angepasst und es wird ergänzt, dass neben den Fingerabdrücken auch das Gesichtsbild nach dieser Zeit automatisch vernichtet wird (biometrische Daten). Neu muss das SEM auch nur noch dann unverzüglich um vorzeitige Vernichtung der Daten ersuchen, wenn es Kenntnis davon erhalten hat, dass eine Person die Staatsbürgerschaft eines Staats erworben hat, der durch eines der Dublin-Assoziierungsabkommen gebunden ist. Bei den bisherigen weiteren Gründen - dem Erhalt eines Aufenthaltstitels (Abs. 8 Bst. a) und dem Verlassen des Hoheitsgebiets (Abs. 8 Bst. b) - ist neu keine vorzeitige Löschung mehr vorgesehen.
Abs. 10
In diesem Absatz wird neu festgehalten, welche Behörden in welchen Fällen die Daten von Eurodac abfragen können. Im Rahmen der Erfüllung der Aufgaben als nationale ETIAS-Stelle ist dies das SEM (Bst. a). Für die Erteilung, Aufhebung, Annullierung oder Verweigerung eines Visums können das SEM, die schweizerischen Vertretungen im Ausland und die Missionen, die für die Visa zuständigen kantonalen Migrationsbehörden und die Gemeindebehörden, auf welche die Kantone diese Kompetenzen übertragen haben, das Staatssekretariat und die Politische Direktion des EDA sowie die Grenzkontrollbehörden Daten von Eurodac abfragen (Bst. b).
Abs. 11
Dieser Absatz entspricht dem geltenden Absatz 9. Es erfolgt lediglich eine Anpassung des Verweises auf die Absätze, für welche die Verfahren nach Artikel 102 b , 102 c und 102 e AsylG anwendbar sind.
Art. 109lbis
1¹3
Bekanntgabe von Eurodac-Daten
Artikel 109 l nAIG wurde im Rahmen der Interoperabilität geschaffen und übernimmt den geltenden Artikel 111 d Absatz 5 AIG. Er erhält mit der Übernahme der neuen Eurodac-Verordnung einen weiteren Absatz und eine neue Nummerierung, da der vorliegende Entwurf sich ausschliesslich auf die Fassung IOP stützt. Es wird eine systematische Nummerierung vorgeschlagen unter Berücksichtigung der neuen Artikel 109 k und 109 l E-AIG.
Abs. 1
Absatz 1 sieht ein grundsätzliches Verbot zur Weitergabe von Eurodac-Daten vor. Er wird geändert, um den Wortlaut der Vorlagen zu EES 1¹4 und ETIAS 1¹5 zu übernehmen.
Abs. 2
Das SEM darf neu an einen Staat, der durch keines der Schengen-Assoziierungsabkommen gebunden ist, Daten übermitteln, wenn dies zum Nachweis der Identität einer oder eines Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Rückkehr notwendig ist und die Bedingungen nach Artikel 50 der Eurodac-Verordnung erfüllt sind (vgl. Ziff. 5.4).
1¹3 AIG geändert durch den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands).
1¹4 BBl 2019 225
1¹5 BBl 2020 7669
Art. 109lter
Ausführungsbestimmungen zu
Eurodac
Aufgrund dieser neuen Bestimmung wird der Bundesrat beauftragt, verschiedene Punkte in Zusammenhang mit dem Informationssystem Eurodac zu regeln. Er muss insbesondere bestimmen, für welche Einheiten der Bundesbehörden nach Artikel 109 l Absatz 10 die dort genannten Befugnisse gelten, und das Verfahren für den Erhalt von Daten des Eurodac-Systems durch die Behörden nach Artikel 109 l quater Absatz 1 (benannte Behörden) festlegen. Ebenfalls zu regeln sind der Datenschutz und die Datenaufbewahrung. Auf Grundlage dieser Bestimmung kann der Bundesrat insbesondere eine neue Eurodac-Verordnung erlassen.
Art. 109lquater
Abgleich in Eurodac zum Zweck der Strafverfolgung
Diese Bestimmung wurde im Rahmen der Genehmigung des Prümer Abkommens und des Eurodac-Protokolls sowie des PCSC-Abkommens mit den USA 1¹6 mit Artikel 111 j AIG (Prüm) verabschiedet, welcher aber noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Artikel 111 j AIG (Prüm) erhält aus systematischen Gründen neu mit Artikel 109 l quater E-AIG eine neue Nummerierung. Er soll zudem inhaltlich angepasst werden. Neu soll in den Absätzen 2 und 4 von Artikel 109 l quater E-AIG das Gesichtsbild sowie die Abfrage mittels alphanumerischer Daten (z. B. Name, Vorname oder Geburtsdatum) aufgenommen werden. Zudem erfährt der Artikel einige formale Anpassungen. Insbesondere sind die Verweise auf die Eurodac-Verordnung zu aktualisieren (Art. 111 j Abs. 3 und 5 AIG [Prüm]).
Artikel 111 j Absatz 1 AIG (Prüm) soll gestrichen werden. In seiner jetzigen Fassung hält er fest, dass das SEM die nationale Zugangsstelle ist und dass es zum Abgleich im Eurodac-System berechtigt ist. Dies ist jedoch bereits in Artikel 109 l Absatz 7 E-AIG geregelt. Absatz 2, der die abfrageberechtigten Behörden bestimmt, wird ergänzt durch den NDB und die Polizeibehörden der Städte Zürich, Winterthur, Lausanne, Chiasso und Lugano, wie dies für den CIR, das VIS und das EES vorgesehen ist. Damit wird die Kohärenz zwischen den entsprechenden Erlassen sichergestellt. Dieser Absatz wird ausserdem zu Absatz 1.
Absatz 6 der Vorlage Prüm, der terroristische Straftaten sowie schwere Straftaten definiert, wird zunächst durch Artikel 109 l quater Absatz 5 E-AIG ersetzt. Dieser legt fest, welche der im nationalen Recht bestehenden Straftaten als terroristische Straftaten (Abs. 5 Bst. a) im Sinne der Richtlinie gelten. Die dort aufgeführten Straftaten decken sich mit denjenigen, die in Ziffer 22 des Anhangs 3 des Entwurfs des Schengen-Informationsaustauschgesetzes (E-SIag) aufgelistet sind, das im Rahmen des Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) 1¹7 einer Totalrevision unterzogen wird. Dieser Entwurf wird derzeit im Parlament beraten, weswegen sichergestellt werden muss, dass die entsprechenden Bestimmungen übernommen werden, falls sie sich im Laufe der Beratungen ändern sollten. Anstatt die in Artikel 111 j Absatz 6 Buchstabe a AIG (Prüm) vorgesehene Aufzählung von Straftaten zu übernehmen, nimmt der Wortlaut von Absatz 5 Buchstabe a somit die oben erwähnte Totalrevision vorweg. Bezüglich der schweren Straftaten (Abs. 5 Bst. b) wird auf den Deliktskatalog in Anhang 1 des geltenden SIaG verwiesen. Ein ähnlicher Verweis ist auch in Artikel 111 j Absatz 6 Buchstabe b AIG (Prüm) enthalten.
1¹6 BBl 2021 2332
1¹7 BBl 2024 2360
Art. 109lquinquies
Überprüfung der Fingerabdrücke und Gesichtsbilder in Eurodac
Dieser Artikel entspricht Artikel 102 a quinquies E-AsylG (vgl. Ziff. 5.6.2) und wird neu in das AIG aufgenommen, da er sich auch auf illegal eingereiste oder aufhältige Drittstaatsangehörige bezieht.
Gemäss Absatz 4 soll das SEM neu eine Überprüfung durch eine Expertin oder einen Experten anordnen, wenn die betroffene Person ein Ergebnis, das nicht durch eine Fingerabdruckexpertin oder einen Fingerabdruckexperten überprüft wurde, bestreitet und begründete Zweifel an der Richtigkeit der Erfassung der Daten oder der Übereinstimmung der Daten vorliegen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Ergebnis Hinweise darauf enthält, dass es sich nicht um dieselbe Person handelt (körperliche Merkmale, Herkunfts- oder Aufenthaltsstaat unglaubwürdig).
Das Ergebnis der Überprüfung wird im Rahmen der nachfolgenden Verfügung festgehalten (z. B. Wegweisungsverfügung im Rahmen
der Dublin-Assoziierungsabkommen
gegen eine Person, die sich illegal in der Schweiz aufhält; Art 64 a AIG). Eine gerichtliche Überprüfung erfolgt, falls die betroffene Person eine Beschwerde gegen den entsprechenden Entscheid einreicht. Die Speicherung der Fingerabdrücke und Gesichtsbilder in AFIS erfolgt während höchstens zwei Monaten. Die gespeicherten Daten befinden sich im nicht-recherchierbaren Bereich des Systems und können nur durch den technischen oder fachlichen Applikationsverantwortlichen zu Analysezwecken exportiert werden. Sollte während dieser Zeit eine Überprüfung durchgeführt worden sein oder ein Endentscheid nicht angefochten werden, müssen die entsprechenden Daten unverzüglich gelöscht werden (vgl. auch Ziff. 5.2.2.5).
Gliederungstitel 7. Abschnitt: Personendossier- und Dokumentationssystem
1¹8
1¹8 AIG geändert durch den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands).
Zudem muss der Gliederungstitel 7. Abschnitt: Personendossier- und Dokumentationssystem der Vorlage zur Interoperabilität nach Artikel 109 l quinquies E-AIG aufgeführt sein, und nicht mehr nach Artikel 109 l nAIG.
Art. 110c Abs. 1 Bst. e
1¹9
Artikel 110 c Absatz 1 nennt die Behörden, die zur Aufdeckung von Mehrfachidentitäten von Drittstaatsangehörigen die im CIR gespeicherten Daten und Verweise abfragen dürfen. Nach den Buchstaben a-d ist ein neuer Buchstabe e einzufügen, damit die Asyl- und Ausländerbehörden, die Daten in Eurodac erfassen müssen, auf den CIR zugreifen können. Da gewisse Aufgaben beim Asylverfahren am Flughafen oder beim Aufgriff von illegal Aufhältigen im Hoheitsgebiet und an den Binnengrenzen vom BAZG ausgeführt werden, muss dieses auf den CIR zugreifen.
Artikel 110 c Absatz 2 sieht vor, dass diese Behörden die im CIR gespeicherten Daten und Verweise abfragen können, soweit sie Zugang zum EES, C-VIS, Eurodac oder SIS haben. Somit können die in Absatz 1 Buchstabe e genannten Behörden die Daten und Verweise des CIR abfragen. Ausserdem müssen diese Behörden auch auf den MID zugreifen können, der die verschiedenen Verknüpfungen zwischen Schengen-Systemen bei gleichen Identitäten enthält. Die Vorlage zur Interoperabilität ist diesbezüglich nicht zu ändern. Artikel 110 g Absatz 1 AIG (manuelle Verifizierung verschiedener Identitäten im MID) verweist auf die Behörden nach Artikel 110 c Absatz 1. Diese können künftig ebenfalls auf den MID zugreifen.
1¹9 AIG geändert durch den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands).
Art. 111c Abs. 3
12⁰
Die Verweise von Artikel 111 c Absatz 3 in der Fassung IOP sind zu überprüfen. Es ist auf Artikel 109 l bis E-AIG zu verweisen, und nicht mehr auf Artikel 109 l nAIG.
12⁰ AIG geändert durch den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands).
Art. 120d Bst. e
12¹
Ein neuer Buchstabe e betreffend das Eurodac-System ist in die Bestimmungen zu den Sanktionen bei missbräuchlicher Verwendung der Daten im Rahmen der Interoperabilität aufzunehmen (Art. 120 d ). Die Bestimmung definiert, was unter einer missbräuchlichen Verwendung von Eurodac-Daten zu verstehen ist. In diesem Fall wird die betroffene Person mit Busse bestraft.
12¹ AIG geändert durch den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands).
5.6.2 Asylgesetz
Art. 99 Sachüberschrift, Abs. 1-4
Abnahme und Auswertung von Fingerabdrücken und Gesichtsbildern
Artikel 99 ermöglicht künftig die Abnahme des Gesichtsbilds (vormals Fotografie) und der Fingerabdrücke von Personen ab sechs Jahren. Die Sachüberschrift des Artikels wird entsprechend geändert. Der Artikel ermöglicht wie bisher die Datenerfassung in Eurodac in Verbindung mit der von fedpol und dem SEM betriebenen Datenbank (AFIS).
Abs. 1
Künftig können von allen Personen aus dem Asylbereich, die mindestens sechs Jahre alt sind, die biometrischen Daten abgenommen werden. Aufgrund der in der Vernehmlassung geäusserten Kritik verzichtet der Bundesrat darauf, die Abnahme der biometrischen Daten von Kindern unter sechs Jahren vorzusehen (vgl. Ziff. 5.2.2.1). Dies ist eine spezifische Regelung im Asylbereich. Sie betrifft nicht nur Eurodac, sondern auch andere Datenbanken. Die in der Eurodac-Verordnung vorgesehenen Ausnahmen von der Erfassung der biometrischen Daten sind bereits berücksichtigt (Art. 13 der Eurodac-Verordnung).
Abs. 2-4
Diese Absätze erwähnen neu das Gesichtsbild anstelle des weniger präzisen Begriffs «Fotografie». Ansonsten bleiben sie unverändert. Künftig ist die Verwendung der Gesichtsbilder im Rahmen von AFIS rechtlich möglich. Der bisherige Wortlaut der Absätze 2-4 wird den Wortlaut von Artikel 99 Absätze 2-4 AsylG (Prüm) ersetzen, der wahrscheinlich früher in Kraft treten wird.
Die übrigen Absätze von Artikel 99 bleiben unverändert.
Art. 102abis
Informationssystem Eurodac
Dieser Artikel umfasst eine Definition des Informationssystems Eurodac und dessen Inhalten, analog zu den anderen Schengen-Informationssystemen. Die geltende Bestimmung zu Eurodac (Art. 102 a bis AsylG), die verschiedene Aspekte des Systems regelt, wird in Artikel 102 a ter übernommen. Wie in Artikel 109 k AIG des vorliegenden Entwurfs werden nicht mehr alle zu erfassenden Daten im Gesetz erwähnt, sondern nur noch Datenkategorien. Eine vollständige Liste aller Daten nach Personenkategorien wäre unverhältnismässig. Dies würde nicht mehr den für die anderen Informationssysteme (VIS, EES usw.) geltenden Bestimmungen entsprechen.
Abs. 1
Absatz 1 erläutert den Inhalt des Informationssystems Eurodac und insbesondere die Personenkategorien, deren Daten an das System übermittelt werden. Es sind dies Asylsuchende, Personen, die an einem Resettlement-Verfahren beteiligt sind oder im Rahmen eines solchen Verfahrens zugelassen werden, Personen, die aus einem Staat, der durch keines der Dublin-Assoziierungsabkommen gebunden ist, illegal in den Schengen-Raum eingereist sind, und Personen, die sich illegal im Schengen-Raum aufhalten. Als weitere Kategorien hinzu kommen Personen, die aus Seenot gerettet wurden (Bst. c), sowie Personen, die vorübergehend Schutz erhalten haben und einer Gruppe Schutzbedürftiger angehören (Bst. d).
Abs. 2
Absatz 2 führt die Kategorien von Daten auf, die an das Informationssystem Eurodac übermittelt werden. Dazu gehören Identitätsdaten über die betreffenden Drittstaatsangehörigen sowie Daten zu Reisedokumenten und Identitätsdokumenten (Bst. a), Fingerabdrücke und Gesichtsbild (Bst. b), Daten zu Verfahren und Zuständigkeiten in den Schengen-Staaten und Dublin-Staaten (Bst. c) und weitere besonders schützenswerte Daten nach Massgabe der Eurodac-Verordnung über die Person und ihre Identität (Bst. d). Dazu gehören auch gewisse besonders schützenswerte Personendaten, wie Daten über verwaltungs- und strafrechtliche Verfolgungen oder über die Gesundheit. Die unter Buchstabe d genannte Datenkategorie bezieht sich auf die Eigenschaften der betreffenden Person. Dazu gehört beispielsweise die Angabe, ob die Person eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit darstellt (vgl. Art. 109 k Abs. 2 E-AIG).
Diese Daten sind in den Artikeln zu den verschiedenen Personenkategorien erwähnt (Asylsuchende, illegal in die Schweiz eingereiste Personen, illegal aufhältige Personen, aus Seenot gerettete Personen oder Personen, die mit dem Status S vorübergehenden Schutz geniessen).
Abs. 3
Die Daten zur Identität und zu den Reisedokumenten sowie die biometrischen Daten werden neu im gemeinsamen Speicher für Identitätsdaten (CIR) i. S. v. Artikel 110 a Absatz 1 nAIG gespeichert, der für die Interoperabilität der europäischen Informationssysteme unerlässlich ist.
Art. 102ater
Erfassung, Abfrage und Bearbeitung der Daten in Eurodac
Der geltende Artikel 102 a bis AsylG wird zu Artikel 102 a ter E-AsylG. Einige Bestimmungen werden jedoch überarbeitet. Es wird bestimmt, welche Behörden Daten betreffend den Asylbereich in Eurodac erfassen können und welche Behörden künftig einen Zugriff zur Abfrage des Systems erhalten. Das SEM ist nach wie vor die nationale Kontaktstelle in Bezug auf Eurodac.
Abs. 1
Absatz 1 entspricht im Wesentlichen dem geltenden Artikel 102 a bis Absatz 1 AsylG. Neu soll präzisiert werden, dass das SEM als nationale Zugangsstelle fungiert.
Abs. 2
Absatz 2 legt fest, wer Daten in Eurodac erfassen und abfragen darf. Es sind dies neu die Mitarbeitenden des SEM, des BAZG (derzeit Grenzwachtkorps) sowie der Flughafenpolizei, die Asylverfahren durchführen (Bst. a). Die Mitarbeitenden des SEM und der Schweizer Auslandvertretungen, die Aufgaben im Bereich Resettlement wahrnehmen, müssen das System ebenfalls abfragen können (Bst. b). Diese Behörden sind zur Erfassung von Daten verpflichtet und müssen daher auf Eurodac zugreifen können. Sie können auch Daten zu einer zu erfassenden Person abrufen, die bereits im System vorhanden sind.
Abs. 3
Der neue Absatz 3 übernimmt den geltenden Absatz 2 von Artikel 102 a bis AsylG. Die Behörden übermitteln die Daten innerhalb von 72 Stunden nach deren Erfassung an das System. Neu wird in Bezug auf die massgebenden zu übermittelnden Daten auf Absatz 2 verwiesen.
Abs. 4
Absatz 4 übernimmt den geltenden Absatz 2bis von Artikel 102 a bis AsylG und erwähnt neu das Gesichtsbild.
Abs. 5
Absatz 5 übernimmt den geltenden Absatz 3 von Artikel 102 a bis AsylG. Ein neuer Verweis auf Absatz 2 tritt anstelle der bisher genannten Daten, die an das System übermittelt werden. Der neue Absatz 5 hält fest, dass der Abgleich mittels Gesichtsbild durchgeführt wird, wenn dies anhand der Fingerabdrücke nicht möglich ist. Gemäss der neuen Eurodac-Verordnung ist das Gesichtsbild subsidiär (Art. 28). Das Ergebnis des Abgleichs wird wie bereits heute dem SEM mitgeteilt.
Abs. 6
Absatz 6 legt fest, in welchen Fällen kein automatischer Abgleich der biometrischen Daten erfolgt. Diese Bestimmungen sind in Artikel 27 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2024/1358 vorgesehen.
Abs. 7
Absatz 7 hält fest, dass bei der Eingabe der Daten von Personen, die für ein Resettlement-Verfahren in Frage kommen, automatisch ein eingeschränkter Datenabgleich erfolgt. Diese Daten werden nur mit den Daten von Personen, denen Schutz gewährt wurde, und von Personen, die an einem Resettlement-Verfahren beteiligt waren oder im Rahmen eines solchen Verfahrens zugelassen wurden, abgeglichen.
Abs. 8
Dieser Absatz übernimmt unverändert den geltenden Absatz 2ter von Artikel 102 a bis AsylG.
Abs. 9
Absatz 9 übernimmt im Grundsatz den geltenden Absatz 2quater von Artikel 102 a bis AsylG und regelt, welche Daten oder Informationen nachträglich an die Eurodac-Zentraleinheit übermittelt werden. Sobald die Dublin-Zuständigkeit feststeht, wird der entsprechende Staat angegeben (Bst. a). Zudem ist bei Aufnahme oder Wiederaufnahme einer Person der Zeitpunkt der Ankunft in der Schweiz mitzuteilen. Neu werden diese beiden Fälle in einem Buchstaben zusammengefasst (Bst. b). Die Buchstaben c und d übernehmen unverändert das geltende Recht. Buchstabe e ist teilweise neu und sieht vor, dass die Schweiz ihre Zuständigkeit für die Behandlung des Asylgesuchs im System eingibt, sofern sie aufgrund der Souveränitätsklausel der AMMR-Verordnung (Art. 35) sowie im Rahmen eines Umverteilungsprogramms freiwillig der für die Behandlung eines Asylgesuchs zuständige Dublin-Staat wird oder einer Person einen Aufenthaltstitel gewährt. Buchstabe f ist ebenfalls neu. Er stützt sich auf die neue Eurodac-Verordnung, wonach die Zuständigkeit des Staats zu aktualisieren ist, wenn die Fristen für eine Dublin-Überstellung nicht eingehalten werden. Die Eurodac-Verordnung verweist diesbezüglich auf die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement (Art. 37 der AMMR-Verordnung).
Abs. 10
Absatz 10 übernimmt Absatz 4 von Artikel 102 a bis AsylG, der die Datenaufbewahrung regelt. Neu werden die Daten längstens zehn Jahre aufbewahrt, da bestimmte Ausnahmen insbesondere in Zusammenhang mit Resettlement-Verfahren vorgesehen sind. Eine vorzeitige Löschung der Daten erfolgt nur, wenn die betreffende Person die Staatsangehörigkeit eines Dublin-Staats erwirbt.
Art. 102aquater
Abgleich in Eurodac zum Zweck der Strafverfolgung
Diese Bestimmung wurde im Rahmen der Genehmigung des Prümer Abkommens, des Eurodac-Protokolls und des PCSC-Abkommens mit den USA ¹22 genehmigt. Sie regelt den Zugang zu den Eurodac-Daten zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken. In Anlehnung an Artikel 109 l quater E-AIG wird dieser Artikel im Rahmen der Implementierung der Eurodac-Verordnung angepasst. Die Nummerierung der Bestimmung bleibt dieselbe. Neu soll in den Absätzen 1, 2 und 4 das Gesichtsbild sowie die Abfrage mittels alphanumerischer Daten (z. B. Name, Vorname oder Geburtsdatum) aufgenommen werden. Der Artikel erfährt einige formale Anpassungen. Insbesondere sind die Verweise auf die Eurodac-Verordnung zu aktualisieren (Art. 102 a quater Abs. 3 und 5 AsylG [Prüm]).
Artikel 102 a quater Absatz 1 AsylG (Prüm) wird gestrichen. Absatz 2 (Prüm) wird zu Absatz 1, wodurch die Absätze neu nummeriert werden müssen. Absatz 6 (Prüm) wird ebenfalls gestrichen, wobei sein Wortlaut in Absatz 5 übernommen wird. Diesbezüglich wird auf die Erläuterungen zu Artikel 109 l quater E-AIG verwiesen.
¹22 BBl 2021 742
Art. 102aquinquies
Überprüfung der Fingerabdrücke und Gesichtsbilder in Eurodac
Dieser Artikel übernimmt die bereits bestehende Regelung zur Verifizierung der Fingerabdrücke aus Eurodac bei einem Treffer (Art. 102 a ter). Hier werden die neuen Artikel 28 und 38 der Eurodac-Verordnung umgesetzt. Da neue Elemente in diese Bestimmung aufzunehmen sind, wird eine Umnummerierung in Artikel 102 a quinquies vorgeschlagen. Die neue Formulierung berücksichtigt das Gesichtsbild.
Abs. 1
Absatz 1 entspricht unverändert der geltenden Regelung von Artikel 102 a ter Absatz 1 AsylG.
Abs. 2
Künftig ist das Verfahren zur Verifizierung von Treffern zu regeln, wenn eine Abfrage sowohl anhand der Fingerabdrücke als auch mittels Gesichtsbild erfolgt. Es ist vorgesehen, dass das Gesichtsbild nur dann von einer Expertin oder einem Experten überprüft wird, wenn das Gesichtsbild einen Treffer ergibt, aber keine Übereinstimmung mit den Fingerabdrücken besteht.
Abs. 3
Die erforderlichen Qualifikationen der Expertinnen und Experten, die diese Daten überprüfen, werden wie bereits heute vom SEM bestimmt. Künftig muss das SEM auch die Qualifikationen der Gesichtsbildexperten festlegen.
Abs. 4
Aufgrund der in der Vernehmlassung geäusserten Kritik wird ein neuer Absatz 4 vorgeschlagen. Er ermöglicht dem SEM, in strittigen Fällen bei fedpol eine Überprüfung durch einen Fingerabdruck- oder Gesichtsbildexperten anzuordnen (vgl. Erläuterung zu Art. 109 l quinquies Abs. 4 E-AIG).
Art. 102c Abs. 5 und 6
Abs. 5
Der geltende Absatz 5 sieht ein grundsätzliches Verbot zur Weitergabe von Eurodac-Daten vor. Er wird geringfügig geändert und übernimmt den Wortlaut der Vorlagen zu EES und ETIAS.
Abs. 6
Die Bestimmung zur Weitergabe von Eurodac-Daten wird geringfügig geändert, und es wird ein neuer Absatz 6 vorgeschlagen. Künftig dürfen Eurodac-Daten an Drittstaaten übermittelt werden, wenn dies zum Nachweis der Identität einer oder eines Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Rückkehr notwendig ist. Die in der neuen Eurodac-Verordnung vorgesehenen Bedingungen müssen erfüllt sein, und es wird auf den neuen massgebenden Artikel der Eurodac-Verordnung verwiesen (Art. 50, siehe Ziff. 5.4).
Art. 102cbis
Ausführungsbestimmungen zu Eurodac
Der Bundesrat muss künftig die verschiedenen Aspekte in Bezug auf den Datenschutz und die Zugriffe auf das Eurodac-System regeln. Auf Grundlage des neuen Artikels 102 c bis E-AsylG kann der Bundesrat Ausführungsbestimmungen erlassen, wenn dies angebracht ist (vgl. Erläuterung zu Art. 109 l ter E-AIG).
5.6.3 Bundesgesetz über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich
Die Artikel 1 Absatz 2 (Anwendungsbereich) und 15 (Bekanntgabe von ZEMIS-Daten) BGIAA wurden im Rahmen der Vorlage zur Interoperabilität, die vom Parlament im Frühling 2021 genehmigt wurde, ¹23 revidiert. Einige Verweise auf Artikel des AIG und des AsylG sind auf Grundlage des vorliegenden Entwurfs, der die Artikel zu Eurodac neu nummeriert, anzupassen.
¹23 BBl 2021 674
5.6.4 Strafgesetzbuch
In Artikel 354 Absatz 3 StGB ist das BGIAA als weiteres Gesetz zu nennen, das die Bearbeitung der im AFIS-CH gespeicherten Personendaten regelt. Die biometrischen Daten von Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmässig im Schengen-Raum aufhalten oder die Grenze auf unerlaubte Weise überschritten haben, werden erfasst und an Eurodac übermittelt und mit den Daten des AFIS abgeglichen. Die Daten von Asylsuchenden werden ebenfalls wie bereits heute an Eurodac übermittelt und im AFIS gespeichert. Nicht biometrische und allenfalls besonders schützenswerte Personendaten sind im ZEMIS enthalten, das im BGIAA geregelt ist.
5.7 Koordinationsbedarf
. Koordinationsbedarf mit der Vorlage Prüm
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Eurodac-Verordnung besteht ein besonderer Koordinationsbedarf mit dem Bundesbeschluss vom 1. Oktober 2021 ¹24 über die Genehmigung und die Umsetzung des Abkommens zwischen der Schweiz und der EU zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (Prümer Zusammenarbeit) und des Eurodac-Protokolls zwischen der Schweiz, der EU und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend den Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke (nachfolgend «Vorlage Prüm»). Die Vorlage Prüm zielt darauf ab, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu stärken und den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Schweiz und der EU-Mitgliedstaaten schneller und effizienter zu gestalten. Das Inkrafttreten der daraus resultierenden Gesetzesänderungen wird voraussichtlich vor der Umsetzung der neuen Eurodac-Verordnung erfolgen.
Mit der Vorlage Prüm wird ein neuer Artikel 111 j AIG und ein neuer Artikel 102 a quater AsylG zum Abgleich in Eurodac zwecks Strafverfolgung im Gesetz eingefügt. Ebenso wurden die Absätze 2-4 von Artikel 99 E-AsylG angepasst. Diese Bestimmungen werden im Rahmen der vorliegenden Übernahme und Umsetzung der neuen Eurodac-Verordnung angepasst (neue Art. 109 l quater E-AIG und 102 a quater E-AsylG, vgl. Ziff. 5.6.1 und 5.6.2; neuer Wortlaut Art. 99 Abs. 2-4 E-AsylG, vgl. Ziff. 5.6.2). Artikel 111 j AIG (Prüm) erhält mit Artikel 109 l quater E-AIG eine neue Nummerierung. Da im Rahmen des vorliegenden Eurodac-Entwurfs die Regelung von Artikel 111 j Absatz 6 AIG (Prüm) aufgehoben und ersetzt wird durch den neuen Artikel 109 l quater Absatz 5 E-AIG (siehe hierzu Kommentar zu Art. 109 l quater E-AIG), muss auch Artikel 357 Absatz 5 StGB (Prüm), der auf diesen Absatz 6 in Zusammenhang mit terroristischen Straftaten verweist, angepasst werden. Im Übrigen wird an dieser Stelle auf die Ausführung in den Kommentaren zu den Artikeln 109 l quater E-AIG, 99 Absätze 2-4 und Artikel 102 a quater E-AsylG verwiesen.
Falls der Prümer Bundesbeschluss gleichzeitig mit dem Bundesbeschluss zur Übernahme der Eurodac-Verordnung in Kraft tritt, sollen die Bestimmungen in der Fassung Eurodac (und nicht diejenige in der Fassung Prüm) gelten. Falls die Vorlage Prüm zuerst in Kraft tritt, müssen einige ihrer Bestimmungen aufgehoben und durch die Bestimmungen des Bundesbeschlusses Eurodac ersetzt werden. Darüber hinaus werden die Bestimmungen des Bundesbeschlusses Eurodac Vorrang haben vor den Bestimmungen der Vorlage Prüm.
¹24 BBl 2021 2332
5.7.2 Koordinationsbedarf mit der geplanten Totalrevision des Schengen-Informationsaustausch-Gesetzes
Mit der Verabschiedung der Botschaft ¹25 zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) ¹26 am 4. September 2024 hat der Bundesrat die Totalrevision des SIag vorgeschlagen. Diese Vorlage wird derzeit im Parlament beraten. Der E-SIag wird insbesondere Änderungen und Präzisierungen in Bezug auf terroristische und schwere Straftaten enthalten, für die eine Abfrage in Eurodac zum Zweck der Strafverfolgung von den in Artikel 109 l quater Absatz 1 E-AIG bzw. Artikel 102 a quater Absatz 1 E-AsylG aufgeführten nationalen Behörden beantragt werden kann. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in den Kommentaren zu Artikel 109 l quater E-AIG und 102 a quater E-AsylG verwiesen.
Sollte die Vorlage zur Totalrevision des SIaG nach der Vorlage Eurodac in Kraft treten, müsste in Artikel 109 l quater Absatz 5 E-AIG und Artikel 102 a quater Absatz 5 E-AsylG neu ein Verweis auf Anhang 3 E-SIaG eingeführt werden. Dieser Anhang enthält einen Katalog terroristischer und schwerer Straftaten. Sollte die Vorlage zur Totalrevision des SIaG vor der Vorlage Eurodac in Kraft treten, müssten die genannten Bestimmungen der Eurodac-Vorlage entsprechend angepasst werden.
¹25 BBl 2024 2359
¹26 BBl 2024 2360
5.7.3 Koordinationsbedarf mit der Vorlage zur Interoperabilität
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Änderung der Eurodac-Verordnung besteht ein besonderer Koordinationsbedarf mit dem Bundesbeschluss vom 19. März 2021 ¹27 über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands.
Die Artikel 109 k , 109 l , 110 c Absatz 1 und 111 c Absatz 3 nAIG sowie die Artikel 1 Absatz 2 und 15 nBPI in der Fassung IOP wurden in der vorliegenden Vorlage angepasst (vgl. Ziff. 5.6.1 und 5.6.3). Ebenfalls anzupassen sind die Verweise auf gewisse Bestimmungen des AIG und des AsylG in den Artikeln 1 Absatz 2 und 15 nBGIAA.
Im Bundesbeschluss zur Interoperabilität müssen zudem mehrere Bestimmungen mit der vorliegenden Vorlage Eurodac koordiniert werden. Diese müssen die Artikel 109 l bis, 109 l ter, 109 l quater, 109 l quinquies, 110 c Absatz 1 Buchstabe e und 120 d Buchstabe e E-AIG berücksichtigen. Zudem soll der Gliederungstitel nicht mehr nach Artikel 109 l , sondern nach Artikel 109 l quinquies E-AIG eingefügt werden, da die Eurodac-Vorlage neue Bestimmungen schafft.
Artikel 109 l AIG der Vorlage zur Interoperabilität soll mit einem zusätzlichen Absatz 2 in einen neuen Artikel 109 l bis E-AIG übernommen werden.
Weiter wurde im Rahmen der IOP-Verordnung eine neue Bestimmung in Artikel 110 c AIG bezüglich der Abfrage des CIR zwecks Aufdeckung von Mehrfachidentitäten geschaffen. Neu soll jedoch auch eine Abfrage durch das SEM, die zuständigen kantonalen Migrations- und Polizeibehörden sowie das BAZG im Rahmen ihrer Aufgaben im Asyl- und Ausländerbereich möglich sein, wenn eine Verknüpfung mit einem persönlichen Eurodac-Datensatz vorliegt (Art. 110 c Abs. 1 Bst. e VE-AIG).
Mit der Vorlage zur Interoperabilität wurde die Regelung von Artikel 120 d AIG zur rechtswidrigen Bearbeitung von Personendaten in Informationssystemen angepasst. Im Rahmen der neuen Eurodac-Verordnung soll diese Bestimmung dahingehend angepasst werden, dass neu auch die rechtswidrige Datenbearbeitung in Zusammenhang mit Eurodac mit Busse bestraft wird (Art. 120 d Bst. e E-AIG).
Die Eurodac-Vorlage soll nach der Vorlage zur Interoperabilität in Kraft treten. Falls der Bundesbeschluss zur Interoperabilität gleichzeitig mit dem Bundesbeschluss zur Übernahme der Eurodac-Verordnung in Kraft tritt, sollen die Bestimmungen in der Fassung Eurodac (und nicht diejenige in der Fassung IOP) gelten.
¹27 BBl 2021 674
5.7.4 Koordinationsbedarf mit der ETIAS-Vorlage
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Änderung der Eurodac-Verordnung besteht ein besonderer Koordinationsbedarf mit dem Bundesbeschluss vom 16. Dezember 2022 ¹28 über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2021/1150 und 2021/1152 zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für die Zwecke des Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) (Verordnung [EU] 2018/1240).
Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe abis E-AIG wird in der vorliegenden Vorlage angepasst.
Im Bundesbeschluss zu ETIAS wurde in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe abis AIG eine neue Einreisevoraussetzung geschaffen, die unter anderem auf die Verordnung (EU) 2018/1240 (ETIAS-Reisegenehmigung) verweist. Diese Verordnung wird im Rahmen der neuen Eurodac-Verordnung angepasst, weshalb die entsprechende Fussnote geändert werden muss.
Der Bundesbeschluss zu ETIAS soll vor dem Bundesbeschluss zu Eurodac in Kraft treten. Falls der Bundesbeschluss zu ETIAS gleichzeitig mit dem Bundesbeschluss zur Übernahme der Eurodac-Verordnung in Kraft tritt, soll die Bestimmung in der Fassung Eurodac (und nicht diejenige in der Fassung ETIAS) gelten.
¹28 BBl 2022 3212
5.7.5 Koordinationsbedarf mit dem zukünftigen BAZG-Vollzugsaufgabengesetz
Im Rahmen des aktuell laufenden Transformationsprogramms DaziT ¹29 wird das BAZG unter anderem organisatorisch weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung hat zur Folge, dass die Einheiten «Zoll» und «Grenzwachtkorps (GWK)» zusammengeführt werden. Aufgaben, die nach geltendem Recht von Angehörigen des Grenzwachtkorps wahrgenommen werden, werden künftig von Mitarbeitenden des BAZG, die entsprechend ausgebildet sind und bestimmte Funktionen ausüben, ausgeführt. Diese Funktionen werden derzeit im Rahmen der parlamentarischen Arbeit festgelegt. Die vorliegende Vorlage ist daher mit der Totalrevision des Zollgesetzes und dem zukünftigen BAZG-VG zu koordinieren. 13⁰
Da die Funktionen der Mitarbeitenden des BAZG erst mit dem BAZG-VG eingeführt werden (vgl. Art. 99 Abs. 4 E-AsylG in der Fassung des E-BAZG-VG 13¹ ), wird in der vorliegenden Vorlage der allgemeine Begriff «BAZG» noch nicht eingeführt, sondern die Terminologie des geltenden Rechts belassen, wie in Artikel 99 Absatz 4 E-AsylG, der weiterhin die Bezeichnung «Grenzwachtkorps» verwendet. Dies gilt für die Artikel 109 l E-AIG, 110 c Absatz 1 Buchstabe e E-AIG und 102 a ter E-AsylG der vorliegenden Vorlage. Diese Bezeichnung ist zu gegebener Zeit durch den entsprechenden Begriff im Zollgesetz zu ersetzen. Zudem sind die in der Totalrevision des Zollgesetzes vorgesehenen Koordinationsbestimmungen insbesondere in Bezug auf die Vorlagen zur Interoperabilität oder zu ETIAS zu berücksichtigen, damit die terminologische Kohärenz gewährleistet ist.
Ausserdem ist sicherzustellen, dass der Wortlaut von Artikel 102 c bis Buchstabe a E-AsylG beibehalten wird, unabhängig davon, welcher Begriff die Bezeichnung «Grenzwachtkorps» in Artikel 102 a ter Absatz 2 E-AsylG ersetzt.
¹29 Siehe auch www.dazit.admin.ch.
13⁰ Siehe www.parlament.ch > 22.058: Zollgesetz. Totalrevision.
13¹ BBl 2022 2725 , hier S. 93 sowie BBl 2022 2724 , hier S. 277.
5.7.6 Koordinationsbedarf mit der neuen AMMR-Verordnung
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Eurodac-Verordnung besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung der sich in dieser Botschaft ebenfalls befindlichen neuen AMMR-Verordnung.
Artikel 102 a ter Absatz 6 Buchstabe a E-AsylG erwähnt die AMMR-Verordnung und verweist in der Fussnote hinsichtlich der Zitierung dieser Verordnung auf Artikel 8 b E-AsylG. Dadurch gibt die Fussnote den Titel der AMMR-Verordnung vollständig wieder. Da diese vollständige Wiedergabe erst durch den Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der AMMR-Verordnung ihre Wirkung entfalten wird, ist bei der Koordination sicherzustellen, dass beide Bundesbeschlüsse gleichzeitig in Kraft gesetzt werden.
5.8 Auswirkungen
Das Eurodac-System ist bereits in Betrieb, und das SEM ist die zentrale Zugangsstelle (NAP). Mit der Erneuerung des Systems sind neue Datenzugriffe vorgesehen, insbesondere für Behörden, die Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt erteilen. Dies bedingt einige Anpassungen im Informatikbereich. Die Erfassungspflichten der Behörden des Bundes und der Kantone stellen zusätzliche Aufgaben dar, die zu einem personellen Mehrbedarf führen können.
5.8.1 Finanzielle Auswirkungen auf den Bund
5.8.1.1 IT-Projektkosten SEM
Mit der Erneuerung des Systems sind neue Zugriffe vorgesehen, insbesondere für Behörden, die Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt erteilen. Dies bedingt einige Anpassungen im Informatikbereich, die vom Bund umzusetzen sind (Projekt des SEM). Der Bund (SEM) übernimmt die Kosten des nationalen Umsetzungsprojekts. Im Verpflichtungskredit III Schengen/Dublin sind die Kosten von 3,6 Millionen Franken für die Anpassung und Anbindung der Behörden an Eurodac berücksichtigt. Für den Betrieb von Eurodac rechnet das SEM mit zusätzlichen jährlich wiederkehrenden Betriebskosten ab 2026 von rund 1 Million Franken. Die Kosten sind im Finanzplan ab 2026 enthalten.
5.8.1.2 Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu Eurodac
IT-Projektkosten fedpol
Die Kosten in Zusammenhang mit dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf Eurodac sind vor allem Kosten für die Realisierung von IT-Projekten. Sie werden nachfolgend definiert. Angesichts dessen, dass die Strafverfolgungsbehörden künftig auch Anfragen mithilfe von Fingerabdruck-, Gesichtsbild- und alphanumerischen Daten an Eurodac stellen können, müssen Anpassungen an den Informatiksystemen vorgenommen werden. In Bezug auf die Biometrie betrifft dies die Fingerabdruckdatenbank AFIS, in der die Gesichtsbilder und die Fingerabdrücke gespeichert sind, die biometrische Auftragsverwaltungsapplikation PUNT Message-Handler, über die künftig Biometrieabfragen an Eurodac übermittelt werden, sowie die Applikation EPNG (Ereignisprotokollierung Neue Generation), die als Schnittstelle dient. Die Systeme AFIS und PUNT werden im Rahmen des Vorhabens AFIS 2026 mit den Gesichtsbildprozessen ergänzt. Für den Anschluss an Eurodac müssen in diesen Systemen diese Prozesse erweitert und eine Schnittstelle an Eurodac implementiert werden. In Bezug auf die alphanumerischen Anfragen der Strafverfolgungsbehörden müssen Anpassungen der Systeme und Prozesse im Umfeld von IOP vorgenommen werden. Für diese beiden Vorhaben wird fedpol zusätzliche finanzielle Mittel benötigen. Derzeit ist es noch nicht möglich, die Kosten zu bestimmen. Diese werden bei der Konkretisierung der Umsetzung des neuen Eurodac im Detail analysiert.
Finanzielle Auswirkungen auf das BAZG
Die finanziellen Auswirkungen auf das BAZG hängen davon ab, welche übergeordneten Vorgaben betreffend die technischen Anforderungen (Qualität) umgesetzt werden müssen. Der Umfang der Beschaffung bestimmt sich insbesondere nach der definierten technischen Lösung. Diese Abklärungen konnten noch nicht abgeschlossen werden. Mit der Programmorganisation DaziT werden auch personelle Projektarbeiten der Schengen-Weiterentwicklungen abgedeckt. Mehrkosten entstehen durch allfällige Arbeiten für die Anbindung des bestehenden Systems des BAZG an Eurodac oder Neubeschaffungen sowie Ausbildungsaufwendungen, da das gesamte Kontrollpersonal geschult werden muss. Die finanziellen Auswirkungen sowie die in Betracht gezogenen Finanzierungslösungen werden im Rahmen der laufenden Arbeiten konkretisiert und bei Bedarf beantragt.
5.8.2 Personelle Auswirkungen auf den Bund
5.8.2.1 Personelle Auswirkungen beim SEM
Die Erfassungspflichten der Behörden des Bundes und der Kantone stellen zusätzliche Aufgaben dar, die zu einem personellen Mehrbedarf führen können. Dieser allfällige personelle Aufwand wird bei der weiteren Umsetzung des Vorhabens im Detail konkretisiert.
5.8.2.2 Personelle Auswirkungen bei fedpol
Zur Verifikation von zusätzlichen Treffern aus den Gesichtsbild- und alphanumerischen Eurodac-Anfragen zum Zweck der Strafverfolgung wird zusätzliches Betriebspersonal bei BiomID und bei der EAZ fedpol notwendig. Dieser personelle Aufwand wird bei der weiteren Umsetzung des Vorhabens im Detail konkretisiert.
5.8.2.3 Personelle Auswirkungen beim EFD
Die Erfassung und Bearbeitung der neuen Daten (alphanumerisch, Gesichtsbilder), die neuen Anforderungen bezüglich des Status der Person sowie die neue Registrierung der illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen in Eurodac werden neue Prozesse und einen Mehraufwand für das BAZG verursachen.
Die personellen Auswirkungen auf das BAZG können noch nicht beziffert werden. Durch die Erfassung der Fingerabdrücke und Gesichtsbilder sowie allfälliger Reisedokumente aller Personen, welche die Einreise- oder Aufenthaltsvoraussetzungen nicht erfüllen, entsteht ein Mehraufwand und der Kontrollprozess verlängert sich. Unter der Voraussetzung, dass die technische Lösung effizient ist und nicht noch weitere Prozessschritte hinzukommen, geht das BAZG davon aus, dies bei einer normalen Migrationslage mit den bestehenden personellen Ressourcen umsetzen zu können. Ein allfälliger Mehrbedarf an Personal zur Erfüllung des Auftrags muss im Rahmen der weiteren Konkretisierung der Umsetzung überprüft werden.
5.8.3 Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden
Die kantonalen und kommunalen Behörden erhalten neue Aufgaben: Sie müssen die Daten der neu vorgesehenen Personenkategorien oder zusätzliche Daten für bereits bestehende Kategorien erfassen; dies sind etwa Personen, die illegal über die Schengen-Aussengrenzen (Schweizer Flughäfen) einreisen. So hat für jede Person mit irregulärem Aufenthalt eine Datenerfassung im System zu erfolgen. Werden unbegleitete Minderjährige vom BAZG aufgegriffen, ist mit einem zu definierenden Prozess zu gewährleisten, dass die zuständigen kantonalen Behörden für die Abnahme der biometrischen Daten eine Vertrauensperson bestimmen gemäss Artikel 109 l Absatz 2 E-AIG. Die Kantone müssen anhand der Zahlen zu den entsprechenden Personenkategorien den Umfang der Aufgaben, die mit Inkrafttreten der neuen Eurodac-Verordnung auf sie zukommen, abschätzen.
5.9 Rechtliche Aspekte
5.9.1 Verfassungsmässigkeit
Der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der EU-Verordnung stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für auswärtige Angelegenheiten zuständig ist.
Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren.
Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7 a Abs. 1 RVOG).
Im vorliegenden Fall fehlt es an einer besonderen gesetzlichen oder vertraglichen Ermächtigung für den Bundesrat; zudem handelt es sich nicht um einen Vertrag von beschränkter Tragweite. Somit ist die Bundesversammlung für die Genehmigung des vorliegenden Notenaustauschs zuständig.
5.9.2 Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Die Übernahme der Eurodac-Verordnung und die damit verbundenen Gesetzesänderungen sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Sie sind insbesondere mit der EMRK, dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Fassung des New Yorker Protokolls vom 31. Januar 1967 und dem Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 ¹32 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) vereinbar.
Mit der Übernahme der vorliegenden Weiterentwicklung des Dublin-Besitzstands erfüllt die Schweiz ihre Verpflichtungen gegenüber der EU, die sie im Rahmen des DAA eingegangen ist. Sie erfolgt auch im Rahmen der Dublin-Zusammenarbeit, indem die Interoperabilität der Informationssysteme gemäss der Verordnung (EU) 2019/817 und der Verordnung (EU) 2019/818 darin aufgenommen wird. Die Übernahme dieser Weiterentwicklung des Dublin-Besitzstands erfolgt zudem im Rahmen der europäischen Migrationspolitik (Migrationspakt).
¹32 SR 0.103.2
5.9.3 Erlassform
Die Übernahme der EU-Verordnung stellt keinen Beitritt der Schweiz zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft dar. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung der entsprechenden Notenaustausche ist deshalb nicht dem obligatorischen Referendum nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV zu unterstellen.
Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.
Der vorliegende Notenaustausch wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit gekündigt werden und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch führt die Übernahme der Eurodac-Verordnung zu Gesetzesanpassungen. Demzufolge ist der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.
Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).
Nach Artikel 141 a Absatz 2 BV können Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden, wenn dieser dem fakultativen Referendum untersteht.
Die vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der Eurodac-Verordnung und ergeben sich unmittelbar aus den dort enthaltenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses kann deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden.
5.9.4 Datenschutz
Die Europäische Kommission hat die Eurodac-Verordnung unter Einbezug des Europäischen Datenschutzbeauftragten ausgearbeitet. Es ist also davon auszugehen, dass diese in Einklang mit den europäischen Datenschutzbestimmungen steht. Darüber hinaus ist in der Eurodac-Verordnung bereits heute ein ganzes Kapitel dem Datenschutz und dessen Überwachung gewidmet. Diese Verordnung sieht unter anderem auch eine Kontrolle durch den EDSB vor. Dieser wurde zum Entwurf der Europäischen Kommission konsultiert. Er unterstrich im Wesentlichen, dass Datenbekanntgaben aus Sicherheitsgründen verhältnismässig sein müssen und dass für das entsprechende Verfahren strenge Voraussetzungen festzulegen sind. In der Schweiz hat der EDÖB ebenfalls eine solche Kontrollfunktion inne (Art. 111 g AIG und Art. 102 d AsylG). Wie die anderen Schengen-Staaten hat auch die Schweiz sicherzustellen, dass die in Eurodac erfassten Daten rechtmässig bearbeitet werden. Sanktionen sind diesbezüglich in Artikel 120 d AIG vorgesehen. Die Zugriffsrechte der Behörden sind in der von der EU notifizierten Verordnung genau geregelt. Der Zugriff auf die Daten muss in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen. Er darf nur gewährt werden, soweit die Daten im Einzelfall für die Erfüllung der Aufgaben der zuständigen Behörden erforderlich sind. Das totalrevidierte DSG setzt die Anforderungen der Datenschutzrichtlinie (EU) 2016/680 allgemein für alle Bundesorgane um. Es trat am 1. September 2023 in Kraft. Zudem wurde das nur als Zwischenlösung konzipierte und am 1. März 2019 in Kraft getretene Schengen-Datenschutzgesetz (SDSG) aufgehoben. Obwohl das DSG die Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung nicht formell umgesetzt hat, da diese keine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ist, trägt es dieser Verordnung vollumfänglich Rechnung. Somit ist der Grundsatz der Äquivalenz zum EU-Recht gewährleistet. Der vorliegende Entwurf steht ausserdem in Einklang mit den Grundsätzen des DSG und insbesondere dessen Artikeln 6, 34 Absatz 2 Buchstabe a und 43 Absatz 4.
5.9.5 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Mit der Vorlage werden keine neuen Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.
6 Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der Überprüfungsverordnung
6.1 Ausgangslage
6.1.1 Handlungsbedarf und Ziele
Mithilfe des Überprüfungsverfahrens soll ein besseres Management irregulärer Migrationsbewegungen an den Schengen-Aussengrenzen ermöglicht werden, indem einheitliche Vorschriften für die Überprüfung und Identifizierung von Drittstaatsangehörigen, die ohne Erfüllung der Einreisevoraussetzungen die Schengen-Aussengrenzen überschreiten oder überschritten haben, eingeführt werden. Die Überprüfung soll dabei auch etwaige Gesundheits- und Sicherheitsrisiken feststellen und das für die Person korrekte Verfahren identifizieren. Im Anschluss wird die Person umgehend entweder dem Asylverfahren oder dem Rückführungsverfahren zugewiesen oder sie wird gestützt auf den Solidaritätsmechanismus von einem anderen Schengen-Staat übernommen. Um dem Asylverfahren zugewiesen zu werden, reicht eine Willensbekundung der betroffenen Person aus. Eine inhaltliche Prüfung des Asylantrags erfolgt erst nach Abschluss des Überprüfungsverfahrens in einem separaten Asylverfahren.
6.1.2 Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis
Gestützt auf Artikel 4 des SAA mit der EU ist die Schweiz im Rahmen ihres Mitspracherechts berechtigt, im Schengen-Bereich in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU mitzuwirken. Sie kann insbesondere Stellung nehmen und Anregungen einbringen. Über ein Stimmrecht verfügt die Schweiz jedoch nicht (vgl. Art. 7 Abs. 1 SAA).
Im September 2020 stellte die Europäische Kommission den Verordnungsvorschlag zur Überprüfung (sog. Screening) von Drittstaatsangehörigen an den Schengen-Aussengrenzen vor.
Die Diskussionen im Rat der EU dauerten von September 2020 bis zum 22. Juni 2022 und die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament (Trilog) vom 12. Oktober 2023 bis zum 20. Dezember 2023.
Im Rahmen der Verhandlungen konnten die Vertreterinnen und Vertreter der Schweiz technische Fragen klären und ihre Lösungsvorschläge einbringen.
Bei den Diskussionen im Trilog ging es vor allem darum, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der Position des Europäischen Parlaments, das eine Stärkung der Garantien für die Überwachung der Grundrechte von Personen, die der Überprüfung unterliegen, forderte, und der Position des Rates, für den die Wahrung der Souveränität und Flexibilität für die Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung war.
Der gefundene Kompromiss liegt in der Stärkung der Garantien für die Überwachung der Grundrechte von Migrantinnen und Migranten, zum Beispiel durch eine Verlängerung der Dauer der Überprüfung, wobei die Grundprinzipien dieses Verfahrens (Fiktion der Nichteinreise, Überprüfung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats) gewahrt bleiben.
Der erzielte Kompromiss wurde vom Plenum des Europäischen Parlaments am 10. April 2024 und vom Ministerrat am 14. Mai 2024 gebilligt. Die formelle Verabschiedung der EU-Verordnung folgte ebenfalls am 14. Mai 2024 mit der Unterzeichnung des Rechtsakts durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates der EU. Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands wurde der Schweiz am 17. Mai 2024 notifiziert.
6.2 Vernehmlassungsverfahren
6.2.1 Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse
Den Kantonen und der KKJPD ist es ein grosses Anliegen, dass sie frühzeitig in die Ausgestaltung der Prozesse eingebunden werden. Die KKPKS sieht in der Überprüfungsverordnung einen Fortschritt, da sie eine systematischere Dokumentation von Personen ermöglicht, die sich illegal im Schengen-Raum aufhalten.
Allerdings äussern die Kantone auch Kritik: Sie sind der Ansicht, dass die Kompetenz für die Durchführung der Überprüfung nicht bei ihnen, sondern beim Bund (ggf. beim BAZG) liegen sollte, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Sollte die derzeitige Kompetenzverteilung bestehen bleiben, seien erhebliche personelle und finanzielle Belastungen für die Kantone zu erwarten. In diesem Zusammenhang wird ein finanzieller Ausgleich an die Kantone gefordert.
Die Mitte spricht sich für die Einführung effizienter Überprüfungsverfahren aus, auch wenn diese kurzfristig einen Mehraufwand bedeuten. Sie hebt hervor, dass die Vorteile, wie eine schnellere Klärung, ob eine Person bereits unter einer anderen Identität im Schengen-Raum bekannt sei oder die Erkennung potenzieller Sicherheitsrisiken, überwiegen. Die EVP fordert eine faire, transparente und rechtsstaatliche Umsetzung der Überprüfungsverordnung.
Die SP verlangt zahlreiche Anpassungen bei der Umsetzung. Sie fordert insbesondere die Sicherstellung der Rechte von Asylsuchenden, etwa durch frühzeitige und umfassende rechtliche Unterstützung, sowie eine generelle Durchführung der Überprüfungen innerhalb von drei Tagen. Die SVP kritisiert die neuen administrativen Anforderungen, darunter die Begleitung in ein BAZ, die verlängerten Flughafenverfahren und den Überwachungsmechanismus, und lehnt diese ab. Die FDP fordert gesetzliche Anpassungen, um sicherzustellen, dass Asylsuchende in der Schweiz nicht bessergestellt werden als diejenigen, die ein Verfahren an den Schengen-Aussengrenzen durchlaufen.
Die SMRI begrüsst die Schaffung eines unabhängigen Überwachungsmechanismus und bietet an, entsprechende Aufgaben zusammen mit der NKVF zu übernehmen. Auch die NKVF zeigt Interesse an einer Übernahme von Aufgaben im Rahmen des Überwachungsmechanismus und ist insbesondere bereit, zusätzliche, über ihr Mandat hinausgehende Aufgaben in Kooperation mit einer weiteren unabhängigen Stelle zu übernehmen.
Das UNHCR bewertet die Überprüfungsverordnung grundsätzlich positiv, sieht jedoch Optimierungspotenzial, insbesondere bei der Festlegung von Standards für die praktische Umsetzung in der Schweiz.
Die EKM warnt vor der Gefahr, dass Migrantinnen und Migranten fälschlicherweise als «irregulär» eingestuft werden könnten, und fordert eine Durchführung aller Verfahren im Einklang mit den Grundsätzen des internationalen Rechts.
Einige weitere Vernehmlassungsteilnehmer, darunter u.a. der SGB, äussern Bedenken, dass die neuen Regelungen den Zugang zu einem vollwertigen und individuellen Asylverfahren erschweren könnten.
Bei den weiteren interessierten Kreisen wie unter anderen Bündnis Asyl, DJS, elisa-asile, FPABS, FPAZH, Pikett Asyl, SBAA, Solidaritätsnetz Bern, Solinetz Luzern, sosf, FP, ODAGE und ZiAB herrscht eine überwiegend kritische bis ablehnende Haltung gegenüber der Überprüfungsverordnung und deren nationalen Umsetzung vor. Gefordert werden insbesondere menschenrechtskonforme Verfahren, ein unabhängiger und weisungsbefugter Überwachungsmechanismus, klare Standards für die Gesundheits- und Vulnerabilitätsprüfung sowie die Vermeidung unverhältnismässiger Inhaftierungen.
Die SFH und das SRK fordern eine umfassende Überarbeitung des Verfahrens, um die Rechte der Betroffenen zu sichern, den Zugang zu rechtlichem Beistand zu gewährleisten und eine transparente, rechtskonforme Durchführung der Überprüfung sicherzustellen. Das SRK hebt hervor, dass insbesondere Schulungen zu den Grund- und Menschenrechten für die zuständigen Behörden verfügbar gemacht werden sollten.
SolidaritéS und stopexclusion lehnen die Übernahme der Überprüfungsverordnung grundsätzlich ab.
6.2.2 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens
6.2.2.1 Einheitliche Durchführung des Überprüfungsverfahrens und geforderte Mindeststandards
Mehrere Kantone (z. B. AG, AR, BE, GE, GL, NW, SH, SO, TG, TI, UR und VD) sowie die VKM, KKPKS und KKJPD betonen, dass für die Umsetzung der Überprüfungsverordnung eine enge Zusammenarbeit aller Akteure sowie gut abgestimmte Prozesse erforderlich seien. Um dies zu gewährleisten, fordern Organisationen wie unter anderen AICH, EVP, FIZ, FP, plateforme traite, SFH und UNHCR die Einrichtung einheitlicher Standards für die Durchführung der Überprüfung.
Unter anderen stellen Brava, EVP, ODAGE, SFH, SRK und UNHCR fest, dass die Überprüfungsverordnung vorschreibe, dass die Überprüfung durch qualifiziertes Personal durchgeführt werden müsse. Der Umsetzungserlass enthalte aber keine Ausführungen zu den Grundanforderungen an die Ausbildung und an die zu absolvierenden Schulungen (z. B. in Menschenrechtsfragen und gendersensibler Betreuung).
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer halten fest, dass in der Vorlage präzisiert werden müsse, unter welchen Umständen die Überprüfung mit einer direkten Rückkehrentscheidung enden könne (z. B. CSP, DJS, elisa-asile, die GRÜNEN, HEKS und SP). Zudem habe jede Entscheidung aus der Überprüfung in Form einer anfechtbaren Verfügung zu erfolgen, insbesondere da es sich bei der Überprüfung um einen verfahrensrelevanten Schritt handle.
Organisationen wie unter anderen DJS, FPABS, FPAZH, sosf und ZiAB verlangen gleiche Rechte für Asylsuchende bei der Unterbringung, den materiellen Leistungen und der medizinischen Versorgung, wie sie in der Aufnahmerichtlinie und der Charta der Grundrechte vorgesehen seien.
Das UNHCR und SRK fordern, dass für UMA während des Überprüfungsverfahrens in jedem Fall eine erwachsene Begleitperson oder eine Vertretung benannt werden müsse, die auch für das allfällig nachfolgende Asylverfahren eingesetzt werden solle.
Das UNHCR betont, dass die Überprüfung ausschliesslich vorbereitenden Charakter haben dürfe und keinen Ausschluss vom Asylverfahren bewirken könne. Um dies sicherzustellen, wird empfohlen, gesetzlich oder durch Weisungen klarzustellen, dass die Ergebnisse der Überprüfung lediglich vorläufig sind und im formellen Asylverfahren ergänzt oder korrigiert werden können. Der Zugang zum Asylverfahren müsse stets gewährt werden (u. a. AICH und SGB). HEKS sowie Organisationen wie FIZ, FP, SFH und plateforme traite sprechen sich dafür aus, Befragungen zu Reiserouten und Asylgründen erst nach Abschluss der Überprüfung durchzuführen und dies ausdrücklich festzuhalten. Zudem verlangen unter anderen EVP, FIZ, FP, plateforme traite, SFH und SRK, dass die Behörden vor Beginn des Überprüfungsverfahrens ausdrücklich auf die Möglichkeit der Stellung eines Asylgesuchs hinweisen. Im Zweifelsfall sollte zugunsten der Antragstellenden davon ausgegangen werden, dass ein Asylgesuch vorliege.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat ist sich der Bedeutung einer einheitlichen Durchführung des Überprüfungsverfahrens bewusst. Das SEM prüft derzeit im Rahmen des Umsetzungsprojekts, ob diese Standards auf Weisungsstufe in Form von Guidelines umgesetzt werden können. Sofern nötig, werden im Rahmen dieses Umsetzungsprojekts die relevanten Akteure sämtlicher Staatsebenen einbezogen. Der Bundesrat weist diesbezüglich jedoch darauf hin, dass für die kantonale Umsetzung der Überprüfungsverordnung die Kantone zuständig sind; das SEM steht jeweils beratend zur Verfügung.
In Bezug auf die Anforderungen an die für die Überprüfung zuständigen Behörden hält die Überprüfungsverordnung in ihrem Artikel 8 Absatz 9 fest, dass die Schulungen gemäss Artikel 16 SGK erforderlich sind. Die Lehrpläne umfassen dabei insbesondere Fachschulungen in der Erkennung und Behandlung von Situationen mit schutzbedürftigen Personen wie unbegleiteten Minderjährigen und Opfern von Menschenhandel. Der Bundesrat plant aufgrund der direkten Anwendbarkeit der Überprüfungsverordnung keine weiteren gesetzlichen Anpassungen. Allenfalls werden gewisse Ausführungen auf Verordnungs- oder Weisungsstufe erfolgen.
Eine Ergänzung der gesetzlichen Vorlage, wann die Überprüfung mit einer direkten Rückkehrentscheidung enden kann, erachtet der Bundesrat als nicht notwendig. Er weist darauf hin, dass die Überprüfung lediglich dazu dient, die betroffenen Personen dem einschlägigen nachfolgenden Verfahren zuzuweisen. Ein allfälliger Wegweisungsentscheid würde erst im Rahmen des nachgelagerten Wegweisungsverfahrens erfolgen. Das nachfolgende Wegweisungsverfahren richtet sich dabei nach den spezifischen Regelungen des AIG. Da es sich bei der Entscheidung im Rahmen der Überprüfung um einen Realakt handelt, erachtet es der Bundesrat nicht für nötig, auf Gesetzesstufe eine Beschwerdemöglichkeit vorzusehen. Gestützt auf das einschlägige Verwaltungsverfahrensrecht kann für einen Realakt eine anfechtbare Verfügung verlangt werden.
In Bezug auf die Forderung, dass die Schweiz dieselben materiellen Rechte für Asylsuchende vorzusehen hat, wie sie in der Aufnahmerichtlinie und in der Charta der Grundrechte vorgesehen sind, weist der Bundesrat darauf hin, dass diese beiden EU-Rechtsakte für die Schweiz nicht anwendbar sind. Da die Schweiz aber Vertragspartei der EMRK und der dazugehörigen Protokolle sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist, achtet sie folglich die darin verankerten äquivalenten Rechte und Grundsätze.
Der Bundesrat anerkennt die Bedeutung des Kindesschutzes und des Schutzes von unbegleiteten Minderjährigen. Er schlägt vor, in den Artikeln 9 b Absatz 4 und 9 c Absatz 4 E-AIG festzuhalten, dass die zuständigen kantonalen Behörden für unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer unverzüglich eine Vertrauensperson bestimmen, die deren Interessen während des Überprüfungsverfahrens wahrnimmt. Zudem schlägt er vor, in Artikel 102 h Absatz 1 E-AsylG festzulegen, dass UMA bereits ab Beginn der Vorbereitungsphase eine Vertrauensperson zugeteilt bekommen, die gleichzeitig die Rechtsvertretung übernimmt.
Der Bundesrat weist schliesslich darauf hin, dass der Zugang zum Asylverfahren auch mit der Einführung der Überprüfung stets gewahrt bleibt. Die materielle Prüfung des Asylgesuchs bleibt dem auf die Überprüfung folgenden Asylverfahren vorbehalten.
6.2.2.2 Zuständigkeit für die Durchführung der Überprüfung
Das SRK kritisiert, dass im Vorentwurf die Zuständigkeiten für die Durchführung der Überprüfung unklar seien, was Risiken für die Einheitlichkeit, Qualität und Ausbildung des Personals berge. Es schlägt vor, die Zuständigkeiten auf nationaler oder zumindest regionaler Ebene festzulegen. Caritas sowie insbesondere EVP, FIZ, FP, Plateforme Traite und SFH befürworten eine zentrale Durchführung durch den Bund. Die GRÜNEN fordern eine zentrale Durchführung der Überprüfung in den BAZ.
Die KKPKS und sinngemäss TI sind gegen die Übertragung von Aufgaben wie Gesundheitskontrollen und Vulnerabilitätsprüfungen an die Polizei und empfiehlt, diese Aufgaben den Migrationsbehörden oder dem Bund (z. B. dem SEM) zu übertragen. TI betont, dass die Verantwortung für von kantonalen Behörden übernommene Aufgaben bei diesen liege.
Die KKJPD, VKM und mehrere Kantone (u. a. AG, AR, BE, BS, GE, GL, NE, NW, SH, SO, TG, TI und UR) kritisieren, dass an der Grenze aufgegriffene Migrantinnen und Migranten, die noch keiner Überprüfung unterzogen wurden, nicht an kantonale Behörden übergeben werden sollten, da dies zu unnötigen Leerläufen und Mehrbelastung führe. Sie schlagen vor, diese Zuständigkeit dem BAZG zu übertragen.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat nimmt die verschiedenen Stellungnahmen zur Kenntnis, hält jedoch grundsätzlich an der bestehenden föderalistischen Struktur, die die Zuständigkeit für die Durchführung von Personenkontrollen im Ausländerbereich grundsätzlich den Kantonen zuweist, fest. Dies entspricht der aktuellen Regelung in Artikel 9 AIG.
Der Bundesrat trägt der Kritik an der im Vorentwurf geregelten Aufgabenzuteilung im Rahmen der Überprüfung Rechnung. So werden im Entwurf neu nicht mehr nur die kantonalen oder kommunalen Polizeibehörden erwähnt, sondern generell die zuständigen kantonalen Behörden. Es liegt in der Zuständigkeit der Kantone, die einzelnen Behörden für die Überprüfung zu bezeichnen. Eine generelle Aufgabenübertragung an das BAZG lehnt der Bundesrat hingegen ab.
6.2.2.3 Dauer der Überprüfung
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer (u. a. DJS, elisa-asile, FPABS, FPAZH, Pikett Asyl, SBAA, Solidaritätsnetz Bern, Solinetz Luzern, sosf, SP und ZiAB) schlagen vor, die Dauer der Überprüfung in der Schweiz als Schengen-Binnenland auf maximal drei Tage zu verkürzen, da die sieben Tage auf die Besonderheiten an den Aussengrenzen der EU zurückzuführen sind. Auch die GRÜNEN fordern eine Anpassung der Dauer in Artikel 9 b VE-AIG auf maximal drei Tage.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat lehnt eine Verkürzung der Überprüfungsdauer an der Schengen-Aussengrenze an einem schweizerischen Flughafen ab. Die Frist von sieben Tagen stimmt mit Artikel 8 Absatz 3 der Überprüfungsverordnung überein.
6.2.2.4 Begleitung in ein BAZ
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer (u. a. BE, GE, KKJPD, KKPKS, NW und TI) kritisieren die Begleitung von Asylsuchenden zu einem BAZ. Diese Massnahme sei insbesondere unverhältnismässig und rechtlich problematisch, da sie Gewahrsam erfordern würde und erhebliche personelle sowie finanzielle Ressourcen beanspruche. KKPKS bemerkt, dass der Vorentwurf über die Überprüfungsverordnung hinausgehe, da diese keine zwingende Begleitung vorsehe. Organisationen wie Bündnis Asyl, DJS, elisa-asile, FPABS, FPAZH, Pikett Asyl, SBAA, sosf, Solidaritätsnetz Bern, Solinetz Luzern und ZiAB lehnen die Massnahme ab, da sie einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit darstelle. Das SRK betont, dass die Begleitung keinen strafenden Charakter haben dürfe, um eine Kriminalisierung von Asylsuchenden zu vermeiden.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat trägt der Kritik Rechnung und schlägt vor, die entsprechenden Bestimmungen anzupassen. Eine Begleitung in ein BAZ soll nur noch dann notwendig sein, wenn konkrete Anzeichen dafür bestehen, dass sich eine Person behördlichen Anordnungen oder Massnahmen entziehen will.
6.2.2.5 Freiheitsentzug während der Überprüfung
Mehrere Organisationen (u. a. CSP, DJS, elisa-asile, EVP, FIZ, FP, FPABS, FPAZH, HEKS, Pikett Asyl, Plateforme Traite, SBAA, SFH, Solidaritätsnetz Bern, Solinetz Luzern, sosf, SRK, SP, UNHCR und ZiAB) fordern, dass eine Inhaftierung im Überprüfungsverfahren nur als letztes Mittel und nach einem abschliessenden Kriterienkatalog erfolgen solle. Sie betonen, dass Alternativen zur Haft prioritär geprüft werden müssten. AsyLex unterstützt diese Ansicht und fordert eine Höchstfrist von drei Tagen für die Inhaftierung. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer fordern die Möglichkeit, die kurzfristige Festhaltung nach 48 Stunden richterlich kontrollieren zu lassen (u. a. Bündnis Asyl, CSP, die GRÜNEN, SMRI und SP). Das UNHCR weist darauf hin, dass die Haft nur so lange wie nötig dauern und betroffene Personen über ihre Beschwerdemöglichkeiten informiert werden müssten. AICH fordert eine menschenrechtskonforme Ausgestaltung des Verfahrens, um haftähnliche Bedingungen zu vermeiden. Minderjährige sollten nicht inhaftiert werden, so die Forderung von unter anderem der Schweizer Bischofskonferenz, FP, J+P, SRK und UNHCR. NW fordert eine flexible Auslegung der Kriterien zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Fluchtgefahr. TI und KKPKS begrüssen diese neue Möglichkeit explizit.
FIZ, HEKS, Plateforme Traite und SFH kritisieren die 67-tägige Festhaltedauer am Flughafen. Das UNHCR empfiehlt, in besonderen Fällen das Verfahren in einem BAZ durchzuführen. SP und FP fordern, die Einreise nicht für das gesamte Asylverfahren zu verweigern.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat teilt die Haltung, dass Zwangsmassnahmen nur als letztes Mittel zur Anwendung gelangen sollen, um die Durchführung der Überprüfung sicherzustellen. Die entsprechenden Regelungen des AIG bzw. die Rechtsprechung des BGer gelten diesbezüglich auch für die kurzfristige Festhaltung nach Artikel 73 AIG. Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass in Artikel 73 Absatz 1 Buchstabe d E-AIG ein abschliessender Kriterienkatalog enthalten ist. Um der Kritik an der Haftdauer Rechnung zu tragen, soll im Rahmen der Überprüfung neu die geltende Maximaldauer von 72 Stunden in jedem Fall Anwendung finden. An der nachträglichen Haftüberprüfung auf Antrag der betroffenen Person nach geltendem Recht soll insbesondere aufgrund der Verkürzung der Haftdauer im Überprüfungsverfahren festgehalten werden. Die Möglichkeit, minderjährige Personen kurzfristig festzuhalten, soll wie nach geltendem Recht beibehalten werden. Bei einer entsprechenden Haftanordnung sind insbesondere die Vorgaben von Artikel 81 Absätze 3 und 4 AIG zu beachten.
In Bezug auf das Anliegen des UNHCR weist der Bundesrat darauf hin, dass bereits nach geltendem Recht die Möglichkeit bestehe, dass eine Einreise und die Fortführung des Asylverfahrens im Inland insbesondere aus humanitären Gründen bewilligt werden (vgl. Art. 22 Abs. 2bis AsylG; neu in Art. 22 Abs. 6 E-AsylG).
6.2.2.6 Fehlende Rechtsvertretung während der Überprüfung
Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmer (u. a. AICH, Schweizer Bischofskonferenz, Caritas, CSP, FIZ, FP, HEKS, J+P, ODAGE, Plateforme Traite, SFH und SP) fordern ab Beginn der Überprüfung Zugang zur Rechtsvertretung, um Betroffenen zu ermöglichen, ihre Rechte wahrzunehmen und gegen fehlerhafte Entscheidungen Einspruch zu erheben. Caritas und CSP betonen die Bedeutung des Rechtsschutzes bei der Identifikation von Vulnerabilitäten.
Unter anderen verlangen DJS, elisa-asile, FPABS, FPAZH, Pikett Asyl, SBAA, sosf, Solidaritätsnetz Bern, Solinetz Luzern, UNHCR und ZiAB eine unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung ab Beginn der Überprüfung. Diese könne zur Kontrolle der Rechtmässigkeit der Inhaftierung und der Unterbringung sowie im Rahmen der Gesundheits- und Vulnerabilitätsprüfung beitragen. Das UNHCR fordert zudem, den Zugang von Beratungsorganisationen gesetzlich zu verankern.
Das SRK schlägt vor, unentgeltlichen Rechtsschutz in die relevanten Artikel des VE-AIG und des VE-AsylG aufzunehmen, um die Qualität der Überprüfung zu verbessern und den Anbietern auch Aufgaben der Informationspflicht zu übertragen.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat nimmt die Bedenken bezüglich des fehlenden unentgeltlichen Rechtsschutzes während der Überprüfung zur Kenntnis. Es wird betont, dass der Zugang zu Rechtsberatung und -vertretung während der Überprüfung jederzeit gewährleistet ist, jedoch nicht unentgeltlich. Die Unentgeltlichkeit des Rechtsschutzes tritt gemäss den bestehenden Regelungen erst zu Beginn des Asylverfahrens ein.
Für UMA soll in der Vorlage neu klargestellt werden, dass sie ab Einreichung eines Asylgesuchs am Flughafen oder ab Beginn der Vorbereitungsphase im Inland bereits während der Überprüfung eine Rechtsvertretung inklusive Vertrauensperson erhalten. Darüber hinaus ist die Unentgeltlichkeit der Rechtsvertretung im Rahmen der einschlägigen Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen gewährleistet (Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 65 VwVG).
6.2.2.7 Vorläufige Prüfung der Schutzbedürftigkeit
AsyLex, DJS, elisa-asile, FIZ, FPAZH, SFH, sosf, SP, Pikett Asyl, SBAA, Solidaritätsnetz Bern, Solinetz Luzern, ZiAB und weitere kritisieren die vage Formulierung und Ausgestaltung der «Schutzbedürftigkeit» im VE-AIG und VE-AsylG und weisen darauf hin, dass in der Überprüfungsverordnung von «Vulnerabilität» gesprochen wird. Zudem fordern sie, dass die Rechtsvertretung bei der Vulnerabilitätsprüfung vorzusehen ist. Auch die SMRI betont den Unterschied zwischen «Schutzbedürftigkeit» und «Vulnerabilität» und fordert bei der Vulnerabilitätsprüfung den Einsatz von geschultem Fachpersonal.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass der für die Vernehmlassung gewählte Ausdruck «Schutzbedürftigkeit» nicht mit der Überprüfungsverordnung übereinstimmt. Es soll daher neu der Begriff «Vulnerabilität» verwendet werden. Hinsichtlich der besonderen Vulnerabilität von UMA im Rahmen der Überprüfung kann - wie oben bereits ausgeführt - erneut darauf hingewiesen werden, dass im AsylG wie auch im AIG neu (Art. 9 b und 9 c Abs. 4 E-AIG) unverzüglich eine Vertrauensperson bestimmt werden muss. Im Übrigen ist auf die entsprechenden Bestimmungen der Überprüfungsverordnung hinzuweisen (insb. Art. 12 und 13), welche direkt anwendbar sind. Des Weiteren weist der Bundesrat darauf hin, dass derzeit geprüft wird, inwiefern Anpassungsbedarf auf Verordnungs- und/oder Weisungsstufe besteht.
6.2.2.8 Gesundheitsprüfung
Das SRK begrüsst die Einführung von Gesundheitskontrollen, fordert jedoch auf Verordnungsstufe klare und transparente Ausführungen zu den Modalitäten dieser Kontrolle. Zudem fordert es, dass bei festgestellten Gesundheitsbedürfnissen konkrete Massnahmen folgen.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat anerkennt die Bedeutung der Gesundheitskontrolle und sieht diese als wichtigen Bestandteil des Überprüfungsverfahrens. Die spezifischen Modalitäten sowie mögliche Folgemassnahmen werden bei Bedarf im Rahmen der weiteren Ausarbeitung auf Verordnungs- und Weisungsstufe näher präzisiert.
6.2.2.9 Sicherheitsprüfung
Das SRK fordert, dass Personen, bei denen ein Sicherheitsrisiko festgestellt werde, Zugang zu dieser Bewertung erhalten und die Möglichkeit haben, sie anzufechten.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat hält fest, dass gemäss Artikel 17 Absatz 3 der Überprüfungsverordnung allfällige Treffer im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung im Überprüfungsformular unkenntlich gemacht werden, wenn die im Formular enthaltenen Informationen der betreffenden Person zur Verfügung gestellt werden. Daher ist ein direkter Zugang zur Bewertung, die zur Entscheidung geführt hat, nicht vorgesehen. Dieses Vorgehen dient dem Schutz der sicherheitsrelevanten Informationen.
6.2.2.10 Unabhängiger Überwachungsmechanismus
Die SMRI schlägt vor, den Inhalt von Artikel 10 der Überprüfungsverordnung vollständig in Artikel 21 b VE-AsylG zu integrieren. DJS, elisa-asile, FIZ, FPABS, FPAZH, HEKS, Pikett Asyl, Plateforme Traite, SBAA, SFH, Solidaritätsnetz Bern, Solinetz Luzern, sosf, UNHCR, ZiAB und weitere unterstützen dieses Anliegen und betonen, dass der Überwachungsmechanismus zusätzlich unter anderem mit Weisungsbefugnissen ausgestattet und mit ausreichend Ressourcen versehen sein sollte. Die für den Überwachungsmechanismus zuständigen Behörden müssten schliesslich jederzeit unangemeldet Zugang zum Überprüfungsverfahren erhalten.
Unter anderen fordern FIZ, FP, HEKS, Plateforme Traite, SFH und SP eine Anpassung von Artikel 21 b Absatz 2 VE-AsylG, um den Einbezug mehrerer Akteure im Überwachungsmechanismus zu ermöglichen.
Die NKVF weist auf weitreichende und bedeutende Überschneidungen zwischen dem neu zu schaffenden Überwachungsmechanismus und ihrem gesetzlichen Mandat hin. Es sei daher unbestritten, dass sie für alle Situationen des Freiheitsentzugs - auch bei der Festhaltung im Rahmen des Überprüfungsverfahrens - für das Monitoring in der Schweiz zuständig sei. Da die Aufgaben des Überwachungsmechanismus aber sehr umfassend und teilweise offen seien, sei sie bereit, das Mandat zu teilen. Neben der NKVF stellen sich auch die SMRI, das UNHCR und die IOM zur Verfügung, um im Rahmen des Überwachungsmechanismus mitzuwirken.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat erachtet es als wenig sinnvoll, die direkt anwendbare Bestimmung zum Überwachungsmechanismus vollständig im AIG bzw. AsylG abzubilden. Im Sinne der Transparenz sollen jedoch die Aufgaben und die Mittel zur Erfüllung dieser Aufgaben nach Artikel 10 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung aufgeführt werden. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass im Rahmen der Vernehmlassung verschiedene Organisationen angeboten haben, am Überwachungsmechanismus mitzuwirken. Entsprechend sehen die beiden Bestimmungen im AIG und AsylG vor, dass mehrere Stellen damit beauftragt werden können. Die Überprüfungsverordnung sieht diese Möglichkeit ebenfalls vor.
6.2.2.11 Zugriffsrechte
ODAGE warnt vor Datenschutzverletzungen und lehnt den Zugang zu EU-Informationssystemen wie EES, ETIAS und VIS durch Kantonsbehörden ab. DJS, elisa-asile, FPABS, FPAZH, Pikett Asyl, SBAA, Solidaritätsnetz Bern, Solinetz Luzern, sosf, ZiAB und weitere kritisieren die Ausweitung der Zugriffsrechte auf kantonale Behörden. Die KKPKS begrüsst die neuen Zugriffsrechte und fordert in Bezug auf die Inbetriebnahme der künftigen EU-Informationssysteme eine koordinierte Schulung für Polizei- und Kantonsbehörden (sinngemäss auch SG).
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat nimmt die verschiedenen Anmerkungen zur Kenntnis. Er betont, dass durch die Änderungen im Vorentwurf lediglich der Zweck des Zugriffs auf die EU-Informationssysteme ausgeweitet wird, jedoch keine neuen Zugriffsrechte eingeführt werden. Alle zuständigen Behörden, einschliesslich der kantonalen und kommunalen Polizeibehörden sowie der kantonalen Migrationsbehörden, haben bereits Zugriff auf die entsprechenden Systeme.
Die Schulungen für die Mitarbeitenden, die mit diesen Systemen arbeiten, werden im Rahmen der jeweiligen Umsetzungsprojekte zu den EU-Informationssystemen sichergestellt.
6.2.2.12 Finanzielle und personelle Auswirkungen
Die Mitte betont, dass trotz des Mehraufwands die Vorteile der Einführung eines Überprüfungsverfahrens überwiegen.
Mehrere Kantone (u. a. AG, AR, BE, BS, GE, GL, NE, SH, TG, UR, VD, VKM und VS) äussern Bedenken zur unklaren finanziellen und personellen Belastung durch die Umsetzung der Überprüfungsverordnung und können daher keine detaillierte Stellungnahme abgeben. Der Kanton VS fordert eine Minimierung der Belastung auf die Kantone. Auch die SVP kritisiert, dass die Umsetzungskosten und der Personalbedarf derzeit nicht beziffert werden können. Die KKKPS und SG (sinngemäss NW und SO) weisen auf den zusätzlichen Aufwand für Polizeikräfte hin, insbesondere im Hinblick auf Personal, Aus- und Weiterbildung, Haftplätze und Infrastruktur.
Mehrere Kantone (GE, FR, SG, TI und VD) betonen zudem, dass die zusätzlichen Aufgaben, insbesondere die Überführung von Asylsuchenden in ein BAZ, hohe Kosten verursachen würden, und fordern grundsätzlich eine finanzielle Unterstützung durch den Bund.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat nimmt die Bedenken der Kantone ernst, weist jedoch darauf hin, dass derzeit keine zusätzlichen finanziellen Mittel vom Bund zur Verfügung gestellt werden können. Um den Kantonen entgegenzukommen, wird darauf verzichtet, Asylsuchende grundsätzlich in ein BAZ zu überführen. Diese Regelung bietet den Vorteil, dass der administrative Aufwand für die Kantone reduziert wird. Eine Überführung erfolgt nur noch dann, wenn konkrete Anzeichen bestehen, dass sich Asylsuchende behördlichen Anordnungen entziehen wollen.
6.2.3 Anpassung der Vorlage
Nach der Vernehmlassung wurden einzelne Bestimmungen des Vorentwurfs angepasst. So sehen die Bestimmungen zur Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze (Art. 9 b E-AsylG), zur Überprüfung im Hoheitsgebiet (Art. 9 c E-AsylG) und zur Überprüfung bei einem Asylgesuch am Flughafen (Art. 21 a E-AsylG) keine generelle Verpflichtung mehr vor, Asylsuchende in ein BAZ zu begleiten. Eine solche Verpflichtung besteht nur noch dann, wenn von einer Untertauchensgefahr ausgegangen werden muss. In Artikel 9 c E-AsylG werden im Vergleich zum Vernehmlassungsentwurf die Aufgaben im Rahmen der Überprüfung im Hoheitsgebiet neu ebenfalls aufgezählt. Die Verpflichtung, bei unbegleiteten minderjährigen Personen ab Beginn der Überprüfung im Hoheitsgebiet und an der Schengen-Aussengrenze eine Vertrauensperson einzusetzen, bildet ebenfalls eine Neuerung im Vergleich zum Vernehmlassungsentwurf (vgl. Art. 9 b Abs. 4 und 9 c Abs. 4 E-AIG). Weitere Änderungen betreffen insbesondere die ausführlicheren Regelungen zum Überwachungsmechanismus (vgl. Art. 9 d E-AIG und Art. 111 a quater E-AsylG), die generelle Nennung der «zuständigen kantonalen Behörden» anstelle der «kantonalen oder kommunalen Polizeibehörden» (vgl. insbesondere Art. 9 c Abs. 1 E-AIG) sowie die Beschränkung der Maximaldauer der kurzfristigen Festhaltung im Rahmen der Überprüfung auf 72 Stunden (Streichung von Art. 73 Abs. 2bis VE-AIG).
Schliesslich wurden einige Bestimmungen neu aufgenommen, da in den Artikeln 103 b Absatz 1, 109 a Absatz 1 und 110 Absatz 1 Einleitungssatz E-AIG sowie Artikel 16 a Absatz 1 Einleitungssatz E-BPI diverse Fussnoten angepasst werden mussten.
6.3 Grundzüge der EU-Verordnung
Die migrations- und sicherheitspolitischen Herausforderungen in der EU bzw. im Schengen-/Dublin-Raum haben dazu geführt, dass die Europäische Kommission seit 2015 zahlreiche Vorschläge gemacht hat, um die Möglichkeiten zur Eindämmung der irregulären Migration und zum Schutz der inneren Sicherheit zu optimieren. Mit dem neuen Migrations- und Asylpakt soll nun ein EU-weit gemeinsamer rechtlicher Rahmen geschaffen werden. Die Überprüfungsverordnung ist ein Teil dieses Pakts.
Mit der vorliegenden Verordnung wird ein Überprüfungsverfahren eingeführt. Dieses zielt darauf ab, dass Drittstaatsangehörige, die beim Überschreiten der Schengen-Aussengrenzen die Einreisevoraussetzungen nach dem SGK nicht erfüllen bzw. nicht erfüllt haben, einer Schengen-weit standardisierten Überprüfung unterzogen werden. Die Überprüfung erfolgt entsprechend an den Schengen-Aussengrenzen vor der Zuweisung der betroffenen Personen zum richtigen Verfahren oder im Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten, sofern es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Personen zuvor einer Grenzkontrolle an den Schengen-Aussengrenzen unterzogen wurden. In der Schweiz betrifft dies einerseits Drittstaatsangehörige, die an einer Schengen-Aussengrenze um internationalen Schutz ersuchen und die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen (Art. 5 Abs. 1 Bst. a und Abs. 2 der Überprüfungsverordnung), und andererseits Drittstaatsangehörige, welche die Schengen-Aussengrenze unautorisiert überschritten haben, sich illegal im Schengen-Raum aufhalten (ohne «Overstayer») und auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz aufgegriffen werden, unabhängig davon, ob sie um internationalen Schutz ersuchen (Art. 7 Abs. 1 der Überprüfungsverordnung). Das Überprüfungsverfahren an den Schengen-Aussengrenzen muss innerhalb von sieben Tagen durchgeführt werden, jenes im Hoheitsgebiet innerhalb von drei Tagen nach dem Aufgreifen der Person. Nach Abschluss der Überprüfung sollen die Drittstaatsangehörigen rasch dem geeigneten Verfahren zugewiesen werden, sei es das Asylverfahren, das Rückführungsverfahren oder die Übernahme durch einen anderen Schengen-Staat im Rahmen des Solidaritätsmechanismus.
6.4 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der Überprüfungsverordnung
6.4.1 Allgemeine Bestimmungen
Art. 1
Gegenstand
Die Verordnung regelt das Verfahren zur Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den Schengen-Aussengrenzen vor ihrer Weiterleitung an das richtige Verfahren oder im Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten, sofern es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese zuvor einer Grenzkontrolle an den Aussengrenzen der Schengen-Staaten unterzogen wurden. Darunter fallen auch Personen, die ohne die Einreisebedingungen zu erfüllen an Grenzübergangsstellen oder in Transitzonen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben oder nach einem Such- und Rettungseinsatz im Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats ausgeschifft wurden.
Das Ziel des Überprüfungsverfahrens besteht darin, Drittstaatsangehörige, welche die Schengen-Aussengrenzen überschreiten, zu identifizieren. Anhand einschlägiger Datenbanken ist sicherzustellen, dass diese Personen keine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen. Die Überprüfung umfasst auch vorläufige Gesundheits- und Vulnerabilitätsprüfungen, um besonders schutzbedürftige Personen und Personen, die medizinische Versorgung benötigen, zu identifizieren. Zudem sollen Personen identifiziert werden, die möglicherweise eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen. Die Überprüfung erleichtert die Zuweisung der Drittstaatsangehörigen zum geeigneten Verfahren.
Die Verordnung sieht einen unabhängigen Mechanismus zur Überwachung der Einhaltung des Unionsrechts und des Völkerrechts, einschliesslich der Charta der Grundrechte während der Überprüfung vor. Letztere ist für die Schweiz nicht verbindlich, weshalb Verweise in der vorliegenden Überprüfungsverordnung auf Bestimmungen der Charta für die Schweiz nicht verbindlich sind. Die Schweiz wendet aber äquivalente Bestimmungen der EMRK an, um sicherzustellen, dass die grundlegenden Menschenrechte gewahrt bleiben (insbesondere Art. 3 und 5-7 EMRK).
Art. 2
Begriffsbestimmungen
Die Bestimmung erläutert die einzelnen zentralen Begriffe der Überprüfungsverordnung, die entscheidend für das Verständnis und die Anwendung der Überprüfungsverordnung sind. Die Bestimmung nennt beispielsweise die Begriffe «Verifizierung» und «Identifizierung». Im Sinne dieser Verordnung bedeutet «Verifizierung» den Abgleich von Datensätzen zur Überprüfung einer Identitätsangabe. Die «Identifizierung» beinhaltet die Feststellung der Identität einer Person durch den Abgleich mit vielen Datensätzen in einer Datenbank.
Art. 3
Grundrechte
Bei der Anwendung dieser Verordnung haben die Mitgliedstaaten insbesondere im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention, dem Non-Refoulement-Gebot und den Grundrechten der Grundrechtecharta zu handeln.
Art. 4
Verhältnis zu anderen Rechtsakten
Bei Drittstaatsangehörigen, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen und der Überprüfung unterzogen werden müssen, erfolgt die Registrierung des Antrags gemäss Artikel 27 der Asylverfahrensverordnung. Zusätzlich erfolgt bei diesen Personen das Aufnahmeverfahren gemäss Artikel 3 der Aufnahmerichtlinie (Abs. 1 Bst. a und b). Für die Schweiz kommen die entsprechenden nationalen Verfahren zur Anwendung.
6.4.2 Überprüfungsverfahren an der Aussengrenze
Art. 5
Überprüfung an der Aussengrenze
Diese Bestimmung regelt, welche Personen einer Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze unterzogen werden. Betroffen sind Drittstaatsangehörige, welche die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 6 SGK nicht erfüllen, unabhängig davon, ob sie internationalen Schutz beantragen. Dazu gehören:
-
Personen, die beim unbefugten Überschreiten der Schengen-Aussengrenze auf dem Land-, Luft- oder Seeweg aufgegriffen werden; davon ausgenommen sind Drittstaatsangehörige, für die aus anderen Gründen als ihrem Alter keine biometrischen Daten gemäss Artikel 22 Absätze 1 und 4 der Eurodac-Verordnung erfasst werden müssen (Abs. 1 Bst. a);
-
Personen, die nach einem Such- und Rettungseinsatz im Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats ausgeschifft werden (Abs. 1 Bst. b).
Der Überprüfung unterliegen auch Personen, die an Aussengrenzübergangsstellen oder in Transitzonen internationalen Schutz beantragen und die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 6 SGK nicht erfüllen (Abs. 2).
Drittstaatsangehörige, die gemäss Artikel 6 Absatz 5 SGK zur Einreise berechtigt sind, unterliegen nicht der Überprüfung. Drittstaatsangehörige, die insbesondere aus humanitären Gründen (Art. 6 Abs. 5 Bst. c SGK) zur Einreise berechtigt sind und einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, unterliegen jedoch der Überprüfung.
Wenn sich während des Überprüfungsverfahrens herausstellt, dass der betreffende Drittstaatsangehörige die Einreisevoraussetzungen erfüllt, endet die Überprüfung. Das Überprüfungsverfahren kann ebenfalls beendet werden, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten verlässt, um freiwillig in den Heimat- oder Herkunftsstaat oder in einen anderen Drittstaat zurückzukehren, vorausgesetzt, der betreffende Staat stimmt dieser Rückkehr zu (Abs. 3).
Art. 6
Gestattung der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
Während der Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze sind die betroffenen Personen (Art. 5 Abs. 1 und 2 der Überprüfungsverordnung) nicht berechtigt, in das Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats einzureisen. Findet die Überprüfung gestützt auf Artikel 8 Absatz 1 der Überprüfungsverordnung alternativ an einem Ort innerhalb des Hoheitsgebiets eines Schengen-Staats statt, gelten die betroffenen Personen als nicht eingereist (sog. fiktive Nichteinreise). Die Schengen-Staaten treffen in ihren nationalen Rechtsvorschriften Massnahmen, um sicherzustellen, dass die betroffenen Personen während des Überprüfungsverfahrens am Ort, an dem die Überprüfung durchgeführt wird, den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen. Dies dient dazu, jegliche Fluchtgefahr sowie potenzielle Bedrohungen der inneren Sicherheit oder Gefahren für die öffentliche Gesundheit zu verhindern.
6.4.3 Überprüfung im Hoheitsgebiet
Art. 7
Überprüfung innerhalb des Hoheitsgebiets
Die Schengen-Staaten unterziehen auch Drittstaatsangehörige, die sich unrechtmässig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten und die Aussengrenze eines Schengen-Staats auf unerlaubte Weise überschritten haben, einer Überprüfung, sofern diese Personen in keinem anderen Schengen-Staat bereits überprüft wurden und daher nicht in Eurodac verzeichnet sind. Die Schengen-Staaten sehen in ihrem innerstaatlichen Recht Bestimmungen vor, die sicherstellen, dass diese Personen den zuständigen Behörden für die Dauer des Überprüfungsverfahrens zur Verfügung stehen, um die Gefahr des Untertauchens und potenzielle daraus resultierende Bedrohungen der inneren Sicherheit zu vermeiden (Abs. 1).
Die Schengen-Staaten haben die Möglichkeit, auf ein Überprüfungsverfahren zu verzichten, wenn ein Drittstaatsangehöriger, der sich illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhält, unmittelbar nach der Festnahme von einem anderen Schengen-Staat aufgrund bilateraler Abkommen oder Vereinbarungen übernommen wird. In einem solchen Fall ist der übernehmende Schengen-Staat für die Durchführung des Überprüfungsverfahrens verantwortlich (Abs. 2). Für die Überprüfung gemäss Absatz 1 gilt Artikel 5 Absatz 3 Unterabsätze 2 und 3 der Überprüfungsverordnung (Abs. 3).
6.4.4 Durchführung des Überprüfungsverfahrens
Art. 8
Anforderungen an die Überprüfung
Bei Drittstaatsangehörigen, die an der Schengen-Aussengrenze einer Überprüfung unterzogen werden (Art. 5 der Überprüfungsverordnung), erfolgt dies an einem vom Schengen-Staat benannten angemessenen und geeigneten Ort, der sich im Allgemeinen an oder in der Nähe der Schengen-Aussengrenzen oder alternativ an anderen Orten innerhalb seines Hoheitsgebiets befindet (Abs. 1).
Drittstaatsangehörige, die im Hoheitsgebiet aufgegriffen werden (Art. 7 der Überprüfungsverordnung), durchlaufen das Überprüfungsverfahren an einem angemessenen und geeigneten Ort im Hoheitsgebiet des Schengen-Staats (Abs. 2).
An den Schengen-Aussengrenzen ist die Überprüfung unverzüglich durchzuführen und innerhalb von sieben Tagen nach dem Aufgreifen, der Ausschiffung oder dem Vorstelligwerden der Person abzuschliessen. Wenn auf eine Person im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Überprüfungsverordnung Artikel 23 Absatz 4 der Eurodac-Verordnung Anwendung findet (Zustand der Fingerkuppen, der die Biometrieerfassung verhindert), wird die Überprüfung anschliessend an die Datenerhebung im Rahmen der Eurodac-Verordnung durchgeführt. Sollte sich der betroffene Drittstaatsangehörige bereits länger als 72 Stunden an der Schengen-Aussengrenze befinden, wird die Frist der Überprüfung auf vier Tage verkürzt (Abs. 3). Es ist jedoch fraglich, ob der Verweis in diesem Kontext korrekt ist, da Artikel 23 der Eurodac-Verordnung die Erfassung und Übermittlung biometrischer Daten von Personen regelt, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats aufhalten. Es bleibt zu prüfen, ob dieser Verweis auf Grundlage von Artikel 8 Absatz 3 der Überprüfungsverordnung korrekt ist oder ob stattdessen auf Artikel 22 Absätze 1 und 5 der Eurodac-Verordnung hätte verwiesen werden müssen.
Die Überprüfung im Hoheitsgebiet erfolgt unverzüglich und in jedem Fall innerhalb von drei Tagen nach dem Aufgreifen (Abs. 4).
Der Überprüfungsprozess umfasst (Abs. 5):
-
eine vorläufige Gesundheitskontrolle und eine vorläufige Prüfung der Vulnerabilität gemäss Artikel 12 der Überprüfungsverordnung;
-
die Identifizierung oder Verifizierung der Identität gemäss Artikel 14 der Überprüfungsverordnung;
-
die Erfassung der biometrischen Daten in Eurodac gemäss den Artikeln 15, 22 und 24 der Eurodac-Verordnung, sofern noch nicht erfolgt;
-
eine Sicherheitskontrolle gemäss den Artikeln 15 und 16 der Überprüfungsverordnung;
-
das Ausfüllen eines Überprüfungsformulars gemäss Artikel 17 der Überprüfungsverordnung;
-
die Zuweisung an das geeignete Verfahren gemäss Artikel 18 der Überprüfungsverordnung.
Organisationen und Personen, die Beratung und Unterstützung anbieten, haben während der Überprüfung einen wirksamen Zugang zu den Drittstaatsangehörigen. Die Schengen-Staaten können den Zugang einschränken, wenn dies nach nationalem Recht für die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder die Verwaltung einer Grenzübergangsstelle oder Überprüfungseinrichtung objektiv erforderlich ist. Der Zugang darf jedoch nicht erheblich eingeschränkt oder unmöglich gemacht werden (Abs. 6).
Die einschlägigen Regeln zur Inhaftnahme gemäss der Rückführungsrichtlinie gelten während der Überprüfung für Drittstaatsangehörige, die keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben (Abs. 7).
Die Schengen-Staaten stellen sicher, dass alle Personen, die der Überprüfung unterliegen, einen Lebensstandard erhalten, der ihren Lebensunterhalt sichert, ihre körperliche und geistige Gesundheit schützt und ihre Rechte gemäss der Charta respektiert (Abs. 8).
Die Schengen-Staaten benennen die für die Überprüfung zuständigen Behörden, wobei das Personal über angemessene Kenntnisse verfügt und die notwendige Schulung gemäss Artikel 16 SGK erhalten hat. Zudem führt qualifiziertes medizinisches Personal die vorläufige Gesundheitskontrolle und geschultes Fachpersonal die vorläufige Prüfung der Vulnerabilität durch. Gegebenenfalls werden auch nationale Kindesschutzbehörden und nationale Behörden, die für die Aufdeckung und Erkennung von Opfern von Menschenhandel zuständig sind, in diese Kontrollen einbezogen (Abs. 9).
Die Schengen-Staaten gewährleisten, dass nur das Personal, das für die Identifizierung oder Verifizierung der Identität im Sinne der Verordnung (EU) 2019/817 und die Sicherheitskontrolle zuständig ist, Zugriff auf die in den Artikeln 14 und 15 der Überprüfungsverordnung vorgesehenen Daten, Systeme und Datenbanken hat. Zudem stellen die Schengen-Staaten geeignetes Personal und ausreichende Mittel für eine effiziente Durchführung des Überprüfungsverfahrens zur Verfügung (Abs. 9).
Die Überprüfungsbehörden können von Sachverständigen oder Verbindungsbeamten sowie von Frontex-Teams und Teams der EUAA im Rahmen ihrer Befugnisse unterstützt werden, sofern diese über die notwendigen Schulungen und Qualifikationen verfügen (Abs. 9).
Art. 9
Verpflichtungen von Drittstaatsangehörigen, die der Überprüfung unterzogen werden
Die Drittstaatsangehörigen müssen den zuständigen Behörden während der Überprüfung zur Verfügung stehen (Abs. 1). Sie geben ihren Namen, ihr Geburtsdatum, ihr Geschlecht und ihre Staatsangehörigkeit an und stellen, soweit verfügbar, entsprechende Dokumente und Informationen, die diese Angaben belegen (Abs. 2 Bst. a), sowie ihre biometrischen Daten im Sinne der Eurodac-Verordnung zur Verfügung (Abs. 2 Bst. b).
Art. 10
Überwachung der Einhaltung der Grundrechte
Die Schengen-Staaten erlassen Bestimmungen, um mutmassliche Verstösse gegen Grundrechte in Zusammenhang mit der Überprüfung zu untersuchen. Weiter stellen sie gegebenenfalls sicher, dass Fälle, in denen Grundrechte nicht geachtet oder nicht durchgesetzt werden, gemäss den nationalen Rechtsvorschriften zur Einleitung von zivil- oder strafrechtlichen Verfahren weitergeleitet werden (Abs. 1).
Absatz 2 hält fest, dass jeder Schengen-Staat gemäss den in diesem Artikel festgelegten Anforderungen einen unabhängigen Überwachungsmechanismus vorsieht, der:
-
überwacht, dass das Unionsrecht und das Völkerrecht, einschliesslich der Charta der Grundrechte, insbesondere in Bezug auf den Zugang zum Asylverfahren, den Grundsatz der Nichtzurückweisung und das Wohl des Kindes, sowie die entsprechenden Vorschriften, einschliesslich der entsprechenden Bestimmungen im nationalen Recht über die Inhaftnahme, während der Überprüfung eingehalten werden;
-
sicherstellt, dass fundierte Anschuldigungen von Grundrechtsverstössen in Zusammenhang mit der Überprüfung wirksam und unverzüglich untersucht werden; erforderlichenfalls werden Ermittlungen zu solchen Anschuldigungen ausgelöst und überwacht.
Der unabhängige Überwachungsmechanismus erfasst alle Massnahmen der Schengen-Staaten zur Umsetzung dieser Verordnung. Darüber hinaus ist der unabhängige Überwachungsmechanismus berechtigt, den Schengen-Staaten jährliche Empfehlungen abzugeben.
Die Schengen-Staaten führen angemessene Garantien ein, um die Unabhängigkeit des Überwachungsmechanismus zu gewährleisten. Die dafür vorgesehenen nationalen Organisationen und Einrichtungen, einschliesslich der nationalen Mechanismen zur Verhütung von Folter, die im Rahmen des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ¹33 (Antifolter-Konvention) eingerichtet wurden, werden in die Anwendung des unabhängigen Überwachungsmechanismus einbezogen, und ihnen können dessen Aufgaben zugeteilt werden.
Der unabhängige Überwachungsmechanismus kann auch einschlägige internationale und nichtstaatliche Organisationen sowie öffentliche Stellen einbeziehen, die von den Überprüfungsbehörden unabhängig sind. Soweit eine oder mehrere dieser Institutionen oder Einrichtungen nicht unmittelbar am unabhängigen Überwachungsmechanismus beteiligt sind, knüpft und pflegt dieser enge Kontakte zu ihnen und zu den nationalen Datenschutzbehörden sowie zum EDSB.
Der unabhängige Überwachungsmechanismus führt angekündigte und unangekündigte Stichprobenkontrollen vor Ort durch. Die Schengen-Staaten gewähren dem Überwachungsmechanismus Zugang zu allen relevanten Orten, darunter Aufnahme- und Hafteinrichtungen, Einzelpersonen und Dokumenten, soweit dies zur Erfüllung seiner Verpflichtungen erforderlich ist. Der Zugang zu relevanten Orten und vertraulichen Informationen wird nur Personen gewährt, die für den unabhängigen Überwachungsmechanismus tätig sind und eine entsprechende Sicherheitsprüfung durchlaufen haben.
Die FRA veröffentlicht allgemeine Leitlinien für die Schengen-Staaten zur Einrichtung eines Überwachungsmechanismus und dessen Funktionsweise. Schengen-Staaten können die Agentur um Unterstützung bei der Ausarbeitung ihres nationalen Überwachungsmechanismus ersuchen.
Die Europäische Kommission berücksichtigt die Ergebnisse des unabhängigen Überwachungsmechanismus bei ihrer Bewertung der effektiven Anwendung und Umsetzung der Charta der Grundrechte im Einklang mit Artikel 15 Absatz 1 und Anhang III der Verordnung (EU) 2021/1060.
Der unabhängige Überwachungsmechanismus, wie in Absatz 2 dieses Artikels erwähnt, betrifft nicht den Mechanismus zur Überwachung der operativen und technischen Anwendung des GEAS gemäss Artikel 14 der Verordnung (EU) 2021/2303 und die Rolle der Grundrechtebeobachter bei der Überwachung der Achtung der Grundrechte bei allen Tätigkeiten von Frontex gemäss Artikel 80 der Verordnung (EU) 2019/1896 (Abs. 3).
Die Schengen-Staaten stellen für den unabhängigen Überwachungsmechanismus, wie in Absatz 2 dieses Artikels erwähnt, angemessene finanzielle Mittel zur Verfügung (Abs. 4).
¹33 SR 0.105.1
Art. 11
Bereitstellung von Informationen
Die Schengen-Staaten stellen sicher, dass Drittstaatsangehörige, die einer Überprüfung unterzogen werden, über Folgendes informiert werden (Abs. 1):
-
den Zweck, die Dauer, die Einzelheiten sowie die potenziellen Ergebnisse der Überprüfung;
-
das Recht, internationalen Schutz zu beantragen, und die geltenden Vorschriften für die Antragstellung auf internationalen Schutz gemäss den einschlägigen Bestimmungen der Asylverfahrensverordnung, einschliesslich der Umstände gemäss Artikel 30 der Asylverfahrensverordnung bzw. dem entsprechenden nationalen Recht (insb. Art. 2 und 10 AsylG);
-
die Rechte und Pflichten der Drittstaatsangehörigen während der Überprüfung, einschliesslich ihrer Verpflichtungen gemäss Artikel 9 der Überprüfungsverordnung sowie der Möglichkeit, Organisationen und Personen gemäss Artikel 8 Absatz 6 der Überprüfungsverordnung zu kontaktieren oder von diesen kontaktiert zu werden;
-
die Datenschutzrechte gemäss dem geltenden Unionsrecht, insbesondere der Datenschutz-Grundverordnung bzw. dem entsprechenden nationalen Recht der Schweiz (insb. Art. 7, 8, 15 und 22 DSG).
Darüber hinaus stellen die Schengen-Staaten sicher, dass den Drittstaatsangehörigen, die einer Überprüfung unterzogen werden, gegebenenfalls folgende Informationen zur Verfügung gestellt werden (Abs. 2):
-
die geltenden Bestimmungen über Einreisevoraussetzungen gemäss dem SGK sowie andere Einreise- und Aufenthaltsbedingungen des betreffenden Schengen-Staats, sofern diese Informationen nicht bereits bereitgestellt wurden;
-
die Rückkehrverpflichtungen gemäss der Rückführungsrichtlinie sowie die Optionen für die Teilnahme an Rückkehrprogrammen;
-
die Bedingungen für die Übernahme gemäss den einschlägigen Vorschriften der AMMR-Verordnung oder einem anderen bestehenden Solidaritätsmechanismus.
Die während der Überprüfung bereitgestellten Informationen werden in einer für den Drittstaatsangehörigen verständlichen Sprache erteilt. Sie werden schriftlich - entweder in Papierform oder elektronisch - und gegebenenfalls mündlich unter Nutzung von Dolmetschdiensten bereitgestellt. Bei Minderjährigen erfolgt die Bereitstellung kindgerecht und unter Einbeziehung der gesetzlichen Vertretung oder der in Artikel 13 Absätze 2 und 3 der Überprüfungsverordnung genannten Person. Um den Zugang zum Verfahren für internationalen Schutz zu erleichtern, können die zuständigen Behörden die erforderlichen Massnahmen zur Bereitstellung von kulturellen Vermittlungsdiensten treffen (Abs. 3).
Die Schengen-Staaten können einschlägigen und zuständigen nationalen, internationalen und nichtstaatlichen Organisationen und Stellen gestatten, Drittstaatsangehörigen während der Überprüfung Informationen gemäss den nationalen Rechtsvorschriften zu erteilen (Abs. 4).
Art. 12
Vorläufige Gesundheitskontrollen und Vulnerabilität
Drittstaatsangehörige, die einer Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze oder im Hoheitsgebiet unterzogen werden, durchlaufen eine vorläufige Gesundheitskontrolle durch qualifiziertes medizinisches Personal. Das Ziel dieser Gesundheitskontrolle besteht darin festzustellen, ob eine medizinische Versorgung oder eine Isolierung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist. Das qualifizierte medizinische Personal kann entscheiden, dass keine weitere Gesundheitskontrolle während der Überprüfung erforderlich ist. Die betroffenen Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung und zur notwendigen Behandlung einer Erkrankung (Abs. 1).
Unbeschadet der Verpflichtungen der Schengen-Staaten gemäss Artikel 24 der Asylverfahrensverordnung kann die in Absatz 1 dieses Artikels genannte Gesundheitskontrolle bei Drittstaatsangehörigen, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, im Rahmen der medizinischen Untersuchung gemäss Artikel 24 der genannten Verordnung durchgeführt werden (Abs. 2).
Drittstaatsangehörige, die gemäss den Artikeln 5 und 7 der Überprüfungsverordnung einer Überprüfung unterzogen werden, unterziehen sich einer vorläufigen Prüfung ihrer Vulnerabilität durch spezialisiertes Personal der Überprüfungsbehörden, das für diesen Zweck geschult ist. Diese Prüfung zielt darauf ab, Anzeichen dafür zu erkennen, dass ein Drittstaatsangehöriger möglicherweise besonders schutzbedürftig ist, beispielsweise als Staatenloser oder als Opfer von Folter oder anderer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, oder dass er besondere Bedürfnisse gemäss der Rückführungsrichtlinie, Artikel 25 der Aufnahmerichtlinie oder Artikel 20 der Asylverfahrensverordnung hat. Zur Durchführung dieser Vulnerabilitätsprüfung können die Überprüfungsbehörden von Nichtregierungsorganisationen und gegebenenfalls von qualifiziertem medizinischem Personal unterstützt werden (Abs. 3).
Falls Anzeichen für eine Vulnerabilität oder besondere Aufnahme- oder Verfahrensbedürfnisse vorliegen, wird der betreffende Drittstaatsangehörige unter Berücksichtigung seiner körperlichen und geistigen Gesundheit zeitnah und angemessen in geeigneten Einrichtungen unterstützt. Im Fall von Minderjährigen erfolgt diese Unterstützung in einer kindgerechten Weise durch Fachpersonal, das für die Betreuung von Minderjährigen geschult und qualifiziert ist und in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Kindesschutzbehörden steht (Abs. 4).
Unbeschadet der erforderlichen Beurteilung der besonderen Bedürfnisse bei der Aufnahme gemäss der Aufnahmerichtlinie und der besonderen Verfahrensbedürfnisse gemäss der Asylverfahrensverordnung sowie der erforderlichen Prüfung der Schutzbedürftigkeit gemäss der Rückführungsrichtlinie kann die vorläufige Beurteilung der Vulnerabilität gemäss den Absätzen 2 und 4 dieses Artikels im Rahmen der vorgesehenen Beurteilungen der Schutzbedürftigkeit und der besonderen Verfahrensbedürfnisse der genannten Verordnung und Richtlinien durchgeführt werden (Abs. 5).
Art. 13
Garantien für Minderjährige
Bei der Überprüfung ist gemäss Artikel 24 Absatz 2 der Charta der Grundrechte stets das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen (Abs. 1). Minderjährige Kinder werden von einem anwesenden erwachsenen Familienangehörigen begleitet, sofern dieser anwesend ist (Abs. 2).
Bei unbegleiteten Minderjährigen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass eine Vertreterin oder ein Vertreter oder, falls keine Vertretung ernannt wurde, eine Person bestimmt wird, die darin ausgebildet ist, das Wohl des Minderjährigen zu wahren. Diese begleitet und unterstützt die unbegleiteten Minderjährigen während der Überprüfung auf kindgerechte Weise und in einer Sprache, die sie verstehen (Abs. 3).
Die ausgebildete Person muss insbesondere unabhängig handeln und darf weder von der für die Überprüfung verantwortlichen Behörde noch von den für die Überprüfung zuständigen Beamten Anweisungen erhalten. Um das Wohlergehen und die soziale Entwicklung der unbegleiteten Minderjährigen zu gewährleisten, wird die geschulte Person nur ausgewechselt, wenn es nicht vermeidbar ist (Abs. 4).
Die von den Mitgliedstaaten beauftragten Vertreterinnen und Vertreter oder ausgebildeten Personen betreuen eine angemessene und begrenzte Zahl von unbegleiteten Minderjährigen, die unter normalen Umständen nicht mehr als 30 Personen gleichzeitig umfasst (Abs. 5). Unbegleitete Minderjährige können auch ohne Vertreterin oder Vertreter gemäss der Aufnahmerichtlinie internationalen Schutz beantragen (Abs. 6).
Art. 14
Identifizierung oder Verifizierung der Identität
Die Identität der Drittstaatsangehörigen, die an der Schengen-Aussengrenze oder im Hoheitsgebiet überprüft werden, wird anhand der folgenden Elemente verifiziert oder festgestellt, sofern dies während der Anwendung von Artikel 8 SGK noch nicht erfolgt ist:
-
Identitäts-, Reise- oder sonstige Dokumente;
-
Daten oder Informationen, die vom betreffenden Drittstaatsangehörigen bereitgestellt oder von ihm eingeholt wurden;
-
biometrische Daten.
Zur Identifizierung oder Verifizierung der Identität gemäss Absatz 1 dieses Artikels greifen die Überprüfungsbehörden auf den CIR gemäss Artikel 20 a der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818, das SIS gemäss den Verordnungen (EU) 2018/1860 ¹34 , (EU) 2018/1861 ¹35 und (EU) 2018/1862 sowie gegebenenfalls auf nationale Datenbanken im Einklang mit den nationalen Rechtsbestimmungen zurück. Die biometrischen Daten eines Drittstaatsangehörigen, der überprüft wird, werden gemäss den Bestimmungen der Eurodac-Verordnung zur Identifizierung oder Verifizierung der Identität dieser Person sowie zur Registrierung in Eurodac erfasst (Abs. 2).
Die Abfrage des CIR gemäss Absatz 2 erfolgt über das ESP gemäss den Bestimmungen von Kapitel II der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818. Wenn es technisch nicht möglich ist, das ESP für die Abfrage eines oder mehrerer EU-Informationssysteme oder des CIR zu nutzen, greifen die Überprüfungsbehörden direkt auf die EU-Informationssysteme oder den CIR zu. Dies gilt unbeschadet des fakultativen Zugangs der Überprüfungsbehörden zum SIS, für welche die Nutzung des ESP fakultativ bleibt (Abs. 3).
Falls die Verwendung der biometrischen Daten des Drittstaatsangehörigen nicht möglich oder die Abfrage mit diesen Daten gemäss Absatz 2 nicht erfolgreich ist oder keinen Treffer ergibt, erfolgt die Abfrage anhand der Identitätsdaten des Drittstaatsangehörigen in Kombination mit sämtlichen Identitäts-, Reise- oder sonstigen Dokumentendaten oder anhand jeglicher Daten oder Informationen gemäss Absatz 1 Buchstabe b (Abs. 4).
Abfragen im SIS mit biometrischen Daten werden gemäss Artikel 33 der Verordnung (EU) 2018/1861 und Artikel 43 der Verordnung (EU) 2018/1862 durchgeführt (Abs. 5). Die Kontrollen umfassen, soweit möglich, auch die Überprüfung von mindestens einem der biometrischen Identifikatoren, die in einem Identitäts-, Reise- oder sonstigen Dokument enthalten sind (Abs. 6).
¹34 Verordnung (EU) 2018/1860 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Nutzung des Schengener Informationssystems für die Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1152, ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 15.
¹35 Verordnung (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und zur Änderung und Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006, ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 14; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1152, ABl. L 249 vom 14.7.2021, S. 15.
Art. 15
Sicherheitskontrolle
Diese Bestimmung enthält spezifische Vorschriften zur Sicherheitskontrolle. Mit dieser soll verifiziert werden, ob die zu überprüfende Person möglicherweise eine Bedrohung der inneren Sicherheit darstellen könnte. Die Sicherheitskontrolle kann sowohl die Drittstaatsangehörigen als auch die von ihnen mitgeführten Gegenstände betreffen. Werden Durchsuchungen durchgeführt, so gelten die Rechtsvorschriften des betreffenden Schengen-Staats (Abs. 1).
Die zuständigen Behörden fragen im Rahmen dieser Sicherheitskontrolle das SIS, das EES, das ETIAS (einschliesslich der ETIAS-Überwachungsliste), das VIS, das ECRIS-TCN, die Interpol-Datenbank und die Europol-Daten ab. Diese Abfragen erfolgen nur, soweit sie nicht bereits im Rahmen der Kontrollen gemäss Artikel 8 Absatz 3 SGK durchgeführt wurden (Abs. 2).
Bei Abfragen des EES, des ETIAS (mit Ausnahme der ETIAS-Überwachungsliste) und des VIS werden nur Daten zu Verweigerungen, Annullierungen oder Widerrufen von Reisegenehmigungen, Einreiseverweigerungen oder Entscheiden über die Verweigerung, Annullierung oder Aufhebung eines Visums oder eines Aufenthaltstitels abgerufen, die sich auf Sicherheitsgründe zurückführen lassen. Im Fall eines Treffers im SIS hat die Überprüfungsbehörde Zugriff auf die in der Ausschreibung enthaltenen Daten (Abs. 3).
Bei Abfragen des ECRIS-TCN beschränken sich die abgerufenen Daten auf Verurteilungen in Zusammenhang mit terroristischen Straftaten und anderen Formen schwerer Straftaten nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2019/816 (Abs. 4). Falls erforderlich, erlässt die Europäische Kommission Durchführungsrechtsakte, um das Verfahren und die Spezifikationen für den Abruf von Daten festzulegen (Abs. 5). Da die Schweiz sich derzeit nicht an ECRIS-TCN beteiligt, erhält sie keine Treffer aus dieser Datenbank. Zudem sind die Daten von Europol für die Schweiz nur indirekt über das Abkommen vom 24. September 2004 ¹36 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Europäischen Polizeiamt zugänglich.
¹36 SR 0.362.2
Art. 16
Vorkehrungen für die Identifizierung und Sicherheitskontrollen
Die Abfragen der EU-Informationssysteme, der Europol-Daten und der Interpol-Datenbanken zur Identifizierung oder Verifizierung der Identität sowie zur Durchführung von Sicherheitskontrollen erfolgen gemäss Kapitel II der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 über das ESP (Abs. 1).
Im Fall eines Treffers nach der Überprüfung der EU-Informationssysteme zu Sicherheitskontrollzwecken erhält die zuständige Behörde Zugang zu den im betreffenden Informationssystem gespeicherten Daten, vorbehaltlich der in den einschlägigen Rechtsakten festgelegten Bedingungen (Abs. 2).
Bei einem Treffer nach einer Abfrage im SIS führen die zuständigen Behörden die Verfahren gemäss den SIS-Verordnungen (EU) 2018/1860, (EU) 2018/1861 und (EU) 2018/1862 durch, einschliesslich der Konsultation des ausschreibenden Schengen-Staats über das zuständige SIRENE-Büro (Abs. 3).
Falls die Daten des Drittstaatsangehörigen im ECRIS-TCN gespeichert und gekennzeichnet sind, dürfen sie nur für Sicherheitskontrollen (Art. 15) und zur Abfrage nationaler Strafregister verwendet werden (Abs. 4).
Bei Übereinstimmungen mit Europol-Daten im Rahmen von Sicherheitskontrollen erfolgt eine automatische Benachrichtigung gemäss der Verordnung (EU) 2016/794 ¹37 , und Europol ergreift gegebenenfalls entsprechende Massnahmen (Abs. 5). Wenn Abfragen von Interpol-Datenbanken im Rahmen von Sicherheitskontrollen nicht ohne Offenlegung von Informationen an den Urheber der Interpol-Ausschreibung möglich sind, wird auf diese Abfragen verzichtet (Abs. 6).
Treffer in der ETIAS-Überwachungsliste unterliegen Artikel 35 a der Verordnung (EU) 2018/1240 (Abs. 7). Die Europäische Kommission kann Durchführungsrechtsakte erlassen, die das Verfahren für die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden, den nationalen Interpol-Zentralbüros und den nationalen Europol-Stellen festlegen, um Bedrohungen der inneren Sicherheit zu ermitteln (Abs. 8).
¹37 Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) und zur Ersetzung und Aufhebung der Beschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI des Rates, ABl. L 135 vom 24.5.2016, S. 53; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2022/991, ABl. L 169 vom 27.6.2022, S. 1.
Art. 17
Überprüfungsformular
Die Überprüfungsbehörde füllt ein Überprüfungsformular für Personen aus, die an der Schengen-Aussengrenze oder im Hoheitsgebiet einem Überprüfungsverfahren unterzogen wurden. Dieses Formular enthält folgende Daten (Abs. 1):
-
Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Geschlecht (Bst. a);
-
Angaben zu Staatsangehörigkeiten oder Staatenlosigkeit, Wohnsitzländern vor der Ankunft und Sprachkenntnissen (Bst. b);
-
Grund für die Überprüfung (Bst. c);
-
Informationen über die vorläufige Gesundheitskontrolle (Art. 12 Abs. 1), einschliesslich in Fällen, in denen keine weitere Gesundheitskontrolle erforderlich war (Bst. d);
-
wichtige Informationen über die durchgeführte vorläufige Prüfung der Vulnerabilität gemäss Artikel 12 Absatz 3 (Bst. e);
-
Angabe, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Bst. f);
-
Informationen über Familienangehörige oder Verwandte im Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats (Bst. g);
-
Angabe, ob ein Treffer in den EU-Systemen (SIS, EES, ETIAS [einschliesslich der ETIAS-Überwachungsliste], VIS, ECRIS-TCN), der Interpol-Datenbank und den Europol-Daten vorliegt (Bst. h);
-
Angabe, ob der Drittstaatsangehörige seiner Pflicht zur Zusammenarbeit gemäss Artikel 9 der Überprüfungsverordnung nachgekommen ist (Bst. i).
Soweit verfügbar, erhält das Formular (Abs. 2):
-
den Grund für die irreguläre Ankunft oder Einreise (Bst. a);
-
Informationen über die Reisewege, einschliesslich des Ausgangsorts, der vorherigen Aufenthaltsorte, der Transitdrittstaaten und der Länder, in denen ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt oder gewährt wurde, sowie des beabsichtigten Bestimmungsorts innerhalb der EU (Bst. b);
-
Vorhandensein von Reise- und Ausweispapieren (Bst. c);
-
Bemerkungen und sachdienliche Informationen, einschliesslich Hinweisen bei Verdacht auf Schleusung oder Menschenhandel (Bst. d).
Die Informationen im Überprüfungsformular werden so festgehalten, dass sie in einem nachfolgenden Asyl- oder Rückkehrverfahren einer verwaltungsbehördlichen und richterlichen Nachprüfung unterzogen werden können. Es wird vermerkt, ob die Informationen von den Überprüfungsbehörden bestätigt oder von der betroffenen Person angegeben wurden.
Die betroffene Person erhält die im Formular enthaltenen Informationen entweder in Papierform oder elektronisch. Die Angaben gemäss Absatz 1 Buchstabe h werden geschwärzt. Vor der Übermittlung des Formulars an die zuständigen Behörden gemäss Artikel 18 Absätze 1-4 der Überprüfungsverordnung hat die betroffene Person die Möglichkeit anzugeben, ob die enthaltenen Angaben unrichtig sind. Die für die Überprüfung zuständigen Behörden vermerken einen solchen Hinweis (Abs. 3).
Art. 18
Abschluss der Überprüfung
Sobald die Überprüfung abgeschlossen ist, oder spätestens nach Ablauf der in Artikel 8 der Überprüfungsverordnung festgelegten Fristen, werden die in Artikel 5 Absatz 1 der Überprüfungsverordnung genannten Drittstaatsangehörigen, die keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, an die zuständigen Behörden verwiesen, damit diese die Verfahren gemäss der Rückführungsrichtlinie einleiten. Vorbehalten bleibt die Anwendung von Artikel 6 Absatz 5 SGK. Das Überprüfungsformular wird den zuständigen Behörden, die für das weitere Verfahren zuständig sind, übermittelt (Abs. 1).
Die Drittstaatsangehörigen, die einer Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze oder im Hoheitsgebiet unterzogen werden und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden an die für die Registrierung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Behörden überwiesen (Abs. 2).
Sollen Drittstaatsangehörige gemäss Artikel 67 der AMMR-Verordnung oder im Rahmen eines anderen bestehenden Solidaritätsmechanismus übernommen werden, so werden sie zusammen mit dem Überprüfungsformular an die zuständigen Behörden des betreffenden Schengen- bzw. Dublin-Staats überwiesen (Abs. 3).
Die in Artikel 7 der Überprüfungsverordnung genannten Drittstaatsangehörigen, die keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, unterliegen weiterhin dem Rückkehrverfahren gemäss der Rückführungsrichtlinie (Abs. 4).
Das Überprüfungsverfahren endet, sobald die Drittstaatsangehörigen nach Artikel 5 Absätze 1 und 2 sowie nach Artikel 7 der vorliegenden Verordnung dem geeigneten Verfahren (internationaler Schutz, Rückführungsrichtlinie oder Zuständigkeit der Behörden eines anderen Schengen-Staats im Rahmen einer Um- oder Neuansiedlung) zugewiesen wurden. Die Überprüfung endet auch dann, wenn nicht alle Prüfungen und Kontrollen innerhalb der vorgegebenen Frist (Art. 8 der Überprüfungsverordnung) durchgeführt werden konnten (Abs. 5).
Wird gegen einen Drittstaatsangehörigen, der an der Schengen-Aussengrenze oder im Hoheitsgebiet einer Überprüfung unterzogen wird, ein strafrechtliches Verfahren oder ein Auslieferungsverfahren eingeleitet, können die zuständigen Behörden entscheiden, die Überprüfung nicht durchzuführen. Falls das Überprüfungsverfahren bereits begonnen hat, wird es unter Angabe der Umstände, die zur Beendigung des Verfahrens geführt haben, der zuständigen Behörde zugestellt. Bei den zuständigen Behörden handelt es sich entweder um die Behörden, die für die Verfahren zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie zuständig sind, oder im Fall eines Antrags auf internationalen Schutz die nach nationalem Recht für dessen Registrierung zuständigen Behörden (Abs. 6).
Die in Zusammenhang mit dieser Verordnung gespeicherten personenbezogenen Daten werden nach Ablauf der in der Eurodac-Verordnung festgelegten Fristen gelöscht (Abs. 7).
Art. 19
Ausschussverfahren
Die Europäische Kommission wird von einem Ausschuss im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 unterstützt (Abs. 1). Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gilt Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011. Sollte der Ausschuss keine Stellungnahme abgeben, so erlässt die Europäische Kommission den Durchführungsrechtsakt nicht und Artikel 5 Absatz 4 Unterabsatz 3 der genannten Verordnung findet Anwendung (Abs. 2).
6.4.5 Änderung anderer EU-Rechtsakte durch die Überprüfungsverordnung
Art. 20
Änderung der Verordnung (EG) Nr. 767/2008
In der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 sind Zweck, Funktionen und Zuständigkeiten in Bezug auf das VIS festgehalten. Zudem sind die Bedingungen und Verfahren für den Datenaustausch zwischen den Schengen-Staaten darin festgelegt, um die Prüfung von Visumanträgen für einen kurzfristigen Aufenthalt (Visa C) und die damit verbundenen Entscheide zu erleichtern. Das VIS ermöglicht es den Visum-, Grenz-, Asyl- und Migrationsbehörden, schnell und wirksam die notwendigen Informationen über visumpflichtige Drittstaatsangehörige zu prüfen.
Mit den Verordnungen (EU) 2021/1133 ¹38 und (EU) 2021/1134 wurde das VIS kürzlich aktualisiert. Die wichtigsten Änderungen sind: Herabsetzung des Alters für die Abnahme von Fingerabdrücken bei Kindern von zwölf auf sechs Jahre und Befreiung von dieser Verpflichtung für Personen über 75 Jahre; Registrierung und Kontrolle von nationalen Daten über Visa neu auch für den längerfristigen Aufenthalt; Erfassung von Gesichtsbildern direkt vor Ort; Erweiterung des Zwecks des VIS neu auch für die Rückkehr von Personen, welche die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt im Schengen-Raum nicht erfüllen. Diese zwei EU-Verordnungen stellen Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands dar, welche die Schweiz am 21. April 2023 übernommen hat. ¹39
Artikel 20 der Überprüfungsverordnung hält nun fest, welche Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 angepasst werden müssen: Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 hält fest, welche Behörden Zugang zum VIS haben. Darunter fallen folgende Behörden:
-
die nationalen Behörden der Schengen-Staaten und der Einrichtungen der EU, die für die in den Artikeln 15-22, 22 g -22 m und 45 e der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 und den Artikeln 20, 20 a und 21 der Verordnung (EU) 2019/817 genannten Zwecke zuständig sind (Bst. a und d);
-
die ETIAS-Zentralstelle und die nationalen ETIAS-Behörden der Mitgliedstaaten, die gemäss den Artikeln 7 und 8 der Verordnung (EU) 2018/1240 für die in den Artikeln 18 c und 18 d dieser Verordnung und der Verordnung (EU) 2018/1240 genannten Zwecke benannt wurden (Bst. b);
-
die Überprüfungsbehörde, die für die Identitäts- und Sicherheitskontrolle zuständig ist (Bst. c).
Der Zugang wird erteilt, sofern die Daten für die Erfüllung der Aufgaben gemäss den Zwecken erforderlich sind und sie in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen.
Das VIS liefert einen Treffer, wenn ein Entscheid über die Verweigerung, die Annullierung oder den Widerruf eines Visums, eines Visums für den längerfristigen Aufenthalt oder eines Aufenthaltstitels aus den in Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe a Ziffern i, v und vi der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 genannten Gründen in einem Abgleichsdatensatz gespeichert ist.
¹38 Verordnung (EU) 2024/1133 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 603/2013, (EU) 2016/794, (EU) 2018/1862, (EU) 2019/816 und (EU) 2019/818 hinsichtlich der Festlegung der Voraussetzungen für den Zugang zu anderen Informationssystemen der EU für Zwecke des Visa-Informationssystems, ABl. L 248 vom 13.7.2021, S. 1.
¹39 SR 0.362.381.019 und SR 0.362.381.020
Art. 21
Änderung der Verordnung (EU) 2017/2226
Mit der Verordnung (EU) 2017/2226 wurde das EES zur Verwaltung der Schengen-Aussengrenzen eingeführt. Das EES hat zum Ziel, die Grenzverwaltung zu modernisieren, die Sicherheit des Schengen-Raums zu erhöhen und durch die Automatisierung zahlreicher Prozesse die Grenzübertrittskontrolle effizienter zu gestalten, um die stetig steigende Zahl an Grenzübertritten bewältigen zu können. Das EES dient der elektronischen Erfassung der Ein- und Ausreisen von Drittstaatsangehörigen sowie der automatischen Berechnung der Aufenthaltsdauer im Schengen-Raum. Die heutige manuelle Abstempelung der Reisedokumente wird zugunsten eines Eintrags in das EES ersetzt. Mit dem EES soll irreguläre Migration (insbesondere «Overstayer») einfacher entdeckt werden und undokumentierte Reisende sollen bei Kontrollen im Schengen-Binnenraum unter anderem mithilfe von biometrischen Identifikatoren (Gesichtsbild und vier Fingerabdrücke) eindeutiger identifiziert werden können. Das System wird voraussichtlich Ende 2025 in Betrieb genommen.
Dieser Artikel zeigt auf, welche Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/2226 aufgrund der Überprüfungsverordnung angepasst werden müssen.
In Artikel 6 wird in Absatz 1 der Buchstabe l eingefügt. Dieser hält fest, dass im Rahmen des EES die Ziele der Überprüfungsverordnung unterstützt werden, insbesondere was die Kontrolle anbelangt.
Artikel 9 erhält einen neuen Absatz 2 b . Dieser regelt den Zugang der für die Überprüfung zuständigen Behörden zum EES, um Daten abzurufen. Des Weiteren erhält der bereits bestehende Absatz 4 eine neue Fassung und definiert den Zugang zu den im CIR gespeicherten EES-Daten. Einen Zugang erhalten ausschliesslich die Behörden, die für die in den Artikeln 20-21 der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 genannten Zwecke zuständig sind.
Ausserdem wird ein neuer Artikel 24 a eingefügt. Dieser regelt den Zugang der Überprüfungsbehörden zu den EES-Daten für die Sicherheitskontrolle im Rahmen der Überprüfung. Ist die Person im EES gespeichert, erhält die Überprüfungsbehörde Zugang zur Einzeldatei des betreffenden Drittstaatsangehörigen. Die Einzeldatei enthält Informationen über die Ein- und Ausreise sowie über eine allfällige Einreiseverweigerung. Sind in der Einzeldatei keine biometrischen Daten gespeichert, können die zuständigen Behörden auf die im VIS gespeicherten biometrischen Daten zugreifen und einen Abgleich vornehmen.
Artikel 46 Absatz 1 Buchstabe a erhält eine neue Fassung. Neu müssen eu-LISA und die Mitgliedstaaten im Protokoll über Datenverarbeitungsvorgänge im EES zum Zugangszweck gemäss Artikel 9 Absätze 2, 2 a und 2 b Stellung nehmen.
Art. 22
Änderung der Verordnung (EU) 2018/1240
Die Verordnung (EU) 2018/1240 (ETIAS-Verordnung) etabliert das Europäische Reiseinformations- und genehmigungssystem. Mit dem System wird geprüft, ob die Einreise eines visumbefreiten Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum ein Sicherheitsrisiko für die Schengen-Staaten darstellt. Somit stellt die ETIAS-Reisegenehmigung neben den bereits bestehenden Einreisebedingungen des SGK (gültiges Reisedokument, ausreichende Mittel usw.) eine weitere Voraussetzung für die Einreise von visumbefreiten Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum dar.
Dieser Artikel zeigt auf, welche Bestimmungen der ETIAS-Verordnung aufgrund der Einführung des Überprüfungsverfahrens angepasst werden.
In Artikel 4 wird ein neuer Buchstabe eb eingefügt. Dieser regelt, dass ETIAS die zuständigen Behörden der Schengen-Staaten auch im Rahmen der Überprüfungsverordnung unterstützt.
In Artikel 8 Absatz 2 wird ein neuer Buchstabe i eingefügt. Dieser legt die neue Aufgabe der nationalen ETIAS-Stelle, eine Stellungnahme nach Artikel 35 a abzugeben, dar.
Artikel 13 Absatz 4 a wird neu gefasst, um den Zugang zu den im CIR gespeicherten ETIAS-Identitätsdaten und Reisedokumentdaten ausschliesslich den ermächtigten Behörden der Schengen-Staaten zu den in den Artikeln 20, 20 a und 21 der Verordnung (EU) 2019/817 genannten Zwecken zu gewähren. Zudem wird ein neuer Absatz 4 b eingefügt, der die verschiedenen Zugriffsrechte der Überprüfungsbehörden auf ETIAS regelt, um den in den Artikeln 14 Absatz 1 und 15 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung genannten Gründen zu entsprechen. Absatz 5 wird ebenfalls neu gefasst, um sicherzustellen, dass jeder Schengen-Staat die zuständigen nationalen Behörden und die Überprüfungsbehörden benennt und an eu-LISA übermittelt.
Des Weiteren wird ein neuer Artikel 35 a eingefügt, der die Aufgaben der nationalen ETIAS-Stelle und von Europol für die Zwecke der Überprüfung in Bezug auf die ETIAS-Überwachungsliste regelt. In Fällen nach Artikel 13 Absatz 4 b sendet das ETIAS-Zentralsystem automatische Benachrichtigungen an die nationale ETIAS-Stelle oder Europol, je nachdem, wer die Daten in die ETIAS-Überwachungsliste eingetragen hat. Wenn die nationale ETIAS-Stelle oder Europol davon ausgeht, dass der sich einer Überprüfung unterziehende Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen könnte, muss sie sofort die Überprüfungsbehörde darüber informieren und ihr innerhalb von zwei Tagen eine begründete Stellungnahme abgeben. Wird keine Stellungnahme abgegeben, sollte davon ausgegangen werden, dass kein Sicherheitsrisiko besteht.
Zu guter Letzt wird in Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe ea eingefügt. Dieser besagt, dass eu-LISA in ihrem Protokoll, wo nötig, die Abfragen des ETIAS-Zentralsystems zum Zweck der in den Artikeln 14 und 15 der Überprüfungsverordnung genannten Gründe sowie die Treffer und die Ergebnisse auflistet.
Art. 23
Änderung der Verordnung (EU) 2019/817
Die Verordnung (EU) 2019/817 stellt die Interoperabilität zwischen dem SIS, VIS, Eurodac, EES, ETIAS und ECRIS-TCN in den Bereichen Grenzen und Visa sicher. Mit der Interoperabilität können bestehende Daten aus mehreren Systemen gleichzeitig abgefragt und die biometrischen Daten einer zu überprüfenden Person gleichzeitig abgeglichen werden. Dadurch erhalten die Behörden zeitnah umfassende Informationen zu einer Person, und die Identitätsprüfung einer Person sowie die Aufdeckung von Identitätsbetrug an den Grenzen werden vereinfacht.
Artikel 23 zeigt auf, welche Bestimmungen der Verordnung (EU) 2019/817 aufgrund der Einführung des Überprüfungsverfahrens angepasst werden.
In Artikel 7 wird Absatz 2 wie folgt geändert: Die in Absatz 1 genannten Behörden der Schengen-Staaten und Stellen der EU nutzen das ESP zur Abfrage von Daten zu Personen oder deren Reisedokumenten in den Zentralsystemen des EES, VIS und ETIAS im Einklang mit ihren Zugriffsrechten. Die Zugriffsrechte sind in den Rechtsakten über diese EU-Informationssysteme und im nationalen Recht festgelegt. Sie nutzen das ESP auch zur Abfrage des CIR im Einklang mit ihren Zugangsrechten nach dieser Verordnung für die in den Artikeln 20-22 genannten Zwecke.
Artikel 17 Absatz 1 erhält eine neue Fassung. Dieser beschreibt den CIR als Speicher, in dem für jede im EES, VIS, ETIAS, Eurodac und ECRIS-TCN erfasste Person eine individuelle Datei mit den in Artikel 18 genannten Daten angelegt wird. Der CIR dient der erleichterten und korrekten Identifizierung der gemäss den Artikeln 20 und 20 a erfassten Personen und unterstützt das Funktionieren des MID gemäss Artikel 21. Zudem wird dadurch der allenfalls erforderliche Zugang der Überprüfungsbehörde und von Europol zum EES, VIS, ETIAS und Eurodac zwecks Verhinderung, Aufdeckung oder Untersuchung terroristischer und anderer schwerer Straftaten gemäss Artikel 22 erleichtert und einheitlich geregelt. In Artikel 17 Absatz 4 wird festgehalten, dass die Nutzerinnen und Nutzer des CIR von eu-LISA automatisch informiert werden, wenn die Abfrage des CIR aus technischen Gründen nicht möglich ist.
In Artikel 18 erhält Absatz 3 eine neue Fassung. Dieser schreibt vor, dass die Behörden, die auf den CIR zugreifen, dies im Einklang mit ihren Zugriffsrechten tun.
Ausserdem wird nach Artikel 20 ein neuer Artikel 20 a eingefügt (Zugang zum CIR zwecks Identifizierung oder Verifizierung der Identität gemäss der vorliegenden EU-Verordnung). Absatz 1 regelt den Zugriff der Überprüfungsbehörde auf den CIR. Diese kann den CIR lediglich zum Zweck der Verifizierung der Identität oder der Identifizierung einer Person gemäss Artikel 14 der Überprüfungsverordnung abfragen, sofern das Verfahren in Anwesenheit der betreffenden Person eingeleitet wurde. Ergibt die Abfrage des CIR, dass Daten zu dieser Person im CIR gespeichert sind, erhält die für die Überprüfung zuständige Behörde gemäss Absatz 2 einen Zugang zur Abfrage der in Artikel 18 Absatz 1 dieser Verordnung sowie der in Artikel 18 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2019/818 genannten Daten.
Artikel 24 Absätze 1 und 5 Unterabsatz 1 werden ebenfalls geändert. Zudem wird ein neuer Absatz 2 a eingefügt. Artikel 24 beinhaltet Vorschriften über die Erstellung eines Protokolls über alle Datenverarbeitungsvorgänge im CIR durch eu-LISA.
6.4.6 Schlussbestimmungen
Art. 24
Bewertung
Diese Bestimmung legt fest, dass die Europäische Kommission bis zum 12. Juni 2028 Bericht über die Durchführung der in dieser Verordnung vorgesehenen Massnahmen erstattet.
Bis zum 12. Juni 2031 und danach alle fünf Jahre nimmt die Europäische Kommission eine Bewertung der Verordnung vor. Sie legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss einen Bericht mit den wichtigsten Ergebnissen vor. Dafür übermitteln die Schengen-Staaten der Europäischen Kommission bis zum 12. Dezember 2030 und danach alle fünf Jahre alle für die Erstellung dieses Berichts erforderlichen Informationen.
Art. 25
Inkrafttreten
Diese Verordnung trat am 11. Juni 2024 in Kraft. Angewendet wird sie ab dem 12. Juni 2026, mit Ausnahme der Bestimmungen der Artikel 14-16, welche die Abfragen der EU-Informationssysteme, des CIR und des ESP regeln und erst nach deren Inbetriebnahme Anwendung finden.
6.5 Grundzüge des Umsetzungserlasses
6.5.1 Die beantragte Neuregelung
Einführung des Überprüfungsverfahrens an der Schengen-Aussengrenze (Art. 9b E-AIG)
Diese neue Bestimmung regelt das Überprüfungsverfahren und seine Modalitäten an der Schengen-Aussengrenze der Schweiz. Ausländerinnen und Ausländer, die in Verbindung mit einem unerlaubten Überschreiten der Schengen-Aussengrenze aufgegriffen werden, müssen unverzüglich und spätestens innerhalb von sieben Tagen nach ihrem Aufgreifen einer Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze im Sinne der Artikel 5 unterzogen werden. Die Überprüfung richtet sich dabei nach Artikel 8 der Überprüfungsverordnung. Die Überprüfung findet im Allgemeinen am Flughafen oder in dessen Nähe statt, alternativ an anderen Orten im Hoheitsgebiet der Schweiz. Zuständig für diese Überprüfung sind die kantonalen Behörden. Sie bestimmen für unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer unverzüglich eine Vertrauensperson, die deren Interessen im Sinne von Artikel 13 Absatz 3 der Überprüfungsverordnung während des Überprüfungsverfahrens wahrnimmt. Falls die Grenzkontrolle an den Bund übertragen wurde, ist das BAZG für die Überprüfung zuständig. Wurde die Grenzkontrolle an das BAZG übertragen, informiert dieses die zuständigen kantonalen Behörden über das Aufgreifen einer unbegleiteten minderjährigen Person. Die zuständigen kantonalen Behörden bestimmen sodann unverzüglich eine Vertrauensperson. Wenn die betroffenen Personen ein Asylgesuch einreichen, findet auf sie grundsätzlich das Verfahren am Flughafen gemäss Artikel 21 a AsylG Anwendung. Ist ein solches Verfahren am entsprechenden Flughafen nicht vorgesehen, müssen sie unverzüglich an ein BAZ verwiesen werden, wo die Überprüfung gestützt auf Artikel 26 Absatz 1bis E-AsylG durchgeführt wird. Die Dauer der Überprüfung beträgt in diesen Fällen maximal sieben Tage. Wenn von einer konkreten Untertauchensgefahr ausgegangen werden muss, werden die betroffenen Personen zu einem BAZ begleitet.
Einführung des Überprüfungsverfahrens im Hoheitsgebiet der Schweiz (Art. 9c E-AIG)
Das Überprüfungsverfahren wird nach Artikel 7 Absatz 1 der Überprüfungsverordnung im Hoheitsgebiet der Schweiz durchgeführt, wenn Drittstaatsangehörige aufgegriffen werden, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, die Schengen-Aussengrenze in unzulässiger Weise überschritten haben, um in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich einer Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze entzogen haben. Die Überprüfung hat im Sinne von Artikel 8 Absatz 4 der Überprüfungsverordnung spätestens innerhalb von drei Tagen durch die kantonalen Behörden zu erfolgen.
Von einer Überprüfung wird nach Artikel 7 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung abgesehen, wenn die betroffene Person unmittelbar nach der Anhaltung von einem anderen Schengen-Staat aufgrund bilateraler Abkommen gemäss Artikel 64 c Absatz 1 Buchstabe a AIG rückübernommen wird.
Auch im Hoheitsgebiet gilt der Grundsatz, dass bei Einreichung eines Asylgesuchs eine betroffene Person unverzüglich an ein BAZ verwiesen und bei Bestehen einer Untertauchensgefahr dorthin begleitet werden soll. Die Überprüfung findet anschliessend im BAZ statt.
Erweiterung der Zugriffsrechte auf die EU-Informationssysteme (Art. 103c Abs. 2 Bst. g, 108e Abs. 2 Bst. f, 109a Abs. 2 Bst. i, 110bbis E-AIG)
Damit das BAZG, die kantonalen und kommunalen Polizeibehörden, die kantonalen Migrationsbehörden und das SEM neu auch zum Zweck der Identifikation oder der Überprüfung der Identität und der Sicherheitskontrolle im Rahmen des Überprüfungsverfahrens die Daten des EES, ETIAS, VIS, SIS und CIR abrufen können, müssen die einschlägigen Bestimmungen mit dem Zweck der Durchführung der Überprüfung ergänzt werden.
Durchführung des Überprüfungsverfahrens bei einem Asylgesuch am Flughafen (Art. 21a E-AsylG)
Zukünftig wird bei Personen, die an einem schweizerischen Flughafen (Kategorien A-D 14⁰ ) an der Schengen-Aussengrenze ein Asylgesuch einreichen und die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen, vor der Prüfung des Asylgesuchs innerhalb von sieben Tagen eine Überprüfung durchgeführt (vgl. Art. 8 Abs. 3 der Überprüfungsverordnung). Daher soll ein neuer Artikel 21 a E-AsylG geschaffen werden. Dieser Artikel soll insbesondere die Modalitäten des Überprüfungsverfahrens am Flughafen regeln. Die Überprüfung findet im Allgemeinen am Flughafen oder in dessen Nähe, alternativ an anderen Orten im Hoheitsgebiet der Schweiz statt. Dabei wird unterschieden, ob am jeweiligen Flughafen ein Verfahren nach Artikel 22 E-AsylG durchgeführt werden kann oder nicht.
Sofern am Flughafen ein Verfahren nach Artikel 22 E-AsylG durchgeführt werden kann, sind die an den jeweiligen Flughäfen für die Grenzkontrolle verantwortlichen Behörden für das Überprüfungsverfahren zuständig (vgl. Abs. 1). Die vorübergehende Festhaltung im Transitbereich eines Flughafens muss behördlich angeordnet und richterlich überprüft werden können. Da die betroffenen Personen ein Asylgesuch eingereicht haben, ist das SEM für die vorsorgliche Anordnung der Einreiseverweigerung zuständig. Im Gegensatz zum Flughafenverfahren nach geltendem Recht (vgl. Art. 22 Abs. 2 AsylG) muss das SEM zukünftig in jedem Fall vorsorglich die Einreise verweigern (vgl. Art. 21 a Abs. 6 E-AsylG). Diese Einreiseverweigerung umfasst grundsätzlich die Dauer der Überprüfung wie auch die Dauer des nachfolgenden Asylverfahrens.
Sofern am Flughafen kein Verfahren nach Artikel 22 AsylG durchgeführt werden kann, müssen die zuständigen kantonalen Polizeibehörden bzw. das BAZG die betroffenen Personen an ein BAZ verweisen. Wenn von einer konkreten Untertauchensgefahr ausgegangen werden muss, werden die betroffenen Personen zu einem BAZ begleitet (vgl. Abs. 2). Die Asylsuchenden müssen der zuständigen Behörde während der Dauer der Überprüfung zur Verfügung stehen. Die zuständige Behörde kann zur Durchführung der Überprüfung nach Artikel 21 a E-AsylG eine kurzfristige Festhaltung anordnen, falls die Asylsuchenden ihre Mitwirkungspflichten verletzen oder die Gefahr besteht, dass sie untertauchen oder gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz verstossen (vgl. Art. 73 E-AIG). Personen, denen die Einreise aus humanitären Gründen oder aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen gestattet wurde (vgl. Art. 6 Abs. 5 Bst. c SGK) und die an der Schengen-Aussengrenze an einem Schweizer Flughafen ein Asylgesuch einreichen, unterstehen ebenfalls der Überprüfung (vgl. Abs. 3).
Da von der Einführung des Überprüfungsverfahrens am Flughafen auch das Asylverfahren am Flughafen betroffen ist, erhält Artikel 22 E-AsylG eine neue Fassung.
Verlängerung der Verfahrensdauer am Flughafen (Art. 23 Abs. 2 E-AsylG)
Aufgrund der Überprüfung gemäss Artikel 21 a Absatz 1 E-AsylG, die bis zu sieben Tage dauern kann, soll die Verfahrensdauer von 20 auf 27 Tage verlängert werden.
Durchführung des Überprüfungsverfahrens bei einem Asylgesuch im Hoheitsgebiet (Art. 26 Abs. 1-1quater und 3 zweiter Satz E-AsylG)
Hält sich eine Person illegal im Hoheitsgebiet der Schweiz auf und reicht sie ein Asylgesuch ein, führt das SEM das Überprüfungsverfahren durch, sofern dies nicht bereits zuvor an einer Schengen-Aussengrenze erfolgt ist (vgl. Abs. 1bis). Absatz 1ter enthält alle Elemente des Überprüfungsverfahrens. Dieses soll zu Beginn der Vorbereitungsphase in einem BAZ durchgeführt werden und maximal drei Tage ab Beginn der Vorbereitungsphase dauern (vgl. Abs. 1bis). Die Vorbereitungsphase soll neu maximal 15 Tage bei den Dublin-Verfahren und bei den übrigen Asylverfahren 30 Tage dauern.
Des Weiteren wird Artikel 26 mit einem Absatz 1quater ergänzt, der die Mitwirkungspflichten der betroffenen Personen während des Überprüfungsverfahrens festhält.
In Artikel 26 Absatz 3 zweiter Satz E-AsylG soll schliesslich klargestellt werden, dass die Schritte im Hinblick auf die Vorbereitung des Asylverfahrens (Befragung zur Identität zum Reiseweg und zu den Asylgründen) erst nach Abschluss der Überprüfung erfolgen dürfen.
Verhinderung des Untertauchens während des Überprüfungsverfahrens (Art. 73 Abs. 1 Bst. d E-AIG)
Während des Überprüfungsverfahrens an der Schengen-Aussengrenze der Schweiz sowie im Hoheitsgebiet müssen die betroffenen Personen während der gesamten Verfahrensdauer zur Verfügung stehen. Sofern sie ihre Mitwirkungspflicht im Rahmen des Überprüfungsverfahrens verletzt haben oder die Gefahr besteht, dass sie untertauchen oder gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz verstossen, können sie kurzfristig festgehalten werden (Art. 73 Abs. 1 Bst. d E-AIG).
Unabhängiger Überwachungsmechanismus (Art. 9d E-AIG und Art. 111aquater E-AsylG)
Mit den neuen Artikeln 9 d E-AIG und 111 a quater E-AsylG soll der Grundsatz zur Errichtung eines unabhängigen Überwachungsmechanismus festgehalten werden.
14⁰ Vgl. Ziff. 1.2.1 der Gemeinschaftlichen Leitlinien für die Finanzierung von Flughäfen und die Gewährung staatlicher Anlaufbeihilfen für Luftfahrtunternehmen auf Regionalflughäfen, ABl. C 312 vom 9.12.2005, S. 1.
. Umsetzungsfragen
6.5.1.1 Überprüfungsverfahren an der Schengen-Aussengrenze
Allgemeines
Gemäss Artikel 5 der Überprüfungsverordnung unterliegen an der Schengen-Aussengrenze folgende Personen einer Überprüfung:
-
Drittstaatsangehörige, welche die Schengen-Aussengrenze unbefugt überschreiten und dabei auf dem Land-, See- oder Luftweg aufgegriffen werden und bei denen die Schengen-Staaten gemäss der Eurodac-Verordnung zur Abnahme der Fingerabdrücke verpflichtet sind, einschliesslich derjenigen Personen, die internationalen Schutz beantragen (vgl. Art. 5 Abs. 1 Bst. a der Überprüfungsverordnung);
-
Drittstaatsangehörige, die nach einem Such- und Rettungseinsatz im Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats ausgeschifft werden (vgl. Art. 5 Abs. 1 Bst. b der Überprüfungsverordnung);
-
Drittstaatsangehörige, die an Schengen-Aussengrenzübergangsstellen oder Transitzonen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, ohne die Einreisevoraussetzungen zu erfüllen (vgl. Art. 5 Abs. 2 der Überprüfungsverordnung);
-
Drittstaatsangehörige, denen die Einreise gemäss Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe c SGK (Einreise aus humanitären Gründen oder aus Gründen des nationalen Interesses bzw. aufgrund internationaler Verpflichtungen) gestattet wurde und die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen (vgl. Art. 5 Abs. 3 der Überprüfungsverordnung).
Aufgrund der umgebenden Schengen-Staaten und der fehlenden direkten Einreise aus einem Nicht-Schengen-Staat über den Landweg befinden sich die Schengen-Aussengrenzen der Schweiz ausschliesslich an Flugplätzen, die für Einreisen aus Drittstaaten vorgesehen sind. Daher sind nur Absatz 1 Buchstabe a sowie die Absätze 2 und 3 von Artikel 5 der Überprüfungsverordnung für die Schweiz anwendbar.
Diese Flugplätze sind in die Kategorien A-D unterteilt, wobei es sich bei den Flugplätzen der Kategorie A um die grossen internationalen Landesflughäfen in Basel, Genf und Zürich handelt. An den mittelgrossen Flugplätzen der Kategorie B (St. Gallen-Altenrhein, Bern, Lugano, Samedan und Sion) werden Linienflüge bzw. regelmässige Flüge aus Drittstaaten abgewickelt. Kategorie C (Grenchen, La Chaux-de-Fonds, Lausanne, Locarno und Payerne) umfasst Landeplätze mit sehr geringem Flugaufkommen aus Drittstaaten. Flugplätze der Kategorie D (Buochs, Dübendorf, Emmen, Saanen und Sankt Stephan) sind kleine Landeplätze mit sehr geringem Flugaufkommen aus Drittstaaten. Flugplätze der Kategorien A-C können uneingeschränkt aus Ländern ausserhalb des Schengen-Raums angeflogen werden, während dies bei Flugplätzen der Kategorie D vorher angemeldet und genehmigt werden muss (Art. 29 Abs. 3 VEV). Die Schweiz verfügt somit derzeit über 18 Grenzübergangsstellen, an denen die Schengen-Aussengrenzen überschritten werden können.
Im Jahr 2023 betrug das Gesamtpassagieraufkommen der schweizerischen Landesflughäfen insgesamt gut 53 Millionen. Von diesen Passagieren reisten rund 17,64 Millionen von oder nach Flughäfen, die sich in Drittstaaten (also ausserhalb des Schengen-Raums) befinden, ein bzw. aus. In Basel reisten rund 8,05 Millionen Passagiere, davon 3,45 Millionen Passagiere von oder nach Flughäfen ausserhalb des Schengen-Raums, in Genf rund 16,31 Millionen Passagiere, davon 6,57 Millionen Passagiere von oder nach Flughäfen ausserhalb des Schengen-Raums und in Zürich rund 28,84 Millionen Passagiere, davon 12,44 Millionen Passagiere von oder nach Flughäfen ausserhalb des Schengen-Raums ein bzw. aus. Über 95 Prozent der Passagiere von oder nach Flughäfen ausserhalb des Schengen-Raums reisten über diese drei Landesflughäfen. Diese Zahlen liegen nur noch wenige Prozentpunkte unter den Zahlen vor der Pandemie.
Die Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen der Schweiz fällt gemäss Artikel 9 AIG grundsätzlich in die Zuständigkeit der Kantone. Einige Kantone, die aufgrund eines Flugplatzes auf ihrem Hoheitsgebiet über eine Schengen-Aussengrenze verfügen, haben jedoch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Grenzkontrolle an den Bund zu übertragen, insbesondere an das BAZG. Derzeit nimmt das BAZG die Kontrolle an elf Flugplätzen wahr. An den übrigen Flugplätzen obliegt die Zuständigkeit für Grenzkontrollen den jeweiligen Kantonspolizeien.
Tabelle vergrössern
open_with
| Flugplatz | Zuständige Behörde für die Kontrolle der Schengen-Aussengrenze |
|---|---|
| Basel | BAZG |
| Bern | Kantonspolizei BE |
| Buochs | Kantonspolizei NW |
| Dübendorf | Kantonspolizei ZH |
| Emmen | BAZG |
| Genf | BAZG / Kantonspolizei GE (2. Kontrolllinie) |
| Grenchen | Kantonspolizei SO |
| La Chaux-de-Fonds | BAZG |
| Lausanne | BAZG |
| Locarno | BAZG |
| Lugano | BAZG |
| Payerne | BAZG |
| Saanen | Kantonspolizei BE |
| Sankt Stephan | Kantonspolizei BE |
| Samedan | BAZG |
| Sion | BAZG / Kantonspolizei VS |
| St. Gallen-Altenrhein | BAZG |
| Zürich | Kantonspolizei ZH |
Überprüfung an Schengen-Aussengrenzübergangsstellen (Art. 5 Abs. 2 der Überprüfungsverordnung)
Wie bereits festgehalten, führt Artikel 5 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung eine Überprüfung von Drittstaatsangehörigen ein, die - ohne die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 6 SGK zu erfüllen - an Schengen-Aussengrenzübergangsstellen vorstellig werden und internationalen Schutz beantragen. Da die Schweiz lediglich an Flugplätzen über Schengen-Aussengrenzen verfügt, muss im Asylgesetz eine neue Bestimmung eingefügt werden, welche die Überprüfung bei einem Asylgesuch am Flughafen einführt (Art. 21 a E-AsylG). Zudem müssen im Asylgesetz insbesondere die Bestimmungen zum Asylverfahren am Flughafen (Art. 22 und 23 AsylG) angepasst werden. Wird kein Asylgesuch eingereicht, wird den Drittstaatsangehörigen bei Nichterfüllung der Einreisevoraussetzungen die Einreise bei der Grenzkontrolle verweigert (Art. 65 AIG). Dementsprechend wird auch keine Überprüfung durchgeführt.
Die Verantwortung für das Asylverfahren an denjenigen Flughäfen, in welchen Verfahren nach Artikel 22 AsylG stattfinden, liegt grundsätzlich beim SEM (vgl. Art. 21 a Abs. 1 E-AsylG). Einzelne Aufgaben wie die Personalienaufnahme, die Erstellung von Fingerabdruckbogen sowie die summarische Befragung zum Reiseweg und zu den Asylgründen werden zurzeit durch das BAZG oder die Flughafenpolizei im Auftrag des SEM wahrgenommen (Art. 22 Abs. 1 E-AsylG).
Die Überprüfungsverordnung schreibt in Artikel 6 vor, dass den betroffenen Personen während der Dauer des Überprüfungsverfahrens die Einreise in das Hoheitsgebiet des Schengen-Staats zu verweigern ist. Selbst wenn eine faktische Einreise in das Hoheitsgebiet bereits erfolgt ist, sollen die Betroffenen aufgrund einer sogenannten «fiktiven Nichteinreise» als nicht eingereist gelten. Deswegen schreibt die Überprüfungsverordnung in Artikel 8 Absatz 1 vor, dass die Überprüfung gemäss Artikel 5 der Überprüfungsverordnung grundsätzlich an der Schengen-Aussengrenze selbst oder alternativ an anderen Orten im Hoheitsgebiet durchgeführt werden sollte. Da die Schweiz an den Flughäfen Zürich und Genf bereits über die Infrastruktur zur Durchführung des Flughafenasylverfahrens verfügt, sollte das Überprüfungsverfahren wenn möglich am Flughafen durchgeführt werden. Ist dies aufgrund fehlender Infrastruktur nicht möglich, sollten die Betroffenen in das nächstgelegene BAZ verwiesen und bei einer allfälligen Untertauchensgefahr begleitet werden, wo die Überprüfung durchgeführt wird (vgl. Art. 21 a Abs. 2 E-AsylG).
Da bei der Durchführung des Überprüfungsverfahrens am Flughafen an den aktuellen Abläufen des Flughafenverfahrens grundsätzlich festgehalten wird, erfolgt die Überprüfung durch die zuständige kantonale Behörde. Dies erfordert eine Anpassung von Artikel 22 Absatz 1 AsylG.
Überprüfung beim unbefugten Überschreiten der Schengen-Aussengrenze (Art. 5 Abs. 1 Bst. a der Überprüfungsverordnung)
Auch für Drittstaatsangehörige, die beim unbefugten Überschreiten der Schengen-Aussengrenze auf dem Land-, See- oder Luftweg aufgegriffen werden, soll eine Überprüfung vorgesehen werden. Da die Schweiz lediglich an den für eine Einreise aus Drittstaaten vorgesehenen Flugplätzen über eine Schengen-Aussengrenze verfügt, ist ein Überschreiten der Schengen-Aussengrenze lediglich auf dem Luftweg und über einen solchen Flugplatz möglich. Das unbefugte Überschreiten der Schengen-Aussengrenze ausserhalb der Schengen-Aussengrenzübergangsstellen ist unter diesen Gegebenheiten äusserst schwierig, jedoch nicht unmöglich. Beispielsweise sind bereits vereinzelt Flugzeuge aus einem Drittstaat unter einem Vorwand in einem Schengen-Staat notgelandet, wobei bei der Landung mehrere Passagiere über das Rollfeld und den Zaun geflüchtet sind. Damit die Schweiz ihrer Verpflichtung gestützt auf die Überprüfungsverordnung auch in diesem Punkt gerecht wird, soll in Artikel 9 b E-AIG eine Überprüfung gestützt auf Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Überprüfungsverordnung aufgenommen werden.
6.5.1.2 Überprüfungsverfahren innerhalb des Hoheitsgebiets
Drittstaatsangehörige, welche die Schengen-Aussengrenze unautorisiert überschritten haben und sich illegal im Schengen-Raum aufhalten (ohne «Overstayer») und auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz aufgegriffen werden, müssen ebenfalls einer Überprüfung unterzogen werden (Art. 7 Abs. 1 der Überprüfungsverordnung). Dies gilt unabhängig davon, ob sie um internationalen Schutz ersuchen.
Die Personenkontrollen in der Schweiz sowie an der Grenze werden durch Mitarbeitende der kantonalen Polizeibehörden und des BAZG wahrgenommen (Art. 31 Abs. 2 VEV). Stellen diese Behörden im Rahmen einer Kontrolle fest, dass die kontrollierte Person die Aussengrenze eines Schengen-Staats unzulässigerweise überschritten hat und noch keine Überprüfung durch einen anderen Schengen-Staat durchgeführt wurde, übergeben sie die Personen der zuständigen kantonalen Behörde. Die zuständigen kantonalen Behörden können daher auch den geeigneten Ort zur Durchführung der Überprüfung selbst bestimmen (vgl. Art. 9 c E-AIG).
Sollten die aufgegriffenen Drittstaatsangehörigen vor Beginn der Überprüfung ein Asylgesuch einreichen, ist der Bund für das Überprüfungsverfahren zuständig und die Drittstaatsangehörigen werden von den zuständigen Kontrollbehörden an ein BAZ verwiesen (vgl. Art. 9 c Abs. 6 E-AIG sowie Art. 26 Abs. 1bis E-AsylG). Sollte das Asylgesuch von den aufgegriffenen Drittstaatsangehörigen erst während der Überprüfung eingereicht werden, wird die Überprüfung von den kantonalen Behörden abgeschlossen und die betroffenen Personen im Anschluss an ein BAZ verwiesen (Art. 9 c Abs. 7 E-AIG).
6.5.1.3 Unabhängiger Überwachungsmechanismus
Gemäss Artikel 10 der Überprüfungsverordnung ist jeder Schengen-Staat verpflichtet, einen unabhängigen Überwachungsmechanismus einzurichten, um sicherzustellen, dass während des Überprüfungsverfahrens das Völkerrecht und die Grundrechte eingehalten werden. Diese umfassen unter anderem den Zugang zum Asylverfahren, das Non-Refoulement-Prinzip, das Wohl des Kindes und die entsprechenden Vorschriften über die Inhaftnahme. Mit dem Überwachungsmechanismus ist sicherzustellen, dass fundierte Anschuldigungen zu Grundrechtsverstössen wirksam und unverzüglich untersucht werden. Die Stelle, welche die Aufgabe des unabhängigen Überwachungsmechanismus wahrnimmt, ist befugt, jährliche Empfehlungen an den jeweiligen Schengen-Staat abzugeben. In der Praxis ist die Unabhängigkeit dieser Stelle bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Die zuständige Stelle nimmt ihre Aufgaben auf der Grundlage von Kontrollen vor Ort sowie zufälligen und unangekündigten Kontrollen wahr.
In Artikel 10 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung wird darauf hingewiesen, dass die Aufgabe des Überwachungsmechanismus auch vom nationalen Präventionsmechanismus übernommen werden kann, der im Rahmen des Fakultativprotokolls der Antifolter-Konvention eingerichtet wurde.
Vor diesem Hintergrund könnte beispielsweise die NKVF die Aufgaben in Zusammenhang mit dem unabhängigen Überwachungsmechanismus übernehmen.
6.5.1.4 Neuer Zugriffszweck auf die EU-Informationssysteme
Gemäss den Artikeln 20-23 der Überprüfungsverordnung werden durch die Einführung der Überprüfung auch die Bestimmungen der EU-Verordnungen zu den EU-Informationssystemen angepasst. Bei den Änderungen handelt es sich um die Anpassung der Regelungen über die Zugriffsrechte. Neu muss es zum Zweck der Durchführung der Überprüfung möglich sein, auf die einzelnen EU-Informationssysteme zuzugreifen. Da die EU-Verordnungen zum VIS, EES, ETIAS und CIR eine Änderung erfahren, muss auch das AIG angepasst werden.
6.6 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Umsetzungserlasses
6.6.1 Ausländer- und Integrationsgesetz
Art. 9b
Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze
Das Parlament hat am 19. März 2021 in Zusammenhang mit einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands eine Änderung des AIG beschlossen (Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen [EU] 2019/817 und [EU] 2019/818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen; 20.070) 14¹ . Dabei wurde ein neuer Artikel 9 a nAIG geschaffen, in dem die Überwachung der Ankunft am Flughafen geregelt werden soll (bisher Art. 103 AIG). Die Änderung des AIG ist noch nicht in Kraft getreten. Die vorliegende Regelung zur Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze soll deshalb in einen neuen Artikel 9 b E-AIG aufgenommen werden.
Abs. 1
Drittstaatsangehörige, die illegal die Schengen-Aussengrenze ausserhalb einer vorgeschriebenen Grenzübergangsstelle überschreiten und dabei aufgegriffen werden, müssen unverzüglich, höchstens aber innerhalb von sieben Tagen nach ihrem Aufgreifen von den zuständigen kantonalen Behörden einer Überprüfung unterzogen werden (vgl. Art. 5 Abs. 1 Bst. a der Überprüfungsverordnung). Falls die Grenzkontrolle an den Bund übertragen wurde, ist das Grenzwachtkorps für die Überprüfung zuständig (vgl. Art. 9 AIG). Die Überprüfung findet im Allgemeinen am Flughafen oder in dessen Nähe oder alternativ an anderen Orten im Hoheitsgebiet der Schweiz statt (vgl. Art. 8 Abs. 1 der Überprüfungsverordnung). Findet die Überprüfung gestützt auf Artikel 8 Absatz 1 der Überprüfungsverordnung alternativ an einem Ort innerhalb des Hoheitsgebiets statt, gelten die betroffenen Personen als nicht eingereist (sog. fiktive Nichteinreise).
Abs. 2
Absatz 2 regelt, welche Abklärungen anlässlich des Überprüfungsverfahrens durchgeführt werden müssen (vgl. Art. 8 Abs. 5 der Überprüfungsverordnung). Dies betrifft die Vornahme einer vorläufigen Gesundheitskontrolle und die Prüfung der Vulnerabilität (Art. 12 der Überprüfungsverordnung), die Identifizierung und Verifizierung der Identität (Art. 14 der Überprüfungsverordnung), die allfällige Erfassung der biometrischen Daten in Eurodac, eine Sicherheitskontrolle (Art. 15 und 16 der Überprüfungsverordnung), das Ausfüllen des Überprüfungsformulars (Art. 17 der Überprüfungsverordnung) und die Zuweisung an das geeignete Verfahren (Art. 18 der Überprüfungsverordnung).
Abs. 3
In diesem Abschnitt wird geregelt, welche Mitwirkungspflichten den betroffenen Personen während des Überprüfungsverfahrens obliegen. Sie müssen insbesondere den zuständigen kantonalen Behörden während der Dauer der Überprüfung zur Verfügung stehen (vgl. Art. 6 und 9 Abs. 1 der Überprüfungsverordnung). Verstösst die betroffene Person während des Überprüfungsverfahrens gegen ihre Mitwirkungspflichten oder besteht die Gefahr, dass sie untertaucht oder gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstösst, kann gestützt auf Artikel 73 Absatz 1 Buchstabe d E-AIG eine kurzfristige Festhaltung angeordnet werden.
Abs. 4
Die für die Überprüfung zuständigen kantonalen Behörden müssen für unbegleitete minderjährige Drittstaatsangehörige unverzüglich eine Vertrauensperson bestimmen, die deren Interessen während des Überprüfungsverfahrens wahrnimmt. Diese Verpflichtung ergibt sich grundsätzlich bereits aus Artikel 20 KRK und im vorliegenden Kontext zusätzlich aus Artikel 13 Absatz 3 der Überprüfungsverordnung. Wenn die Grenzkontrolle an den Bund übertragen wurde, informiert das Grenzwachtkorps die zuständige kantonale Behörde, welche verpflichtet ist, für die Überprüfung eine Vertrauensperson zur Verfügung zu stellen.
Abs. 5
Absatz 5 hält fest, dass sich lediglich diejenigen Drittstaatsangehörigen im Sinne von Absatz 1 einer Überprüfung unterziehen müssen, bei denen die zuständigen Behörden aufgrund der Eurodac-Verordnung biometrische Daten erfassen müssen. Ausgenommen sind Drittstaatsangehörige, bei denen die zuständigen Behörden nach Artikel 22 Absatz 1 der Eurodac-Verordnung aus anderen Gründen als ihrem Alter nicht verpflichtet sind, biometrische Daten zu erfassen. Demnach kann von einer Überprüfung abgesehen werden, wenn die betroffene Person das Hoheitsgebiet der Schweiz unmittelbar nach ihrem Aufgreifen verlässt oder deren Bewegungsfreiheit nach ihrem Aufgreifen bis zum Vollzug ihrer Wegweisung beschränkt wird.
Abs. 6
Hier wird auf das Verfahren nach Artikel 23 Absatz 4 der Eurodac-Verordnung verwiesen. Bei Personen, auf die aufgrund des Zustands ihrer Fingerkuppen das Verfahren nach Artikel 23 Absatz 4 der erwähnten Verordnung anwendbar ist, wird die Überprüfung im Anschluss an dieses Verfahren durchgeführt. Befinden sich die betroffenen Personen länger als 72 Stunden an der Aussengrenze, wird die Frist für die Überprüfung auf vier Tage verkürzt.
Abs. 7
Auf Drittstaatsangehörige, die illegal die Schengen-Aussengrenze ausserhalb einer vorgeschriebenen Grenzübergangsstelle überschreiten, dabei aufgegriffen werden und unmittelbar danach um Asyl nachsuchen, kommt das Verfahren am Flughafen gemäss Artikel 21 a Absatz 1 E-AsylG zur Anwendung. Ist ein solches Verfahren am entsprechenden Flughafen nicht vorgesehen (vgl. Art. 21 a Abs. 2 E-AsylG), müssen diese Personen gemäss Artikel 21 Absatz 1 AsylG an ein BAZ verwiesen werden. Bei Bestehen einer Untertauchensgefahr müssen sie zum BAZ begleitet werden. Im BAZ findet das Überprüfungsverfahren gestützt auf Artikel 26 Absatz 1ter E-AsylG statt.
Abs. 8
Falls ein Überprüfungsverfahren eingeleitet wurde und eine betroffene Person im Laufe dieses Verfahrens ein Asylgesuch einreicht, wird die Überprüfung zu Ende geführt und die Person erst danach an ein BAZ verwiesen oder bei Untertauchensgefahr in ein BAZ begleitet. Die kurzzeitige Begleitung bei Vorliegen einer Untertauchensgefahr, ausschliesslich während des Transfers in das nächstgelegene BAZ, stützt sich auf Artikel 6 der Überprüfungsverordnung, wonach die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht Bestimmungen festzulegen haben, um sicherzustellen, dass Drittstaatsangehörige während der Dauer der Überprüfung den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen. Mit einer solchen, nicht zwingend polizeilichen, Begleitung ausschliesslich für die Dauer des erwähnten Transfers kann gewährleistet werden, dass im Anschluss daran ein Überprüfungsverfahren durchgeführt werden kann. Eine solche Begleitung stellt einen verhältnismässig geringen Eingriff in die persönliche Freiheit der betroffenen Person dar.
14¹ BBl 2021 674
Art. 9c
Überprüfung im Hoheitsgebiet
Abs. 1
Absatz 1 setzt Artikel 7 Absatz 1 der Überprüfungsverordnung um und hält fest, dass Drittstaatsangehörige, die sich illegal in der Schweiz aufhalten und im Hoheitsgebiet eines Kantons aufgegriffen werden, unverzüglich und innerhalb von höchstens drei Tagen nach dem Aufgreifen von der zuständigen Behörde einer Überprüfung unterzogen werden müssen. Die Überprüfung wird jedoch nur durchgeführt, wenn die betroffenen Personen die Aussengrenze eines Schengen-Staats in unzulässiger Weise überschritten haben und sich illegal in der Schweiz aufhalten. Bei Drittstaatsangehörigen, die sich zuvor rechtmässig in der Schweiz aufgehalten haben (z. B. «Overstayer»), wird keine Überprüfung durchgeführt. Eine Person hat die Aussengrenze eines Schengen-Staats in unzulässiger Weise überschritten, wenn sie gemäss der Abfrage der EU-Informationssysteme die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 6 SGK nicht erfüllt.
Grundsätzlich sind die Kantone für die Durchführung des Überprüfungsverfahrens zuständig und können den geeigneten Ort für die Durchführung der Überprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung bestimmen.
Abs. 2
Absatz 2 regelt, welche Abklärungen im Rahmen des Überprüfungsverfahrens im Inland durchgeführt werden müssen (vgl. Art. 8 Abs. 5 der Überprüfungsverordnung bzw. Erläuterungen zu Artikel 9 b E-AIG). Wie bei einer Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze ist auch im Inland eine vorläufige Gesundheitskontrolle vorgesehen (Art. 12 Abs. 1 der Überprüfungsverordnung). Die konkrete Ausgestaltung und Durchführung dieser Vorgabe sind derzeit Gegenstand von Diskussionen in den zuständigen Fachgremien (sowohl auf EU-Ebene wie auch auf nationaler Ebene). Es besteht diesbezüglich noch umfassender Klärungsbedarf. Dies insbesondere in Bezug auf die Frage, ob solche umfassenden Kontrollen in jedem Fall systematisch, nur bei Anzeichen einer Erkrankung oder bei Bedarf für medizinische Betreuung, wie es in der Schweiz bereits heute gemacht wird, durchgeführt werden müssen. Bei der Abklärung betreffend die Umsetzung soll auch die Frage, was in der Praxis realistisch umsetzbar ist, Gegenstand des Diskurses sein. Ebenfalls geklärt werden muss der Umfang der Gesundheitskontrollen, das dafür vorgegebene Personal (medizinisches Personal) sowie der Folgeprozess bei der Feststellung einer erforderlichen medizinischen Versorgung oder Isolierung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit.
Gesundheitskontrollen sollten auf jeden Fall lageabhängig und risikogerecht erfolgen. So sollen beispielsweise Personen aus definierten Herkunftsländern weiterhin einer Gesundheitskontrolle zugeführt werden, wenn die Kontrollbehörden Kenntnis davon haben, dass in jenem Herkunftsland beispielsweise ein infektionsbedingtes Gesundheitsrisiko besteht.
Generell kann festgehalten werden, dass die Behörden, die Personenkontrollen durchführen (BAZG und kantonale Polizeibehörden), selbst keine Gesundheitskontrollen sicherstellen können.
Es kann jedoch derzeit noch nicht abgeschätzt werden, wie viele Personen tatsächlich einer solchen Überprüfung unterzogen werden müssen.
Um die Umsetzung der Gesundheitskontrollen sicherzustellen, könnte es im Falle einer Überlastung der Behörden in Betracht gezogen werden, eine gezielte Fokussierung der Gesundheitskontrollen auf Personen mit Anzeichen einer Erkrankung oder aus bestimmten Risikoländern vorzunehmen.
Abs. 3
Absatz 3 bestimmt im Sinne der Artikel 7 Absatz 1 und 9 Absatz 1 der Überprüfungsverordnung, welche Mitwirkungspflichten den betroffenen Personen während des Überprüfungsverfahrens obliegen. Sie müssen insbesondere den zuständigen kantonalen Behörden während der Dauer des Überprüfungsverfahrens an dem von den kantonalen Behörden zu bestimmenden Ort zur Verfügung stehen. Falls die Gefahr besteht, dass sie untertauchen oder gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Schweiz verstossen oder ihre Mitwirkungspflichten verletzen, besteht die Möglichkeit, eine kurzfristige Festhaltung im Sinne von Artikel 73 Absatz 1 Buchstabe d E-AIG anzuordnen.
Abs. 4
Die für die Überprüfung zuständigen kantonalen Behörden müssen für unbegleitete minderjährige Drittstaatsangehörige unverzüglich eine Vertrauensperson bestimmen, die deren Interessen während des Überprüfungsverfahrens wahrnimmt. Diese Verpflichtung ergibt sich grundsätzlich bereits aus Artikel 20 KRK und im vorliegenden Kontext zusätzlich aus Artikel 13 Absatz 3 der Überprüfungsverordnung.
Abs. 5
Von einer Überprüfung kann abgesehen werden, wenn bereits eine Überprüfung durchgeführt wurde (e contrario Art. 7 Abs. 1 der Überprüfungsverordnung). Sofern ein Eintrag zur betroffenen Person in Eurodac besteht, kann davon ausgegangen werden, dass sie bereits überprüft wurde. Aktuell wird abgeklärt, ab welchem Zeitpunkt eine erneute Überprüfung bei einem bestehenden Eintrag erforderlich ist. Ebenfalls kann von einem Überprüfungsverfahren abgesehen werden, wenn die Personen unmittelbar nach dem Aufgreifen von einem anderen Schengen-Staat aufgrund bilateraler Abkommen gemäss Artikel 64 c Absatz 1 Buchstabe a AIG rückübernommen werden (Art. 7 Abs. 2 der Überprüfungsverordnung). Das Überprüfungsverfahren wird in diesem Fall zwingend von demjenigen Schengen-Staat durchgeführt, der die betroffene Person rückübernommen hat.
Abs. 6
Gemäss Absatz 6 müssen Drittstaatsangehörige unmittelbar nachdem sie aufgegriffen wurden und um Asyl ersuchen von derjenigen Behörde, die das Gesuch entgegengenommen hat, an ein BAZ verwiesen werden. Bei Bestehen einer Untertauchensgefahr müssen sie zum BAZ begleitet werden. In solchen Fällen muss das Überprüfungsverfahren vom Bund durchgeführt werden (vgl. Art. 26 Abs. 1bis E-AsylG).
Abs. 7
Die Überprüfung von Drittstaatsangehörigen, die während der Überprüfung Asyl beantragen, muss zu Ende geführt werden, und die betreffenden Personen müssen nach Abschluss der Überprüfung an ein BAZ verwiesen oder bei Untertauchensgefahr in ein BAZ begleitet werden. Die kurzzeitige Begleitung bei Vorliegen einer Untertauchensgefahr, ausschliesslich während des Transfers in das nächstgelegene BAZ, stützt sich auf Artikel 7 Absatz 1 der Überprüfungsverordnung, wonach die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht Bestimmungen festzulegen haben, um sicherzustellen, dass Drittstaatsangehörige während der Dauer der Überprüfung den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen. Mit einer solchen, nicht zwingend polizeilichen, Begleitung ausschliesslich für die Dauer des erwähnten Transfers kann gewährleistet werden, dass im Anschluss daran ein Überprüfungsverfahren durchgeführt werden kann. Eine solche Begleitung stellt einen verhältnismässig geringen Eingriff in die persönliche Freiheit der betroffenen Person dar.
Art. 9d
Unabhängiger Überwachungsmechanismus im Rahmen der Überprüfung
Abs. 1
Absatz 1 regelt den Aufgabenbereich des unabhängigen Überwachungsmechanismus nach Artikel 10 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung. Grundsätzlich können mehrere unabhängige Stellen Aufgaben im Rahmen des unabhängigen Überwachungsmechanismus wahrnehmen. Bei den Überprüfungsverfahren gemäss den Artikeln 9 b und 9 c E-AIG sollen die für den unabhängigen Überwachungsmechanismus zuständigen Stellen während des Überprüfungsverfahrens sicherstellen, dass das Völkerrecht und die Menschenrechte bzw. Grundrechte eingehalten werden. Dies betrifft insbesondere den Zugang zum Asylverfahren, die Einhaltung des Non-Refoulement-Prinzips, das Wohl des Kindes und die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften über die Zwangsmassnahmen. Weitere Ausführungen zu den Aufgaben, Kompetenzen und der Organisation des unabhängigen Überwachungsmechanismus finden sich in den Kapiteln 6.5.2.3 und 6.4.4 (Artikel 10).
Abs. 2
In Absatz 2 wird dargelegt, welche Befugnisse die mit dem Überwachungsmechanismus betrauten Stellen haben, um die mit dem Überwachungsmechanismus zusammenhängenden Ziele erreichen zu können. Diese Befugnisse umfassen den generellen Zugang zu den mit dem Überprüfungsverfahren zusammenhängenden Unterbringungsstrukturen und Haftanstalten, die Einsicht in die relevanten Dokumente und Unterlagen sowie die Befugnis, direkt betroffene Personen und die zuständigen Behörden zu befragen und Kontrollen durchzuführen. Zugang zu klassifizierten Dokumenten des Bundes oder der Kantone erhalten die Mitarbeitenden der entsprechenden Stellen ausschliesslich dann, wenn sie eine Sicherheitsüberprüfung auf kantonaler oder Bundesebene durchlaufen haben.
Abs. 3
Der Bundesrat kann Dritte mit Aufgaben im Rahmen des Überwachungsmechanismus beauftragen. Die Überprüfungsverordnung hält fest, dass die entsprechenden Aufgaben auch von mehreren Stellen und insbesondere vom nationalen Präventionsmechanismus übernommen werden können. Vor diesem Hintergrund könnte beispielsweise die NKVF auf der Grundlage ihres Mandats gewisse Aufgaben im Rahmen des Überwachungsmechanismus übernehmen (vgl. Ausführungen dazu in Ziff. 6.5.2.3).
Art. 30 Abs. 1 Bst. l
Im neuen Artikel 9 b E-AIG wird das Asylgesetz erstmals erwähnt und muss daher mit vollständigem Titel, Datum und SR-Nummer zitiert werden. Bisher war die erste Nennung im vorliegenden Artikel. Neu können in Artikel 30 Absatz 1 Buchstabe 1 somit nur die Abkürzung und die SR-Nummer angegeben werden. Dabei handelt es sich lediglich um eine formelle Anpassung.
Art. 73 Abs. 1 Bst. d
Absatz 1 Buchstabe d hält neu fest, dass die zuständige Behörde des Bundes oder des Kantons Personen ohne Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung zur Durchführung des Überprüfungsverfahrens festhalten kann, falls die Gefahr besteht, dass sie untertauchen oder gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz verstossen oder ihre Mitwirkungspflichten verletzen.
Die Dauer der kurzfristigen Festhaltung beträgt nach geltendem Recht maximal drei Tage (vgl. Art. 73 Abs. 2 AIG).
Art. 103b Abs. 1 Fussnote
Die Fussnote der Verordnung (EU) 2017/2226, die durch die vorliegende Überprüfungsverordnung geändert wird, ist zu aktualisieren.
Art. 103c Abs. 2 Bst. e
Diese Bestimmung regelt die Online-Abfrage der Daten im EES und wurde mit dem Bundesbeschluss zum EES ¹42 neu eingefügt. Im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der Verordnungen (EU) 2021/1133 und (EU) 2021/1134 wurde die Bestimmung erneut revidiert. ¹43 Diese Änderung ist jedoch noch nicht in Kraft getreten.
Damit das Grenzwachtkorps, die kantonalen und kommunalen Polizeibehörden, die Personenkontrollen durchführen, die zuständigen kantonalen Migrationsbehörden und das SEM als die für die Überprüfung zuständigen Behörden im Rahmen des Überprüfungsverfahrens an der Schengen-Aussengrenze und im Hoheitsgebiet zum Zweck der Identifikation oder der Überprüfung der Identität und der Sicherheitskontrolle die Daten des EES abrufen können, muss Absatz 2 entsprechend angepasst werden (Umsetzung von Art. 21 der Überprüfungsverordnung). Es ist darauf hinzuweisen, dass mit der Umsetzung der Überprüfungsverordnung keine neuen Zugriffsrechte auf das EES geschaffen werden. Diejenigen Behörden, die bereits heute die Daten des EES online abfragen dürfen (vgl. Art. 103 c Abs. 2 AIG), sind neu befugt, dies künftig auch zum Zweck des Überprüfungsverfahrens zu tun.
Aufgrund der künftigen Revision des Zollgesetzes wird für das BAZG der Begriff «Grenzwachtkorps» vorläufig weiterhin verwendet, um eine Einheitlichkeit sicherzustellen. Dies ist nötig, da dieser Begriff noch im bestehenden Artikel bzw. Absatz genannt wird. Der Begriff «Grenzwachtkorps» wird im Zuge der Totalrevision des Zollrechts angepasst (vgl. Ziff. 6.7.6).
¹42 BBl 2019 4573
¹43 BBl 2022 3213
Art. 108c Abs. 3
Artikel 108 c AIG bestimmt die für die Schweiz zuständige nationale ETIAS-Stelle und deren wichtigsten Aufgaben. Neu muss in Absatz 3 ergänzt werden, dass die nationale ETIAS-Stelle die erforderlichen Abklärungen vornimmt, wenn der Abgleich der Daten von Drittstaatsangehörigen, die sich im Überprüfungsverfahren befinden, einen Treffer mit der nationalen ETIAS-Überwachungsliste generiert. Sie muss insbesondere den Treffer verifizieren und den die Überprüfung durchführenden Behörden eine Risikoeinschätzung in Bezug auf die innere Sicherheit abgeben, damit diese über die Einreise entscheiden können.
Art. 108e Abs. 2 Bst. d
Dieser Artikel regelt die Online-Abfrage der Daten im ETIAS. In Absatz 2 soll neu festgehalten werden, dass das Grenzwachtkorps, die kantonalen und kommunalen Polizeibehörden, die Personenkontrollen durchführen, und das SEM als die für die Überprüfung zuständigen Behörden im Rahmen des Überprüfungsverfahrens an der Schengen-Aussengrenze und im Hoheitsgebiet zum Zweck der in den Artikeln 14 und 15 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung genannten Gründe (Identifizierung oder Verifizierung der Identität/Sicherheitskontrolle) auf ETIAS zugreifen dürfen (Umsetzung von Art. 22 der Überprüfungsverordnung). Mit der Umsetzung der Überprüfungsverordnung werden aber keine neuen Zugriffsrechte auf ETIAS geschaffen. Vielmehr sind die Behörden, die bereits heute die Daten online abfragen dürfen, befugt, dies künftig auch im Rahmen des Überprüfungsverfahrens zu tun. Vorliegend wird wiederum der Begriff «Grenzwachtkorps» verwendet, bis die Revision des Zollgesetzes abgeschlossen ist (vgl. Ziff. 6.7.6).
Art. 109a Abs. 1 Fussnote und Abs. 2 Bst. e
In Absatz 1 ist die Fussnote der Verordnung (EG) Nr. 767/2008, die durch die vorliegenden Überprüfungsverordnung geändert wird, anzupassen.
Absatz 2 regelt die Online-Abfrage der Daten im VIS. Damit das Grenzwachtkorps, die kantonalen und kommunalen Polizeibehörden, die Personenkontrollen durchführen können, und das SEM als für die Überprüfung zuständigen Behörden im Rahmen des Überprüfungsverfahrens an der Schengen-Aussengrenze und im Hoheitsgebiet zum Zweck der Identifikation oder der Überprüfung der Identität und der Sicherheitskontrolle die Daten des VIS abrufen können, muss Absatz 2 entsprechend angepasst werden (Umsetzung von Art. 20 der Überprüfungsverordnung). Es werden jedoch keine neuen Zugriffsrechte geschaffen. Vorliegend wird wiederum der Begriff «Grenzwachtkorps» verwendet, bis die Revision des Zollgesetzes abgeschlossen ist (vgl. Ziff. 6.7.6).
Art. 110 Abs. 1 Einleitungssatz Fussnoten
In Absatz 1 sind die Fussnoten zu den Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 anzupassen, da die vorliegende Überprüfungsverordnung und die ebenfalls in dieser Botschaft vorliegende Eurodac-Verordnung die beiden EU-Verordnungen anpassen.
Art. 110bbis
Abfrage des CIR zur Identifizierung im Rahmen des Überprüfungsverfahrens
Diese Bestimmung regelt die Zugriffsrechte auf den CIR zwecks Identifikation einer betroffenen Person im Rahmen des Überprüfungsverfahrens. Sie entspricht materiell weitgehend Artikel 20 a der Verordnung (EU) 2019/817 und bezeichnet die zuständigen nationalen Behörden, die künftig Zugriff auf den CIR erhalten. Es sind dies die kantonalen Polizeibehörden sowie das Grenzwachtkorps im Rahmen der Überprüfung an der Schengen-Aussengrenze gemäss Artikel 9 b E-AIG (Bst. a), die kantonalen und kommunalen Polizeibehörden im Rahmen der Überprüfung auf Schweizer Hoheitsgebiet gemäss Artikel 9 c E-AIG, wenn die betroffene Person kein Asylgesuch einreicht (Bst. b), die zuständigen kantonalen und kommunalen Polizeibehörden sowie das Grenzwachtkorps, soweit es für die Grenzkontrolle zuständig ist, im Rahmen der Überprüfung am Flughafen gemäss Artikel 21 a Absatz 1 E-AsylG (Bst. c) sowie das SEM im Rahmen der Überprüfung in den BAZ gemäss Artikel 26 Absätze 1bis und 1ter VE-AsylG (Bst. d).
6.6.2 Asylgesetz
Art. 21a
Überprüfung bei einem Asylgesuch am Flughafen
Abs. 1
Zukünftig müssen Personen, die an der Schengen-Aussengrenze an einem Schweizer Flughafen, an dem die für die Durchführung von Asylverfahren benötigten Strukturen vorhanden sind (Kategorien A-D), ein Asylgesuch einreichen und die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen, vor der Prüfung des Asylgesuchs ein Überprüfungsverfahren gemäss Artikel 5 Absatz 2 der Überprüfungsverordnung durchlaufen. Für die Überprüfung sollen die an den jeweiligen Flughäfen zuständigen kantonalen Behörden zuständig sein. Unmittelbar nach Einreichung eines Asylgesuchs informiert die zuständige kantonale Behörde das SEM und bezieht es mit ein.
Wie bereits nach geltendem Recht gewährleistet der Bund asylsuchenden Personen, die an einem Schweizer Flughafen ein Asylgesuch einreichen, unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung (Art. 22 Abs. 3bis E-AsylG). Neu sieht Artikel 22 Absatz 7 E-AsylG vor, dass diese unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung erst nach Abschluss der Überprüfung zu gewährleisten ist. Damit ist der unentgeltliche Rechtsschutz für die Behandlung des Asylgesuchs wie bis anhin vollumfänglich sichergestellt.
Abs. 2
Wenn an der Schengen-Aussengrenze an einem Schweizer Flughafen, an dem keine Verfahren nach Artikel 22 AsylG durchgeführt werden, Drittstaatsangehörige ein Asylgesuch einreichen und die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 6 SGK nicht erfüllen, so werden diese Personen an ein BAZ verwiesen. Eine Begleitung in das BAZ ist sicherzustellen, wenn von einer Untertauchensgefahr ausgegangen werden muss. Falls die ausländerrechtliche Grenzkontrolle an einschlägigen Flughäfen an den Bund übertragen wurde, ist das Grenzwachtkorps für eine allfällige Begleitung in das BAZ zuständig. Nach Eintreffen in diesem führt das SEM gestützt auf Artikel 26 Absatz 1ter E-AsylG das Überprüfungsverfahren innerhalb von sieben Tagen ab dem Zeitpunkt des Aufgreifens der betroffenen Person am Flughafen durch.
Während des Überprüfungsverfahrens steht den betroffenen Personen keine unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung zu. Diese wird ihnen gestützt auf Artikel 102 h Absatz 1 E-AsylG erst nach Abschluss der Überprüfung für das weitere Asylverfahren gewährt.
Abs. 3
Absatz 3 hält fest, dass Drittstaatsangehörigen, denen die Einreise aus humanitären Gründen oder aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen gestattet wurde (vgl. Art. 6 Abs. 5 Bst. c SGK) und die ein Asylgesuch einreichen, ebenfalls der Überprüfung unterstehen. Wenn das Asylgesuch an einem Flughafen eingereicht wird, an dem ein Verfahren gestützt auf Artikel 22 AsylG durchgeführt wird, kommt Artikel 21 a Absatz 1 E-AsylG in Bezug auf das Überprüfungsverfahren zur Anwendung. Sollte das Asylgesuch an einem Flughafen eingereicht werden, an dem kein Verfahren nach Artikel 22 AsylG durchgeführt werden kann, ist Artikel 21 a Absatz 2 E-AsylG in Bezug auf das Überprüfungsverfahren anwendbar.
Abs. 4
Absatz 4 enthält abschliessend die Elemente des Überprüfungsverfahrens nach Artikel 8 Absatz 5 der Überprüfungsverordnung bzw. die Aufgaben, die durch die zuständige Behörde im Rahmen der Überprüfung wahrgenommen werden müssen (vgl. Erläuterungen zu Art. 9 b Abs. 2 E-AIG).
Abs. 5
Asylsuchende müssen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht den zuständigen Behörden während der Dauer der Überprüfung zur Verfügung stehen. Sie sind verpflichtet, ihre Personalien anzugeben sowie gegebenenfalls Dokumente und Informationen vorzulegen, die diese Angaben belegen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, ihre biometrischen Daten bereitzustellen.
Abs. 6
Das Überprüfungsverfahren soll grundsätzlich an der Schengen-Aussengrenze bzw. im Transitbereich des Flughafens oder alternativ an einem anderen Ort im Hoheitsgebiet durchgeführt werden. Führt das SEM das Asylverfahren am Flughafen durch, verweigert es der asylsuchenden Person für die Dauer der Überprüfung und im Hinblick auf die Durchführung des Asylverfahrens am Flughafen die Einreise in die Schweiz. Die vorübergehende Festhaltung im Transitbereich eines Flughafens muss behördlich angeordnet und richterlich überprüfbar sein. Das SEM ist für die vorsorgliche Anordnung der Einreiseverweigerungen zuständig, sobald ein Asylgesuch eingereicht wurde. Im Gegensatz zum heutigen Flughafenverfahren (vgl. Art. 22 Abs. 2 AsylG) muss das SEM in jedem Fall vorsorglich die Einreise verweigern. Diese vorsorgliche Einreiseverweigerung gilt - wie bereits erwähnt - sowohl für die Dauer des Überprüfungsverfahrens als auch für die Dauer des nachfolgenden Asylverfahrens. Die Einreiseverweigerung kann bis zur Eröffnung der endgültigen Verfügung des SEM im Rahmen des Flughafenasylverfahrens beim BVGer angefochten werden (vgl. Art. 108 Abs. 4 E-AsylG).
Abs. 7
Dieser Absatz entspricht dem Wortlaut des geltenden Artikels 22 Absatz 3 AsylG. Die Zuweisung einer Unterkunft durch das SEM erfolgt künftig für das Überprüfungsverfahren, die allenfalls nachfolgenden Verfahrensschritte im Rahmen des Asylverfahrens am Flughafen sowie für den späteren Vollzug der Wegweisung. Die Zuweisungsverfügung des SEM kann von der betroffenen Person jederzeit beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden (vgl. Art. 108 Abs. 4 E-AsylG).
Abs. 8
Dieser Absatz entspricht dem geltenden Artikel 22 Absatz 4 AsylG.
Art. 22
Asylverfahren am Flughafen
Abs. 1
Nach Abschluss des Überprüfungsverfahrens ist das SEM - anstelle der Grenzkontrollbehörde des entsprechenden Flughafens - im Rahmen des Asylverfahrens berechtigt, weitere für das Asylverfahren notwendige Schritte durchzuführen (vgl. Art. 95 AsylG). Dazu gehören die Erhebung weiterer Personalien, die Erstellung von Fingerabdruckbogen und Fotografien, falls dies nicht bereits während der Überprüfung erledigt wurde, die Erfassung zusätzlicher biometrischer Daten, die Überprüfung von Beweismitteln und Reise- und Identitätspapieren sowie herkunfts- und identitätsspezifische Abklärungen. Wie im Inlandverfahren kann das SEM Dritte mit diesen Aufgaben betrauen (vgl. Art. 26 Abs. 5 AsylG).
Abs. 2
Auch für das Flughafenverfahren soll neu explizit eine Informationspflicht der zuständigen Behörde gegenüber den Asylsuchenden vorgesehen werden, analog zum Inlandverfahren (vgl. Art. 26 Abs. 3 AsylG).
Abs. 3
Entspricht Artikel 22 Absatz 1bis des geltenden AsylG.
Abs. 4
Entspricht Artikel 22 Absatz 1ter des geltenden AsylG.
Abs. 5
Das SEM kann neu auch die Einreise einer asylsuchenden Person zwecks Durchführung eines Inlandverfahrens bewilligen, wenn absehbar ist, dass das Verfahren nicht innert 27 Tagen nach Einreichung des Gesuchs abgeschlossen werden kann. Diese Ausnahmebestimmung kann beispielsweise Anwendung finden, wenn unverhältnismässig viele Asylgesuche an einem Flughafen eingereicht werden oder wenn sich im Einzelfall herausstellt, dass ein Verfahren aufwendiger ist als ursprünglich angenommen.
Abs. 6
Entspricht Artikel 22 Absatz 2bis des geltenden AsylG.
Abs. 7
Wie bereits erwähnt, gewährleistet der Bund asylsuchenden Personen, die an einem Schweizer Flughafen ein Asylgesuch einreichen, bereits nach geltendem Recht unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung. Neu sieht der vorliegende Absatz 7 vor, dass diese unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung grundsätzlich erst nach Abschluss der Überprüfung zu gewährleisten ist.
Abs. 8
Die Maximaldauer für den Aufenthalt in der Unterkunft im Transitbereich soll aufgrund des Überprüfungsverfahrens von 60 auf 67 Tage verlängert werden.
Abs. 9
Entspricht Artikel 22 Absatz 6 des geltenden AsylG.
Art. 23 Abs. 2
Die Verfahrensdauer soll aufgrund des Überprüfungsverfahrens gemäss Artikel 21 a Absatz 1 E-AsylG, das bis zu sieben Tage dauern kann, von 20 auf 27 Tage verlängert werden.
Art. 26
Abs. 1
Bei einer Person, die sich illegal in der Schweiz aufhält und ein Asylgesuch einreicht, führt das SEM das Überprüfungsverfahren gestützt auf Artikel 26 Absatz 1bis AsylG durch, wenn ein solches nicht bereits vorgängig an einer Schengen-Aussengrenze erfolgt ist. Das Überprüfungsverfahren soll grundsätzlich während der Vorbereitungsphase in einem BAZ durchgeführt werden. Die Frist für die Durchführung des Überprüfungsverfahrens in den BAZ beträgt drei Tage ab Beginn der Vorbereitungsphase. Bei Personen, die gestützt auf Artikel 21 a Absatz 2 E-Asyl von der Schengen-Aussengrenze an einem Flughafen an ein BAZ verwiesen bzw. begleitet werden, beträgt die Frist sieben Tage ab dem Zeitpunkt gerechnet, an dem sie am entsprechenden Flughafen aufgegriffen wurden. Der Fristbeginn ab der Vorbereitungsphase ist mit Artikel 8 Absatz 4 der Überprüfungsverordnung, welche den Lauf der Maximalfrist von drei Tagen für die Durchführung der Überprüfung ab Aufgreifen berechnet, vereinbar. Die meisten Personen gelangen ohne vorherige Anhaltung durch kantonale Behörden in ein BAZ, und die Vorbereitungsphase beginnt mit der Erstregistrierung bzw. dem Einreichen des Asylgesuchs. In den Fällen, in denen Personen im Kanton aufgegriffen werden, kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass die Frist der drei Tage nach dem Aufgreifen gemäss der Überprüfungsverordnung eingehalten wird. Dies, weil die betroffenen Personen bei der Mitteilung, dass sie ein Asylgesuch einreichen werden, von den kantonalen Behörden angewiesen werden, sich umgehend bei einem BAZ zu melden. Angesichts der geringen geografischen Distanzen in der Schweiz würden somit der Zeitpunkt des Aufgreifens und die Registrierung des Asylgesuchs zeitlich nur wenig auseinander liegen. Bei Verdacht auf Untertauchensgefahr werden die aufgegriffenen Personen von den kantonalen Behörden zum nächstgelegenen BAZ begleitet. Schliesslich ist auch festzuhalten, dass es sich bei den drei Tagen um eine Maximalfrist handelt. Wo möglich, soll die Überprüfung unverzüglich erfolgen. Der Bundesrat wird das Vorgehen bei Anhaltungen im Kanton auf Verordnungsstufe präzisieren.
Wie sich in den letzten Jahren seit Einführung der Vorbereitungsphase gezeigt hat, sind die zehn Tage für das Dublin-Verfahren bzw. die 21 Tage für die übrigen Asylverfahren nach geltendem Recht zu knapp bemessen. In den letzten Jahren sind viele neue Aufgaben dazu gekommen, die während der Vorbereitungsphase erledigt werden müssen (medizinische Abklärungen, Altersabklärungen, Erfassung biometrischer Daten für Ausweise und ab 1. April 2025 die Auswertung elektronischer Datenträger). Eine aktuelle Auswertung hat gezeigt, dass die zehn Tage nur in rund 60 Prozent der Fälle und die 21 Tage nur in rund 50 Prozent der Fälle eingehalten werden . Mit dem EU-Migrations- und Asylpakt kommen nun zusätzliche Aufgaben hinzu. Dies unter anderem bei der Eurodac-Erfassung, durch die Tonaufnahmen von Dublin- Gesprächen und, wie ausgeführt, durch das Überprüfungsverfahren. Dementsprechend soll die maximale Dauer der Vorbereitungsphase in einem BAZ von zehn Tagen (Dublin-Verfahren) bzw. 21 Tagen (übrige Asylverfahren) auf 15 Tage bzw. 30 Tage erhöht werden.
Abs. 1bis
Der vorliegende Absatz umfasst zwei Personenkategorien:
-
Personen, die während einer Kontrolle im Hoheitsgebiet aufgegriffen werden und ein Asylgesuch einreichen;
-
Personen, die in einem BAZ vorstellig werden und um Asyl nachsuchen.
Bei diesen Personen führt das SEM ein Überprüfungsverfahren in den BAZ durch, sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie die Aussengrenze eines Schengen-Staats in zulässiger Weise überschritten haben und bereits überprüft wurden. Die Überprüfung hat in diesen Fällen unverzüglich und innerhalb von drei Tagen ab Beginn der Vorbereitungsphase zu erfolgen.
Abs. 1ter
In diesem Absatz sind die Bestandteile des Überprüfungsverfahrens gemäss Artikel 8 Absatz 5 der Überprüfungsverordnung bzw. die Aufgaben, die das SEM im Rahmen der Überprüfung wahrnehmen muss, abschliessend aufgeführt (vgl. Erläuterungen zu Art. 9 b Abs. 2 E-AIG).
Abs. 1quater
Asylsuchende müssen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten den zuständigen Behörden während der Dauer der Überprüfung zur Verfügung stehen. Sie sind verpflichtet, ihre Personalien anzugeben sowie gegebenenfalls Dokumente und Informationen vorzulegen, die diese Angaben belegen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, ihre biometrischen Daten bereitzustellen.
Abs. 3 zweiter Satz
In Absatz 3 wird der zweite Satz dahingehend angepasst, dass neu klar festgehalten wird, dass Befragungen zur Identität, zum Reiseweg oder zu den Gründen, warum die betroffene Person ihr Land verlassen hat, erst nach Abschluss einer durchgeführten Überprüfung - also erst im nachfolgenden Asylverfahren - stattfinden können. Dies rechtfertigt sich insbesondere deswegen, da während des Überprüfungsverfahrens keine unentgeltliche Rechtsvertretung zur Verfügung steht, im Rahmen eines Asylverfahrens aber schon.
Art. 102h Abs. 1
Da die Überprüfung in der Vorbereitungsphase durchgeführt wird und für diese gemäss der Überprüfungsverordnung keine unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung vorgesehen ist, muss Absatz 1 entsprechend angepasst werden. Die Rechtsvertretung beginnt somit nach Abschluss der Überprüfung in der Vorbereitungsphase. Ausgenommen davon sind UMA. Bei ihnen erfolgt eine Zuteilung der Rechtsvertretung in den BAZ bereits ab Beginn der Vorbereitungsphase. Die Rechtsvertretung übernimmt in diesen Fällen auch die Funktion der Vertrauensperson.
Art. 108 Abs. 4
Der Verweis auf Artikel 22 Absatz 2 muss angepasst werden, da die Verweigerung der Einreise neu in Artikel 21 a Absatz 4 E-AsylG geregelt wird.
Gliederungstitel nach Art. 111ater
2 a . Abschnitt: Unabhängiger Überwachungsmechanismus im Rahmen der Überprüfung
Unter dem 8. Kapitel des AsylG soll ein neuer Abschnitt 2 a « Unabhängiger Über wachungsmechanismus im Rahmen der Überprüfung » eingefügt werden. Dieser neue Abschnitt enthält ausschliesslich den neuen Artikel 111 a quater E-AsylG.
Art. 111aquater
Siehe dazu die Erläuterungen zu Artikel 9 d E-AIG.
6.6.3 Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes
Art. 16a Abs. 1 Einleitungssatz Fussnoten
Artikel 16 a BPI wurde im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 ¹44 geschaffen und vom Parlament im Frühling 2021 genehmigt. Der in den Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 vorgesehene sBMS ist darin wie auch in Artikel 110 Absatz 1 AIG definiert. Die Fussnoten der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818, die durch die vorliegende Überprüfungsverordnung bzw. Eurodac-Verordnung geändert werden, sind zu aktualisieren.
¹44 Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/ 818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands); BBl 2021 674 .
6.7 Koordinationsbedarf
6.7.1 Koordinationsbedarf mit der VIS-Vorlage
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Überprüfungsverordnung ¹45 besteht ein besonderer Koordinationsbedarf mit einigen Bestimmungen des AIG.
Im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der Verordnungen (EU) 2021/1134 und (EU) 2021/1133 ¹46 (Revision des VIS) verabschiedete das Parlament am 16. Dezember 2022 unter anderem die Artikel 103 b Absatz 1 Fussnote, 103 c Absatz 2 Einleitungssatz und Buchstaben e und f, 108 c Absatz 3, 108 e Absatz 2 Buchstaben c-e, 109 a Absätze 1 Fussnote und 2 Einleitungssatz und Buchstaben f-h und 110 Absatz 1 Einleitungssatz erste Fussnote nAIG sowie der Artikel 16 a Absatz 1 Fussnoten nBPI. ¹47 Die Inkraftsetzung steht noch aus. Es ist davon auszugehen, dass der Bundesbeschluss zur Revision des VIS nach dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft tritt.
Mit der vorliegenden Umsetzung der Überprüfungsverordnung werden dieselben Artikel ebenfalls angepasst. Es ist daher nötig, dass die Artikel 103 b Absatz 1 Fussnote, 103 c Absatz 2 Einleitungssatz und Buchstaben e und f, 108 c Absatz 3, 108 e Absatz 2 Buchstaben c-e, 109 a Absätze 1 Fussnote und 2 Einleitungssatz und Buchstaben f-h und 110 Absatz 1 Einleitungssatz erste Fussnote nAIG sowie Artikel 16 a Absatz 1 Fussnoten nBPI koordiniert werden mit den vorliegenden Artikeln 103 b Absatz 1 Fussnote, 103 c Absatz 2 Buchstabe d, 108 c Absatz 3, 108 e Absatz 2 Buchstabe d, 109 a Absätze 1 Fussnote und 2 Buchstabe e und 110 Absatz 1 Einleitungssatz erste Fussnote E-AIG sowie Artikel 16 a Absatz 1 Einleitungssatz Fussnoten E-BPI.
Sollte die Vorlage zur Revision des VIS vor oder gleichzeitig mit dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft treten, muss sichergestellt werden, dass die Änderungen des vorliegenden Bundesbeschlusses nicht die Änderungen der Revision des VIS überschreiben, sondern beide mitberücksichtigt werden. Sollte die Vorlage zur Revision des VIS nach dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft treten, ist sicherzustellen, dass mit diesem Inkrafttreten die Änderungen der vorliegenden Umsetzung der Überprüfungsverordnung mitberücksichtigt und nicht durch die Revision des VIS überschrieben werden.
¹45 Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1356 zur Einführung der Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den Aussengrenzen und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/817 (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands).
¹46 Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2021/1133 und (EU) 2021/1134 zur Reform des Visa-Informationssystems und der damit verbundenen Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für VIS-Zwecke (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands); BBl 2022 3213 .
¹47 Vgl. www.parlament.ch > 22.039: Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands. Reform des Visa-Informationssystems (VIS) sowie Änderung des AIG.
6.7.2 Koordinationsbedarf mit der IOP-Vorlage
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Überprüfungsverordnung besteht ein besonderer Koordinationsbedarf bei den Artikeln 9 b , 9 c , 9 d und 110 b bis E-AIG.
Mit der Übernahme und Umsetzung der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/818 ¹48 (IOP-Verordnungen) wurden am 19. März 2021 unter anderem die Artikel 9 a und 110 b nAIG durch das Parlament verabschiedet. ¹49 Die Inkraftsetzung steht noch aus.
Da der vorliegende Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung die im Rahmen der Umsetzung der IOP-Verordnungen neu im AIG geschaffenen Artikel mitberücksichtigt, besteht kein Koordinationsbedarf, sollte der Bundesbeschluss zu den IOP-Verordnungen vor oder gleichzeitig mit dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft treten.
Sollte der Bundesbeschluss zu den IOP-Verordnungen nach dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft treten, muss sichergestellt werden, dass die im vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung vorgesehenen Änderungen ohne die Änderungen aus der Übernahme und Umsetzung der IOP-Verordnungen berücksichtigt werden.
¹48 Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und (EU) 2019/ 818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands); BBl 2021 674 .
¹49 Vgl. www.parlament.ch > 20.070: Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands. Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2019/817 und 2019/ 818 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen.
6.7.3 Koordinationsbedarf betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 (ETIAS-Vorlage I)
Die Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Überprüfungsverordnung erfordert einen Koordinationsbedarf mit dem Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) 15⁰ .
Die Artikel 108 c Absatz 3 und 108 e Absatz 2 Buchstabe d E-AIG dieser Vorlage müssen mit den Artikeln 108 c und 108 e nAIG abgestimmt werden, da diese erst mit dem Inkrafttreten der ETIAS-Vorlage I geschaffen werden.
15⁰ BBl 2020 7911
6.7.4 Koordinationsbedarf betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2021/1150 und (EU) 2021/1152 (ETIAS-Vorlage II)
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Überprüfungsverordnung besteht ein besonderer Koordinationsbedarf bei den Artikeln 103 b Absatz 1 Fussnote, 103 c Absatz 2 Buchstabe e, 109 a Absätze 1 Fussnote und 2 Buchstabe e und 110 Absatz 1 Einleitungssatz Fussnoten E-AIG sowie bei Artikel 16 a Absatz 1 Einleitungssatz Fussnoten E-BPI.
Mit der Übernahme und Umsetzung der ETIAS-Vorlage II hat das Parlament am 16. Dezember 2022 unter anderem die Artikel 103 b Absätze 1 Fussnote und 2 Buchstabe bter, 103 c Absatz 2 Buchstabe d, 109 a Absätze 1 Fussnote und 2 Buchstabe e und 110 Absatz 1 Einleitungssatz Fussnoten nAIG sowie bei Artikel 16 a Absatz 1 Einleitungssatz Fussnoten nBPI verabschiedet. 15¹ Die Inkraftsetzung steht noch aus.
Bei den im vorliegenden Bundesbeschluss enthaltenen Artikeln 103 b Absatz 1 Fussnote, 103 c Absatz 2 Buchstabe e, 109 a Absätze 1 Fussnote und 2 Buchstabe e und 110 Absatz 1 Einleitungssatz Fussnoten E-AIG sowie bei Artikel 16 a Absatz 1 Einleitungssatz Fussnoten E-BPI wurde der Bundesbeschluss zur ETIAS-Vorlage II bereits mitberücksichtigt. Sollte der Bundesbeschluss zur ETIAS-Vorlage II vor oder gleichzeitig mit dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft treten, liegt somit kein Koordinationsbedarf vor.
Sollte der Bundesbeschluss zur ETIAS-Vorlage II nach dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft treten, muss sichergestellt werden, dass die im vorliegenden Bundesbeschluss vorgesehenen Änderungen ohne die Änderungen aus der Übernahme und Umsetzung der ETIAS-Vorlage II berücksichtigt werden. Zudem muss bei der Inkraftsetzung des Bundesbeschlusses zur ETIAS-Vorlage II sichergestellt werden, dass die Fussnote in den Artikeln 103 b Absatz 1, 109 a Absatz 1 und 110 Absatz 1 Einleitungssatz E-AIG sowie Artikel 16 a Absatz 1 Einleitungssatz E-BPI nicht überschrieben werden.
15¹ Vgl. www.parlament.ch > 22.019: Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands. Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen (ETIAS).
6.7.5 Koordinationsbedarf mit der neuen Eurodac-Verordnung
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Überprüfungsverordnung besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung der sich in dieser Botschaft ebenfalls befindlichen neuen Eurodac-Verordnung. Einerseits werden die Zugriffsrechte auf Eurodac im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der Eurodac-Verordnung angepasst und andererseits verweisen die Fussnoten in Artikel 110 Absatz 1 Einleitungssatz E-AIG und Artikel 16 a Absatz 1 Einleitungssatz E-BPI auf die neue Eurodac-Verordnung.
Bei der Koordination ist sicherzustellen, dass beide Bundesbeschlüsse gleichzeitig in Kraft gesetzt werden.
6.7.6 Koordinationsbedarf mit der neuen AMMR-Verordnung
Bei der Übernahme und Umsetzung der vorliegenden Überprüfungsverordnung besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung der sich in dieser Botschaft ebenfalls befindlichen neuen AMMR-Verordnung. Artikel 22 Absatz 4 E-AsylG wird unter anderem formell angepasst (neuer Verweis auf die AMMR-Verordnung).
Bei der Koordination ist sicherzustellen, dass beide Bundesbeschlüsse gleichzeitig in Kraft gesetzt werden.
6.7.7 Koordinationsbedarf mit der Änderung des AIG (Erleichterung der selbstständigen Erwerbstätigkeit, Berücksichtigung des Lebensmittelpunkts und Zugriffe auf Informationssysteme)
Es besteht ein Koordinationsbedarf zwischen Artikel 30 Absatz 1 Buchstabe l E-AIG der vorliegenden Umsetzung der Überprüfungsverordnung und Artikel 30 Absatz 1 Buchstabe 1 VE-AIG der Vorlage «Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Erleichterung der selbstständigen Erwerbstätigkeit, Berücksichtigung des Lebensmittelpunkts und Zugriffe auf Informationssysteme)» ¹52 . Über die Vorlage «Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Erleichterung der selbstständigen Erwerbstätigkeit, Berücksichtigung des Lebensmittelpunkts und Zugriffe auf Informationssysteme») wurde vom 15. Dezember 2023 bis am 29. März 2024 das Vernehmlassungsverfahren durchgeführt. Die Verabschiedung der Botschaft steht noch aus.
Beide Vorlagen ändern den Buchstaben l von Artikel 30 Absatz 1 AIG ab. Es ist sicherzustellen, dass nach Inkrafttreten beider Vorlagen die Fassung von Artikel 30 Absatz 1 Buchstabe 1 E-AIG der vorliegenden Umsetzung der Überprüfungsverordnung gilt.
¹52 www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > Vernehmlassung 2023/30.
6.7.8 Koordinationsbedarf mit dem zukünftigen BAZG-Vollzugsaufgabengesetz
Im Rahmen des aktuell laufenden Transformationsprogramms DaziT ¹53 wird das BAZG unter anderem organisatorisch weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung hat zur Folge, dass die Einheiten «Zoll» und «Grenzwachtkorps» zusammengeführt werden. Aufgaben, die nach heutigem Recht von Angehörigen des Grenzwachtkorps wahrgenommen werden, werden künftig von entsprechend ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BAZG ausgeführt. In Zusammenhang mit DaziT erfolgt ebenfalls eine Totalrevision des Zollgesetzes. Es soll ein Rahmengesetz geschaffen werden, mit dem unter anderem die Aufgabenbereiche des BAZG harmonisiert werden. Dieses zukünftige Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Abgabenerhebung und die Kontrolle des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG-Vollzugsaufgabengesetz, BAZG-VG) ¹54 wird aktuell vom Parlament beraten. ¹55
Es besteht ein Koordinationsbedarf zwischen den Artikeln 103 c Absatz 2 Einleitungssatz und Buchstabe g, 108 e Absatz 2 Einleitungssatz und Buchstabe f sowie 109 a Absatz 2 Einleitungssatz und Buchstabe i E-AIG der vorliegenden Umsetzung der Überprüfungsverordnung und den entsprechenden Artikeln 103 c Absatz 2, 108 e Absatz 2 und 109 a Absatz 2 E-AIG der Totalrevision des Zollgesetzes.
Tritt die vorliegende Umsetzung der Überprüfungsverordnung vor dem E-BAZG-VG in Kraft, so ist sicherzustellen, dass gleichzeitig mit dem späteren Inkrafttreten des E-BAZG-VG die Bezeichnung «Grenzwachtkorps» in den sich bereits in Kraft befindenden Artikeln 103 c Absatz 2 Buchstabe g, 108 e Absatz 2 Buchstabe f und 109 a Absatz 2 Buchstabe i E-AIG zusätzlich durch die mit dem E-BAZG-VG eingeführten Funktionen ersetzt wird. Sollte hingegen der E-BAZG-VG vor oder gleichzeitig mit dieser Gesetzesrevision in Kraft treten, so ist beim Inkrafttreten der vorliegenden Vorlage sicherzustellen, dass in den Artikeln 103 c Absatz 2 Buchstabe g, 108 e Absatz 2 Buchstabe f und 109 a Absatz 2 Buchstabe i E-AIG anstelle der Bezeichnung «Grenzwachtkorps» die mit dem E-BAZG-VG eingeführten Funktionen verwendet werden.
Zudem besteht ein Koordinationsbedarf zwischen den Artikeln 9 b Absätze 1 und 4 und 110 b bis Absatz 2 Buchstaben a, b und c E-AIG. Da das BAZG-VG noch nicht in Kraft getreten ist, wird in diesen Bestimmungen weiterhin die Bezeichnung «Grenzwachtkorps» verwendet. Sollte die vorliegende Umsetzung der Überprüfungsverordnung vor dem E-BAZG-VG in Kraft treten, ist sicherzustellen, dass mit dem späteren Inkrafttreten des E-BAZG-VG die Bezeichnung «Grenzwachtkorps» in den genannten Bestimmungen durch «BAZG» ersetzt wird. Tritt hingegen das E-BAZG-VG vor oder gleichzeitig mit dieser Gesetzesrevision in Kraft, muss sichergestellt werden, dass die Bezeichnung «Grenzwachtkorps» in den entsprechenden Bestimmungen bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorliegenden Vorlage durch «BAZG» ersetzt wird.
¹53 Vgl. auch www.dazit.admin.ch.
¹54 BBl 2022 2725 , Botschaft vom 24. August 2022 zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Abgabenerhebung und die Kontrolle des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit sowie zur Totalrevision des Zollgesetzes zum neuen Zollabgabengesetz, BBl 2022 2724 .
¹55 Vgl. www.parlament.ch > 22.058: Zollgesetz. Totalrevision,
www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20220058.
6.7.9 Koordinationsbedarf mit der Revision des Schengener Grenzkodex
In Artikel 21 a Absatz 3 E-AsylG wird neu auf den Schengener Grenzkodex verwiesen (Art. 6 Abs. 5 Bst. c SGK). Der Schengener Grenzkodex wurde zuletzt durch die Verordnung (EU) 2024/1717 (Revision des SGK) angepasst. Die Genehmigung des entsprechenden Bundesbeschlusses ¹56 durch das Parlament steht noch aus. Da die Genehmigung des Bundesbeschlusses zur Revision des SGK vor oder gleichzeitig mit dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft gesetzt wird, wurde der Verweis in der Fussnote Artikel 21 a Absatz 3 E-AsylG bereits angepasst und es besteht kein Koordinationsbedarf.
Sollte der Bundesbeschluss zur Revision des SGK nach dem vorliegenden Bundesbeschluss zur Überprüfungsverordnung in Kraft treten, muss die Fussnote in Artikel 21 a Absatz 3 E-AsylG angepasst werden. Neu müsste es «zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2021/1134, ABl. L 248 vom 13.7.2021, S. 11.» heissen.
¹56 Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2024/1717 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands).
6.8 Auswirkungen
Die Einführung des Überprüfungsverfahrens an den Schengen-Aussengrenzen sowie im Hoheitsgebiet der Schweiz betrifft sowohl den Bund (SEM und BAZG) als auch die Kantone. Die Umsetzung auf Bundesebene wird finanziell und personell separat von derjenigen auf Kantonsebene behandelt. Daher können nur die finanziellen und personellen Auswirkungen des Bundes genauer erläutert werden.
6.8.1 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund
6.8.1.1 Auswirkungen auf das SEM
Die finanziellen und personellen Auswirkungen auf das SEM im Rahmen der Integration des Überprüfungsverfahrens in die Asylverfahren in den BAZ sowie an den Flughäfen Zürich und Genf werden voraussichtlich gering ausfallen, da die bestehenden Prozesse bereits weitgehend mit den Anforderungen der Überprüfungsverordnung übereinstimmen. Notwendige Anpassungen werden voraussichtlich überschaubar sein und können im bestehenden operativen Rahmen umgesetzt werden. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass in bestimmten Bereichen zusätzliche Ressourcen erforderlich sein werden, beispielsweise zur Sicherstellung der Umsetzung neuer operativer Anforderungen, zur Erfassung und Pflege neuer Daten oder zur Abstimmung mit Anpassungen aus weiteren EU-Migrations- und Asylpakt-Projekten wie beispielsweise Eurodac.
6.8.1.2 Auswirkungen auf das BAZG
Das BAZG ist an einigen Flughäfen im Rahmen der delegierten Grenzkontrolltätigkeiten von den Kantonen mit der Überprüfung beauftragt. Die Vorlage führt daher zu zusätzlichen Aufgaben, neuen Prozessen und Absprachen mit den kantonalen Behörden sowie den Flughafenbetreibern, die für die Unterbringung der Personen während des Überprüfungsverfahrens zuständig sind. Der konkrete Mehraufwand ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bezifferbar. Hingegen ist die Grenzkontrollbehörde nur dann mit der Überprüfung beauftragt, wenn die Aussengrenze illegal überschritten wird. Dies ist an den Aussengrenzen der Schweiz nicht oft der Fall, weshalb das BAZG davon ausgeht, dass der Mehraufwand mit den bestehenden Ressourcen umgesetzt werden kann.
Für die Überprüfung im Inland sind die kantonalen Behörden zuständig. Da das BAZG im Rahmen seiner Zollkontrollen an den Grenzen und im Grenzraum präsent ist, wird der Grossteil der Anhaltungen von Personen, welche die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen, durch das BAZG erfolgen. Dank Eurodac sollte das BAZG jedoch in Zukunft feststellen können, ob die Personen bereits in einem anderen Land registriert und daher auch überprüft wurden.
Im Rahmen der Zollkontrollen erledigt das BAZG bereits heute einen Teil der durch die Überprüfungsverordnung geforderten Kontrollprozessschritte. So wird die aufgegriffene Person durch das BAZG bereits heute konsequent entweder dem Asyl- oder Rückkehrverfahren zugewiesen. Auch führt das BAZG Sicherheitskontrollen und eine visuelle Überprüfung des Gesundheitszustands durch und übergibt die Personen, die medizinische Hilfe benötigen, dem Kanton. Da die Verantwortlichkeit für die neuen Gesundheitskontrollen bei den kantonalen Behörden liegt, sind die Personen, die noch nicht überprüft sind, in Zukunft vom Kanton zu übernehmen. Das bedeutet, dass alle Migrantinnen und Migranten, die überprüft werden müssen, bis zur Übernahme in den BAZG-Infrastrukturen festgehalten werden müssen. Die Betreuung und Überwachung bedeutet für das BAZG einen personellen und zeitlichen Mehraufwand. Das BAZG ist hier auf eine rasche und zuverlässige Übernahme seitens der zuständigen kantonalen Behörde angewiesen.
Die bewährten Prozesse und die synergetische Zusammenarbeit mit den Kantonen soll grundsätzlich fortgeführt werden. Nichtsdestotrotz wird mit dieser Vorlage der Grundsatz gebrochen, wonach die gesamten Kontrollprozessschritte durch eine Behörde erledigt werden sollten.
Allfällige Zusatzkosten, die aufgrund der erforderlichen Infrastruktur oder wegen Prozessanpassungen entstehen, sind vom Kanton zu übernehmen.
Eine Delegation der Gesundheitskontrollen sowie das Zuführen in allfällige medizinische Institutionen im Rahmen der bestehenden Verwaltungsvereinbarungen sind ausgeschlossen. Die Delegation solcher Aufgaben würde klar den Empfehlungen der EFK widersprechen.
6.8.2 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf die Kantone
Die Einführung des Überprüfungsverfahrens wird finanzielle Auswirkungen auf die Kantone haben, da neue Aufgaben auf sie zukommen werden. Diese umfassen die obligatorische Überprüfung von Drittstaatsangehörigen, die an der Schengen-Aussengrenze internationalen Schutz beantragen und die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen, sowie von Drittstaatsangehörigen, die sich illegal im Hoheitsgebiet aufhalten und von den zuständigen kantonalen Polizeibehörden oder dem BAZG aufgegriffen und überprüft werden müssen.
Diese Kosten können von den Kantonen derzeit noch nicht beziffert werden.
6.9 Rechtliche Aspekte
6.9.1 Verfassungsmässigkeit
Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der vorliegenden EU-Verordnung stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für auswärtige Angelegenheiten zuständig ist.
Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren.
Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7 a Abs. 1 RVOG).
Im vorliegenden Fall würde der Bundesrat mit Artikel 100 Absatz 2 Buchstabe a AIG zwar über die Abschlusskompetenz zur Übernahme dieser EU-Verordnung verfügen. Gemäss dieser Bestimmung hat der Bundesrat grundsätzlich die Kompetenz, internationale Abkommen über die Visumpflicht und die Durchführung der Grenzkontrollen abzuschliessen. Im vorliegenden Fall sind jedoch Anpassungen des AIG und des AsylG für die Umsetzung erforderlich. Daher sind der Notenaustausch betreffend die Übernahme der vorliegenden EU-Verordnung und die für ihre Umsetzung erforderlichen Gesetzesänderungen der erwähnten zwei Bundesgesetze dem Parlament zur Genehmigung zu unterbreiten.
6.9.2 Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Mit der Übernahme der Überprüfungsverordnung als Schengen-Weiterentwicklung erfüllt die Schweiz ihre Verpflichtungen gegenüber der EU, die sie im Rahmen des SAA eingegangen ist. Mit der Übernahme dieser Verordnung gewährleistet die Schweiz einheitliche Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen. Die zu übernehmende Überprüfungsverordnung wirkt sich auf weitere Schengen-Rechtsakte aus. Davon betroffen sind die Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/817.
Die Übernahme der Überprüfungsverordnung und die damit verbundenen gesetzlichen Anpassungen sind zudem mit den anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.
6.9.3 Erlassform
Die Übernahme der Überprüfungsverordnung stellt keinen Beitritt der Schweiz zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft dar. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des entsprechenden Notenaustauschs ist deshalb nicht dem obligatorischen Referendum nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV zu unterstellen.
Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.
Der vorliegende Notenaustausch wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit gekündigt werden und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch führt die Übernahme dieser EU-Verordnung zu einer Anpassung des AIG und des AsylG. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des völkerrechtlichen Vertrags ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstellt.
Nach Artikel 141 a Absatz 2 BV können die Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden, wenn dieser dem fakultativen Referendum untersteht.
Die vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der Verordnung und ergeben sich unmittelbar aus den darin enthaltenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses kann deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden.
Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).
6.9.4 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
Im Gesetzesentwurf ist folgende Delegation an den Bundesrat enthalten:
Art. 22 Abs. 6 E-AsylG
Asylverfahren am Flughafen
Diese Kompetenzdelegation an den Bundesrat ist bereits heute in Artikel 22 Absatz 2bis AsylG enthalten. Sie stützt sich auf Artikel 182 Absatz 1 BV, wonach der Bundesrat rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung erlassen kann.
6.9.5 Datenschutz
Die Datenbearbeitung durch die Bundesbehörden richtet sich nach dem Bundesgesetz über den Datenschutz vom 25. September 2020 ¹57 . Sie untersteht der Aufsicht des EDÖB. ¹58
In der EU hat die Bearbeitung personenbezogener Daten im Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung bzw. der Richtlinie (EU) 2016/680 sowie der Verordnung (EU) 2018/1725 zu stehen. Die Bearbeitung der Daten im Überprüfungsverfahren hat im Einklang mit diesen EU-Verordnungen und der genannten EU-Richtlinie zu erfolgen. Für die Schweiz verbindlich ist jedoch lediglich die Richtlinie 2016/680, da nur diese Teil des Schengen-Besitzstands ist. Ferner untersteht die Datenbearbeitung durch die EUAA den Vorgaben der Verordnung (EU) 2021/2303. Die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben erfolgt durch den EDSB.
Der EDSB wurde gemäss Artikel 42 der Verordnung (EU) 2018/1725 konsultiert. Er hat am 30. November 2020 zum neuen Migrations- und Asylpakt eine Stellungnahme abgegeben. ¹59 Der EDSB betont in Bezug auf die Überprüfungsverordnung, dass die Richtigkeit der verarbeiteten Informationen von entscheidender Bedeutung ist und dass das Recht auf Berichtigung und/oder Ergänzung der personenbezogenen Daten von Drittstaatsangehörigen in allen Fällen gewährleistet sein sollte. Darüber hinaus ist der EDSB der Ansicht, dass der Vorschlag in Bezug auf die Datenerhebung sehr allgemein gehalten ist. Der EDSB empfahl in seiner Stellungnahme, den Zweck und die Modalitäten der Verarbeitung personenbezogener Daten klarzustellen, wenn geprüft werden soll, ob von Drittstaatsangehörigen eine Gefahr für die Sicherheit ausgeht.
¹57 SR 235.1
¹58 Vgl. Art. 4 und 49 ff. DSG.
¹59 Stellungnahme des EDSB zum neuen Migrations- und Asylpaket; abrufbar unter: www.edps.europa.eu > Datenschutz > Unsere Arbeit > Stellungnahme des EDSB zum neuen Migrations- und Asylpaket
6.9.6 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Mit der Vorlage werden keine neuen Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.
6.9.7 Das Grenzverfahren für Asylgesuche an der EU-Aussengrenze
Das Asylgrenzverfahren, das in der Asylverfahrensverordnung geregelt ist, ist für die Schweiz nicht verbindlich.
Eine konsequente Umsetzung dieses Verfahrens durch die EU-Mitgliedstaaten an den Schengen-Aussengrenzen dürfte sich jedoch direkt auf die Asyl- und Migrationssituation in der Schweiz auswirken. Die Grenzverfahren zielen darauf ab, Asylverfahren von Personen, die ein Sicherheitsrisiko für den Schengen-Raum darstellen oder die mit grosser Wahrscheinlichkeit keinen Anspruch auf Schutz haben, direkt an den EU-Aussengrenzen durchzuführen und somit eine (formelle) Einreise in den Schengen-Raum zu verhindern. Das setzt die Einrichtung von entsprechenden Unterbringungsstrukturen voraus, in der die Personen während ihres Verfahrens untergebracht und an der Einreise gehindert werden. Die Durchführung von Grenzverfahren sollte demnach die Sicherheit im Schengen-Raum erhöhen und die sekundären Migrationsbewegungen innerhalb des Schengen-Raums reduzieren. Aufgrund ihrer geografischen Lage würde die Schweiz von dieser Verringerung der irregulären Migration profitieren.
Es besteht das Risiko, dass es den Staaten an der Schengen-Aussengrenze nicht oder nicht rechtzeitig gelingt, die erforderlichen Plätze für die Grenzverfahren bereitzustellen. Zudem sind die Plätze im neuen Asylgrenzverfahren begrenzt. Ist die Maximalzahl erreicht, kommt erneut das reguläre Asylverfahren zum Einsatz. Dadurch würde einerseits der erhoffte Effekt nicht erreicht, dass die Grenzverfahren die nationalen Asylkapazitäten entlasten könnten. Andererseits würde sich dann auch die Frage stellen, ob diese Staaten Anspruch auf Solidaritätsbeiträge hätten, wenn die erforderlichen Verfahrenskapazitäten nicht bereitstehen.
Für den Bundesrat muss des Weiteren gewährleistet sein, dass die Standards in den Zentren der Grenzverfahren auch für die Unterbringung von Familien angemessen sind. Mängel aufgrund von Überbelegung oder ungeeigneter Einrichtungen könnten nicht nur gegen Menschenrechtsstandards verstossen, sondern auch die Legitimität der Grenzverfahren beeinträchtigen und zu gerichtlichen Verfahren führen. Deshalb unterstützt die Schweiz sämtliche Elemente, die zur Sicherung der grundrechtskonformen Abwicklung der Grenzverfahren beitragen.
Schliesslich hängt die Wirksamkeit der Grenzverfahren davon ab, dass bei negativen Entscheiden auch die anschliessende Rückkehr funktioniert. Kann die Rückkehr nicht vollzogen werden, verlieren die schnelleren Grenzverfahren an Effizienz und damit an Wirkung.
Personen, die im Rahmen des Grenzverfahrens nicht zurückgeführt werden können, müssen in das normale Verfahren übernommen werden. Dort besteht ein erhöhtes Risiko des Untertauchens. Das Risiko für die Schweiz bestünde darin, dass die Reform in diesem Bereich keinen Mehrwert erzeugen würde und damit die Sekundärmigration, mit der auch die Schweiz konfrontiert ist, weiterhin anhielte.
Auf europäischer Ebene würde ein unzureichend funktionierendes Grenzverfahren die Balance zwischen Verantwortung und Solidarität empfindlich stören, und es wäre mit politischen Spannungen und Auseinandersetzungen innerhalb der EU zu rechnen.
Abkürzungsverzeichnis
Tabelle vergrössern
open_with
| ABl. | Amtsblatt der EU |
| AEUV | Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung) Protokolle Anhänge des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union; ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 1 |
| AFIS | Automatisiertes Fingerabdruck-Identifikationssystem |
| AICH | Amnesty International Schweiz |
| AIG | Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 2005, SR 142.20 |
| AMIF | Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds |
| AMMR-Verordnung | Verordnung (EU) 2024/1351 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 über Asyl- und Migrationsmanagement, zur Änderung der Verordnungen (EU) 2021/1147 und (EU) 2021/1060 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013; ABl. 2024/1351, 22.5.2024 |
| AsylG | Asylgesetz vom 26. Juni 1998, SR 142.31 |
| AsylV 1 | Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen, SR 142.311 |
| AsylV 2 | Asylverordnung 2 vom 11. August 1999 über Finanzierungsfragen, SR 142.312 |
| BAZ | Bundesasylzentrum |
| BAZG | Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit |
| BGer | Bundesgericht |
| BGIAA | Bundesgesetz über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich vom 20. Juni 2003, SR 142.51 |
| BiomID | Bei fedpol angesiedelte Abteilung «Biometrische Identifikation» |
| BMVI-Fonds | Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik |
| BPI | Bundesgesetz vom 13. Juni 2008 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes, SR 361 |
| Bündnis Asyl | Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich |
| BV | Bundesverfassung, SR 101 |
| BVGer | Bundesverwaltungsgericht |
| CIR | Gemeinsamer Speicher für Identitätsdaten |
| COREPER | Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten |
| CRRS | Zentraler Speicher für Berichte und Statistiken |
| CSP | Centre social protestant |
| C-VIS | Zentrales Visa-Informationssystem |
| DAA | Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags, SR 0.142.392.68 |
| DJS | Demokratische JuristInnen Schweiz |
| DSG | Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz, SR 235.1 |
| Dublin II-Verordnung | Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50 vom 25.2.2003, S. 1 |
| Dublin III-Verordnung | Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung); ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 |
| EAZ | Einsatz- und Alarmzentrale des fedpol |
| ECRIS-TCN | Europäisches Strafregisterinformationssystem für Drittstaatsangehörige ( European Criminal Records Information System on Third-Country Nationals ) |
| EDA | Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten |
| EDÖB | Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter |
| EDSB | Europäischer Datenschutzbeauftragter |
| EES | Einreise- und Ausreisesystem |
| EJPD | Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement |
| EKM | Eidgenössische Migrationskommission |
| EMRK | Europäische Menschenrechtskonvention, SR 0.101 |
| ESP | Europäisches Suchportal |
| ETIAS | Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem |
| EU | Europäische Union |
| EUAA | Asylagentur der Europäischen Union |
| EuGH | Gerichtshof der Europäischen Union |
| eu-LISA | Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Grosssystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts |
| EU-Staaten | Mitgliedstaaten der Europäischen Union |
| Eurodac | Zentrale Datenbank der Europäischen Union, in der Fingerabdrücke von Personen gespeichert sind, die in einem Dublin-Staat ein Asylgesuch einreichen oder bei der illegalen Einreise aufgegriffen werden |
| Europol | Europäisches Polizeiamt |
| GEAS | Gemeinsames europäisches Asylsystem |
| fedpol | Bundesamt für Polizei |
| FIZ | Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration |
| FP | Flüchtlingsparlament Schweiz |
| FPABS | Freiplatzaktion Basel |
| FPAZH | Freiplatzaktion Zürich |
| FRA | Agentur der Europäischen Union für Grundrechte |
| Frontex | Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache |
| FTE | Full Time Equivalent; Vollzeitäquivalent |
| GS-EJPD | Generalsekretariat des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements |
| HEKS | Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz |
| Interpol | Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation ( International Criminal Police Organization ) |
| IOM | Internationale Organisation für Migration |
| IOP | Interoperabilität |
| ISC-EJPD | Informatik Service Center des EJPD |
| i. V. m. | in Verbindung mit |
| J+P | Justitia et Pax |
| KKJPD | Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren |
| KKPKS | Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz |
| KRK | Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes, SR 0.107 |
| LIBE-Ausschuss | Ausschuss des Europäischen Parlaments, der sich mit Fragen zu den Themen bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres beschäftigt |
| MID | Detektor für Mehrfachidentitäten |
| MIDES | Administratives System in den BAZ (Migrationsdaten Empfangsstellen) |
| NAP | National Acces Point |
| NEE | Nichteintretensentscheid |
| NDB | Nachrichtendienst des Bundes |
| NKVF | Nationale Kommission zur Verhütung von Folter |
| NUI | Nationale Schnittstelle zwischen den nationalen Systemen der Schengen-Staaten und den EU-Zentralkomponenten ( National Uniform Interface ) |
| ODAGE | Ordre des Avocats de Genève |
| ParlG | Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002, SR 171.10 |
| Plateforme Traite | Schweizer Plattform gegen Menschenhandel |
| PMT | Bundesgesetz vom 25. September 2020 über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, BBl 2020 7741 |
| RIPOL | Automatisiertes Fahndungssystem der Schweiz |
| RVOG | Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997, SR 172.010 |
| SAA | Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, SR 0.362.31 |
| SAV | Schweizerischer Arbeitgeberverband |
| SBAA | Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht |
| sBMS | Gemeinsamer Dienst für den Abgleich biometrischer Daten |
| SCIFA | Strategisches Komitee für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen |
| SDSG | Schengen-Datenschutzgesetz vom 28. September 2018, SR 235.3 |
| SEM | Staatssekretariat für Migration |
| SFH | Schweizerische Flüchtlingshilfe |
| SGB | Schweizerischer Gewerkschaftsbund |
| SGK | Schengener Grenzkodex |
| SIaG | Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der anderen Schengen-Staaten, SR 362.2 |
| SIRENE-Büro | Nationale Kontaktstelle für alle Fahndungen via das SIS (SIRENE = Supplementary Information Request at the National Entries ) |
| SIS | Schengener Informationssystem |
| SLTD | Interpol-Datenbank für gestohlene und verlorene Reisedokumente ( Stolen and Lost Travel Documents Database ) |
| SMRI | Schweizerische Menschenrechtsinstitution |
| Sosf | Solidarité sans frontières |
| SRK | Schweizerisches Rotes Kreuz |
| StGB | Strafgesetzbuch, SR 311.0 |
| Stopexclusion | Coordination contre l’exclusion et la xénophobie |
| SVZ | Schweizerischer Verband für Zivilstandswesen |
| TESTA | «Secure Trans European Services for Telematics between Administrations» |
| TDAWN | Interpol-Datenbank zur Erfassung von Reisedokumenten, die Ausschreibungen zugeordnet sind ( Travel Documents Associated with Notices Database ) |
| UMA | Unbegleitete minderjährige Asylsuchende |
| UNHCR | Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen |
| VEV | Verordnung vom 15. August 2018 über die Einreise und die Visumerteilung, SR 142.204 |
| VGG | Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz), SR 173.32 |
| VIS | Visa-Informationssystem |
| VK | Verpflichtungskredit |
| VKM | Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden |
| VSAA | Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden |
| VwVG | Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968, SR 172.021 |
| VZAE | Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, SR 142.201 |
| ZEMIS | Zentrales Migrationsinformationssystem |
| ZEMIS-Verordnung | Verordnung vom 12. April 2026 über das Zentrale Migrationsinformationssystem, SR 142.513 |
| ZiAB | Plattform «Zivilgesellschaft in Asyl-Bundeszentren» |
Bundesrecht
Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnungen (EU) 2024/1351, (EU) 2024/1359, (EU) 2024/1349, (EU) 2024/1358 und (EU) 2024/1356 (EU Migrations- und Asylpakt) (Weiterentwicklungen des Schengen- und des Dublin-/Eurodac-Besitzstands)
keyboard_arrow_up