BBl 2025 2003
CH - Bundesblatt

Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege

Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege

(BGAP)

vom …
Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
gestützt auf die Artikel 110 Absatz 1 Buchstaben a und b sowie 122 Absatz 1 der Bundesverfassung ¹ , nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 21. Mai 2025 ² ,
beschliesst:
¹ SR 101
² BBl 2025 2002

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Zweck
¹ Dieses Gesetz bezweckt, im Bereich der Pflege:
a.
den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen;
b.
die Arbeitsbedingungen zu verbessern;
c.
die Sozialpartnerschaft zu fördern.
² Es soll dazu beitragen, dass die in der Pflege tätigen Arbeitnehmenden in ihrem Beruf verbleiben.
Art. 2 Geltungsbereich
¹ Dieses Gesetz gilt für:
a.
Arbeitgeber, die in der Pflege tätige Arbeitnehmende beschäftigen, einschliesslich entsprechender Verleiher nach dem Arbeitsvermittlungsgesetz vom 6. Oktober 1989 ³ (AVG);
b.
in der Pflege tätige Arbeitnehmende, die von Arbeitgebern nach Buchstabe a beschäftigt werden.
² Als in der Pflege tätige Arbeitnehmende gelten:
a.
Personen, die Pflegeleistungen erbringen;
b.
Personen in Ausbildung zu einem Beruf, der sie dazu befähigt, Pflegeleistungen zu erbringen;
c.
Hilfspersonen, die Personen nach Buchstabe a bei der Erbringung von Pflegeleistungen unterstützen.
³ Der Bundesrat bezeichnet die Pflegeleistungen.
³ SR 823.11
Art. 3 Ausnahmen vom Geltungsbereich
¹ Dieses Gesetz gilt nicht für:
a.
Einrichtungen mit einem kantonalen Leistungsauftrag im sozialen Bereich, sofern die Pflege nur einen geringen Teil ihrer Tätigkeit ausmacht;
b.
private Haushalte, die als Arbeitgeber eine Person nach Artikel 2 Absatz 2 beschäftigen;
c.
Arbeitnehmende nach Artikel 2 Absatz 2, die eine höhere leitende Tätigkeit nach Artikel 3 Buchstabe d des Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964 ⁴ (ArG) ausüben.
² Die Kantone können Einrichtungen nach Absatz 1 Buchstabe a dem Geltungsbereich dieses Gesetzes unterstellen.
⁴ SR 822.11
Art. 4 Verhältnis zu anderen Erlassen
¹ Die Bestimmungen dieses Gesetzes über den Gesundheitsschutz und über die Arbeits- und Ruhezeit in den Artikeln 5-14 gehen folgenden Bestimmungen vor:
a.
Vorschriften des Bundes:
1.
in Ausführungsbestimmungen, die gestützt auf Artikel 27 ArG ⁵ erlassen werden,
2.
im zehnten Titel des Obligationenrechts ⁶ , und
3.
im AVG ⁷ ;
b.
Vorschriften des öffentlichen Dienstrechts von Kantonen und Gemeinden.
² Vorbehalten bleiben Bestimmungen, die zugunsten des Schutzes von Arbeitnehmenden von diesem Gesetz abweichen.
⁵ SR 822.11
⁶ SR 220
⁷ SR 823.11

2. Abschnitt: Arbeitsbedingungen

Art. 5 Wöchentliche Höchstarbeitszeit und Ausgleich von Überzeit
¹ Die wöchentliche Höchstarbeitszeit richtet sich nach Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a ArG ⁸ .
² Der Ausgleich für geleistete Überzeit bemisst sich nach Artikel 13 ArG.
³ Der Bundesrat kann einen höheren Mindestausgleich festlegen, sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
⁸ SR 822.11
Art. 6 Wöchentliche Normalarbeitszeit
¹ Die wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt zwischen 40 und 42 Stunden.
² Der Bundesrat kann den Höchstwert der wöchentlichen Normalarbeitszeit auf bis zu 40 Stunden senken, sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Art. 7 Ausgleich von Überstunden
¹ Überstundenarbeit muss durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer ausgeglichen werden.
² Kann die Überstundenarbeit aus betrieblichen Gründen nicht durch Freizeit ausgeglichen werden, so muss sie mit dem Normallohn und einem Zuschlag von mindestens 25 Prozent ausgeglichen werden.
³ Der Bundesrat legt die zulässige Anzahl Überstunden und die Zeitspanne fest, innerhalb deren diese geleistet werden dürfen.
⁴ Er kann einen höheren Mindestausgleich als nach den Absätzen 1 und 2 festlegen, sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Art. 8 Ausgleich von Nachtarbeit
¹ Der Ausgleich für Nachtarbeit bemisst sich nach Artikel 17 b ArG ⁹ .
² Der Bundesrat kann einen höheren Mindestausgleich festlegen, sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
⁹ SR 822.11
Art. 9 Ausgleich der Sonn- und Feiertagsarbeit
¹ Die Ersatzruhe für Sonn- und Feiertagsarbeit bemisst sich nach Artikel 20 ArG 1⁰ .
² Zusätzlich zur Ersatzruhe ist den Arbeitnehmenden für Sonn- und Feiertagsarbeit ein Lohnzuschlag von mindestens 50 Prozent zu gewähren.
³ Der Bundesrat kann einen höheren Mindestausgleich festlegen, sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
1⁰ SR 822.11
Art. 10 Umkleidezeit
Ist aus betrieblichen Gründen eine Umkleidung am Arbeitsort erforderlich, so gilt die Umkleidezeit als bezahlte Arbeitszeit.
Art. 11 Mindestdauer und Entlöhnung von Pausen
¹ Die Unterbrechung der Arbeit durch Pausen richtet sich nach Artikel 15 Absatz 1 ArG 1¹ .
² Die Pausen gelten als bezahlte Arbeitszeit, wenn die Arbeitnehmenden ihren Arbeitsplatz nicht verlassen dürfen.
1¹ SR 822.11
Art. 12 Anrechnung und Ausgleich von Bereitschafts- und Pikettdienst
Der Bundesrat legt fest, in welchem Umfang Bereitschafts- und Pikettdienst als bezahlte Arbeitszeit gelten und wie diese Dienste auszugleichen sind.
Art. 13 Ankündigung von Dienstplänen und Bereitschafts- und Pikettdiensten
¹ Die Arbeitgeber müssen die Dienstpläne einschliesslich der geplanten Bereitschafts- und Pikettdienste den Arbeitnehmenden mindestens vier Wochen im Voraus ankündigen.
² Müssen Arbeitnehmende Einsätze in Abweichung von den angekündigten Dienstplänen leisten und wird die Abweichung weniger als zwei Wochen vor dem zu leistenden Einsatz angekündigt, so haben die Arbeitnehmenden Anspruch auf einen zusätzlichen zeitlichen oder finanziellen Ausgleich im Umfang von 25-50 Prozent des geleisteten Einsatzes. Der Ausgleich muss, sofern es betrieblich möglich ist, in Form eines zeitlichen Ausgleichs erfolgen.
³ Der Bundesrat kann eine längere Mindestankündigungsfrist als nach Absatz 1 festlegen, sofern dies erforderlich ist, um den Schutz der Arbeitnehmenden zu erhöhen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern.
⁴ Er legt den Ausgleich nach Absatz 2 in Abhängigkeit von der Frist fest, innerhalb deren die Abweichungen angekündigt werden.
⁵ Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für:
a.
Personen, die sich gemäss ihrem Arbeitsvertrag freiwillig und generell für ausserplanmässige Einsätze zur Verfügung stellen und hierfür eine pauschale Abgeltung erhalten;
b.
Arbeitnehmende, die über Verleiher nach Artikel 12 Absatz 1 AVG ¹2 beschäftigt werden.
¹2 SR 823.11
Art. 14 Konkurrenz verschiedener Vorschriften zum finanziellen Ausgleich
Sind für die gleiche Arbeitszeit verschiedene Vorschriften dieses Gesetzes zum finanziellen Ausgleich anwendbar, so haben Arbeitnehmende das Recht auf den für sie günstigsten Ausgleich.
Art. 15 Anhörung der Sozialpartner
Der Bundesrat erlässt die Vorschriften, die nach den Artikeln 5-9, 12 und 13 in seinen Kompetenzbereich fallen, nach Anhörung der Sozialpartner.
Art. 16 Abweichungen durch Abrede
¹ Von den in den Artikeln 5-14 geregelten Arbeitsbedingungen darf grundsätzlich nur zugunsten der Arbeitnehmenden abgewichen werden.
² Gesamtarbeitsverträge können zuungunsten von Arbeitnehmenden von den in den Artikeln 5-14 geregelten Arbeitsbedingungen abweichen, wenn sie:
a.
zu sämtlichen in den Artikeln 5-14 genannten Arbeitsbedingungen eine Regelung enthalten; und
b.
von der Mehrheit der repräsentativen Arbeitnehmerorganisationen der Branche, der Region oder des Betriebs unterzeichnet sind.
³ Zwingende Bestimmungen anderer Erlasse des Bundes und der Kantone bleiben vorbehalten.
⁴ Gesamtarbeitsverträge nach Absatz 2 haben Vorrang vor weiteren anwendbaren Gesamtarbeitsverträgen. Erfüllt mehr als ein Gesamtarbeitsvertrag die Bedingungen nach Absatz 2, so haben in den Gesamtarbeitsverträgen vorgesehene Kollisionsregeln oder, falls diese nicht vorhanden sind, allgemeine Kollisionsregeln Vorrang.

3. Abschnitt: Pflicht zur Verhandlung von Gesamtarbeitsverträgen

Art. 17
¹ Die Arbeitgeber und ihre Verbände müssen mit den Arbeitnehmerverbänden der in der Pflege tätigen Personen Verhandlungen zum Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrags führen.
² Die Arbeitgeber, ihre Verbände und die Arbeitnehmerverbände müssen die Öffentlichkeit jährlich gemeinsam über den Stand der Verhandlungen informieren.

4. Abschnitt: Vollzug

Art. 18 Aufgaben der Kantone
Der Vollzug dieses Gesetzes obliegt den kantonalen Vollzugsbehörden nach Artikel 41 ArG ¹3 .
¹3 SR 822.11
Art. 19 Aufgaben des Bundes
¹ Der Bund übt die Oberaufsicht über den Vollzug dieses Gesetzes durch die Kantone aus. Er kann den kantonalen Vollzugsbehörden Weisungen erteilen.
² Die Aufgaben des Bundes obliegen dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO).
Art. 20 Klagerecht der Arbeitnehmerverbände
Organisationen, die seit mindestens zwei Jahren bestehen und nach ihren Statuten die sozialen und wirtschaftlichen Interessen von Arbeitnehmenden wahren, haben ein selbstständiges Klagerecht auf Feststellung einer Verletzung dieses Gesetzes.
Art. 21 Verwaltungssanktionen
¹ Die zuständige kantonale Vollzugsbehörde kann bei Verstössen gegen die Artikel 5-14 eine Verwaltungssanktion bis 30 000 Franken aussprechen.
² Sie kann den fehlbaren Arbeitgebern die Kontrollkosten ganz oder teilweise auferlegen.
³ Das Verfahren muss spätestens fünf Jahre nach Beendigung des Verstosses eingeleitet werden.
⁴ Die zuständige kantonale Vollzugsbehörde stellt dem SECO ihre Verfügung zur Kenntnis zu.
⁵ Das SECO führt eine öffentliche Liste der Arbeitgeber, gegen die in einer rechtskräftigen Verfügung eine Sanktion verhängt worden ist.
Art. 22 Anwendbare Bestimmungen des Arbeitsgesetzes
Für den Vollzug dieses Gesetzes gelten zudem die folgenden Bestimmungen:
a.
für die Schweigepflicht, die Datenbekanntgabe und die Informations- und Dokumentationssysteme: Artikel 44-44 b ArG ¹4 ;
b.
für die Pflichten der Arbeitgeber und die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmenden: Artikel 45-48 ArG;
c.
für Verwaltungsverfügungen und Verwaltungsmassnahmen: Artikel 50-52 und 54 ArG;
d.
für Beschwerden gegen Verfügungen der kantonalen Behörde: Artikel 56 ArG.
¹4 SR 822.11

5. Abschnitt: Kantonale Kommissionen im Bereich der Pflege

Art. 23 Konstituierung
¹ Die Kantone verfügen im Bereich der Pflege über je eine Kommission. Sie können gemeinsam eine Kommission bilden.
² Die Kommissionen müssen zu je einem Drittel aus Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeberverbände, der Arbeitnehmerverbände und des Kantons bestehen.
³ Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände können ihre Vertreterinnen und Vertreter den Kantonen zur Wahl vorschlagen.
Art. 24 Aufgaben
¹ Die Kommissionen beobachten:
a.
die Entwicklung der Anzahl und der Inhalte der Gesamtarbeitsverträge im Bereich Pflege;
b.
wie sich Veränderungen der Anzahl Arbeitskräfte und ihrer Arbeitsbedingungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung und die Entwicklung der Gesundheitskosten auswirken.
² Sie erstatten dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) jährlich Bericht.

6. Abschnitt: Evaluation

Art. 25
¹ Das BAG sorgt gemeinsam mit dem SECO für die regelmässige Überprüfung der Zweckmässigkeit und Wirksamkeit dieses Gesetzes. Die Überprüfung umfasst insbesondere:
a.
die Kontrolle des Erfolgs der Vorgaben nach den Artikeln 5-14, 16 und 17, insbesondere deren Auswirkungen auf den Abschluss und die Inhalte von Gesamtarbeitsverträgen, die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, die Verweildauer der Arbeitnehmenden im Beruf und die Kostenentwicklung im Bereich der Pflege;
b.
eine systematische Analyse des Bedarfs an Regelungen für die Arbeitsbedingungen in der Pflege;
c.
die Auswertung von im In- und Ausland gesammelten Erfahrungen mit Regelungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege.
² Das BAG kann sich dabei auf die Berichte der Kommissionen nach Artikel 24 Absatz 2 abstützen.
³ Das Eidgenössische Departement des Innern erstattet dem Bundesrat Bericht über die Ergebnisse der Evaluation und unterbreitet Vorschläge für das weitere Vorgehen.

7. Abschnitt: Strafbestimmung

Art. 26
¹ Wer als Arbeitgeber den Vorschriften über die Arbeits- und Ruhezeit (Art. 5-14) vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft.
² Artikel 6 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 ¹5 über das Verwaltungsstrafrecht ist anwendbar.
¹5 SR 313.0

8. Abschnitt: Schlussbestimmungen

Art. 27 Änderung eines anderen Erlasses
Das ArG ¹6 wird wie folgt geändert:
Art. 9 Abs. 1 Bst. a
¹ Die wöchentliche Höchstarbeitszeit beträgt:
a.
45 Stunden für Arbeitnehmer in industriellen Betrieben, für in der Pflege tätige Arbeitnehmer nach dem Bundesgesetz vom … ¹7 über die Arbeitsbedingungen in der Pflege sowie für Büropersonal, technische und andere Angestellte, mit Einschluss des Verkaufspersonals in Grossbetrieben des Detailhandels;
¹6 SR 822.11
¹7 SR ...
Art. 28 Referendum und Inkrafttreten
¹ Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.
² Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.
Bundesrecht
Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege (BGAP) (Entwurf)
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