BBl 2025 2002
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Botschaft zum Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege sowie zur Änderung des Gesundheitsberufegesetzes

Botschaft zum Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege sowie zur Änderung des Gesundheitsberufegesetzes
vom 21. Mai 2025
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf des Bundesgesetzes über die Arbeitsbedingungen in der Pflege und den Entwurf einer Änderung des Gesundheitsberufegesetzes.
Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben:
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open_with
2018 P 18.3602 Wie kann die Qualität der Pflege sichergestellt werden? (N 28.9.2018, Marchand-Balet)
2023 M 22.3163 Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen (N 27.9.2022, Silberschmidt; S 6.6.2023)
2023 P 23.3292 Wie wirken sich Temporärpflegefachkräfte auf Spitäler und Arbeitsplätze aus? (N 29.9.2023, Amoos)
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
21. Mai 2025 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Karin Keller-Sutter Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Die Pflegeinitiative wurde am 28. November 2021 von Volk und Ständen angenommen. Der Bundesrat hat im Januar 2022 beschlossen, die Initiative in zwei Etappen umzusetzen. Die erste Etappe ist am 1. Juli 2024 in Kraft getreten. Mit der zweiten Etappe sollen die Arbeitsbedingungen im Bereich der Pflege sowie die Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung verbessert werden.
Ausgangslage
Pflegefachpersonen spielen für die Gesundheitsversorgung eine entscheidende Rolle. Sei es im Spital, bei der Pflege zu Hause oder in einem Pflegeheim. Mit der am 1. Juli 2024 in Kraft getretenen ersten Etappe der Umsetzung der Pflegeinitiative soll die Anzahl der Ausbildungsabschlüsse im Bereich der Pflege erhöht werden. Mit der zweiten Etappe soll die Problematik der vorzeitigen Berufsaustritte angegangen werden, was einer der Hauptgründe für den aktuellen Personalmangel in der Pflege ist. Durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung sollen die Berufe in der Pflege attraktiver und die ausgebildeten Personen im Beruf gehalten werden.
Diverse Studien gingen den Gründen für Berufsausstiege nach. Auch wenn die Resultate nicht einheitlich ausfallen, lassen sich doch folgende Hauptgründe identifizieren:
-
Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben;
-
Physische und psychische Belastung;
-
Lohn;
-
Arbeitsinhalt;
-
Arbeitsumfeld.
Die Studien deuten darauf hin, dass rund die Hälfte der aus dem Pflegeberuf ausgestiegenen Personen ihren Ausstieg bloss als vorübergehend einschätzen. Das heisst, dass mit konkreten Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen die Zahl der frühzeitigen Berufsaustritte reduziert und die der Wiedereintritte in den Pflegeberuf erhöht werden könnten. An diesem Punkt setzt das neue Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege (BGAP) an.
Die Zunahme chronischer Erkrankungen aufgrund des demografischen Wandels führt zu einer steigenden Nachfrage nach Leistungen der medizinischen Grundversorgung. Mit der Zunahme multimorbider hochaltriger Patientinnen und Patienten steigt die Komplexität der Pflegesituationen an, insbesondere im Bereich der Langzeitpflege. Für diese Aufgaben sind die Institutionen auf hochqualifiziertes Personal angewiesen, das in solchen Situationen in eigener fachlicher Verantwortung handeln kann. Doch nicht nur in der Pflege herrscht Personalmangel, sondern auch bei anderen für die medizinische Grundversorgung zentralen Berufsgruppen wie Hausärztinnen und Hausärzten oder Fachärztinnen und Fachärzten in Psychiatrie und Psychotherapie. Um dieser Situation zu begegnen und um innovative Versorgungsmodelle in der medizinischen Grundversorgung zu ermöglichen, schlägt der Bundesrat eine Änderung des Gesundheitsberufegesetzes (GesBG) vor, mit welcher der Beruf der Pflegeexpertin und des Pflegeexperten in Advanced Practice Nursing (Pflegeexpertin / Pflegeexperte APN) geschaffen werden soll.
Inhalt der Vorlage
Der Bundesrat unterbreitet das neue BGAP sowie eine Änderung des GesBG.
Mit dem BGAP schlägt der Bundesrat zu zehn Bereichen Vorgaben vor, mit denen die Arbeitsbedingungen in der Pflege spürbar verbessert werden sollen. Ausserdem sollen die Sozialpartner zur Verhandlung von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) verpflichtet werden. Dabei soll es mittels GAV möglich sein, auch zuungunsten der Arbeitnehmenden von den Vorgaben des BGAP abzuweichen. Von zwingenden Bestimmungen des Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964, des Obligationenrechts, von kantonalen Personalgesetzen und weiteren spezialrechtlichen Regelungen darf aber weiterhin nur zugunsten der Arbeitnehmenden abgewichen werden.
Mit den vorgeschlagenen Änderungen des GesBG sollen der Beruf der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN und die Voraussetzungen für die Ausübung dieses Berufs definiert sowie in der Folge der Masterstudiengang in Advanced Practice Nursing geregelt werden. Den internationalen Entwicklungen entsprechend soll einzig der Erwerb eines Masters in Advanced Practice Nursing zur Berufsausübung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN in eigener fachlicher Verantwortung berechtigen. Zudem wird die vom Parlament überwiesene Motion 22.3163 Silberschmidt «Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen» umgesetzt.
Botschaft

1 Ausgangslage

1.1 Handlungsbedarf und Ziele

1.1.1 Umsetzung von Art. 117

b

Bundesverfassung (Pflegeinitiative)

Am 28. November 2021 wurde die eidgenössische Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» von Volk (61 % Zustimmung) und Ständen (22,5 zustimmende Stände) angenommen. Sie verlangt, dass Bund und Kantone die Pflege als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung anerkennen und fördern und für eine ausreichende, allen zugängliche Pflege von hoher Qualität sorgen. Weiter sollen Bund und Kantone sicherstellen, dass eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen für den zunehmenden Bedarf zur Verfügung steht und dass die in der Pflege tätigen Personen entsprechend ihrer Ausbildung und ihren Kompetenzen eingesetzt werden (Art. 117 b Bundesverfassung; BV ¹ ). Die Übergangsbestimmungen in Artikel 197 Ziffer 13 BV verlangen zudem, dass die Bundesversammlung innert vier Jahren nach Annahme der Initiative im Rahmen der Zuständigkeiten des Bundes Ausführungsbestimmungen über die direkte Abrechnung von Pflegeleistungen zulasten der Sozialversicherungen, die angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen, anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung erlässt. Der Bundesrat hat am 12. Januar 2022 entschieden, die neuen Verfassungsbestimmungen in zwei Etappen umzusetzen.
Die 1. Etappe nahm den vom Parlament ausgearbeiteten indirekten Gegenvorschlag zur Initiative wieder auf und beinhaltet das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2022 ² über die Förderung der Ausbildung im Bereich der Pflege sowie drei Bundesbeschlüsse. Mit ihr wurde, neben der Förderung der Bildungsabschlüsse im Bereich der Pflege, die Forderung nach der Möglichkeit zur direkten Abrechnung gewisser Leistungen gegenüber den Sozialversicherungen durch Pflegende umgesetzt. Das Bundesgesetz ist zusammen mit dem zugehörigen Ausführungsrecht am 1. Juli 2024 in Kraft getreten.
Am 25. Januar 2023 hat der Bundesrat die Eckpunkte für die Umsetzung der 2. Etappe festgelegt. Mit dieser sollen die restlichen Anliegen der Pflegeinitiative umgesetzt werden: anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen und angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen, Sicherstellung einer ausreichenden und allen zugänglichen Pflege von guter Qualität sowie die Möglichkeit der beruflichen Entwicklung in der Pflege. Zu diesem Zweck sah der Bundesrat namentlich die Erarbeitung eines neuen Bundesgesetzes über die Arbeitsbedingungen in der Pflege (BGAP) und eine Änderung des Gesundheitsberufegesetzes vom 30. September 2016 ³ (GesBG) vor. Mit der vorliegenden Botschaft überweist der Bundesrat den Entwurf des neuen Bundesgesetzes (E-BGAP) sowie den Entwurf für die Änderung des GesBG dem Parlament.
¹ SR 101
² SR 811.22
³ SR 811.21

1.1.2 Einschätzung der aktuellen Situation im Bereich der Pflege

Gemäss dem nationalen Monitoring Pflegepersonal ⁴ waren in der Schweiz im Jahr 2022 über alle Ausbildungsstufen hinweg 206 762 Personen im Bereich Pflege und Betreuung tätig. Dies entspricht 23,5 Pflegepersonen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner. Davon waren 98 542 Pflegefachpersonen mit einem Tertiärabschluss (11,1 Pflegefachpersonen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner). Wie die folgende Abbildung zeigt, ist die Versorgungsdichte in der Schweiz mit 25,6 Pflegepersonen (alle Ausbildungsstufen) pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner im europäischen Vergleich relativ hoch. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn nur die diplomierten Pflegefachpersonen betrachtet werden (in der Schweiz: 11,6 pro 1000 Einwohner/-innen).
Abbildung 1
Diplomierte Pflegefachpersonen + Pflegepersonal auf mittlerer Stufe + Pflegehelfer/innen, 2019
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
Pflegepersonal pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner im internationalen Vergleich.
Quelle: Pflegepersonal: die Schweiz im internationalen Vergleich. Bundesamt für Statistik [BFS], 2021 ⁵
Trotz dieser im internationalen Vergleich relativ guten Versorgung mit Pflegepersonen können in der Schweiz im Bereich der Pflege nicht alle offenen Stellen besetzt werden. Zudem ist die Auslandabhängigkeit im Gesundheitswesen erheblich. Derzeit verfügt rund ein Drittel der diplomierten Pflegekräfte in Schweizer Spitälern und Pflegeheimen über ein ausländisches Diplom, in den Grenzregionen beträgt der Anteil sogar bis zu 69 % (Kanton Genf, Stand 2022).
Seit der Covid-19-Pandemie hat sich der Fachkräftemangel im Bereich der Pflege weiter verschärft: Während vor der Pandemie im Pflegebereich etwas über 11 000 Stellen offen waren (4. Quartal 2019), stieg deren Zahl gemäss Jobradar im 4. Quartal 2024 auf über 15 900 Stellen ⁶ . Meldungen zu Reduzierungen von Betten oder gar zu Schliessungen von ganzen Stationen sowie Berichte darüber, dass Spitex-Dienste ihre Leistungen aufgrund des Personalmangels reduzieren müssen, häufen sich.
⁴ Das Nationale Monitoring Pflegepersonal kann abgerufen werden unter:
https://ind.obsan.admin.ch/pflemo (Stand 21.3.2025).
⁵ Die Grafik kann abgerufen werden unter: www.bfs.admin.ch
> Aktuell > Suche: Pflegepersonal (Stand 21.3.2025).
⁶ Der Jobradar kann abgerufen werden unter: www.x28.ch/jobradar
.

1.1.3 Einschätzung des künftigen Bedarfs

Für den Zeitraum von 2019 bis 2029 wird im Nationalen Versorgungsbericht 2021 aufgrund des erwarteten Bevölkerungswachstums und der demografischen Veränderungen (Alterung der Bevölkerung) eine Zunahme des Personalbedarfs im Bereich der Pflege um 36 500 Personen (d. h. von 185 600 im Jahr 2019 auf 222 100 im Jahr 2029) prognostiziert. Hinzu kommt der Ersatzbedarf aufgrund von Pensionierungen und Berufsaustritten, sodass der Bedarf an Nachwuchs bei den diplomierten Pflegefachpersonen (Tertiärstufe) im Zeitraum von 2019 bis 2029 auf 43 400 Personen und beim Pflege- und Betreuungspersonal mit Sekundarstufe-II-Abschluss auf 27 100 Personen geschätzt wird.
Gegenüber dem Versorgungsbericht von 2016 ⁷ hat sich dank der intensiven Anstrengungen der letzten Jahre die Lücke zwischen dem prognostizierten Angebot und dem Bedarf zwar deutlich verringert. Zwischen 2012 und 2019 haben die Bestände an Pflege- und Betreuungspersonal um 19 % zugenommen (was einem Plus von ca. 29 100 Beschäftigten entspricht). Das seit 2012 beobachtete Wachstum betrifft hauptsächlich die Fachfrauen bzw. Fachmänner Gesundheit (+13 800) und in etwas geringerem Masse die diplomierten Pflegefachpersonen (+10 700). Die Zahl der Abschlüsse konnte zwischen 2012 und 2022 auf allen Qualifikationsstufen deutlich gesteigert werden: auf Sekundarstufe II von 4000 auf 6450, auf Tertiärstufe von 1800 auf 3160 ⁸ . Trotz des positiven Trends bei den Ausbildungsabschlüssen (siehe auch Ziff. 1.1.5) kann der künftige Bedarf an Pflegepersonal damit gemäss den Prognosemodellen nur teilweise gedeckt werden: Bei Pflegefachpersonen mit Tertiärabschluss zu 67 % und bei Pflege- und Betreuungspersonen auf Sekundarstufe II zu 80 % ⁹ . Dieser Feststellung trägt die 1. Etappe zur Umsetzung der Pflegeinitiative Rechnung, indem die Anzahl der Abschlüsse durch die Ausbildungsförderung erhöht werden soll.
Die Förderung der Abschlüsse allein wird jedoch nicht genügen, um den Personalbedarf zu decken. Denn neben der Ausbildung einer genügenden Anzahl von Personen spielen auch die frühzeitigen Austritte aus dem Pflegeberuf eine wichtige Rolle. Gemäss den Daten von SCOHPICA (Schweizer Kohorte der Gesundheitsfachkräfte und pflegenden Angehörigen) äusserten im Jahr 2022 24 % des Pflegepersonals auf mittlerer Stufe die Absicht, den Beruf zu verlassen, während 29 % sagten, dass es auf die Umstände ankomme. Bei den diplomierten Pflegefachpersonen wollten 18 % den Beruf verlassen, während es bei 24 % auf die Umstände ankam. 1⁰ Auch wenn die Zahlen von SCOHPICA nicht auf einer repräsentativen Umfrage beruhen, stützen sie doch die Ergebnisse anderer Studien und Erhebungen (z. B. von Lobsiger & Liechti 1¹ ). Frühzeitige Berufsaustritte sind einer der Hauptgründe für den Personalmangel im Bereich der Pflege. Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch der nationale Versorgungsbericht von 2021, gemäss dem «die Lücke zwischen Angebot und Bedarf […] im Wesentlichen durch die vorzeitigen Berufsaustritte und die Verluste beim Übergang von Ausbildung zum Eintritt in den Arbeitsmarkt» entsteht ¹2 . Neben der Erhöhung der Anzahl Ausbildungsabschlüsse muss also auch die Berufsverweildauer erhöht werden, um den Bedarf an Pflegepersonal langfristig decken zu können.
⁷ Der Nationale Versorgungsbericht für die Gesundheitsberufe 2016 kann abgerufen werden unter:
www.gdk-cds.ch > Service > Dokumente > Suche (Stand 21.3.2025).
⁸ Das Nationale Monitoring Pflegepersonal, aus dem diese Zahlen stammen, kann abgerufen werden unter:
https://ind.obsan.admin.ch/fr/pflemo (Stand 21.3.2025).
⁹ Merçay, Clémence / Grünig, Annette / Dolder, Peter (2021). Gesundheitspersonal in der Schweiz - Nationaler Versorgungsbericht 2021. Bestand, Bedarf, Angebot und Massnahmen zur Personalsicherung (Obsan Bericht 03/2021), S. 72-75.
1⁰ Rezzonico, Valérie / Geiser, Sara Esther / Roth, Léonard / Jubin, Jonathan / Antille, Emilie / Jolidon, Vladimir / Oulevey Bachmann, Annie / Gilles, Ingrid / Peytremann-Bridevaux, Isabelle (2024). Gesundheitsfachkräfte in der Schweiz: Absicht, im Beruf zu bleiben. SCOHPICA - Schweizer Kohorte der Gesundheitsfachkräfte und pflegenden Angehörigen (Obsan Bulletin 09/2024). Neuenburg: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.
1¹ Lobsiger, Michael / Liechti, David (2021). Berufsaustritte und Bestand von Gesundheitspersonal in der Schweiz. Eine Analyse auf Basis der Strukturerhebungen 2016-2018 (Obsan Bericht 01/2021, S. 7).
¹2 Merçay, Clémence / Grünig, Annette / Dolder, Peter (2021). Gesundheitspersonal in der Schweiz - Nationaler Versorgungsbericht 2021. Bestand, Bedarf, Angebot und Massnahmen zur Personalsicherung (Obsan Bericht 03/2021), S. 8.

1.1.4 Gründe für Berufsausstiege und Handlungsspielraum der Akteure bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen

Diverse Studien haben sich in der Schweiz mit der Frage beschäftigt, welche Faktoren die Arbeitszufriedenheit und damit den Entscheid für oder gegen einen Verbleib im Pflegeberuf beeinflussen. Die Gründe für den Verbleib oder den Austritt aus dem Beruf sind vielfältig und individuell, je nach Arbeitsort sowie der Lebens- und Arbeitssituation der einzelnen Person. Die Untersuchungen kamen deshalb nicht immer zu identischen Befunden (vgl. u. a. die Studien der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW) ¹3 , Swiss Nursing Homes Resources Project (SHURP) ¹4 , Work-related Stress Among Health Professionals in Switzerland (STRAIN) ¹5 oder SCOHPICA ¹6 ). Trotzdem lassen sich einige Hauptthemen identifizieren, die einen besonders starken Einfluss zu haben scheinen. Im Nationalen Versorgungsbericht 2021 ¹7 sowie in der Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) zum BGAP ¹8 werden folgende Hauptgründe genannt:
-
Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben (Arbeitsmodelle, Planbarkeit, Wochenend- und Nachtarbeit, Dienstplanänderungen);
-
Belastung (Kurzfristige Einsätze, Personalknappheit / Arbeitslast, körperliche und emotionale Anforderungen und betrieblicher Umgang damit, Überforderung, Schichtarbeit sowie «moral distress», d. h. die psychisch empfundene chronische Not, aus Zeitmangel den eigenen berufsethischen Ansprüchen nicht genügen zu können);
-
Lohn (Lohnstruktur, Abgeltung von Überstunden, Wochenend-/Nacharbeit sowie Umkleide- und Wegzeiten);
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Arbeitsinhalt (Administrative Arbeit, kompetenzbasierte Aufgabenbereiche, Entscheidungsspielraum);
-
Arbeitsumfeld (Wertschätzung, Mitsprache bei Arbeits- und Ferienplanung, Entwicklungsmöglichkeiten, Führung und Teamkultur, Betriebskultur im Umgang mit den Klientinnen und Klienten).
Die Zahlen von SCOPHICA zeigen, dass 24 % der Pflegenden auf mittlerer Stufe und 18 % der diplomierten Pflegefachpersonen im Jahr 2022 gar nicht oder eher nicht im Beruf verbleiben wollten und damit die tiefsten Verbleibsabsichten aller Gesundheitsfachkräfte äusserten. ¹9 Gemäss der Studie der ZHAW (2021) betrachtet rund die Hälfte der Personen, die den Pflegeberuf verlassen haben und zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht erwerbstätig waren, ihren Ausstieg als bloss vorübergehend. Mit einer klaren Strategie und Massnahmen, die an den identifizierten Handlungsfeldern ansetzen, könnte somit die Zahl der frühzeitigen Berufsaustritte reduziert und die Zahl der Wiedereintritte in den Pflegeberuf erhöht werden. Zu diesem Schluss kommen auch die oben zitierten Studien, die Handlungsempfehlungen auf Betriebs- und Branchenebene, aber auch auf Gesetzesebene festhalten.
Massnahmen auf Betriebsebene: Beispiele aus der Praxis
Dass insbesondere auch Massnahmen auf Betriebsebene einen positiven Einfluss auf die Personalsituation haben können, zeigen zwei aktuelle Beispiele aus dem Kanton Zürich. Im Frühjahr 2022 lancierte die Stadt Zürich das Programm «Stärkung Pflege» 2⁰ , mit dem die Anstellungs- und Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende in Pflege- und Betreuungsberufen sowie nichtärztlichen Gesundheitsberufen im Zürcher Stadtspital verbessert wurden. Die Umsetzung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Mitarbeitenden, was zu einer hohen Akzeptanz des Programms führte. Als Erstes wurden die Funktionseinstufungen für die genannten Berufsgruppen überprüft und angepasst, was für etwa 73 % der Mitarbeitenden zu einer Lohnerhöhung von bis zu 10 % führte. Weiter haben die Pflegeteams neu einen grossen Einfluss auf die Dienstplanung, sie können Gleitzeiten am Anfang und am Ende der Schichten einführen und neu sind auch Kleinstpensen mit weniger als 40 Stellenprozenten möglich. Um das Personal zu entlasten, wurde ein interner Pflegepersonalpool aufgebaut und der Skill-Grade-Mix optimiert. Daneben gibt es Massnahmen im Bereich der Fortbildung für die Pflegenden und es wurde ein Laufbahnmodell entwickelt, um die Führungskompetenzen von Pflegefachpersonen (HF / FH) zu stärken. Nach einem Jahr sind bereits erste positive Resultate dieser Massnahmen sichtbar: Zwar führten die Lohnerhöhungen zu jährlichen Mehrkosten von 20 Millionen Franken. Dafür konnten die Personalfluktuation innerhalb eines Jahres von 16 Prozent auf unter 10 Prozent und die vakanten Stellen an den beiden Standorten des Stadtspitals Zürich von 60 auf 15 gesenkt werden. Zudem muss seit der Einführung der Massnahmen viel weniger auf Temporärkräfte zurückgegriffen werden.
Als weiteres Beispiel für den positiven Einfluss von betrieblichen Massnahmen auf die Personalsituation lässt sich das Arbeitszeitmodell Pflege des Spitals Bülach aufführen. Seit April 2023 können alle Mitarbeitenden der Pflege wählen, ob sie sich in der Stufe Fix, Flex Day, Flex oder Superflex einteilen lassen möchten. Die vier Stufen unterscheiden sich nach der Flexibilität, mit der sich die Mitarbeitenden bei der Arbeit einsetzen lassen möchten oder können, und nach der Spontanität bei kurzfristigen Einspringanfragen: In der Stufe Fix muss nur zu fixen Arbeitszeiten gearbeitet werden, zudem müssen keine Nachtdienste geleistet und muss nicht eingesprungen werden. Bei den Stufen Flex Day bzw. Flex muss mindestens zwölfmal pro Jahr eingesprungen oder der Dienst abgetauscht werden, auf der Stufe Flex müssen auch Nachtdienste geleistet werden. Bei der Stufe Superflex akzeptieren die Mitarbeitenden eine flexible Dienstplanung, Nachtdienste und dass sie mindestens 18-mal einspringen oder Dienste abtauschen müssen pro Jahr. Je nach Stufe gibt es eine Lohnzulage von bis zu 350 Franken pro Monat 2¹ . Seit der Einführung dieses Modells ist die Fluktuationsrate um 69 % gesunken und die Absenzenquote nahm um 34 % ab. Ausserdem sank der Bedarf an Temporärkräften massiv: von 856 Einsätzen im Jahr 2022 auf lediglich noch 30 im Jahr 2024. Trotz der Mehrkosten durch die Zulagen von jährlich 900 000 Franken fällt das Fazit positiv aus: Allein durch den gesunkenen Bedarf an Temporärkräften sanken die Kosten um 1,235 Millionen Franken (Kalenderjahr 2024 vs. Kalenderjahr 2023). Zudem kann das Spital einen positiven Effekt auf die Zufriedenheit der Angestellten (90 % Zufriedenheit) sowie auf die Stellenbesetzung feststellen.
Kompetenzen von Bund und Kantonen
Der mit Annahme der Pflegeinitiative neu eingeführte Artikel 117 b BV ändert nichts an der bestehenden Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Pflege. Infolgedessen kann auf Bundesebene mit dem E-BGAP auch nur ein Teil der Herausforderungen in diesem Bereich angegangen werden. Es ist offensichtlich, dass zusätzlich zu diesem Gesetz weitere Anstrengungen durch die Sozialpartner, die Kantone und die Gemeinden erforderlich sind, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege weiter zu verbessern. Insbesondere weiche Faktoren wie die Betriebskultur oder die Wertschätzung durch die Führungspersonen können nicht in einem Bundesgesetz geregelt werden. Für Verbesserungen in diesem Bereich sind die einzelnen Institutionen verantwortlich und aufgefordert, Massnahmen zu ergreifen. In einer gemeinsamen Erklärung der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), der Arbeitgeberverbände und der Berufsverbände sowie der Gewerkschaften haben diese Akteure den Handlungsbedarf festgehalten und die nötigen Massnahmen aufgezeigt 2² . Die Beispiele aus dem Kanton Zürich zeigen auf, was bereits unter geltendem Recht möglich ist. Mit dem E-BGAP wird jedoch die Situation für sämtliche Arbeitnehmenden im Bereich der Pflege verbessert. Die Sozialpartner werden aber weiterhin darüberhinausgehende Regelungen vereinbaren können.
¹3 Schaffert, René / Trede, Ines / Grønning, Miriam / Hänni, Miriam / Bänziger, Andreas et al. (2021). Berufskarrieren Pflege. Resultate einer Längsschnittstudie zum Berufseinstieg von diplomierten Pflegenden und Erkenntnisse aus einem kombinierten Datensatz zu diplomierten Pflegenden und Fachfrauen/Fachmännern Gesundheit:
www.zhaw.ch > Gesundheit > Forschung > Public Health > Projekte.
¹4 Zúñiga, Franziska / Favez, Lauriane / Baumann, Sonja & al. (2021). SHURP 2018 - Schlussbericht. Personal und Pflegequalität in Pflegeinstitutionen in der Deutschschweiz und Romandie. Universität Basel:
www.shurp.unibas.ch .
¹5 Peter, Karin A. / Renggli, Fabienne / Schmidt, Xenia & al. (2021). Arbeitsbedingter Stress bei Gesundheitsfachpersonen in der Schweiz - Abschlussbericht STRAIN. Berner Fachhochschule, Departement für Gesundheit:
www.bfh.ch > Forschung + Dienstleistungen > Projekte > STRAIN («Workrelated Stress Among Health Professionals in Switzerland»).
¹6 Die Ergebnisse des Projekts SCOHPICA sind abrufbar unter:
www.scohpica.ch .
¹7 Merçay, Clémence / Grünig, Annette / Dolder, Peter (2021). Gesundheitspersonal in der Schweiz - Nationaler Versorgungsbericht 2021. Bestand, Bedarf, Angebot und Massnahmen zur Personalsicherung (Obsan Bericht 03/2021), S. 92.
¹8 Frey, Miriam / Suri, Mirjam / Voll, Dominic (2024). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Regulierungsfolgenabschätzung. Schlussbericht. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch /bgap > Dokumente.
¹9 Rezzonico, Valérie / Geiser, Sara Esther / Roth, Léonard / Jubin, Jonathan / Antille, Emilie / Jolidon, Vladimir / Oulevey Bachmann, Annie / Gilles, Ingrid / Peytremann-Bridevaux, Isabelle (2024). Gesundheitsfachkräfte in der Schweiz: Absicht, im Beruf zu bleiben. SCOHPICA - Schweizer Kohorte der Gesundheitsfachkräfte und pflegenden Angehörigen (Obsan Bulletin 09/2024). Neuenburg: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.
2⁰ Stadt Zürich (2023). Programm Stärkung Pflege. Bericht zur Beantwortung von drei Vorstössen bezüglich Fachkräftemangel in Pflegeberufen im Gesundheits- und Umweltdepartement der Stadt Zürich. Beilage zu STRB Nr. 3223/2023. Der Bericht kann abgerufen werden unter:
www.stadt-zuerich.ch > Politik & Recht > Stadtrat > Geschäfte des Stadtrats > Stadtratsbeschlüsse > STRB Nr. 3223/2023.
2¹ Die Informationen zu den Arbeitszeitmodellen in der Pflege des Spitals Bülach können abgerufen werden unter:
www.spitalbuelach.ch/Arbeitszeitmodell-Pflege .
2² Die gemeinsame Erklärung kann abgerufen werden unter:
www.gdk-cds.ch > Gesundheitsberufe > Nicht universitäre Gesundheitsberufe > Verfassungsartikel Pflege (abgerufen am 21.3.2025).

1.1.5 Bildungslandschaft

Das Schweizer Bildungssystem verfügt sowohl auf Sekundarstufe II wie auch auf Tertiärstufe über austarierte Bildungsgefässe. Der allgemeinbildende und der berufsbezogene Bildungsweg sind verfassungsmässig als gleichwertig anerkannt. Mit der hohen Qualität der Abschlüsse in der schweizerischen Berufsbildung befindet sich das Land in einer international einzigartigen Position. Im Bereich der Pflege existieren neben der beruflichen Grundbildung in der höheren Berufsbildung vielfältige Bildungsangebote, beispielsweise Nachdiplomstudiengänge in Intensiv-, Anästhesie- und Notfallpflege sowie eidgenössische Prüfungen in spezifischen Fachgebieten wie Psychiatriepflege, Palliative Care, geriatrische Pflege usw. Die Hochschulen bieten bereits heute in allen Sprachregionen Studiengänge an, die zu einem Masterabschluss in Pflegewissenschaft führen. An den Hochschulen besteht zudem ein breites Angebot von Weiterbildungsstudiengängen in spezifischen Fachgebieten.
Diese Entwicklung hat einige Vorteile, hat aber auch zu grossen Unterschieden in den Bildungstraditionen zwischen den Sprachregionen geführt. Im Bereich der Pflege zeigt die Verteilung über die Sprachregionen beispielsweise auf, dass die Pflegefachpersonen in der Romandie grundsätzlich akademische Abschlüsse mitbringen, während Abschlüsse der Pflegefachpersonen in der Deutschschweiz mehrheitlich aus der höheren Berufsbildung stammen.
Die Diplomabschlüsse Pflege haben sich in den letzten zehn Jahren positiv entwickelt. Bei den Bachelortiteln (Bachelor of Science, BSc) von 716 auf 1146 Abschlüsse, bei den Pflegefachpersonen HF von 1108 auf 2142. Auf Tertiärstufe stellen die höheren Fachschulen (HF) fast zwei Drittel der Abschlüsse diplomierter Pflegefachpersonen, während auf den BSc in Pflege rund ein Drittel der Abschlüsse fallen.
Abbildung 2
Abschlüsse diplomierter Pflegefachpersonen HF sowie des Studiengangs Bachelor of Science in Pflege zwischen 2012 und 2023
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
Quelle: Nationales Monitoring Pflegepersonal ²3
Die Zahl der Abschlüsse auf Stufe Master of Science (MSc) ist deutlich geringer, hat sich aber im Lauf der letzten zehn Jahre mehr als verdoppelt. Masterstudiengänge werden von diversen FH sowie von den Universitäten Basel und Lausanne angeboten. Dabei werden sowohl Studiengänge mit klinischer wie auch solche mit forschungsorientierter Ausrichtung angeboten.
Abbildung 3
Abschlüsse des Studiengangs Master of Science in Pflege zwischen 2012 und 2023
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
Quelle: Zahlen des BFS
²3 Das Nationale Monitoring Pflegepersonal kann abgerufen werden unter:
https://ind.obsan.admin.ch/pflemo (Stand 21.3.2025).

1.1.6 Bedarf an neuen Versorgungsmodellen und neuen Berufsprofilen

Die Zunahme chronischer Erkrankungen aufgrund der demografischen Alterung führt zu einer steigenden Nachfrage nach Leistungen der medizinischen Grundversorgung. Mit der Zunahme multimorbider hochaltriger Patientinnen und Patienten steigt die Komplexität der Pflegesituationen an, insbesondere im Bereich der Langzeitpflege. Die Institutionen des Gesundheitswesens sind zunehmend auf hochqualifizierte Pflegefachkräfte angewiesen, die in solchen Situationen in eigener fachlicher Verantwortung handeln können. Gleichzeitig wird die Weiterentwicklung der (hausärztlichen) Gesundheitsversorgung in der Schweiz in den kommenden Jahren durch einen Mangel an qualifiziertem Personal geprägt sein, der unter anderem auf Pensionierungen, frühzeitige Berufsaustritte oder auch vermehrte Teilzeitarbeit zurückgeführt werden kann (vgl. Ziff. 1.1.2 bis 1.1.4).
Für die medizinische Grundversorgung zentrale Berufsgruppen sind besonders stark von einem Personalmangel betroffen. Neben den Pflegefachpersonen betrifft dies insbesondere die Fachärztinnen und Fachärzte in Psychiatrie und Psychotherapie sowie die Hausärztinnen und Hausärzte ²4 . Nach Angaben der FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum) ist ein Viertel der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte 60 Jahre und älter ²5 . Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind in der medizinischen Grundversorgung innovative Versorgungsmodelle gefragt.
Eine wichtige Rolle spielen das Task Shifting und das Task Sharing, bei denen die Erbringung von klinischen Tätigkeiten von einem (meist ärztlichen) Beruf ganz oder teilweise einem anderen (meist nichtärztlichen) Gesundheitsberuf übertragen wird. Die Aufgaben sollen von denjenigen Fachpersonen erbracht werden, die dafür am besten qualifiziert sind. Dadurch werden Ärztinnen und Ärzte entlastet und können sich auf andere Behandlungssituationen konzentrieren, die andere Kompetenzen erfordern. Task Shifting und Task Sharing erfordern jedoch die Entwicklung erweiterter Berufsprofile für Pflegefachpersonen, die ausreichend ausgebildet sind, um Leistungen von gleicher Qualität wie Ärztinnen und Ärzte zu erbringen und die volle Verantwortung dafür zu übernehmen. Dazu zählen Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten mit erweitertem Berufsprofil (Advanced Practice Nurse [APN]).
²4 Burla, Laila / Widmer, Marcel / Zeltner, Cinzia (2022). Zukünftiger Bestand und Bedarf an Fachärztinnen und Fachärzten in der Schweiz (Obsan Bericht 04/2022), S. 5.
²5 Der Artikel «FMH-Ärztestatistik - 40 % ausländische Ärztinnen und Ärzte» aus der Schweizerischen Ärztezeitung (Nr. 11, 2024) kann abgerufen werden unter
www.fmh.ch > Themen > Ärztestatistik > FMH-Ärztestatistik.

1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

1.2.1 Alternativen im Bereich des BGAP

Bei der Umsetzung der 2. Etappe der Pflegeinitiative ist es dem Bundesrat wichtig, die Kompetenzteilung zwischen Bund und Kantonen nicht zu tangieren sowie die Sozialpartnerschaft zu stärken. Er hat deshalb sorgfältig abgeklärt, in welchen Bereichen auf Bundesebene überhaupt die Möglichkeit besteht, Vorschriften zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erlassen. Basierend auf diesen Ergebnissen hat er das neue Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege mit zehn Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen und der GAV-Verhandlungspflicht erarbeitet. Im Folgenden sind Themenbereiche dargestellt, in denen alternative Lösungsansätze geprüft wurden.
Integration der Regelungen zu den Arbeitsbedingungen in der Pflege ins Arbeitsgesetz und ins Obligationenrecht
Es wäre grundsätzlich vorstellbar, die vorgeschlagenen Vorgaben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege in einer anderen Form als in der Form eines neuen Bundesgesetzes zu erlassen. Entsprechende Varianten wurden in einer frühen Projektphase geprüft, unter anderem der Erlass eines Normalarbeitsvertrages für die Pflege auf nationaler Ebene, die Ausweitung des Geltungsbereichs des Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964 ²6 (ArG) oder die Anpassung des Obligationenrechts (OR) ²7 . In der Vernehmlassung wurde sowohl vom Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden (VSAA) als auch von einer Mehrheit der Kantone gefordert, dass an Stelle eines neuen Gesetzes das ArG und das zugehörige Verordnungsrecht angepasst werden.
Dieses Vorgehen hätte aber entscheidende Nachteile: Weder das ArG noch das OR sehen spezifische Bestimmungen für einzelne Berufsgruppen vor. Es wäre entsprechend systemfremd, wenn die spezifischen Vorgaben für die Pflegeberufe im ArG oder in den Verordnungen dazu definiert würden. Der grösste Nachteil einer solchen Lösung wäre aber, dass die neuen Vorschriften nicht für diejenigen Angestellten gelten würden, für die das ArG nicht anwendbar ist. Für all diese Personen würden die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen nicht zum Tragen kommen. Der Bundesrat schlägt deshalb gestützt auf Artikel 110 Absatz 1 BV sowie in Umsetzung von Artikel 197 Ziffer 13 Buchstabe c BV vor, die spezifischen Arbeitsbedingungen im Bereich der Pflege in einem Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege (BGAP) zu regeln.
Einführung einer GAV-Abschlusspflicht
Die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal sind abhängig vom Pflegesetting. Zur Stärkung der Sozialpartnerschaft enthält das BGAP nicht nur Regelungen in zehn für die Arbeitszufriedenheit der Pflegenden wichtigen Bereichen, sondern auch eine GAV-Verhandlungspflicht. Der Bundesrat beschränkt sich dabei bewusst auf die Einführung einer GAV-Verhandlungspflicht, weil eine GAV-Abschlusspflicht aufgrund der Koalitionsfreiheit als unzulässig erachtet wird ²8 . Sollte es zu keinem GAV-Abschluss kommen, gelten die Vorgaben aus dem BGAP. Dadurch wird die Situation der Pflegenden in zentralen Belangen schnell verbessert. Gleichzeitig erhöht die Tatsache, dass von den Vorgaben des BGAP per GAV auch zu Ungunsten der Pflegenden abgewichen werden kann (unter Einhaltung zwingender gesetzlicher Bestimmungen), insbesondere für die Arbeitgeberseite den Anreiz zum Abschluss eines GAV (siehe Ausführungen dazu in Ziff. 5.1).
²6 SR 822.11
²7 SR 220
²8 Vgl. Rechtsgutachten von Kurt Pärli zur GAV-Verhandlungspflicht im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit, 2. November 2022, Rz. 124. Das Rechtsgutachten kann abgerufen werden unter
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.

1.2.2 Alternativen zur Änderung des GesBG

Mit der Revision des GesBG werden nationale Standards im Bereich Advanced Practice Nursing, insbesondere für die Ausbildung der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN sowie deren Berufsausübung, festgelegt.
Als Alternative wäre möglich gewesen, mit Verweis auf die Hochschulautonomie auf eine solche Regelung zu verzichten. Dies dürfte jedoch die Divergenz zwischen den Sprachregionen mit ihren sehr unterschiedlichen Praktiken im Bereich der Ausbildung weiter verstärken.
Eine Regelung auf nationaler Ebene ermöglicht es zudem, die Legitimität des Berufs zu festigen und zum besseren Verständnis der Funktion der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN bei den Akteuren des Gesundheitssystems und bei der Bevölkerung beizutragen. Sie hat auch zum Ziel, das qualitativ hochwertige und sichere Versorgungsangebot in der Schweiz nachhaltig zu gewährleisten. Diese Erweiterung der beruflichen Perspektiven soll auch die Berufsverweildauer im Pflegebereich fördern.

1.2.3 Vorgaben zur bedarfsgerechten Personalausstattung (Skill-Grade-Mix oder Nurse-to-patient-ratio)

Die Einführung von Vorgaben zur bedarfsgerechten Personalausstattung wurde in der Vergangenheit insbesondere von Arbeitnehmendenvertretungen gefordert. Auch im Rahmen der Pflegeinitiative wurde diese Forderung immer wieder vorgebracht. Der Bundesrat sah in seinem Auftrag vom 23. Januar 2023 deshalb vor, dass die Verbände der Leistungserbringer (Spital-, Heim- und Spitexverbände) dazu verpflichtet werden sollten, Empfehlungen für den Skill-Grade-Mix in verschiedenen Versorgungssettings auszuarbeiten, die anschliessend für verbindlich erklärt werden sollten. Die Empfehlungen sollten die optimale Zusammensetzung von Pflegeteams aus Personen mit verschiedenen Kompetenzen, Erfahrungen (Skills) und Bildungsabschlüssen (Grades) bezeichnen.
Solche Empfehlungen wurden zunächst als Option gesehen, um eine adäquate Personalausstattung zu ermöglichen, ohne eine sogenannte «nurse-to-patient-ratio», d. h. die Festlegung einer Mindestanzahl Pflegefachpersonen pro Patienten bzw. pro Patientin, einzuführen. Eine «nurse-to-patient-ratio» wird als zu starr eingeschätzt und würde die Flexibilität der Betriebe punkto Skill-Grade-Mix in einem interprofessionellen Setting zu stark beeinträchtigen. Im Rahmen der Vorarbeiten äusserten Expertinnen und Experten aus dem Pflegebereich zudem die Befürchtung, dass die Einführung einer «nurse-to-patient-ratio» die bereits bestehenden Rekrutierungsprobleme der Betriebe weiter verschärfen könnte. Diese Argumente sprechen auch gegen verbindliche Vorgaben zum «Skill-Grade-Mix». Dass aktuell keine gesicherten Erkenntnisse dazu vorliegen, wie eine optimale bedarfsgerechte Personalausstattung zu berechnen wäre, weist darauf hin, dass die Entwicklung konkreter Empfehlungen herausfordernd ist. Dies zeigt sich beispielsweise auch daran, dass sich die Vorgaben gewisser Kantone zur Personalausstattung in erster Linie an Durchschnitts- und Erfahrungswerten orientieren und zudem sehr unterschiedlich sind. Was die Ausgestaltung von Vorgaben oder Empfehlungen angeht, besteht im Weiteren das Risiko, dass diese entweder zu allgemein gefasst und dadurch zu wenig aussagekräftig sind. Oder aber, dass diese zu detailliert ausgestaltet und dadurch sehr komplex und schwierig umsetzbar sind.
Aus diesen Gründen hat der Bundesrat von einer gesetzlichen Verpflichtung der Verbände, Empfehlungen für eine bedarfsgerechte Personalausstattung zu erarbeiten, abgesehen. Er erachtet zudem die Verpflichtung Privater, in der Folge als verbindlich zu erklärende Empfehlungen auszuarbeiten, als verfassungsrechtlich problematisch. Es ist folglich in der Verantwortung der Gesundheitseinrichtungen, eine bedarfsgerechte Personalausstattung sicherzustellen, so dass eine gute Pflegequalität gewährleistet werden kann. Zudem müssen die Kantone im Rahmen der Spital- und Pflegeheimplanung nach Artikel 39 des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 ²9 über die Krankenversicherung (KVG) überprüfen, ob die Spitäler beziehungsweise die Pflegeheime über das erforderliche qualifizierte Personal verfügen.
²9 SR 832.10

1.2.4 Vorgaben zur Überbrückung situationsbezogener Personalengpässe sowie zur Pflicht zur Beteiligung an Personalpools

Auf eine Verpflichtung der Gesundheitseinrichtungen, sich an Personalpools zu beteiligen, verzichtet der Bundesrat aufgrund der Ergebnisse der RFA 3⁰ . Diese kommt zum Schluss, dass eine entsprechende Verpflichtung einen zu weitgehenden Eingriff in die Organisationsfreiheit der Gesundheitseinrichtungen darstellt und alternative Lösungen in der Praxis übersteuern würde. Allerdings zeigt die RFA auch, dass eine Förderung von Pool-Lösungen auf kantonaler oder regionaler Ebene (z. B. durch die Kantone) eine sinnvolle Massnahme zur Reduktion von kurzfristigen Arbeitseinsätzen darstellt.
3⁰ Frey, Miriam / Suri, Mirjam / Voll, Dominic (2024). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Regulierungsfolgenabschätzung. Schlussbericht. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel, S. 43 - 45. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.

1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 24. Januar 2024 3¹ zur Legislaturplanung 2023-2027 und im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 3² über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt.
Für den Bund sind keine neuen Aufgaben vorgesehen, entsprechend wird das vorliegende Gesetzesprojekt zu keinen direkten Mehrbelastungen des Bundeshaushalts führen.
3¹ BBl 2024 525
3² BBl 2024 1440 , Art. 14, Massnahme 74

1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Die Anliegen der folgenden parlamentarischen Vorstösse werden mit den vorliegenden Gesetzesentwürfen umgesetzt. Der Bundesrat beantragt dem Parlament deshalb die Abschreibung dieser Vorstösse.

1.4.1 Postulat Marchand-Balet 18.3602 «Wie kann die Qualität der Pflege sichergestellt werden?»

Das Postulat wurde vom Nationalrat am 28. September 2018 angenommen. Es verlangt vom Bundesrat, dass er in einem Bericht aufzeigt, welchen Gefahren Patientinnen und Patienten ausgesetzt sind, wenn es zu wenig Pflegepersonal und insbesondere zu wenig Pflegefachpersonal hat, sowie darzulegen, welche Massnahmen und rechtlichen Regelungen andere Länder getroffen haben, um die Qualität der Pflege langfristig zu sichern und welche dieser Massnahmen sich als wirksam erwiesen haben. Für die Bearbeitung der Fragestellungen des Postulats wurde beim Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel ein Forschungsbericht 3³ in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse des Forschungsberichts zeigen, dass die Pflegepersonalausstattung eine wichtige Dimension der Pflegequalität bildet, Letztere aber vielschichtig ist und durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird. Der Forschungsbericht gibt zudem eine Übersicht über die Massnahmen und rechtlichen Regelungen anderer Länder.
Mit einer zu geringen Personalausstattung assoziiert sind u. a. ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, vermehrtes Auftreten unerwünschter Ereignisse wie Infektionen, Stürze oder Medikationsfehler sowie höhere Wiedereintrittsraten; in der Psychiatrie (und teilweise in Alters- und Pflegeheimen) auch vermehrte Aggressionsereignisse und der Einsatz freiheits- bzw. bewegungseinschränkender Massnahmen. Eine zu geringe Personalausstattung kann auch die Arbeitszufriedenheit des Pflegepersonals beeinträchtigen, das Burnout-Risiko erhöhen und letztlich Berufsausstiege begünstigen.
Genügend und adäquat eingesetztes Pflegepersonal ist ein wichtiger Faktor für die Sicherstellung der Pflegequalität und der Arbeitszufriedenheit des Pflegepersonals. Diesem Anliegen trägt der Bundesrat mit der Umsetzung der Pflegeinitiative Rechnung. Auf eine gesetzliche Verpflichtung der Verbände, Empfehlungen für eine bedarfsgerechte Personalausstattung zu erarbeiten, soll jedoch aus verschiedenen Gründen verzichtet werden (vgl. Ziff. 1.2.3). Mit der vorliegenden Botschaft wird das Anliegen des Postulats erfüllt.
3³ Simon, Michael et al., 2020. Wie kann die Qualität in der Pflege sichergestellt werden? Forschungsbericht im Auftrag des BAG. Abrufbar unter
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.

1.4.2 22.3163 Motion Silberschmidt «Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen»

Diese Motion wurde am 6. Juni 2023 mit der Annahme durch den Ständerat an den Bundesrat überwiesen. Sie beauftragt den Bundesrat, dem Parlament eine Revision der Rechtsgrundlagen zu unterbreiten, damit in der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Gesundheitsfachpersonen die in der Berufspraxis erforderlichen Kompetenzen im Bereich der digitalen Transformation vermittelt werden.
Mit den vorgeschlagenen Änderungen des GesBG, des Medizinalberufegesetzes vom 23. Juni 2006 ³4 (MedBG) und des Psychologieberufegesetzes vom 18. März 2011 ³5 (PsyG) kommt der Bundesrat diesem Auftrag nach.
³4 SR 811.11
³5 SR 935.81

1.4.3 23.3292 Postulat Amoos «Wie wirken sich Temporärpflegefachkräfte auf Spitäler und Arbeitsplätze aus?»

Der Nationalrat hat das Postulat 23.3292 Amoos am 29. September 2023 angenommen. Es beauftragt den Bundesrat, die Auswirkungen der Einstellung von temporärem Pflegepersonal in den Spitälern sowohl hinsichtlich Qualität der Beschäftigung und der erbrachten Leistungen als auch hinsichtlich der verursachten Kosten zu untersuchen. Die geforderten Untersuchungen wurden im Rahmen der RFA zum BGAP gemacht, der Bundesrat erachtet das Anliegen des Postulats deshalb als erfüllt.

2 Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1 Vernehmlassungsvorlage

Die Vernehmlassung zur 2. Etappe zur Umsetzung der Pflegeinitiative ³6 dauerte vom 8. Mai bis zum 29. August 2024.
Die Vernehmlassungsvorlage umfasste wie die vorliegende Botschaft zwei Gesetzgebungsprojekte: Den Vorentwurf des Bundesgesetzes über die Arbeitsbedingungen in der Pflege (VE-BGAP) sowie den Entwurf einer Änderung des GesBG.
Vorentwurf BGAP
Der Bundesrat beabsichtigt, mit dem neuen BGAP zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und einer längeren Verweildauer im Beruf beizutragen. Ausserdem soll der Pflegeberuf für Neueinsteigende attraktiver werden, damit die in Zukunft absehbaren Personalengpässe vermieden werden können.
Zu diesem Zweck schlug der Bundesrat mit dem VE-BGAP neben einer Verpflichtung der Sozialpartner zu GAV-Verhandlungen auch zehn Vorgaben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen vor. Bezüglich der Möglichkeit, mittels GAV von den neuen bundesgesetzlichen Regelungen abzuweichen, wurden den Vernehmlassungsteilnehmenden zwei Varianten unterbreitet:
-
Gemäss Variante 1 sollte es zulässig sein, mittels GAV auch zu Ungunsten der Arbeitnehmenden von den Vorgaben des BGAP abzuweichen. Dies jedoch immer unter Einhaltung der zwingenden Bestimmungen des ArG, des OR, von kantonalen Personalgesetzen und weiteren spezialrechtlichen Regelungen.
-
Variante 2 hingegen sah vor, dass Abweichungen vom BGAP durch Gesamtarbeitsverträge (GAV) nur zugunsten der Arbeitnehmenden erlaubt sein sollen.
Zur Beobachtung der Auswirkungen des VE-BGAP sah der Bundesrat vor, die Kantone zur Schaffung kantonaler Kommissionen im Bereich der Pflege zu ermächtigen. Diese Kommissionen sollten insbesondere die Entwicklung der Anzahl und die Inhalte der Gesamtarbeitsarbeitsverträge im Bereich der Pflege sowie die Auswirkungen der Veränderung der Anzahl Arbeitskräfte und ihrer Arbeitsbedingungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung und die Entwicklung der Gesundheitskosten beobachten. Sie sollten auch einen gewissen Druck auf diejenigen Arbeitgeber ausüben können, die gegen die Bestimmungen des BGAP oder gegen branchenübliche Arbeitsbedingungen der Pflege verstossen.
Die RFA zum BGAP ³7 sowie die im Nachgang zur Vernehmlassung vertiefte Abklärung spezifischer Fragen zur Umsetzung des BGAP ³8 sind auf der Webseite des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) abrufbar.
Änderung des GesBG
Mit der Änderung des GesBG möchte der Bundesrat insbesondere die Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung im Bereich der Pflege verbessern. Zu diesem Zweck schlug er folgende Änderungen des GesBG vor:
-
Regelung des Masters in Advanced Practice Nursing;
-
Definition des Berufs der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten in Advanced Practice Nursing (Pflegeexpertin / Pflegeexperte APN);
-
Regelung des Zugangs zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung als Pflegeexpertin und Pflegeexperte APN.
Zu diesen Änderungen kam die Regelung der digitalen Kompetenzen für alle Gesundheitsberufe hinzu. Entsprechend der Motion Silberschmidt 22.3163 sollten diese gleichzeitig im GesBG, MedBG und PsyG verankert werden.
Unter Berücksichtigung der Eigenheiten der schweizerischen Bildungssystematik gab der Bundesrat betreffend Regelung des Zugangs zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN zwei Varianten in die Vernehmlassung:
-
Gemäss Variante 1 sollten neben dem Erwerb eines MSc in Advanced Practice Nursing einer universitären Hochschule oder Fachhochschule auch andere Bildungsabschlüsse Zugang zum Beruf der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN ermöglichen.
-
Mit der Variante 2 schlug der Bundesrat vor, dass einzig der Erwerb eines MSc in Advanced Practice Nursing den Zugang zum Beruf Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN ermöglichen sollte.
³6 Die Vernehmlassungsunterlagen können abgerufen werden unter:
www.fedlex.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2024 > EDI.
³7 Frey, Miriam / Suri, Mirjam / Voll, Dominic (2024). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Regulierungsfolgenabschätzung. Schlussbericht. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
³8 Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.

2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Zur Teilnahme am Vernehmlassungsverfahren wurden die Regierungen der 26 Kantone, die Konferenz der Kantonsregierungen, GDK sowie der Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK), zehn politische Parteien, drei gesamtschweizerische Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, acht gesamtschweizerische Dachverbände der Wirtschaft sowie 69 weitere Organisationen eingeladen.
Von den angeschriebenen Vernehmlassungsadressaten reichten alle 26 Kantone, die GDK, die EDK, sieben politische Parteien (Die Mitte, EVP, FDP, GLP, Grüne, SPS und SVP), vier Spitzenverbände der Wirtschaft (Schweizerischer Arbeitgeberverband, Schweizerischer Gewerbeverband, SGB und Travail.Suisse) und 35 Organisationen (u. a. Bildungsinstitutionen, Berufsverbände, Verbände der Leistungserbringer) eine Stellungnahme ein. Ausserdem liessen sich 102 nicht explizit begrüsste weitere Organisationen und Institutionen, insbesondere kantonale Berufsverbände, Bildungsinstitutionen und Leistungserbringer, vernehmen.
Stellungnahmen zum BGAP
Die GDK und mit ihr eine grosse Mehrheit der Kantone beantragte eine grundlegende Überarbeitung des BGAP. Die Kantone hatten grosse Vorbehalte gegenüber der Schaffung eines Spezialgesetzes und schlugen vor, dass die Arbeitsbedingungen im Bereich der Pflege durch eine Änderung des Arbeitsgesetzes und des zugehörigen Ausführungsrechts verbessert werden sollen. Durch die vorgeschlagenen Massnahmen befürchteten die Kantone zudem diverse negative Konsequenzen: So bestehe die Gefahr, dass der Personalbedarf steige und damit die Personalknappheit verschärft werde. Zudem würde der Druck auf die Arbeitgeber im Gesundheits- und im Sozialbereich steigen, die Arbeitsbedingungen auch für die übrigen Berufe in ihren Institutionen entsprechend zu verbessern, wodurch entsprechende Mehrkosten zu erwarten seien.
Einer der Hauptkritikpunkte der Mehrheit der Kantone war aber, dass die Höhe sowie die Finanzierung der erwarteten Mehrkosten im erläuternden Bericht nur sehr vage dargestellt wurden. Zudem vermissten sie Transparenz in Bezug auf die sich daraus ergebenden Mehrkosten für die Kantone, Gemeinden und die Prämienzahlenden. Sie forderten zudem, dass der Bund die Beiträge für die Pflegefinanzierung gemäss Krankenpflege-Leistungsverordnung vom 29. September 1995 ³9 (KLV) im gleichen Verhältnis erhöht, wie sich die Restkosten für die Kantone und die Gemeinden erhöhen werden.
Die GDK und, mit Ausnahme der Kantone Bern, Genf, Glarus sowie Wallis, alle Kantone haben sich bei der Variantenwahl für die Variante 1 ausgesprochen. Es sollen somit per GAV auch Abweichungen zu Ungunsten der Arbeitnehmenden möglich sein.
Sie bedauerten jedoch, dass der Bundesrat auf die Definition von Vorgaben zur bedarfsgerechten Personalausstattung verzichtet hat.
Die Positionen der in der Bundesversammlung vertretenen Parteien gingen stark auseinander. Während der Vorschlag FDP und SVP zu weit ging, sahen EVP, GLP, die Grünen und die SP Ergänzungsbedarf. Eine Mehrheit der Parteien (Die Mitte, GLP, Grüne und SP) sprach sich explizit für die Variante 2 aus (nur Abweichungen zugunsten der Arbeitnehmenden möglich), während sich FDP und SVP für die Variante 1 aussprachen. Alle Parteien kritisierten das Fehlen von Aussagen zur Finanzierung, genauso wie das Fehlen einer Regelung der bedarfsgerechten Personalausstattung.
Ähnlich präsentierte sich die Situation bei den übrigen Teilnehmenden. Zwar wurden die Ziele der Vorlage, nämlich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, breit unterstützt. Während aber den Arbeitnehmervertretungen die Vorschläge des Bundesrates zu wenig weit gingen, lehnten die Arbeitgeber- und Leistungserbringerverbände die Eingriffe in die Arbeitsbedingungen als zu weitgehend ab. Auch von diesen Akteuren wurde das Fehlen von Regelungen der Finanzierung bemängelt und als Risiko für den Erfolg der Vorlage betrachtet. Insbesondere von der Seite der Arbeitnehmenden wurde zudem bedauert, dass auf eine Regelung zur bedarfsgerechten Personalausstattung verzichtet werden soll. Auch die Wahl der Variante hing von der Rolle der Teilnehmenden ab: Die Arbeitgeber bevorzugten die Variante 1, die Arbeitnehmerseite die Variante 2.
Stellungnahmen zu den Änderungen des GesBG
Die Änderungsvorschläge des GesBG stiessen bei einem Grossteil der Teilnehmenden auf Zustimmung.
Bei der Variantenwahl wurde die Variante 2 (nur der MSc ermöglicht den Zugang zum Beruf als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN) von einer Mehrheit der Teilnehmenden favorisiert (74,5 % der eingeladenen Organisationen und 65 % der Teilnehmenden insgesamt). Für die Variante 1 (neben dem MSc sollen auch Abschlüsse der höheren Berufsbildung den Zugang zum Beruf als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN ermöglichen) sprachen sich die EDK, die Kantone Neuenburg, Schaffhausen, Uri und Zürich aus, zudem die Mitte, GLP und SVP. Die GDK und mit ihr eine Mehrheit der Kantone, FDP, Grüne und SP sowie die Vertretungen der Arbeitnehmenden und der Leistungserbringer unterstützten die Variante 2.
Gleichzeitig wurde ebenfalls von einer Mehrheit der Kantone sowie der Arbeitnehmenden- und Leistungserbringervertretungen verlangt, dass die Passerelle für Pflegende mit einem HF-Abschluss zum Erwerb eines BSc-Titels in Pflege vereinfacht wird.
Einige Kantone und die Arbeitnehmerseite äusserten zudem die Erwartung, dass die vor der Revision erteilten Bewilligungen zum Tragen des Titels Pflegeexperte oder Pflegeexpertin APN-CH direkt zur Berufsausübungsbewilligung führen wird, ohne dass dafür ein erneuter kantonaler Entscheid nötig wird.
Die GDK, die EDK und mit ihnen die Mehrheit der Kantone (69 %) unterstützten die Regelung des klinisch orientierten Masterstudiengangs und sprachen sich dafür aus, dass die Ausbildung den Aufbau eines erweiterten Praxisfeldes fördert, anstatt isolierte Spezialisierungen zu schaffen. Es gab zudem einige Kantone, die Klarheit bezüglich der Übergangsbestimmungen im Gesetzestext fordern und Zweifel äusserten, dass eine Übergangsfrist von fünf Jahren ausreichend ist. Von diversen Akteuren wurde die vorgeschlagene Bezeichnung des Masters als unpräzise beurteilt und wurden Änderungsvorschläge eingebracht.
Die SVP lehnte die mit der Schaffung eines neuen Gesundheitsberufes einhergehenden Überlegungen zur eigenständigen Abrechnung von Leistungen ab, während die SP, die Arbeitnehmendenvertretungen und auch die Leistungserbringer dies unterstützten. Für die Mitte war es zentral, dass es durch die Etablierung des Berufs der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN und das damit verbundene Task Shifting bzw. Task Sharing zu keiner Mengenausweitung auf Kosten der Prämienzahlenden kommt.
Verschiedene Akteure kommentierten die Formulierung des Artikels 3 Absatz 2 Buchstabe j zu den digitalen Kompetenzen der Gesundheitsfachpersonen. Kritisiert wurde unter anderem, dass das Gesundheitspersonal das Wissen zum Umgang mit digitalen Instrumenten vermitteln solle. Vereinzelt wurde auch verlangt, dass die Beratung bei der Nutzung und Anwendung von digitalen Instrumenten abgegolten werden müsse.
Der ausführliche Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung ist unter
www.fedlex . admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2024 > EDI
abrufbar.
³9 SR 832.112.31

2.3 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

2.3.1 BGAP

In der Vernehmlassung hat eine grosse Mehrheit der Teilnehmenden (über 80 %) bei der entsprechenden Frage geantwortet, dass sie den Vorentwurf des BGAP ablehnt und sich eine grundsätzliche Überarbeitung wünscht. Dies geschah aber aus unterschiedlichen Gründen: Während den einen der Vorentwurf zu wenig weit geht, geht er den anderen viel zu weit. Entsprechend ist es dem Bundesrat nicht möglich, durch eine Änderung des Entwurfs beide Seiten gleichzeitig zufriedenzustellen. Ein Verzicht auf die Vorlage ist angesichts des deutlichen Auftrages durch die Stimmbevölkerung (61 % Ja- Anteil sowie 22,5 zustimmende Kantone) und des unbestritten grossen Handlungsbedarfs im Bereich der Pflege ebenfalls keine Option.
Aus diesen Gründen hat der Bundesrat entschieden, im Grundsatz an der Vernehmlassungsvorlage festzuhalten. Er schlägt damit weiter die Schaffung eines neuen Gesetzes vor, kommt aber mit einigen Optimierungen den in der Vernehmlassung vorgebrachten Kritikpunkten entgegen. So hat der Bundesrat entschieden, die Variante 1 weiterzuverfolgen, das heisst, per GAV soll von den Vorgaben des BGAP und dem zugehörigen Ausführungsrecht auch zu Ungunsten der Angestellten abgewichen werden dürfen. Folgende Anpassungen hat er am Entwurf des BGAP vorgenommen:
-
Wöchentliche Normalarbeitszeit : Die Bandbreite, in der der Bundesrat den Höchstwert der wöchentlichen Normalarbeitszeit festlegen kann, wurde in Artikel 6 von 38-42 Stunden auf 40-42 Stunden angepasst. Damit wird namentlich eine Forderung vieler Kantone umgesetzt.
-
Ausgleich der Sonn- und Feiertage : Die Neuregelung in Artikel 9 sieht vor, dass Arbeitnehmende zusätzlich zur Ersatzruhe einen Lohnzuschlag von mindestens 50 Prozent für Sonn- und Feiertagsarbeit erhalten.
-
Umkleidezeit : Neu wird in Artikel 10 festgehalten, dass die Umkleidezeit, wenn sie aus betrieblichen Gründen am Arbeitsplatz erforderlich ist, als bezahlte Arbeitszeit gilt. Damit entfällt die ursprüngliche Regelung des zweiten Absatzes, welche vorsah, dass die Umkleidezeit angemessen abzugelten ist.
-
Mindestdauer und Entlöhnung von Pausen : In Artikel 11 Absatz 2 wurde präzisiert, dass Pausen als bezahlte Arbeitszeit gelten, wenn die Arbeitnehmenden ihren Arbeitsplatz nicht verlassen dürfen.
-
Ankündigung von Dienstplänen : In Artikel 13 Absatz 2 wird neu festgehalten, dass ein zeitlicher oder finanzieller Ausgleich zu Gunsten der Arbeitnehmenden dann fällig wird, wenn die Abweichung von den Dienstplänen weniger als zwei Wochen vor dem zu leistenden Einsatz angekündigt wird.
-
Konkurrenz verschiedener Vorschriften zum finanziellen Ausgleich : Der Entwurf enthält mit Artikel 14 neu eine Bestimmung, die klärt, welche Vorschrift Vorrang hat, falls mehrere Vorgaben zu finanziellen Ausgleichen gleichzeitig anwendbar wären.
-
Vorrang von GAV : Neu wurde Artikel 16 Absatz 4 eingeführt, der festlegt, dass GAV, welche die Bedingungen von Artikel 16 Absatz 2 erfüllen, Vorrang vor anderen anwendbaren GAV haben.
-
Information der Öffentlichkeit über den Stand der GAV-Verhandlungen : Artikel 17 Absatz 2 wurde so angepasst, dass die Arbeitgeber, ihre Verbände und die Arbeitnehmerverbände gemeinsam über den Stand der Verhandlungen über einen GAV informieren müssen.
Variantenwahl
Mit der Wahl der Variante 1, der Anpassung der Bandbreite der wöchentlichen Normalarbeitszeit, der Änderung der Regelung zu den Pausen und der Begrenzung der Ausgleichspflicht im Zusammenhang mit den Dienstplänen auf zwei Wochen oder weniger vor dem Einsatztermin kommt der Bundesrat den Forderungen der Kantone und der Arbeitgeber entgegen. Dies ermöglicht die nötige Flexibilität und die Anpassung an besondere Bedürfnisse je nach Institution und Aktivität. Auch der neue Artikel 14, der das Verhältnis zwischen den verschiedenen Vorschriften zum finanziellen Ausgleich klärt, kommt den Arbeitgebern entgegen. Dieser hält fest, dass für eine bestimmte Zeitspanne mehrere Ausgleiche nicht kumuliert werden, sondern nur der für die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer günstigste Ausgleich zu bezahlen ist.
Verzicht auf Finanzierung durch den Bund
Die Annahme der Pflegeinitiative hat an den Zuständigkeiten im Gesundheitssystem nichts geändert, entsprechend hat der Bund bei der Finanzierung der erwarteten Mehrkosten nur einen beschränkten Handlungsspielraum. Die Verantwortung für die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung tragen weiterhin die Kantone; darunter fällt auch die Mitfinanzierung der Leistungen von Spitälern, Kliniken und Langzeitinstitutionen. Zudem ist es in Anbetracht der Situation der öffentlichen Finanzen auch nicht angezeigt, dem Bundeshaushalt weitere Ausgaben zu übertragen. Entsprechend verzichtet der Bundesrat, entgegen den vielfältigen Wünschen aus der Vernehmlassung, auf eine Regelung bzw. einen Bundesbeitrag an die Mehrkosten. Auch auf eine Erhöhung der Beiträge der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) an die Pflegefinanzierung will der Bundesrat vorderhand verzichten. Die Mehrkosten müssen, wie aufgezeigt, von den bestehenden Finanzierungssystemen und damit von den Prämienzahlenden (Kranken-, Unfall-, Militär- und Zusatzversicherungen), Kantonen und Gemeinden getragen werden.

2.3.2 Änderungen des GesBG

Aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse hat der Bundesrat entschieden, dass die Variante 2 weiterverfolgt werden soll: Nur ein Masterabschluss in Advanced Practice Nursing soll zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN berechtigen. Zudem wurde die Formulierung in Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe j GesBG (sowie in den entsprechenden Bestimmungen des MedBG und PsyG) zu den Kompetenzen im Bereich der digitalen Transformation angepasst und präzisiert.
Wahl der Variante 2
Die Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN sind heute gut in der klinischen Praxis verankert und insbesondere in vielen Spitälern breit etabliert. 4⁰ Ihre Kompetenzen befähigen sie auch zur Übernahme von bisher Ärztinnen und Ärzten vorbehaltenen Aufgaben und machen ihre Berufsrolle zu einem Teil einer nachhaltigen Sicherung der medizinischen Grundversorgung. Sie können nicht nur dazu beitragen, die Folgen eines Mangels an Ärztinnen und Ärzten abzufedern, sondern die verbleibenden Ärztinnen und Ärzte auch entlasten, indem sie bestimmte ärztliche Aufgaben übernehmen und dabei die gleichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards gewährleisten. 4¹ Dank ihrer Ausbildung auf Masterstufe erwerben Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN Kompetenzen, die sie zur eigenständigen Betreuung und Überwachung von Patientinnen und Patienten mit komplexen Krankheitsbildern entlang des gesamten Behandlungsprozesses und zur Förderung der Koordination zwischen Ärztinnen und Ärzten, den Pflegeteams und den Angehörigen befähigen. Sie verfügen zudem über die Kompetenz zur Erstellung von Behandlungsprotokollen auf Basis bewährter Praktiken und zur Beratung in komplexen oder ethischen Situationen, wodurch die Sicherheit und Qualität der Versorgung gewährleistet werden.
Nach Auffassung des Bundesrats erlaubt nur das Absolvieren eines Masters in Advaced Practice Nursing den Erwerb der nötigen Kompetenzen für die Berufsausübung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN in eigener fachlicher Verantwortung. Dies entspricht auch der internationalen Praxis, wo Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN in der Regel über einen Masterabschluss verfügen. 4² Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Abschlüsse der höheren Berufsbildung realistischerweise nicht die nötigen Kompetenzen für die Berufsausübung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN vermitteln. Er verzichtet deshalb auf die Variante 1.
Möglichkeit zur Verlängerung des Masterstudiengangs in Advanced Practice Nursing
Die Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN übernehmen hochkomplexe Aufgaben. Dies ging auch aus dem Austausch mit den Akteuren aus der Praxis hervor. Sie müssen deshalb das nötige Kompetenzniveau erwerben, um die Behandlungsqualität und die Patientensicherheit zu gewährleisten. Die berufsspezifischen Kompetenzen werden gemäss GesBG in der Gesundheitsberufekompetenzverordnung vom 13. Dezember 2019 4³ (GesBKV) festgelegt. Je nach Ausgestaltung dieser Kompetenzen muss der Bundesrat die Möglichkeit haben, bei Bedarf die Dauer des Masterstudiengangs in Advanced Practice Nursing zu verlängern, um sicherzustellen, dass im Verlauf der Ausbildung alle erforderlichen theoretischen und praktischen Kompetenzen erworben werden können. Diese Möglichkeit soll in Artikel 5 Absatz 1bis vorgesehen werden.
Verkürzung der Passerelle HF/FH
Als Ergänzung zu Variante 2 wurde in der Vernehmlassung breit gefordert, die bereits bestehende Passerelle für Inhaberinnen und Inhaber eines HF-Abschlusses in Pflege für den Erwerb eins BSc in Pflege zu verkürzen. Damit könnten Inhaberinnen und Inhaber eines Abschlusses in Pflege auf Stufe HF nach einer kürzeren Studiendauer zu einem Bachelor in Pflege gelangen. Dass nur 90 ECTS-Kreditpunkte angerechnet werden, kann abschreckend wirken und die berufliche Entwicklung in Richtung Hochschulbildung behindern. Eine Reduktion der erforderlichen ECTS-Kreditpunkte, die im Rahmen dieser Passerelle erworben werden müssen, würde eine Verkürzung der Passerelle und damit eine Erhöhung der Durchlässigkeit des Bildungssystems für Pflegefachpersonen HF ermöglichen. Dies würde den Zugang zum Masterstudiengang in Advanced Practice Nursing erleichtern.
Die Modalitäten der Passerelle sind heute nicht im Gesetz geregelt, sondern in den Best Practices, die swissuniversities im November 2021 herausgegeben hat. Diese stellen ein geeignetes Instrument für die Hochschulen dar. Eine Weiterentwicklung dieser Best Practices wäre zu prüfen und würde keine Änderung der geltenden Rechtsgrundlagen erfordern.
4⁰ Sottas, Beat / Kissmann, Stefan (2022). Aktuelle Situation der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN in der Schweiz und Implikationen einer Regulierung. Abrufbar unter:
www.aramis.admin.ch > Projektsuche > 0142004769.
4¹ Unimedsuisse (2023). Arbeitspapier unimedsuisse zur Entwicklung eines Berufsprofils «Nurse Practitioner». Abrufbar unter:
www.unimedsuisse.ch > Projekte > Nurse Practitioner > Zum Arbeitspapier Nurse Practitioner.
4² International Council of Nurses (2020). Guidelines on Advanced Practice Nursing. Abrufbar unter:
www.icn.ch > Toutes les publications > Filtres: Catégorie: Ligne directrice; Thématiques: Pratique infirmière avancée; Année: 2020.
4³ SR 811.212

2.3.3 Bedarfsgerechte Personalausstattung

Der Verzicht auf die Aufnahme einer Regelung zur bedarfsgerechten Personalausstattung wurde im Rahmen der Vernehmlassung von der GDK und etlichen Kantonen, der GLP, den Grünen, der SP und diversen Pflegeverbänden kritisiert.
In Ziffer 1.2.3 wurde erläutert, dass der Bundesrat in seinem Auftrag vom 23. Januar 2023 vorsah, die Verbände der Leistungserbringer (Spital-, Heim- und Spitexverbände) dazu zu verpflichten, Empfehlungen für den Skill-Grade-Mix in verschiedenen Versorgungssettings auszuarbeiten, die anschliessend für verbindlich erklärt werden sollten. Der Bundesrat hat im Gesetzesentwurf von einer Regelung der bedarfsgerechten Personalausstattung abgesehen, weil insbesondere keine gesicherten Erkenntnisse dazu vorliegen, wie eine optimale bedarfsgerechte Personalausstattung zu berechnen wäre. Bestehende kantonale Vorgaben sind unterschiedlich gestaltet und orientieren sich an Durchschnitts- und Erfahrungswerten. Eine Regelung, die nicht auf gesicherten Erkenntnissen zur Berechnung einer bedarfsgerechten Personalausstattung abstützt, würde das Risiko nach sich ziehen, dass sie entweder zu allgemein gefasst und dadurch zu wenig aussagekräftig wäre. Oder aber, dass sie zu detailliert ausgestaltet und dadurch sehr komplex und schwierig umsetzbar wäre. Zudem könnten bestehende Rekrutierungsprobleme der Betriebe verschärft werden. Der Bundesrat erachtete zudem die Verpflichtung Privater, in der Folge als verbindlich zu erklärende Empfehlungen auszuarbeiten, als verfassungsrechtlich problematisch.
An dieser Ausgangslage hat sich bis heute nichts geändert. Deshalb hält der Bundesrat an seiner Haltung fest, von einer Regelung der bedarfsgerechten Personalausstattung abzusehen.

3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

3.1 Verbesserung der Arbeitsbedingungen

Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den meisten anderen westlichen Ländern muss die Politik Antworten auf den Fachkräftemangel in der Pflege finden.

3.1.1 Deutschland

In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren mehrere Gesetze zur Verbesserung der Personalsituation in der Pflege erlassen und Projekte lanciert. Mit dem am 18. Dezember 2018 beschlossenen Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) 4⁴ sollen unter anderem die Arbeitsbedingungen in der Pflege und die Personalausstattung verbessert werden. Das dazugehörige Sofortprogramm Pflege ⁴5 fördert insbesondere die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze. Mit der ebenfalls im Jahr 2018 lancierten Konzertierten Aktion Pflege ⁴6 wollen verschiedene Bundesministerien den Arbeitsalltag des Pflegepersonals verbessern. Seit dem 1. September 2022 ist das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) in Kraft. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen dürfen nur noch die Pflegeeinrichtungen mit der Pflegeversicherung abrechnen, die ihre Mitarbeitenden nach Tarif bezahlen. Zudem erhalten Pflegekräfte mehr Verantwortung, Befugnisse und Entscheidungsfreiheit, zum Beispiel durch die Möglichkeit, häusliche Krankenpflege eigenverantwortlich zu verordnen. ⁴7 Ebenfalls auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für beruflich Pflegende, unter anderem durch vermehrten Einsatz digitaler Lösungen, zielt das am 26. Mai 2023 vom deutschen Bundestag beschlossene Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) ⁴8 . Seit 2021 existiert das Projekt Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf , mit dem Institutionen der Langzeitpflege bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen unterstützt werden. Mit dem PUEG wurde dieses Projekt bis 2030 verlängert. Am 19. Oktober 2023 hat der Bundestag zudem ein neues Gesetz zur Stärkung der hochschulischen Pflegeausbildung und zu Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in der Pflege beschlossen (Pflegestudiumstärkungsgesetz ⁴9 ) . Damit werden Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegefachkräfte vereinheitlicht und vereinfacht. Ausserdem erhalten Studierende in der Pflege dadurch künftig für die gesamte Dauer ihres Studiums eine angemessene Vergütung.
4⁴ Bundesgesetzblatt Jahrgang 2018 Teil I Nr. 45, ausgegeben zu Bonn am 14. Dezember 2018. S. 2394-2422, abrufbar unter
www.bgbl.de > Bundesgesetzblatt > Bundesgesetzblatt Teil I > 2018 > Nr. 45 vom 14.12.2018 (abgerufen am 21.03.2025).
⁴5 Das Programm kann abgerufen unter: www.bundesgesundheitsministerium.de
> Suche > Sofortprogramm Pflege (abgerufen am 21.03.2025).
⁴6 Die Konzertierte Aktion Pflege kann abgerufen werden unter:
www.bundesgesundheitsministerium.de > Service > Begriffe von A-Z > K > Konzertierte Aktion Pflege (abgerufen am 21.03.2025).
⁴7 Das GVWG kann abgerufen werden unter: www.pflege.de
> Ratgeber > Pflegegesetz & Pflegerecht > Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (abgerufen am 21.03.2025).
⁴8 Das PUEG kann abgerufen werden unter: www.bundesgesundheitsministerium.de
> Ministerium > Alle Gesetze und Verordnungen > PUEG (abgerufen am 21.03.2025).
⁴9 Das PflStudStG kann abgerufen werden unter:
www.bundesgesundheitsministerium.de > Ministerium > Alle Gesetze und Verordnungen > Pflegestudiumstärkungsgesetz (PflStudStG) (Abgerufen am 21.03.2025).

3.1.2 Österreich

In Österreich wurde eine umfassende Pflegereform in Form von drei Pflegereformpaketen umgesetzt, die in den Jahren 2022, 2023 und 2024 in Kraft getreten sind. Diese umfassen über 40 Massnahmen und bringen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf, im Bereich der Pflegeausbildung und der Situation betroffener Personen und von deren pflegenden Angehörigen 5⁰ . Darunter fallen Massnahmen wie Lohnerhöhungen und Ausbildungsbeiträge für die Pflegeausbildung, eine zusätzliche Ferienwoche für Mitarbeitende ab 43 Jahren, Erleichterungen bei der Zuwanderung von ausgebildeten Fachkräften, die Anerkennung ihrer ausländischen Ausbildungsabschlüsse oder die Regelung der Zeitzuschläge für Nachtschichten von Beschäftigten in der stationären Langzeitpflege.
5⁰ Die Massnahmen können abgerufen werden unter:
www.sozialministerium.at > Themen > Pflege > Pflegereformpakete I-III (abgerufen am 21.03.2025).

3.1.3 Frankreich

Am 3. Mai 2023 kündigte das französische Ministerium für Gesundheit und Prävention (Ministère de la Santé et de la Prévention) für die nächsten 18 Monate umfassende Arbeiten zur Neugestaltung des Pflegeberufs und der Pflegeausbildung an. Im Fokus stehen die drei Hauptbereiche Kompetenzen, Ausbildung und Laufbahnen im Pflegeberuf. Als Ziele definiert wurden die Erneuerung der Praktiken durch einen flexibleren Ansatz in der Berufsausübung, die Neugestaltung der Bildungsgänge sowie die Analyse neuer Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten in der Pflegelaufbahn. 5¹
5¹ Die Informationen können abgerufen werden unter:
www.sante.gouv.fr > Grands dossiers > Refondation du métier infirmier (abgerufen am 21.03.2025).

3.1.4 Italien

In Italien bildet das im März 2023 in Kraft getretene Gesetzesdekret Nr. 34 5² die erste Etappe einer umfassenden Strukturreform, die das Personal in wirtschaftlicher und beruflicher Hinsicht stärken soll. Zu den Massnahmen gehören eine Vergütung für das Personal von Notfallstationen sowie eine Erhöhung der Überstundenentschädigung. Die italienische Regierung sieht weitere Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Sicherheit am Arbeitsplatz sowie für höhere Löhne und mehr Möglichkeiten für die berufliche Weiterentwicklung vor. Sodann wird das italienische Gesundheitsministerium Anreize setzen, damit neu ausgebildetes Pflegepersonal zur Arbeit nach Italien zurückkehrt. Weiter will die italienische Regierung Abkommen mit aussereuropäischen Staaten zur Rekrutierung von ausgebildeten Gesundheitsfachpersonen abschliessen.
5² Das Gesetzesdekret kann abgerufen werden unter:
www.trovanorme.salute.gov.it > norme > 23G00042 (abgerufen am 21.03.2025).

3.1.5 England

Die britische Regierung hat am 30. Juni 2023 den Long Term Workforce Plan 2023 5³ des Gesundheitsdienstes (National Health Service) NHS England präsentiert. Dieser soll über einen Zeitraum von 15 Jahren laufen und die bestehenden sowie künftige Herausforderungen im Bereich der Arbeitskräfte angehen. Für die kommenden fünf Jahre stellt die Regierung 2,4 Milliarden Pfund zur Verfügung. Dazu kommen noch 6,1 Milliarden Pfund, die in den Jahren 2024 und 2025 in die Bildung und Ausbildung investiert werden.
Die Kernpunkte des NHS Long Term Workforce Plan 2023
sind einerseits eine Ausbildungsförderung. Durch eine Ausweitung der inländischen Aus- und Weiterbildung sowie der Rekrutierung soll die Anzahl der Gesundheitsfachkräfte im NHS in den nächsten 15 Jahren um 300 000 Personen erhöht werden. Bis ins Jahr 2037 soll die Zahl der Pflegenden im Vergleich zu heute um bis zu 170 000 erhöht werden. Zudem wird die Ausbildung der Lernenden forciert, insbesondere in Bereichen, in denen es schwieriger ist, Personal zu finden. Parallel soll die Personalbindung gestärkt werden, sodass in den nächsten 15 Jahren bis zu 130 000 weniger Beschäftigte den NHS verlassen. Zu den Massnahmen gehören die Modernisierung und Flexibilisierung des Pensionssystems, eine bessere Unterstützung für die berufliche Weiterbildung, zusätzliche Kinderbetreuungsangebote, flexible Arbeitsmodelle und Unterstützung für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Personals. Der Plan sieht andererseits Massnahmen zur Modernisierung der Arbeits- und Ausbildungsmethoden vor. Dazu gehören die Schaffung und Ausweitung neuer Berufe, die Stärkung der Weiterbildung und der Einsatz neuer Technologien.
5³ Der NHS Long Term Workforce Plan kann abgerufen werden unter:
www.england.nhs.uk/ltwp (abgerufen am 21.03.2025).

3.2 Regelung der Masterstufe in Advanced Practice Nursing und der Rolle der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN in der Gesundheitsversorgung

Die derzeit in der Schweiz angestellten Überlegungen zur Regelung der Masterstufe in Advanced Practice Nursing und der Rolle der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN haben auch in zahlreichen anderen westlichen Ländern stattgefunden. In der Europäischen Union (EU) liegt die Zuständigkeit für die Förderung und Organisation der Ausbildung bei den Mitgliedstaaten. In den Nachbarländern der Schweiz wurden in den letzten Jahren verschiedene Programme und Massnahmen eingeführt. 2005 verabschiedete die EU die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Sie sieht vor, dass die EU-Mitgliedstaaten die jeweiligen Berufsabschlüsse grundsätzlich als gleichwertig anerkennen und den Berufsangehörigen freien Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren. 5⁴ Diese Richtlinie gilt gestützt auf den Anhang III des Personenfreizügigkeitsabkommens auch für die Schweiz. 5⁵ In Ziffer 7.2.2 dieser Botschaft wird vertieft auf das EU-Recht eingegangen.
Obwohl sich die etablierten Berufsrollen von Pflegeexpertinnen bzw. Pflegeexperten APN in den verschiedenen Ländern unterscheiden, besteht Einigkeit im Grundsatz, dass eine Pflegeexpertin oder ein Pflegeexperte APN über einen Masterabschluss in Pflegewissenschaften verfügen muss, um APN-Leistungen erbringen zu können.

3.2.1 Deutschland

Regelung der Berufsausübung
Im Gegensatz zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann ist in Deutschland die Berufsausübung für Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN nicht auf der Liste der reglementierten Berufe und somit keiner Bewilligungspflicht unterstellt.
Regelung von Bildungsgängen
In einigen Bundesländern gibt es Pflegeräte, die während langer Zeit zur Entwicklung der erweiterten Pflegepraxis beigetragen haben. Im Laufe der Jahre haben sich die Projekte vervielfacht, und die wachsende Zahl an Masterstudiengängen hat zu einem Anstieg der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN geführt. ⁵6 Diese Entwicklungen stiessen auf immer grösseres Interesse in der Politik, worauf das Pflegeberufegesetz ⁵7 verabschiedet wurde, das 2020 in Kraft trat.
Die Hochschulen sind grundsätzlich frei in ihrem Angebot. Jedoch wird ihre Tätigkeit durch ein Rahmengesetz reguliert. Im Bereich der Pflege regelt seit 2020 das Pflegeberufegesetz die Kompetenzen von Pflegefachpersonen auf Tertiärstufe. Die Pflegeberufe-Ausbildungs- und -Prüfungsverordnung regelt beispielsweise Einzelheiten zur Ausbildungsstruktur, zu den Ausbildungsinhalten, den Prüfungen und zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ⁵8 .
Paragraph 14 des Pflegeberufegesetzes ermöglicht ausserdem die Einführung von Ausbildungen zur Vermittlung erweiterter Kompetenzen. Die Ausbildungsinhalte werden in gesonderten schulinternen Curricula der Pflegeschulen und in Ausbildungsplänen der Träger der praktischen Ausbildung festgelegt. Eine staatliche Regulierung der berufsspezifischen Kompetenzen der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN ist bis heute nicht erfolgt. Nach Paragraph 63 Absatz 3 c des Fünften Buches Sozialgesetzbuch wird zudem ein Katalog von ärztlichen Tätigkeiten erlassen, die im Rahmen von Modellvorhaben an Gesundheitsfachpersonen zur selbstständigen Ausübung von Heilkunde übertragen werden können. ⁵9
⁵6 International Council of Nurses (2020). Guidelines on Advanced Practice Nursing. >
www.icn.ch > Toutes les publications > Filtres: Catégorie: Ligne directrice; Thématiques: Pratique infirmière avancée; Année: 2020.
⁵7 Informationen zum Pflegeberufegesetz können abgerufen werden unter:
www.bundesgesundheitsministerium.de/pflegeberufegesetz
(abgerufen am 21.03.2025).
⁵8 Informationen zur Pflegeberufe-Ausbildungs- und -Prüfungsverordnung können abgerufen werden unter:
www.bundesgesundheitsministerium.de > Ministerium > Alle Gesetze und Verordnungen > Pflegeberufe-Ausbildungs- und -Prüfungsverordnung (PflAPrV; abgerufen am 21.03.2025).
⁵9 Das Sozialgesetzbuch 5. Buch kann abgerufen werden unter:
www.gesetze-im-internet.de > Suche: SGB V (abgerufen am 21.03.2025).

3.2.2 Frankreich

Regelung der Berufsausübung
Obwohl das Berufsbild der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN noch relativ jung ist, ist ihre Berufsausübung in Frankreich bereits auf staatlicher Ebene reglementiert. Den Beruf darf ausüben, wer den Masterabschluss, drei Jahre Berufserfahrung sowie einen Registereintrag mitbringt. 2016 wurde mit einem rechtlichen Rahmen ein erster Meilenstein für die Etablierung der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN im französischen Gesundheitssystem gesetzt. 6⁰ Mit zusätzlichen Massnahmen konnte 2018, 2019 und 2021 die APN-Rolle noch stärker in der Praxis verankert werden. 6¹ Diese Regelungen setzen heute den vorgängigen Erwerb eines Masterabschlusses voraus und erlauben den Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN unter bestimmten Bedingungen die Verschreibung von Medikamenten. Daneben dürfen Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN Leistungen in den Bereichen Selbstmanagement ( éducation thérapeutique ), Prävention, Screening, Evaluation und Monitoring erbringen. Sie dürfen auch zusätzliche Untersuchungen anordnen und ärztliche Anordnungen erneuern oder anpassen.
Regelung von Bildungsgängen
Der Code de la santé publique regelt zwar die Berufsausübung der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN, aber die zur Erreichung eines Hochschulabschlusses als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN zu erwerbenden Kompetenzen werden auf staatlicher Ebene nicht definiert.
6⁰ Das Loi no 2016-41 du 26 janvier 2016 de modernisation de notre système de santé kann abgerufen werden unter:
www.legifrance.gouv.fr > Droit national en vigueur > Textes consolidés > Suche: 2016-41 (abgerufen am 21.03.2025).
6¹ Das Décret no 2018-629 du 18 juillet 2018 relatif à l’exercice infirmier en pratique avancée kann abgerufen werden unter:
www.legifrance.gouv.fr > Droit national en vigueur > Textes consolidés > Suche: 2018-269 (abgerufen am 21.03.2025). Das Décret no 2018-633 du 18 juillet 2018 relatif au diplôme d’Etat d’infirmier en pratique avancée kann abgerufen werden unter:
www.legifrance.gouv.fr > Droit national en vigueur > Textes consolidés > Suche: 2018-633 (abgerufen am 21.03.2025). OECD (2024). Advanced practice nursing in primary care in OECD countries: Recent developments and persisting implementation challenges.
www.oecd.org > Publications > Repports > Filters: Publication types: Working Papers; Publication Date: 2024; Policy areas: Health.

3.2.3 Italien

Regelung der Berufsausübung
Advanced Practice Nursing hat sich in Italien mit der Schaffung der Rolle Infermiere di famiglia e di comunità erst spät entwickelt. Diese fokussiert auf die Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention und richtet sich an Menschen mit chronischen Erkrankungen. Die Rolle ist Teil der Strategie, anhand der Schaffung von Gesundheitshäusern ( Case della Salute ) Versorgungsnetze einzuführen. 6² 2020 verabschiedete die Regierung deshalb Gesetze, um die Zahl der von den lokalen Gesundheitsbehörden angestellten Fachpersonen vorübergehend zu erhöhen. 6³ 2021 wurden diese Gesetze revidiert, um die Infermieri di famiglia e di comunità dauerhaft ins italienische Gesundheitssystem aufzunehmen. 6⁴ Diese Entwicklung wird durch den EU-finanzierten nationalen Aufbauplan für die Gesundheitsversorgung in Italien unterstützt.
Italien engagiert sich entschieden für die Bereitstellung eines gemeinschaftlichen Gesundheitsangebots. Mit verschiedenen Initiativen will das Land den Zugang zur Versorgung erleichtern. In jüngster Zeit hat es das Heimpflegenetz ausgebaut, das Telemedizin-Angebot weiterentwickelt und den Bau mehrerer Regionalspitäler finanziert. 6⁵ 2022 genehmigte die Regierung zudem die Einrichtung von über 900 Quartierhäusern bis 2026. 6⁶ Diese Politik spricht für eine Erhöhung der Zahl der Infermieri di famiglia e di comunità in Italien. Die Berufsausübung als Pflegeexpertin und Pflegeexperte APN ist jedoch nicht reglementiert.
Regelung von Bildungsgängen
Die ersten Programme für höhere Ausbildungen im Bereich der Pflege entstanden ab 2004 mit einem ersten Masterstudiengang. Mittlerweile besteht eine Vielzahl von unterschiedlichen Bildungsgängen auf Masterstufe im Bereich der Pflege. Eine Regulierung von Bildungsinhalten auf staatlicher Ebene existiert hingegen nicht.
6² Keith, Scott W. / Waters, Dexter / Alcusky, Matthew / Hegarty, Sarah / Jafari, Niusha / Lombardi, Marco / Pini Monica / Maio, Vittorio (2022). The Medical Home Initiative in Italy: an Analysis of Changes in Healthcare Utilization. J Gen Intern Med, 37 (6), 1380-1387.
6³ Presidente della Repubblica. Decreto-legge 19 maggio 2020 n. 34.
Misure urgenti
in materia di s
alute, sostegno al lavoro e all’economia, nonche’ di politiche sociali connesse all’emergenza epidemiologica da COVID-19. Gazzeta Ufficiale -
Serie Generale n.128 del 19-05-2020
-
Suppl. Ordinario n. 21. Abrufbar
unter:
www.normattiva.it
> Ricerca
avanzata > Periodo di pubblicazione: 19.05.2020.
6⁴ Ministero della Salute. Decreto 23 maggio 2022 n.77. Regolamento recante la definizione di modelli e standard per lo sviluppo dell’assistenza territoriale nel Servizio sanitario nazionale. Gazzetta Ufficiale - Serie Generale 2022 n. 144 del 22 giugno 2022.
Abrufbar
unter:
www.normattiva.it
>
Ricerca avanzata > Periodo di pubblicazione: 23.05.2022.
6⁵ Tanese, Angelo (2023). A new challenge for Italy’s National Healthcare System. Hospital Administration and Medical Practices, 2. Der Artikel kann abgerufen werden unter:
www.hampjournal.com > Archives > Vol. 2 (2023) (abgerufen am 21.03.2025).
6⁶ Vinceti, Silvio Roberto (2023). Reorganizing Italy’s Territorial Healthcare: The Ministerial Decree No. 77/2022 and its Comparative Significance. Ann Ig, 35(3), 367-371. Der Artikel kann abgerufen werden unter
https://annali-igiene.it/articoli/2023/3/Vinceti.pdf
(abgerufen am 21.03.2025).

3.2.4 Kanada

Regelung der Berufsausübung
Kanada ist Pionier im Bereich Advanced Practice Nursing. Die Rolle der Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN wurde erstmals 1997 in den Provinzen British Columbia und Ontario reguliert. Über die Jahre haben alle Provinzen und Territorien eine entsprechende gesetzliche Regelung eingeführt. ⁶7
Regelung von Bildungsgängen
Die Tätigkeit als Pflegeexpertin oder Pflegeexperte APN setzt den vorgängigen Erwerb eines Masterabschlusses in Pflegewissenschaften voraus. Es handelt sich in diesen Wissenschaften um den einzigen Titel, der in Kanada geschützt und gesetzlich geregelt ist. ⁶8
⁶7 Association des infirmières et infirmiers du Canada (2021). Der Bericht kann aufgerufen werden unter: www.cna-aiic.ca > Soins infirmiers > Les soins infirmiers réglementés au Canada (abgerufen am 21.03.2025).
⁶8 Ordre des infirmières et infirmiers du Québec (2021). Die Richtlinien können abgerufen werden unter:
www.oiiq.org > Suche: L’infirmière praticienne spécialisée et sa pratique: lignes directrices (abgerufen am 21.03.2025).
5⁴ Die Richtlinie 2005/36/EG kann abgerufen werden unter:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:32005L0036
> Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (abgerufen am 21.03.2025).
5⁵ www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2002/243/de > AS 2002 1529 ; BBl 1999 6128 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (abgerufen am 21.03.2025).

4 Grundzüge der Vorlage

4.1 Die beantragte Neuregelung

4.1.1 Inhalte des E-BGAP

Aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse hat der Bundesrat entschieden, grundsätzlich am Entwurf und an der Logik des BGAP festzuhalten. Die infolge der Vernehmlassung vorgenommenen Anpassungen am E-BGAP sind in Ziffer 2.3.1 dieser Botschaft dargestellt. Der Entwurf des BGAP enthält, neben einer Verpflichtung der Sozialpartner zur Durchführung von GAV-Verhandlungen, folgende Vorgaben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege:
-
Wöchentliche Höchstarbeitszeit und Ausgleich von Überzeit;
-
Wöchentliche Normalarbeitszeit;
-
Ausgleich von Überstunden;
-
Ausgleich von Nachtarbeit;
-
Ausgleich der Sonn- und Feiertagsarbeit;
-
Anrechnung der Umkleidezeit als bezahlte Arbeitszeit;
-
Mindestdauer und Entlöhnung von Pausen;
-
Anrechnung und Ausgleich von Bereitschafts- und Pikettdienst;
-
Ankündigung von Dienstplänen und Bereitschafts- und Pikettdiensten;
-
Kompensation für ungeplante Einsätze.
Gestützt auf Delegationsnormen wird der Bundesrat, nach Anhörung der Sozialpartner und auf Basis der Regelungen in bestehenden GAV, in acht dieser Bereiche die Detailausgestaltung auf Verordnungsstufe konkretisieren können (mit Ausnahme der Umkleidezeit sowie der Mindestdauer und Entlöhnung von Pausen).
Der Bundesrat hat entschieden, die Variante 1 der beiden in der Vernehmlassung vorgeschlagenen Varianten (vgl. Ausführungen unter Ziff. 2.1) weiterzuverfolgen. Per GAV soll demnach auch zu Ungunsten der Arbeitnehmenden von den Vorgaben im BGAP abgewichen werden dürfen, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Art. 16 E-BGAP). Dies jedoch immer unter Einhaltung der zwingenden Bestimmungen des ArG, des OR, von kantonalen Personalgesetzen und weiteren spezialrechtlichen Regelungen. Durch diese Regelung soll die Sozialpartnerschaft gestärkt und eine Erhöhung der Anzahl abgeschlossener GAV im Bereich der Pflege erreicht werden.
Zur Beobachtung der Auswirkungen des E-BGAP sieht der Bundesrat weiterhin die Schaffung kantonaler Kommissionen im Bereich der Pflege vor. Diese können im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben auch darauf hinwirken, dass sich die Arbeitgeber ihrer Verpflichtungen aus diesem Gesetz bewusst sind und diese entsprechend umsetzen.
Mit dem E-BGAP wird eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und damit eine längere Verweildauer im Pflegeberuf beabsichtigt. Ausserdem soll der Pflegeberuf für Neueinsteigende attraktiver werden, damit die in Zukunft absehbaren Personalengpässe vermieden werden können. Mit den oben aufgeführten Vorgaben sollen die drängendsten Probleme angegangen werden, die zum vorzeitigen Berufsausstieg führen können. Die Auswahl erfolgte auf Basis der in Ziffer 1.1.4 genannten Studien sowie nach Analyse bestehender GAV im Bereich der Pflege. Dass die Vorgaben im BGAP zielgerichtet sind, wird unter anderem auch durch die RFA und diverse Stellungnahmen in der Vernehmlassung, unter anderem vom Schweizerischen Berufsverband für das Pflegepersonal (SBK), gestützt.

4.1.2 Inhalte der Änderung des GesBG

Auch bei der Änderung des GesBG hält der Bundesrat an den in der Vernehmlassung unterbreiteten Vorschlägen fest. Die Änderung des GesBG sieht deshalb weiterhin folgende Inhalte vor:
-
Regelung des Masters in Advanced Practice Nursing;
-
Definition des Berufs der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN;
-
Regelung des Zugangs zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung als Pflegeexpertin und Pflegeexperten APN, wobei nur der Erwerb eines Masterabschlusses zur Berufsausübung berechtigen soll (Wahl der Variante 2).
Zusätzlich sollen durch eine Änderung des GesBG sowie des MedBG und des PsyG die digitalen Kompetenzen in allen Gesundheitsberufen geregelt werden. Damit wird der Auftrag der überwiesenen Motion Silberschmidt (22.3163 «Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen») erfüllt.
Aufgrund der hohen Anforderungen an den Beruf der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN und der Rückmeldungen aus der Vernehmlassung sieht der Bundesrat vor, dass nur der Erwerb eines Masters in Advanced Practice Nursing zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN berechtigen soll (Variante 2). Die ausführliche Argumentation zu diesem Punkt findet sich in Ziffer 2.3.2 dieser Botschaft.

4.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

4.2.1 Verbesserung der Arbeitsbedingungen kann zu Mehrkosten führen

Die in dieser Botschaft vorgeschlagenen Gesetzgebungsprojekte sollen die Verweildauer des Personals im Pflegeberuf durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und durch die Verbesserung der Möglichkeit zur beruflichen Entwicklung erhöhen. Damit sollen auch die Bemühungen der im Rahmen der 1. Etappe der Umsetzung der Pflegeinitiative am 1. Juli 2024 lancierten Ausbildungsoffensive und die gemeinsamen Investitionen von Bund und Kantonen von knapp einer Milliarde Franken gesichert werden.
Wie in Kapitel 6 ausgewiesen, ist durch die Massnahmen mit jährlichen Mehrkosten und auch mit einem Anstieg der Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung und allenfalls weiterer Sozialversicherungen wie Unfall- oder Militärversicherung zu rechnen. Dieser Kostenanstieg ist in Anbetracht der künftig weiter zunehmenden Bedeutung einer guten Versorgung der Bevölkerung mit einer hochstehenden Pflege jedoch in Kauf zu nehmen.

4.2.2 Finanzierung des Gesundheitssystems und Optionen zur Finanzierung der Verbesserungen der Arbeitsbedingungen

Angestellte Pflegefachpersonen arbeiten grossmehrheitlich für Spitäler, Pflegeheime oder Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause, die Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) erbringen. Für stationäre OKP-Leistungen von Spitälern gilt die Spitalfinanzierung, für OKP-Leistungen von Pflegeheimen und Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause gilt die Pflegefinanzierung. In den folgenden Abschnitten soll kurz erläutert werden, wie sich die Kosten in den verschiedenen Pflegesettings auf die Versicherten, die Krankenversicherer sowie Bund und Kantone aufteilen.
Finanzierung der OKP-Leistungen in den Spitälern
Die Spitäler werden für ihre stationären OKP-Leistungen nach Tarifen entschädigt, die vom Krankenversicherer und vom Wohnkanton der versicherten Person anteilmässig finanziert werden (Art. 49 a Abs. 1 KVG). Der Anteil des Wohnkantons an der Vergütung beträgt mindestens 55 Prozent, der Anteil der Krankenversicherer maximal 45 Prozent (Art. 49 a Abs. 2ter KVG). Die Tarife werden in Verträgen zwischen den Spitälern und den Krankenversicherern vereinbart und bedürfen der Genehmigung durch die jeweils zuständige Behörde (Art. 46 KVG). In der Regel ist dies die zuständige Kantonsregierung, ausser wenn der Vertrag in der ganzen Schweiz gelten soll. Dann ist der Bundesrat zuständig. Falls kein Tarifvertrag zustande kommt, setzt die zuständige Kantonsregierung einen Tarif fest (Art. 47 KVG).
Die Tarife für stationäre Leistungen von Spitälern werden auf der Grundlage der effektiven Kosten und Leistungen aller Spitäler ermittelt (Art. 59 c Abs. 1 Bst. a der Verordnung vom 27. Juni 1995 ⁶9 über die Krankenversicherung; KVV). Die Tarife sind in den drei Tarifstrukturen SwissDRG für akutsomatische Leistungen, TARPSY für psychiatrische Leistungen und ST Reha für rehabilitative Leistungen festgehalten. Die Tarifstrukturen teilen die Fälle in möglichst kostenhomogene, nach medizinischen Aspekten definierte Fallgruppen ein und geben für die verschiedenen Fallgruppen schweregradabhängige Kostengewichte vor. Diese Kostengewichte sind für alle Spitäler gleich. Sie werden von der SwissDRG AG anhand der von den Spitälern ausgewiesenen effektiven Kosten- und Leistungsdaten pro Behandlungsfall in der Regel jährlich berechnet. Die Leistungen des Pflegepersonals sind Bestandteil dieser Daten und fliessen in die Berechnung der Kostengewichte ein. Ergänzend zu den Kostengewichten enthält die Tarifstruktur Zusatzentgelte für seltene oder teure Leistungen, die sich nicht sachgerecht pauschalieren lassen, unter anderem für Pflege-Komplexbehandlungen.
Die Kostengewichte aus der Tarifstruktur werden mit den Basispreisen der Spitäler multipliziert und ergeben so die Fallpauschale, die ein Spital für eine Behandlung abrechnen kann. Die Basispreise werden spitalindividuell in der Regel jährlich verhandelt. Auf Basis der effektiven, ausgewiesenen Kosten- und Leistungsdaten der Spitäler werden die Fallnormkosten (Gestehungskosten für den Normfall mit dem Kostengewicht 1.0) aller einzelnen Spitäler berechnet. In einem Betriebsvergleich (Art. 49 Abs. 8 KVG) werden die Fallnormkosten mittels eines Benchmarkings auf ihre Effizienz geprüft (Art. 59 c Abs. 1 Bst. b KVV). Der daraus resultierende Referenzwert bildet die Ausgangslage für die spitalindividuellen Tarifverhandlungen, in denen durch Zu- oder Abschläge Tarifdifferenzierungen für die einzelnen Spitäler vorgenommen werden können.
Die Kosten für das Pflegepersonal sind Bestandteil der Gestehungskosten der Spitäler für OKP-Leistungen. Sie werden von den Spitälern ausgewiesen und fliessen so in die Berechnung der Fallnormkosten der Spitäler ein. Wenn die Pflegekosten aufgrund regulatorischer Vorschriften bei allen Spitälern ansteigen, wird das - vorbehältlich anderer Einflüsse auf die Gestehungskosten - zu einer Erhöhung aller Fallnormkosten im Betriebsvergleich und damit zu einem Anstieg des Referenzwertes und der Basispreise der Spitäler führen.
Mit der einheitlichen Finanzierung der Leistungen in der OKP ab 2028 infolge der Änderung vom 22. Dezember 2023 7⁰ des KVG wird sich bei den stationären Spitalleistungen der Anteil des Wohnkantons an der Vergütung auf mindestens 26,9 Prozent reduzieren und der Anteil der Krankenversicherer auf maximal 73,1 Prozent erhöhen. Die restlichen Bestimmungen in Bezug auf die stationären Spitaltarife und die vorgängig beschriebene Methodik der Tarifermittlung werden grundsätzlich nicht verändert.
Finanzierung der OKP-Leistungen von Pflegeheimen oder Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause
Die Neuordnung der Pflegefinanzierung, die seit 2010 in Kraft ist, sieht unter anderem vor, dass die OKP einen Beitrag an ambulant erbrachte Pflegeleistungen leistet. Dies gilt namentlich für Pflegeleistungen in Tages- oder Nachtstrukturen sowie Pflegeheimen (Art. 25 a Abs. 1 KVG).
Der Bundesrat setzt die Beiträge, die die OKP leistet, nach dem Pflegebedarf fest. Neben der OKP finanzieren zum Teil auch die Versicherten Pflegeleistungen bis maximal 20 Prozent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Pflegebeitrags. Die Restfinanzierung wird von den Kantonen gedeckt (Art. 25a Abs. 5 KVG). Dabei gelten die Regeln der Restfinanzierung des Standortkantons des Leistungserbringers, unabhängig vom Wohnort der Patientin oder des Patienten. Das Recht der versicherten Person zum Aufenthalt im Pflegeheim ist für eine unbeschränkte Dauer gewährleistet.
Bei den Pflegeleistungen werden Massnahmen der Abklärung, Beratung, Koordination (Art. 7 Abs. 2 Bst. a KLV), Massnahmen der Grundpflege (Art. 7 Abs. 2 Bst. c KLV) und Massnahmen der Untersuchung und Behandlung (Art. 7 Abs. 2, Bst. b KLV) unterschieden. Seit dem 1. Juli 2024 können Abklärungs-, Beratungs-, Koordinations- und Grundpflegeleistungen ohne ärztliche Anordnung oder ärztlichen Auftrag zulasten der OKP erbracht werden, was dem Pflegepersonal mehr Autonomie gewährt. Massnahmen der Untersuchung und Behandlung müssen hingegen weiterhin auf ärztliche Anordnung oder im ärztlichen Auftrag erfolgen, da diese Leistungen eng mit der ärztlichen Behandlung verknüpft sind. Die vorherige Abklärung des Pflegebedarfs bleibt in jedem Fall erforderlich. Sie muss zur Information an den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin weitergeleitet werden.
Artikel 7 a KLV weist die Beiträge aus, die die Krankenversicherer für Pflegeleistungen übernehmen. Diese Beiträge variieren je nach Leistungserbringer. Für Pflegefachpersonen sowie Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause sind die Tarife pro Stunde und nach Art der Leistung festgelegt (Art. 7 a Abs. 1 KLV), für Pflegeheime nach Tag und Pflegebedarf in benötigten Minuten (Art. 7 a Abs. 3 KLV). Die Beiträge, die die OKP übernimmt, sowie die Beteiligung der Versicherten und die Restfinanzierung durch die Kantone sind im Anhang erklärt.
Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat die seit dem 1. Januar 2011 geltenden Beiträge getrennt für den Pflegeheimbereich und den Bereich der Pflege zu Hause berechnet und in Artikel 7 a KLV festgesetzt. Die Beiträge der OKP wurden entsprechend der Vorgabe der Kostenneutralität festgesetzt. Das bedeutet, dass die Beiträge für die Vergütung der Pflegeleistungen durch die OKP so festzulegen waren, dass sie der Summe der Vergütungen für die ambulant und im Pflegeheim erbrachten Pflegeleistungen in dem Jahr, das dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung vorangeht (d. h. 2010), entsprechen. Die Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 13. Juni 2008 des KVG sahen denn auch vor, dass der Bundesrat in den nachfolgenden Jahren die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen hat, wenn die Kostenneutralität nicht eingehalten werden kann.
Aus diesem Grund wurden die Beiträge per 1. Januar 2020 denn auch angepasst: Sie wurden für Pflegeheime leicht nach oben, für die Pflege zu Hause leicht nach unten korrigiert. Die Methode zur Berechnung der Beiträge an die Pflegeleistungen sowie die genaue Berechnung des Korrekturfaktors sind im Kommentar zu den Änderungen der KLV betreffend Kostenneutralität und Bedarfsermittlung für Pflegeleistungen erläutert. Allfällige künftige Anpassungen fallen in den Kompetenzbereich des EDI. Im Pflegefinanzierungssystem führt eine Anpassung bei den Beträgen in der Regel zu einer Anpassung der Restfinanzierung durch die Kantone. 7¹
Mit der Änderung vom 22. Dezember 2023 des KVG zur einheitlichen Finanzierung der Leistungen in der OKP wird das Regime der Neuordnung der Pflegefinanzierung durch ein Tarifsystem mit einem vorgeschriebenen Finanzierungsteiler abgelöst. Nach der Integration der Pflegeleistungen ab 2032 werden die Pflegeleistungen anhand von Tarifen vergütet, die zwischen den Tarifpartnern zu vereinbaren sind. Wie bei den anderen Leistungen auch werden die Krankenversicherer maximal 73,1 Prozent der Vergütung übernehmen und der Wohnkanton mindestens 26,9 Prozent. Die Tarife für die Pflegeleistungen sind grundsätzlich nach denselben Prinzipen wie die anderen Tarife zu ermitteln. Sie müssen auf effektiven, einheitlichen und transparent ausgewiesenen Kosten- und Leistungsdaten beruhen und müssen sich an den für eine effiziente Leistungserbringung erforderlichen Kosten orientieren.
Finanzierung der zu erwartenden Mehrkosten
Bei den Spitälern werden die infolge der Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erwartenden Mehrkosten für die Pflege voraussichtlich zu einem Anstieg der Gestehungskosten pro Fall führen. Die Spitäler müssen diese Kosten für die Tarifermittlung transparent ausweisen. Weil die Mehrkosten alle Spitäler gleichermassen betreffen dürften, muss davon ausgegangen werden, dass dies - immer vorbehältlich anderer Einflüsse auf die Kosten der Spitäler - zu einem generellen Anstieg der Fallnormkosten im Betriebsvergleich führt, was folglich den Benchmarkwert anhebt. Ein höherer Benchmarkwert als Ausgangslage für die spitalindividuellen Verhandlungen (oder gegebenenfalls Verfahren zur Tariffestsetzung) dürfte einen breitflächigen Anstieg der Basispreise der Spitäler zur Folge haben. Daraus ergibt sich eine höhere Vergütung für die Leistungen, welche die entstandenen Mehrkosten der Spitäler deckt, sofern die damit geschaffenen Ressourcen effizient eingesetzt worden sind. Eine höhere Vergütung führt zu höheren Kosten zulasten der OKP. Somit ergibt sich voraussichtlich ein negativer Effekt auf die Krankenversicherungsprämien, d. h. zusätzliche Prämienmittel werden notwendig.
Eine Herausforderung kann die zeitliche Diskrepanz zwischen Daten- und Tarifjahr sein. Die Kosten- und Leistungsdaten eines Jahres bilden die Grundlage für die Tarife, die zwei Jahre später gelten. Dazwischen liegt das Jahr, in dem die Tarifverhandlungen stattfinden. Die zu erwartenden Mehrkosten würden somit grundsätzlich zwei Jahre später zu höheren Tarifen führen. Jedoch können gemäss der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 7² Kosten, die erst im Tarifjahr (t) anfallen, aber im Datenjahr (t-2) noch nicht in den ausgewiesenen Kosten enthalten waren (sog. prospektive Kosten), unter gewissen Umständen ausnahmsweise aufgerechnet werden. Das Bundesverwaltungsgericht nennt diesbezüglich Mehr- oder Minderkosten, die sich aufgrund einer Gesetzesänderung ergeben, soweit sie sich im Tarifjahr verwirklichen und vor Geltungsbeginn klar bestimmbar sind.
Auch bei den Pflegeheimen oder Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause muss davon ausgegangen werden, dass die zu erwartenden Mehrkosten die Gestehungskosten der Leistungen erhöhen. Mit der aktuellen Pflegefinanzierung steht dabei insbesondere die Restfinanzierung im Fokus. Wenn die Kosten aufgrund der neuen Vorschriften bei allen Leistungserbringern ansteigen, dürfte dies zu einem generell höheren Restfinanzierungsbedarf führen. Dieser wäre durch die Kantone oder Gemeinden abzugelten, soweit die Kosten dafür transparent ausgewiesen und die Pflegeleistungen effizient erbracht wurden. Ab 2032 wird mit dem Inkrafttreten der Änderung vom 22. Dezember 2023 des KVG zur einheitlichen Finanzierung der Leistungen in der OKP das bestehende Finanzierungsmodell durch ein neues Tarifsystem abgelöst werden. Es ist davon auszugehen, dass die aus der Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erwartenden Mehrkosten in die Kosten- und Leistungsdaten einfliessen werden, die als Grundlage für die Tarifermittlung dienen werden.
⁶9 SR 832.102
7⁰ AS 2025 107
7¹ Der Kommentar zur Änderung vom 2. Juli 2019 der KLV im Bereich der Kostenneutralität und der Bedarfsermittlung kann abgerufen werden unter:
www.bag.admin.ch > Gesetze & Bewilligungen > Gesetzgebung > Gesetzgebung Versicherungen > Gesetzgebung Krankenversicherung > Abgeschlossene Rechtssetzungsprojekte > Pflegefinanzierung (ab dem 24.06.2025:
www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesetze-und-bewilligungen/gesetzgebung/gesetzgebung-versicherungen/gesetzgebung-krankenversicherung.html
).
7² BVGE 2014/3 vom 7. April 2014,
BVGE 2014/36 vom 11. September 2014 oder
BVGer C-3867/2013 vom 25. August 2015

4.3 Umsetzungsfragen

4.3.1 Umsetzung des BGAP

Präzisierung im Verordnungsrecht
Mit dem BGAP wird die Kompetenz zur Detailausgestaltung diverser Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen an den Bundesrat delegiert. Er wird die Vorschriften nach Anhörung der Sozialpartner erlassen (Art. 15 E-BGAP), wie dies bereits heute in Bereichen des Arbeitsgesetzes üblich ist. Er wird sich dabei zudem an den bereits heute in GAV existierenden Regelungen orientieren.
Vollzug des BGAP
Grundsätzlich werden die Gesundheitseinrichtungen dafür verantwortlich sein, dass die neuen Vorgaben des BGAP umgesetzt werden. Der Vollzug des BGAP soll über dieselben Strukturen wie der Vollzug des ArG sichergestellt werden. Dies bedeutet, dass die kantonalen Instanzen (Arbeitsinspektorate) für die Kontrolle der Einhaltung der Vorgaben des BGAP zuständig sein werden. Auf Bundesebene wird das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) für die Oberaufsicht über den Vollzug zuständig sein.
In der Vernehmlassung wurde die Schaffung eines separaten Bundesgesetzes mit branchenspezifischem Sonderrecht für die Pflege insbesondere vom Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden (VSAA) kritisiert. Die GDK sowie eine Mehrheit der Kantone haben sich dieser Kritik angeschlossen. Als Alternative wird vorgeschlagen, den Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes auf alle Arbeitnehmenden in der Pflege auszuweiten, analog zur Regelung für die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung in Artikel 4 a der Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 7³ zum Arbeitsgesetz (ArGV 1). Alle weiteren Bedingungen sollten in den entsprechenden Verordnungen festgelegt werden. Der VSAA argumentiert insbesondere damit, dass die Prüfaufgabe der kantonalen Arbeitsinspektorate durch das vorgeschlagene mehrstufige System zu komplex und die praktische Umsetzung zum Scheitern verurteilt werde.
Der Bundesrat hält mit Verweis auf die in Ziffer 1.2.1 dargelegten Überlegungen am E-BGAP und damit einem separaten Gesetz für die Arbeitsbedingungen in der Pflege fest. Für den Vollzug wird die Situation auch mit dem E-BGAP klar sein: In Betrieben, die keinen GAV gemäss den Artikeln 16 und 17 E-BGAP abgeschlossen haben, gelten die Bestimmungen gemäss E-BGAP und den zugehörigen Verordnungen. Gibt es jedoch einen GAV, der die Anforderungen in Artikel 16 E-BGAP erfüllt, dann kommen die darin enthaltenen Regelungen zum Zug.
7³ SR 822.111

4.3.2 Umsetzung der Änderungen des GesBG

Präzisierung im Verordnungsrecht
Die Revision des Verordnungsrechts betrifft mehrere Verordnungen: In der GesBKV sind die berufsspezifischen Kompetenzen für den Beruf der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN festzulegen. In der Gesundheitsberufeanerkennungsverordnung vom 13. Dezember 2019 7⁴ (GesBAV) muss die Gleichstellung inländischer Bildungsabschlüsse nach bisherigem Recht mit den Bildungsabschlüssen nach geltendem Recht in Bezug auf die Erteilung einer Berufsausübungsbewilligung geregelt werden. In der Verordnung des EDI vom 13. Dezember 2019 7⁵ über die Akkreditierung der Studiengänge nach GesBG schliesslich sind die Akkreditierungsstandards für den Master in Advanced Practice Nursing vorzusehen.
Vollzug des GesBG
Die Änderung des GesBG beruht hauptsächlich in der Regelung des Masterabschlusses in Advanced Practice Nursing und der Berufsausübung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN. Zu berücksichtigen sind aber auch die Kompetenzen im Bereich der digitalen Transformation.
Betreffend den Masterstudiengang und die digitalen Kompetenzen müssen die Bildungsinstitutionen die Bildungsgänge anpassen, damit sie die im Verordnungsrecht festgelegten Kompetenzen vermitteln. Dies wird bei der Akkreditierung oder künftigen (Re- )Akkreditierung überprüft. Das Akkreditierungsverfahren richtet sich nach dem Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz vom 30. September 2011 7⁶ (HFKG) und wird von der Schweizerischen Agentur für Akkreditierung und Qualitätssicherung (Schweizerische Akkreditierungsagentur) oder einer anderen vom Schweizerischen Akkreditierungsrat anerkannten Agentur durchgeführt.
Die Regelung der digitalen Kompetenzen gilt auch für die übrigen Berufe nach GesBG sowie für die Berufe nach MedBG und PsyG. So müssen alle bestehenden Bildungsgänge, welche heute die für die Ausübung der genannten Berufe erforderlichen Kompetenzen vermitteln, bei künftigen Reakkreditierungen auch den Erwerb der digitalen Kompetenzen ermöglichen.
Den kantonalen Behörden wird die Erteilung der Berufsausübungsbewilligung für die Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN gemäss den im Bundesrecht festgelegten Voraussetzungen obliegen. Sie werden auch für die Einhaltung der diesbezüglichen Übergangsbestimmungen zuständig sein.
Dem Schweizerischen Roten Kreuz, das bereits für die Anerkennung der übrigen Gesundheitsberufe nach GesBG zuständig ist, soll auch die Anerkennung der ausländischen Abschlüsse von Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN übertragen werden.
7⁴ SR 811.214
7⁵ SR 811.212.1
7⁶ SR 414.20

5 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1 Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege

1. Abschnitt:

Allgemeine Bestimmungen

Art. 1
Zweck
Die Ziele des Entwurfs ergeben sich aus der Pflicht des Bundes, im Rahmen seiner Zuständigkeiten Ausführungsbestimmungen über anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen für die in der Pflege tätigen Personen zu erlassen (vgl. Übergangsbestimmung zu Art. 117 b BV [Pflege], Art. 197 Ziff. 13 BV). Zu diesem Zweck will der Entwurf den Schutz der Arbeitnehmenden im Bereich der Pflege erhöhen, die Arbeitsbedingungen verbessern und die Sozialpartnerschaft fördern. Ziel ist auch, zu einer längeren Berufsverweildauer im Pflegebereich beizutragen.
Art. 2
Geltungsbereich
Gemäss Absatz 1 Buchstabe a erstreckt sich der Entwurf auf alle privat- oder öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber, die in der Pflege tätige Arbeitnehmende beschäftigen. Der Entwurf ist somit auch auf Arbeitnehmende anwendbar, die dem kantonalen oder kommunalen Personalrecht unterstehen. Er gilt ebenfalls für Arbeitgeber, die als Verleiher nach dem Arbeitsvermittlungsgesetz vom 6. Oktober 1989 7⁷ (AVG) Dritten Arbeitnehmende für den Einsatz in der Pflege überlassen.
Vom Geltungsbereich des Entwurfs erfasst sind auch die Arbeitnehmenden, die in der Pflege tätig sind (Abs. 1 Bst. b).
Nach Absatz 2 Buchstabe a gelten Personen, die Pflegeleistungen erbringen, als im Bereich der Pflege tätige Arbeitnehmende. Erfasst sind etwa Pflegeleistungen in den Bereichen Krankheit, Unfall oder Invalidität, aber auch in den Bereichen Alters- und Langzeitpflege oder Geburtshilfe. Es ist somit unerheblich, wie die Leistungen abgerechnet werden (KVG, Bundesgesetz vom 20. März 1981 ⁷8 über die Unfallversicherung [UVG], Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 ⁷9 über die Invalidenversicherung [IVG], Out-of-Pocket). Nicht erfasst werden hingegen Personen, die zwar eine Ausbildung im Pflegebereich vorweisen, aber nicht effektiv in der Pflege tätig sind. Dies betrifft namentlich die Pflegefachpersonen im schulärztlichen Dienst oder Pflegefachpersonen für Gesundheit am Arbeitsplatz. Der Entwurf gilt auch für Arbeitnehmende in Ausbildung zu einem Beruf, der sie dazu befähigt, Pflegeleistungen zu erbringen (Abs. 2 Bst. b). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang die Sondervorschriften zum Lehrvertrag, namentlich die Artikel 344-346 a OR und die Sonderregeln im Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 2002 8⁰ (BBG), insbesondere Artikel 14. Der Geltungsbereich des Entwurfs umfasst sowohl die Bereiche der Sekundarstufe II (Assistentin bzw. Assistent Gesundheit und Soziales EBA, Fachfrau bzw. Fachmann Gesundheit EFZ, Fachpersonen Betreuung EFZ) als auch der Tertiärstufe (Personen, die eine eidgenössische Fachprüfung, einen HF- oder FH-Abschluss, eine eidgenössische höhere Fachprüfung, einen NDS- oder einen Universitätsabschluss absolviert haben bzw. besitzen). Der Geltungsbereich des Entwurfs erstreckt sich zudem auf Hilfspersonen (Personen, die einen Pflegehelferkurs des Schweizerischen Roten Kreuzes absolviert haben oder über eine andere oder gar keine Ausbildung verfügen), die Personen nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a bei der Erbringung von Pflegeleistungen unterstützen (Abs. 2 Bst. c). Vom Geltungsbereich nicht erfasst sind hingegen Nachtwachen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, da sie nicht Personen bei der Erbringung von Pflegeleistungen unterstützen.
Der Bundesrat bezeichnet die Pflegeleistungen auf dem Verordnungsweg (Abs. 3). Er kann sich dabei auf die Liste der Leistungen in Artikel 7 KLV stützen.
7⁷ SR 823.11
⁷8 SR 832.20
⁷9 SR 831.20
8⁰ SR 412.10
Art. 3
Ausnahmen vom Geltungsbereich
Um zu verhindern, dass der Entwurf nur auf einen sehr kleinen Personenkreis innerhalb einer Einrichtung anwendbar ist, sind Einrichtungen mit einem kantonalen Leistungsauftrag im sozialen Bereich vom Geltungsbereich ausgeschlossen, sofern die Pflege nur einen geringen Teil ihrer Tätigkeit ausmacht (Abs. 1 Bst. a). Was unter einem «geringen Teil ihrer Tätigkeit» zu verstehen ist, kann in der Verordnung konkretisiert werden. Diese Ausnahmeregelung kann beispielsweise auf bestimmte sozialmedizinische Einrichtungen für Menschen mit Behinderung sowie auf Institutionen wie Justizvollzugsanstalten oder Flüchtlingsunterkünfte angewendet werden. Den Kantonen, die diese Einrichtungen über kantonale Leistungsvereinbarungen in der Regel finanzieren, steht es aber frei, sie dem Geltungsbereich des Entwurfs zu unterstellen (Abs. 2).
Der Entwurf gilt nicht für private Haushalte, die als Arbeitgeber eine Person nach Artikel 2 Absatz 2 beschäftigen (Abs. 1 Bst. b). Auch beim ArG sind private Haushalte vom Geltungsbereich ausgeschlossen (Art. 2 Abs. 1 Bst. g ArG); dies soll hier gleich gehandhabt werden, nicht zuletzt, weil der Vollzug des BGAP durch die gleichen Organe geschehen soll wie beim ArG und der Aufbau einer separaten Vollzugsorganisation für die privaten Haushalte einen unverhältnismässigen Aufwand darstellen würde. Der Ausschluss greift etwa dann, wenn ein privater Haushalt eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer direkt im Rahmen einer Live-in-Betreuung anstellt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass private Haushalte bei einer direkten Anstellung von Pflegenden nicht im rechtsfreien Raum agieren können, sondern den Vorgaben gemäss OR und Normalarbeitsverträgen unterstehen. Darüber hinaus gilt das BGAP selbstverständlich für Spitexorganisationen, deren Arbeitnehmende ihre Pflegeleistungen in Privathaushalten erbringen.
Nach Absatz 1 Buchstabe c sind Arbeitnehmende, die eine höhere leitende Tätigkeit nach Artikel 3 Buchstabe d ArG ausüben, vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Die höhere leitende Tätigkeit wird in Artikel 9 ArGV 1 umschrieben. Im Rahmen des vorliegenden Entwurfs ist massgebend, dass diese Personen neben ihrer Führungsfunktion keine Pflegeleistungen erbringen. Diese Ausnahme betrifft beispielsweise Arbeitnehmende in Pflegeheimen, die sich ausschliesslich Führungsaufgaben widmen, nicht aber Teamleitende, die Pflegeleistungen erbringen und im Schichtbetrieb arbeiten. Den Arbeitgebern steht es im Übrigen frei, die Vorgaben dieses Gesetzes im Rahmen von GAV-Verhandlungen oder nach eigenem Ermessen auf weitere Personen (Ärztinnen und Ärzte, weitere Gesundheitsfachpersonen, Restaurantpersonal, technisches Personal, administratives Personal usw.) auszuweiten.
Art. 4
Verhältnis zu anderen Erlassen
Die Bestimmungen über den Gesundheitsschutz und über die Arbeits- und Ruhezeit in den Artikeln 5-14 des vorliegenden Entwurfs gehen den in Absatz 1 Buchstabe a genannten Erlassen des Bundes vor. Diese Erlasse (ArG, OR und AVG) regeln zum Teil Aspekte, welche auch im BGAP geregelt sind, weshalb eine Konkurrenznorm erforderlich ist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass - vielleicht nicht heute, aber in Zukunft - auch andere Erlasse auf Bundesebene Aspekte regeln, die im BGAP geregelt sind. In diesem Fall wären anlässlich der Gesetzesauslegung zur Klärung der Frage, welche Bestimmung Vorrang hat, die Ziele der Pflegeinitiative und deren Umsetzung im BGAP in jedem Fall zu berücksichtigen und damit auch die Regelung des Verhältnisses zu den in Buchstabe a genannten Erlassen.
Gemäss Buchstabe b gilt der Vorrang des BGAP auch im Verhältnis zum kantonalen und kommunalen Dienstrecht. Diese Klärung ist erforderlich, weil ein Teil der in der Pflege tätigen Arbeitnehmenden diesem Dienstrecht untersteht. Darüber hinaus hält Absatz 2 fest, dass auf allen Stufen (Erlasse von Bund, Kantonen und Gemeinden) zugunsten des Schutzes der Arbeitnehmenden von den Vorgaben des BGAP abgewichen werden darf (vgl. diesbezüglich auch die Möglichkeit der Abweichungen durch Abrede gemäss Art. 16 Abs. 1).

2. Abschnitt:

Arbeitsbedingungen

Die Artikel 5-16 enthalten einerseits grundsätzliche Vorgaben, die im Rahmen von Arbeitsverhältnissen im Pflegebereich gelten sollen, und legen anderseits die Bereiche fest, in denen der Bundesrat die Kompetenz erhält, nach Anhörung der Sozialpartner einzelne Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal auf Verordnungsstufe zu konkretisieren (vgl. Art. 15). Der Bundesrat wird sich auch an den Vorgaben der GAV im Pflegebereich orientieren.
Art. 5
Wöchentliche Höchstarbeitszeit und Ausgleich von Überzeit
Die gesetzlich vorgeschriebene Höchstarbeitszeit, welche im ArG festgelegt wird, hat in der Praxis insbesondere als wichtige Massnahme zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden eine grosse Bedeutung. Dies ist der Grund, weshalb die im Bereich der Pflege neu festgelegte Höchstarbeitszeit von 45 Stunden sowohl im BGAP (Art. 5) als auch im ArG festgehalten wird (vgl. Artikel 27 BGAP, der eine Änderung von Art. 9 Abs. 1 Bst. a ArG vorsieht). Diese Regelung ist zudem gerechtfertigt, weil die für den Vollzug des ArG zuständigen kantonalen Behörden auch mit dem Vollzug des BGAP beauftragt werden und eine klare Vorgabe im ArG für die Vollzugspraxis hilfreich ist. Die Festlegung im BGAP ist notwendig, weil der Anwendungsbereich des BGAP betreffend Arbeits- und Ruhezeiten von in der Pflege tätigen Arbeitnehmenden etwas weiter gefasst ist als der Anwendungsbereich des ArG.
Derzeit beträgt die wöchentliche Höchstarbeitszeit für in der Pflege tätige Arbeitnehmende nach Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b ArG 50 Stunden. Absatz 1 hat zur Folge, dass das vom Entwurf betroffene Personal in die Kategorie der Arbeitnehmenden aufgenommen wird, für die eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 Stunden gilt (vgl. Art. 9 Abs. 1 Bst. a ArG). Die Bestimmungen der ArGV 1, die Artikel 9 ArG betreffen, gelten auch für alle vom BGAP erfassten Arbeitnehmenden. Ziel von Absatz 1 ist in erster Linie, die Gesundheit der in der Pflege tätigen Arbeitnehmenden zu schützen, die Vereinbarkeit mit dem Familienleben zu verbessern und die Teilnahme am sozialen Leben sicherzustellen. Diese Anpassung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit ist zu unterscheiden von der Normalarbeitszeit, die in der Regel im Einzelarbeitsvertrag oder im gegebenenfalls anwendbaren GAV vereinbart wird (vgl. Art. 6).
Der Ausgleich für Überzeitarbeit bemisst sich nach Artikel 13 ArG (Abs. 2). Dieser sieht entweder den Ausgleich durch Freizeit von gleicher Dauer vor, innert eines angemessenen Zeitraums und nur sofern die oder der einzelne Arbeitnehmende damit einverstanden ist, oder dann einen Lohnzuschlag von mindestens 25 Prozent. Die Bestimmungen der ArGV 1, die Artikel 13 ArG betreffen, sind ebenfalls anwendbar. Nach Anhörung der Sozialpartner (vgl. Art. 15) kann der Bundesrat einen höheren Mindestausgleich vorsehen (Abs. 3), sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Art. 6
Wöchentliche Normalarbeitszeit
Die Bandbreite von 40-42 Stunden pro Woche (Abs. 1) entspricht der heutigen Praxis, wie insbesondere aus den geltenden GAV hervorgeht. Gemäss der RFA gilt in fast allen befragten Institutionen eine wöchentliche Normalarbeitszeit zwischen 40 und 42,5 Stunden. Der Mittelwert und der Median betragen 42 Stunden. 8¹ Es handelt sich dabei um die normalerweise gearbeitete Zeit, die gewöhnlich im Einzelarbeitsvertrag oder im gegebenenfalls anwendbaren GAV vereinbart ist. Im Schweizer Recht gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit. Es ist immer möglich, länger als die vereinbarte Zeit zu arbeiten. Bei deren Überschreitung kommt die Überstundenregelung nach Artikel 321 c OR zur Anwendung.
Mit der vorliegenden Anpassung soll der Druck, der auf den in der Pflege tätigen Arbeitnehmenden lastet, gesenkt werden. Zudem sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit das Pflegepersonal ein Familien- und Sozialleben führen kann. Die Parteien können eine tiefere Normalarbeitszeit vereinbaren. Die Normalarbeitszeit ist zu unterscheiden von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit (vgl. Erläuterungen zu Art. 5).
Nach Anhörung der Sozialpartner (vgl. Art. 15) kann der Bundesrat anstelle der in Absatz 1 vorgesehenen 42 Stunden einen tieferen Höchstwert festlegen (Abs. 2), sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Präzisierung einer Untergrenze von 40 Stunden in Artikel 6 Absatz 1 ist aus Gründen der Gesetzesdelegation notwendig. Sie bildet den unteren Grenzwert für eine allfällige bundesrätliche Vorgabe; dieser Grenzwert kann aber weiter unterschritten werden, namentlich durch Einzel- oder Gesamtarbeitsvertrag (vgl. Art. 16).
Artikel 6 E-BGAP regelt zwar die Obergrenze der wöchentlichen Normalarbeitszeit, äussert sich aber nicht zur Frage, ob der Lohn im Fall einer Reduktion der wöchentlichen Normalarbeitszeit gleich bleibt oder anteilig gekürzt wird.
8¹ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
Art. 7
Ausgleich von Überstunden
Angesichts der negativen Auswirkungen, die zu viele Überstunden auf das Sozialleben der Arbeitnehmenden haben können, sind spezifische Massnahmen gerechtfertigt. Mit einem finanziellen oder zeitlichen Ausgleich kann diesen Belastungen zumindest teilweise Rechnung getragen werden, was zu einer grösseren Arbeitszufriedenheit beiträgt. Gemäss der RFA leisten Vollzeitarbeitnehmende bei rund der Hälfte der befragten Institutionen durchschnittlich unter einer Stunde Überstunden pro Woche. Bei der anderen Hälfte sind es durchschnittlich eine bis fünf Überstunden pro Woche. 8²
In terminologischer Hinsicht beziehen sich Überstunden auf die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitszeit. Die Überzeitarbeit hingegen ist im ArG geregelt und bezieht sich auf die darin definierte wöchentliche Höchstarbeitszeit. Damit gelten Arbeitsstunden, welche die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit überschreiten, als Überstunden, die durch Artikel 321 c OR geregelt sind. Die Überstunden entsprechen somit den Arbeitsstunden, die zwischen Normalarbeitszeit (zwischen 40 und 42 Stunden) und Höchstarbeitszeit (45 Stunden, siehe Art. 5 und 26) geleistet werden, also 3-5 Arbeitsstunden pro Woche. Darüber hinaus geleistete Arbeitszeit gilt als Überzeit.
Eine Regelung im Rahmen des BGAP ist nötig, da der Entwurf anders als die Vorgabe gemäss Artikel 321 c Absatz 3 OR nicht zulässt, dass zu Ungunsten des oder der Arbeitnehmenden durch schriftliche Abrede oder Normalarbeitsvertrag von diesen Grundsätzen abgewichen wird. Abweichungen zu Ungunsten der Arbeitnehmenden sind nur im Rahmen von GAV möglich, welche die spezifischen Anforderungen nach Artikel 16 Absatz 2 BGAP erfüllen. Gemäss diesem Artikel sind solche Abweichungen nur zulässig, wenn ein GAV zu sämtlichen in den Artikeln 5-14 BGAP geregelten Arbeitsbedingungen Bestimmungen enthält und er von der Mehrheit der repräsentativen Arbeitnehmerorganisationen der Branche, der Region oder des Betriebs unterzeichnet ist.
Überstundenarbeit muss durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer ausgeglichen werden (Abs. 1). Kann Überstundenarbeit aus betrieblichen Gründen nicht durch Freizeit ausgeglichen werden, so entrichtet der Arbeitgeber den Normallohn und einen Zuschlag von mindestens 25 Prozent (Abs. 2). Die Höhe des vorgesehenen Mindestausgleichs entspricht der Vorgabe gemäss Artikel 321 c OR (vgl. auch den Ausgleich von Überzeit gemäss Art. 13 ArG).
Nach Anhörung der Sozialpartner (vgl. Art. 15) bestimmt der Bundesrat die zulässige Anzahl Überstunden und die Zeitspanne, innerhalb der diese geleistet werden dürfen (Abs. 3). Er kann den Mindestausgleich nach den Absätzen 1 und 2 erhöhen (Abs. 4), sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
8² Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
Art. 8
Ausgleich von Nachtarbeit
Nachtarbeit (Art. 16 ArG) ist grundsätzlich untersagt. Dieses Verbot und die Bestimmungen zur Begrenzung der Nachtarbeit (Art. 17 a und 17 b ArG) beruhen auf Überlegungen zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden, die Erholung benötigen. Nachtruhe ist unentbehrlich für die Regeneration des Organismus. Im Gesundheitswesen bleibt Nachtarbeit notwendig, um die Kontinuität bei der Behandlung zu gewährleisten und den Patientenbedürfnissen gerecht zu werden. Ausnahmen sowie Begrenzungen sind vorgesehen, die unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung kommen. Für vorübergehend verrichtete Nachtarbeit ist im ArG nur eine Pflicht zur Bezahlung eines Lohnzuschlags vorgesehen (25 Prozent für Nachtarbeit, Art. 17 b Abs. 1 ArG). Bei dauernder oder wiederkehrender Nachtarbeit wird auch ein Ausgleich von 10 Prozent der Zeit, in welcher Nachtarbeit geleistet wurde, gewährt (Art. 17 b Abs. 2 ArG). Die RFA zeigt, dass Kompensationen für Nachtarbeit nahezu bei allen Institutionen gängige Praxis sind. 8³
Im Entwurf, der einen breiteren Geltungsbereich als das ArG hat, ist vorgesehen, dass sich der Ausgleich für Nachtarbeit nach Artikel 17 b ArG (Abs. 1) bemisst. Die Be-stimmungen der ArGV 1, die Artikel 17 b ArG betreffen, sind ebenfalls anwendbar. Nach Anhörung der Sozialpartner (vgl. Art. 15) kann der Bundesrat einen höheren Mindestausgleich vorsehen, sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern (Abs. 2). Er wird sich an den GAV im Pflegebereich orientieren, die einen Ausgleich in irgendeiner Form für Nachtarbeit vorsehen.
8³ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
Art. 9
Ausgleich der Sonn- und Feiertagsarbeit
Sonntagsarbeit (Art. 18 ArG) ist grundsätzlich untersagt. Dieses Verbot und die Be-stimmungen zur Begrenzung der Sonntagsarbeit (Art. 19 und 20 ArG) beruhen auf Überlegungen zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden, die Erholung benötigen. Die Sonntagsruhe basiert auch auf sozialen, kulturellen und religiösen Grundsätzen. Im Gesundheitswesen bleibt Sonn- und Feiertagsarbeit notwendig, um die Kontinuität bei der Behandlung zu gewährleisten und den Patientenbedürfnissen gerecht zu werden. Ausnahmen sowie Begrenzungen sind vorgesehen, die unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. Bewilligung durch die zuständige Behörde) zur Anwendung kommen. Für vorübergehend verrichtete Sonntagsarbeit sind im ArG eine Pflicht zur Bezahlung eines Lohnzuschlags (50 Prozent für Sonntagsarbeit, Art. 19 Abs. 3 ArG) und spezifische Regeln für den Ausgleich durch Freizeit (Art. 20 ArG) festgehalten. Die RFA zeigt, dass Kompensationen für Arbeit an Sonntagen nahezu bei allen Institutionen gängige Praxis sind. 8⁴
Gemäss Entwurf, der einen breiteren Geltungsbereich als das ArG hat, bemisst sich die Ersatzruhe für Sonn- und Feiertagsarbeit nach Artikel 20 ArG (Abs. 1). Die Be-stimmungen der ArGV 1, die Artikel 20 ArG betreffen, sind ebenfalls anwendbar. Zusätzlich zur Ersatzruhe haben die Arbeitnehmenden Anspruch auf einen Lohnzuschlag von mindestens 50 Prozent für Sonn- und Feiertagsarbeit (Abs. 2; vgl. diesbezüglich etwa Art. 19 Abs. 3 ArG zum Ausgleich bei vorübergehender Sonntagsarbeit). Nach Anhörung der Sozialpartner (vgl. Art. 15) kann der Bundesrat einen höheren Mindestausgleich vorsehen, sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern (Abs. 3); dies gilt sowohl für den zeitlichen als auch für den finanziellen Ausgleich. Der Bundesrat wird sich an den GAV im Pflegebereich orientieren, die Ausgleiche in irgendeiner Form für Sonntags- und Feiertagsarbeit festlegen.
8⁴ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
Art. 10
Umkleidezeit
Das ArG und sein Ausführungsrecht enthalten keine ausdrückliche Regelung dazu, ob Umkleidezeit als Arbeitszeit gilt. Das SECO hält diesbezüglich fest, dass alles, was obligatorisch Teil des Arbeitsprozesses ist, als Arbeitszeit gilt (vgl. Wegleitung des SECO zu Art. 13 ArGV 1) 8⁵ . Eine Regelung im BGAP ist nötig, da das ArG im Bereich der Arbeits- und Ruhezeiten nicht für alle Einrichtungen anwendbar ist, die in der Pflege tätige Arbeitnehmende beschäftigen. Zudem ist die Bezahlung der Umkleidezeit im ArG nicht geregelt. Dieser Punkt fällt unter das OR, das aber keine spezifischen Bestimmungen enthält. Daraus ergeben sich erhebliche Unterschiede in der Bezahlung der Umkleidezeit im Bereich der Pflege: Einige Arbeitgeber entrichten eine Pauschale, ohne die Umkleidezeit als bezahlte Arbeitszeit zu zählen. Gemäss der RFA wird die Umkleidezeit häufig nicht bezahlt. Im Spitex-Bereich ziehen sich die Arbeitnehmenden grundsätzlich bereits zu Hause um. 8⁶
Im Entwurf wird der Grundsatz festgelegt, dass Umkleidezeit als Arbeitszeit zählt und abzugelten ist, wenn aufgrund des Arbeitsprozesses eine Umkleidung am Arbeitsplatz erforderlich ist. In der Verordnung kann die Umkleidezeit als feste und nicht als individuelle Zeitspanne konkretisiert werden.
8⁵ Wegleitung abrufbar unter www.seco.admin.ch
> Arbeit > Arbeitsbedingungen > Arbeitsgesetz und Verordnungen > Wegleitungen zum Arbeitsgesetz und seinen Verordnungen > Wegleitung zur ArGV 1 > Kapitel 2: Arbeits- und Ruhezeiten > 1. Abschnitt Allgemeine Bestimmungen > ArGV 1 Artikel 13: Begriff der Arbeitszeit.
8⁶ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.zum Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege.
Art. 11
Mindestdauer und Entlöhnung von Pausen
Pausen dienen dazu, den Arbeitnehmenden genügend Zeit für Erholung, Entspannung und Verpflegung zu gewähren und so Überlastungen und das Risiko von Unfällen zu vermeiden (vgl. Art. 15 Abs. 1 ArG). Arbeiten ohne angemessene Pausen schränkt die Effizienz der Arbeitnehmenden ein und kann die Arbeitsqualität beeinträchtigen. Im ArG ist die Entlöhnung der Pausen nicht geregelt und in der Praxis gibt es sehr unterschiedliche Lösungen. Eine Regelung ist notwendig, da die Entlöhnung der Pausen bewirken kann, dass sie tatsächlich bezogen werden. Das ist nicht nur wichtig, um die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu schützen, sondern auch um ihre Leistungsfähigkeit und Arbeitsqualität zu wahren. Die Vertiefung der RFA zeigt, dass eine überwiegende Mehrheit der Arbeitgeber in der Pflege bezahlte Pausen gewährt. 8⁷
Im Entwurf ist vorgesehen, dass sich die Unterbrechung der Arbeit durch Pausen an Artikel 15 Absatz 1 ArG orientiert (Abs. 1). Die Bestimmungen der ArGV 1, die Artikel 15 Absatz 1 ArG betreffen, sind ebenfalls anwendbar. Im Entwurf ist eine Bezahlung der Pausen vorgesehen, wenn die Arbeitnehmenden ihren Arbeitsplatz nicht verlassen dürfen (Abs. 2).
8⁷ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
Art. 12
Anrechnung und Ausgleich von Bereitschafts- und Pikettdienst
Mit dieser Bestimmung werden die Unannehmlichkeiten berücksichtigt, die Arbeitnehmenden entstehen, wenn sie sich für einen möglichen Einsatz bereithalten und nicht frei über ihre Zeit verfügen können. Gemäss der RFA gab etwas mehr als die Hälfte der Institutionen an, dass Pflegende Pikett- bzw. Bereitschaftsdienst leisten. 8⁸
Das ArG und seine Verordnungen regeln die Einordnung von Pikettdienst als Arbeitszeit (Art. 14-16 ArGV 1). Ein wichtiges Kriterium zur Abgrenzung des Pikettdienstes von anderen Bereitschaftsdiensten besteht darin, dass sich die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer beim Pikettdienst neben der normalen Arbeit für allfällige Arbeitseinsätze «für die Behebung von Störungen, die Hilfeleistung in Notsituationen, für Kontrollgänge oder für ähnliche Sonderereignisse» bereithält (Art. 14 Abs. 1 ArGV 1).
Eine Regelung im BGAP ist notwendig, da die Bestimmungen des ArG im Bereich der Arbeits- und Ruhezeiten nicht für alle in der Pflege tätigen Arbeitnehmenden gelten. Zudem regelt das ArG nicht alle Formen von Bereitschaftsdienst.
Gemäss Entwurf bestimmt der Bundesrat, in welchem Umfang Bereitschafts- und Pikettdienste als bezahlte Arbeitszeit gelten und wie diese Dienste auszugleichen sind. Es sollen Bestimmungen zum Pikett- und Bereitschaftsdienst erlassen werden, die einheitlich angewendet werden und den Arbeitnehmenden die Möglichkeit geben, im Rahmen des neuen Gesetzes einen Anspruch geltend zu machen. Es geht hier um die Regelung der Bereitschaftszeit ohne effektiven Einsatz oder Arbeitsleistung. Effektive Einsätze oder Arbeitsleistungen gelten klar als Arbeitszeit, die zum vollen Satz zu entschädigen ist. Ziel ist auch, die Begrifflichkeiten zu klären und alle Fälle abzudecken, da es sich bei einigen als Pikett bezeichneten Situationen nicht um Pikettdienste im rechtlichen Sinne handelt.
Was den Ausgleich von Pikett- oder Bereitschaftsdienst betrifft, haben die Arbeitnehmenden Anspruch auf eine Mindestentschädigung pro geleistete Stunde. Dieser Punkt ist nicht im ArG geregelt, sondern ergibt sich aus dem OR. Die Bestimmungen des OR zum Arbeitsvertrag (Art. 319 ff. OR) enthalten keine spezielle Regelung der Entschädigung von Pikett- oder Bereitschaftsdienst. Die Rechtsprechung hat aber aus den allgemeinen Bestimmungen des OR Regeln zu diesen Fragen abgeleitet. ⁸9 Der Bundesrat wird sich somit an der Rechtsprechung in diesem Bereich und auch an den GAV im Pflegebereich orientieren können, die Entschädigungen für Pikett- und Bereitschaftsdienst vorsehen, wobei eine Abgrenzung von der Einordnung als Arbeitszeit nach ArG erforderlich ist. Damit Pikett- oder Bereitschaftsdienst überhaupt entschädigt wird, muss er zuerst als Arbeitszeit eingestuft werden. Die Rechtsprechung zum OR betreffend Pikettdienst geht weiter als die Regeln des ArG, insbesondere was den Pikett- oder Bereitschaftsdienst ausserhalb des Arbeitsorts anbelangt. Während nach Artikel 15 Absatz 2 ArGV 1 ausserhalb des Betriebs geleisteter Pikettdienst nicht als Arbeitszeit gilt (abgesehen von der tatsächlich geleisteten Arbeit und den Wegzeiten), ordnet die Rechtsprechung zum OR diese ausserhalb des Betriebs verbrachte Bereitschaftszeit als Arbeitszeit ein, die aber zu einem unter dem vollen Lohn liegenden Satz entschädigt werden kann. 9⁰ Für die Einordnung der Arbeitszeit im Zusammenhang mit der Entschädigung wird diese Rechtsprechung massgebend sein.
8⁸ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
⁸9 Vgl. Rechtsgutachten von Kurt Pärli «Übersicht über in der Schweiz vorhandene Regelungen (GAV, kantonales Recht, OR, ArG) zu ausgewählten Aspekten in Arbeitsverhältnissen von in der Pflege tätigen Personen», 15. Oktober 2023, im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit, Rz. 100, abrufbar unter
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente. Unter anderem BGE 4A_334/2017 E. 2.3; 4A_523/2010 vom 22.11.2010 E. 5.1.
9⁰ BGE 124 III 249 E. 3a und b. Siehe auch Bericht des Bundesrats vom 17. November 2021 «Arbeit auf Abruf regeln», Ziff. 3.4, abrufbar unter
www.parlament.ch > Suche: 19.3748 Postulat Cramer.
Art. 13
Ankündigung von Dienstplänen und Bereitschafts- und Pikettdiensten
Die Frage der nicht geplanten Arbeitseinsätze ist abzugrenzen vom Pikett- und Bereitschaftsdienst. Es handelt sich um Anpassungen der Arbeitszeiten oder gegebenenfalls der Arbeitsdauer, die den allgemeinen Bestimmungen des OR unterliegen. Das OR enthält keine besonderen Bestimmungen zu dieser Frage. Anpassungen der Arbeitszeiten können unter die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers fallen (Art. 321 d OR), der die vertraglichen Regelungen (Einzelarbeitsvertrag, GAV) und das zwingende Recht, insbesondere den Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin (Art. 328 OR), beachten muss.
Die im ArG vorgesehene Ankündigungsfrist von «in der Regel» mindestens zwei Wochen vor einem geplanten Arbeitseinsatz (Art. 47 Abs. 1 Bst. a ArG, Art. 69 Abs. 1 ArGV 1) ist im Bereich der Pflege zu kurz und zu unverbindlich. Eine Anpassung ist erforderlich, da kurzfristige Arbeitseinsätze und kurzfristige Änderungen der Einsatzplanung zu den Hauptgründen für die hohe Zahl von Berufsausstiegen im Bereich der Pflege gehören, in dem viele betreuungspflichtige Frauen tätig sind. Diese kurzfristig angekündigten Einsätze erschweren die Vereinbarkeit zwischen Berufs- und Privatleben erheblich, vor allem wenn sie wiederholt auftreten. Unregelmässige Arbeitszeiten können zudem gesundheitsbelastend sein. Die RFA zeigt, dass eine Ankündigungsfrist von vier Wochen bereits gängige Praxis ist. Heute sehen 83 Prozent der befragten Institutionen mindestens vier Wochen vor. 9¹ Mit dieser Massnahme soll aber die organisatorische Freiheit von Einrichtungen, die bereits heute eine mehr als vier Wochen im Voraus erfolgende partizipative Planung ermöglichen, keineswegs eingeschränkt werden. Es geht lediglich darum, eine Mindestfrist für die Ankündigung der Dienstpläne festzulegen.
Absatz 1 sieht vor, dass die Arbeitgeber die Dienstpläne einschliesslich der geplanten Pikett- und Bereitschaftsdienste mindestens vier Wochen im Voraus ankündigen müssen. Ungeplante Arbeitseinsätze können sich negativ auf das Sozialleben und die Arbeitszufriedenheit der Arbeitnehmenden auswirken. Solche Einsätze sollten deshalb nicht allzu häufig vorkommen. Im Interesse der Patientenversorgung ist es manchmal aber unvermeidbar, dass Arbeitnehmende kurzfristig aufgeboten werden.
Aus praktischen Gründen ist der Anspruch auf Ausgleich auf Änderungen beschränkt, die weniger als zwei Wochen vor einem zu leistenden Einsatz angekündigt werden (Qualität der Einsatzplanung, Vermeiden einer zu starken Erstarrung des Systems). Der zusätzliche zeitliche oder finanzielle Ausgleich entspricht 25 bis 50 Prozent des geleisteten Einsatzes. Sofern betrieblich möglich, muss dieser Ausgleich in Form eines zeitlichen Ausgleichs erfolgen (Abs. 2). Gegen Arbeitgeber, welche die Vorankündigungsfrist von vier Wochen für die verschiedenen Dienstpläne regelmässig missachten, können Sanktionen verhängt werden (vgl. Art. 21).
Nach Anhörung der Sozialpartner (vgl. Art. 15) kann der Bundesrat eine längere Mindestankündigungsfrist vorsehen (Abs. 3), sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Er bestimmt zudem die Abstufung des zeitlichen und finanziellen Ausgleichs, in Abhängigkeit von der Ankündigungsfrist (Abs. 4). Die Frist beginnt zum Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Abweichung vom Dienstplan ankündigt. Diese Regelung hat somit keine Auswirkungen auf den freiwilligen Abtausch von Arbeitseinsätzen zwischen Mitarbeitenden.
Nach Absatz 5 Buchstabe a gelten die Bestimmungen für die Ankündigung der Dienstpläne einschliesslich der geplanten Pikett- und Bereitschaftsdienste (Abs. 1) und für den Ausgleich von ungeplanten Einsätzen (Abs. 2) nicht für Personen, die sich freiwillig und generell für ausserplanmässige Einsätze zur Verfügung stellen (beispielsweise Personalpools), sofern in ihrem Arbeitsvertrag für diese Form von Ein-sätzen pauschale Abgeltungen vorgesehen sind. Auf die Festlegung einer minimalen Höhe der pauschalen Abgeltungen wird verzichtet, um den Handlungsspielraum der Arbeitgeber nicht unnötig einzuschränken. Es handelt sich um flexible Arbeitsformen, beispielsweise um Arbeit auf Abruf. Diese Arbeitsformen sind definitionsgemäss auf kurzfristige Einsätze ausgerichtet und werden als solche von den Arbeitnehmenden, die darin auch Vorteile sehen, akzeptiert. Allerdings muss es sich um Arbeitsformen handeln, die einzig für Aushilfspersonal vorgesehen sind. Es ist nicht zulässig, dass eine Institution solche Arbeitsmodelle für ihr gesamtes Personal vorsieht, denn dies würde einer Umgehung der im BGAP festgelegten Regeln gleichkommen. Absatz 5 Buchstabe b legt eine vergleichbare Ausnahme für Arbeitnehmende fest, die über Verleiher nach Artikel 12 Absatz 1 AVG zum Einsatz kommen.
9¹ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
Art. 14
Konkurrenz verschiedener Vorschriften zum finanziellen Ausgleich
Gemäss dieser Regelung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden den finanziellen Ausgleich jeweils nach jener Bestimmung dieses Gesetzes gewähren, die für sie am günstigsten ist. Dies gilt beispielsweise, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer an einem Sonntag Überstunden leistet.
Art. 15
Anhörung der Sozialpartner
Der Bundesrat erlässt die Vorschriften, die nach den Artikeln 5-9, 12 und 13 in seinen Kompetenzbereich fallen, nach Anhörung der Sozialpartner. Er wird sich auch an den Regeln orientieren, die in den bestehenden GAV vereinbart worden sind.
Art. 16
Abweichungen durch Abrede
Die Möglichkeit, zugunsten oder zu Ungunsten der Arbeitnehmenden von den Artikeln 5-14 abzuweichen, soll die Verantwortung der Sozialpartner zur Ausarbeitung von an die Besonderheiten des betroffenen Sektors angepassten Regeln stärken. Abweichungen zugunsten der Arbeitnehmenden sind durch jegliche Formen einer Abrede möglich. Für eine Abweichung zu Ungunsten der Arbeitnehmenden gelten hingegen strikte Bedingungen. Sie sind gestützt auf Absatz 2 nur durch GAV zulässig, nicht aber durch Einzelarbeitsverträge oder andere Abreden. Zudem müssen die GAV bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Nur wenn ein GAV zu sämtlichen in den Artikeln 5-14 genannten Arbeitsbedingungen eine Regelung enthält (Abs. 2 Bst. a) und dieser von der Mehrheit der repräsentativen Arbeitnehmerorganisationen der Branche, der Region oder des Betriebs unterzeichnet ist (Abs. 2 Bst. b), kann er Abweichungen von den Vorgaben der Artikel 5-14 zu Ungunsten der Arbeitnehmenden vorsehen. Die Anforderung, dass sämtliche in diesen Artikeln genannten Bedingungen geregelt sein müssen, soll verhindern, dass das neue Gesetz nur teilweise angewendet würde, und seinen Vollzug erleichtern.
Für den Abschluss eines GAV nach Artikel 16 des Entwurfs müssen die Parteien über die Zuständigkeit für den Abschluss von GAV (Tariffähigkeit) gemäss den Voraussetzungen nach Artikel 356 OR verfügen. Die Arbeitnehmerverbände müssen als juristische Personen organisiert sein, der freie Ein- und Austritt ist zu gewährleisten und die Verbände müssen vom Arbeitgeber oder von Dritten unabhängig sein. Weiter ist sicherzustellen, dass Abweichungen von den nach den Artikeln 5-14 vorgesehenen Bedingungen nicht mit sehr minoritären oder marginalen Arbeitnehmerverbänden oder Ad-hoc-Verbänden vereinbart werden. Dazu übernimmt Artikel 16 die Bedingungen, die in Artikel 73 a Absatz 4 ArGV 1 im Zusammenhang mit dem Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung festgelegt sind. Die Voraussetzung der Repräsentativität wurde von der Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Anspruch auf GAV-Verhandlungen und auf den Beitritt zu einem GAV entwickelt 9² und gilt hier gleichermassen. Die Repräsentativität bestimmt sich also nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Minderheitsgewerkschaften sind nicht von vornherein ausgeschlossen und können im Einzelfall repräsentativ sein. Der vertragsschliessende Verband muss auch örtlich und materiell zuständig sein (so muss eine Gewerkschaft Pflegepersonal zu ihren Mitgliedern zählen und deren Interessen vertreten und sie muss am Ort tätig sein, der vom GAV abgedeckt wird). Weiter hat der Verband das Erfordernis der Loyalität zu erfüllen. Die Kriterien der Repräsentativität und Loyalität sind auch von der Rechtsprechung anerkannt 9³ . Bei mehreren repräsentativen Verbänden muss der GAV von der Mehrheit unterzeichnet sein. Das Kriterium ist vor allem quantitativ, kann aber in besonderen Fällen auch Aspekte im Zusammenhang mit dem sozio-politischen Gewicht und der jeweiligen Grösse der Verbände berücksichtigen, beispielsweise wenn zwei repräsentative Verbände existieren und deshalb keine quantitative Mehrheit ermittelt werden kann.
Im Rahmen dieser Verhandlungen soll es aber nicht möglich sein, von den Regeln des ArG, den zwingenden Vorschriften des OR oder anderen zwingenden allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Bundes und der Kantone abzuweichen. In Absatz 3 ist deshalb vorgesehen, dass zwingende Bestimmungen anderer Erlasse des Bundes und der Kantone vorbehalten bleiben.
GAV, welche die Voraussetzungen nach Artikel 16 Absatz 2 erfüllen (Regelung sämtlicher in den Artikeln 5-14 BGAP geregelten Arbeitsbedingungen im GAV, Unterzeichnung durch die Mehrheit der repräsentativen Organisationen), haben Vorrang vor weiteren anwendbaren GAV, selbst wenn diese allgemeinverbindlich erklärt worden sind (Abs. 4). Diese Bestimmung weicht damit von Artikel 4 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 28. September 1956 9⁴ über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen ab, wonach allgemeinverbindliche GAV Vorrang haben. Der GAV Personalverleih hat deshalb keinen Vorrang vor den nach Artikel 16 abgeschlossenen GAV, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen nach Artikel 16 Absatz 2 BGAP. Sollte eine Person mehr als einem GAV unterliegen, der die Voraussetzungen nach Absatz 2 erfüllt, kommen die in den GAV in der Regel vorgesehenen Kollisionsregeln zur Anwendung (z. B. Subsidiaritätsklausel). Fehlen solche, gelten die allgemeinen Kollisionsregeln (Vorrang eines allgemeinverbindlich erklärten GAV, Vorrang eines Branchen-GAV gegenüber einem Berufs-GAV, bei Konkurrenz zwischen zwei Branchen-GAV: Spezialitätsprinzip, dann GAV mit der grösseren Zahl erfasster Arbeitsverhältnisse). 9⁵
9² Vgl. insb. BGE 113 II 37 E. 4; 140 I 257 E. 5.2
9³ BGE 140 I 257 E. 5.2.1
9⁴ SR 221.215.311
9⁵ Geiser, Thomas / Müller, Roland / Pärli, Kurt (2024), Arbeitsrecht in der Schweiz, N 851 ff.

3. Abschnitt:

Pflicht zur Verhandlung von Gesamtarbeitsverträgen

Art. 17
Die Arbeitgeber und ihre Verbände müssen mit den Arbeitnehmerverbänden Verhandlungen zum Abschluss eines GAV führen (Abs. 1). Diese Verhandlungspflicht soll eingeführt werden, weil es dem Bundesrat bei der Umsetzung der 2. Etappe der Pflegeinitiative wichtig ist, die Sozialpartnerschaft zu stärken und die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen nicht zu tangieren. Die Wahl der arbeitsrechtlichen Aspekte, die in den GAV geregelt werden, kann selbstverständlich über die in den Artikeln 5-14 genannten Aspekte hinausgehen und ist den Sozialpartnern überlassen. Die Sozialpartner können so beispielsweise Fragen im Zusammenhang mit dem Lohn, der Anzahl Ferientage oder dem Elternurlaub regeln. Gemäss einer Untersuchung des BFS aus dem Jahr 2021 sind fast zwei Millionen Arbeitnehmende in der Schweiz einem GAV unterstellt. 9⁶ Dies sind rund 50 Prozent der Beschäftigten in allen Sektoren. Im Sektor Gesundheit und Soziales sind schätzungsweise 16 Prozent der Arbeitnehmenden durch einen GAV abgedeckt. Obwohl dieser Anteil in den letzten Jahren zugenommen hat, bleibt er deutlich unter dem Abdeckungsgrad in anderen Sektoren. Im Bereich der Pflege gibt es bei der GAV-Abdeckung grosse Unterschiede zwischen den Kantonen und Versorgungsbereichen. Im Spitex-Bereich ist die GAV-Abdeckung am tiefsten. 9⁷
Im kollektiven Arbeitsrecht ist eine GAV-Verhandlungspflicht nicht ausdrücklich geregelt. Sie lässt sich aber aus dem geltenden Recht ableiten und ist aus mehreren Gründen gerechtfertigt. Das Bundesgericht anerkennt den Anspruch auf Beitritt zu einem GAV 9⁸ ebenso wie das Recht auf Verhandlungen und den Abschluss von GAV als Elemente der Koalitionsfreiheit nach Artikel 28 BV, sofern die Erfordernisse der Repräsentativität und Loyalität erfüllt sind. 9⁹ Auch die herrschende Lehre anerkennt eine GAV-Verhandlungspflicht für die Arbeitgeber. 10⁰ Als Begründung wird namentlich angeführt, dass ein Arbeitgeber, der sich gegen jede gesamtarbeitsvertragliche Regelung stellt, die Koalitionsfreiheit der Gegenseite verletze und dass das in Artikel 28 Absatz 3 BV garantierte Streikrecht vorgängige Verhandlungen voraussetze. 1⁰1 Die Verhandlungspflicht bedeutet nicht, dass tatsächlich ein GAV abgeschlossen werden muss. Die Sozialpartner müssen sich aber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB) auf einen ergebnisoffenen Prozess einlassen und sich bemühen, eine Einigung zu erzielen. 1⁰2 Eine solche Pflicht gibt es in der Schweiz bereits im Postgesetz vom 17. Dezember 2010 1⁰3 (Art. 4 Abs. 3 Bst. c), im Telekommunikationsunternehmungsgesetz vom 30. April 1997 1⁰4 (Art. 16 Abs. 2) und im Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 1⁰5 (Art. 38 Abs. 1).
Die vorangehenden Ausführungen zum Abschluss von GAV betreffen in erster Linie privatrechtliche Arbeitsverträge. Die Pflicht nach Absatz 1 gilt aber auch für die Kantone, sofern sie Pflegepersonal beschäftigen, und auch dann, wenn dieses nicht nach OR, sondern nach öffentlichem Dienstrecht angestellt wird. Bei einer GAV-Verhandlungspflicht der Kantone sind weitere Aspekte zu beachten, etwa mit Blick darauf, dass der Abschluss eines GAV im öffentlich-rechtlichen Bereich die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an Private impliziert, zumal Vorgaben des GAV an die Stelle der Regelungen im öffentlichen Dienstrecht treten 1⁰6 . Selbst unter Berücksichtigung dieser weiteren Aspekte ist aber davon auszugehen, dass auch bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen der Abschluss von GAV zulässig ist. Relevant ist etwa bei einer Pflegeinstitution, die zur kantonalen Zentralverwaltung gehört, zunächst, ob das einschlägige Dienstrecht GAV vorsieht bzw. zumindest nicht explizit ausschliesst 1⁰7 . Angesichts der umfassenden Bundeskompetenz im Bereich des Schutzes der Arbeitnehmenden (vgl. Ziff. 7.1.1) ist aber davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber auch die Kantone dazu verpflichten kann, im vorliegenden Bereich GAV-Verhandlungen zu führen; dies unabhängig davon, ob das kantonale Dienstrecht GAV vorsieht oder zumindest keinen expliziten Ausschluss von GAV beinhaltet. Wer auf Arbeitgeberseite die Verhandlungen führt und den GAV unterzeichnet, bestimmt sich dabei nach kantonalem Recht. Allerdings darf ein GAV nach Artikel 16 Absatz 3 des Entwurfs nicht von zwingendem kantonalem oder kommunalem Recht abweichen. Übernehmen Erlasse der Kantone oder Gemeinden also die Artikel 5-14 BGAP, kann von diesen Regelungen in einem GAV für den öffentlichen Sektor nicht abgewichen werden.
Die Arbeitgeber, ihre Verbände und die Arbeitnehmerverbände informieren jährlich öffentlich über den Stand der Verhandlungen, beispielsweise in einem Tätigkeitsbericht (Abs. 2). Ziel ist, dass sich die Sozialpartner vor der Publikation über die zu kommunizierenden Informationen abstimmen. Die kantonalen Kommissionen können so die Entwicklung der Anzahl und der Inhalte der GAV im Bereich Pflege beobachten (Art. 24 Abs. 1).
9⁶ Bundesamt für Statistik (2024). Gesamtarbeitsverträge (GAV) und unterstellte Arbeitnehmende - Schweiz, Stand 1. März 2021:
www.bfs.admin.ch
> Statistiken finden > Arbeit und Erwerb > Gesamtarbeitsverträge und Sozialpartnerschaft > Gesamtarbeitsverträge.
9⁷ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
9⁸ BGE 118 II 431, E. 4a; 113 II 37, E. 4 f.
9⁹ BGE 140 I 257 E. 5.1 und 5.2.
10⁰ Vgl. Rechtsgutachten von Kurt Pärli zur GAV-Verhandlungspflicht im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit, 2. November 2022, Rz. 116 und Referenzen. Abrufbar unter
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
1⁰1 Ebenda, Rz. 117.
1⁰2 Ebenda, Rz. 118.
1⁰3 SR 783.0
1⁰4 SR 784.11
1⁰5 SR 172.220.1
1⁰6 Grebski, Lukasz (2021): Der öffentlich-rechtliche Gesamtarbeitsvertrag, Bern, R. 144 ff.
1⁰7 Vgl. Rechtsgutachten von Kurt Pärli zur GAV-Verhandlungspflicht im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit, 2. November 2022, Rz. 119ff, insb. 121. Abrufbar unter
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.

4. Abschnitt:

Vollzug

Beim Vollzug des BGAP soll auf bestehende arbeitsrechtliche Strukturen zurückgegriffen werden. Die Vollzugsbestimmungen des Entwurfs entsprechen deshalb grösstenteils bestehenden Vorgaben, weshalb an dieser Stelle auch auf die einschlägigen Ausführungen in den Botschaften zu diesen Erlassen (ArG, Entsendegesetz vom 8. Oktober 1999 1⁰8 [EntsG], Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 1⁰9 gegen die Schwarzarbeit [BGSA], Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995 11⁰ [GlG]) verwiesen werden kann.
1⁰8 SR 823.20
1⁰9 SR 822.41
11⁰ SR 151.1
Art. 18
Aufgaben der Kantone
In Anlehnung an Artikel 41 ArG sind die Kantone für den Vollzug des Gesetzes verantwortlich. Der Vollzug soll den nach Artikel 41 ArG zuständigen Vollzugsbehörden (kantonale Arbeitsinspektorate) obliegen. Da sich die kantonalen Arbeitsinspektorate bereits heute um den Vollzug des ArG kümmern, erscheint der Vollzug im Bereich des BGAP als naheliegende Erweiterung ihres Aufgabenbereichs. Aus dem Verweis auf die Vollzugsbehörden nach Artikel 41 ArG ergibt sich auch die Anwendbarkeit der gemäss ArG auf diese Behörden anwendbaren Verfahrensbestimmungen, inklusive Rechtsweg an die kantonalen Rekursbehörden nach Artikel 41 Absatz 1 ArG.
Mit Blick auf die Umsetzung von GAV gilt neben den obigen Ausführungen zum kantonalen Vollzug Folgendes: Ist ein GAV für die in der Pflege tätigen Arbeitnehmenden anwendbar, so werden darin die für seinen Vollzug zuständigen Organe (z. B. paritätische Kommission) festgelegt. Die Kosten für die Kontrolle der Einhaltung der GAV-Bestimmungen gehen dann zulasten der Sozialpartner.
Art. 19
Aufgaben des Bundes
Der Bund übt die Oberaufsicht über den Vollzug des Gesetzes durch die Kantone aus. Er kann den kantonalen Vollzugsbehörden Weisungen erteilen (Abs. 1).
Die Aufgaben des Bundes obliegen dem SECO (Abs. 2). Die Absätze 1 und 2 orientieren sich an Artikel 42 Absätze 2 und 3 ArG.
Art. 20
Klagerecht der Arbeitnehmerverbände
Diese Bestimmung orientiert sich an Artikel 7 GlG, Artikel 11 EntsG und Artikel 15 BGSA.
Die heterogene Situation im Bereich der Pflege und die Risiken betreffend den Erhalt des Arbeitsplatzes bei individuellen Klagen rechtfertigen es, bestimmten Organisationen ein selbstständiges Klagerecht zu gewähren. Ein solches Klagerecht ermöglicht den Angestellten, Distanz zu wahren und sich nicht persönlich zu exponieren. Zudem können die Organisationen ein kollektives Interesse wahrnehmen, beispielsweise wenn ein Problem im Bereich des Arbeitnehmendenschutzes eine ganze Gruppe von Angestellten betrifft.
Das Klagerecht setzt voraus, dass die Organisation seit mindestens zwei Jahren besteht und nach ihren Statuten die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmenden wahrt. Diese Einschränkung des Klagerechts stellt sicher, dass die Organisationen über die erforderliche Beständigkeit und ausreichende Kenntnisse verfügen. In Abweichung von der einschlägigen Bestimmung im EntsG (Art. 11) soll die Klageberechtigung nur der Arbeitnehmerseite zustehen, nicht aber der Arbeitgeberseite. Eine Klageberechtigung auf Arbeitgeberseite würde vorliegend über den Schutzzweck des Gesetzes hinausschiessen.
Art. 21
Verwaltungssanktionen
Die Verwaltungssanktionen (vgl. Art. 9 EntsG) dienen dazu, die Einhaltung der Vorgaben zu den Arbeits- und Ruhezeiten nach den Artikeln 5-14 des Entwurfs durchzusetzen. Absatz 1 sieht vor, dass die zuständige kantonale Vollzugsbehörde gegen Arbeitgeber, die Arbeitnehmende im Bereich der Pflege beschäftigen, eine Verwaltungssanktion von bis zu 30 000 Franken aussprechen kann (Abs. 1). Diese Sanktionen können sich sowohl gegen privat- als auch gegen öffentlich-rechtliche Unternehmen richten. Die Kontrollkosten können dem fehlbaren Arbeitgeber ganz oder teilweise auferlegt werden (Abs. 2).
Die Verjährungsfrist von fünf Jahren berücksichtigt die Wertigkeit des verletzten Rechtsgutes und die praktische Durchführbarkeit des Verwaltungssanktionsverfahrens (Abs. 3). Um den Beginn der Frist eindeutig zu bestimmen, wird er auf den Tag festgelegt, an dem der Verstoss beendigt wurde. Wird eine Verwaltungssanktion ausgesprochen, so stellt die zuständige Behörde dem SECO eine Kopie ihrer Verfügung zu (Abs. 4). Das SECO erfasst die Arbeitgeber, gegen die in einer rechtskräftigen Verfügung eine Sanktion verhängt worden ist, in einer öffentlichen Liste (Abs. 5). Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit wird die Liste nach Ablauf einer angemessenen Frist gelöscht.
Art. 22
Anwendbare Bestimmungen des Arbeitsgesetzes
Für den korrekten Vollzug durch die zuständigen Behörden müssen zudem die Bestimmungen des ArG betreffend die Schweigepflicht und die Datenbekanntgabe sowie die Informations- und Dokumentationssysteme (Art. 44-44 b ArG) und bestimmte Pflichten der Arbeitgeber sowie Rechte und Pflichten der Arbeitnehmenden (Art. 45-48 ArG) anwendbar sein (Bst. a und b). Aus dem gleichen Grund gelten auch die Vorgaben des ArG (Art. 50-52, 54 und 56 ArG) betreffend Verwaltungsverfügungen und Verwaltungsmassnahmen (Bst. c) und betreffend Beschwerden gegen Verfügungen der kantonalen Behörde (Bst. d).

5. Abschnitt:

Kantonale Kommissionen im Bereich der Pflege

Art. 23
Konstituierung
Die Kantone werden verpflichtet, eine Kommission im Bereich der Pflege einzusetzen (Abs. 1). Mehrere Kantone können eine gemeinsame Kommission einsetzen, welche die verschiedenen Kantone vertritt. Die Kommissionen müssen zu je einem Drittel aus Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeberverbände, der Arbeitnehmerverbände und des Kantons bestehen (Abs. 2). Die Berufsverbände können Kandidatinnen und Kandidaten für diese Funktionen vorschlagen (Abs. 3). Gemäss der RFA kennen mehrere Kantone bereits Kommissionen, Arbeitsgruppen oder Programme, die sich unter verschiedenen Aspekten (z. B. Qualität, Fachkräftesituation) spezifisch mit der Situation im Pflegebereich befassen. 11¹
11¹ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
Art. 24
Aufgaben
Dank ihres Fachwissens im Gesundheitsbereich beobachten die Kommissionen die Entwicklung der Anzahl und der Inhalte der GAV im Bereich der Pflege (Abs. 1 Bst. a) und wie sich Veränderungen der Anzahl Arbeitskräfte und ihrer Arbeitsbedingungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung und die Entwicklung der Gesundheitskosten auswirken (Abs. 1 Bst. b). Dabei können sie im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben auch darauf hinwirken, dass sich die Arbeitgeber ihrer Verpflichtungen aus diesem Gesetz bewusst sind und diese entsprechend umsetzen. Gemäss Absatz 2 erstatten diese Kommissionen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) jährlich Bericht.

6. Abschnitt:

Evaluation

Art. 25
Die Umsetzung der Übergangsbestimmung von Artikel 197 Ziffer 13 Absatz 1 Buchstabe c BV durch das BGAP ist in verschiedener Hinsicht eine Neuerung. Das BAG führt gemeinsam mit dem SECO eine regelmässige Überprüfung der Zweckmässigkeit und Wirksamkeit dieses Gesetzes durch (Abs. 1). Diese Überprüfung umfasst namentlich die Kontrolle des Erfolgs der Vorgaben nach den Artikeln 5-14, 16 und 17 des Entwurfs, insbesondere deren Auswirkungen auf den Abschluss und die Inhalte von GAV, die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, die Verweildauer der Arbeitnehmenden im Beruf und die Kostenentwicklung (Bst. a). Zudem wird eine systematische Analyse des Bedarfs an Regelungen für die Arbeitsbedingungen in der Pflege durchgeführt (Bst. b). Weiter werden die im In- und Ausland gesammelten Erfahrungen mit Regelungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege ausgewertet (Bst. c).
Dabei können die Berichte der kantonalen Kommissionen nach Artikel 24 Absatz 2 berücksichtigt werden (Abs. 2).
Das EDI erstattet dem Bundesrat Bericht über die Ergebnisse der Evaluation (Abs. 3).

7. Abschnitt:

Strafbestimmung

Art. 26
Der Entwurf beschränkt sich auf die Sanktionierung der Verstösse von Arbeitgebern gegen Vorschriften über die Arbeits- und Ruhezeit nach den Artikeln 5-14 des Entwurfs. In Anlehnung an Artikel 59 Absatz 1 Buchstabe a sowie Artikel 61 Absatz 1 ArG gilt Folgendes: Wer als Arbeitgeber diese Vorschriften vorsätzlich verletzt, wird mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft (Abs. 1).
Artikel 6 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 1¹2 über das Verwaltungsstrafrecht, der die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn regelt, ist anwendbar (Abs. 2). Nach dieser Bestimmung gilt Folgendes: Wird eine Widerhandlung beim Besorgen der Angelegenheiten einer juristischen Person, Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft, Einzelfirma oder Personengesamtheit ohne Rechtspersönlichkeit oder sonst in Ausübung geschäftlicher oder dienstlicher Verrichtungen für einen andern begangen, so sind die Strafbestimmungen auf diejenigen natürlichen Personen (Geschäftsherr, Arbeitgeber, Auftraggeber oder Vertretene) anwendbar, welche die Tat verübt haben.
1¹2 SR 313.0

8. Abschnitt:

Schlussbestimmungen

Art. 27
Änderung eines anderen Erlasses
Betreffend die in diesem Artikel enthaltene Änderung von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a ArG wird auf die Erläuterungen zu Artikel 5 Absatz 1 des Entwurfs verwiesen.
Art. 28
Referendum und Inkrafttreten
Nach Absatz 1 untersteht das Gesetz dem fakultativen Referendum.
Absatz 2 sieht vor, dass der Bundesrat das Inkrafttreten bestimmt. Dieses wird von der für die Ausarbeitung der Ausführungsbestimmungen benötigten Zeitspanne abhängen.

5.2 Änderung des Gesundheitsberufegesetzes

Art. 2 Abs. 1 Bst. h, 2 Bst. a Ziff. 9
Nach Absatz 1 Buchstabe h gilt neu die Pflegeexpertin bzw. der Pflegeexperte APN als Gesundheitsberuf im Sinne des GesBG. Der Name des neuen Gesundheitsberufes wird so gewählt, dass die klare Unterscheidung zu den bereits bestehenden Gesundheitsberufen der diplomierten Pflegefachfrauen und -fachmänner sowie den Expertinnen und Experten mit Nachdiplomstudiengängen Höherer Fachschulen (NDS HF, bspw. in Anästhesie-, Intensiv- und Notfallpflege) oder Fachexpertinnen und -experten mit einer Höheren Fachprüfung (HFP, bspw. in Onkologiepflege, psychiatrischer Pflege und Betreuung usw.) gewährleistet ist.
Absatz 2 Buchstabe a Ziffer 9: Die allgemeinen, sozialen und persönlichen Kompetenzen nach den Artikeln 3 und 4 GesBG werden in Zukunft auch für Pflegeexpertinnen bzw. Pflegeexperten APN gelten. Mit der neu einzufügenden Ziffer 9 erhält der Bundesrat die Kompetenz, die Abschlusskompetenzen des Masterstudiengangs in Advanced Practice Nursing auf Verordnungsstufe zu regeln (vgl. Art. 5 GesBG). Die Regelung des Masters in Advanced Practice Nursing FH/UH wird die Kompetenzen beinhalten, die den Absolventinnen und Absolventen die Berufsausübung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN ermöglichen. Diese vertieften Kompetenzen in der Pflege müssen ermöglichen, den Anforderungen des Berufs gerecht zu werden, und den Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN erlauben, in komplexen Situationen tätig zu werden. Diese müssen neue Kompetenzen erwerben und die während des Bachelor-Studiums erworbenen Kompetenzen in den Bereichen klinische Praxis, Fallmanagement und therapeutischer Ansatz, Förderung der Pflegequalität und Patientensicherheit, interprofessionelle Zusammenarbeit und Führung weiterentwickeln. Sie werden zudem fähig sein, evidenzbasierte klinische Praktiken (Evidence-based Nursing) zu erarbeiten. In einem komplexen Versorgungsumfeld soll ihre Tätigkeit zu einem sicheren, fairen, wirksamen, effizienten und patientenzentrierten Versorgungsangebot beitragen.
Die berufsspezifischen Kompetenzen der Inhaberinnen und Inhaber eines Masterabschlusses in Advanced Practice Nursing sind vom Bundesrat, unter Mitwirkung der betroffenen Hochschulen, der betroffenen anderen Institutionen des Hochschulbereichs und der betroffenen Organisationen der Arbeitswelt, in der GesBKV festzulegen. Der Bundesrat hört den Hochschulrat gemäss Artikel 12 HFKG vorgängig an.
Der neue Masterabschluss in Advanced Practice Nursing wird alle Kompetenzen umfassen, die für eine Berufsausübung in einem hauptsächlich klinischen Bereich erforderlich sind. Daneben wird es den universitären Hochschulen und Fachhochschulen auch weiterhin möglich sein, Masterstudiengänge mit forschungsorientierter Ausrichtung anzubieten. Abschlüsse in diesen Masterstudiengängen berechtigen allerdings nicht zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN.
Art. 3 Abs. 2 Bst. j
Der Begriff der digitalen Transformation bezeichnet den Wandel hin zu einer vermehrt digitalen Welt. Dieser Wandel äussert sich zum Beispiel in einer zunehmend gesteigerten Verwendung von digitalen Messinstrumenten und Informationstechnologien. Fachpersonen müssen das Potenzial sowie die Grenzen von neuen Möglichkeiten verstehen, die sich im Rahmen der digitalen Transformation ergeben. Hierfür müssen sie sich entsprechende Kompetenzen aneignen. Digitale Arbeitsinstrumente fördern die Verarbeitung der medizinisch-gesundheitlichen Informationen und die Ableitung von wissenschaftlich abgestützten Massnahmen. Sie wurden zur Unterstützung der bestehenden Behandlungsprozesse (u. a. der Diagnostik) eingeführt. Mit ihnen kann schnell auf die Daten der zu behandelnden Personen zugegriffen, Doppeluntersuchungen vermieden sowie eine optimale Betreuung gefördert werden. Bei ihrer angemessenen Nutzung können sich diese Werkzeuge positiv auf die Patientensicherheit, die Versorgungsqualität und die Kostenkontrolle auswirken. Es ist deshalb wichtig, dass Fachpersonen diese Instrumente, deren Funktionen und Anwendungsbereiche kennen. Absatz 2 Buchstabe j soll deshalb so angepasst werden, dass im Rahmen des Studienganges Kenntnisse im Umgang mit digitalen Arbeitsinstrumenten vermittelt werden, die deren fachgerechte Anwendung sicherstellen und ein gesamtheitliches und verantwortungsvolles Handeln ermöglichen sollen. Die fachgerechte Anwendung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit beinhaltet auch einen interprofessionellen Zugang. Interprofessionell meint in diesem Zusammenhang den fachlichen Austausch über berufliche Grenzen hinweg unter Einbezug zahlreicher Perspektiven. Zu den digitalen Instrumenten zählen unter anderem die Anwendungen im Bereich der eHealth-Lösungen zum Austausch behandlungsrelevanter Information wie z. B. das elektronische Patientendossier oder Anwendungen zur Fernbehandlung bzw. Telemonitoring z. B. im Bereich Langzeit-EKG oder Blutzuckermessungen sowie mHealth (mobile Applikationen und Endgeräte).
Gleichzeitig sollen die Fachpersonen verantwortungsvoll mit datengestützten Technologien umgehen können. Unter datengestützten Technologien können neben Softwarelösungen auch Module des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz verstanden werden. Dem grossen Potenzial bei umfassender digitaler Datenerhebung stehen auch Grenzen (inklusive gewisser Risiken) gegenüber. Diese können sicherheitstechnischer Natur sein und Aspekte des Datenschutzes betreffen; Fragen der Zugänglichkeit und Absicherung digitaler Dossiers sind beispielsweise anzuführen. Weiterhin können Grenzen in ethischer Hinsicht bestehen (Datenethik). Denn nicht jede Möglichkeit zur Datenerhebung und Auswertung darf unreflektiert auch umgesetzt werden (Datenethik). Aber schon bei der Erhebung von Daten können Fehler unterlaufen, welche zum Beispiel einen Datensatz kompromittieren. Hier wäre ein unkritisches Übernehmen von Datensätzen äusserst problematisch. Entsprechend hat eine Auseinandersetzung mit der jeweils vorliegenden Datenqualität zu erfolgen. Die Betonung des verantwortungsvollen Umgangs mit datengestützten Technologien trägt der Gefahr Rechnung, die bei einem Fehlen der ethischen Reflexion droht. Die gesteigerte Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen trägt auch einem Wandel im Arzt-Patienten-Verhältnis Rechnung. Denn die zugrunde liegenden ethischen Grundlagen haben sich im Lauf der letzten Dekaden deutlich verändert (vgl. den Ansatz der Care Ethics). Übergeordnetes Ziel bleibt in diesem Rahmen der Erwerb einer verantwortungsbewussten und professionellen Haltung gegenüber den Entwicklungen im Kontext der digitalen Transformation und gegenüber den zu behandelnden Personen sowie deren sich verändernden Erwartungen. Die in diesem Abschnitt genannten Bezugspunkte und Begriffe ergeben sich aus den einschlägigen Arbeitspapieren der Schweizerischen Akademien der Wissenschaften a+ 1¹3 , der FMH 1¹4 und der Stiftung Careum 1¹5 . Diese Publikationen fanden auch im Rahmen der Plattform «Zukunft ärztliche Bildung ZäB» Berücksichtigung.
1¹3 Data-Literacy-Charta Schweiz, 2024, abrufbar unter:
www.akademien-schweiz.ch > Themen > Wissenschaftskultur > Data-Literacy-Charta.
1¹4 Lovis, Christian / Eicher, Manuela / Bignens, Serge (2024): Digital competences in health Expectations and requirements to face the present and build the future, abrufbar unter:
www.fmh.ch > Themen > Trends und neue Technologien > digital skills.
1¹5 Kuhn, Sebastian (2019): Wie revolutioniert die digitale Transformation die Bildung der Berufe im Gesundheitswesen?, Abrufbar unter:
www.careum.ch > Suche (News): Gesundheitsberufe: Bildung im digitalen Zeitalter (abgerufen am 21.03.2025).
Art. 5 Abs. 1 letzter Satz und 1bis
Absatz 1: Mit dieser gesetzestechnischen Anpassung wird der Verweis auf den Hochschulrat analog der neuen Bestimmung präzisiert.
Absatz 1 bis : In der GesBKV sind die Abschlusskompetenzen des Masterstudiengangs festzulegen. Je nach verlangtem Kompetenzniveau und zur Gewährleistung der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit könnte für den Erwerb des Masters in Advanced Practice Nursing ein vorgängiges klinisches Praktikum vorausgesetzt werden. Der Bundesrat muss deshalb die Möglichkeit haben, die Dauer des Masterstudiengangs in Advanced Practice Nursing auf maximal 150 Kreditpunkte nach dem European Credit Transfer System (ECTS) zu verlängern. Der Bundesrat könnte somit für diesen Masterstudiengang vom Studienumfang, welchen der Hochschulrat nach Artikel 12 HFKG für diese Studienstufe festgelegt hat (90 oder maximal 120 ECTS, vgl. Art. 4 Abs. 1 Bst. b der Verordnung des Hochschulrates vom 29. November 2019 1¹6 über die Koordination der Lehre an den Schweizer Hochschulen), abweichen. Der Hochschulrat ist auch zu einer allfälligen verlängerten Studiendauer vorgängig anzuhören, wie das bereits in Artikel 5 Absatz 1 des geltenden GesBG für die berufsspezifischen Kompetenzen vorgesehen ist.
1¹6 SR 414.205.1
Art. 12 Abs. 2 Bst. a und h
Absatz 2 Buchstabe a: Mit dieser gesetzestechnischen Anpassung sollen für eine bessere Verständlichkeit die Abkürzungen für die jeweilige Bildungsstufe des Abschlusses eingeführt werden.
Absatz 2 Buchstabe h: Für eine Bewilligung für die Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung (Berufsausübungsbewilligung) werden Pflegeexpertinnen bzw. Pflegeexperten APN nebst dem erforderlichen Bildungsabschluss auch die übrigen Bewilligungsvoraussetzungen nach Artikel 12 Absatz 1 GesBG erfüllen müssen. Für diese Voraussetzungen kann auf die Botschaft zum GesBG vom 18. November 2015 1¹7 verwiesen werden.
In der Praxis verfügen Personen, die in einem Spital die Rolle als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN ausüben, heute über einen Masterabschluss einer universitären Hochschule oder einer Fachhochschule. Deshalb soll - wie international üblich - einzig ein Masterabschluss in Advanced Practice Nursing (vgl. Art. 2 Abs. 2 Bst. a Ziff. 9) einer universitären Hochschule oder einer Fachhochschule zum Erwerb einer Berufsausübungsbewilligung in eigener fachlicher Verantwortung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN berechtigen (siehe auch Ziff. 2.3.2). Um die Durchlässigkeit des Bildungssystems für Pflegefachpersonen HF zu erhöhen, sollte jedoch die Möglichkeit einer Verkürzung der Passerelle geprüft werden, die es den Inhaberinnen und Inhabern eines Abschlusses einer höheren Fachschule in Pflege ermöglicht, einen Bachelor in Pflege zu erwerben. Die 90 ECTS-Credits, die derzeit im Rahmen der Passerelle zwischen der HF- und der FH-Stufe für den Erwerb eines FH-Bachelors in Pflege erforderlich sind, können abschreckend wirken und die berufliche Entwicklung in Richtung Hochschulbildung behindern. Eine Reduktion der erforderlichen ECTS-Credits für diese Passerelle oder andere Möglichkeiten würden die Durchlässigkeit des Bildungssystems für Pflegefachpersonen HF erhöhen und den Zugang zum Masterstudiengang in Advanced Practice Nursing erleichtern.
Die Modalitäten der Passerelle sind heute nicht im Gesetz geregelt, sondern in den Best Practices, die swissuniversities im November 2021 herausgegeben hat. Diese stellen ein geeignetes Instrument für die Hochschulen dar. Eine Weiterentwicklung dieser Best Practices wäre zu prüfen und würde keine Änderung der geltenden Rechtsgrundlagen erfordern.
1¹7 BBI 2015 8715, S. 8747 f.
Art. 34a
Übergangsbestimmungen zur Änderung vom …
Die Übergangsbestimmungen gründen auf einer Abwägung zwischen der Besitzstandswahrung und den Zielen des Gesetzes, die Berufsausübung an entsprechende und definierte Bildungsabschlüsse zu knüpfen.
Wer bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung bereits in Übereinstimmung mit dem kantonalen Recht über eine Berufsausübungsbewilligung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN in eigener fachlicher Verantwortung verfügt, soll den Beruf in diesem Kanton weiterhin ausüben können, auch wenn die nach diesem Gesetz geforderte Ausbildung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen nicht vorliegt. Beantragt eine Person nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen im GesBG eine neue Berufsausübungsbewilligung zur Ausübung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN in eigener fachlicher Verantwortung, beispielsweise weil sie den Kanton wechselt, so muss sie die Erfüllung der Voraussetzungen gemäss GesBG nachweisen ( Abs. 1 ).
Absatz 2 sieht für Personen, die vor dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen des GesBG nach kantonalem Recht keine Bewilligung für die Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN brauchten und nun der Bewilligungspflicht gemäss Artikel 11 GesBG unterstehen, eine fünfjährige Übergangsfrist vor. Diese Frist soll den betroffenen Personen ausreichend Zeit einräumen, um allenfalls fehlende fachliche Qualifikationen zu erwerben und eine entsprechende Bewilligung zu beantragen.
Absatz 3 regelt, welche altrechtlichen Bildungsabschlüsse ebenfalls zu einer Berufsausübungsbewilligung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN berechtigen. Die Einzelheiten werden in der GesBAV geregelt werden. Der Bundesrat soll die Möglichkeit erhalten, wo nötig, die Gleichstellung vom Erwerb gewisser zusätzlicher Kompetenzen abhängig zu machen. Zudem werden ausländische Abschlüsse, die als gleichwertig mit einem entsprechenden altrechtlichen Abschluss anerkannt wurden, ebenfalls gleichgestellt. Sie berechtigen daher auch zur Berufsausübungsbewilligung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN.
Absatz 4 regelt, bis wann Studiengänge akkreditiert werden müssen, die bereits bei Inkrafttreten der neuen Bestimmungen des GesBG durchgeführt werden.

Anhang (Ziff. II): Änderung anderer Erlasse

Analog zu den übrigen Gesundheitsberufen nach GesBG sollen auch die Pflegeexpertinnen bzw. Pflegeexperten APN dem Berufsgeheimnis gemäss Artikel 321 Ziffer 1 des Strafgesetzbuchs 1¹8 unterstellt werden. Im Rahmen der 1. Etappe der Umsetzung der Pflegeinitiative wird per 1. Juli 2024 Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern sowie Personen, die einen anderen der im GesBG geregelten Berufe ausüben, in Artikel 171 Absatz 1 der Strafprozessordnung 1¹9 sowie Artikel 75 Buchstabe b des Militärstrafprozesses vom 23. März 1979 12⁰ ausdrücklich das gleiche umfassende Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt wie beispielsweise den Ärztinnen und Ärzten. Im gleichen Sinne sollen diese Bestimmungen nun betreffend Zeugnisverweigerungsrecht der Pflegeexpertinnen bzw. Pflegeexperten APN ergänzt werden.
Betreffend die identische Regelung der digitalen Kompetenzen im MedBG und PsyG wird auf die Ausführungen zu Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe j GesBG verwiesen.
1¹8 SR 311.0
1¹9 SR 312.0
12⁰ SR 322.1

6 Auswirkungen

6.1 Auswirkungen auf den Bund

6.1.1 Auswirkungen des BGAP

Direkte Kosten
Durch das BGAP sind keine direkten finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund zu erwarten.
Indirekte Kosten
Dem Bund können durch die geplanten Massnahmen indirekte Kosten entstehen. Es ist davon auszugehen, dass die Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu Mehrkosten im Gesundheitssystem führen werden (vgl. auch Ziff. 6.3). Wie in Ziffer 4.2.2 dargestellt, werden allfällige Kostensteigerungen bei der Leistungserbringung mittel- bis langfristig auch zu steigenden Kosten für die Sozialversicherungen (Kranken-, Unfall- und Militärversicherung) und die Kantone führen.
Nicht jeder aus der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal resultierende Kostenanstieg muss zwingend zu höheren Prämien führen. Es ist durchaus denkbar, dass die Leistungserbringer das zur Verfügung stehende Geld intern anders verteilen und so die Mehrkosten auffangen. Gelingt dies nicht, ist mit steigenden Prämien für die OKP, aber auch für die Zusatzversicherungen zu rechnen. Gemäss Artikel 66 Absatz 2 KVG entspricht der Bundesbeitrag an die Prämienverbilligung 7,5 % der Bruttokosten der OKP. Der Bund erhöht seinen Beitrag somit automatisch, wenn die Kosten der OKP steigen. Eine Schätzung der für den Bund zu erwartenden Mehrkosten durch die Beiträge an die Prämienverbilligung ist aktuell nicht möglich, da diese von verschiedenen Faktoren abhängig sein werden. Einerseits wird gemäss Artikel 14 E-BGAP immer nur ein finanzieller Ausgleich für eine bestimmte Arbeitszeit fällig. Andererseits soll es auch möglich sein, dass per GAV von den Vorgaben im E-BGAP abgewichen wird und beispielsweise die Auszahlung von finanziellen Ausgleichen dadurch wegfällt (vgl. die Ausführungen dazu in Ziff. 6.3).

6.1.2 Auswirkungen der Änderungen des GesBG

Durch die Änderung des GesBG sind keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund zu erwarten.

6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

6.2.1 Auswirkungen des BGAP

Die Kantone werden von den zu erwartenden Mehrkosten durch die vorgeschlagenen Massnahmen betroffen sein. Durch die neuen Verfassungsbestimmungen wurde, wie in Ziffer 4.2.2 dieser Botschaft aufgezeigt, das Finanzierungssystem im Bereich der Pflege nicht verändert. Wenn durch die Vorgaben des BGAP bei den Gesundheitseinrichtungen Mehrkosten entstehen, so werden diese auch Auswirkungen auf die von den Kantonen und Gemeinden gemäss KVG zu leistenden Beiträge (Spitalfinanzierung und insb. Restfinanzierung) haben. In der Vertiefung der RFA 12¹ wurde versucht, die Kostenfolgen der einzelnen vorgeschlagenen Massnahmen abzuschätzen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass zum aktuellen Zeitpunkt noch keine belastbaren Zahlen zu den Mehrkosten abgeschätzt werden können, da diese sowohl von der Ausgestaltung der Verordnungen als auch von den allenfalls zwischen den Sozialpartnern abgeschlossenen GAV abhängig sind. Die detaillierten Ausführungen dazu finden sich in Ziffer 6.3 dieser Botschaft.
Die Kantone werden bei steigenden Ausgaben für die OKP zudem durch die Beiträge an die Prämienverbilligungen stärker belastet werden. Ein genauer Betrag lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt aber auch dazu nicht schätzen.
Auch die für die Sicherstellung des Vollzugs des BGAP bedingten Mehrkosten werden die Kantone direkt betreffen. Der Mehraufwand für die Kantone wird in diesem Bereich jedoch relativ gering ausfallen, da sie für den Vollzug auf bestehende Strukturen setzen können. Die Anzahl der zu kontrollierenden Betriebe an sich, sprich der Gesundheitseinrichtungen, verändert sich nicht, es ändert sich nur der Inhalt und eventuell der Umfang der Kontrollen. Geht man davon aus, dass ungefähr 3000 Gesundheitseinrichtungen vom BGAP betroffen sein werden und dass in den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes 20 % dieser Betriebe kontrolliert werden sollen, dann wären das ca. 120 Kontrollen pro Jahr. Schätzungsweise ein Viertel davon würde sowieso in einer Routinekontrolle geprüft (allerdings ohne die BGAP spezifischen Aspekte), somit verbleiben ungefähr 90 Kontrollen, die von den kantonalen Kontrollorganen zusätzlich durchgeführt werden müssten. Ausgehend von einem Arbeitstag pro Kontrolle (8 Stunden - inkl. Vor- und Nachbereitung) und dem Stundenansatz von 150 Franken ergibt dies über alle Kantone gerechnet Mehrkosten von ungefähr 110 000 Franken pro Jahr.
Es ist vorgesehen, dass die Pflege ab Inkrafttreten des BGAP in den Fokus des Vollzugs des ArG gerückt wird, um die Anzahl der kontrollierten Betriebe im betroffenen Bereich massgeblich zu erhöhen und die Kontrollen in solchen Betrieben auf die BGAP-Aspekte auszuweiten, was wiederum steigende Kosten bei den Kontrollinstanzen erwarten lässt. Ob es längerfristig zu höheren Kosten bei den Kantonen kommt, hängt davon ab, ob sie das erhöhte Kontrollniveau beibehalten werden oder nicht.
12¹ Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.

6.2.2 Auswirkungen der Änderungen des GesBG

Durch die Änderung des GesBG werden die Kantone durch die ihnen obliegende Erteilung der Berufsausübungsbewilligung für und die Aufsicht über die neuen Pflegeexpertinnen bzw. Pflegeexperten APN betroffen sein. Eine Abschätzung des zu erwartenden Aufwands ist aktuell nicht möglich. Auf die Gemeinden sind jedoch keine direkten Auswirkungen zu erwarten.

6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und die Gesellschaft

6.3.1 Auswirkungen des BGAP

Im Rahmen der Ausarbeitung des Entwurfs des BGAP wurden die Anforderungen von Artikel 4 des Bundesgesetzes vom 29. September 2023 ¹22 über die Entlastung der Unternehmen von Regulierungskosten geprüft. Der Entwurf beschränkt sich auf die Regelung einiger ausgewählter Aspekte, was den Umfang des Eingriffs in die Arbeitsverhältnisse und damit den administrativen Aufwand für die Unternehmen mindert. Die Möglichkeit zum Abschluss eines GAV bietet zudem zusätzliche Flexibilität: Wird ein GAV abgeschlossen und erfüllt dieser die Anforderungen des BGAP, insbesondere hinsichtlich der Tragweite und der Repräsentativität, so sind die Bestimmungen des BGAP nicht anwendbar. Ausserdem erlaubt die Möglichkeit zum Abschluss von GAV branchenspezifische Anpassungen anstelle von Einheitsvorschriften.
Aufgrund der Erkenntnisse der RFA wurde der Vorentwurf des Gesetzes in verschiedenen Punkten angepasst, so wurde auf die Einführung einer Pflicht zur Beteiligung an Personalpools verzichtet. Die Ankündigungsfrist der Dienstpläne wurde zwar bei vier Wochen belassen, der Anspruch auf einen Ausgleich entsteht aber erst bei Änderungen der Dienstpläne, die weniger als zwei Wochen vor dem zu leistenden Einsatz angekündigt werden. Dadurch soll verhindert werden, dass die bereits heute anspruchsvolle Einsatzplanung für die Unternehmen zusätzlich erschwert wird.
Die Schätzung der Auswirkungen und Kosten der im BGAP vorgeschlagenen Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege gestaltet sich äusserst schwierig, da diese von verschiedenen Faktoren abhängig sein werden. Einerseits sind sie abhängig von der Ausgestaltung der Verordnung zum BGAP, andererseits soll gemäss Vorschlag des Bundesrates per GAV von den Vorgaben des Gesetzes und der Verordnung sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten der Arbeitnehmenden abgewichen werden dürfen. Dies führt zu grossen Unschärfen bei der Schätzung der erwarteten Kosten, wie sich in der Vertiefung der RFA ¹23 gezeigt hat. Zum aktuellen Zeitpunkt können deshalb nur sehr grobe Aussagen zu den erwarteten Mehrkosten gemacht werden. Bei der Betrachtung der Kosten darf zudem nicht vergessen werden, dass Investitionen ins Personal auch finanzielle Entlastungen mit sich bringen können. Das Beispiel des Spitals Bülach zeigt eindrücklich, wie die Mehrkosten zur Erhöhung der Arbeitszufriedenheit durch eine tiefere Fluktuation und den massiv gesenkten Einsatz von temporären Fachkräften zumindest teilweise wieder kompensiert werden können. Dieser Effekt ist in den folgenden Kostenschätzungen nicht berücksichtigt.
Auf die Ziele der 2. Etappe der Umsetzung der Pflegeinitiative, nämlich die Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und die Senkung der vorzeitigen Berufsaustritte, werden die vorgeschlagenen Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen im BGAP und der Regelung des Berufs der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN als Gesamtpaket einen positiven Einfluss haben. Dies könnte wiederum zur Sicherung einer allen zugänglichen Gesundheitsversorgung in einer guten Qualität beitragen, wovon letztlich die gesamte Gesellschaft profitiert.
Bei der Ausgestaltung der Massnahmen muss jedoch darauf geachtet werden, dass keine unerwünschten und dem Ziel des Gesetzes zuwiderlaufende Resultate erreicht werden. Wird beispielsweise die vertraglich definierte Arbeitszeit pro Woche stark reduziert, so würde dies die Fachkräfteproblematik zumindest kurzfristig noch einmal zusätzlich verschärfen. Wenn die zusätzlich benötigten Stellen auch längerfristig nicht besetzt werden (können), dann erhöht sich der Druck auf das Pflegepersonal durch diese Massnahme noch einmal: Die wöchentliche Arbeitszeit würde zwar um beispielsweise zwei Stunden sinken, der Umfang der in dieser Zeit zu erledigenden Aufgaben würde aber nicht im gleichen Mass abnehmen. De facto müsste somit dieselbe Arbeit in weniger Zeit erledigt werden.
Auswirkungen auf die Unternehmen
Von den Vorgaben im BGAP sind sämtliche Institutionen betroffen, die in der Pflege tätige Arbeitnehmende beschäftigen. Dazu gehören insbesondere Spitäler, Alters- und Pflegeheime sowie Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause. In der Vertiefung der RFA zum BGAP wurden zu den vorgeschlagenen Vorgaben grobe Kostenschätzungen gemacht, die jedoch mit grossen Unsicherheiten behaftet sind. Während z. B. durch die Festlegung der Ankündigungsfrist für Dienstpläne auf vier Wochen nur geringe Mehrkosten zu erwarten sind, würde eine Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit von 42 auf 40 Stunden bei gleichbleibendem Lohn zu Mehrkosten von bis zu 600 Millionen Franken führen. Die Vertiefung der RFA hat folgende Schätzungen von zu erwartenden Maximalkosten ausgewiesen:
Tabelle vergrössern
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Massnahme Anteil betroffener Institutionen und Beschäftigter Schätzung der jährlichen Kosten
Wöchentliche Normalarbeitszeit (40 bis 42 Stunden) 42 Stunden: Gering 40 Stunden: Hoch (über die Hälfte der Institutionen betroffen) 42 Stunden: Kaum Kosten 40 Stunden: max. 600 Mio. Fr., bei gleichbleibendem Lohn
Max. Anzahl Überstunden Gering Geringe Mehrkosten
Kompensation von Überstunden und Nacht- / Sonntagsarbeit Überstunden: Keine Schätzung möglich Nachtarbeit: Gering - hoch, abhängig von Umsetzung Sonn- und Feiertage: hoch Überstunden: Keine Schätzung möglich Nacharbeit: max. 300 Mio. Fr. Sonn- und Feiertage: max. 700 Mio. Fr.
Bezahlung der Umkleidezeit Mittel (z. T. umgesetzt, nur relevant für Spitäler und Alters- und Pflegeheime) Max. 100 Mio. Fr.
Bezahlte Pausen Gering (fast alle Institutionen kennen entsprechende Regelung) Geringe Mehrkosten
Bereitschafts- und Pikettdienst Gering - hoch (Ist abhängig von der Ausgestaltung) Keine Schätzung möglich
Dienstpläne: Ankündigungsfrist von mindestens 4 Wochen Gering (bei über 80 % der Institutionen bereits so geregelt) Geringe Mehrkosten
Kompensation für ungeplante Einsätze Hoch (Heute kennt 1/3 der Institutionen solche Kompensationen) Max. 300 Mio. Fr.
Die ausgewiesenen Schätzungen sind Maximalbeträge. Sie können zudem nicht einfach addiert werden, um die Gesamtkosten der vorgeschlagenen Massnahmen zu schätzen. Gemäss Artikel 14 E-BGAP kommt, sollten für die gleiche Zeitspanne verschiedene Vorschriften zum finanziellen Ausgleich anwendbar sein, jeweils nur der für die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer vorteilhafteste Ausgleich zur Anwendung. Springt eine Person beispielsweise an einem Sonntag kurzfristig ein, so hat sie nur Anrecht auf den höheren der beiden vorgesehenen Ausgleiche und nicht auf beide. Die Mehrkosten sind aber auch in Relation zu den Gesamtaufwänden in den Spitälern, Pflegeheimen und den Spitexorganisationen zu betrachten: Im Jahr 2022 waren es gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik 32,6 Milliarden Franken bei den Spitälern, 11,2 Milliarden Franken für die Pflegeheime (inkl. Restfinanzierung und inkl. Beiträge der Bewohnenden) sowie 2,9 Milliarden Franken für die Spitex ¹24 .
Eine Erkenntnis der vertieften RFA ist aber auch, dass ein Zusammenhang zwischen den erwarteten Kosten und der erwarteten Wirkung einer Massnahme besteht: Verursacht eine Massnahme nur geringe Kosten, ist dies i.d.R. darauf zurückzuführen, dass die Regelung nahe an der heutigen Praxis ist. Durch die Vorgabe sind deshalb nur geringe Auswirkungen auf die Zufriedenheit des Pflegepersonals zu erwarten. Massnahmen mit höheren Kostenfolgen haben oftmals auch eher das Potenzial, die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal spürbar zu verbessern.
Durch die in Ziffer 4.2.2 aufgezeigten Mechanismen werden die erwarteten Zusatzkosten mittelfristig Auswirkungen auf die Krankenkassen und die Kantone und Gemeinden als Restfinanzierer haben. Mehrkosten müssen aber, wie bereits in Ziffer 6.1 aufgezeigt, nicht zwingend zu einem Anstieg der Krankenkassenprämien führen. Gerade bei grossen Institutionen wie Spitälern besteht die Möglichkeit, die durch die Tarife zur Verfügung stehenden Mittel intern anders einzusetzen und so den Kostenanstieg zu kompensieren. Nach welchem Schlüssel die Mehrkosten auf die verschiedenen Akteure (Versicherte, Krankenversicherer, Kantone und Bund) verteilt werden, ist in Ziffer 4.2.2 dargelegt.
Die Kosten könnten weiter steigen, sollten sich einzelne Gesundheitseinrichtungen dafür entscheiden, die verbesserten Arbeitsbedingungen auch auf weitere Berufsgruppen auszuweiten. Dies wäre mit dem Argument begründbar, dass keine Berufsgruppe innerhalb desselben Betriebs bevorzugt behandelt werden soll. So wäre es denkbar, dass die Verbesserungen beispielsweise auf die Angestellten in Gastronomie, Hauswirtschaft, Administration, Hotellerie, technischer Dienst, Betreuung, Aktivierung oder auch auf Ärztinnen und Ärzte ausgedehnt werden. In diesem Fall wäre mit Auswirkungen auf der Kostenseite, aber auch auf die Fachkräftesituation zu rechnen. Da dies von jeder Gesundheitseinrichtung einzeln entschieden würde, können diese eventuellen Auswirkungen nicht beziffert werden. Zudem können auch in anderen Berufen als in der Pflege Investitionen in zufriedene Mitarbeitende positive Auswirkungen auf deren Verbleib im Betrieb haben und so zu tieferen Rekrutierungskosten führen.
Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung
Die aus einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals zu erwartenden Mehrkosten müssen allerdings im Verhältnis zu den Effekten der vorgeschlagenen Massnahmen auf das gesamte Gesundheitssystem gesehen werden. So werden sie einen positiven Einfluss auf die Verfügbarkeit und die Qualität der Gesundheitsversorgung, insbesondere der Pflege haben. Eine qualitativ gute Pflege kann bei akuten Erkrankungen zu einer schnelleren Heilung führen und das Risiko einer Chronifizierung senken. Bei chronischen Erkrankungen erhöht eine gute Pflege die Lebensqualität, fördert die Selbstständigkeit im Alltag und reduziert bei Personen im arbeitsfähigen Alter das Risiko einer Invalidisierung.
Auswirkungen auf die Krankenversicherung
Wie in Ziffer 4.2.2 dargelegt, muss davon ausgegangen werden, dass die für die Spitäler erwarteten Mehrkosten sich in der Tarifierung für die Spitalleistungen niederschlagen und einen Prämienanstieg in der OKP nach sich ziehen. Über die Auswirkungen auf die Prämien kann zum heutigen Zeitpunkt noch nichts gesagt werden, da unter anderem noch nicht bekannt ist, wie viel Mehrkosten die einzelnen Massnahmen verursachen, wie viel davon durch Effizienzsteigerungen wettgemacht wird und welcher Anteil der Mehrkosten dann auch tatsächlich für die Tarifermittlung geltend gemacht werden kann. Da die Pflegebeiträge der OKP nicht angepasst werden sollen, sind durch die Mehrkosten für die Pflegeleistungen in Pflegeheimen oder Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause keine Auswirkungen auf die Prämien für die OKP zu erwarten.
Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frau und Mann
Die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen vorgeschlagenen Massnahmen werden auch die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Gesundheitswesen positiv beeinflussen. Im Bereich der Pflege sind mehrheitlich Frauen tätig. Im Gesundheitswesen dominiert eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, bei welcher der Bereich Pflege ( care ) eher mit Frauen in Verbindung gebracht und der Bereich Heilung ( cure ) vorwiegend Männern zugeordnet wird. Die vorgeschlagenen Massnahmen verbessern die Arbeitsbedingungen und werten den Status der Berufe im Bereich der Pflege auf. Sie kommen somit besonders Frauen zugute und leisten einen Beitrag zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter.
¹22 SR 930.31
¹23 Frey, Miriam / Suri, Mirjam (2025). Bundesgesetz über Arbeitsbedingungen in der Pflege - Vertiefung zur Regulierungsfolgenabschätzung. BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG, Basel. Abrufbar unter:
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
¹24 Die Zahlen können abgerufen werden unter:
www.pxweb.bfs.admin.ch > Thema «Gesundheit» > Quelle «Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens» > Kosten des Gesundheitswesens nach Leistungserbringer, Leistung, Art der Leistungserbringung und Finanzierungsregime.

6.3.2 Auswirkungen der Änderungen des GesBG

Durch die Änderungen des GesBG sind insbesondere Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu erwarten. Vor allem im ländlichen Raum könnten die Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN gewisse Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten übernehmen, was die Verfügbarkeit der Grundversorgung verbessern würde. Zudem werden durch die Verbesserung der Ausbildung positive Effekte auf die Pflegequalität erwartet.

6.4 Andere Auswirkungen

Für die Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten APN fallen neue Kosten für die Erfüllung der Anforderungen an das lebenslange Lernen an, deren Höhe von der Umsetzung dieser Berufspflicht durch die Kantone oder Verbände abhängt. Weiter sind Gebühren für die Berufsausübungsbewilligungen zu bezahlen.

7 Rechtliche Aspekte

7.1 Verfassungsmässigkeit

7.1.1 Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege

Die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes zum Erlass von arbeitsrechtlichen Vorgaben ergibt sich hauptsächlich aus der Zivilrechtskompetenz des Bundes (Art. 122 Abs. 1 BV) und der Bundeskompetenz für den Schutz von Arbeitnehmenden (Art. 110 Abs. 1 Bst. a BV). Gestützt auf seine Zivilrechtskompetenz hat der Bundesgesetzgeber im OR Vorgaben für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse erlassen, während sich das ArG unter anderem auf Artikel 110 BV abstützt.
Die Bestimmungen des Entwurfs stützen sich auf Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a BV, zumal sie dem Schutz der Arbeitnehmenden, namentlich dem Schutz ihrer Gesundheit, dienen. Diese Bestimmung verleiht dem Bund eine umfassende, generelle Kompetenz zum Erlass von Schutzbestimmungen zugunsten der Arbeitnehmenden. Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes bezieht sich dabei auf alle Massnahmen, die zur Zielerreichung erforderlich sind, ohne Beschränkung auf gewisse Arbeitsverhältnisse oder Arbeitnehmerkategorien ¹25 ; sie erfasst sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Arbeitsverhältnisse. Auch die vorgesehene Verpflichtung zur Verhandlung von GAV kann sich auf Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a BV abstützen, zumal eine wesentliche Funktion von GAV darin liegt, Arbeitnehmende zu schützen. Im privatrechtlichen Bereich geht es dabei um den Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Arbeitnehmenden vor unausgeglichenen Arbeitsbedingungen, indem die Verhandlungen über Arbeitsbedingungen von der individuellen auf die kollektive Ebene verlagert werden ¹26 . Bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen geht es darum, die Arbeitnehmenden davor zu schützen, dass der Staat namentlich auf Verordnungsstufe, und damit nicht auf individueller, sondern auf generell-abstrakter Ebene, Vorgaben festhält, die den erforderlichen Schutz der Arbeitnehmenden nicht hinreichend gewährleisten ¹27 . Eine gesetzliche Verpflichtung zur Verhandlung von GAV besteht im Übrigen auch in anderen Rechtsbereichen ¹28 .
Als verfassungsrechtliche Grundlage des Entwurfs dient teilweise auch Artikel 122 Absatz 1 BV, dies zumindest für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse.
Artikel 117 b BV (Pflege) und die einschlägige Übergangsbestimmung (Art. 197 Ziff. 13 BV) können hingegen nicht kompetenzbegründend für die bundesrechtliche Regelung arbeitsrechtlicher Vorgaben beigezogen werden, zumal Artikel 197 Ziffer 13 Absatz 1 Buchstabe c BV ausdrücklich festhält, dass der Bund die Ausführungsbestimmungen zu den anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen für die in der Pflege tätigen Personen «im Rahmen seiner Zuständigkeiten» erlässt. Die Pflegeinitiative hat mithin an der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung zum Erlass von arbeitsrechtlichen Vorgaben nichts geändert. Die mit Annahme der Pflegeinitiative in die Bundesverfassung aufgenommen Bestimmungen (Art. 117 b und 197 Ziff. 13 Abs. 1 Bst. c BV) erteilen dem Bund einzig den Auftrag, im Rahmen der bestehenden Bundeskompetenzen spezifische Schutzbestimmungen für das Pflegepersonal zu erlassen.
Der in Artikel 117 b BV enthaltene Handlungsauftrag zeigt aber das hohe öffentliche Interesse an einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege. Dieses ist erforderlich, um die Vertragsfreiheit und die Privatautonomie (vgl. Artikel 27 BV) mittels der im Entwurf geplanten Massnahmen einzuschränken (Art. 36 Abs. 2 BV). Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch die Wirtschaftsfreiheit zwar jede privatwirtschaftliche Tätigkeit geschützt ist; betrifft die Tätigkeit aber die Erfüllung einer staatlichen oder kommunalen öffentlich-rechtlichen Aufgabe, so liegt keine privatwirtschaftliche Tätigkeit vor, weshalb sich etwa Spitäler im Rahmen ihres sich aus der kantonalen Spitalplanung ergebenden Auftrags nicht bzw. nur in beschränktem Mass auf die Wirtschaftsfreiheit berufen können ¹29 . Zudem wird die Koalitionsfreiheit nach Artikel 28 BV durch die vorliegend vorgesehene GAV-Verhandlungspflicht nicht betroffen; im Gegenteil ergibt sich aus der Koalitionsfreiheit u. a. auch eine Verpflichtung der Sozialpartner, Verhandlungen zur Ausarbeitung von GAV nicht abzulehnen 13⁰ .
Wie in Artikel 36 Absatz 1 BV vorgegeben, werden schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte (Art. 27 und 28 BV) vorliegend auf Gesetzesstufe festgehalten; dies betrifft insbesondere die Festlegung der wöchentlichen Höchst- und Normalarbeitszeit und die Vorgaben zu den Dienstplänen (zur Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an den Bundesrat vgl. Ziff. 7.7.1).
Neben den Vorgaben betreffend die gesetzliche Grundlage und das öffentliche Interesse muss eine Einschränkung von Grundrechten auch den Grundsatz der Verhältnismässigkeit einhalten (Art. 36 Abs. 3 BV). Hierzu ist einleitend festzuhalten, dass es sich bei den im BGAP vorgesehenen Massnahmen um Instrumente handelt, die sich im Geltungsbereich des ArG bereits bewährt haben und die nun für den Pflegebereich präzisiert werden. Entsprechend ist davon auszugehen, dass die im BGAP vorgesehenen Massnahmen dazu geeignet sind, das Ziel der Vorlage zu erreichen, d. h. die Erhöhung des Schutzes der Arbeitnehmenden und damit einhergehend die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Die Geeignetheit zeigt sich aber auch daran, dass die vorgesehenen Massnahmen mit jenen übereinstimmen, die bereits in der parlamentarischen Debatte und im Vorfeld der Volksabstimmung als besonders wichtig eingeschätzt und auch im Rahmen der Erarbeitung des Entwurfs von den betroffenen Sozialpartnern in den Vordergrund gestellt wurden.
Mit Blick auf die Notwendigkeit der Massnahmen ist festzuhalten, dass der Handlungsdruck zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege unbestritten ist. Bei Pflegefachpersonen besteht ein Fachkräftemangel, der sich aufgrund der demografischen Entwicklung künftig noch akzentuieren wird und der die Versorgungssicherheit gefährdet (vgl. die Ausführungen unter Ziff. 1.1.2-1.1.4). Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der die Massnahmen des vorliegenden Entwurfs dienen, ist ein wesentliches Element, um die Berufsverweildauer im Pflegebereich zu verlängern und damit dem Fachkräftemangel entgegenzusteuern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesundheitsbereich kein freier Markt ist. Durch Regulierungen sind Wettbewerb und Preisgestaltung eingeschränkt, weshalb eine selbstständige Lösung durch den Arbeitsmarkt (d. h. eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ohne staatlichen Eingriff) bisher nur punktuell eingetreten ist. Schliesslich ergibt sich auch aus der Annahme der Pflegeinitiative die Notwendigkeit einer pflegespezifischen Formulierung der im Kontext des ArG geltenden bewährten Vorgaben.
Gleichwohl beschränkt sich die Vorlage auf die Regelung von wenigen ausgewählten Punkten; die Eingriffsintensität auf das Arbeitsverhältnis ist entsprechend insgesamt eher als gering einzustufen, sodass auch die Verhältnismässigkeit im engeren Sinne (Verhältnismässigkeit von Zweck und Wirkung der Massnahme / Zumutbarkeit) gewährleistet wird. Dies umso mehr, als mittels GAV von den gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden kann. Die Freiheit zur Verhandlung und zum Abschluss von GAV bleibt gewährleistet.
Mit Blick auf im Entwurf zum BGAP nicht geregelte Aspekte der Arbeitsverhältnisse ist von Bedeutung, dass die Sozialpartner zu GAV-Verhandlungen verpflichtet werden; Ziel ist es, diese weiteren Aspekte auf Stufe GAV zu regeln. Mit der Einschränkung des Entwurfs auf die Regelung bestimmter Aspekte wird nicht nur die Eingriffsintensität der vorliegenden Massnahmen auf die Arbeitsverhältnisse vermindert, sondern auch eine zusätzliche Forderung aus dem Vorfeld der Volksabstimmung erfüllt, nämlich die Förderung des Abschlusses von GAV. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Sinne der Wahl des milderen Mittels einzig eine Verpflichtung zur Führung von Verhandlungen vorgeschrieben wird, nicht aber eine Verpflichtung zum Abschluss eines GAV. So sind denn auch bei der vorliegenden Verpflichtung zur GAV-Verhandlung - sofern sie überhaupt in die Wirtschaftsfreiheit bzw. die Koalitionsfreiheit eingreift (vgl. obenstehende Ausführungen zur privatwirtschaftlichen Tätigkeit) - sowohl die Geeignetheit als auch die Erforderlichkeit dieser Massnahme zu bejahen. Auch eine Abwägung der Interessen bzw. die Prüfung der Verhältnismässigkeit im engeren Sinne führt zum Ergebnis, dass eine GAV-Verhandlungspflicht zulässig ist 13¹ .
¹25 Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz vom 8. Mai 2003, in: Verwaltungspraxis der Bundesbehörden, VPB 68.81.
¹26 Grebski, Lukasz (2021): Der öffentlich-rechtliche Gesamtarbeitsvertrag, Bern, Rz. 213.
¹27 Grebski, Lukasz (2021): Der öffentlich-rechtliche Gesamtarbeitsvertrag, Bern, Rz. 221.
¹28 Vgl. Art. 4 Abs. 3 Bst. c Postgesetz vom 17. Dezember 2010 ( SR 783.0 ); Art. 16 Abs. 2 Telekommunikationsunternehmungsgesetz vom 30. April 1997 ( SR 784.11 ); Art. 38 Abs. 1 Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 ( SR 172.220.1 ).
¹29 Vgl. Rechtsgutachten von Kurt Pärli «GAV-Verhandlungspflicht gestützt auf Artikel 197 Ziffer 13 lit. c Bundesverfassung», vom 2. November 2022, im Auftrag des BAG, Rz. 125 ff.; abrufbar unter
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
13⁰ Vgl. Rechtsgutachten von Kurt Pärli «GAV-Verhandlungspflicht gestützt auf Artikel 197 Ziffer 13 lit. c Bundesverfassung», vom 2. November 2022, im Auftrag des BAG, Rz. 117 und 125 ff.; abrufbar unter
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.
13¹ Vgl. die bereits in anderen Bereichen bestehenden GAV-Verhandlungspflichten (siehe Erläuterungen zu Art. 5) sowie das Rechtsgutachten von Kurt Pärli «GAV-Verhandlungspflicht gestützt auf Artikel 197 Ziffer 13 lit. c Bundesverfassung», vom 2. November 2022, im Auftrag des BAG, Rz. 125 ff.; abrufbar unter
www.bag.admin.ch/bgap > Dokumente.

7.1.2 Änderung des GesBG

Die Änderung des GesBG basiert ebenso wie das geltende GesBG auf Artikel 117 a Absatz 2 Buchstabe a BV. Es handelt sich dabei um eine umfassende Kompetenz des Bundes, die Aus- und Weiterbildung sowie die Ausübung von Berufen im Bereich der medizinischen Grundversorgung zu regeln. Sowohl die Regelung des Masterstudiums FH/UH in Advanced Practice Nursing als auch die Anpassung betreffend digitale Kompetenzen erfolgen in diesem Rahmen. Die neuen Vorgaben für die Ausbildung zur Pflegeexpertin APN bzw. zum Pflegeexperten APN und die Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung rechtfertigen sich aufgrund der Gewährleistung der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit.

7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

7.2.1 Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege

Die Schweiz ist beim Erlass von arbeitsrechtlichen Regelungen an die völkerrechtlichen Verträge gebunden, die sie ratifiziert hat. Dabei handelt es sich namentlich um den Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 ¹32 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I), die Konvention vom 4. November 1950 ¹33 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK) und mehrere Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ¹34 . Keines dieser Übereinkommen beinhaltet spezifische Normen für Personen, die in der Pflege tätig sind, oder Normen, welche den diesbezüglich detaillierten Vorgaben des Entwurfs widersprechen würden.
Von Relevanz sind aber auch völkerrechtliche Vorgaben betreffend die Koalitionsfreiheit, insbesondere das Recht auf Kollektivverhandlungen bzw. den Abschluss von Kollektivverträgen. Hervorzuheben sind das Übereinkommen vom 1. Juli 1949 ¹35 Nr. 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen und das Übereinkommen vom 9. Juli 1948 ¹36 Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes. So verpflichtet etwa Artikel 4 des erstgenannten Übereinkommens die Staaten, soweit erforderlich «den Landesverhältnissen angepasste Massnahmen zu treffen, um im weitesten Umfang Entwicklung und Anwendung von Verfahren zu fördern, durch die Arbeitgeber oder Organisationen von Arbeitgebern einerseits und Organisationen von Arbeitnehmern anderseits freiwillig über den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen zur Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen verhandeln können». Die Regelung im Entwurf, gemäss welcher einzig eine Pflicht zur Verhandlung, nicht aber zum Abschluss eines GAV besteht, entspricht in ihrer Zielrichtung und Ausgestaltung dieser internationalen Verpflichtung der Schweiz.
¹32 SR 0.103.1
¹33 SR 0.101
¹34 Vgl. die Liste unter SR 0.822
¹35 SR 0.822.719.9
¹36 SR 0.822.719.7

7.2.2 Änderung des GesBG

Die Änderung des GesBG sieht eine Bewilligungspflicht für die Berufsausübung als Pflegeexpertin bzw. Pflegeexperte APN in eigener fachlicher Verantwortung vor. Dabei werden zur Berufsausübung ein bestimmter Bildungsabschluss sowie die Kenntnisse einer Amtssprache des Kantons verlangt. Zudem muss die gesuchstellende Person nachweisen, dass sie vertrauenswürdig ist sowie physisch und psychisch Gewähr für eine einwandfreie Berufsausübung bietet. Diese Vorgaben stehen im Einklang mit den Vorgaben des Abkommens vom 21. Juni 1999 ¹37 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) und des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 ¹38 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) bzw. der Richtlinie 2005/36/EG ¹39 der EU über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, welche die Schweiz im Rahmen des FZA bzw. des EFTA-Übereinkommens übernommen hat. Diese Richtlinie findet auf alle reglementierten Berufe Anwendung.
Für bestimmte Berufe wie Pflegefachfrauen und -fachmänner Bachelor oder HF sowie Hebammen sieht die Richtlinie eine automatische Anerkennung vor, weil die Mindestanforderungen an die Ausbildung koordiniert sind. Für die anderen im GesBG geregelten Berufe, die nicht automatisch anerkannt werden, wie künftig auch die Pflegeexpertinnen bzw. Pflegeexperten APN, gilt die allgemeine Regelung für die Anerkennung der Richtlinie 2005/36/EG. Wenn sich die Dauer oder die Inhalte der Ausbildung wesentlich unterscheiden, haben die Staaten die Möglichkeit, Ausgleichsmassnahmen in Form eines Anpassungslehrgangs oder einer Eignungsprüfung zu verlangen. Artikel 10 GesBG enthält bereits heute die entsprechende Regelung zur Anerkennung der Gleichwertigkeit der entsprechenden ausländischen Abschlüsse insbesondere in Übereinstimmung mit den Vorgaben der genannten Richtlinie. Die vorgesehene Reglementierung der Pflegeexpertinnen bzw. Pflegeexperten APN ist daher mit den Verpflichtungen der Schweiz aus dem Freizügigkeitsabkommen und dem EFTA-Übereinkommen vereinbar.
¹37 SR 0.142.112.681
¹38 SR 0.632.31
¹39 ABl. L 255 vom 30.9.2005, S. 22.

7.3 Erlassform

7.3.1 Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege

Gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Dazu gehören grundlegende Bestimmungen über Einschränkungen verfassungsmässiger Rechte sowie über die Rechte und Pflichten von Personen. Die im Entwurf vorgesehene Festlegung von Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen ist als wesentlicher Eingriff in Grundrechte einzustufen, insbesondere als Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit. Die diesbezüglichen Vorgaben sind deshalb in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen.
Die Zuständigkeit der Bundesversammlung ergibt sich aus Artikel 163 Absatz 1 BV. Die Vorlage untersteht dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. a BV).

7.3.2 Änderung des GesBG

Die Pflicht zur Akkreditierung des Masterstudiengangs FH/UH in Advanced Practice Nursing stellt einen wesentlichen Eingriff in die Hochschulautonomie dar. Ebenso ist das Erfordernis einer Bewilligung für die Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung für die privatwirtschaftliche Berufsausübung ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit. Deshalb sind die diesbezüglichen Vorgaben in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen.

7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit den Vorlagen werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen. Die Vorlagen sind somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

7.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

7.5.1 Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege

Mit den vorgeschlagenen Bestimmungen bleibt die im Gesundheitsbereich geltende kantonale Hoheit gewahrt, weitestgehend auch die kantonale Hoheit mit Blick auf die Regelung der eigenen Arbeitsverhältnisse. Weil die im Entwurf enthaltenen Vorgaben für alle Personen gelten sollen, die in der Pflege tätig sind, unabhängig davon, ob sie in einem privatrechtlichen oder einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis stehen, erscheint die vorgeschlagene Regelung als Mittel der Wahl, um die Forderung der Pflegeinitiative gemäss Artikel 197 Ziffer 13 Absatz 1 Buchstabe b BV umzusetzen und die Arbeitsbedingungen der in der Pflege tätigen Personen landesweit zu verbessern. Das Subsidiaritätsprinzip ist somit berücksichtigt.

7.5.2 Änderung des GesBG

Die geplante Unterstellung des Berufs der Pflegeexpertin bzw. des Pflegeexperten APN unter das GesBG erfolgt unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Wie bei den anderen Gesundheitsberufen nach GesBG wird auf Bundesebene nur normiert, was für eine im Interesse der öffentlichen Gesundheit erforderliche schweizweit einheitliche Regelung erforderlich ist.

7.6 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Die Vorlagen enthalten weder Gesetzesbestimmungen über Subventionen, noch werden Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beantragt; die Grundsätze des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 1990 14⁰ finden hier somit keine Anwendung.
14⁰ SR 616.1

7.7 Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen

7.7.1 Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege

Der Bundesrat soll auf Verordnungsstufe konkrete Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen festlegen, die in den Artikeln 5-9, 12 und 13 geregelt sind. Diese Delegationen sind angezeigt, weil sie Regelungen betreffen, deren Konkretisierungsgrad die Gesetzesebene überschreiten würde (vgl. die Konkretisierungen zum ArG in der ArGV 1 und der Verordnung 2 vom 10. Mai 2000 14¹ zum Arbeitsgesetz, etwa betr. Sonntagsarbeit oder Pikettdienst und die diesbezüglichen Kompensationen). Neben dem Rahmen, den der Entwurf vorgibt, beachtet der Bundesrat zudem die Position der Sozialpartner; Letztere sind vom Bundesrat beim Erlass der Vorschriften anzuhören (Art. 15).
Im Einzelnen soll der Bundesrat in folgenden Bereichen dazu befugt werden, auf Verordnungsstufe Konkretisierungen vorzunehmen:
-
Ausgleich von Überzeit (Art. 5 Abs. 3): Erhöhung des Mindestausgleichs, für den die Mindestvorgaben nach Artikel 13 ArG gelten.
-
Wöchentliche Normalarbeitszeit (Art. 6 Abs. 2): Festlegung einer Obergrenze von weniger als 42 Stunden (bei Einhaltung einer Untergrenze von 40 Stunden).
-
Ausgleich von Überstunden (Art. 7 Abs. 3 und 4): Bestimmung der zulässigen Anzahl Überstunden und der Zeitspanne, innerhalb der diese geleistet werden dürfen, sowie Erhöhung des Mindestausgleichs.
-
Ausgleich von Nachtarbeit (Art. 8 Abs. 2): Erhöhung des Mindestausgleichs, für den die Mindestvorgaben nach Artikel 17 b ArG gelten.
-
Ausgleich der Sonn- und Feiertagsarbeit (Art. 9 Abs. 3): Erhöhung des Mindestausgleichs, wobei zur Ersatzruhe die Mindestvorgaben nach Artikel 20 ArG gelten.
-
Bereitschafts- und Pikettdienst (Art. 12): Vorgaben zur Anrechnung als Arbeitszeit und zum Ausgleich.
-
Ankündigung von Dienstplänen und Bereitschafts- und Pikettdienst (Art. 13 Abs. 3): Bestimmung der Ankündigungsfrist, wobei Artikel 13 Absatz 1 als Minimum 4 Wochen vorgibt.
-
Ausgleich für Einsätze in Abweichung vom Dienstplan (Art. 13 Abs. 4): Bestimmung im Rahmen der Vorgaben nach Artikel 13 Absatz 2; die Frist, innerhalb welcher die Einsätze angekündigt werden, muss vom Bundesrat bei seinen Vorgaben berücksichtigt werden.
14¹ SR 822.112

7.7.2 Änderung des GesBG

In Artikel 5 Absatz 1bis ist vorgesehen, dass der Bundesrat den Umfang des Masterstudiengangs in Advanced Practice Nursing auf bis maximal 150 ECTS ausdehnen kann, sollte dies für die Sicherstellung der Qualität sowohl der Ausbildung als auch der Berufsausübung erforderlich sein. Ob dies der Fall sein wird, hängt insbesondere von den berufsspezifischen Kompetenzen ab, die der Bundesrat ebenfalls auf Verordnungsebene festlegen wird. Die Übergangsbestimmung in Artikel 34 a Absatz 3 sieht vor, dass inländische Abschlüsse nach bisherigem Recht sowie mit diesen als gleichwertig anerkannte ausländische Abschlüsse in Bezug auf die Erteilung der Berufsausübungsbewilligung den Abschlüssen nach Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe h gleichgestellt sind. Die Kompetenz, festzulegen, welche Abschlüsse dies im Einzelnen sind, obliegt dem Bundesrat. Beide genannten Regelungen erfordern einen Konkretisierungsgrad, der für die Gesetzesstufe nicht geeignet ist. Die Delegation an den Bundesrat erlaubt es dagegen, rasch auf die Bedürfnisse der Bildungswelt und der Gesundheitsversorgung zu reagieren.

7.8 Datenschutz

Die Vorlagen enthalten aus Sicht des Datenschutzes keine Aspekte, die nicht schon durch Vorgaben im ArG und im GesBG abgedeckt wären.
Bundesrecht
Botschaft zum Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege sowie zur Änderung des Gesundheitsberufegesetzes
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