BBl 2025 1432
CH - Bundesblatt

Verfassung des Kantons Appenzell Innerrhoden (KV)

Verfassung des Kantons Appenzell Innerrhoden (KV)
vom 28. April 2024
Die Landsgemeinde des Kantons Appenzell Innerrhoden,
gestützt auf Artikel 51 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 ¹ ,
beschliesst:
¹ SR 101

A. Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Kanton
¹ Der Kanton Appenzell Innerrhoden ist ein freiheitlicher, demokratischer und sozialer Rechtsstaat.
² Er ist ein Stand der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
³ Er arbeitet mit dem Bund und mit anderen Kantonen zusammen.
Art. 2 Staatsgewalt
¹ Die Staatsgewalt beruht auf dem Volk.
² Sie wird durch die Stimmberechtigten und die Behörden im Rahmen einer rechtsstaatlichen und gewaltenteiligen Ordnung wahrgenommen.
Art. 3 Staatliches Handeln
¹ Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
² Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
³ Staat und Private handeln nach Treu und Glauben.
Art. 4 Leitlinien staatlichen Handelns
¹ Der Staat achtet die Würde, die Persönlichkeit und die Eigenverantwortung der Menschen.
² Er strebt den verantwortungsvollen Umgang mit den Lebensgrundlagen und das wirtschaftliche Wohl aller an.
³ Er setzt sich für ein friedliches Zusammenleben ein.
⁴ Er achtet die Tradition und ist offen für Neues.

B. Rechte und Pflichten

B.1 Allgemeine Rechte und Pflichten

Art. 5 Grundrechte
Die Grundrechte gemäss Bundesverfassung und dem für die Schweiz verbindlichen Völkerrecht sind gewährleistet.
Art. 6 Bürgerrecht
¹ Im Kanton bestehen zwei Gemeindebürgerrechte, für den Bezirk Oberegg das Bürgerrecht von Oberegg und für die weiteren Bezirke das Bürgerrecht von Appenzell.
² Das Gemeindebürgerrecht ist Grundlage des Landrechts.
Art. 7 Mitverantwortung
Jede Person trägt nach ihren Kräften und Fähigkeiten Verantwortung für sich selbst und Mitverantwortung für Gesellschaft und Staat.
Art. 8 Amtszwang
¹ Für Behörden des Kantons, eines Bezirks oder einer Gemeinde, deren Wahl durch die Stimmberechtigten vorgenommen wird, besteht ein Amtszwang.
² Vom Amtszwang befreit ist, wer das 65. Altersjahr vollendet hat, dem Amtszwang unterliegende Ämter insgesamt schon mindestens vier Jahre ausgeübt hat oder ein Amt aus wichtigen Gründen nicht ausüben kann.

B.2 Politische Rechte

Art. 9 Stimmrecht
¹ Stimmberechtigt für Abstimmungen im Kanton, in einem Bezirk oder einer Gemeinde sind alle in der jeweiligen Körperschaft wohnhaften Schweizerinnen und Schweizer, welche das 18. Altersjahr vollendet haben und im Stimmregister eingetragen sind.
² Die Kirchgemeinden können das Stimmrecht für ausländische Gemeindemitglieder mit Niederlassungsbewilligung einführen.
Art. 10 Wahlrecht
¹ Wahlberechtigt ist, wer stimmberechtigt ist.
² Die Wahlberechtigung umfasst das Recht, jemanden zu wählen, und das Recht, gewählt zu werden.
³ Die Gesetzgebung kann festlegen, dass für bestimmte Ämter abweichende Wahlvoraussetzungen verlangt werden.
⁴ Der Wegfall von Wahlvoraussetzungen führt grundsätzlich zum Wegfall eines Amts.
Art. 11 Initiativrecht in kantonalen Angelegenheiten
¹ Jede stimmberechtigte Person kann mit einer Initiative die Änderung der Verfassung oder den Erlass, die Änderung oder Aufhebung eines kantonalen Gesetzes beantragen.
² Die Initiative kann als allgemeine Anregung oder als ausgearbeiteter Entwurf eingereicht werden. Die Totalrevision der Verfassung kann nur als allgemeine Anregung verlangt werden.
³ Die Initiative darf übergeordnetem Recht nicht widersprechen, muss sich auf ein zusammenhängendes Sachgebiet beschränken und durchführbar sein.
Art. 12 Verfahren
¹ Initiativen werden der Landsgemeinde mit einem Antrag auf Annahme oder Ablehnung unterbreitet.
² Ist der Grosse Rat mit einer Initiative in Form einer allgemeinen Anregung einverstanden, erarbeitet er einen Entwurf und unterbreitet der Landsgemeinde diesen anstelle der Initiative.
³ Der Grosse Rat kann Initiativen, die er ablehnt, einen Gegenvorschlag gegenüberstellen.

C. Staatliche Organisation

C.1 Gliederung

Art. 13 Kantonale Gliederung
¹ Der Kanton gliedert sich auf der kommunalen Ebene in Bezirke und Gemeinden.
² Es bestehen die Bezirke Appenzell, Schwende-Rüte, Schlatt-Haslen, Gonten und Oberegg.
³ Die Gemeindeorganisation umfasst die Schulgemeinden, die Kirchgemeinden und die Feuerschaugemeinde Appenzell.
⁴ Für bestimmte Aufgaben bestehen weitere Körperschaften und juristische Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere Korporationen.
Art. 14 Hauptort
Appenzell ist Hauptort des Kantons und als solcher Sitz der Kantonsbehörden.
Art. 15 Fusionen
¹ Bezirke können sich mit Bezirken zusammenschliessen, Schulgemeinden mit Schulgemeinden und Kirchgemeinden mit Kirchgemeinden.
² Bezirke können Schulgemeinden aufnehmen.

C.2 Behörden

Art. 16 Amtsperioden
¹ Für Behörden, Kommissionen und Vertretungen des Kantons, der Bezirke und der Gemeinden, die durch die Stimmberechtigten gewählt werden, gilt eine Amtsperiode von einem Jahr, sofern sich aus der Gesetzgebung nichts anderes ergibt.
² Die Bezirke und Gemeinden können für ihre Behörden, Kommissionen und Vertretungen eine Amtsperiode von bis zu vier Jahren vorsehen.
Art. 17 Persönliche Unvereinbarkeit
¹ Mit Ausnahme des Grossen Rates dürfen der gleichen Behörde nicht gleichzeitig angehören:
a.
Personen, die miteinander verheiratet sind, in eingetragener Partnerschaft leben oder eine dauernde Lebensgemeinschaft führen;
b.
Verwandte in gerader Linie und bis zum zweiten Grade in der Seitenlinie;
c.
Verschwägerte in gerader Linie. Die Auflösung der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft, welche die Schwägerschaft begründet hat, führt zum Wegfall der Unvereinbarkeit wegen Schwägerschaft.
² Eine persönliche Unvereinbarkeit besteht auch, wenn die Präsidentin oder der Präsident des Kantonsgerichts zu einem Mitglied der Standeskommission in einem Verhältnis nach Absatz 1 stehen würde.
³ Das Gesetz kann weitere Unvereinbarkeiten vorsehen.
Art. 18 Unvereinbarkeit von Ämtern
¹ Die Mitglieder der Standeskommission dürfen weder einer richterlichen Behörde im Kanton noch dem Grossen Rat oder der Vollzugsbehörde eines Bezirks oder einer Gemeinde angehören.
² Die Mitglieder der Gerichte dürfen weder mehr als einer richterlichen Behörde im Kanton noch dem Grossen Rat oder der Vollzugsbehörde eines Bezirks oder einer Gemeinde angehören.
³ Die Mitglieder der Bezirksräte dürfen keiner richterlichen Behörde im Kanton angehören.
⁴ Das Gesetz kann weitere Unvereinbarkeiten vorsehen.
Art. 19 Immunität
¹ Mitglieder des Grossen Rates, der Standeskommission und der Gerichte können wegen Äusserungen im Grossen Rat nur strafrechtlich verfolgt werden, wenn zwei Drittel seiner Mitglieder dazu die Ermächtigung erteilen.
² Das Gesetz kann weitere Fälle der Immunität vorsehen.
Art. 20 Information
¹ Die Behörden informieren die Öffentlichkeit über wichtige Geschäfte und Entscheide in angemessener Form.
² Jede Person hat ein Recht auf Einsicht in amtliche Akten, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen.

D. Staatliche Aufgaben

Art. 21 Grundsatz
¹ Der Staat nimmt die Aufgaben wahr, die in Ergänzung oder Unterstützung privater Bestrebungen zur Förderung des Gemeinwohls und des Wohlergehens aller erforderlich sind.
² Staatliche Aufgaben sind insbesondere:
a.
Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung und der öffentlichen Ordnung;
b.
Bereitstellung eines guten Bildungsangebots und Sicherung guter Bildungsmöglichkeiten;
c.
Sicherung einer bedarfsgerechten Gesundheits- und Altersversorgung;
d.
Förderung der sozialen Sicherheit und des Zusammenlebens;
e.
Schutz der Lebensgrundlagen und der Umwelt;
f.
Förderung der Kultur;
g.
Förderung der Familie;
h.
Förderung günstiger Rahmenbedingungen für die Wirtschaft;
i.
Förderung der Landwirtschaft;
j.
bedarfsgerechte Erschliessung mit Strassen und öffentlichem Verkehr;
k.
Förderung der digitalen Erschliessung;
l.
Sicherung der Wasser- und Energieversorgung;
m.
Gewährleistung eines haushälterischen Umgangs mit dem Boden und einer geordneten Besiedlung.
³ Die Aufgaben werden in ihren örtlichen und sachlichen Bereichen durch den Kanton, die Bezirke und die Gemeinden wahrgenommen.
⁴ Der Kanton nimmt die innerkantonale Verteilung von Aufgaben vor, soweit diese nicht bereits durch die Verfassung oder den Grundauftrag der Körperschaft vorgegeben ist.
Art. 22 Kantonsaufgaben
¹ Der Kanton nimmt die ihm durch Verfassung, Gesetz oder Verordnung zugewiesenen Aufgaben wahr.
² Er kann zur Erfüllung seiner Aufgaben Einrichtungen wie Anstalten, Stiftungen oder Betriebe schaffen oder sich an solchen beteiligen.
³ Er kümmert sich um Aufgaben, die einer einheitlichen Regelung oder Umsetzung im Kanton bedürfen.
Art. 23 Vollzug
¹ Der Kanton kann den Vollzug bestimmter Aufgaben mittels Gesetzgebung oder Leistungsaufträgen an die Bezirke oder Gemeinden übertragen.
² Er kann für die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben Vereinbarungen mit ausserkantonalen Gemeinwesen oder Dritten abschliessen. Er bleibt für die Aufsicht verantwortlich.
Art. 24 Rechtsetzung
¹ Die kantonalen Rechtsetzungsorgane sind die Landsgemeinde, der Grosse Rat, die Standeskommission und die in der Gesetzgebung dafür bestimmten Organe.
² In den Bezirken und Gemeinden sind die Stimmberechtigten und die obersten Vollzugsbehörden die Rechtsetzungsorgane.
³ Grundlegende organisatorische Festlegungen, erhebliche Eingriffe in die Rechtsstellung der Einzelnen oder die Auferlegung erheblicher Pflichten an diese bedürfen einer Grundlage in einem von den Stimmberechtigten verabschiedeten Erlass.
⁴ Der Gegenstand von Abgaben, die Grundsätze ihrer Bemessung und der Kreis der Abgabepflichtigen sind im Gesetz festzulegen.
Art. 25 Ausserordentliche Zuständigkeiten
¹ Die Standeskommission kann zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, zur Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit sowie zur Abwehr von Notständen und nicht wiedergutzumachenden Schäden ohne weitere gesetzliche Grundlage das Notwendige regeln oder Massnahmen ergreifen.
² Notregelungen sind ohne Verzug dem Grossen Rat zur Genehmigung vorzulegen.
³ Die Bezirks-, Schul- und Kirchenräte sowie die Feuerschaukommission können für ihre Körperschaften in ihrem Aufgabenbereich Notmassnahmen ergreifen. Das Gesetz regelt das Verhältnis zum Notmassnahmenrecht des Kantons.
⁴ Soweit zeitliche und sachliche Dringlichkeit bestehen, kann die Standeskommission die erforderlichen Regelungen zur Umsetzung von übergeordnetem Recht erlassen. Das Verfahren für den möglichst raschen Erlass von ordentlichem Recht ist unverzüglich durchzuführen.
Art. 26 Vernehmlassungsverfahren
¹ Wesentliche Gesetzgebungsvorhaben werden einer Vernehmlassung unterzogen. Das Gesetz regelt das Verfahren und kann Ausnahmen vorsehen.
² Jede Person kann im Rahmen von öffentlichen Vernehmlassungen zu den Vorhaben Stellung nehmen.

E. Kantonale Organe

E.1 Landsgemeinde

Art. 27 Organisatorisches
¹ Die Landsgemeinde ist das oberste politische Organ des Kantons. Sie steht unter der Leitung von Frau oder Herrn regierendem Landammann.
² Die ordentliche Landsgemeinde findet am letzten Sonntag im April statt. Ausnahmen werden im Gesetz geregelt.
³ Für die Organisation und Durchführung ist die Standeskommission zuständig. Die Einberufung ausserordentlicher Landsgemeinden obliegt dem Grossen Rat.
Art. 28 Sachgeschäfte
¹ An der Landsgemeinde können sich Stimmberechtigte zu Sachgeschäften frei äussern.
² Sachgeschäfte können angenommen, abgelehnt oder zurückgewiesen werden. Änderungsbeschlüsse sind ausgeschlossen.
Art. 29 Gesetzgebung
Die Landsgemeinde erlässt die Verfassung und die Gesetze und befindet über deren Änderung oder Aufhebung.
Art. 30 Ausgaben
Die Landsgemeinde beschliesst über einmalige freie Ausgaben von über 2 Millionen Franken und über während mindestens vier Jahren wiederkehrende freie Ausgaben von je über 500 000 Franken.
Art. 31 Wahl Standeskommission
¹ Die Landsgemeinde wählt die Standeskommission.
² Dieser gehören die Personen an, die folgende Ämter ausüben:
a.
regierender Landammann;
b.
stillstehender Landammann;
c.
Statthalter;
d.
Säckelmeister;
e.
Landeshauptmann;
f.
Bauherr;
g.
Landesfähnrich.
³ Nach zwei Jahren im Amt als regierender Landammann ist eine erneute Wahl in dieses Amt für das Folgejahr ausgeschlossen.
Art. 32 Wahl Kantonsgericht
¹ Die Landsgemeinde wählt das Kantonsgericht.
² Dieses besteht aus einer Präsidentin oder einem Präsidenten und zwölf weiteren Mitgliedern, wobei jeder Bezirk mit einem Mitglied vertreten sein muss.
Art. 33 Wahl Ständerat
¹ Die Landsgemeinde wählt das Innerrhoder Mitglied des Ständerats für jeweils vier Jahre.
² Die Wahl findet im Jahr der Gesamterneuerung des Nationalrats statt.

E.2 Grosser Rat

Art. 34 Sitze
¹ Der Grosse Rat hat 50 Sitze.
² Die Sitze werden den Bezirken entsprechend der Einwohnerzahl zugewiesen. Jeder Bezirk hat einen Anspruch auf mindestens vier Sitze.
Art. 35 Wahlen für den Grossen Rat
¹ Die Mitglieder des Grossen Rates werden im Mehrheitswahlverfahren in den Bezirken gewählt.
² Die Wahlen finden jeweils im Jahr der Gesamterneuerung des Nationalrats statt.
³ Durch Gesetz können in den Bezirken Unterwahlkreise gebildet werden.
Art. 36 Landsgemeindegeschäfte
¹ Der Grosse Rat berät die Geschäfte der Landsgemeinde und ist für deren Überweisung an die Landsgemeinde zuständig.
² Landsgemeindegeschäfte sind dem Grossen Rat spätestens auf die drittletzte ordentliche Session vor der Landsgemeinde zu unterbreiten. Für dringliche oder einfache Vorlagen kann der Rat mit einer Zweidrittelsmehrheit eine spätere Eingabe zulassen.
³ Über Verfassungsrevisionen sind in der Regel zwei Lesungen durchzuführen.
⁴ Der Grosse Rat legt die Geschäftsordnung der Landsgemeinde fest.
Art. 37 Vereinbarungen
¹ Der Grosse Rat ist zuständig für den Abschluss, die Änderung oder Kündigung von interkantonalen und internationalen Vereinbarungen mit rechtsetzendem Charakter.
² Er kann den Vollzug regeln, soweit hierfür nicht eine gesetzliche Regelung erforderlich ist.
³ Gegen Beschlüsse des Grossen Rates über den Abschluss oder die Änderung von interkantonalen und internationalen Vereinbarungen können 200 Stimmberechtigte innert 30 Tagen das Referendum ergreifen und einen Beschluss der Landsgemeinde erwirken.
Art. 38 Regelungsbefugnisse
Der Grosse Rat erlässt Verordnungen zum Vollzug kantonaler Gesetze und von Bundesrecht, soweit nicht ein von den Stimmberechtigten verabschiedeter Erlass notwendig ist oder das Gesetz eine andere Zuständigkeit vorsieht.
Art. 39 Finanzen
¹ Der Grosse Rat beschliesst über das Budget des Kantons und die Staatsrechnung.
² Er beschliesst über einmalige freie Ausgaben von 500 000 Franken bis 2 Millionen Franken und über während mindestens vier Jahren wiederkehrende freie Ausgaben von je 125 000 Franken bis 500 000 Franken.
³ Gegen Beschlüsse über einmalige freie Ausgaben zwischen 1 Million Franken und 2 Millionen Franken und über wiederkehrende freie Ausgaben zwischen 250 000 Franken und 500 000 Franken können 200 Stimmberechtigte innert 30 Tagen das Referendum ergreifen und einen Beschluss der Landsgemeinde erwirken.
⁴ Dringliche Ausgaben und Ausgaben über die Besoldung des Staatspersonals unterliegen nicht dem Referendum.
Art. 40 Wahlen
¹ Der Grosse Rat wählt seine Präsidentin oder seinen Präsidenten sowie die Kommissionen des Grossen Rates.
² Er wählt die Präsidentin oder den Präsidenten des Bezirksgerichts.
³ Er nimmt weitere gesetzlich vorgesehene Wahlen vor.
Art. 41 Entscheidbefugnisse
¹ Der Grosse Rat entscheidet über:
a.
Einreichung von Standesinitiativen und -referenden;
b.
Gültigkeit von kantonalen Initiativen;
c.
Genehmigung der Statuten von Korporationen;
d.
Erteilung des Landrechts sowie des Gemeindebürgerrechts von Appenzell;
e.
Begnadigungen.
² Er legt die Grenzen der Bezirke und der Gemeinden fest.
³ Die Gesetzgebung kann ihm weitere Befugnisse zuweisen.
Art. 42 Aufsicht
¹ Der Grosse Rat führt die Oberaufsicht über die Standeskommission, die Justiz und die weiteren Träger öffentlich-rechtlicher Aufgaben.
² Im Rahmen der Aufsichtstätigkeit berät er die Geschäftsberichte der Standeskommission und der Gerichte sowie die Berichte in weiteren gesetzlich vorgesehenen Fällen.
³ Das Gesetz kann die Aufsichtstätigkeit für bestimmte Bereiche weiter fassen.

E.3 Standeskommission

Art. 43 Aufgaben
¹ Die Standeskommission ist die oberste leitende und vollziehende Behörde im Kanton.
² Sie nimmt namentlich folgende Aufgaben wahr:
a.
Vollzug von Gesetzen und Beschlüssen der Landsgemeinde und von Verordnungen und Beschlüssen des Grossen Rates;
b.
Erlass von Recht in den vorgesehenen Fällen;
c.
Führung der Verwaltung;
d.
Vertretung des Kantons nach innen und aussen;
e.
Festlegung der wesentlichen Ziele und Mittel der staatlichen Tätigkeit;
f.
Erledigung aller Geschäfte, die einer Regierung als solcher zufallen und nicht gesetzlich einer anderen Behörde zugewiesen sind.
Art. 44 Ausgaben
Die Standeskommission beschliesst über einmalige freie Ausgaben bis zu einem Betrag von 500 000 Franken und über während mindestens vier Jahren wiederkehrende freie Ausgaben von höchstens je 125 000 Franken.
Art. 45 Vereinbarungen
¹ Die Standeskommission ist unter Vorbehalt einer anderen gesetzlichen Regelung zuständig für den Abschluss, die Änderung oder Kündigung von interkantonalen und internationalen Vereinbarungen in ihrem Regelungsbereich oder solche ohne rechtsetzenden Charakter.
² Sie kann den Vollzug solcher Vereinbarungen regeln.
Art. 46 Aufsicht
¹ Soweit keine anderweitige Aufsichtsregelung besteht, führt die Standeskommission die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die Korporationen und juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie die weiteren Träger öffentlich-rechtlicher Aufgaben.
² Sie beaufsichtigt das Kirchenwesen.
Art. 47 Organisatorisches
¹ Die Standeskommission fasst ihre Beschlüsse als Kollegialbehörde.
² Die Standeskommission verteilt die Aufgaben im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben unter sich.
Art. 48 Regierender Landammann
Zum Amt des regierenden Landammanns gehören die Führung der Standeskommission und deren Vertretung gegen aussen sowie die Überwachung über die Ausführung der Beschlüsse, die von der Standeskommission gefasst werden.

E.4 Verwaltung

Art. 49 Departemente
¹ Die kantonale Verwaltung ist in Departemente gegliedert.
² Jedes Standeskommissionsmitglied steht einem Departement vor.
³ Die Ratskanzlei dient als Stabsstelle der Koordination und Verbindung zwischen der Standeskommission, dem Grossen Rat und der Verwaltung.
Art. 50 Arbeit der Verwaltung
¹ Die Verwaltung arbeitet nach den Grundsätzen der guten Verwaltungsführung.
² Sie erfüllt die ihr zugewiesenen Aufgaben und bereitet die Geschäfte der Standeskommission vor.
³ Sie untersteht den Weisungen der Standeskommission.

E.5 Richterliche Behörden

Art. 51 Unabhängigkeit
¹ Die richterlichen Behörden sind in der Rechtsprechung unabhängig und einzig dem Recht verpflichtet.
² Sie organisieren und verwalten sich im Rahmen der Gesetzgebung selber.
Art. 52 Organisatorisches
¹ In jedem Bezirk besteht ein Vermittleramt.
² Im Kanton besteht als untere Instanz das Bezirksgericht, als obere Instanz das Kantonsgericht.
³ Die Verhandlungen der Gerichte und die Urteilseröffnungen sind öffentlich, soweit die Gesetzgebung nichts anderes bestimmt.
Art. 53 Bezirksgericht
¹ Dem Bezirksgericht gehören neben der Präsidentin oder dem Präsidenten die von den Bezirken gewählten Richterinnen und Richter an.
² Für den Einsatz von Zwangsmassnahmenrichterinnen und -richtern können interkantonale Vereinbarungen abgeschlossen werden.
³ Das Bezirksgericht entscheidet über Zivil- und Strafsachen.
⁴ Es übt die Aufsicht über die Vermittlerinnen und Vermittler aus.
Art. 54 Kantonsgericht
¹ Das Kantonsgericht ist als Zivil- und Strafgericht Berufungsinstanz gegen Erkenntnisse des Bezirksgerichts.
² Es ist als Verwaltungsgericht Beschwerdeinstanz gegen Entscheide und Verfügungen von Verwaltungsbehörden zum Staats-, Verwaltungs- und Sozialversicherungsrecht.
³ Das Kantonsgerichtspräsidium führt die Aufsicht über das Bezirksgericht.

F. Bezirke und Gemeinden

F.1 Allgemeines

Art. 55 Organisation
¹ Die Bezirke und Gemeinden sind selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts.
² Sie sorgen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben für eine zweckmässige Organisation.
³ Sie geben sich Reglemente, welche die grundlegenden organisatorischen Festlegungen des Gemeinwesens sowie die wichtigsten Rechte und Pflichten der Behörden und der Bevölkerung enthalten.
Art. 56 Stimmberechtigte
¹ Die Stimmberechtigten nehmen die ihnen zustehenden Wahlen vor und entscheiden nach Gesetz und Reglement über Sachgeschäfte, insbesondere über rechtsetzende Erlasse wie die Bezirks- und Gemeindereglemente.
² Die Beschlussfassung der Stimmberechtigten geschieht an Versammlungen oder an der Urne.
Art. 57 Aufgaben
¹ Die Bezirke und Gemeinden erfüllen ihre eigenen sowie die ihnen kantonalrechtlich übertragenen Aufgaben.
² Sie sind im Rahmen des übergeordneten Rechts autonom.
Art. 58 Führung
¹ Die Bezirks-, Schul- und Kirchenräte sowie die Feuerschaukommission sind verantwortlich für die Führung der Bezirke und Gemeinden sowie den Vollzug der Beschlüsse der Stimmberechtigten.
² Sie können ausserordentliche Abstimmungen und Wahlen ansetzen.
Art. 59 Behördenorganisation
¹ Die Bezirks-, Schul- und Kirchenräte sowie die Feuerschaukommission haben nach Massgabe des Bezirks- oder Gemeindereglements fünf oder sieben Mitglieder.
² Die Funktion des regierenden Hauptmanns umfasst die Leitung der Ratssitzungen und der Bezirksgemeinden sowie die Vertretung des Rats nach aussen. In den Schul- und Kirchgemeinden nimmt diese Aufgabe die Präsidentin oder der Präsident des Rats wahr, in der Feuerschaugemeinde die Präsidentin oder der Präsident der Feuerschaukommission.

F.2 Bezirke

Art. 60 Aufgaben
¹ Die Bezirke sind verantwortlich für die örtlichen staatlichen Leistungen, soweit diese Aufgaben nicht anderweitig zugewiesen sind oder wahrgenommen werden.
² Sie nehmen die ihnen kantonalrechtlich zugewiesenen Aufgaben wahr.
Art. 61 Bezirksgemeinden und Urnenwahlen
¹ Die ordentlichen Bezirksgemeinden finden eine Woche nach der ordentlichen Landsgemeinde statt. Bezirke mit Urnenabstimmungen führen eine solche, soweit erforderlich, im Mai durch.
² Die Stimmberechtigten wählen:
a.
zwei Personen, welche die Ämter als regierender und stillstehender Hauptmann ausüben, sowie die weiteren Mitglieder des Bezirksrats;
b.
ein Mitglied des Bezirksgerichts;
c.
Grossratsmitglieder in der erforderlichen Zahl;
d.
die Revisorinnen und Revisoren, die Rechnungsprüfungs- oder Geschäftsprüfungskommission;
e.
eine Vermittlerin oder einen Vermittler;
f.
weitere Personen nach Massgabe der Bezirksreglemente.
³ Die Bezirke können für die Ämter des regierenden und des stillstehenden Hauptmanns einen Zweijahreswechsel vorsehen.

F.3 Schul- und Kirchgemeinden

Art. 62 Aufgaben
¹ Die Schulgemeinden sind im Rahmen der kantonalen Vorgaben für die Volksschule verantwortlich. Das kantonale Recht kann ihnen weitere Aufgaben übertragen, die im Zusammenhang mit dem Grundauftrag stehen.
² Die Kirchgemeinden sorgen für das kirchliche Leben in ihren Gemeinschaften.
Art. 63 Versammlungen und Urnenabstimmungen
¹ Die ordentlichen Schul- und Kirchgemeinden und allfällige ordentliche Urnenabstimmungen finden im Frühjahr statt.
² Die Stimmberechtigten wählen:
a.
die Schul- und Kirchenräte samt dem Präsidium;
b.
die Revisorinnen und Revisoren, die Rechnungsprüfungs- oder Geschäftsprüfungskommission;
c.
weitere Personen nach Massgabe des Gemeindereglements.

F.4 Feuerschaugemeinde

Art. 64 Aufgaben
¹ Die Feuerschaugemeinde Appenzell nimmt Aufgaben gemäss kantonaler Gesetzgebung wahr.
² Über Änderungen der kantonal erteilten Aufgaben an die Feuerschaugemeinde befindet das Organ, welches die Aufgabe erteilt hat.
Art. 65 Dunke oder Urnenabstimmung
¹ Die ordentliche Dunke oder allfällige ordentliche Urnenabstimmungen finden im Frühjahr statt.
² Die Stimmberechtigten wählen:
a.
die Feuerschaukommission samt dem Präsidium;
b.
die Rechnungsprüfungskommission;
c.
weitere Personen nach Massgabe des Gemeindereglements.
Art. 66 Aufhebung der Feuerschaugemeinde
Über eine Aufhebung der Feuerschaugemeinde befindet die Landsgemeinde.

G. Finanzen

Art. 67 Finanzhaushalt
¹ Jede Körperschaft strebt einen ausgeglichenen Finanzhaushalt an.
² Budgets und Rechnungen der Körperschaften sind transparent, verständlich und nach dem Gebot der Stetigkeit zu führen.
³ Der Kanton sorgt für einen angemessenen Ausgleich der finanziellen Leistungsfähigkeit der Bezirke und Schulgemeinden.
Art. 68 Steuern
¹ Der Kanton, die Bezirke und Gemeinden erheben im Rahmen der Steuergesetzgebung die für die Ausübung ihrer Tätigkeiten notwendigen Steuern.
² Die Festlegung des Steuersystems obliegt der Landsgemeinde.
³ Die Festlegung der Steuerfüsse für den Kanton und der Steuersätze für die Gewinn- und Kapitalsteuer obliegt dem Grossen Rat, die Festlegung des Steuermasses der Bezirke und Gemeinden den Stimmberechtigten dieser Körperschaften.
Art. 69 Staatshaftung
¹ Der Kanton, die Bezirke und Gemeinden haften für den Schaden, den ihre Organe oder Angestellten in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeiten widerrechtlich verursachen.
² Sie können im Falle einer vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Verursachung auf die Fehlbaren Rückgriff nehmen.

H. Kirche und Staat

Art. 70 Religionsgemeinschaften
¹ Die römisch-katholische Kirche und die evangelisch-reformierte Kirche sind staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften. Sie sind selbstverantwortlich in kirchlichen Belangen und organisieren sich im Regelfall in Kirchgemeinden.
² Weitere Religionsgemeinschaften können sich privatrechtlich organisieren.
Art. 71 Interkantonale Verhältnisse
¹ Durch interkantonale Verträge kann bestimmt werden, dass Personen des römisch-katholischen oder evangelisch-reformierten Glaubens von Kirchgemeinden in einem anderen Kanton als in allen Rechten und Pflichten stehende Kirchenmitglieder anerkannt werden.
² Weiter kann durch interkantonale Verträge der Anschluss einer evangelisch-reformierten Kirchgemeinde an eine ausserkantonale Landeskirche geregelt werden.
Art. 72 Klöster
¹ Die Stellung und der Bestand der Klöster sind gewährleistet.
² Der Kanton schützt, unterstützt und beaufsichtigt die Klöster in weltlichen Angelegenheiten.

I. Änderung der Verfassung

Art. 73 Allgemeines
¹ Die Verfassung kann jederzeit ganz oder teilweise geändert werden.
² Teilrevisionen müssen sich auf zusammenhängende Sachgebiete beschränken.
Art. 74 Totalrevision
¹ Für eine Totalrevision ist der Landsgemeinde vorab die Frage zu unterbreiten, ob eine solche vorgenommen werden soll. Wird die Frage bejaht, ist die Vorlage auszuarbeiten und der Landsgemeinde zum Entscheid zu unterbreiten.
² Vorlagen für Totalrevisionen können der Landsgemeinde mit Varianten unterbreitet werden.

J. Schlussbestimmungen

Art. 75 Aufhebung bestehenden Rechts
Die Verfassung für den Eidgenössischen Stand Appenzell I.Rh. vom 24. Wintermonat 1872 wird aufgehoben.
Art. 76 Übergangsrecht
¹ Die gestützt auf die bisherige Verfassung beschlossenen Erlasse und Anordnungen bleiben in Kraft. Für ihre Änderung gilt die neue Verfassung.
² Regelungen im bisherigen Recht, welche der neuen Verfassung widersprechen, sind unverzüglich anzupassen.
³ Das Gesetz legt die weiteren Übergangsregelungen fest.
Art. 77 Inkrafttreten
Der Grosse Rat legt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Beschlusses fest.
Bundesrecht
Verfassung des Kantons Appenzell Innerrhoden vom 28. April 2024 (KV)
Kurzer Titel
KV
keyboard_arrow_up
Markierungen
Leseansicht