Militärdienst mit Einschränkungen
Militärdienst mit Einschränkungen
Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates
vom 6. September 2024
Schlüsselbegriffe
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| Militärdienst, Schutzdienst und Zivildienst Männer mit Schweizer Bürgerrecht müssen Militärdienst leisten. Wer militärdiensttauglich ist, kann aus Gewissensgründen auf Gesuch hin als Ersatz Zivildienst leisten. Wer militärdienstuntauglich, für den Schutzdienst aber tauglich ist, leistet Dienst im Zivilschutz. | ||
| Rekrutierung Ab dem 18. Lebensjahr muss jeder Schweizer zur Rekrutierung erscheinen, d. h. ist stellungspflichtig. Anhand verschiedener Untersuchungen und Tests wird an der Rekrutierung entschieden, ob ein Stellungspflichtiger Militärdienst leisten muss und eine Waffe erhält. | ||
| Militärdiensttauglich mit Einschränkungen Wer aus medizinischen Gründen beispielsweise nicht schiessen oder nicht lange marschieren kann, ist nicht automatisch dienstuntauglich, sondern kann als militärdiensttauglich mit Einschränkungen eingestuft werden. Diese Personen können nur in bestimmten Funktionen eingesetzt werden, weshalb auch von «differenzierter Zuteilung» gesprochen wird. | ||
| Nosologia Militaris Die Nosologia Militaris ist eine interne Weisung des Oberfeldarztes der Armee. In ihr sind die medizinischen Kriterien für die Beurteilung der Tauglichkeit festgelegt. Sie gibt an, inwiefern eine Person mit einer bestimmten Diagnose Militärdienst leisten kann. | ||
Das Wichtigste in Kürze
Bei der Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen ist die Rechtsgleichheit nicht sichergestellt. Zudem gibt es verschiedene rechtliche Probleme. Die Beurteilungsprozesse in den Rekrutierungs zentren sind hingegen zweckmässig organisiert und effizient.
Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beauftragten die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) am 25. Januar 2023 mit einer Evaluation zum Militärdienst mit Einschränkungen. Die zuständige Subkommission EDA/VBS der GPK des Nationalrates (GPK-N) entschied, dass die Evaluation auf die Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit fokussieren soll.
Dazu untersuchte die PVK die Vorgaben zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen. Auf Grundlage von Dokumenten analysierte die PVK die Prozesse und befragte mittels einer Online-Umfrage das Personal in allen sechs Rekrutierungszentren. Zudem führte die PVK Interviews mit 26 Personen. Weiter liess sie eine statistische Analyse der Tauglichkeitsentscheide sowie ein Rechtsgutachten erstellen. Die PVK kam im Wesentlichen zu folgenden Ergebnissen:
Die Tauglichkeitsbeurteilung ist insgesamt zweckmässig organisiert und effizient
Jährlich werden in sechs Rekrutierungszentren um die 35 000 Personen auf ihre Militärdiensttauglichkeit hin beurteilt. Innerhalb von zwei bis drei Tagen müssen Ärztinnen und Ärzte dabei beurteilen, ob eine Person aus medizinischer Sicht den psychischen und körperlichen Belastungen des Militärdienstes gewachsen und damit militärdiensttauglich ist. Die PVK stellte fest, dass die durchgeführten Abklärungen angemessen und die zur Verfügung stehenden Informationen für die Tauglichkeitsbeurteilung geeignet sind. Die Prozesse stellen sicher, dass Doppelspurigkeiten bei Tests und Untersuchungen vermieden werden. Die Abläufe stellen auch sicher, dass zuerst unabhängig entschieden wird, ob ein Stellungspflichtiger tauglich ist, bevor er einer Funktion für die Rekrutenschule zugeteilt wird (Ziff. 4.2). Die statistischen Analysen stützen die Feststellung, dass organisatorische Faktoren die Tauglichkeitsentscheide nicht systematisch beeinflussen. So werden in den Monaten vor dem Beginn der Rekrutenschulen nicht mehr oder weniger Stellungspflichtige als militärdiensttauglich beurteilt. Auch die Zahl der Stellungspflichtigen, welche an einem Rekrutierungszyklus teilnehmen, wirkt sich nicht auf die Tauglichkeitsentscheide aus (Ziff. 5.2).
Die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen wird nicht einheitlich beurteilt
Die PVK hat die Ärztinnen und Ärzte in den Rekrutierungszentren befragt, da sie entscheiden, ob eine Person allenfalls militärdiensttauglich mit Einschränkungen wird. Die Mehrheit von ihnen gab an, die Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen seien eindeutig definiert und einfach anzuwenden (Ziff. 3.2).
Die PVK kommt auf Grundlage ihrer Dokumentenanalyse und des Rechtsgutachtens jedoch zu einem anderen Ergebnis. So sind die medizinischen Vorgaben nicht ausreichend konkret. Beispielsweise ist die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen beim Heben, Tragen und/oder Marschieren zwar in den Vorgaben erwähnt. Nach welchen Kriterien unterschieden werden soll, ob eine Person eine leichte oder erhebliche Einschränkung hat, ist jedoch nicht konkretisiert (Ziff. 3.2). Weiter fehlen Vorgaben zur Einführung der Ärztinnen und Ärzte in die Tätigkeit, bevor sie im Rekrutierungszentrum eingesetzt werden (Ziff. 4.1.2). Schliesslich gibt es keine Weisungen zur Qualitätssicherung. So wird die Einheitlichkeit der Tauglichkeitsentscheide und der Prozesse in den Rekrutierungszentren nicht systematisch anhand von Daten geprüft (Ziff. 4.1.3). Die im Auftrag der PVK durchgeführten statistischen Analysen der Tauglichkeitsentscheide zeigen denn auch, dass in den Rekrutierungszentren die Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen sehr unterschiedlich oft festgestellt werden (Ziff. 5.1). Zudem wird der Tauglichkeitsentscheid bei einer Beschwerde sehr oft revidiert. Damit stellt sich die Frage nach der Objektivität des Tauglichkeitsentscheids (Ziff. 5.3.1). Insgesamt kommt die PVK zum Schluss, dass eine einheitliche Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen nicht sichergestellt ist.
Die rechtlichen Vorgaben werden bei der Tauglichkeitsbeurteilung teilweise nicht eingehalten
In allen sechs Rekrutierungszentren werden in zwei für die Tauglichkeitsbeurteilung zentralen Bereichen die rechtlichen Vorgaben nicht eingehalten. Erstens müsste der Entscheid zur Tauglichkeit durch eine Kommission aus mindestens zwei Ärztinnen bzw. Ärzten gefällt werden, die Angehörige der Armee oder von der Armee angestellt sind. Der oder die Vorsitzende dieser Kommission eröffnet dem Stellungspflichtigen den Tauglichkeitsentscheid. In der Praxis wird dies jedoch seit Längerem nicht so gehandhabt. Stattdessen wird der Entscheid beispielsweise von Einzelpersonen gefällt (Ziff. 4.1.1).
Zweitens ist der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Stellen in den Rekrutierungszentren unrechtmässig. Die Fachstelle Personensicherheitsprüfung (PSP), die das Sicherheitsrisiko der Stellungspflichtigen beurteilt, teilt seit Jahren systematisch mit der Ärzteschaft in den Rekrutierungszentren Informationen zu einzelnen Stellungspflichtigen. Auch die Ärztinnen und Ärzte teilen ihrerseits regelmässig Informationen zu Stellungspflichtigen mit der Fachstelle PSP. Informationen zu strafrechtlichen Verurteilungen und dem Gesundheitszustand sind jedoch besonders schützenswerte Personendaten, für welche das Gesetz hohe Anforderungen stellt. Die Fachstelle PSP darf Informationen nur dann teilen, wenn es Anzeichen auf ein unmittelbares Sicherheitsrisiko gibt. Ärztinnen und Ärzte sind nur dann vom Berufsgeheimnis entbunden, wenn es Hinweise auf eine Gefährdung mit der persönlichen Armeewaffe gibt. Eine Weisung aus dem Jahr 2014 erwähnt diese Anforderungen nicht, sondern erweckt den Eindruck, dass der Informationsaustausch praktisch uneingeschränkt möglich ist. Laut dem Rechtsgutachten hält die Weisung damit den gesetzlichen Rahmen nicht ein. Der Informationsaustausch und die einschlägige Weisung sind somit unrechtmässig (Ziff. 3.3).
Die Militärdiensttauglichkeit und das Beschwerderecht sind rechtlich ungenügend verankert
Alle volljährigen Schweizer müssen Militärdienst leisten. Mit der Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit wird entschieden, ob ein Stellungspflichtiger Dienst leisten kann oder eine Abgabe in Form des Wehrpflichtersatzes bezahlen muss. Trotz der Tragweite des Entscheids sind die Militärdiensttauglichkeit und die Tauglichkeitskategorien nicht ausreichend im Gesetz verankert, wie das im Auftrag der PVK verfasste Rechtsgutachten festhält. Die Kriterien, nach denen die Militärdiensttauglichkeit bewertet wird, sind nicht einmal in groben Zügen in einer Verordnung definiert und folglich auch nicht öffentlich zugänglich (Ziff. 3.1).
Bei einer Beschwerde gegen einen Entscheid zur Militärdiensttauglichkeit schliesst das Gesetz den Rechtsweg an eine höhere Instanz aus. Das ist an sich rechtmässig, doch haben weder der Bundesrat noch der Gesetzgeber dies jemals begründet. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wäre diese Einschränkung des Rechtswegs laut dem Rechtsgutachten stärker zu rechtfertigen. Problematisch ist schliesslich, dass das Gesetz Stellungspflichtigen, die bei der Rekrutierung als nicht militärdiensttauglich beurteilt werden, kein Beschwerderecht einräumt. In der Praxis wird ihnen dieses Recht allerdings bereits heute gewährt (Ziff. 3.4).
Bericht
1 Einleitung
1.1 Anlass und Fragestellungen der Evaluation
Jeder Schweizer ist gemäss Bundesverfassung verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Jährlich werden um die 35 000 Stellungspflichtige an der Rekrutierung auf ihre Tauglichkeit für den Militärdienst und den Zivilschutz hin untersucht. Wer aus medizinischer Sicht körperlich, intellektuell und psychisch den Anforderungen des Militärdienstes genügt, ist militärdiensttauglich. Als 1996 der Zivildienst als Ersatz für den Militärdienst eingeführt wurde, führte die Armee aus Sorge, nicht mehr genügend Personen rekrutieren zu können, den waffenlosen Militärdienst ein. Die Voraussetzungen für den Militärdienst haben sich in den vergangenen Jahren weiter verändert. So muss heutzutage ein Cybersoldat nicht die gleichen Anforderungen erfüllen wie ein Infanterist. Jeder zehnte Militärdienstleistende ist militärdiensttauglich mit einer Einschränkung. Das heisst, er kann nicht mit einer Waffe schiessen, keine militärischen Motorfahrzeuge fahren oder nur beschränkt marschieren, tragen oder Lasten heben. ¹ Im Militärdienst darf er also beispielsweise keine langen Märsche mit einem schweren Rucksack absolvieren.
Die Kategorien der Einschränkungen der Militärdiensttauglichkeit wurden 2019 letztmals erweitert, und es stellt sich die Frage, ob sie rechtlich angemessen verankert sind. Da die Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit zudem darüber entscheidet, ob ein Schweizer in den Militärdienst eintritt, ist die Rechtsgleichheit zentral: Es muss sichergestellt sein, dass die Stellungspflichtigen in allen sechs Rekrutierungszentren einheitlich und nach objektiven Kriterien auf ihre Militärdiensttauglichkeit ohne oder mit Einschränkungen hin beurteilt werden.
Vor diesem Hintergrund haben die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) am 25. Januar 2023 beschlossen, die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Evaluation zum Militärdienst mit Einschränkungen zu beauftragen. Am 8. Mai 2023 hat die zuständige Subkommission EDA/VBS der GPK des Nationalrates (GPK-N) anhand einer Projektskizze entschieden, dass die PVK die folgenden Fragestellungen beantworten soll:
1.
Sind die Vorgaben für die Beurteilung der Tauglichkeit mit Einschränkungen recht- und zweckmässig? (Ziff. 3)
2.
Werden bei der Rekrutierung einheitliche und zweckmässige Prozesse für die Tauglichkeitsbeurteilung angewendet? (Ziff. 4)
3.
Ist die Rechtsgleichheit der Entscheide über die Tauglichkeit mit Einschränkungen angemessen sichergestellt? (Ziff. 5)
¹ Dabei handelt es sich um die folgenden Kategorien aus der massgeblichen Verordnung: «militärdiensttauglich, schiessuntauglich», «militärdiensttauglich, kein Führen von militärischen Motorfahrzeugen» und «militärdiensttauglich, mit Einschränkungen» (Anhang 1 der Verordnung über die medizinische Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und der Militärdienstfähigkeit, VMBM, SR 511.12 ).
1.2 Vorgehen
Um die Evaluationsfragestellungen zu beantworten, wendete die PVK verschiedene Methoden der Datenerhebung und -analyse an, welche in Tabelle 1 dargestellt sind. Die Analysen fanden zwischen Mai 2023 und Februar 2024 statt. Anhang 1 am Ende des Berichtes enthält eine Übersicht über die Herangehensweise der Evaluation, während Anhang 2 die Kriterien erläutert, auf denen die Bewertungen der PVK beruhen.
Tabelle 1
Methodenübersicht
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| Evaluationsfragen | Rechtsgutachten (externes Mandat) | Dokumentenanalyse | Online-Befragung und Interviews | Analyse der Tauglichkeits-entscheide (externes Mandat) |
|---|---|---|---|---|
| 1. Rechtmässigkeit und Zweckmässigkeit der Vorgaben | ∗ | ∗ | (∗) | |
| 2. Einheitlichkeit und Zweckmässigkeit der angewendeten Prozesse | ∗ | ∗ | ||
| 3. Rechtsgleichheit der Tauglichkeitsentscheide | ∗ |
Legende: ∗ = Hauptbeitrag zur Analyse; (∗) = sekundärer Beitrag zur Analyse.
Ein im Auftrag der PVK verfasstes Rechtsgutachten ² bewertete, ob die Militärdiensttauglichkeit allgemein und die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen im Speziellen rechtlich ausreichend verankert und stufengerecht konkretisiert sind.
Die PVK führte weiter Dokumentenanalysen durch, um die Klarheit, Einheitlichkeit und Zweckmässigkeit der Vorgaben sowie die Übereinstimmung der angewendeten Prozesse mit den Vorgaben zu bewerten. Gegenstand dieser Analysen waren die Weisungen und Unterlagen zur Rekrutierung der daran beteiligten Stellen. Die PVK stützt sich auch auf die Auswertung einer Befragung der Chefpsychologen und -psychologinnen der Rekrutierungszentren, welche diese Ende 2022 in Eigeninitiative durchgeführt hatten.
Auf der Grundlage einer von der PVK durchgeführten Online-Befragung des Personals in den Rekrutierungszentren bewertete die PVK die Zweckmässigkeit der Prozesse zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit. Es hatten 167 Personen teilgenommen, was 90 Prozent der kontaktierten Personen entspricht. ³ Zur Vertiefung der Ergebnisse der Befragung und der Dokumentenanalysen hat die PVK Interviews mit 26 Personen durchgeführt (vgl. Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner).
Schliesslich hat Infras im Auftrag der PVK eine statistische Analyse der Tauglich keitsentscheide ⁴ durchgeführt. Diese Analysen berücksichtigten alle Entscheide zur Militärdiensttauglichkeit bei rund 122 000 Stellungspflichtigen ab der letztmaligen Anpassung der Kategorien der Militärdiensttauglichkeit in der Verordnung per 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2023.
Die Evaluationsergebnisse diskutierte die PVK im Februar 2024 mit der Leitungsebene der Logistikbasis der Armee und der Sanität sowie des Kommandos Ausbildung und Personelles der Armee. Einen Entwurf des vorliegenden Berichtes sowie das im Auftrag der PVK verfasste Rechtsgutachten und die Entscheidanalysen hat die PVK dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) im Mai 2024 zur Konsultation zugestellt. Im Juni 2024 fand ein Gespräch über die Ergebnisse mit dem Chef der Armee statt.
² Zentrum für Demokratie Aarau (2023): Juristisches Kurzgutachten zur Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen. Verfasst von Prof. Dr. Andreas Glaser, Clara Beer und Lukas Christen im Auftrag der PVK [kurz: Rechtsgutachten ZDA].
³ An der Befragung teilgenommen haben die Kommandanten der Rekrutierungszentren und ihre Stellvertreter (n=12), die angestellte Ärzteschaft (n=16) sowie jeweils 88 % der Mandatsärzteschaft (n=77), welche sich für die Teilnahme an der Befragung entschädigen lassen konnte, und Rekrutierungspsychologinnen und -psychologen (n=42) und 95 % der kontaktierten Personensicherheitsprüferinnen und -prüfer der Rekrutierungszentren (n=20). Die Datensammlung fand im Oktober und November 2023 statt.
⁴ Infras (2023): Beurteilung der eingeschränkten Militärdiensttauglichkeit: statistische Analyse der Tauglichkeitsentscheide ab 2019. Verfasst von Beatrice Ehmann, Judith Trageser und Thomas von Stokar im Auftrag der PVK [kurz: Entscheidanalysen].
1.3 Mehrwert und Grenzen der Evaluation
Die GPK beauftragten die PVK, die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen zu evaluieren und dabei auf die Beurteilung der Tauglichkeit zu fokussieren. Frühere Studien des Oberfeldarztes ⁵ haben unterschiedliche Tauglichkeitsraten zwischen den Kantonen festgestellt, die trotz zahlreicher Faktoren, die berücksichtigt wurden, nicht erklärt werden konnten. Sie schlossen, dass Unterschiede in den Prozessen in den Rekrutierungszentren eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Tauglichkeitsraten sind, weshalb die Evaluation insbesondere diese Prozesse untersucht hat. Zudem hat sie die rechtliche Verankerung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen bewertet. Schliesslich wurden die Tauglichkeitsentscheide untersucht, um zu sehen, ob sich allfällige Unterschiede in den Prozessen zwischen den Zentren in den Entscheiden niederschlagen. Dabei liess die PVK auch untersuchen, wie oft Tauglichkeitsentscheide aufgrund von Beschwerden oder Neubeurteilungen nachträglich angepasst wurden.
Die Evaluation konzentriert sich auf die Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit von Stellungspflichtigen (vgl. Abb. 1). Frauen, Auslandschweizer und andere Personen, welche freiwillig Militärdienst leisten, wurden nicht berücksichtigt. Für sie gilt keine Dienstpflicht und sie müssen deshalb auch keine Wehrpflichtersatzabgabe leisten, wenn sie keinen Militärdienst leisten, weshalb die gesetzlichen Anforderungen weniger streng sind (vgl. Ziff. 3.1 zu den wichtigen Rechtsnormen).
Ebenfalls nicht Gegenstand der Evaluation sind der Zivilschutz und der Zivildienst. Ob ein Stellungspflichtiger schutzdiensttauglich ist, d. h. Zivilschutz leisten kann, wird auch an der Rekrutierung bestimmt, wurde jedoch von der PVK nicht untersucht. Die Evaluation der PVK ist jedoch für den Zivilschutz insofern relevant, als es aufgrund der Aufweichung der Kriterien für die Militärdiensttauglichkeit nicht mehr genügend Schutzdienstpflichtige gibt. ⁶
Abbildung 1
Abgrenzung der Evaluation von Schutzdienst und Zivildienst
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
Legende: Die blau gefärbten Bereiche sind Gegenstand der vorliegenden Evaluation, die hellen Bereiche sind nicht Teil der Evaluation. Gestrichelte Linien bezeichnen Pfade, die nicht zwingend sind, wie ein Gesuch militärdiensttauglicher Personen um Zulassung zum Zivildienst.
Für den Zivildienst muss ein Stellungspflichtiger zuerst im Rahmen der Rekrutierung als militärdiensttauglich beurteilt werden, bevor ein allfälliges Gesuch um Aufnahme in den Zivildienst behandelt wird. Die nachträglichen Wechsel Militärdiensttauglicher mit und ohne Einschränkungen in den Zivildienst hat die PVK nicht untersucht.
Im Falle einer Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen stehen den Personen nur bestimmte Funktionen in der Rekrutenschule offen, weshalb auch von einer «differenzierten Zuteilung» gesprochen wird. Die Funktionszuteilung nach dem Tauglichkeitsentscheid hat die PVK entsprechend dem Priorisierungsentscheid der zuständigen Subkommission der GPK-N nicht genauer untersucht.
⁵ Floris, Joël, Kaspar Staub, Frank Rühli (2016): Analyse möglicher Ursachen für die kantonalen Unterschiede in den Militärtauglichkeitsraten. Bericht zuhanden des Oberfeldarztes der Schweizer Armee; Floris, Joël, Kaspar Staub, Leonhard Held, Frank Rühli (2019): Vertiefte Analyse der Tauglichkeitsraten bei der Rekrutierung für die Schweizer Armee 2016-2017. Schlussbericht zuhanden des Oberfeldarztes der Schweizer Armee.
⁶ Bundesrat (2022): Alimentierung von Armee und Zivilschutz. Teil 2: Möglichkeiten zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems ( BBl 2022 665 ), Ziff. 1.1.
1.4 Aufbau des Berichtes
Der Bericht beschreibt im folgenden Kapitel die Vorgaben der Rekrutierung, den Ablauf der Tauglichkeitsbeurteilung sowie die möglichen Entscheide zur Militärdiensttauglichkeit, insbesondere mit Einschränkungen. Danach folgen drei Kapitel, in welchen jeweils eine der drei Fragestellungen der Evaluation beantwortet wird: So befasst sich Kapitel 3 mit den Vorgaben zur Tauglichkeitsbeurteilung, Kapitel 4 mit der Praxis in den verschiedenen Rekrutierungszentren, und das Kapitel 5 analysiert die Tauglichkeitsentscheide. In Kapitel 6 werden die Schlussfolgerungen gezogen.
Abbildung 2
Aufbau der Evaluation und Gegenstand der Analysen
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2 Grundlagen der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen
Dieses Kapitel legt die Grundlagen für die Beantwortung der drei Fragestellungen der Evaluation in den nachfolgenden Kapiteln (Abb. 2). Es beschreibt die Vorgaben zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit (Ziff. 2.1), die Beurteilungsprozesse in den Rekrutierungszentren (Ziff. 2.2) sowie die daraus resultierenden Entscheide über die Militärdiensttauglichkeit (Ziff. 2.3).
2.1 Rechtliche Vorgaben zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit
Der Bund ist für die Rekrutierung zuständig und trägt deren Kosten (Art. 11 des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung, MG ⁷ ). Bei der Rekrutierung werden Informationen für die Beurteilung der Tauglichkeit für den Militär- und Schutzdienst erhoben und entsprechende Tests durchgeführt. Weiter wird ein Leistungsprofil der Stellungspflichtigen erstellt und geprüft, ob ihnen eine persönliche Waffe überlassen werden kann (Art. 10 Abs. 1 MG). Stellungspflichtige müssen ab dem 18. Geburtstag an der Rekrutierung teilnehmen, wobei Ausnahmen möglich sind (Art. 9 MG). Wenn offensichtlich ist, dass ein Stellungspflichtiger weder Militär- noch Schutzdienst leisten kann, z. B. wegen Geburtsgebrechen wie Trisomie 21, Lähmungen oder anderen Diagnosen, ist eine sogenannte Beurteilung in absentia möglich. Die Person oder ihre gesetzliche Vertretung muss in diesem Fall entsprechende Belege einreichen, worauf der Stellungspflichtige ohne Teilnahme an der Rekrutierung für militär- und schutzdienstuntauglich erklärt wird. Eine Übersicht über alle Vorgaben für die Tauglichkeitsbeurteilung findet sich in Tabelle 2.
Die Militärdiensttauglichkeit ist nicht auf Gesetzes-, sondern auf Verordnungsebene definiert: Militärdiensttauglich ist, wer aus medizinischer Sicht körperlich, intellektuell und psychisch den Anforderungen des Militärdienstes genügt, so Artikel 2 der Verordnung über die medizinische Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und der Militärdienstfähigkeit (VMBM) ⁸ . Der Oberfeldarzt bildet dazu sogenannte medizinische Untersuchungskommissionen (UC), welche aus mindestens zwei Ärztinnen oder Ärzten bestehen, die entweder Angehörige der Armee oder von der Armee angestellt sind (Art. 4 VMBM). Diese UC fällen den Entscheid bezüglich der Tauglichkeit für den Militär- und Schutzdienst (Abb. 1). Artikel 16 VMBM zum Vollzug ermächtigt den Oberfeldarzt, Weisungen zu erlassen.
Wie die medizinische Untersuchung bei der Rekrutierung abläuft und welche Kriterien bei der Beurteilung der Tauglichkeit ausschlaggebend sind, hat der Oberfeldarzt in Weisungen festgehalten. Die sogenannte Nosologia Militaris führt tabellarisch für eine Vielzahl medizinischer Diagnosen auf, wie sich diese auf den Entscheid bezüglich der Tauglichkeit für den Militär- und Schutzdienst auswirken.
Die Ausführungsbestimmungen bestehen aus zwei weiteren Dokumenten: erstens in den «Weisungen des Oberfeldarztes über die Umsetzung der Medizinischen Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und der Militärdienstfähigkeit» datiert vom 1. März 2020 (UMBM) führen die Aufgaben, Zusammensetzung und Verantwortlichkeiten der verschiedenen UC aus. Sie enthalten auch Informationen dazu, unter welchen Bedingungen eine Neubeurteilung der Tauglichkeit (vgl. Ziff. 2.1.2) zugelassen wird, und legen fest, dass eine Beurteilung in absentia nur möglich ist, falls die medizinische Sachlage eindeutig ist und eine ausführliche Dokumentation vorliegt. ⁹ Zweitens im Reglement mit dem Titel «Medizinische Beurteilung der Diensttauglichkeit und Dienstfähigkeit der Stellungspflichtigen und Angehörigen der Armee» datiert vom 1. Oktober 2011 (MBDD), welches die fachtechnischen und medizinischen Normen zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit aufführt. Beispielsweise beschreibt es, wie bei der Untersuchung eines Stellungspflichtigen vorgegangen werden muss.
Tabelle 2
Zentrale Rechtsgrundlagen und Weisungen des Oberfeldarztes der Armee zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit
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| Rechtsgrundlagen | |
| Militärgesetz (MG, SR 510.10 ) | Regelt die Stellungspflicht und die Rekrutierung (2. Kapitel, 1. Abschnitt), die Nichtrekrutierung (Art. 21) und die Neubeurteilung der Tauglichkeit (Art. 20) sowie die Beschwerde (Art. 39). |
| Verordnung über die medizinische Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und der Militärdienstfähigkeit (VMBM, SR 511.12 ) | Enthält die medizinische Definition der Militärdiensttauglichkeit (Art. 2) und in Anhang 1 die Kategorien der Militärdiensttauglichkeit. Auch die Beschwerde (Art. 14) und die Weisungsbefugnis des Oberfeldarztes (Art. 16 Abs. 2) sind erwähnt. |
| Verordnung über die Militärdienstpflicht (VMDP, SR 512.21 ) | Führt den Zeitpunkt und die Dauer der Rekrutierung (Art. 12) sowie deren Inhalt (Art. 13) auf. Für die Beurteilung des Gesundheitszustands und der Psyche verweist sie auf die VMBM (Art. 14). |
| Weisungen des Oberfeldarztes | |
| Nosologia Militaris (2022) | Enthält die medizinischen Vorgaben zur Beurteilung der Tauglichkeit für den Militär- und Schutzdienst. |
| Weisungen des Oberfeldarztes über die Umsetzung der medizinischen Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und der Militärdienstfähigkeit (UMBM, 2020) | Umfassen die Ausführungsbestimmungen zur Nosologia Militaris. Definieren die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der für den Tauglichkeitsentscheid zuständigen Untersuchungskommissionen (UC) und machen Vorgaben zur Neubeurteilung und Beschwerde. Anhang 2 führt Gewichts- bzw. Distanzlimiten für die leichte bzw. erhebliche Einschränkung beim Heben, Tragen und Marschieren auf. |
| Medizinische Beurteilung der Diensttauglichkeit und Dienstfähigkeit der Stellungspflichtigen und Angehörigen der Armee (MBDD, 2011) | Enthält die fachtechnischen Vorschriften zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und das Vorgehen bei der Untersuchung der Stellungspflichtigen, auch zu den Untersuchungen der Psyche. |
2.1.1 Nichtrekrutierung und Personensicherheitsprüfung
Im Rahmen der Rekrutierung werden Stellungspflichtige zu zwei Zeitpunkten und durch zwei Stellen auf ihr Gefährdungs- und Missbrauchspotenzial hin überprüft. Erstens vor der Rekrutierung: Es ist möglich, dass die Armee einen Entscheid zur Nichtrekrutierung fällt. Personen, die wegen eines Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig verurteilt wurden, für die eine freiheitsentziehende Massnahme rechtskräftig angeordnet wurde oder die nach Artikel 113 MG keine Waffe erhalten dürfen, werden nicht zur Rekrutierung aufgeboten (Art. 21 MG). Bei welchen Strafen genau ein Militärdienst noch möglich ist, präzisiert die Verordnung über die Militärdienstpflicht (Art. 35 bis 37 VMDP). Für diese Beurteilung ist das Kommando Ausbildung zuständig (Art. 32 Abs. 1 VMDP), welches dazu Zugang zum Strafregister erhält und von Polizeibehörden Unterlagen anfordern kann (Art. 23 MG sowie Art. 59 des Bundesgesetzes über das Strafregister-Informationssystem VOSTRA 1⁰ ).
Eine zweite Überprüfung geschieht während der Rekrutierung im Rahmen einer Personensicherheitsprüfung (PSP) durch die Fachstelle PSP. Ihr Personal ist in allen Rekrutierungszentren vertreten. Die Fachstelle prüft, ob eine Person mit der persönlichen Waffe, zu der sie im Militärdienst Zugang erhält, sich selber oder Dritte gefährden oder die Waffe missbrauchen könnte (Art. 113 MG). 1¹ Nur wer in der PSP positiv beurteilt wird und somit eine sogenannte Sicherheitserklärung erhält, darf eine persönliche Waffe erhalten und kann folglich Militärdienst leisten (3. Abschnitt MG). Wer hingegen negativ beurteilt wird und deshalb eine Risikoerklärung erhält, darf keinen Zugang zu Waffen erhalten und damit auch keinen Militärdienst leisten. Vier Wochen vor dem Rekrutierungszeitpunkt holt die Fachstelle zu allen aufgebotenen Stellungspflichtigen Informationen ein. Sie hat auch Zugang zu Verurteilungen nach Jugendstrafrecht und zu Informationen, die nicht zu einer Verurteilung führten, wie Einstellungsverfügungen (Art. 34 des Bundesgesetzes über die Informationssicherheit beim Bund, ISG ¹2 ). Sobald klar wird, dass eine Person nicht militärdiensttauglich ist, bricht die Fachstelle ihre Abklärungen ab (Art. 37 ISG). Die Fachstelle PSP beurteilt im Rahmen der Rekrutierung jährlich rund 40 500 Stellungspflichtige. ¹3
Normalerweise ist eine Personensicherheitsprüfung nur mit Zustimmung der zu prüfenden Person erlaubt (Art. 32 Abs. 1 ISG). Stellungspflichtige dürfen jedoch ohne Einwilligung geprüft werden (Art. 32 Abs. 2 ISG), sodass sie sich nicht der Dienstpflicht entziehen können, indem sie ihre Zustimmung verweigern.
Der Rechtsweg mit einer Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht ¹4 steht sowohl beim Entscheid zur Nichtrekrutierung (Art. 40 Abs. 1 MG) als auch bei der PSP offen (Art. 44 ISG). Bei der PSP argumentierte der Bundesrat, diese stelle einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar, weshalb ein unmittelbarer gerichtlicher Rechtsschutz nötig sei. ¹5
1⁰ SR 330
1¹ Der massgebliche Artikel 113 MG richtet sich in der bestehenden Fassung an «Angehörige der Armee» (AdA), weshalb Stellungspflichtige bei der Rekrutierung im Prinzip nicht erfasst sind. Eine Person wird AdA, wenn sie als militärdiensttauglich beurteilt wird (Art. 3 Abs. 1 des Dienstreglementes der Armee, DRA, SR 510.107.0 ). Der Bundesrat will das MG anpassen, damit auch Stellungspflichtige bei der Rekrutierung erfasst sind (Bundesrat (2023): Änderung des Militärgesetzes, der Verordnung über die Verwaltung der Armee und der Armeeorganisation. Erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens, Ziff. 1.1.9).
¹2 SR 128
¹3 Botschaft zum Bundesgesetz über die Informationssicherheit vom 22. Februar 2017 ( BBl 2017 2953 ), kurz: Botschaft zum ISG, Ziff. 3.1.2
¹4 Verwaltungsverfahrensgesetz, SR 172.021
¹5 Botschaft zum ISG zu Art. 45, «Rechtsschutz», 3049
2.1.2 Beschwerde und Neubeurteilung
Gegen einen Entscheid zur Militärdiensttauglichkeit können Angehörige der Armee innerhalb von 30 Tagen eine Beschwerde einreichen, woraufhin eine andere UC als Beschwerdeinstanz entscheidet, die jedoch auf gleicher Stufe angesiedelt ist. Der Entscheid dieser Instanz ist abschliessend und kann nicht angefochten werden (Art. 39 MG). Das Gesetz schliesst somit die Beschwerde an eine höhere Instanz wie das Bundesverwaltungsgericht aus. An der Rekrutierung werden die Stellungspflichtigen durch eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung über die Beschwerdemöglichkeit aufgeklärt.
Das MG regelt auch die Neubeurteilung der Militärdiensttauglichkeit (Art. 20). Die zu prüfende Person, also jeder Stellungspflichtige, kann ein schriftliches und begründetes Gesuch um Neubeurteilung stellen (Abs. 1bis). Ein solches Gesuch ist auch nach einer Beschwerde noch möglich. Die Kompetenz, die Voraussetzungen und das Verfahren zur Neubeurteilung zu definieren, delegiert das Gesetz an den Bundesrat (Abs. 3). Es bestehen hierzu jedoch keine einschlägigen Verordnungsbestimmungen, sondern lediglich Weisungen des Oberfeldarztes (vgl. dazu Ziff. 3.4).
⁷ SR 510.10
⁸ SR 511.12
⁹ Die UMBM war zum Zeitpunkt der Evaluation in Überarbeitung. Die neue Version lag bis zum Abschluss der Datenerhebung der PVK nicht vor.
2.2 Prozesse zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit
Die Stellungspflichtigen werden an der Rekrutierung in einem von sechs Rekrutierungszentren (Abb. 3) auf ihre Militärdiensttauglichkeit hin beurteilt. Bereits bevor die Stellungspflichtigen in einem Rekrutierungszentrum erscheinen müssen, nehmen sie an einer Orientierungsveranstaltung in ihrem Kanton teil (Art. 8 MG). An dieser werden die Stellungspflichtigen über die Rekrutierung informiert und müssen Angaben zu ihrem allgemeinen Gesundheitszustand machen, indem sie einen ärztlichen Fragebogen ausfüllen (Art. 8 Abs. 1 MG). Diese Fragebogen und allfällige Arztzeugnisse werden an die Ärzteschaft in den Rekrutierungszentren weitergeleitet.
In der Regel müssen Stellungspflichtige zur zwei- bis dreitägigen Rekrutierung erscheinen (Art. 9 MG). Die Untersuchungen und Tests, welche sie dort absolvieren, haben zwei Ziele: Zum einen soll die Tauglichkeit für den Militär- und Schutzdienst bestimmt werden. Zum andern soll auch erhoben werden, für welche Funktionen in der Armee (oder dem Zivilschutz) sich die Person eignen würde. Der Militärärztliche Dienst ist für die Beurteilung der Tauglichkeit zuständig, das Kommando Rekrutierung für den Betrieb der Rekrutierungszentren und die Zuteilung der militärdiensttauglichen Personen zu einer Funktion in der Rekrutenschule. Wie in Abbildung 4 dargestellt, gehören der Militärärztliche Dienst und das Kommando Ausbildung unterschiedlichen Stellen innerhalb der Gruppe Verteidigung an. Zudem ist die Fachstelle PSP für die Personensicherheitsprüfung in den Rekrutierungszentren vertreten (Ziff. 2.1.1).
Abbildung 3
Die sechs Rekrutierungszentren
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Bemerkungen: Die Stellungspflichtigen werden je nach Wohnort und Muttersprache einem der sechs Rekrutierungszentren zugeteilt.
Quelle: Schweizer Armee.
Den Entscheid über die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen fällen die Rekrutierungsärztinnen und -ärzte. Zum einen haben sie Informationen aus dem medizinischen Fragebogen der Orientierungsveranstaltungen, zum andern wird bei allen Stellungspflichtigen eine allgemeine medizinische Untersuchung vorgenommen. Auch zusätzliche Abklärungen sind möglich und die Beurteilung kann dafür verschoben werden. ¹6 So können weitere Abklärungen bei einem Facharzt oder einer Fachärztin ausserhalb des Zentrums angeordnet oder bei Stellungspflichtigen, die beispielsweise kürzlich einen Unfall hatten, der weitere Heilungsprozess abgewartet werden. Diese Stellungspflichtigen werden «zurückgestellt» und zu einem späteren Zeitpunkt nochmals aufgeboten, um ihre Militärdiensttauglichkeit zu beurteilen.
In den Rekrutierungszentren sind auch Psychologinnen und Psychologen vertreten. Diese führen einerseits anhand standardisierter Fragebogen eine Abklärung zur Funktions- und Kadereignung sowie einen Fahrertest (SAROAD) durch. Andererseits beurteilen sie die psychische Gesundheit und Belastbarkeit der Stellungspflichtigen als Teil der Tauglichkeitsbeurteilung. Mit rund einem Drittel der Stellungspflichtigen führen die Psychologinnen und Psychologen dazu ein persönliches Gespräch, sei es aufgrund von Auffälligkeiten in deren Antworten in den standardisierten Tests oder auf Wunsch der Ärzteschaft. Aufgrund dieser Informationen geben sie eine Empfehlung zur Tauglichkeit ab. Organisatorisch sind die Psychologinnen und Psychologen dem Kommando Rekrutierung unterstellt (Abb. 4). Zusätzlich werden Stellungspflichtige einer PSP unterzogen (vgl. Ziff. 2.1.1). Mit 2 bis 3 Prozent der Stellungspflichtigen führt die Fachstelle PSP Gespräche, in den restlichen Fällen stützt sie sich bei ihrem Entscheid auf die Akten. Der Informationsaustausch zwischen den Stellen in den Rekrutierungszentren zu den Stellungspflichtigen ist in einer Weisung ¹7 festgehalten (vgl. Ziff. 3.3).
Der Entscheid über die Militärdiensttauglichkeit wird von einer UC gefällt (Ziff. 2.1) und den Stellungspflichtigen in einem persönlichen Gespräch von dem/der Vorsitzenden der UC eröffnet und allenfalls erläutert. Wer militärdiensttauglich ist und von der PSP eine Sicherheitserklärung erhalten hat, führt zum Abschluss der Rekrutierung ein Gespräch mit dem Kommandanten des Rekrutierungszentrums oder dessen Stellvertreter. Dieser teilt die Stellungspflichtigen für die Rekrutenschule einer Funktion zu und vereinbaren den Startzeitpunkt der Rekrutenschule.
Abbildung 4
An der Rekrutierung beteiligte Stellen und Funktionen des VBS
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Legende: PSP: Personensicherheitsprüfung; SEPOS: Staatssekretariat für Sicherheitspolitik.
¹6 UMBM, Teil II, Ziff. 2.7
¹7 Führungsstab der Armee (2014): Interne Weisung zur Zusammenarbeit zwischen der PSP, der Medizin/Psychologie und den Kommandanten der Rekrutierungszentren vom 14. April 2014 [kurz: Weisung zum Informationsaustausch].
2.3 Kategorien der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen
Im Jahr 1996 wurde der waffenlose Militärdienst für Stellungspflichtige, die den bewaffneten Militärdienst nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können (Art. 16 MG), eingeführt. Man befürchtete, durch den damals neu geschaffenen Zivildienst nicht mehr genügend Armeeangehörige rekrutieren zu können. ¹8 Die Kategorien der Militärdiensttauglichkeit wurden seitdem immer wieder erweitert, letztmals 2019.
Ein Stellungspflichtiger kann grundsätzlich für militärdiensttauglich, schutzdiensttauglich oder für beide Dienste untauglich erklärt werden (vgl. Abb. 1). Zudem gibt es verschiedene Arten von Einschränkungen der Militärdiensttauglichkeit, die miteinander kombiniert werden können. So kann eine Person militärdiensttauglich sein, aber aus medizinischen Gründen nicht schiessen und keine schweren Lasten tragen dürfen. Die Tauglichkeitsentscheide sind abschliessend in einer Verordnung aufgeführt (Anhang 1, Ziff. 1.2 bis 1.5 VMBM):
-
«Militärdiensttauglich, schiessuntauglich»: Die Person erhält aus medizinischen Gründen keine persönliche Waffe und darf bei Problemen mit dem Gehör keinen starken Lärmquellen ausgesetzt werden ¹9 ;
-
«Militärdiensttauglich, kein Führen von militärischen Motorfahrzeugen»;
-
«Militärdiensttauglich, mit Einschränkungen»: Die Marsch-, Trag- und/oder Hebefähigkeit der Person ist eingeschränkt, wobei jede Fähigkeit einzeln beurteilt wird und jeweils zwischen einer leichten und einer erheblichen Einschränkung unterschieden wird.
Im Rahmen der Evaluation werden unter dem Begriff der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen die obigen drei Kategorien untersucht. Ist eine Person militärdiensttauglich mit Einschränkungen, stehen ihr in der Rekrutenschule weniger Funktionen offen. Man spricht daher auch von einer «differenzierten Zuteilung». Für die Infanterie-Rekrutenschule sind beispielsweise eine uneingeschränkte Militärdiensttauglichkeit und eine gute Fitness nötig. Einer Person, die schiessuntauglich ist und keine langen Märsche absolvieren kann, kann diese nicht absolvieren.
Die Verordnung nennt zudem die Kategorie «militärdiensttauglich, nur für rückwärtigen Dienst». Sie wird jedoch praktisch nicht benutzt, wie die Analyse der Tauglichkeitsentscheide ergab, 2⁰ weil sie sich laut VBS weitgehend mit der Kategorie «militärdiensttauglich nur für besondere Funktionen, mit Auflagen, schiessuntauglich» überschneidet. In diese Kategorie werden Personen eingeteilt, die als nicht militär- und nicht schutzdiensttauglich beurteilt wurden, die jedoch, statt die Wehrpflichtersatzabgabe zu bezahlen, auf Gesuch hin einen militärischen Ersatzdienst leisten. Jährlich reichen lediglich 100 bis 200 Personen ein solches Gesuch ein, 2¹ und für sie gelten andere Voraussetzungen, weshalb die PVK sie nicht berücksichtigte.
¹8 Bundesrat (1992): Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Konzeption der Armee in den neunziger Jahren (Armeeleitbild 95) vom 27. Januar 1992, Ziff. 425 ( BBl 1992 850 ).
¹9 Diese Kategorie ist nicht mit dem waffenlosen Militärdienst aus Gewissensgründen zu verwechseln, der auf Gesuch möglich ist (Art. 16 MG).
2⁰ Entscheidanalysen, Tab. 13, 50
2¹ Antwort des Bundesrates auf die Interpellation Roth Pasquier «Wehrpflichtersatzabgabe. Ungleichbehandlung beenden!» vom 24. September 2020 (20.4152).
3 Vorgaben zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen
Im vorliegenden Kapitel wird bewertet, ob die rechtlichen Grundlagen und Vorgaben zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen zweck-und rechtmässig sind und damit die rechtsgleiche Behandlung der Stellungspflichtigen sicherstellen. Auch bewertet wird, ob die Vorgaben zur Neubeurteilung und zur Beschwerde rechtmässig und stufengerecht konkretisiert sind. Das Kapitel stützt sich im Wesentlichen auf das im Auftrag der PVK erstellte Rechtsgutachten (vgl. zum Vorgehen Ziff. 1.2).
Zusammenfassung: Die Vorgaben zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit sind nur teilweise rechtmässig. Angesichts der Tragweite des Entscheids zur Tauglichkeit und der Tatsache, dass dieser alle Schweizer betrifft, ist die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen nicht ausreichend gesetzlich verankert (Ziff. 3.1). Die Weisungen des Oberfeldarztes sind zudem nicht genügend konkret, um eine rechtsgleiche Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen sicherzustellen (Ziff. 3.2). Die an der Rekrutierung beteiligten Stellen tauschen ausserdem unrechtmässig Informationen zu den Stellungspflichtigen aus (Ziff. 3.3). Laut dem Rechtsgutachten sind das Beschwerderecht und die Neubeurteilung der Militärdiensttauglichkeit nicht stufengerecht konkretisiert (Ziff. 3.4).
3.1 Die Militärdiensttauglichkeit ist rechtlich ungenügend verankert
Die Regelung zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit stellt eine «wichtige Rechtsnorm» dar. Zu diesem Schluss kommt das im Auftrag der PVK verfasste Rechtsgutachten. 2² Zum einen betrifft die Militärdiensttauglichkeit alle volljährigen Schweizerbürger, womit der Kreis der Betroffenen sehr gross ist. Zum andern wird mit der Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit bestimmt, ob die Grundrechte einer Person stark eingeschränkt werden oder sie eine Abgabe leisten muss. Mit dem Tauglichkeitsentscheid wird nämlich bestimmt, ob ein Stellungspflichtiger ins Militär eintritt und damit während der gesamten Dienstpflicht in einem Sonderstatusverhältnis steht, in dessen Rahmen seine Grundrechte eingeschränkt werden, oder ob er über mehrere Jahre Wehrpflichtersatz bezahlen muss. Wichtige Rechtsnormen müssen hohe Anforderungen erfüllen (vgl. Kasten 1).
So gilt das Erfordernis der Gesetzesform. Um dieses zu erfüllen, müsste die Militärdiensttauglichkeit laut dem Rechtsgutachten zumindest in den Grundzügen in einem formellen Gesetz geregelt sein. ²3 Das Militärgesetz erwähnt heute jedoch einzig die Pflicht zur Teilnahme an der Rekrutierung (Art. 9), an der die Tauglichkeit für den Militär- oder Schutzdienst bestimmt wird (Art. 10), sowie die Möglichkeit zur Neubeurteilung der Tauglichkeit (Art. 20). Was unter «Militärdiensttauglichkeit» verstanden wird, ist lediglich in zwei Verordnungen ergänzend definiert. So ist laut der Verordnung über die Militärdienstpflicht (VMDP) ²4 militärdiensttauglich, wer den Anforderungen mindestens einer Rekrutierungsfunktion der Armee entspricht (Art. 15 Abs. 3 VMDP). Zur Beurteilung des Gesundheitszustandes und der Psyche verweist sie auf die VMBM. Laut dieser ist militärdiensttauglich, «wer aus medizinischer Sicht körperlich, intellektuell und psychisch den Anforderungen des Militärdienstes genügt und bei der Erfüllung dieser Anforderungen weder die eigene Gesundheit noch diejenige Dritter gefährdet» (Art. 2 Abs. 1 VMBM). Mit diesen Definitionen der Militärdiensttauglichkeit auf Verordnungsstufe ist das Erfordernis der Gesetzesform nicht erfüllt. Die Grundzüge der Kriterien der Militärdiensttauglichkeit, verbunden mit einer Ermächtigung des Bundesrates, diese in einer Verordnung genauer zu beschreiben, müssten in einem Gesetz im formellen Sinn geregelt sein, wie dies in anderen Bereichen, beispielsweise bei der Invalidenversicherung ²5 , der Fall ist.
Kasten 1
| Die Anforderungen an wichtige Rechtsnormen Als wichtige rechtsetzende Bestimmungen gelten Normen, die Rechte und Pflichten von Personen festlegen, und solche, die den Kreis der Personen bestimmen, die eine Abgabe leisten müssen (Art. 164 Abs. 1 der Bundesverfassung, BV ²6 ). Die Anforderungen an wichtige Rechtsnormen sind umso höher, je mehr Personen sie betreffen und je stärker sie die Grundrechte einschränken. Wichtige Rechtsnormen müssen: - in einem Gesetz im formellen Sinn geregelt sein (Erfordernis der Gesetzesform) ²7 ; - so präzise formuliert sein, dass die Bürger ihr Verhalten nach ihnen richten und die Folgen ihres Verhaltens abschätzen können (Erfordernis des Rechtssatzes) ²8 . |
Wichtige Rechtsnormen müssen ebenfalls das Erfordernis des Rechtssatzes erfüllen. Für die Militärdiensttauglichkeit heisst dies, dass die Kriterien, nach denen die Militärdiensttauglichkeit bestimmt wird, ausreichend präzise formuliert sein müssen. Laut dem Rechtsgutachten müssten die Kriterien zur Bestimmung der Militärdiensttauglichkeit (vgl. Ziff. 3.2) zumindest in den groben Zügen in einer Verordnung geregelt und damit öffentlich zugänglich sein, um das Erfordernis des Rechtssatzes zu erfüllen. ²9 Die Stellungspflichtigen müssten vor der Rekrutierung abschätzen können, ob und inwiefern sie militärdiensttauglich sein werden. Heute kann ein Stellungspflichtiger jedoch nicht erkennen, was unter «Militärdiensttauglichkeit» verstanden wird. Da das Handeln der Verwaltung im Grundsatz öffentlich ist, ist eine Geheimhaltung der Vorgaben nur möglich, wenn das Gesetz eine solche vorsieht (Art. 4 BGÖ). Eine entsprechende gesetzliche Grundlage besteht bezüglich der Militärdiensttauglichkeit nicht.
2² Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.3
²3 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.3.1
²4 SR 512.21
²5 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.2.2
²6 SR 101
²7 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.3.1
²8 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.2.2
²9 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.2.2
3.2 Die Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen sind nicht ausreichend konkretisiert
Die Kategorien der Militärdiensttauglichkeit sind in der VMBM in Anhang 1 abschliessend aufgeführt, darunter auch die Kategorien der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen (vgl. Ziff. 2.3). Die Kriterien, nach welchen diese beurteilt wird, sind heute in internen Weisungen des Oberfeldarztes festgelegt. Zentrales Dokument ist die Nosologia Militaris mit den medizinischen Vorgaben zur Beurteilung der Tauglichkeit für den Militär- und Schutzdienst.
Die PVK kommt auf Grundlage des Rechtsgutachtens zum Schluss, dass diese Vorgaben nicht ausreichend konkretisieren, nach welchen Kriterien die Militärdiensttauglichkeit beurteilt wird. Die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen beim Heben, Tragen und/oder Marschieren ist in der Nosologia Militaris beispielsweise nur am Rande erwähnt: So steht zu Beginn eines Kapitels, welches Diagnosen bei Skelett und Weichteilen sowie deren Bedeutung für die Tauglichkeit behandelt, es sei bei der Beurteilung immer auch die Möglichkeit der Einschränkungen der Leistungsfähigkeit mit verminderter Marsch-, Trag- und Hebefähigkeit einzubeziehen. 3⁰ Im entsprechenden Kapitel ist dann beispielsweise aufgeführt, eine Person mit Schuheinlagen sei vermindert marschtüchtig. Wann es sich dabei um eine leichte oder eine erhebliche Einschränkung handelt, wird dagegen nicht präzisiert. Auch die Einschränkungen beim Tragen oder Heben werden in der Nosologia Militaris nicht genauer dargestellt. Im Anhang einer anderen Weisung 3¹ steht, wie viele Kilogramm eine Person heben bzw. tragen kann, wenn sie leicht oder erheblich eingeschränkt ist, und wie viele Kilometer eine Person mit einer leichten oder erheblichen Einschränkung marschieren kann. Wie die Ärzteschaft eine leichte von einer erheblichen Einschränkung unterscheiden soll, ist jedoch auch dort nicht präzisiert.
Hingegen gibt es einen standardisierten Hörtest, mithilfe dessen abgeklärt wird, ob eine Person Probleme mit dem Gehör hat und daher militärdiensttauglich, aber schiessuntauglich ist. Die Vorgaben definieren gewisse Schwellenwerte, bei welchen zusätzlich die Einschätzung eines Spezialisten oder einer Spezialistin eingeholt werden soll. Je nach Resultat des Hörtests macht die Nosologia Militaris eine Empfehlung zur Schiessuntauglichkeit. Die PVK stellte fest, dass die Nosologia Militaris grundsätzlich bei den Diagnosen, die im Rahmen der Rekrutierung am häufigsten zur Anwendung kommen, 3² lediglich eine Empfehlung zur Tauglichkeit aufführt.
Der Militärärztliche Dienst betonte gegenüber der PVK immer wieder, bei der Tauglichkeitsbeurteilung würden viele verschiedene Faktoren einbezogen, sonst könne man dem Individuum nicht gerecht werden. So müssten für eine ganzheitliche Betrachtung nebst einer medizinischen Diagnose auch die Resultate des Sporttests, die Alltagsfunktionalität, Gewicht / Körperbau / Grösse, Nebendiagnosen und die körperliche und psychische Resilienz einbezogen werden. Dazu, wie diese Faktoren beim Entscheid zur Militärdiensttauglichkeit gegeneinander abgewogen werden sollen, finden sich jedoch keine Vorgaben. Die PVK hat im Rahmen einer Online-Umfrage auch die Ärzteschaft in den Rekrutierungszentren befragt (vgl. dazu auch Ziff. 4). Die Ärzteschaft erachtete die Vorgaben zur Beurteilung der Tauglichkeit insgesamt als ausreichend konkret und widerspruchsfrei. Auch die Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen seien eindeutig definiert und einfach anzuwenden. Einzig ein Teil der Mandatsärzteschaft, welche im Stundenlohn in den Rekrutierungszentren tätig ist, war kritischer.
Zwar gibt es für die PVK nachvollziehbare Gründe, weshalb die Vorgaben aus praktischer oder medizinischer Sicht möglichst allgemein gehalten werden. Ein gewisser Ermessensspielraum ist beim Entscheid zur Militärdiensttauglichkeit durchaus notwendig, damit auf den Einzelfall eingegangen werden kann. Für das Verwaltungshandeln ist aber zentral, dass es Vorgaben gibt, welche ausreichend eindeutig sind, damit definiert ist, wann einem Entscheid ein Ermessen zugrunde liegt und wann eine bestimmte Entscheidung vorgegeben ist. Nur dann kann aus juristischer Sicht auch bewertet werden, ob beim Handeln der Verwaltung die Rechtsgleichheit gemäss Artikel 8 Absatz 1 der Bundesverfassung sichergestellt ist, wie das im Auftrag der PVK erstellte Rechtsgutachten ausführt. 3³
Heute können bei der Rekrutierung jedoch selbst als zwingend bezeichnete Vorgaben übergangen werden. So kann ein Stellungspflichtiger, der gemäss den Vorgaben eine Diagnose hat, die ihn zwingend militärdienstuntauglich macht, durch eine andere UC (die Zentral UC) dennoch für militärdiensttauglich erklärt werden. Auch dadurch ist aus juristischer Sicht nicht zu beurteilen, ob und inwieweit bei den Entscheiden zur Militärdiensttauglichkeit die Rechtsgleichheit eingehalten wird. ³4
Die offen formulierten Vorgaben sind aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch. Es gibt allerdings keine Gerichtsurteile, welche diese Thematik erörtern würden, da der Rechtsweg bei Tauglichkeitsentscheiden ausgeschlossen ist (vgl. Ziff. 3.4 zur Beschwerde). Dass die Vorgaben die rechtsgleiche Beurteilung der Stellungspflichtigen nicht nur aus rechtlicher Sicht, sondern auch in der Praxis zu wenig sicherstellen, zeigt sich auch bei der Betrachtung der Entscheide zur Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen (vgl. Ziff. 5.1).
3⁰ Nosologia Militaris, Kap. XVIII, 78
3¹ UMBM, Anhang 2
3² Floris/Staub/Rühli 2016, Abb. 15
3³ Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.2.2
³4 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.4.1
3.3 Die Vorgaben zum Informationsaustausch in den Rekrutierungszentren sind unrechtmässig
In den Rekrutierungszentren ist sowohl die für die Tauglichkeitsbeurteilung zuständige Ärzteschaft wie auch Personal der Fachstelle PSP vertreten, welche das Sicherheitsrisiko der Stellungspflichtigen beurteilt (vgl. Ziff. 2.1.1). Eine Weisung von 2014 zur Zusammenarbeit zwischen diesen Stellen erlaubt sowohl der Ärzteschaft (Ziff. 3.3.1) wie auch dem Personal der Fachstelle PSP (Ziff. 3.3.2), weit mehr Informationen zu den Stellungspflichtigen auszutauschen als gesetzlich erlaubt. Zu diesem Schluss kommt das im Auftrag der PVK verfasste Rechtsgutachten. ³5
3.3.1 Die Vorgaben für die Ärzteschaft sind unrechtmässig
Das Gesetz schreibt vor, dass das Gesundheitspersonal, zu dem auch die Ärzteschaft und die Psychologinnen und Psychologen in den Rekrutierungszentren gehören, das Berufsgeheimnis wahren muss (Art. 321 StGB). Das Militärgesetz entbindet sie jedoch vom Berufsgeheimnis, wenn ernst zu nehmende Anzeichen oder Hinweise auf eine Gefährdung mit der persönlichen Waffe bestehen (Art. 113 Abs. 7 MG). Dies gilt auch bei der Rekrutierung, wie die einschlägige Verordnung aufführt: Alle Wahrnehmungen anlässlich der medizinischen Beurteilung unterstehen dem Dienst-, Amts- oder Berufsgeheimnis (Art. 11 VMBM). In der Praxis werden diese gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten.
Die Weisung von 2014 regelt die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Einheiten in den Rekrutierungszentren, darunter den Ärztinnen und Ärzten und den Mitarbeitenden der Fachstelle PSP. ³6 Laut dieser Weisung ist der Informationsaustausch praktisch uneingeschränkt möglich. Informationen sollten «schnellstmöglich» übermittelt werden, wenn sie für einen anderen Fachbereich «relevant» sein könnten (vgl. Kasten 2). Dass die Ärzteschaft an das Berufsgeheimnis gebunden ist und das Gesetz ihr nur bei Anzeichen oder Hinweisen auf eine Gefährdung mit der persönlichen Waffe erlaubt, Informationen mit anderen Stellen zu teilen, erwähnt die Weisung nicht. Das Rechtsgutachten kommt zum Schluss, dass die Weisung damit den gesetzlichen Rahmen nicht einhält. ³7
Kasten 2
| Auszug aus der Weisung zur Zusammenarbeit in den Rekrutierungszentren ³8 4.1 Dokumentierter InformationsaustauschDer Austausch von Informationen zwischen den Fachbereichen erfolgt aus zwei möglichen Gründen:a. Unklare FälleWenn nach den im eigenen Fachbereich durchgeführten Abklärungen noch Fragen bestehen, die durch einen anderen Fachbereich beantwortet werden könnten.b. Relevante InformationenWenn bei den im eigenen Fachbereich durchgeführten Abklärungen Informationen erhoben wurden, die für einen anderen Fachbereich relevant sind.Trifft eine dieser Voraussetzungen zu, werden die Informationen schnellstmöglich im Rahmen eines dokumentierten Informationsaustausches übermittelt. |
Dieser Informationsaustausch ist in allen Rekrutierungszentren gang und gäbe. In der Online-Befragung der PVK gibt ein Grossteil der Ärztinnen und Ärzte an, Informationen an die Fachstelle PSP weiterzugeben. Rund 60 Prozent von ihnen geben auch Informationen an den Kommandanten des Rekrutierungszentrums weiter. Drei von vier Psychologinnen und Psychologen gaben an, dass sie bei jedem Rekrutierungszyklus Informationen mit der Fachstelle PSP teilen. Die restlichen 27 Prozent tun dies ab und zu. Da die Weisung den Informationsaustausch bei «unklaren Fällen» oder wenn «relevante Informationen» vorhanden sind, erlaubt, ist diese Praxis nachvollziehbar. Die Weisung ist jedoch unrechtmässig. Die Ärzteschaft verletzt mit der Weitergabe solcher Informationen möglicherweise das Berufsgeheimnis und kann sich strafbar machen (Art. 321 StGB ³9 ).
³6 Weisung zum Informationsaustausch
³7 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 4.1
³8 Weisung zum Informationsaustausch, 3. Hervorhebungen im Original.
³9 SR 311.0
3.3.2 Die Vorgaben für die Fachstelle PSP sind unrechtmässig
Die Abklärungen der Fachstelle PSP haben sich nach dem ISG 4⁰ zu richten. Im Normalfall teilt die Fachstelle PSP das Ergebnis ihrer Beurteilung der geprüften Person sowie der Stelle, welche die Überprüfung in Auftrag gegeben hat, am Ende schriftlich mit (Art. 40 Abs. 1 ISG). Gibt es «konkrete Anhaltspunkte, dass ein Sicherheitsrisiko bestehen könnte», kann die Fachstelle PSP ihre vorläufigen Erkenntnisse bereits vor Abschluss schriftlich mitteilen (Art. 40 Abs. 4 ISG). Der Zweck dieser Bestimmung ist laut den Erläuterungen des VBS, dass die betroffene Stelle vorsorgliche Sicherheitsmassnahmen treffen kann. 4¹ Das heisst, es muss sowohl eine Gefährdung wie auch eine Dringlichkeit bestehen.
Dieser gesetzliche Rahmen gilt auch bei der Rekrutierung. Wie das Rechtsgutachten festhält, 4² erlaubt das Gesetz somit nicht, dass die Fachstelle PSP ohne Weiteres Informationen zu einzelnen Stellungspflichtigen mit der Ärzteschaft teilt. Die oben genannte interne Weisung zur Zusammenarbeit (vgl. Ziff. 3.3.1) sprengt folglich auch bezüglich der Information, welche die Fachstelle PSP mit der Ärzteschaft teilt, den rechtlichen Rahmen.
Gleiches gilt für einen Passus der seit dem 1. Januar 2024 geltenden Verordnung über die Personensicherheitsprüfungen (VPSP) 4³ . Gemäss diesem kann die Fachstelle PSP vorläufige Erkenntnisse mitteilen, wenn «Anzeichen oder Hinweise auf eine eingeschränkte Militärdiensttauglichkeit, eine Militärdienstuntauglichkeit oder eine Funktionsunfähigkeit» bestehen (Art. 23 Abs. 2 Bst. b VPSP). Die Verordnung muss jedoch den gesetzlichen Rahmen einhalten, und das Gesetz ist klar: Es dürfen lediglich Informationen in Bezug auf ein Sicherheitsrisiko im Zusammenhang mit der Abgabe der persönlichen Waffe weitergegeben werden. Somit halten sowohl die interne Weisung wie die Verordnung den gesetzlichen Rahmen laut dem Rechtsgutachten 4⁴ nicht ein.
Problematisch ist der Informationsaustausch zwischen PSP und Ärzteschaft auch, weil die Ärzteschaft laut der Weisung «die Fakten der PSP thematisieren und in den Tauglichkeitsentscheid einfliessen lassen» ⁴5 kann. Durch diese Vermischung besteht laut unabhängigen Quellen die Gefahr, dass sich die Stellen absprechen. Statt am Ende der Rekrutierung eine Risikoerklärung der PSP abzuwarten, wird ein Stellungspflichtiger bereits vorher als militärdienstuntauglich erklärt. Der Informationsaustausch darf jedoch nur mit Blick auf ein Sicherheitsrisiko erfolgen. Diese Entscheidpraxis ist daher aus rechtlicher Sicht nicht zulässig. Die Tauglichkeitsentscheide und die Erklärungen der PSP beruhen auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, und das Beschwerderecht ist unterschiedlich ausgestaltet. Bei einer Risikoerklärung durch die PSP steht den Stellungspflichtigen der Rechtsweg offen, während dies bei den Entscheiden zur Militärdiensttauglichkeit nicht der Fall ist (vgl. zur Beschwerde Ziff. 3.4). ⁴6 Die PVK kann nicht abschliessend beurteilen, wie oft Stellungspflichtige aufgrund von Informationen der Fachstelle PSP von der Ärzteschaft für militärdienstuntauglich erklärt werden.
Aus Sicht der involvierten Stellen, auch der Ärzteschaft (Ziff. 3.3.1), ist der Informationsaustausch durchaus zweckmässig, wie diese gegenüber der PVK betonten. Die PVK kann nachvollziehen, dass diese Stellen möglichst alle verfügbaren Informationen nutzen möchten. Es ist anspruchsvoll, die Tauglichkeit und das Sicherheitsrisiko innerhalb der zwei bis drei Tage dauernden Rekrutierung zu beurteilen. Bei den Informationen zu strafrechtlichen Verurteilungen und dem Gesundheitszustand, zu denen diese Stellen Zugang haben, handelt es sich jedoch um besonders schützenswerte Personendaten (Art. 5 Bst. c des Bundesgesetzes über den Datenschutz, DSG ⁴7 ). Für die Weitergabe solch sensibler Informationen wäre mit Blick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV) eine Rechtsgrundlage in einem formellen Gesetz nötig.
4⁰ SR 128
4¹ Generalsekretariat VBS (2023): Ausführungsrecht zum Informationssicherheitsgesetz, Erläuterungen vom 8. November 2023, 40 f.
4² Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 4.2
4³ SR 128.31
4⁴ Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 4.2
⁴5 Weisung zum Informationsaustausch, Ziff. 4.2
⁴6 An der Rekrutierung kann die Ärzteschaft auch einen sogenannten «R»-Eintrag vergeben. Laut Weisung steht das «R» für Rückgabe und bedeutet, dass die Person aus medizinischen Gründen nicht im Besitz einer Schusswaffe der Armee sein darf (Nosologia Militaris, 3). Der Eintrag wird jedoch nur an Personen vergeben, die im Rahmen der Rekrutierung als militärdienstuntauglich oder schiessuntauglich eingestuft werden und somit ohnehin keine persönliche Waffe erhalten. Er kommt vielmehr, bei einem Antrag auf einen zivilen Waffenerwerbsschein zum Tragen, da er automatisch an die Kantone weitergeleitet wird (Art. 28, Abs. 2, Bst. f des Bundesgesetzes über militärische und andere Informationssysteme im VBS, SR 510.91 ). In der Rechtsmittelbelehrung (Formular 18.035.03), die den Stellungspflichtigen mit der Eröffnung des Tauglichkeitsentscheids abgegeben wird, fehlt der Hinweis, dass diese Information verzeichnet und weitergegeben wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich erstmals mit dem «R»-Eintrag befasst, nachdem eine Person von der Armee vergeblich einen Entscheid betreffend die Löschung dieses Eintrags verlangt hatte (Bundesverwaltungsgerichtsentscheid A-4423/2022 vom 27. Februar 2023). Die Eintragung an sich war jedoch nicht Gegenstand dieses Falles.
⁴7 SR 235.1
³5 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 4
3.4 Die Beschwerde und die Neubeurteilung sind nicht stufengerecht konkretisiert
Das Militärgesetz sieht ein Beschwerderecht vor (Art. 39 MG), wie in Kapitel 2.1.2 ausgeführt. Eine Beschwerde gegen einen Tauglichkeitsentscheid ist innerhalb von 30 Tagen nach dem Tauglichkeitsentscheid möglich (Art. 14 Abs. 1 VMBM). Von den rund 30 000 Stellungspflichtigen reichen jährlich aber weniger als ein halbes Prozent eine solche ein. ⁴8 Die Beschwerde wird von einer unabhängigen UC beurteilt, deren Entscheid nicht angefochten werden kann (Art. 39 MG). Es ist somit nicht möglich, den Tauglichkeitsentscheid durch das Bundesverwaltungsgericht oder eine andere Behörde ausserhalb des Militärärztlichen Dienstes überprüfen zu lassen. Laut dem Rechtsgutachten handelt es sich damit um eine Beschwerde sui generis, die einer Einsprache gleicht. ⁴9
Indem das Militärgesetz eine Beschwerde gegen Tauglichkeitsentscheide an eine übergeordnete Instanz ausschliesst, schränkt es die Rechtsweggarantie nach Artikel 29 a der Bundesverfassung ein. Gesetze können die richterliche Beurteilung in qualifiziert begründeten Ausnahmefällen ausschliessen (Art. 29 a zweiter Satz BV). Das Rechtsgutachten kommt zum Schluss, dass die fragliche Einschränkung des Rechtswegs im Militärgesetz rechtmässig ist. Sie wurde jedoch im Rahmen der entsprechenden Gesetzgebungsprozesse nie im Detail begründet. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wäre sie laut dem Rechtsgutachten stärker zu rechtfertigen. 5⁰
Problematisch ist zudem, dass Stellungspflichtige im Wortlaut des Militärgesetzes eigentlich gar nicht zur Beschwerde berechtigt sind. Das Gesetz bezieht sich in Artikel 39 einzig auf «Angehörige der Armee», sprich Personen, die bei der Rekrutierung als militärdiensttauglich beurteilt wurden (Art. 3 Abs. 1 DRA). Wer bei der Rekrutierung als nicht tauglich beurteilt wird, aber gerne Militärdienst leisten möchte, ist somit eigentlich nicht zur Beschwerde gegen den Tauglichkeitsentscheid berechtigt. Die Weisung des Militärärztlichen Dienstes lässt dennoch alle Stellungspflichtigen zur Beschwerde zu, 5¹ was aber nicht dem gesetzlichen Rahmen entspricht. 5² Das Rechtsgutachten erachtet es angesichts der grossen Anzahl betroffener Personen, der erheblichen Eingriffe in individuelle Rechte und der Auferlegung von Pflichten aus rechtsstaatlicher Sicht als zentral, dass ausdrücklich auch Stellungspflichtigen ein Beschwerderecht eingeräumt wird. 5³
Neben der Beschwerde kennt das Militärgesetz die Neubeurteilung der Militärdiensttauglichkeit (Art. 20 MG, vgl. Ziff. 2.1.2). Die zu beurteilende Person kann jederzeit ein schriftliches und begründetes Gesuch stellen. Das Gesetz ermächtigt den Bundesrat, die Voraussetzungen und das Verfahren zu regeln (Art. 20 Abs. 3 MG). Gemäss Verordnung ist das Gesuch beim Militärärztlichen Dienst einzureichen (Art. 7 VMBM), doch präzisiert die Verordnung weder das Verfahren noch die Voraussetzungen zur Neubeurteilung weiter.
Diese sind vielmehr in einer Weisung des Oberfeldarztes 5⁴ festgelegt, welche das Recht auf Neubeurteilung laut dem Rechtsgutachten jedoch übermässig einschränkt. 5⁵ Das Gesetz spricht lediglich davon, dass das Gesuch um Neubeurteilung begründet werden muss (Art. 20 MG). Laut der Weisung dagegen soll eine Neubeurteilung nur zugelassen werden, wenn «neue medizinische Tatsachen oder Veränderungen des Gesundheitszustandes eingetroffen sind» ⁵6 . Die Stellungspflichtigen werden darüber in der Rechtsmittelbelehrung aufgeklärt, welche ihnen abgegeben wird, wenn sie über den Tauglichkeitsentscheid informiert werden. ⁵7 Laut dem Militärärztlichen Dienst werden praktisch alle Gesuche für eine Neubeurteilung zugelassen. Die PVK hat die Zahl der eingereichten und zugelassenen Gesuche um Neubeurteilung nicht untersucht und kann deshalb keine Aussage dazu machen. Laut dem Rechtsgutachten müsste zumindest auf Stufe Verordnung in groben Zügen für die Stellungspflichtigen nachvollziehbar umschrieben sein, was unter neuen medizinischen Tatsachen oder einer Veränderung des Gesundheitszustandes als Voraussetzungen für eine Neubeurteilung zu verstehen ist. ⁵8
⁴8 Entscheidanalysen, Ziff. 5.2
⁴9 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.4.4
5⁰ Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.4.3
5¹ UMBM, Teil I, Ziff. 4
5² Der Bundesrat weitet das Recht auf eine Dienstbeschwerde (Art. 36 Abs. 1 MG) in einem Vernehmlassungsentwurf auf Stellungspflichtige aus. In den Erläuterungen dazu wird die Anpassung jedoch nicht inhaltlich, sondern nur sprachlich (geschlechtergerechte Formulierung) begründet (Bundesrat, 2023, 35). Nicht nachvollziehbar ist deshalb, aus welchen Gründen Stellungspflichtige zwar eine Dienstbeschwerde einreichen können sollen, aber weiterhin keine Beschwerde gegen den Tauglichkeitsentscheid.
5³ Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.4.1
5⁴ UMBM, Teil I, Ziff. 4
5⁵ Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.4.3
⁵6 Formular 18.035.03, «Eröffnung des UCR-Entscheides (Entscheid siehe Dienstbüchlein)».
⁵7 Formular 18.035.03, «Eröffnung des UCR-Entscheides (Entscheid siehe Dienstbüchlein)».
⁵8 Rechtsgutachten ZDA, Ziff. 2.4.3
4 Prozesse in den Rekrutierungszentren
In diesem Kapitel bewertet die PVK die Einheitlichkeit und Zweckmässigkeit der angewendeten Prozesse zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen. Die PVK hat dazu eine Befragung des Personals in den Rekrutierungszentren durchgeführt und die Erkenntnisse daraus in Interviews mit den verantwortlichen Stellen validiert (vgl. zum Vorgehen Ziff. 1.2).
Zusammenfassung: Die Beurteilungsprozesse sind zwar zweckmässig organisiert und laufen effizient ab, doch ist eine einheitliche Beurteilung der Stellungspflichtigen nicht sichergestellt. In den Rekrutierungszentren werden ähnliche Prozesse zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit angewendet (Ziff. 4.1.1). Die Ärzteschaft wird jedoch nicht ausreichend geschult, bevor sie Tauglichkeitsbeurteilungen vornimmt (Ziff. 4.1.2), und es fehlt eine Qualitätssicherung (Ziff. 4.1.3). Die Prozesse für die Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit sind indessen effizient ausgestaltet und die durchgeführten Tests und Untersuchungen geeignet und zweckmässig (Ziff. 4.2.1). Auch ist sichergestellt, dass der Tauglichkeitsentscheid unabhängig von der Zuteilung zu einer Funktion in der Rekrutenschule geschieht (Ziff. 4.2.2).
4.1 Die Einheitlichkeit der Beurteilungsprozesse ist nicht ausreichend sichergestellt
Um die Einheitlichkeit der Prozesse zu bewerten, hat die PVK untersucht, inwiefern die angewendeten Prozesse mit den Vorgaben übereinstimmen und ob sie zwischen den Rekrutierungszentren einheitlich sind (Ziff. 4.1.1). Des Weiteren hat sie bewertet, ob das VBS selbst die Einheitlichkeit der Prozesse und der Tauglichkeitsentscheide prüft (Ziff. 4.1.3) und ob die Vorgaben zur Schulung und der Ressourceneinsatz eine einheitliche Beurteilung gewährleisten (Ziff. 4.1.2).
4.1.1 Die Prozesse laufen überall ähnlich ab, entsprechen aber nicht durchwegs den gesetzlichen Vorgaben
Die PVK stellt fest, dass in allen Rekrutierungszentren ähnliche Prozesse angewendet werden. Es gibt jedoch Unterschiede in der Dauer der Rekrutierung (zwei oder drei Tage), in der Anzahl der Gruppen und der Reihenfolge der Untersuchungen und Tests. Diese Unterschiede in den Abläufen sind rechtlich zulässig und wurden von den zuständigen Befragten gegenüber der PVK mit den unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Zentren (Infrastruktur und verfügbares Personal) erklärt, die eine gewisse organisatorische Flexibilität erforderten. Die Unterschiede sind für die PVK insgesamt nachvollziehbar. Die Befragung des Personals in den Rekrutierungszentren zeigt zudem, dass die in den Vorgaben definierten Kriterien, Tests und Untersuchungen angewendet werden. Die Ärzteschaft hat die Verantwortung für die Entscheide über die Militärdiensttauglichkeit, die Psychologinnen und Psychologen in den Rekrutierungszentren wirken bei diesen mit und formulieren Empfehlungen.
Das Personal in den Rekrutierungszentren ist gemäss Befragung mehrheitlich der Ansicht, dass die Tauglichkeitsbeurteilungen in allen Rekrutierungszentren einheitlich vorgenommen werden. Weniger als 20 Prozent der Ärztinnen und Ärzte und der Psychologinnen und Psychologen schätzen die angewendeten Prozesse als nicht oder nur teilweise einheitlich ein. Zudem unterscheiden sich je nach Zentrum die Anteile derer, welche die Prozesse als nicht einheitlich bzw. eher nicht einheitlich einschätzen. Die Befragten führen Kulturunterschiede zwischen den Zentren und den Ermessensspielraum bei der Tauglichkeitsbeurteilung als mögliche Gründe auf. Für die PVK ist jedoch fraglich, ob die Befragten die Prozesse in den anderen Zentren genügend kennen, um deren Einheitlichkeit beurteilen zu können. Lediglich auf Leitungsstufe bestehen Austauschsitzungen, beispielsweise zwischen den Chefärzten bzw. Chefärztinnen (Ziff. 4.1.3). Die statistischen Analysen der Tauglichkeitsentscheide (Ziff. 5.1) zeigen, dass die Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen bei den Stellungspflichtigen unterschiedlich oft festgestellt werden. Auch stellte die PVK fest, dass die Vorgaben zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen wenig konkret sind, wobei das Personal dies kaum als Problem wahrgenommen hat (vgl. Ziff. 3.2).
Die Analysen der Beurteilungsprozesse in den Rekrutierungszentren offenbarten auch, dass in der Praxis die Vorgaben beim Entscheid zur Militärdiensttauglichkeit nicht eingehalten werden. Dies betrifft die Zusammensetzung der UC, welche den Tauglichkeitsentscheid fällen. Laut Verordnung muss eine UC aus mindestens zwei Ärzten bzw. Ärztinnen bestehen, die entweder Angehörige der Armee oder von der Armee angestellt sind (Art. 4 Abs. 2 VMBM). Die einschlägige Weisung des Oberfeldarztes hält fest, dass eine UC aus einem Vorsitzenden sowie «normalerweise zwei, mindestens aber einem Beisitzer» besteht. ⁵9 Wie die PVK feststellte, entspricht die Praxis in den Zentren nicht diesen Vorgaben. Ein Entscheid von 2012 aus einem Dokument, in dem die Entscheide des Militärärztlichen Dienstes im Bereich Rekrutierung chronologisch dokumentiert werden, zeigt, dass die Praxis bekannt ist. Laut diesem Entscheid müssten bei einer UC «wenn immer möglich» zwei Ärzte bzw. Ärztinnen anwesend sein. Bei der Rekrutierung sei dies jedoch nicht nötig, da der ärztliche Rapport als UC gelte und der Entscheid dem Stellungspflichtigen von einem Arzt oder einer Ärztin eröffnet werden könne. 6⁰ Auf Grundlage von Gesprächen und Dokumentenanalysen kommt die PVK zum Schluss, dass die Tauglichkeitsentscheide in vielen Fällen von einzelnen Ärztinnen oder Ärzten gefällt werden. Sowohl die Anweisung aus dem Jahr 2012 wie die Praxis entsprechen somit nicht den gesetzlichen Vorgaben und der Weisung des Oberfeldarztes. Der Militärärztliche Dienst sagte gegenüber der PVK wiederholt, dass die Vorgaben bezüglich der UC in den Rekrutierungszentren eingehalten würden, wobei die vorgebrachten Begründungen variierten. Einmal wurde beispielsweise festgehalten, eine UC könne zeitlich oder örtlich versetzt stattfinden. Es brauche deshalb keine Sitzung, sondern es genügten schriftliche Rapporte. In der Konsultationsantwort des VBS wurde dagegen behauptet, es finde nach der Untersuchung jeder Gruppe Stellungspflichtiger eine ärztliche Sitzung statt, was jedoch der Evidenz aus den Dokumentenanalysen und Gesprächen der PVK widerspricht. Für die PVK steht deshalb fest, dass die heutige Praxis der UC nicht rechtmässig ist, weil einzelne Personen anstelle der vorgeschriebenen UC den Tauglichkeitsentscheid fällen.
⁵9 UMBM, Teil I, Ziff. 1
6⁰ Chronologische Sammlung der Entscheide des Mil Az D (Stand November 2022), Entscheid 4/12, 9
4.1.2 Es fehlt eine angemessene Schulung der Ärztinnen und Ärzte
Es gibt keine zentralen Vorgaben zur Schulung und Einarbeitung der Ärzteschaft, bevor diese bei der Rekrutierung eingesetzt wird. Dies ist insofern erstaunlich, als der Militärärztliche Dienst gegenüber der PVK wiederholt betonte, die Interpretation der Vorgaben in der Nosologia Militaris erfordere eine grosse Erfahrung, was mit ein Grund für die Limitierung des Zugangs zum Dokument sei. Die Analysen der PVK zeigen zudem, dass die Vorgaben in Bezug auf die Tauglichkeit mit Einschränkungen nicht angemessen konkretisiert sind (Ziff. 3.2). Aus diesen Gründen wäre eine Schulung der Ärztinnen und Ärzte entscheidend, um eine einheitliche Beurteilung in allen sechs Rekrutierungszentren zu gewährleisten. Gemäss den Befragten werden Ärztinnen und Ärzte während der Arbeit in die Aufgaben des Rekrutierungsartzes bzw. -ärztin eingeführt. Damit unterscheidet sich die Einführung zwischen den Rekrutierungszentren. Auch für die weitere Schulung der Ärztinnen und Ärzte während der Anstellung, beispielsweise als Intervision, fehlen Vorgaben. Die Mehrheit der Befragten gab in der Online-Befragung an, sie hätten sich für die Tätigkeit im Rekrutierungszentrum ausreichend geschult gefühlt.
Kasten 3
| Bei der Tauglichkeitsbeurteilung wirken viele Mandatsärztinnen und -ärzte mit Die Tauglichkeitsbeurteilung stützt sich stark auf Mandatsärztinnen und -ärzte, die im Stundenlohn von 200 Franken in den Rekrutierungszentren tätig sind. In den sechs Rekrutierungszentren stehen insgesamt 88 Mandatsärztinnen und -ärzte 16 fest angestellten Ärztinnen und Ärzten gegenüber. Die Verträge mit den Mandatsärztinnen und -ärzten werden für eine Dauer von zwei Jahren abgeschlossen und enthalten jeweils ein Kostendach. Zwischen 2019 und 2022 wurden jährlich Honorare in der Höhe von insgesamt zwei bis zweieinhalb Millionen Franken abgerechnet. 6¹ |
Ohne zentrale Vorgaben zur Einführung und Schulung ist nach Ansicht der PVK jedoch nicht sichergestellt, dass die Beurteilung der Stellungspflichtigen in allen sechs Rekrutierungszentren ausreichend einheitlich erfolgt. Dies ist bei der Ärzteschaft, die für die Tauglichkeitsentscheide verantwortlich ist, besonders problematisch. Hinzu kommt, dass in den Rekrutierungszentren die Militärdiensttauglichkeit von Stellungspflichtigen häufig von sogenannten Mandatsärztinnen und -ärzten beurteilt wird (Kasten 3). Diese sind im Stundenlohn, meist in kleinem Pensum von maximal 20 Prozent, in den Rekrutierungszentren tätig und übernehmen weitreichende Aufgaben, die über die medizinische Untersuchung der Stellungspflichtigen hinausgehen (Abb. 5).
So geben 45 Prozent der Mandatsärztinnen und -ärzte an, Stellungspflichtigen «regelmässig» den Tauglichkeitsentscheid mitzuteilen, 27 Prozent zumindest «ab und zu». Auch Mandatsärztinnen und -ärzte mit weniger als einem Jahr Erfahrung teilen dabei Tauglichkeitsentscheide mit (28 % «regelmässig», 33 % «ab und zu»). Zudem geben 55 Prozent aller Mandatsärztinnen und -ärzte an, «ab und zu» oder «regelmässig» Teil einer UC zu sein. Dieser Anteil ist unter denjenigen mit weniger als einem Jahr Erfahrung nur wenig niedriger (39 %). Diese Praxis widerspricht einer Weisung des Oberfeldarztes. Laut dieser eröffnet der oder die Vorsitzende der UC dem Stellungspflichtigen den Tauglichkeitsentscheid. 6² Diese vorsitzende Person muss, wie bereits erwähnt, ein Arzt oder eine Ärztin sein, der bzw. die der Armee angehört oder von der Armee angestellt ist. Dass die Praxis verbreitet ist, unterstreicht ein Entscheid der Chefärzteschaft der Rekrutierungszentren. Im Protokoll einer Austauschsitzung ist festgehalten, dass ein Entscheid auch durch «erfahrene Mandatsärzte» eröffnet werden könne. 6³
Abbildung 5
Tätigkeiten der Mandatsärztinnen und -ärzte im Rahmen der Rekrutierung
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Legende: «Wie häufig nehmen Sie bei Ihrer Tätigkeit im Rahmen der Rekrutierung folgende Aufgaben wahr?», n=73-77.
Quelle: Online-Befragung der PVK.
Die PVK anerkennt die wichtige Rolle der Mandatsärztinnen und -ärzte. Sie helfen mit, die vielen Stellungspflichtigen medizinisch zu untersuchen. Laut dem Militärärztlichen Dienst ist es wegen des Fachkräftemangels schwierig, Ärztinnen und Ärzte für die Tätigkeit in den Rekrutierungszentren zu gewinnen, zumal die Bezahlung wenig attraktiv sei. Zudem habe sich der Anteil an Männern im Medizinstudium verringert, wodurch weniger Armeeangehörige mit medizinischem Abschluss im Rahmen ihrer Dienstpflicht einen Einsatz leisten würden. Schliesslich könne der Personalbestand nicht erhöht werden.
Gerade angesichts der Abstützung auf Personal, das nur mit geringem Pensum bei der Tauglichkeitsbeurteilung involviert ist, bewertet die PVK es jedoch als ungenügend, dass Vorgaben zur Einführung und Schulung dieser Personen fehlen. Dass bei Fragen oder Unklarheiten ein Chefarzt oder eine andere Person zur Verfügung steht, ist angesichts der Tragweite des Tauglichkeitsentscheids nicht ausreichend, um eine fehlende Instruktion wettzumachen. Zentral ist auch, dass das Personal angemessen über Änderungen der Weisungen informiert wird. In der Befragung gaben jedoch knapp 30 Prozent der Mandatsärztinnen und -ärzte an, nicht angemessen über Anpassungen der Vorgaben informiert zu werden.
6¹ Für 2019: 2 Millionen Franken; 2020: 1,8 Millionen Franken (die Rekrutierung war wegen dem Coronavirus teils ausgesetzt); 2021: 2,2 Millionen Franken; 2022: 2,4 Millionen Franken.
6² UMBM, Teil II, Art. 2.6, sowie Teil I, Art. 1
6³ Focam-Protokoll von Oktober 2022, 6
4.1.3 Die Qualitätssicherung der Beurteilungsprozesse ist ungenügend
Es gibt keine Weisungen, die eine systematische Überprüfung der Einheitlichkeit der Tauglichkeitsentscheide oder der Prozesse zwischen den Zentren verlangen würden. Eine systematische Überprüfung der Einheitlichkeit wird weder durch den für die Tauglichkeitsbeurteilung zuständigen Militärärztlichen Dienst noch durch das Kommando Ausbildung durchgeführt. Zwar verweisen beide Einheiten darauf, dass Besuche in den Rekrutierungszentren und Austauschsitzungen zwischen und mit den Verantwortlichen der Rekrutierungszentren stattfinden. Die Chefärzteschaft etwa führt zweimal im Jahr ein zweitägiges Seminar sowie einmal im Monat einen Austausch (Focam) durch. Diese bieten zwar die Möglichkeit, Fragen der Einheitlichkeit zu diskutieren. Die Analyse der Protokolle dieser Treffen hat jedoch ergeben, dass dies nur selten gemacht wird.
Bei der Rekrutierung werden alle Angaben, inklusive des Tauglichkeitsentscheids, in den verschiedenen Informatiksystemen erfasst. Diese Informationen und Daten wertet die Sanität nicht systematisch aus. Auch innerhalb der einzelnen Rekrutierungszentren fehlt eine angemessene Qualitätssicherung. Von den interviewten Personen wurde darauf hingewiesen, dass die Einheitlichkeit durch die Chefärzte sowie die angestellten Ärztinnen und Ärzte sichergestellt werde. Laut den Vorgaben ist die Chefärzteschaft der Rekrutierungszentren für die UC verantwortlich und delegiert die Verantwortung für den Tauglichkeitsentscheid an die Vorsitzenden der UC. Chefärztinnen und Chefärzte stehen zudem während der Rekrutierung als Ansprechpartner für die Ärzteschaft bei medizinischen Fragen zur Verfügung. 6⁴ Einerseits entsprechen die UC jedoch nicht den Vorgaben, wie in Ziffer 4.1.1 ausgeführt. Andererseits weisen die Analysen der Tauglichkeitsentscheide der PVK auf Unterschiede zwischen den Zentren bei der Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen hin (Ziff. 5.1). Für die PVK ist die Qualitätssicherung damit nicht angemessen und die Einheitlichkeit der Entscheide nicht ausreichend sichergestellt.
Eine Ausnahme bezüglich der Qualitätssicherung bilden die in den Rekrutierungszentren tätigen Psychologinnen und Psychologen, welche zuhanden der Ärzteschaft eine Empfehlung zur Tauglichkeit abgeben können (Ziff. 2.2). Zwar gibt es auch bei ihnen keine Vorgaben des vorgesetzten Kommandanten Rekrutierung zur Qualitätssicherung, doch werten sie auf Eigeninitiative gewisse Daten aus. So verfügen sie über eine Darstellung, welche aufzeigt, wie sich die Tauglichkeitsempfehlungen nach einem psychologischen Gespräch zwischen den Zentren unterscheiden. 6⁵ Zudem führten sie 2023 eine interne Befragung durch mit dem Ziel, die Prozesse zwischen den Zentren zu vergleichen. 6⁶
6⁴ UMBM, Teil II, Kap. 2.6 sowie 2.7
6⁵ Psychologischer Dienst der Rekrutierung (2023): Leitfaden für die Abklärung der psychologischen Tauglichkeit in der Rekrutierung, gültig ab 1. Juni 2023, 16.
6⁶ Auswertung Fragebogen Psychologischer Dienst der Rekrutierung, November 2023
4.2 Die Beurteilung ist zweckmässig organisiert
Die PVK hat bewertet, ob die Abklärungen, die für die Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit vorgenommen werden, angemessen und die erhobenen Informationen geeignet sind (Ziff. 4.2.1). Auch hat sie untersucht, ob die Prozesse sicherstellen, dass der Entscheid über die Militärdiensttauglichkeit unabhängig von der Zuteilung eines Stellungspflichtigen zu einer Funktion in der Rekrutenschule geschieht (Ziff. 4.2.2).
4.2.1 Die Tauglichkeitsbeurteilung geschieht effizient
Die PVK beurteilt den Abklärungsaufwand für die Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit als angemessen. Es werden bereits vor der Rekrutierung mit einem Fragebogen medizinische Informationen eingeholt, und falls sich aus diesen Informationen bereits ergibt, dass der Stellungspflichtige nicht militär- oder schutzdiensttauglich ist, wird er nicht für die Rekrutierung aufgeboten, sondern in Abwesenheit (in absentia) beurteilt (Ziff. 2.2). Die Vorgaben stellen sicher, dass die vor der Rekrutierung eingeholten medizinischen Informationen dem Personal zur Verfügung stehen. ⁶7
Die Vorgaben stellen auch sicher, dass keine Doppelspurigkeiten bei Tests und Untersuchungen bestehen. In den Vorgaben ist definiert, in welchen Fällen welche Untersuchungen und Tests durchgeführt werden, welche zwingend und welche optional sind sowie wann Zusatzabklärungen angeordnet werden sollen. Ist ein Stellungspflichtiger beispielsweise sehr wahrscheinlich dienstuntauglich, sollen keine Zusatzabklärungen angeordnet werden. ⁶8 Das befragte Personal in den Rekrutierungszentren schätzt den Abklärungsaufwand als angemessen ein und erachtet Untersuchungen und Tests weder als überflüssig noch als zu zahlreich. Die Untersuchungen und Tests hätten ein klares Ziel und würden in einer sinnvollen Reihenfolge durchgeführt. Die für die Tauglichkeitsbeurteilung nötigen Informationen stehen gemäss den Befragten in genügender Menge und Qualität zur Verfügung.
Der Zeitaufwand für die Abklärungen wird vom befragten Personal insgesamt als angemessen wahrgenommen. Die PVK stellte jedoch fest, dass weder die Ärzteschaft noch die Psychologinnen und Psychologen definiert haben, wie viel Zeit pro Stellungspflichtigen für die verschiedenen Untersuchungen zur Beurteilung der Tauglichkeit nötig ist. Insbesondere die Ärztinnen und Ärzte, welche alle Stellungspflichtigen untersuchen, sowie die Psychologinnen und Psychologen, die mit etwa einem Drittel der Stellungspflichtigen Gespräche führen, sind der Meinung, dass bei einer steigenden Anzahl Stellungspflichtigen weniger Zeit für einzelne Abklärungen und Tests zur Verfügung steht. Die statistischen Analysen der Tauglichkeitsentscheide in Ziffer 5.2 geben jedoch keine Hinweise darauf, dass sich die Auslastung eines bestimmten Rekrutierungszyklus in allen Rekrutierungszentren auf die Entscheide zur Tauglichkeit mit Einschränkungen auswirke. Die PVK beurteilt daher den Zeitaufwand insgesamt als angemessen.
Im Auftrag des Oberfeldarztes überprüft 2024 eine interne Stelle die Effizienz der Beurteilungsprozesse. Die Resultate dieser Überprüfung werden erst für Ende 2024 erwartet, weshalb die PVK sie nicht berücksichtigen konnte.
⁶7 UMBM, Teil II, Ziff. 2.2.1
⁶8 UMBM, Teil I, Ziff. 5.5
4.2.2 Die Tauglichkeitsbeurteilung ist unabhängig vom Zuteilungsentscheid
Die Tauglichkeitsbeurteilung und die Zuteilung zur Rekrutierungsfunktion müssen unabhängig voneinander vorgenommen werden. Andernfalls könnten die für einen Rekrutenschulstart zur Verfügung stehenden Plätze den Tauglichkeitsentscheid beeinflussen, wenn für gewisse militärische Funktionen noch mehr Personen rekrutiert werden müssten. Wäre dies der Fall, würden die Stellungspflichtigen nicht mehr gleich und unabhängig voneinander auf ihre Militärdiensttauglichkeit hin beurteilt.
Die Beurteilung der Tauglichkeit und die Zuteilung fallen unter die Verantwortung zweier unterschiedlicher Einheiten (Abb. 4 in Ziff. 2.2). Die Ärzteschaft, welche für die Tauglichkeitsbeurteilung zuständig ist, ist als Teil des Militärärztlichen Dienstes der Logistikbasis der Armee angeschlossen. Die Kommandanten der Rekrutierungszentren und ihre Stellvertreter, die dem Kommando Ausbildung angeschlossen sind, sind dagegen zuständig für den Entscheid, welche Funktion ein militärdiensttauglicher Stellungspflichtiger in der Rekrutenschule wahrnehmen wird. Eine Abweichung von dieser organisatorischen Aufgabentrennung ergibt sich bei den Psychologinnen und Psychologen in den Rekrutierungszentren, welche dem Kommando Ausbildung und nicht der Sanität unterstellt sind. Sie können eine Empfehlung bezüglich der Tauglichkeit eines Stellungspflichtigen machen, doch bleibt letztlich die Ärzteschaft für den Tauglichkeitsentscheid verantwortlich.
Aus den Prozessen geht hervor, dass der Zuteilungsentscheid zeitlich nach der Tauglichkeitsbeurteilung stattfindet. Gemäss den Befragten gibt es keinen Einfluss der Anzahl offener Plätze auf die Tauglichkeitsentscheide. Dies wird auch durch die Interviews bestätigt, wonach es zwar Möglichkeiten der Interaktion zwischen den Kommandanten einerseits und den in die Rekrutierung involvierten Ärztinnen und Ärzten sowie Psychologinnen und Psychologen andererseits gibt. Dies habe aber keinen Einfluss auf die Tauglichkeitsentscheide. Die PVK hat einzig Hinweise, dass die Informationen der Fachstelle PSP die Tauglichkeitsentscheide beeinflussen (Ziff. 3.3). Beim Zuteilungsentscheid ist die Unabhängigkeit dagegen ausreichend sichergestellt. Auch die statistischen Analysen der Tauglichkeitsentscheide (Ziff. 5.2) weisen nicht darauf hin, dass organisatorische Faktoren wie ein nahender Beginn der Rekrutenschule die Beurteilung beeinflussen würden.
5 Entscheide über die Militärdiensttauglichkeit
Im Auftrag der PVK hat Infras die Entscheide über die Militärdiensttauglichkeit von rund 122 000 Stellungspflichtigen auf ihre Einheitlichkeit hin analysiert (vgl. zum Vorgehen Ziff. 1.2). ⁶9 Dabei wurde untersucht, ob die Tauglichkeitsentscheide zwischen den Rekrutierungszentren genügend einheitlich sind und ob sie von organisatorischen Faktoren wie einem Wechsel der Chefärzteschaft oder der Anzahl Stellungspflichtige pro Rekrutierungszyklus abhängen. Zudem wurde analysiert, inwiefern die ursprünglichen Tauglichkeitsentscheide aufgrund von Beschwerden oder Neubeurteilungen bis zum Ende der Rekrutenschule nachträglich noch angepasst werden.
Zusammenfassung: Die Rechtsgleichheit der Tauglichkeitsentscheide ist nur teilweise sichergestellt. So variiert der Anteil Stellungspflichtiger, die als militärdiensttauglich mit Einschränkungen beurteilt werden, zwischen den Rekrutierungszentren beträchtlich. Auch die einzelnen Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen werden sehr unterschiedlich oft festgestellt (Ziff. 5.1). Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass organisatorische Faktoren die Tauglichkeitsentscheide systematisch beeinflussen würden (Ziff. 5.2). Bei einer Beschwerde wird der Tauglichkeitsentscheid sehr oft revidiert, was für die PVK nicht nachvollziehbar ist. Die Tauglichkeitsentscheide bei Neubeurteilungen, beispielsweise während der Rekrutenschule, weisen ihrerseits nicht auf Ungleichheiten zwischen den Rekrutierungszentren hin (Ziff. 5.3).
5.1 In den Rekrutierungszentren wird unterschiedlich oft eine Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen festgestellt
Die statistischen Analysen der Tauglichkeitsentscheide zeigen erhebliche Unterschiede zwischen den Rekrutierungszentren, welche sich nicht mit dem unterschiedlichen Hintergrund der Stellungspflichtigen erklären lassen. Diese Unterschiede zwischen den Zentren finden sich auch im Anteil Stellungspflichtiger in einer bestimmten Kategorie der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen.
Grundsätzlich wird nur ein kleiner Teil der Stellungspflichtigen, die militärdiensttauglich sind, bei der Erstbeurteilung in einem Rekrutierungszentrum als militärdiensttauglich mit Einschränkungen eingestuft. Von den mehr als 120 000 Stellungspflichtigen, welche zwischen 2019 und 2023 an der Rekrutierung beurteilt wurden, waren im Schnitt nur 5 Prozent militärdiensttauglich mit Einschränkungen. Zwei von drei Stellungspflichtigen waren militärdiensttauglich ohne Einschränkungen (71 %), und ein Viertel (24 %) wurde als nicht militärdiensttauglich beurteilt. 7⁰
Zwischen den Rekrutierungszentren bestehen jedoch erhebliche Unterschiede, wie Abbildung 6 zeigt. Während in Monteceneri und Rüti lediglich 2 bis 3 Prozent der Stellungspflichtigen als tauglich mit Einschränkungen beurteilt werden, liegt dieser Anteil in Sumiswald und Payerne bei 8 Prozent.
Abbildung 6
Anteil Stellungspflichtiger, die militärdiensttauglich mit Einschränkungen sind
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Quelle: Entscheidanalysen, Abb. 1, 17.
Eine mögliche Erklärung könnten Unterschiede in der Zusammensetzung der Stellungspflichtigen sein. Zwei Studien im Auftrag des Oberfeldarztes haben gezeigt, dass ältere Stellungspflichtige und solche aus städtischen Gebieten eher militärdienstuntauglich sind. 7¹ In den vorliegenden Analysen erklären diese Faktoren jedoch die Unterschiede im Anteil der Stellungspflichtigen mit eingeschränkter Tauglichkeit nur bedingt. Zwar werden ältere Stellungspflichtige eher als tauglich mit Einschränkungen beurteilt, doch könnte das Alter lediglich den höheren Anteil im Rekrutierungszentrum Payerne (vgl. Abb. 7) erklären, nicht aber in den anderen Rekrutierungszentren. 7² Ob ein Stellungspflichtiger aus einer städtischen oder einer ländlichen Gemeinde kommt, hat dagegen keinen Einfluss auf die Tauglichkeit mit Einschränkungen: Im Schnitt sind 5 Prozent von ihnen militärdiensttauglich mit Einschränkungen. 7³ Die Unterschiede zwischen den Rekrutierungszentren bleiben also bestehen, auch wenn diese Faktoren berücksichtigt werden.
Abbildung 7
Vergleich der Entscheide zur Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen
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Bemerkungen: Das Total pro Rekrutierungszentrum entspricht der Anzahl Stellungspflichtiger, die als militärdiensttauglich mit Einschränkungen beurteilt wurden. Ein Stellungspflichtiger kann mehrere Einschränkungen der Militärdiensttauglichkeit gleichzeitig haben.
Quelle: Darstellung PVK auf Basis von Tab. 10-12, 48 ff. der Entscheidanalysen.
Im Rahmen der Evaluation fassen wir unter dem Begriff «Tauglichkeit mit Einschränkungen» verschiedene Tauglichkeitskategorien zusammen (vgl. Ziff. 2.3). Bei einem Drittel der analysierten Stellungspflichtigen kommt mehr als eine Einschränkung zum Tragen. So kann es sein, dass eine Person keine langen Märsche absolvieren kann (Einschränkung beim Marschieren) und gleichzeitig auch nicht schiessen darf. Die Analysen zeigen, dass jeder zweite Stellungspflichtige (55 %), bei dem eine Einschränkung der Militärdiensttauglichkeit festgestellt wurde, aus medizinischen Gründen keine militärischen Motorfahrzeuge führen darf. Fast ebenso gross sind der Anteil der Stellungspflichtigen mit einer Einschränkung beim Heben, Tragen und/oder Marschieren (40 %) und der Anteil jener, die aus medizinischen Gründen schiessuntauglich sind (38 %). 7⁴
Ein Vergleich dieser Anteile in den einzelnen Rekrutierungszentren zeigt erhebliche Unterschiede (Abb. 7). Zwar gibt es einen standardisierten Hörtest, der auch dazu dient, festzustellen, ob ein Stellungspflichtiger aus medizinischen Gründen nicht schiessen darf (Ziff. 3.2). Die Analyse der Tauglichkeitsentscheide zeigt jedoch, dass der Fall, dass ein militärdiensttauglicher Stellungspflichtiger schiessuntauglich ist, in Aarau viel häufiger vorkommt als in allen anderen Rekrutierungszentren. In Monteceneri dürfen dagegen sehr viele Stellungspflichtige mit Einschränkungen keine militärischen Motorfahrzeuge führen, während dies in Mels nur bei jedem dritten der Fall ist. Die Einschränkung beim Heben, Tragen und/oder Marschieren wird im Rekrutierungszentrum Mels sehr viel häufiger diagnostiziert als in den anderen Zentren, während der entsprechende Anteil in Monteceneri im Vergleich zu den anderen Zentren gering ist. Angesichts der grossen Unterschiede zwischen den Rekrutierungszentren kommt die PVK insgesamt zum Schluss, dass die verschiedenen Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen in den Rekrutierungszentren nicht genügend einheitlich angewendet werden.
7⁰ Entscheidanalysen, Tab. 3, 16
7¹ Floris/Staub/Rühli 2016, Floris/Staub/Held/Rühli 2019
7² Entscheidanalysen, Ziff. 4.1.7
7³ Entscheidanalysen, Abb. 6, 25
7⁴ Entscheidanalysen, Ziff. 4.1.1
5.2 Die Tauglichkeitsentscheide werden nicht durch organisatorische Faktoren beeinflusst
Die PVK hat untersuchen lassen, ob organisatorische Faktoren wie die Auslastung des Rekrutierungszentrums oder ein Wechsel der Chefärzteschaft die oben dargelegten Unterschiede zwischen den Rekrutierungszentren erklären, was nicht der Fall ist. Derartige Faktoren sollten die Tauglichkeitsentscheide auch nicht systematisch beeinflussen, weil die Stellungspflichtigen sonst nicht einheitlich auf ihre Militärdiensttauglichkeit hin beurteilt würden.
Die Auslastung eines Rekrutierungszyklus könnte sich dann auf die Tauglichkeitsentscheide auswirken, wenn bei starker Auslastung weniger Zeit für die Untersuchungen der einzelnen Stellungspflichtigen zur Verfügung stünde. In zwei der sechs Rekrutierungszentren findet sich zwar ein nicht vernachlässigbarer Zusammenhang zwischen der Tauglichkeit mit Einschränkungen und der Auslastung: Je höher dort die Auslastung, desto seltener wird eine Person als tauglich mit Einschränkungen beurteilt. Jedoch werden in diesen Rekrutierungszentren im Vergleich nur wenige Stellungspflichtige als tauglich mit Einschränkungen beurteilt (vgl. Ziff. 5.1). Zudem findet sich kein solcher Zusammenhang, wenn alle Rekrutierungszentren berücksichtigt werden und für andere Einflussfaktoren wie das Alter der Stellungspflichtigen kontrolliert wird. 7⁵
Ein nahender Beginn der Rekrutenschule hat gemäss den Analysen auch keinen systematischen Einfluss auf die Tauglichkeitsentscheide. 7⁶ Ein solcher Einfluss könnte entstehen, wenn die zur Verfügung stehenden Plätze einer Rekrutenschule, sei es im Sommer oder im Winter, die Tauglichkeitsbeurteilungen beeinflussen würden. Dies wäre ein Hinweis, dass die Unabhängigkeit der Tauglichkeitsbeurteilung von der Zuteilung einer Funktion in der Rekrutenschule nicht sichergestellt wäre. Die detaillierten Analysen zeigen zwar in den meisten Rekrutierungszentren leichte Schwankungen der Tauglichkeitsraten über das Jahr, doch ergibt sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang. Der Beginn der Rekrutenschule beeinflusst die Tauglichkeitsentscheide somit nicht systematisch.
Schliesslich fand sich auch kein systematischer Einfluss des Wechsels der Chefärztin oder des Chefarztes auf die Tauglichkeitsentscheide. In vier Rekrutierungszentren hat die Chefärzteschaft zwischen 2019 und 2023 gewechselt. In zwei dieser vier Zentren hat sich der Anteil militärdiensttauglicher Stellungspflichtiger mit dem Wechsel verändert, wenn in Bezug auf Faktoren wie das Alter der Stellungspflichtigen kontrolliert wird. In den anderen zwei Rekrutierungszentren lässt sich hingegen kein Einfluss des Wechsels der Chefärzteschaft auf die Entscheide feststellen. 7⁷
7⁵ Entscheidanalysen, Ziff. 4.1.3 sowie Ziff. 4.2
7⁶ Entscheidanalysen, Ziff. 4.1.4
7⁷ Entscheidanalysen, Kap. 4.1.5
5.3 Infolge von Beschwerden oder Neubeurteilungen werden die Tauglichkeitsentscheide oft angepasst
Entscheide zur Militärdiensttauglichkeit können im Rahmen von Beschwerden und Neubeurteilungen nachträglich angepasst werden (Ziff. 2.1.2). In diesem Kapitel bewertet die PVK auf Grundlage der Analysen der Tauglichkeitsentscheide durch Infras, in welchem Masse die Tauglichkeitsentscheide nach einer Beschwerde revidiert werden (Ziff. 5.3.1) und ob die Neubeurteilungen auf Unterschiede zwischen den Rekrutierungszentren hinweisen (Ziff. 5.3.2).
5.3.1 Bei Beschwerden wird eine nicht nachvollziehbar hohe Zahl von Tauglichkeitsentscheiden revidiert
Stellungspflichtige können innerhalb von 30 Tagen eine Beschwerde gegen den Tauglichkeitsentscheid einreichen (vgl. Ziff. 2.1.2 und Ziff. 3.4 für eine Bewertung der Vorgaben). Im untersuchten Zeitraum haben nur 0,4 Prozent der Stellungspflichtigen eine Beschwerde eingereicht, womit die Entscheide zur Tauglichkeit nur sehr selten infrage gestellt werden. ⁷8 Wenn jedoch eine Beschwerde eingereicht wird, führt diese sehr oft zu einem anderen Tauglichkeitsentscheid, wie Abbildung 8 illustriert. Ist ein Stellungspflichtiger militärdiensttauglich oder militärdiensttauglich mit Einschränkungen, bleibt diese Beurteilung nur bei einem Drittel (31 %) bzw. einem Viertel (25 %) der Stellungspflichtigen bestehen. Auch bei den Stellungspflichtigen, die vor einer Beschwerde nicht militärdiensttauglich waren, bleibt dieser Entscheid nur in der Hälfte der Fälle bestehen (52 %). Die Hälfte der nicht militärdiensttauglichen Stellungspflichtigen darf nach einer Beschwerde doch Militärdienst leisten.
Abbildung 8
Militärdiensttauglichkeit nach einer Beschwerde
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Bemerkungen: Nicht revidierte Entscheide sind schwarz umrahmt.
Quelle: Entscheidanalysen, Abb. 10, 35.
Für die PVK ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Tauglichkeitsbeurteilung in so vielen Fällen revidiert wird. Eine Beschwerde muss innerhalb von 30 Tagen nach dem Erstentscheid eingereicht werden und wird im Schnitt innerhalb von sechs Monaten behandelt. ⁷9 Es ist unwahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand eines Stellungspflichtigen zwischen dem Erstentscheid und der erneuten Beurteilung in so vielen Fällen grundlegend verändert. Stellungspflichtige, deren Militärdiensttauglichkeit wegen eines akuten Leidens bei der Rekrutierung nicht bestimmt werden kann, werden allemal zu einem späteren Zeitpunkt nochmals aufgeboten. So kann ein Stellungspflichtiger, der mit einem gebrochenen Bein zur Rekrutierung erscheint, die psychologischen Tests absolvieren, für die Sporttests und für medizinische Untersuchungen muss er aber später nochmals erscheinen. Erst wenn alle Informationen vorliegen, wird der Tauglichkeitsentscheid gefällt.
Als Erklärung für die hohe Anpassungsrate der Tauglichkeitsentscheide bei einer Beschwerde führte der Militärärztliche Dienst an, dass die Stellungspflichtigen nach einem unerwünschten Entscheid zusätzliche Arztzeugnisse einreichen würden, welche für eine andere Beurteilung sprächen. Zudem müsse beim Urteil darüber, ob eine Person den physischen und psychischen Anforderungen des Militärdienstes gewachsen sei, auch deren Motivation berücksichtigt werden. Für die PVK ist dies zu einem gewissen Grad verständlich, doch stellt sich damit die Frage nach der Objektivität eines Tauglichkeitsentscheids. Es sei zentral, dass die Militärdiensttauglichkeit nach objektiven Kriterien bestimmt werde, hatte der Bundesrat betont. 8⁰ Der hohe Anteil der Tauglichkeitsentscheide, die nach einer Beschwerde revidiert werden, und die vom Militärärztlichen Dienst geltend gemachten Gründe sind für die PVK ein weiterer Hinweis, dass die Vorgaben zur Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit nicht ausreichend konkretisiert sind (vgl. dazu Ziff. 3.2), um einen Entscheid nach objektiven Kriterien zu ermöglichen.
⁷8 Entscheidanalysen, Kap. 5.2
⁷9 Entscheidanalysen, Kap. 5.2
8⁰ Botschaft zur Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» ( BBl 2012 8285 , 8302 )
5.3.2 Die Neubeurteilungen weisen nicht auf eine uneinheitliche Tauglichkeitsbeurteilung hin
Das Militärgesetz ermöglicht eine Neubeurteilung der Militärdiensttauglichkeit auch ausserhalb der 30-tägigen Beschwerdefrist (Ziff. 2.1.2). Rund 7 Prozent der Stellungspflichtigen, die in einem Rekrutierungszentrum zuerst als militärdiensttauglich beurteilt wurden, werden bis zum Ende der Rekrutenschule nochmals auf ihre Militärdiensttauglichkeit hin beurteilt. 8¹ Im Untersuchungszeitraum entspricht dies rund 6600 Neubeurteilungen. Sie führten in den meisten Fällen zu einer Veränderung der Tauglichkeit, wie Abbildung 9 zeigt. Jeder zweite Militärdiensttaugliche wurde bei einer Neubeurteilung als nicht mehr militärdiensttauglich beurteilt. Gleichzeitig werden über 60 Prozent der Stellungspflichtigen, die zuerst nicht militärdiensttauglich waren, nach einer Neubeurteilung doch noch militärdiensttauglich.
Die Vorgaben könnten den hohen Anteil revidierter Entscheide erklären. So verlangt eine Weisung, dass Gesuche um Neubeurteilung nur zugelassen werden, wenn erwiesen ist, dass sich der Gesundheitszustand einer Person verändert hat, was laut dem Rechtsgutachten eine unrechtmässige Einschränkung ist (vgl. Ziff. 3.4). Gleichzeitig ist für die PVK aber durchaus nachvollziehbar, dass es auch bei Personen im Militärdienst zu einer Veränderung der Tauglichkeit kommen kann. Durch einen Unfall oder wenn sich zeigt, dass eine Person den Belastungen nicht gewachsen ist, kann eine erneute Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit angezeigt sein, welche zu einem anderen Ergebnis kommt.
Abbildung 9
Militärdiensttauglichkeit nach einer Neubeurteilung
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Bemerkungen: Nicht revidierte Entscheide sind schwarz umrahmt.
Quelle: Entscheidanalysen, Abb. 8, 32.
Gewisse Unterschiede zwischen den Rekrutierungszentren bestehen bezüglich der Anteile der Neubeurteilungen. So führen Tauglichkeitsentscheide in Payerne etwas häufiger zu Neubeurteilungen (6,6 %) als beispielsweise solche in Monteceneri (4,9 %). 8² Das Rekrutierungszentrum Payerne beurteilt jedoch fast fünfmal so viele Stellungspflichtige wie jenes von Monteceneri. 8³ Zudem liegen die Gründe für Neubeurteilungen nur bedingt im Einflussbereich der Armee, weshalb die festgestellten Unterschiede für die PVK plausibel sind.
Infras hat im Auftrag der PVK auch analysiert, wie häufig die Tauglichkeitsentscheide mancher Rekrutierungszentren bei einer Neubeurteilung durch ein anderes Zentrum geändert werden. Würden die Entscheide eines Zentrums überdurchschnittlich häufig geändert, wäre dies ein Hinweis, dass die Tauglichkeitsbeurteilung nicht einheitlich vorgenommen wird. 8⁴ Die Unterschiede zwischen den Zentren sind jedoch gering, wie die Analysen zeigen. 8⁵ Die Militärdiensttauglichkeit von Stellungspflichtigen, die zuerst in Payerne beurteilt wurden, wird etwas häufiger geändert. Eine mögliche Erklärung ist die im Vergleich tiefe Tauglichkeitsrate bei den Erstbeurteilungen dieses Rekrutierungszentrums. Insgesamt zeigen die Analysen jedoch nicht, dass die Tauglichkeitsentscheide bestimmter Rekrutierungszentren bei Neubeurteilungen besonders häufig geändert werden.
8¹ Entscheidanalysen, Tab. 3 und Abb. 8
8² Entscheidanalysen, Tab. 7
8³ Entscheidanalysen, Abb. 1
8⁴ Neubeurteilungen während der Rekrutenschule finden mehrheitlich in einem anderen Rekrutierungszentrum statt, die restlichen Neubeurteilungen meist in dem Rekrutierungszentrum, in dem die Erstbeurteilung erfolgte. Vgl. Entscheidanalysen, Fussnote 29, 33.
8⁵ Entscheidanalysen, Abb. 9
⁶9 Entscheidanalysen
6 Schlussfolgerungen
Die PVK evaluierte die Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen. Sie kommt insgesamt zum Schluss, dass die Rechtsgleichheit bei der Rekrutierung nicht sichergestellt ist. Zwar sind die Beurteilungsprozesse in den Rekrutierungszentren effizient und zweckmässig organisiert (Ziff. 6.1). Jedoch ist nicht sichergestellt, dass die Stellungspflichtigen in allen sechs Rekrutierungszentren einheitlich beurteilt werden (Ziff. 6.2). In zwei für die Tauglichkeitsbeurteilung zentralen Bereichen wird überdies unrechtmässig vorgegangen (Ziff. 6.3). Die Militärdiensttauglichkeit ist zudem rechtlich ungenügend verankert, und in Bezug auf die Beschwerden stellen sich rechtliche Fragen (Ziff. 6.4).
6.1 Die Tauglichkeitsbeurteilung ist insgesamt zweckmässig organisiert und effizient
Innerhalb von zwei bis drei Tagen müssen Ärztinnen und Ärzte an der Rekrutierung bestimmen, ob ein Stellungspflichtiger Militärdienst leisten kann. Zu diesem Zweck werden jährlich um die 35 000 Stellungspflichtige in sechs Rekrutierungszentren verschiedenen Untersuchungen und Tests unterzogen. Auf deren Grundlage entscheiden die Ärztinnen und Ärzte, ob die Person voraussichtlich aus medizinischer Sicht den psychischen und körperlichen Belastungen des Militärdienstes gewachsen und somit militärdiensttauglich ist. Dabei können sie auch entscheiden, dass ein Stellungspflichtiger zwar militärdiensttauglich ist, jedoch mit gewissen Einschränkungen.
Die Evaluation zeigt, dass die Prozesse zur Tauglichkeitsbeurteilung insgesamt effizient sind und die Beurteilung zweckmässig organisiert ist. In den verschiedenen Rekrutierungszentren laufen die Prozesse weitgehend einheitlich ab (Ziff. 4.1.1). Weiter sind die durchgeführten Abklärungen angemessen und die erhobenen Informationen für die Tauglichkeitsbeurteilung geeignet. Die Ärztinnen und Ärzte in den Rekrutierungszentren gaben in der Online-Befragung der PVK an, dass sie über die notwendigen Informationen verfügen, um den Tauglichkeitsentscheid zu fällen. Die Prozesse stellen auch angemessen sicher, dass Doppelspurigkeiten bei Tests und Untersuchungen vermieden werden. Schliesslich gewährleisten die Abläufe, dass zuerst unabhängig entschieden wird, ob ein Stellungspflichtiger tauglich ist, und er erst danach vom Kommandanten des Rekrutierungszentrums einer Funktion für die Rekrutenschule zugeteilt wird (Ziff. 4.2).
Die im Auftrag der PVK ausgeführten statistischen Analysen stützen die Bewertung, dass organisatorische Faktoren die Tauglichkeitsentscheide nicht systematisch beeinflussen. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass der Zeitpunkt für den Entscheid, ob jemand als militärdiensttauglich beurteilt wird, eine Rolle spielen würde. So werden in den Monaten vor dem Beginn der Rekrutenschulen nicht mehr oder weniger Stellungspflichtige als militärdiensttauglich beurteilt. Auch die Anzahl Stellungspflichtige eines Rekrutierungszyklus oder ein Wechsel des Chefarztes des Zentrums beeinflussen die Entscheide zur Militärdiensttauglichkeit nicht systematisch (Ziff. 5.2). Personen können mehrmals auf ihre Militärdiensttauglichkeit hin beurteilt werden. Die statistischen Auswertungen zeigen dabei ebenfalls keine Auffälligkeiten: Die Tauglichkeitsentscheide einzelner Rekrutierungszentren werden bei einer Neubeurteilung nicht häufiger geändert als die der anderen (Ziff. 5.3.2).
6.2 Die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen wird nicht einheitlich beurteilt
Die PVK kommt zum Schluss, dass die medizinischen Vorgaben für die Ärzte und Ärztinnen nicht ausreichend konkret sind, um die Militärdiensttauglichkeit einheitlich zu beurteilen. Die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen beim Heben, Tragen und/oder Marschieren ist in den Vorgaben beispielsweise nur am Rande erwähnt. Nach welchen Kriterien die in der Verordnung vorgesehene leichte von der erheblichen Einschränkung abgegrenzt werden soll, ist nicht konkretisiert. Allgemein zeigt sich, dass bei den medizinischen Diagnosen, die am häufigsten festgestellt werden, die Vorgaben lediglich eine Empfehlung dazu enthalten, wie sich diese auf die Militärdiensttauglichkeit auswirken. Eine spezielle Kommission, die Zentral UC, kann sich zudem selbst über als zwingend bezeichnete Vorgaben hinwegsetzen. Damit ist die einheitliche Beurteilung nicht sichergestellt und kann laut dem Rechtsgutachten nicht beurteilt werden, ob und inwieweit im Einzelfall bei einem Entscheid zur Militärdiensttauglichkeit die Rechtsgleichheit gemäss Artikel 8 Absatz 1 der Bundesverfassung eingehalten wird (Ziff. 3.2).
Die Ärzteschaft in den Rekrutierungszentren, welche die PVK befragte, beurteilte die Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen ihrerseits als eindeutig definiert und einfach anzuwenden. Möglicherweise hat sich unter der Ärzteschaft ein gemeinsames Verständnis der Militärdiensttauglichkeit herausgebildet (Ziff. 3.2). Doch fehlen Vorschriften zur Einführung und Schulung von Ärztinnen und Ärzten in die Besonderheiten der Tauglichkeitsbeurteilung, sodass trotz mangelnder Vorgaben eine einheitliche Beurteilung sichergestellt werden könnte (Ziff. 4.1.2). Dies ist insbesondere relevant, weil bei der Rekrutierung in allen Rekrutierungszentren sogenannte Mandatsärztinnen und -ärzte eingesetzt werden. Diese sind im Stundenlohn, meist nur in kleinem Pensum, in den Rekrutierungszentren tätig und haben somit nicht dieselbe Routine in der Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit wie die fest angestellte Ärzteschaft. Dies ist insbesondere wichtig, weil sie auch in die Tauglichkeitsentscheide involviert sind, obwohl dies nicht so vorgesehen ist (vgl. Ziff. 6.3). Weiter fehlen Vorgaben zur Qualitätssicherung. Die Prozesse in den Rekrutierungszentren und die Tauglichkeitsentscheide werden nicht systematisch auf ihre Einheitlichkeit hin überprüft (Ziff. 4.1.3). Die Analysen der Tauglichkeitsentscheide im Auftrag der PVK zeigen denn auch, dass in den Rekrutierungszentren unterschiedlich oft eine Tauglichkeit mit Einschränkungen festgestellt wird: Der Anteil Stellungspflichtiger mit einer Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen variiert zwischen 2 und 8 Prozent. Auch werden die einzelnen Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen je nach Zentrum sehr unterschiedlich häufig festgestellt. Die verschiedenen Kategorien der Tauglichkeit mit Einschränkungen werden damit nicht genügend einheitlich angewendet (Ziff. 5.1).
Auch die Analyse der Tauglichkeitsentscheide nach einer Beschwerde gegen einen Entscheid unterstreicht den Befund, dass die Vorgaben zu offen formuliert sind. Die ursprüngliche Tauglichkeitsbeurteilung wird bei einer Beschwerde in mehr als der Hälfte der Fälle revidiert. Wer also bei der Rekrutierung als nicht militärdiensttauglich beurteilt wurde, kann in der Hälfte der Fälle dann doch Militärdienst leisten. Deshalb stellt sich für die PVK die Frage nach der Objektivität des Tauglichkeitsentscheids. Insgesamt kommt die PVK zum Ergebnis, dass die Vorgaben keine einheitliche Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen sicherstellen.
6.3 Die rechtlichen Vorgaben werden bei der Tauglichkeitsbeurteilung teilweise nicht eingehalten
In allen sechs Rekrutierungszentren werden in zwei für die Tauglichkeitsbeurteilung zentralen Bereichen die rechtlichen Vorgaben nicht eingehalten. Erstens müsste der Tauglichkeitsentscheid laut Verordnung und einschlägiger Weisung des Oberfeldarztes durch eine Kommission aus mindestens zwei Ärztinnen bzw. Ärzten gefällt werden, die entweder Angehörige der Armee oder von der Armee angestellt sind. Mandatsärztinnen und -ärzte, die im Stundenlohn in den Rekrutierungszentren tätig sind, wären somit nicht zugelassen. Zudem sollte der oder die Vorsitzende dieser Kommission dem Stellungspflichtigen den Tauglichkeitsentscheid eröffnen. In der Praxis fällt oft ein Arzt bzw. eine Ärztin allein den Entscheid, und teilweise handelt es sich dabei auch um Mandatsärzte bzw. -ärztinnen. Diese Vorgaben werden somit bei den meisten Tauglichkeitsentscheiden seit Längerem nicht eingehalten (Ziff. 4.1.1).
Unrechtmässig ist zweitens der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Stellen in den Rekrutierungszentren. Die Ärzteschaft teilt seit Jahren regelmässig Informationen zu einzelnen Stellungspflichtigen mit der Fachstelle PSP. Das Gesetz entbindet sie jedoch nur bei Hinweisen auf eine Gefährdung mit der persönlichen Waffe vom Berufsgeheimnis. Mit der Weitergabe dieser Informationen machen sie sich möglicherweise strafbar. Auch die Fachstelle PSP teilt seit Jahren systematisch Informationen zu einzelnen Stellungspflichtigen mit der Ärzteschaft. Das Gesetz erlaubt ihr dies jedoch nur, wenn es Anzeichen auf ein unmittelbares Sicherheitsrisiko gibt. Die einschlägige Weisung aus dem Jahr 2014 erwähnt weder das Sicherheitsrisiko noch die Gefährdung als Voraussetzungen für eine Informationsweitergabe, sondern erweckt den Eindruck, dass der Informationsaustausch praktisch uneingeschränkt möglich ist. Zwar ist für die PVK nachvollziehbar, dass die beiden Stellen möglichst alle verfügbaren Informationen zu den Stellungspflichtigen nutzen möchten. Es ist herausfordernd, innerhalb kurzer Zeit einen Entscheid zur Militärdiensttauglichkeit zu fällen bzw. ein Sicherheitsrisiko einzuschätzen. Bei den Informationen zu strafrechtlichen Verurteilungen und dem Gesundheitszustand, zu denen diese Stellen Zugang haben, handelt es sich jedoch um besonders schützenswerte Personendaten. Zu deren Schutz stellt das Gesetz hohe Anforderungen. Die Weisung und der tatsächlich stattfindende Informationsaustausch gehen über diesen gesetzlichen Rahmen hinaus und sind deshalb unrechtmässig (Ziff. 3.3).
6.4 Die Militärdiensttauglichkeit und das Beschwerderecht sind rechtlich ungenügend verankert
Alle volljährigen Schweizer müssen sich einer Tauglichkeitsbeurteilung unterziehen. Damit wird entschieden, ob ein Stellungspflichtiger Dienst leisten oder eine Abgabe in Form des Wehrpflichtersatzes bezahlen muss. Entsprechend handelt es sich beim Tauglichkeitsentscheid um eine wichtige Rechtsnorm. Laut dem Rechtsgutachten, das im Auftrag der PVK verfasst wurde, sind die Anforderungen an wichtige Rechtsnormen mit den heutigen gesetzlichen Regelungen jedoch nicht erfüllt. Dazu müssten die Grundzüge der Militärdiensttauglichkeit in einem Gesetz im formellen Sinn geregelt sein, und der Bundesrat müsste darin ermächtigt werden, die Militärdiensttauglichkeit genauer zu regeln. Die Kriterien zur Bestimmung der Militärdiensttauglichkeit müssten zumindest in groben Zügen in einer Verordnung festgehalten und damit öffentlich zugänglich sein. Eine Geheimhaltung der Kriterien ist nur möglich, wenn das Gesetz eine solche vorsieht, was heute nicht der Fall ist (Ziff. 3.1).
Probleme verortet das Rechtsgutachten auch bei der Beschwerde gegen einen Tauglichkeitsentscheid. Zwar ist es rechtmässig, dass das Gesetz gegenwärtig bei Beschwerden gegen Tauglichkeitsentscheide keinen Rechtsweg an eine übergeordnete Instanz vorsieht. Weder der Bundesrat in seiner damaligen Botschaft noch der Gesetzgeber haben diesen Ausnahmefall aber jemals begründet. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wäre diese Einschränkung des Rechtswegs laut dem Rechtsgutachten stärker zu rechtfertigen. Für die PVK ist fraglich, inwiefern die heutige Regelung dem Willen des Gesetzgebers tatsächlich entspricht. Problematisch ist laut Rechtsgutachten zudem, dass Stellungspflichtige im Wortlaut des Militärgesetzes eigentlich gar nicht zur Beschwerde berechtigt sind. Das Gesetz erwähnt heute lediglich die «Angehörigen der Armee», womit es Personen ausschliesst, die als nicht militärdiensttauglich beurteilt wurden, aber gerne Militärdienst leisten würden. Zwar werden in der Praxis alle Stellungspflichtigen zur Beschwerde zugelassen, doch wäre es aus rechtsstaatlicher Sicht laut dem Rechtsgutachten zentral, dies gesetzlich zu verankern (Ziff. 3.4).
Problematisch ist schliesslich, dass eine Weisung die Neubeurteilung der Militärdiensttauglichkeit einschränkt. Laut dem Militärgesetz kann eine Person jederzeit ein begründetes Gesuch stellen, um nochmals auf ihre Militärdiensttauglichkeit hin beurteilt zu werden. Eine interne Weisung sieht jedoch vor, dass ein solches Gesuch nur zuzulassen ist, wenn sich der Gesundheitszustand einer Person verändert hat. Damit wird das Recht auf Neubeurteilung unrechtmässig eingeschränkt (Ziff. 3.4).
Abkürzungsverzeichnis
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| Abb. | Abbildung |
| Abs. | Absatz |
| Art. | Artikel |
| BBl | Bundesblatt |
| Bst. | Buchstabe |
| BV | Bundesverfassung (SR 101 ) |
| DRA | Dienstreglement der Armee (SR 510.107.0 ) |
| GPK | Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte |
| GPK-N | Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates |
| ISG | Bundesgesetz über die Informationssicherheit beim Bund (Informationssicherheitsgesetz) (SR 128 ) |
| LBA | Logistikbasis der Armee |
| MBDD | Medizinische Beurteilung der Diensttauglichkeit und Dienstfähigkeit der Stellungspflichtigen und Angehörigen der Armee, Reglement 59.002 vom 1. Oktober 2011 |
| MG | Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz) (SR 510.10 ) |
| PVK | Parlamentarische Verwaltungskontrolle |
| SR | Systematische Rechtssammlung |
| StGB | Strafgesetzbuch (SR 311.0 ) |
| UC | Medizinische Untersuchungskommission nach Art. 4 Abs. 1 VMBM |
| UMBM | Weisungen des Oberfeldarztes über die Umsetzung der Medizinischen Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und der Militärdienstfähigkeit, Weisung 93.013 vom 1. März 2020 |
| VBS | Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport |
| vgl. | vergleiche |
| VMBM | Verordnung über die medizinische Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und der Militärdienstfähigkeit (SR 511.12 ) |
| VMDP | Verordnung über die Militärdienstpflicht (SR 512.21 ) |
| VPSP | Verordnung über die Personensicherheitsprüfungen (SR 128.31 ) |
| Ziff. | Ziffer |
Literatur- und Dokumentenverzeichnis
Bundesamt für Statistik (2023): Jugendstrafurteile sind 2022 zurückgegangen. Medienmitteilung vom 20. Juni 2023.
Bundesrat (1992): Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Konzeption der Armee in den neunziger Jahren (Armeeleitbild 95) vom 27. Januar 1992 (BBl 1992 850)
Bundesrat (2010): Armeebericht 2010 (BBl 2010 8871)
Bundesrat (2012): Botschaft zur Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» (BBl 2012 8285)
Bundesrat (2017): Botschaft zum Bundesgesetz über die Informationssicherheit vom 22. Februar 2017 (BBl 2017 2953)
Bundesrat (2022): Alimentierung von Armee und Zivilschutz. Teil 2: Möglichkeiten zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems. (BBl 2022 665)
Bundesrat (2023): Änderung des Militärgesetzes, der Verordnung über die Verwaltung der Armee und der Armeeorganisation. Erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens am 22. November 2023.
Floris, Joël / Staub, Kaspar / Rühli, Frank (2016): Analyse möglicher Ursachen für die kantonalen Unterschiede in den Militärtauglichkeitsraten. Bericht zuhanden des Oberfeldarztes der Schweizer Armee.
Floris, Joël / Staub, Kaspar / Held, Leonhard / Rühli, Frank (2019): Vertiefte Analyse der Tauglichkeitsraten bei der Rekrutierung für die Schweizer Armee 2016-2017. Schlussbericht zuhanden des Oberfeldarztes der Schweizer Armee. (nicht öffentlich)
Führungsstab der Armee (2014): Interne Weisung zur Zusammenarbeit zwischen der PSP, der Medizin/Psychologie und den Kommandanten der Rekrutierungszentren vom 14. April 2014 (nicht öffentlich)
Generalsekretariat VBS (2023): Ausführungsrecht zum Informationssicherheitsgesetz, Erläuterungen vom 8. November 2023
GPK-N (2013): Nachkontrolle zur Inspektion über die Umstände der Ernennung von Roland Nef zum Chef der Armee. Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (BBl 2013 6241).
Infras (2023): Beurteilung der eingeschränkten Militärdiensttauglichkeit: Statistische Analyse der Tauglichkeitsentscheide ab 2019. Verfasst von Beatrice Ehmann, Judith Trageser und Thomas von Stokar im Auftrag der PVK.
Oberfeldarzt (2011): Medizinische Beurteilung der Diensttauglichkeit und Dienstfähigkeit der Stellungspflichtigen und Angehörigen der Armee (MBDD). Reglement 59.002 vom 1. Oktober 2011. (nicht öffentlich)
Oberfeldarzt (2022): Nosologia Militaris, gültig ab 1. April 2022. Reglement 59.010. (nicht öffentlich)
Oberfeldarzt (2020): Weisungen des Oberfeldarztes über die Umsetzung der Medizinischen Beurteilung der Militärdiensttauglichkeit und der Militärdienstfähigkeit (UMBM). Weisung 93.013 vom 1. März 2020. (nicht öffentlich)
Psychologischer Dienst der Rekrutierung (2023): Leitfaden für die Abklärung der psychologischen Tauglichkeit in der Rekrutierung, gültig ab 1. Juni 2023 ( nicht öffentlich)
Zentrum für Demokratie Aarau (2023): Juristisches Kurzgutachten zur Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen. Im Auftrag der PVK.
Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner
Aufgeführt ist die Funktion der betreffenden Person zum Zeitpunkt, zu dem sie von der PVK interviewt wurde. Mit gewissen Personen hat die PVK mehrere Gespräche geführt.
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| Aldcroft, Fabian | Chef Stab/Sanitätsinspektorat, Sanität, Logistikbasis der Armee |
| Cancela, Enrico | Dr. med., Chefarzt Rekrutierungszentrum Payerne, Sanität, Logistikbasis der Armee |
| Crettol, Samuel | Kommandant Rekrutierungszentrum Payerne, Kommando Rekrutierung, Kommando Ausbildung |
| Del Colle, Angelo | Chef Militärdienstpflicht und Verfügungen, Kommando Ausbildung |
| Floris, Joël | Dr., Postdoc, Institut für Evolutionäre Medizin, Universität Zürich |
| Fumeaux, Cédric | Chef Rechtsanwendungen und Vorgaben / Stv. Chef Steuerung und Vorgaben, Personelles der Armee, Kommando Ausbildung |
| Genini, Oscar | Senior Fachspezialist Qualitätsmanagement und Rechtsgrundlagen / Stv. Chef R/V, Personelles der Armee, Kommando Ausbildung |
| Gionata, Carmine | Chef Personensicherheitsprüfung Rekrutierungszentrum Payerne, Generalsekretariat VBSa |
| Gubser, Stefan | Chef Personensicherheitsprüfung Rekrutierungszentrum Rüti, Generalsekretariat VBSa |
| Keller, Thomas | Kommandant Rekrutierung, Kommando Ausbildung |
| Knill, Dominik | Präsident, Schweizerische Offiziersgesellschaft |
| Lenhardt, Kerstin | Chefpsychologin Rekrutierungszentrum Rüti, Kommando Rekrutierung, Kommando Ausbildung |
| Mobbs, Olivia | Chefpsychologin Rekrutierungszentrum Payerne, Kommando Rekrutierung, Kommando Ausbildung |
| Moser, Caroline | Dr. med., Chefin Militärärztlicher Dienst und Stellvertreterin des Oberfeldarztes, Sanität, Logistikbasis der Armee |
| Müller, Matthias | Chef IT / Steuerung Rekrutierung, Kommando Rekrutierung, Kommando Ausbildung |
| Nacht, Andreas | Dr. med., Chefarzt Rekrutierungszentrum Mels / Chef Psychiatrie der Schweizer Armee, Sanität, Logistikbasis der Armee |
| Rihs, Markus | Chef Personelles der Armee |
| Roduit, Nicolas | Projektleiter Alimentierung, Kommando Operationen |
| Savoy, Olivier | Generalsekretär, Schweizerische Offiziersgesellschaft |
| Siegenthaler, Rolf André | Chef Logistikbasis der Armee |
| Stettbacher, Andreas | Dr. med., Chef Sanität / Oberfeldarzt, Sanität, Logistikbasis der Armee |
| Süssli, Thomas | Chef der Armee |
| Vaso, Martin | Dr. med., Chef Medizinische Rekrutierungszentren / Kreisarzt, Sanität, Logistikbasis der Armee |
| Walser, Hans-Peter | Chef Kommando Ausbildung |
| Wyss, Sarah | Chefpsychologin Rekrutierungszentrum Sumiswald, Kommando Rekrutierung, Kommando Ausbildung |
| Zwahlen, Roger | Leiter Fachstelle Personensicherheitsprüfung, Generalsekretariat VBSa |
| a Die Fachstelle Personensicherheitsprüfung ist seit 1. Januar 2024 Teil des Staatssekretariats für Sicherheitspolitik des VBS. | |
Anhang 1
Herangehensweise der Evaluation
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| Ziele der Politik: | Alle männlichen Schweizer müssen laut Bundesverfassung Militärdienst leisten. Wer keinen Militärdienst leisten kann oder will, muss mit dem Schutzdienst oder Zivildienst einen Ersatzdienst leisten beziehungsweise eine Wehrpflichtersatzabgabe bezahlen. | ||
| ⇓ | |||
| Mittel, diese zu erreichen: | Ob ein Schweizer Militärdienst leisten kann, wird im Rahmen der zwei- bis dreitägigen Rekrutierung in einem von sechs Rekrutierungszentren bestimmt. Anhand diverser Untersuchungen und Tests wird entschieden, ob jemand körperlich und psychisch militärdiensttauglich ist, allenfalls mit Einschränkungen, und die Rekrutenschule absolvieren kann. | ||
| ⇓ | |||
| Gegenstand der Evaluation: | Im Zentrum steht die Frage, ob angemessen sichergestellt ist, dass alle Schweizer bei der Rekrutierung gleich auf ihre Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen hin beurteilt werden. | ||
| ⇓ | ⇓ | ⇓ | |
| Fragestellungen der Evaluation: | Sind die Vorgaben für die Beurteilung der eingeschränkten Tauglichkeit recht- und zweckmässig? | Werden bei der Rekrutierung einheitliche und zweckmässige Prozesse für die Tauglichkeitsbeurteilung angewendet? | Ist die Rechtsgleichheit der Entscheide über die eingeschränkte Tauglichkeit angemessen sichergestellt? |
| ⇓ | ⇓ | ⇓ | |
| Durchgeführte Analysen: | Rechtsgutachten (externes Mandat) Dokumentenanalyse Interviews | Dokumentenanalyse Online-Befragung Interviews | Statistische Analyse (externes Mandat) |
Anhang 2
Bewertungskriterien
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| Kriterium | Bewertungselemente |
|---|---|
| Recht- und Zweckmässigkeit der Vorgaben (Kap. 3) | |
| Verfassungs- und Gesetzmässigkeit | Die Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen steht im Einklang mit der Bundesverfassung. Die Vorgaben zur Tauglichkeitsbeurteilung sind stufengerecht definiert (Verfassung, Gesetz, Verordnung, Weisung, Reglement). Die Vorgaben sind rechtmässig. Die gesetzlichen Vorgaben sind in der Verordnung, den Weisungen und Reglementen aus rechtlicher Sicht angemessen konkretisiert, sodass die rechtsgleiche Beurteilung der Tauglichkeit sichergestellt ist. |
| Eindeutigkeit der Vorgaben | Die Vorgaben zur Tauglichkeitsbeurteilung sind angemessen konkretisiert und widerspruchsfrei. Die Kategorien der Militärdiensttauglichkeit mit Einschränkungen sind komplett (decken alle Fälle ab), abgegrenzt, klar (die Personen können eindeutig in die verschiedenen Kategorien eingeteilt werden). Alle Tauglichkeitskategorien sind tatsächlich notwendig (keine überflüssigen Kategorien). Es sind für alle Tests explizite und eindeutige Schwellenwerte und Kriterien dazu definiert, wie sich das Testresultat auf den Tauglichkeitsentscheid auswirkt. Es ist eindeutig definiert, welche Funktion welche Kompetenzen und Verantwortlichkeiten für die Beurteilung der Tauglichkeit hat. |
| Angemessenheit der Beschwerdemöglichkeiten | Die Beschwerdemöglichkeiten stehen im Einklang mit der Bundesverfassung und den Grundrechten. Es bestehen aus rechtlicher Sicht angemessene Beschwerdemöglichkeiten gegen einen Tauglichkeitsentscheid. Die Beschwerdeverfahren sind stufengerecht definiert und angemessen konkretisiert. Die Verfahren stellen eine aus rechtlicher Sicht ausreichende Unabhängigkeit der Neubeurteilung sicher. |
| Einheitlichkeit und Zweckmässigkeit der Beurteilungsprozesse (Kap. 4) | |
| Übereinstimmung der angewendeten Prozesse mit den Vorgaben | Die angewendeten Prozesse entsprechen den Vorgaben, namentlich in Bezug auf:- die Anwendung der in der Verordnung definierten Tauglichkeitskategorien für die Tauglichkeitsentscheide;- die Durchführung von Tests und Untersuchungen;- den Einbezug und die Kompetenzausübung der vorgesehenen Akteure;- den Informationsaustausch zwischen den Stellen in den Rekrutierungszentren. Nur die erlaubten Informationen werden ausgetauscht. |
| Eignung der erhobenen Informationen für die Tauglichkeitsbeurteilung | Die durch die Prozesse erhobenen Informationen sind für die Tauglichkeitsbeurteilung nötig und aussagekräftig. Anhand der Informationen kann insbesondere eine Tauglichkeit mit Einschränkungen eindeutig festgestellt werden. Die relevanten Informationen fliessen in den Tauglichkeitsentscheid ein. Es gibt keine nötigen Informationen, die nicht vorhanden sind, wenn ein Tauglichkeitsentscheid gefällt wird. |
| Angemessenheit der vorgesehenen Abklärungen | Die vorgesehenen Abklärungen und Tests sind für die Tauglichkeitsbeurteilung notwendig und explizit begründet. Es ist klar definiert, welche Untersuchungen und Tests bei der Rekrutierung zwingend und welche optional sind, und es ist definiert, in welchen Fällen zusätzliche Untersuchungen oder Unterlagen nötig sind. |
| Minimaler Abklärungs- und Zeitaufwand | Zur Verfügung stehende Informationen werden angemessen berücksichtigt. Die Prozesse stellen sicher, dass vor der Rekrutierung zur Verfügung stehende Informationen für die Tauglichkeitsbeurteilung den befugten Stellen zur Verfügung stehen. Der Grund und das Ziel jeder durchgeführten Untersuchung bzw. jedes durchgeführten Tests sind klar, auch aus Sicht des Personals. Alle durchgeführten Untersuchungen und Tests sind für die Tauglichkeitsbeurteilung notwendig. Das heisst, insbesondere gibt es keine Doppelspurigkeiten bei den Tests und Untersuchungen. Ist aufgrund einer Diagnose eine eindeutige Militärdienstuntauglichkeit gegeben, werden keine weiteren Abklärungen gemacht. Die Beurteilung der Tauglichkeit erfolgt möglichst schnell, dies insbesondere auch in Bezug auf die Feststellung von relevanten Einschränkungen. Die Prozesse werden so umgesetzt, dass sich die Unterschiede in der Anzahl Stellungspflichtiger nicht in der Dauer der Beurteilung widerspiegeln. |
| Einheitlichkeit der angewendeten Prozesse | Für die Tauglichkeitsbeurteilung wenden alle Rekrutierungszentren die gleichen Prozesse an. |
| Angemessenheit der Überprüfung der Einheitlichkeit | Die Einheitlichkeit der angewendeten Prozesse und der Entscheide wird mittels zweckmässiger Methoden überprüft, welche fundierte Aussagen zulassen. Die Überprüfung geschieht in definierten und sinnvollen Zeitabständen. |
| Unabhängigkeit der Tauglichkeitsbeurteilung vom Zuteilungsentscheid | Die Beurteilung der Tauglichkeit erfolgt in der Praxis zeitlich vor der Zuteilung zu einer Rekrutierungsfunktion. Die noch offenen bzw. bereits erfüllten Kontingente pro Armeefunktion spielen keine Rolle bei den Entscheiden über die Tauglichkeit. |
| Ausreichender Ressourceneinsatz | Die eingesetzten personellen und zeitlichen Ressourcen reichen aus, um eine einheitliche Beurteilung sicherzustellen, auch aus Sicht des Personals. Die tatsächlich eingesetzten personellen und zeitlichen Ressourcen entsprechen den Vorgaben. |
| Angemessenheit der Schulung des Personals | Das eingesetzte Personal beurteilt ausreichend häufig Fälle, um mit den Vorgaben und deren Anwendung vertraut und geübt zu sein. Das Personal muss eine angemessene Einführung absolvieren, bevor es für die Tauglichkeitsbeurteilung eingesetzt wird. Es wird geprüft, ob das Personal über ausreichend Kenntnisse verfügt, bevor es eigenständige Tauglichkeitsbeurteilungen vornimmt (z. B. in Form einer Abschlussprüfung). Es finden in angemessenen Zeitabständen Schulungen für die verschiedenen Personalkategorien (angestelltes Personal, Mandatsärzte/-ärztinnen) statt. Bei Anpassungen der Vorgaben zur Tauglichkeitsbeurteilung wird das Personal angemessen darüber instruiert. Das Personal fühlt sich ausreichend instruiert und auf seine Aufgaben vorbereitet. |
| Einheitlichkeit der Tauglichkeitsentscheide (Kap. 5) | |
| Einheitlichkeit zwischen den Rekrutierungszentren | Der Anteil Personen, die als tauglich mit Einschränkungen oder militärdienstuntauglich beurteilt werden, ist in allen Rekrutierungszentren angemessen einheitlich. Die Wahrscheinlichkeit für eine Person, als tauglich bzw. militärdienstuntauglich beurteilt zu werden, unterscheidet sich zwischen den Rekrutierungszentren nicht substanziell. Unterschiede in Bezug auf den Anteil Stellungspflichtiger in den Tauglichkeitskategorien sind erklärbar. Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Neubeurteilung als militärdiensttauglich mit Einschränkungen eingestuft zu werden, ist unabhängig vom Rekrutierungszentrum, in welchem der Erstentscheid gefällt wurde. |
| Einheitlichkeit innerhalb der Rekrutierungszentren | Die Grösse des Rekrutierungszentrums oder die Anzahl Stellungspflichtiger in einem Rekrutierungszyklus hat keinen Zusammenhang mit den Tauglichkeitsraten. Der Rekrutierungszyklus hat keinen Einfluss auf den Tauglichkeitsentscheid. Die Tauglichkeitsraten bleiben über alle Monate des Jahres angemessen einheitlich. Ein Wechsel der Chefärztin oder des Chefarztes eines Rekrutierungszentrums hat keinen Einfluss auf die Tauglichkeitsraten. |
| Unabhängigkeit und Einheitlichkeit von Neubeurteilungen und Beschwerden | Ein angemessener Anteil von Neubeurteilungen und Beschwerden führt zu einem neuen Tauglichkeitsentscheid. Der Anteil Neubeurteilungen bei einer Tauglichkeit mit Einschränkungen ist nicht unangemessen höher als bei einer Tauglichkeit bzw. Untauglichkeit. |
Impressum
Durchführung der Untersuchung
Dr. Luzia Helfer, PVK (Projektleitung)
Ueli Löffel, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit)
Rechtsgutachten und juristische Begleitung (externes Mandat)
Prof. Dr. Andreas Glaser, Zentrum für Demokratie Aarau
Clara Beer, Zentrum für Demokratie Aarau
Lukas Christen, Zentrum für Demokratie Aarau
Entscheidanalysen (externes Mandat)
Beatrice Ehmann, Infras
Judith Trageser, Infras
Thomas von Stokar, Infras
Dank
Die PVK dankt dem VBS und namentlich dem Personellen der Armee und der Sanität der Gruppe V für die Bereitstellung von Dokumenten und Daten, ihre Abklärungen und Auskünfte. Sie bedankt sich zudem bei den oben aufgeführten externen Fachleuten für die gute Zusammenarbeit. Ein Dank gilt schliesslich dem Personal in den Rekrutierungszentren für die Teilnahme an der Online-Umfrage und die Auskünfte.
Kontakt
Parlamentarische Verwaltungskontrolle
Parlamentsdienste
CH-3003 Bern
Tel. +41 58 322 97 99
E-Mail:
pvk.cpa@parl.admin.ch
www.parlament.ch/de/pvk
Originalsprache des Berichtes: Deutsch
Bundesrecht
Militärdienst mit Einschränkungen. Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates
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