Botschaft zur Genehmigung einer Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Jura (Kantonswechsel der bernischen Gemeinde Moutier) und zur Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Jura
Botschaft zur Genehmigung einer Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Jura (Kantonswechsel der bernischen Gemeinde Moutier) und zur Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Jura
vom 27. November 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss ¹ über die Genehmigung einer Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Jura betreffend den Wechsel der Gemeinde Moutier vom Kanton Bern zum Kanton Jura sowie den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss ² über die Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Jura (Aufhebung von Art. 139).
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
| 27. November 2024 | Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi |
Übersicht
Der Bundesversammlung wird beantragt, mit Bundesbeschluss die Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Jura betreffend den Wechsel der Gemeinde Moutier vom Kanton Bern zum Kanton Jura zu genehmigen. Die Gebietsveränderung erfüllt die bundesrechtlichen Anforderungen. Die Genehmigung kann somit erteilt werden.
Mit der Gründung des Kantons Jura am 1. Januar 1979 war die Jurafrage noch nicht geklärt.
Anfang der 1990er-Jahre übernahm der Bund eine Vermittlerrolle zwischen den Kantonen Bern und Jura.
Die Unterzeichnung der Vereinbarung über die Institutionalisierung des interjurassischen Dialogs und die Schaffung der Interjurassischen Versammlung durch den Bundesrat und die Regierungen der Kantone Bern und Jura am 25. März 1994 eröffneten Perspektiven für eine endgültige Lösung des Konflikts.
In einem ersten Schritt fand im Jahr 2013 im Kanton Jura und im Berner Jura eine Volksabstimmung statt über die Durchführung einer Studie zur Schaffung eines neuen Kantons, der die beiden Gebiete umfasst. Der Berner Jura lehnte dieses Vorhaben mit 72 Prozent der Stimmen deutlich ab.
In einem zweiten Schritt konnten die bernjurassischen Gemeinden, die dies wünschten, über ihre kantonale Zugehörigkeit abstimmen.
Drei Gemeinden machten im Jahr 2017 von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dabei sprachen sich die beiden Gemeinden Belprahon und Sorvilier für den Verbleib im Kanton Bern aus. Die Gemeinde Moutier hingegen wollte sich dem Kanton Jura anschliessen. Da die erste Abstimmung in Moutier vom bernischen Verwaltungsgericht auf Beschwerde hin annulliert wurde, fand am 28. März 2021 eine zweite Abstimmung mit ausserordentlicher Beteiligung des Bundes statt. Die Mehrheit der Stimmberechtigten von Moutier entschied sich erneut für einen Wechsel zum Kanton Jura; eine Beschwerde blieb diesmal aus. In der Folge handelten die Regierungen der Kantone Bern und Jura ein Konkordat über den Kantonswechsel der Gemeinde aus, das im November 2023 unterzeichnet wurde. Dieses Konkordat wurde dann von beiden Kantonsparlamenten und am 22. September 2024 von der Stimmbevölkerung beider Kantone gutgeheissen.
Die Bundesverfassung regelt in Artikel 53 Absatz 3 die Voraussetzungen für Gebietsveränderungen zwischen Kantonen. Erforderlich ist demnach die Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten und der betroffenen Kantone sowie die Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines dem fakultativen Referendum unterstellten Bundesbeschlusses. Sowohl die Stimmberechtigten der Gemeinde Moutier als auch die Kantone Bern und Jura haben dem Kantonswechsel von Moutier zugestimmt. Somit ist noch die Genehmigung durch die Bundesversammlung erforderlich.
Andererseits wurde ebenfalls in der Volksabstimmung vom 22. September 2024 im Kanton Jura die Aufhebung von Artikel 139 der jurassischen Verfassung befürwortet. Dieser Artikel wurde 2013 in die jurassische Verfassung aufgenommen und hätte eine Studie über ein neues Kantonsgebilde ermöglicht, das den heutigen Kanton Jura und den Berner Jura umfasst hätte. Da diese Studie von der Stimmbevölkerung des Berner Juras abgelehnt wurde, ist dieser Artikel folglich gegenstandslos. Seine Aufhebung ist zudem eine Bedingung des Kantons Bern für die Genehmigung des Konkordats über den Kantonswechsel von Moutier. Die Bundesversammlung muss diese Änderung der jurassischen Verfassung noch mit einem einfachen Bundesbeschluss gewährleisten.
Der Übertritt der Gemeinde Moutier und die Aufhebung von Artikel 139 der jurassischen Verfassung setzen somit einen politischen und rechtlichen Schlusspunkt unter die Beilegung des bedeutendsten interkantonalen Konflikts in unserem Bundesstaat: die Jurafrage.
Botschaft
¹ BBl 2024 3174
² BBl 2024 3175
1 Ausgangslage
1.1 Geschichtlicher Hintergrund
Die Jurafrage gilt als bedeutendster interkantonaler Konflikt in unserem Bundesstaat. Die Botschaft des Bundesrates vom 16. November 1977 über die Gründung des Kantons Jura zeichnet die Geschichte der Jurafrage von den Ursprüngen bis zur Kantonsgründung nach; der Kantonswechsel von Moutier bildet dabei den letzten Meilenstein. ³ Mit dem Erlangen der Souveränität des Kantons Jura am 1. Januar 1979 war diese Frage jedoch noch nicht geklärt. Separatistische Bewegungen setzten sich für den Anschluss des Berner Jura an den neuen Kanton ein, teilweise auch mit Unterstützung der kantonalen Behörden. So setzte das jurassische Parlament im November 1985 eine «Commission de la coopération et de la réunification» ein. Dies führte zu erneuten Spannungen zwischen den Kantonen Bern und Jura. Das Wiederaufflammen der Gewalt gipfelte im Januar 1993 in einem Bombenanschlag in Bern, bei dem eine Person ums Leben kam.
³ Botschaft vom 16. November 1977 zur Gründung des Kantons Jura, BBl 1977 III 819 ff.
1.2 Vermittlung des Bundes
Der Bundesrat übernahm in der Folge im Rahmen der Tripartiten Jurakonferenz eine Vermittlerrolle zwischen den Kantonen Bern und Jura. ⁴ Die jeweilige Vorsteherin bzw. der jeweilige Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements begleitete die Regierungen der beiden Kantone im Prozess zur endgültigen Lösung der Jurafrage. Im Jahr 1994 unterzeichneten der Bundesrat und die Regierungen der Kantone Bern und Jura eine Vereinbarung über den interjurassischen Dialog, welche die Bildung der Interjurassischen Versammlung (IJV) vorsah. Am 7. September 2005 erhielt die IJV vom Regierungsrat des Kantons Bern und von der Regierung der Republik und des Kantons Jura den Auftrag zur Durchführung einer Studie unter der Ägide des Bundesrates über die institutionelle Zukunft der interjurassischen Region. Das Mandat wurde im April 2006 präzisiert und war in drei Aufgabenbereiche unterteilt:
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Studie über ein neues politisches Kantonsgebilde, das den Kanton Jura und den Berner Jura umfasst;
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Auswirkungen der direkten Partnerschaft, die sich aus den gemeinsamen inter-jurassischen Institutionen ergibt, sowie über die Wirkungen des Sonderstatuts des Berner Jura (SStG);
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Prüfung anderer Lösungsansätze, deren Prüfung der IJV nützlich erscheinen. ⁵
Am 4. Mai 2009 veröffentlichte die IJV in ihrem Bericht die Ergebnisse dieser Studie. Ihre Empfehlung läuft insbesondere auf eine demokratische Lösung der Jurafrage durch Debatten und Volksabstimmungen hinaus. Am 20. Februar 2012 unterzeichneten die Regierungen der Kantone Jura und Bern eine Absichtserklärung zur Durchführung von zwei Volksabstimmungen im Kanton Jura und im Berner Jura. ⁶ Diese sah folgendes Vorgehen vor: In einem ersten Schritt sollte die betroffene Bevölkerung über eine Studie zur Schaffung eines neuen Kantons bestehend aus den Gebieten des Kantons Jura und des Berner Jura abstimmen. Dafür war jedoch das doppelte Mehr des Kantons Jura und des Berner Jura erforderlich. An der Abstimmung vom 24. November 2013 lehnte der Berner Jura das Vorhaben mit fast 72 Prozent der Stimmen deutlich ab. In einem zweiten Schritt sollten die bernjurassischen Gemeinden, die dies wünschen, eine Abstimmung über ihre kantonale Zugehörigkeit verlangen können. Drei Gemeinden machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Es wurden besondere Massnahmen (vgl. Ziff. 1.3) wie die Anwesenheit von Beobachterinnen und Beobachtern des Bundes vorgesehen. Am 18. Juni 2017 entschieden sich die Stimmberechtigten von Moutier für den Übertritt zum Kanton Jura (2067 Ja gegen 1930 Nein). Am 17. September 2017 sprachen sich die Gemeinden Sorvilier (mit 121 zu 62 Stimmen) und Belprahon (mit 121 zu 114 Stimmen) hingegen für die weitere Zugehörigkeit zum Kanton Bern aus. Gegen die Abstimmung vom 18. Juni 2017 in Moutier wurden jedoch mehrere Beschwerden eingereicht. Mit Urteil vom 23. August 2019 ⁷ hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Abstimmung hauptsächlich wegen der Beschwerdepunkte betreffend das Stimmregister und die Kommunikation der Gemeindebehörden auf.
⁴ Die wichtigsten Entwicklungen in diesem Zusammenhang seit 2005 sind auf der Website des Bundesamts für Justiz aufgeführt, www.bj.admin.ch > Staat & Bürger > Lösung der Jurafrage.
⁵ Vgl. Artikel «Interjurassische Versammlung» im Lexikon des Jura, https://diju.ch/d/notices/detail/6125-interjurassische-versammlung-ijv.
⁶ Der Wortlaut der Absichtserklärung vom 20. Februar 2012 ist verfügbar auf der Website der Staatskanzlei des Kantons Bern, www.sta.be.ch > Themen > «Avenir Berne romande» und Kantonswechsel von Moutier > Verlauf.
⁷ Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 23. August 2019, https://entscheidsuche.ch/docs/BE_Verwaltungsgericht/BE_VG_001_100-2018-388_2019-08-23.pdf.
1.3 Besondere Modalitäten für die Durchführung der Abstimmung vom 28. März 2021 über die Kantonszugehörigkeit von Moutier
Die Modalitäten einer zweiten Abstimmung wurden im Rahmen von Tripartiten Konferenzen unter Einbezug der Gemeindebehörden von Moutier diskutiert und vereinbart. Da das Abstimmungsergebnis im Jahr 2017 mit nur 137 Stimmen Unterschied knapp ausgefallen war, wurden die damals getroffenen Massnahmen übernommen: Anwesenheit von Beobachterinnen und Beobachtern des Bundes, briefliche Stimmabgabe an die Adresse des Bundesamts für Justiz (BJ), Vorsichtsmassnahmen bei der Post von Moutier, Sensibilisierung der Leitungen der Altersheime und Spitäler. Diese wurden mit weiteren Massnahmen ergänzt:
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Das Stimmregister der Gemeinde Moutier wurde von der Gemeinde Moutier und vom Kanton Bern vollständig überprüft.
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Die drei Botschaften, die der Gemeinderat sowie die Regierungen der Kantone Bern und Jura 2017 an die Stimmberechtigten von Moutier gerichtet hatten, wurden Gegenstand eines einzigen gemeinsamen, von den drei Regierungsbehörden verabschiedeten Nachtrags. Im Nachtrag wurden lediglich die Punkte angepasst, die sich seit 2017 geändert hatten.
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Das BJ sicherte das Abstimmungsmaterial und verschickte es direkt an die Bürgerinnen und Bürger von Moutier, überwachte die Auszählung der Stimmen durchgehend und kontrollierte die Stimmausweise systematisch.
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Es wurde eine Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern des BJ, der Berner Staatskanzlei und der Gemeindekanzlei von Moutier gebildet, um das Dispositiv abschliessend zu regeln. Da der Kanton Jura aus operativer Sicht nicht an der Abstimmung beteiligt war, nahm die Staatskanzlei des Kantons Jura daran in beobachtender Stellung teil. ⁸
Am 28. März 2021 entschieden sich die Stimmberechtigten der Gemeinde Moutier mit 54,9 Prozent der Stimmen (2114 Ja gegen 1740 Nein) für den Übertritt zum Kanton Jura. Der Stimmenunterschied (374 Stimmen) war dreimal so hoch wie bei der Abstimmung im Jahr 2017 (137 Stimmen). Da gegen das Resultat dieser Abstimmung, die so komplex war wie keine andere in der Geschichte der Schweiz, keine Beschwerde erhoben wurde, war der Entscheid diesmal endgültig.
⁸ Vgl. Medienmitteilung des EJPD vom 20. Mai 2020, www.bj.admin.ch > Aktuell > Medienmitteilungen > Die Tripartite definiert die Modalitäten der neuen Abstimmung über die Kantonszugehörigkeit von Moutier.
1.4 Vorbereitende Massnahmen für den Kantonswechsel von Moutier
Am 31. Dezember 2023 zählte die Gemeinde Moutier 7232 Einwohnerinnen und Einwohner. Das Gemeindegebiet erstreckt sich über 19,53 Quadratkilometer. Das Gesetz vom 26. Januar 2016 ⁹ betreffend die Durchführung von Abstimmungen über die Kantonszugehörigkeit bernjurassischer Gemeinden (KBJG) regelt die Modalitäten der Durchführung von Gemeindeabstimmungen über die Kantonszugehörigkeit bernjurassischer Gemeinden sowie die Folgen solcher Abstimmungen (vgl. Art. 1 KBJG). Gemäss dem KBJG ist die Änderung des Kantonsgebiets, die sich durch den Wechsel von bernjurassischen Gemeinden zum Kanton Jura ergibt, Gegenstand eines mit dem Kanton Jura abzuschliessenden Konkordats, das die Grundzüge des Wechsels der betroffenen Gemeinden zum Kanton Jura regelt und den Regierungsrat ermächtigt, mit dem Kanton Jura eine interkantonale Vereinbarung auszuhandeln und abzuschliessen, in der die Einzelheiten geregelt sind (vgl. Art. 10 Abs. 1-3 KBJG).
Am 24. November 2023 unterzeichneten die Regierungen der Kantone Bern und Jura ein Konkordat über den Wechsel der bernischen Einwohnergemeinde Moutier zum Kanton Jura (Moutier-Konkordat). 1⁰ Dieses Konkordat regelt nicht nur die Modalitäten des Kantonswechsels von Moutier, sondern setzt auch allen territorialen Streitigkeiten zwischen den beiden Kantonen und damit der Jurafrage ein endgültiges Ende. Die beiden Kantone verpflichten sich, ihre Gebietsgrenzen im Geiste des Bundesfriedens zu respektieren (Art. 35 des Konkordats). Das Konkordat wurde dann von beiden Kantonsparlamenten und am 22. September 2024 von der Stimmbevölkerung beider Kantone gutgeheissen.
Mit Gesuch vom 23. bzw. 24. September 2024 beantragen der Regierungsrat des Kantons Bern und die Regierung der Republik und des Kantons Jura dem Bund, die Gebietsveränderung zwischen ihren Kantonen betreffend den Wechsel der Einwohnergemeinde Moutier vom Kanton Bern zum Kanton Jura per 1. Januar 2026 zu genehmigen.
⁹ BSG 105.233
1⁰
www.sta.be.ch/content/dam/sta/dokumente/de/themen/moutier/Beilage-Abstimmungsvorlage-Konkordat-105-234-1-de.pdf
2 Kantonswechsel von Moutier
2.1 Bundesrechtliche Anforderungen
Nach Artikel 53 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV) 1¹ bedürfen Gebietsveränderungen zwischen den Kantonen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung und der betroffenen Kantone sowie der Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines Bundesbeschlusses. ¹2
1¹ SR 101
¹2 Pro memoria: Diese Bestimmung beinhaltet eine Neuerung gegenüber der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874. Diese sah vor, dass Gebietsveränderungen der obligatorischen Abstimmung von Volk und Ständen unterliegen, wie dies beispielsweise beim Kantonswechsel der Gemeinde Vellerat am 1. Juli 1996 der Fall war; vgl. Ziff. 2.2 der Botschaft vom 11. September 2020 zur Genehmigung einer Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Freiburg (Kantonswechsel der bernischen Gemeinde Clavaleyres, BBl 2020 7447 .
2.2 Gebietsveränderungen
Die Anwendbarkeit von Artikel 53 Absatz 3 BV setzt zunächst voraus, dass es sich beim Kantonswechsel von Moutier um eine Gebietsveränderung im Sinne dieser Bestimmung handelt. Gebietsveränderungen nach Artikel 53 Absatz 3 BV unterscheiden sich einerseits von Änderungen im Bestand der Kantone nach Artikel 53 Absatz 2 BV und andererseits von Grenzbereinigungen zwischen den Kantonen nach Artikel 53 Absatz 4 BV. Mit den Änderungen im Bestand der Kantone wird insbesondere die Schaffung oder Aufhebung von Kantonen erfasst. ¹3 Gebietsveränderungen schlagen sich demgegenüber nicht in der Anzahl der Kantone nieder, sondern betreffen vorab die Frage der politischen Zugehörigkeit des betreffenden Gebiets zu einem bestimmten Kanton. Unter Artikel 53 Absatz 3 BV fällt beispielsweise der Kantonswechsel von einzelnen Gemeinden. ¹4 Demgegenüber handelt es sich bei der Grenzbereinigung zwischen Kantonen in erster Linie um einen technischen Vorgang, dem keine politische Relevanz zukommt. Grenzbereinigungen zielen darauf ab, eine bestehende, nicht strittige Grenze, die ungünstig verläuft, beispielsweise durch ein Haus, zu korrigieren. ¹5 Der Kantonswechsel einer ganzen Gemeinde könnte nicht als blosse Grenzbereinigung ohne politische Bedeutung angesehen werden. ¹6
Beim Kantonswechsel von Moutier handelt es sich um eine Gebietsveränderung im Sinne von Artikel 53 Absatz 3 BV, da entsprechende Gebietsveränderungen insbesondere den Kantonswechsel von Gemeinden umfassen. Artikel 53 Absatz 3 BV ist somit anwendbar auf den Kantonswechsel von Moutier.
¹3 BBl 1997 I 1 , 221
¹4 Vgl. Eva Maria Belser / Nina Massüger, in: Bernhard Waldmann / Eva Maria Belser / Astrid Epiney (Hrsg.), Basler Komm. BV, Basel 2015, Art. 53 Rz. 37.
¹5 Vgl. dies., Art. 53 Rz. 42.
¹6 Botschaft vom 16.8.1995 über den Übertritt der bernischen Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura, BBl 1995 III 1432 , 1437 .
2.3 Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten
Artikel 53 Absatz 3 BV nennt als erste Voraussetzung, dass die betroffene Bevölkerung der Gebietsveränderung zustimmt. ¹7 Wer stimmberechtigt ist, richtet sich - im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben - nach kantonalem Recht. ¹8 Den Stimmberechtigten der Einwohnergemeinde Moutier wurde am 28. März 2021 folgende Frage zu Abstimmung unterbreitet: «Wollen Sie, dass die Gemeinde Moutier sich dem Kanton Jura anschliesst?» Mit 2114 Ja gegen 1740 Nein und damit 54,9 Prozent der Stimmen haben sich die Stimmberechtigten für den Wechsel der Gemeinde Moutier zum Kanton Jura entschieden (vgl. Ziff. 1.3).
Mit der Zustimmung der Stimmberechtigten von Moutier zum Kantonswechsel ist die erste Voraussetzung für eine Gebietsveränderung nach Artikel 53 Absatz 3 BV erfüllt.
¹7 Zum Unterschied zwischen der deutschen Fassung und der französischen und italienischen Fassung dieser Bestimmung siehe Ziff. 2.3 der Botschaft zum Kantonswechsel der Gemeinde Clavaleyres, BBl 2020 7447 , 7451 f.
¹8 Vgl. Eva Maria Belser / Nina Massüger, a. a. O., Art. 53 Rz. 38.
2.4 Zustimmung der betroffenen Kantone
Artikel 53 Absatz 3 BV nennt als weitere Voraussetzung, dass die betroffenen Kantone der Gebietsveränderung zustimmen. Betroffen sind der abtretende und der aufnehmende Kanton. Welche kantonalen Organe für die Zustimmung zuständig sind, bestimmt sich nach kantonalem Recht. ¹9 Beide Kantone sehen vor, dass der Kantonswechsel von Moutier der Volksabstimmung unterliegt.
Die Stimmberechtigten des Kantons Bern haben an der Abstimmung vom 22. September 2024 dem Konkordat über den Wechsel der Gemeinde Moutier zum Kanton Jura mit 264 717 Ja gegen 40 600 Nein zugestimmt. 2⁰ Am selben Tag haben die Stimmberechtigten des Kantons Jura dem Wechsel der bernischen Gemeinde Moutier zum Kanton Jura mit 19 470 Ja gegen 7253 Nein zugestimmt. 2¹
Mit der Zustimmung der Kantone Bern und Jura zum Kantonswechsel von Moutier ist die zweite Voraussetzung für eine Gebietsveränderung nach Artikel 53 Absatz 3 BV erfüllt.
¹9 Vgl. Jean-François Aubert, in: Jean-François Aubert / Pascal Mahon (Hrsg.), Petit comm. Cst., Zürich / Basel / Genf 2003, Art. 53 Rz. 13 f.
2⁰ Die Stimmberechtigten das Kantons Bern wurden am 22. September 2024 zu zwei Vorlagen befragt: Änderung von Art. 84 der Kantonsverfassung (Aufhebung der Amtsbezirke im Kanton Bern) und Genehmigung des Konkordats über den Wechsel der Gemeinde Moutier zum Kanton Jura. Vgl. Botschaft des Regierungsrats des Kantons Bern:
www.bewas.sites.be.ch/2024/2024-09-22/ABSTIMMUNG/Botschaft-KANTON-1_de.pdf
.
2¹ Vgl. Botschaft der jurassischen Regierung zur Genehmigung des Konkordats über den Kantonswechsel von Moutier:
www.jura.ch/Projets-de-lois/Textes-adoptes/Concordat-sur-le-transfert-de-Moutier.html
.
2.5 Genehmigung durch die Bundesversammlung
Nach Artikel 53 Absatz 3 BV bedarf die Gebietsveränderung, nach der Zustimmung der betroffenen Stimmbevölkerung und der betroffenen Kantone, schliesslich der Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines Bundesbeschlusses. Die vorliegende vom Bundesrat beantragte Genehmigung der Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Jura dient dazu, diese Anforderung zu erfüllen.
3 Rechtliche Aspekte
3.1 Bundesrechtskonformität
Die Prüfung hat ergeben, dass die Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Jura betreffend den Wechsel der Gemeinde Moutier vom Kanton Bern zum Kanton Jura die Anforderungen nach Artikel 53 Absatz 3 BV bezüglich der Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten und der betroffenen Kantone erfüllt. Somit kann ihr die Genehmigung durch die Bundesversammlung erteilt werden.
3.2 Zuständigkeit der Bundesversammlung
Nach Artikel 53 Absatz 3 BV ist die Bundesversammlung für die Genehmigung zuständig.
3.3 Erlassform
Die Genehmigung erfolgt nach Artikel 53 Absatz 3 BV in der Form eines Bundesbeschlusses. Der Bundesbeschluss untersteht dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. c i. V. m. Art. 163 Abs. 2 BV).
3.4 Inkrafttreten
In ihrem Gesuch vom 23. bzw. 24. September 2024 (vgl. Ziff. 1.4) beantragen die Kantone Bern und Jura das Inkrafttreten des Genehmigungsbeschlusses auf den 1. Januar 2026. Artikel 2 des Bundesbeschlusses sieht deshalb vor, dass der Beschluss an diesem Datum in Kraft tritt, wenn zehn Tage nach Ablauf der Referendumsfrist feststeht, dass gegen den Beschluss kein Referendum zustande gekommen ist. Andernfalls bestimmt der Bundesrat das Inkrafttreten.
4 Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Jura
4.1 Volksabstimmung vom 22. September 2024
In der Volksabstimmung vom 22. September 2024 haben die Stimmberechtigten des Kantons Jura mit 19 470 zu 7 253 Stimmen der Aufhebung von Artikel 139 der Verfassung der Republik und des Kantons Jura vom 20. März 1977 2² (KV JU) betreffend ein Verfahren zur Schaffung eines neuen Kantons zugestimmt. Mit Schreiben vom 24. September 2024 hat die jurassische Regierung um die Gewährleistung der Aufhebung des Artikels 139 KV JU ersucht.
2² SR 131.235
4.2 Verfahren zur Schaffung eines neuen Kantons
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|---|---|
| Art. 139 Verfahren zur Schaffung eines neuen Kantons Die Regierung ist ermächtigt, unter Beachtung des Bundesrechts und des Rechts der betroffenen Kantone ein Verfahren zur Schaffung eines neuen Kantons einzuleiten, der das Gebiet des Berner Jura und dasjenige des Kantons Jura umfasst. | Art. 139 Aufgehoben |
Artikel 139 KV JU wurde aufgrund der Abstimmung vom 24. November 2013 in die jurassische Verfassung aufgenommen, nachdem die jurassische und die bernische Regierung die Absichtserklärung von 20. Februar 2012 über die Durchführung von Volksabstimmungen in der Republik und dem Kanton Jura sowie im Berner Jura über die institutionelle Zukunft der Region unterzeichnet hatten. Artikel 139 KV JU sollte es der jurassischen Regierung ermöglichen, Schritte zur Schaffung eines neuen Schweizer Kantons einzuleiten, der den Kanton Jura und den Berner Jura umfasst hätte. Dieser Artikel war jedoch nie von Bedeutung, da das Stimmvolk des Berner Juras am selben Tag seiner Annahme durch die jurassischen Stimmberechtigten mit 72 Prozent der Stimmen die Einleitung eines Verfahrens zur Schaffung eines neuen Kantons ablehnte. In der Abstimmung vom 22. September 2024 stimmten die jurassischen Stimmberechtigten der Aufhebung dieses Artikels zu, gleichzeitig mit der Annahme des Konkordats über den Kantonswechsel von Moutier.
4.3 Rechtliche Aspekte
Nach Artikel 51 Absatz 1 BV gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes. Steht eine kantonale Verfassungsbestimmung im Einklang mit dem Bundesrecht, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie diese Voraussetzung nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.
Die Aufhebung von Artikel 139 steht im Einklang mit dem Bundesrecht und kann gewährleistet werden. Nach den Artikeln 51 Absatz 2 und 172 Absatz 2 BV ist die Bundesversammlung die zuständige Behörde für die Gewährleistung. Die Gewährleistung erfolgt mit einfachem Bundesbeschluss, da weder die BV noch ein Gesetz das Referendum vorsehen (vgl. Art. 141 Abs. 1 Bst. c i.V.m. Art. 163 Abs. 2 BV).
Bundesrecht
Botschaft zur Genehmigung einer Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Jura (Kantonswechsel der bernischen Gemeinde Moutier) und zur Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Jura
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