Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
vom 21. Juni 2024
Schlüsselbegriffe
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| [Bild bitte in Originalquelle ansehen] | Bundesasylzentrum (BAZ) Asylsuchende werden zunächst in einem der sechs BAZ untergebracht, in denen die Asylverfahren durchgeführt werden. Später werden die Personen je nach eingeleitetem Verfahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf die Kantone verteilt. | |
| Verteilung auf die Kantone Laut Gesetz haben sich die Kantone über die Verteilung der Asylsuchenden zu verständigen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) weist die Personen den Kantonen zu und berücksichtigt dabei sowohl die Interessen der Kantone als auch jene der Asylsuchenden. | [Bild bitte in Originalquelle ansehen] | |
| [Bild bitte in Originalquelle ansehen] | Kriterien für die Verteilung auf die Kantone Das SEM weist die Asylsuchenden den Kantonen im Verhältnis zu deren Bevölkerungsgrösse zu. Es berücksichtigt zudem, ob bereits Familienangehörige in einem bestimmten Kanton leben, sowie die Nationalität und einen allfälligen besonderen Betreuungsbedarf der Personen. | |
| eSyVAS Die Kantonsverteilung macht das SEM mithilfe des elektronischen Systems zur Verteilung von Asylsuchenden (eSyVAS). Für jede Person schlägt dieses gestützt auf einen Algorithmus einen Kanton vor. | [Bild bitte in Originalquelle ansehen] | |
Das Wichtigste in Kürze
Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone ist komplex, weil sie verschie dene Faktoren beachten muss. Das elektronische System kann nicht alle diese Faktoren berücksichtigen. Die Kantonsverteilung wird deshalb häufig manuell angepasst. Es lässt sich nicht vermeiden, dass die tatsächliche Verteilung der Asylsuchenden nur bedingt proportional ist zur Kantonsbevölkerung. Im Übrigen ist die Notfallplanung für hohe Asylzahlen nicht mehr aktuell.
Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beauftragten die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Januar 2023 damit, die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zu evaluieren. Mit der Neustrukturierung des Asylbereichs im Jahr 2019 hat sich diese Verteilung stark verändert.
Die zuständige Subkommission EJPD/BK der GPK des Ständerates (GPK-S) beschloss an ihrer Sitzung vom 8. Mai 2023, dass sich die Evaluation mit der Ausgestaltung und Umsetzung der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone befassen soll. Auch die starken Schwankungen der Asylgesuchszahlen sollten einbezogen werden.
Zu diesem Zweck analysierte die PVK die Dokumente, auf welche sich das Staatssekretariat für Migration (SEM) für die Kantonsverteilung stützt. Die PVK führte ausserdem 25 Interviews mit Mitarbeitenden aus verschiedenen Einheiten des SEM, mit Kantonsvertreterinnen und -vertretern und mit Fachpersonen des Asylwesens. Zudem vergab sie ein externes Mandat, um den Algorithmus und die tatsächliche Verteilung der Asylsuchenden zu analysieren. Nachfolgend werden die Schlussfolgerungen der PVK dargelegt.
Die Kantonsverteilung berücksichtigt zahlreiche Faktoren und ist daher komplex
Auf Wunsch der Kantone berücksichtigt die Verteilung der Asylsuchenden zahlreiche Faktoren wie die Grösse der Kantonsbevölkerung, unterschiedliche Kategorien von Asylverfahren (z. B. Dublin-Verfahren), die Anzahl der zu verteilenden Personen, Nationalitäten, unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA), Medizinalfälle sowie Kompensationen für gewisse Kantone, die Bundesasylzentren (BAZ) beherbergen oder andere besondere Leistungen anbieten. Die Berücksichtigung all dieser Faktoren führt zwangsläufig zu einer komplexen Verteilung, Trotz ihrer Vielzahl decken die Faktoren nicht alle Einzelfälle ab, die in der Praxis auftreten. Gleichzeitig sind die berücksichtigten Faktoren kaum auf die Integration der Personen ausgerichtet. Die Kantone sind mit der Auswahl der Faktoren zufrieden, sind aber der Meinung, dass die Kompensationen unklar sind und die pauschalen Bundesbeiträge gewisse Kosten nicht ausreichend decken (Ziff. 3.1 und 3.2).
Das elektronische System alleine kann keine angemessene Verteilung auf die Kantone sicherstellen
Das elektronische System macht gestützt auf einen Algorithmus für jede asylsuchende Person einen Vorschlag für die Kantonszuteilung. Es berücksichtigt dabei zwar zahlreiche, aber nicht alle Verteilfaktoren. Dies führt dazu, dass die Vorschläge des Systems in mehr als drei von fünf Fällen manuell angepasst werden, d. h. der Algorithmus wird übersteuert (Ziff. 5.3). Insbesondere bezieht der Algorithmus nicht mit ein, ob es Familienangehörige gibt, die bereits in der Schweiz leben. Dies muss jedoch gemäss Gesetz berücksichtigt werden und ist der Grund für knapp die Hälfte der Übersteuerungen. Hinzu kommt, dass der Algorithmus auf bestimmte Gruppen von Personen nicht angewandt werden kann. Diese machen mehr als die Hälfte aller verteilten Personen aus (Ziff. 4.3). Das SEM legt nicht ausreichend transparent dar, wie die Verteilfaktoren durch das elektronische System gewichtet werden, obschon dies die Verteilung auf die Kantone massgeblich beeinflusst (Ziff. 4.4).
Die Verteilvorschläge werden in den BAZ unterschiedlich angepasst, was zu Ungleichbehandlungen führen kann
Die Kantonsverteilung ist Aufgabe der BAZ und wird anschliessend von der Sektion Belegungsmanagement und Kantonsverteilung (BMKV) des SEM überprüft. Die Prozesse innerhalb der BAZ sowie zwischen der Sektion BMKV und den BAZ funktionieren grundsätzlich gut. Allerdings ist das Vorgehen der BAZ bei der Übersteuerung der Verteilvorschläge des elektronischen Systems nicht einheitlich. Dies kann zu einer Ungleichbehandlung der Asylsuchenden führen. Die Unterschiede liegen namentlich daran, dass die BAZ die Arbeitsanweisungen unterschiedlich auslegen. Um die Abläufe zu vereinheitlichen, organisierte die Sektion BMKV Schulungen in den BAZ und erarbeitete neue Verteilregeln. Sie sollen klären, aus welchen Gründen ein Verteilvorschlag übersteuert werden darf (Ziff. 4.1). Jeder Verteilvorschlag wird von der Sektion BMKV geprüft. Die Prüfung dauert allerdings lediglich einige Sekunden und ist auf wenige Angaben begrenzt. Die Analysen im Auftrag der PVK offenbarten zahlreiche Unstimmigkeiten in den Daten. Einen Teil davon konnte das SEM zwar erklären, doch ist nicht genügend transparent, wie es die Daten, auf denen die Kantonsverteilung basiert, bearbeitet (Ziff. 4.2).
Die tatsächliche Verteilung weicht unvermeidlich von der angestrebten Verteilung ab, insbesondere in kleinen Kantonen und bei bestimmten Unterkategorien
Die PVK stellt erhebliche Abweichungen fest zwischen der tatsächlichen Verteilung (Ist) und derjenigen, die gemäss dem Algorithmus zu erwarten wäre (Soll). Für die Auszahlung der Pauschalbeiträge an die Kantone ist es für das SEM wichtig, dass sich die Abweichungen per Jahresende ausgleichen. Die Analysen zeigen jedoch, dass die Abweichungen zwischen Ist und Soll auch zu diesem Zeitpunkt noch sehr hoch sind. Aufgrund der rechtlichen Vorgaben gibt es allerdings keinen grossen Spielraum, um diese Differenzen auszugleichen. Die Verteilung erfolgt separat für die verschiedenen Untergruppen von Asylsuchenden, was die Möglichkeiten für einen Ausgleich der Verteilung zwischen den Kantonen einschränkt. Besonders gross sind die Abweichungen bei kleinen Untergruppen, namentlich bei den Medizinalfällen und den unbegleiteten Minderjährigen. Auch in Kantonen mit geringer Bevölkerung sind die Abweichungen besonders ausgeprägt. Grundsätzlich funktioniert die Verteilung weniger gut, wenn nur eine kleine Anzahl Asylsuchender zu verteilen ist. Dies ist auf eine mathematische Eigenschaft zurückzuführen: Je mehr Asylsuchende verteilt werden, desto weniger fallen einzelne Abweichungen ins Gewicht (Ziff. 5.1 und 5.2).
Die Koordination mit den Kantonen funktioniert im Allgemeinen gut, doch ist die Notfallplanung nicht mehr aktuell
Die Koordination zwischen Bund und Kantonen wird von den befragten Personen grundsätzlich positiv bewertet. Die Sektion BMKV verschickt halbjährlich ausführliche Newsletter, um die Kantone und die Mitarbeitenden der BAZ transparent zu informieren. Aus Sicht der Kantone sind diese Newsletter jedoch zu detailliert (Ziff. 5.4). Die Mehrheit der befragten Personen ist auch der Auffassung, dass das SEM die Häufigkeit des Austauschs mit den Kantonen angemessen an die Schwankungen der Gesuchszahlen angepasst hat. Problematisch für die Kantonsverteilung der Asylsuchenden sind allerdings die Zuweisungsstopps, welche die Kantone aussprechen können. Diese führen zu einer Mehrbelastung für die BAZ. Die Verteilung wird insbesondere dann erschwert, wenn die Stopps nicht nur, wie vorgesehen, eine Woche dauern, sondern bis zu zwei Monate (Ziff. 4.6).
Es gibt eine Notfallplanung Asyl, die für verschiedene Szenarien definiert, wann welche Massnahmen ergriffen werden müssen, um einen ausserordentlich hohen Zustrom an Asylsuchenden bewältigen zu können. Die Planung passt zu den vorhandenen Instrumenten und der bestehenden Kompetenzverteilung. Die Szenarien müssen allerdings aktualisiert werden, weil sie vor der Neustrukturierung des Asylbereichs definiert wurden. Laut dem SEM sollen sie 2024 überarbeitet werden (Ziff. 3.3). Die Befragten haben einhellig begrüsst, dass die Notfallplannung im Oktober 2022 aufgrund der hohen Anzahl Asylgesuche und Geflüchteter aus der Ukraine aktiviert wurde. Hingegen wurden die Kantone damals zu kurzfristig darüber informiert, dass die Zahl der Zuweisungen von Asylsuchenden aus den BAZ an die Kantone erhöht wird. Grundsätzlich sind alle beteiligten Akteure der Ansicht, dass es bei einem Anstieg der Gesuchszahlen nicht zusätzliche Verteilregeln braucht, sondern mehr Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten sowohl auf Bundes- wie auch auf Kantonsebene (Ziff. 4.6). Was die Asylsuchenden angeht, wird bei der Verteilung auf die Kantone einzig das Interesse auf die Einheit der Familie berücksichtigt. Wenn die Asylsuchenden auf einen Kanton ausserhalb der Asylregion ihres BAZ verteilt werden, ist die Organisation des Rechtschutzes im Asylverfahren herausfordernd (Ziff. 4.5).
Bericht
1 Einleitung
1.1 Ausgangslage und Fragestellungen der Evaluation
Seit der Neustrukturierung des Asylbereichs im Jahr 2019 werden Personen, die in der Schweiz ein Asylgesuch einreichen, zunächst in einem Bundesasylzentrum (BAZ) untergebracht. Ein Grossteil dieser Personen wird erst später auf die Kantone verteilt. Die Funktionsweise dieser Verteilung, die vom Staatssekretariat für Migration (SEM) vorgenommen wird, hat sich mit der Neustrukturierung des Asylbereichs stark verändert und ist seither nicht evaluiert worden.
Für die Asylsuchenden hängt viel vom Verteilentscheid ab, da ein nachträglicher Kantonswechsel schwierig ist. Der angewandte Verteilschlüssel berücksichtigt verschiedene Kriterien wie die Grösse der Kantonsbevölkerung, die Nationalität der Asylsuchenden, Familienangehörige in einem bestimmten Kanton oder einen allfälligen besonderen Betreuungsbedarf. Die Funktionsweise der Kantonsverteilung sorgt jedoch für Diskussionen, da einigen Kantonen mehr Personen zugewiesen werden als vorgesehen. Es stellt sich zudem die Frage, wie mit den starken Schwankungen der Anzahl Asylsuchender umgegangen werden soll.
Vor diesem Hintergrund beauftragten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) am 24. Januar 2023, die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zu evaluieren. Die zuständige Subkommission EJPD/BK der GPK des Ständerates (GPK-S) beschloss am 8. Mai 2023 auf der Grundlage einer Projektskizze der PVK, dass mit der Evaluation die folgenden Fragen untersucht und im Bericht in je einem eigenen Kapitel beantwortet werden sollen:
-
Ist die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone angemessen ausgestaltet ? (Kap. 3)
-
Werden die für die Verteilung eingesetzten Prozesse und Instrumente zweckmässig angewandt ? (Kap. 4)
-
Ist die tatsächliche Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zweckmässig ? (Kap. 5)
Diese Fragen werden auch im Hinblick auf die schwankende Anzahl Asylsuchender beurteilt.
1.2 Vorgehen
Zur Beantwortung der Evaluationsfragestellungen untersuchte die PVK die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone mittels verschiedener Datenerhebungs- und Datenanalysemethoden, welche in Tabelle 1 dargestellt sind. Am Ende des Berichts wird in Anhang 1 die Herangehensweise der Evaluation beschrieben, während in Anhang 2 die von der PVK angewandten Bewertungskriterien im Einzelnen aufgeführt sind.
Tabelle 1
Methodenüberblick
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| Fragestellungen der Evaluation | Dokumentenanalyse | Interviews | Analyse des Algorithmus (externes Mandat) | Statistische Analysen (externes Mandat) |
|---|---|---|---|---|
| Ausgestaltung der Kantonsverteilung | ∗ | ∗ | ||
| Anwendung der Prozesse und Instrumente | ∗ | ∗ | ∗ | |
| Tatsächliche Verteilung | (∗) | (∗) | ∗ |
Legende: ∗ = Hauptbeitrag zur Analyse; (∗) = sekundärer Beitrag zur Analyse.
Die PVK unterzog die Rechtsgrundlagen, die Weisungen, die Informationen an die Kantone und die sonstigen internen Dokumente des SEM einer Dokumentenanalyse .
Um diese Analyse zu vervollständigen und Informationen über die Klarheit dieser Dokumente sowie über die Anwendung der Verteilung zu sammeln, führte die PVK Interviews mit verschiedenen involvierten Akteuren: ¹
-
SEM: Sektion Belegungsmanagement und Kantonsverteilung (BMKV), BAZ ² und Stab Asyl;
-
involvierte interkantonale Konferenzen: Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) ³ und Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD);
-
Fachstellen aus dem Flüchtlingsbereich: Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) und Eidgenössische Migrationskommission (EKM).
Ausserdem erteilte die PVK der PrivatePublicConsulting GmbH (PPC) ein externes Mandat . Dieses umfasste zum einen die Analyse der Funktionsweise des Algorithmus, der unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien einen Vorschlag für eine einzelfallspezifische Kantonsverteilung generiert. Zum anderen war es Aufgabe von PPC, die Datenbasis des SEM mit Angaben zur Verteilung der Asylsuchenden zwischen dem 1. März 2019 (Inkrafttreten der Neustrukturierung) und dem 30. Juni 2023 (letzte Daten) statistisch zu analysieren, um die tatsächliche Verteilung auszuwerten und die Abweichungen zum Verteilschlüssel und zu den definierten Kriterien zu untersuchen. Das Vorgehen und die vollständigen Resultate sind in einem Bericht dargelegt, der sich im Anhang findet. ⁴
Die Datenerhebung und -analyse fanden von September bis Dezember 2023 statt. Nach Abschluss der Evaluation tauschte sich die PVK mit dem SEM über die wichtigsten Erkenntnisse aus. Das EJPD hatte ausserdem im März 2024 Gelegenheit, zum Entwurf dieses Berichts Stellung zu nehmen.
¹ Das Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner findet sich am Ende des Berichts.
² Ziel der Interviews mit BAZ-Mitarbeitenden war es, Informationen von Personen zu erhalten, die auf operativer Ebene Einzelfallentscheide treffen. Die PVK hat pro BAZ mit Verfahrensfunktion eine Person befragt und dabei darauf geachtet, dass verschiedene Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche vertreten sind.
³ Die PVK führte auch ein Interview mit der Kontaktgruppe der kantonalen Asyl- und Flüchtlingskoordinatorinnen und -koordinatoren (KASYF), der Ansprechpartnerin der SODK in allen fachlichen und operativen Fragen.
⁴ Schlussbericht von PPC vom 29.04.2024: Analyse des Algorithmus und seiner Nutzung zur Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone. Grundlage für den Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle ( im Folgenden: PPC -Bericht ).
1.3 Mehrwert und Grenzen der Evaluation
Die Neustrukturierung des Asylbereichs im Jahr 2019 hat sich stark auf die Funktionsweise der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone ausgewirkt. Die vorliegende Evaluation deckt die zentralen Aspekte im Zusammenhang mit der Definition und der Anwendung der Kantonsverteilung ab und liefert somit erstmals eine Gesamtperspektive über die Verteilung. Für die Asylsuchenden ist es wichtig, zu wissen, welchem Kanton sie zugewiesen werden, da sie in der Regel die nächsten Monate oder Jahre dort leben werden und ein nachträglicher Kantonswechsel schwierig ist. Für die Kantone geht die Verteilung mit je nach Personenkategorie variierenden Kosten für die Unterbringung und die Betreuung der Asylsuchenden einher. Die Evaluation befasst sich mit den Schwierigkeiten im Umgang mit der stark schwankenden Anzahl Asylsuchender und hat den Vorzug, dass sie sich nicht nur auf qualitative Methoden (Dokumentenanalyse, Interviews), sondern auch auf quantitative Methoden (statistische Analysen) stützt.
Im Zentrum der Evaluation steht grundsätzlich das SEM als zuständige Bundesbehörde für die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone, doch werden auch die Einschätzungen der anderen wichtigen Beteiligten (Bund, kantonale Konferenzen, Flüchtlingshilfsorganisationen) berücksichtigt. Nicht Gegenstand der Evaluation ist die erste Phase der Verteilung der Asylsuchenden, sprich die Verteilung auf die sechs BAZ mit Verfahrensfunktion (Erstverteilung). Evaluiert wird einzig die spätere Verteilung der Personen auf die Kantone (Kantonsverteilung). Entsprechend dem Entscheid der zuständigen Subkommission zum Umfang der Evaluation wurde ausserdem darauf verzichtet, näher auf die Verteilung der Asylsuchenden mit Status S (Geflüchtete aus der Ukraine) einzugehen. Die Verteilung von Personen mit Status S erfolgt nach demselben Verteilschlüssel, allerdings werden bestimmte besondere Kriterien berücksichtigt (z. B. Unterbringung bei Privaten). Parallel zur vorliegenden Evaluation hat sich eine Expertengruppe mit dem Status S befasst und in ihrem Bericht auch die Verteilung der betroffenen Personen behandelt. ⁵ In der Evaluation ebenfalls nicht berücksichtigt wurde die Verteilung von Personen, die Teil des aktuellen Pilotprojekts der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) zu den Integrationsfaktoren sind. ⁶
⁵ Laut Bericht vom 26.6.2023 der Evaluationsgruppe Status S stellt die Unterbringung bei Privaten eine Herausforderung dar. Für die Verteilung der Schutzsuchenden auf die Kantone ist es jedoch wichtig, dass der ordentliche Verteilschlüssel auch bei einer sehr hohen Anzahl Schutzsuchender angewandt wird.
⁶ Im Rahmen dieses Projekts werden bestimmte Personen, die vorläufig aufgenommen wurden oder einen positiven Asylentscheid erhalten haben, mithilfe eines zusätzlichen, von der ETHZ entwickelten Algorithmus auf die Kantone verteilt. Das Projekt berücksichtigt das Arbeitsmarktpotenzial mit dem Ziel, die berufliche Integration der Asylsuchenden zu verbessern. Es wurde Anfang 2020 lanciert und wird fortgesetzt, um den Algorithmus mit einer grösseren Datenmenge zu verbessern. Mit ersten Ergebnissen ist ab 2026 zu rechnen.
1.4 Aufbau des Berichts
Im zweiten Kapitel wird die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone erläutert. In den darauffolgenden drei Kapiteln wird jeweils eine der Evaluationsfragen beantwortet: Die Ausgestaltung der kantonalen Verteilung wird in Kapitel 3, die Anwendung der Prozesse und Instrumente in Kapitel 4 und die tatsächliche Verteilung auf die Kantone in Kapitel 5 behandelt. Im sechsten Kapitel werden die Schlussfolgerungen gezogen.
2 Verteilung der Asylsuchenden
Die Neustrukturierung des Asylbereichs im Jahr 2019 hatte zum Ziel, die Asylverfahren zu beschleunigen. ⁷ Eine der wichtigsten Neuerungen war die Einführung von beschleunigten Verfahren, die in dezentralen BAZ in sechs neu definierten Asylregionen durchgeführt werden. Asylsuchende werden seither nicht mehr sofort zur Unterbringung und Betreuung auf die Kantone verteilt, sondern in den BAZ registriert und dort für die Dauer des Verfahrens untergebracht. Erst in einem zweiten Schritt wird ein Grossteil dieser Personen einem Kanton zur Unterbringung zugewiesen, sofern sie ein Bleiberecht oder noch keinen rechtskräftigen Asylentscheid erhalten haben. ⁸
Die vorliegende Evaluation befasst sich mit der Verteilung von Asylsuchenden auf die Kantone. Die Elemente dieser Verteilung werden in Abbildung 1 schematisch dargestellt und in den nachfolgenden Abschnitten kurz erklärt.
Abbildung 1
Analyseschema für die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
2.1 Ausgestaltung der Kantonsverteilung
Grundsätzlich muss die Schweiz ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen wie das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ⁹ und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 1⁰ einhalten. Diese enthalten wichtige Vorgaben für die Verteilung von Asylsuchenden wie das Rückschiebungsverbot (auch: « Non-Refoulement »-Gebot) oder die Einheit der Familie.
Die Verteilung auf die Kantone ist gestützt auf Artikel 121 der Bundesverfassung (BV) 1¹ , welcher dem Bund die Gesetzgebungskompetenz im Asylbereich gibt, im Asylgesetz (AsylG) ¹2 geregelt. Gemäss Artikel 24 AsylG werden die Asylsuchenden ab der Einreichung des Asylgesuchs in einem BAZ untergebracht (Abs. 3). Die Verbleibdauer im BAZ hängt von der Art und dem Ausgang des Verfahrens ab, sie beträgt jedoch höchstens 140 Tage (Abs. 4). Bei einem raschen und erheblichen Anstieg der Asylgesuche kann die Zuweisung an einen Kanton auch vor Ablauf der Höchstdauer des Aufenthalts in einem BAZ erfolgen (Abs. 6).
Die Verteilung auf die Kantone als solches ist in Artikel 27 AsylG geregelt. Dieser präzisiert, dass sich die Kantone über die Verteilung zu verständigen haben (Abs. 1). Ohne entsprechende Einigung ist der Bundesrat gemäss Absatz 2 berechtigt, nach Anhörung der Kantone in einer Verordnung die Kriterien für die Verteilung festzulegen. Diese Regelung kam nicht zum Tragen, da sich die Kantone über die Verteilung verständigen konnten. ¹3
Besondere Leistungen, welche Standortkantone von BAZ oder Flughafenkantone erbringen, sind gemäss AsylG bei der Verteilung zu berücksichtigen (Art. 27 Abs. 1bis). Darüber hinaus muss das SEM bei der Zuweisung den schützenswerten Interessen der Kantone und der Asylsuchenden Rechnung tragen. Der Zuweisungsentscheid kann nur mit der Begründung angefochten werden, er verletze den Grundsatz der Einheit der Familie (Abs. 3). Nicht zugewiesen werden dürfen Personen, bei denen der Vollzug der Wegweisung angeordnet worden ist und deren Asylentscheid in einem BAZ in Rechtskraft erwachsen ist oder deren Asylgesuch in einem BAZ abgeschrieben wurde (Abs. 4).
Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen wird auf Verordnungsebene weiter ausgeführt: Das SEM nimmt gemäss Artikel 21 der Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen (AsylV 1) ¹4 nur dann die Verteilung der Asylsuchenden unter Anrechnung der besonderen Leistungen vor, wenn sich die Kantone diesbezüglich nicht einigen können (Abs. 1). Die Verteilung auf die Kantone erfolgt proportional zu deren Bevölkerung und richtet sich nach einem Verteilschlüssel, der vom SEM periodisch überprüft und vom EJPD bei Bedarf angepasst wird (Abs. 2 und 3). Besondere Leistungen werden durch eine reduzierte Zuweisung von Asylsuchenden im erweiterten Verfahren kompensiert (Abs. 5). ¹5 Unabhängig von den Kompensationen muss jeder Kanton mindestens 10 Prozent seines bevölkerungsproportionalen Anteils an Asylsuchenden im erweiterten Verfahren übernehmen (Abs. 6). Im Weiteren ist das SEM gehalten, bei der Zuweisung der Asylsuchenden die Anwesenheit von Familienangehörigen in der Schweiz, die Nationalität und einen allfälligen besonderen Betreuungsbedarf zu berücksichtigen. Ein Kantonswechsel wird vom SEM nur bei Zustimmung beider Kantone, beim Anspruch auf Einheit der Familie oder bei schwerwiegender Gefährdung verfügt (Art. 22 AsylV 1).
In der Vorbereitungsphase werden im zugeteilten BAZ mit Verfahrensfunktion erste Abklärungen vorgenommen. Anschliessend teilt das SEM die Asylsuchenden einem der drei folgenden Verfahren zu (Art. 20 b und c AsylV 1):
-
Dublin-Verfahren: Wenn die Behörden feststellen, dass nach Dublin-Verordnung ¹6 ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist, wird die asylsuchende Person an diesen Staat überstellt und bis dahin in einem BAZ untergebracht.
-
Beschleunigtes Verfahren: Auf der Grundlage eines ersten Gesprächs wird die Person im Hinblick auf ihre Integration einem Kanton zugewiesen, sofern sie die Voraussetzungen für Asyl oder eine vorläufige Aufnahme erfüllt. Personen, deren Gesuch abgelehnt wird, müssen die Schweiz verlassen und werden bis zur Ausreise in einem BAZ untergebracht. Sind vor dem Entscheid weitere Abklärungen nötig, wird die Person dem erweiterten Verfahren zugeteilt.
-
Erweitertes Verfahren: Alle Personen werden für die Dauer des Verfahrens einem Kanton zur Unterbringung zugewiesen. Der betreffende Kanton ist unabhängig vom Ausgang des Verfahrens zuständig.
Wann im Verfahren die Verteilung auf die Kantone erfolgt, hängt von der Verfahrensart ab. Wie aus der Abbildung 2 hervorgeht, weist das SEM den Kantonen folgende Personen zu: Asylsuchende im beschleunigten Verfahren und im Dublin-Verfahren, über deren Asylgesuch im BAZ noch nicht rechtskräftig entschieden wurde und die sich seit mehr als 140 Tagen im BAZ aufhalten ¹7 , Personen, denen im beschleunigten Verfahren Asyl gewährt wurde oder die vorläufig aufgenommen wurden; sowie Asylsuchende, deren Gesuch im erweiterten Verfahren behandelt wird (Art. 21 Abs. 2 AsylV 1).
Abbildung 2
Verschiedene Fälle für die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone
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Legende: Die farbigen Elemente sind Gegenstand der Evaluation.
Die Kantone sorgen für die Unterbringung der ihnen zugewiesenen Asylsuchenden und leisten die nötige Sozialhilfe. Für jede zugewiesene Person erhalten sie eine einmalige Verwaltungskostenpauschale sowie für die Dauer von deren Aufenthalt eine Globalpauschale oder eine Nothilfepauschale. ¹8
⁹ Abkommen vom 28.7.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention [FK]; SR 0.142.30 ).
1⁰ Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK]; SR 0.101 ).
1¹ Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.4.1999 (BV; SR 101 ).
¹2 Asylgesetz vom 26.6.1998 (AsylG; SR 142.31 ).
¹3 Gemeinsame Erklärung der Asylkonferenz vom 28.3.2014, verabschiedet von den Kantonen, dem Bund und den Vertretungen der Städte und Gemeinden ( im Folgenden: gemeinsame Erklärung ).
¹4 Asylverordnung 1 vom 11.8.1999 über Verfahrensfragen (Asylverordnung 1, [AsylV 1]; SR 142.311 ).
¹5 Folgende Leistungen werden kompensiert: BAZ (20 Zuweisungen weniger pro 100 Plätze); besonderes Zentrum für Asylsuchende, welche die Sicherheit oder den Betrieb der BAZ gefährden (40 Zuweisungen weniger pro 100 Plätze); Flughafen (10 Zuweisungen weniger pro 100 Personen, die kontrolliert über den Flughafen rückgeführt werden); Wegweisungen (15 Zuweisungen weniger pro 100 Personen, die zum Vollzug der Wegweisung einem Kanton zugeteilt werden).
¹6 Abkommen vom 26.10.2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (DAA; SR 0.142.392.68 ).
¹7 Die Zuweisung kann auch vor Ablauf der Höchstdauer des Aufenthalts in den BAZ erfolgen, insbesondere bei einem raschen und erheblichen Anstieg der Asylgesuche (Art. 24 Abs. 6 AsylG).
¹8 Siehe Art. 88 und 89 AsylG und Art. 20 ff. der Asylverordnung 2 vom 11.8.1999 über Finanzierungsfragen (Asylverordnung 2 [AsylV 2]; SR 142.312 ).
2.2 Anwendung der Prozesse und Instrumente
Das SEM hat in einem internen Dokument den Prozess ¹9 definiert, nach dem es die Asylsuchenden in den BAZ auf die Kantone verteilt. Die Mitarbeitenden des BAZ müssen sicherstellen, dass die erforderlichen Informationen (Nationalität, Personenkategorie, Medizinalfall), allfällige einzelfallspezifische Umstände (Familienverhältnisse, Mehrfachgesuch usw.) und die Verfahrenskategorie (Dublin, beschleunigt, erweitert) korrekt im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) 2⁰ erfasst sind.
Nachdem eine Person in ZEMIS als zu verteilende Person erfasst wurde, berechnet das elektronische System zur Verteilung von Asylsuchenden (eSyVAS) einen Vorschlag, welchem Kanton die Person zugewiesen werden soll. Für diese Berechnung stützt sich eSyVAS auf einen Algorithmus, der anhand der Eigenschaften der Person, des Schlüssels für eine bevölkerungsproportionale Verteilung auf die Kantone 2¹ , der Kompensationsregeln, der ANUM-Kriterien und der tatsächlichen Verteilung auf die Kantone ein Ranking der 26 Kantone erstellt. Das Kürzel ANUM setzt sich aus den folgenden vier Kriterien zusammen:
A
nzahl zu verteilende Personen, häufigste
N
ationalitäten,
u
nbegleitete minderjährige Asylsuchende,
M
edizinalfälle. Das Zusammenspiel von Algorithmus, eSyVAS und ZEMIS wird in der Abbildung 3 schematisch dargestellt.
Abbildung 3
Funktionsweise des elektronischen Systems
ZEMIS:
Zentrales Migrationsinformationssystem
eSyVAS:
Vorschlag eines einzelnen Kantons unter Berücksichtigung der
zusätzlichen Parametrisierungen und Konfigurationsmöglichkeiten
Algorithmus:
Klassierung der 26 Kantone nach Priorität gemäss
Verteilkriterien
Die Kantonsverteilung wird in ZEMIS durchgeführt und im Hintergrund von eSyVAS unterstützt, wie Abbildung 4 zeigt. Der Verteilvorschlag des Systems muss gegebenenfalls von den Mitarbeitenden der BAZ aufgrund einzelfallspezifischer Besonderheiten geändert werden («Kanton Übersteuerung»). Die zulässigen Übersteuerungsgründe sind in der entsprechenden Arbeitsanweisung aufgeführt 2² und müssen angegeben werden («Grund Übersteuerung»).
Die Sektion BMKV ist verantwortlich dafür, die in den BAZ vorgenommene Kantonsverteilung zu prüfen und zu bestätigen: Sie kann den eSyVAS-Verteilvorschlag korrigieren oder dessen Übersteuerung durch ein BAZ rückgängig machen. Im zweiten Fall müssen sich die Sektion BMKV und die Mitarbeitenden des BAZ abstimmen. ²3
Abbildung 4
Benutzeroberfläche für die Kantonsverteilung in ZEMIS
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Legende: eSyVAS hat einen Kantonsvorschlag generiert (AG).
Bemerkungen: Die verwendeten Daten sind fiktiv.
Quelle: ZEMIS, Schulungsunterlagen Kantonsverteilung des SEM vom März 2021 ( im Folgenden: Schulungsunterlagen ZEMIS ), 7.
Das SEM informiert die Kantone wöchentlich über die zu erwartenden Zuweisungen. Die Kantone sind verantwortlich für die Unterbringung der ihnen zugewiesenen Asylsuchenden. ²4 Bei akuten Unterbringungsproblemen in einem Kanton kann die Sektion BMKV ausnahmsweise einen Zuweisungsstopp von einem Tag bis zu maximal einer Woche gewähren. Der Kanton muss den entsprechenden Antrag mindestens eine Woche im Voraus schriftlich einreichen. Bei unvorhersehbaren Ereignissen ist dies laut Weisung auch kurzfristig möglich. ²5
Die Kantone treffen die erforderlichen organisatorischen Massnahmen, um auf Gesuchsschwankungen adäquat reagieren zu können. ²6 Steigt die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz stark an, richtet sich die Aufgaben- und Kompetenzverteilung der Behörden nach der Notfallplanung Asyl. ²7 Wenn Asylsuchende noch während ihres Aufenthalts in einem BAZ den Wunsch äussern, einem bestimmten Kanton zugewiesen zu werden, ist ihnen diesbezüglich auch bei stark steigenden Gesuchszahlen das rechtliche Gehör zu gewähren. ²8 Asylsuchende, deren Gesuch in einem BAZ behandelt wird, haben Anspruch auf unentgeltliche Beratung und Rechtsvertretung (Art. 102 f AsylG). Falls dem Kantonswunsch nicht stattgegeben wird, ist eine begründete Kantonszuweisungsverfügung zu erlassen. Wenn der Wunsch erst nach der Kantonszuweisung geäussert wird, handelt es sich um ein «Gesuch um Kantonswechsel». ²9
¹9 SEM (2021), Prozess Kantonsverteilung (10.070).
2⁰ Verordnung vom 12.4.2006 über das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS-Verordnung; SR 142.513 ). Gewisse Informationen stammen aus dem Informationssystem der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen (MIDES) und werden über eine Schnittstelle zwischen den Informationssystemen in ZEMIS integriert, vgl. Asylverordnung 3 vom 11.8.1999 über die Bearbeitung von Personendaten (Asylverordnung 3 [AsylV 3]; SR 142.314 ).
2¹ Dieser Verteilschlüssel ist in Anhang 3 der AsylV 1 definiert und wird regelmässig vom SEM überprüft.
2² Arbeitsanweisungen des SEM vom 2.5.2023 zur Erst- und Kantonsverteilung ( im Folgenden: Arbeitsanweisungen); Merkblatt des SEM: Kantonsverteilung - Übersteuerungen und neue Verteilkommentare vom September 2023 ( im Folgenden: neue Regeln ).
²3 SEM, interne Weisung, 7.
²4 Die Verteilung der Asylsuchenden auf die kantonalen und kommunalen Strukturen erfolgt durch die zuständige kantonale Behörde. Das SEM hat keinen Einfluss auf die Verteilung innerhalb des Kantons.
²5 Weisung des SEM vom 1.1.2008 (Stand 1.3.2019), Verteilung auf die Kantone ( im Folgenden: Weisung ). Laut Stellungnahme des EJPD werden in der Praxis zwei Wochen gefordert.
²6 SEM, Weisung, 1.
²7 EJPD - VBS - EFD - KKJPD - SODK, Eckwerte der gemeinsamen Notfallplanung von Bund und Kantonen im Bereich Asyl, vom 14.4.2016 ( im Folgenden: Eckwerte ).
²8 SFH (Hrsg.) (2022), Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren, 3. Auflage, Haupt Verlag.
²9 SEM (o. D.), Handbuch Asyl und Rückkehr.
2.3 Tatsächliche Verteilung auf die Kantone
Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone hängt von der Verteilkategorie ab. 3⁰ Asylsuchende der Verteilkategorie W (er
w
eiterte Verfahren) und B (
B
leibefälle) werden einem Kanton zur Unterbringung zugewiesen. Die Kategorie W umfasst hauptsächlich Personen im erweiterten Verfahren. In diese Kategorie fallen auch Asylsuchende im beschleunigten und im Dublin-Verfahren, die nach der Maximalaufenthaltsdauer in einem BAZ von 140 Tagen noch über keinen rechtskräftigen Entscheid verfügen. Die Kategorie B umfasst Personen im beschleunigten Verfahren, die nach einem positiven Asylentscheid oder einer vorläufigen Aufnahme ein Bleiberecht erhalten haben. Die Asylsuchenden in den Kategorien B und W werden proportional zur Kantonsbevölkerung und möglichst gleichmässig nach den ANUM-Kriterien verteilt. In der Kategorie W werden ausserdem allfällige Kompensationen berücksichtigt. 3¹
Asylsuchende in der Kategorie V (
V
ollzug) werden den Kantonen zum Vollzug der Wegweisung zugewiesen. Asylsuchende fallen unter diese Kategorie, wenn ihr Asylgesuch abgewiesen oder abgeschrieben wurde oder wenn sie im Rahmen des Dublin-Verfahrens einen Nichteintretensentscheid erhalten haben, weil ein anderer Staat für die Prüfung ihres Asylgesuchs zuständig ist. Das SEM teilt Personen der Kategorie V dem Standortkanton eines BAZ ohne Verfahrensfunktion in der Asylregion zu, in der sie sich bereits befinden (Art. 23 und Art. 34 Abs. 2 AsylV 1). Dies aus dem Grund, weil weiterhin und bis zu 140 Tage der Bund für die Unterbringung zuständig ist. Der Kanton ist einzig für den Vollzug des Wegweisungsverfahrens verantwortlich.
Würde der auf einem Algorithmus basierende Verteilvorschlag von eSyVAS stets befolgt, wären die Abweichungen zwischen der tatsächlichen und der theoretischen Verteilung so gering wie möglich. In der Praxis präsentiert sich jedoch ein anderes Bild: Die theoretische Verteilung weicht von der tatsächlichen ab, was zur Folge hat, dass den Kantonen weniger oder mehr Asylsuchende zugeteilt werden als vom Verteilschlüssel vorgesehen. Diese Abweichungen lassen sich unter anderem auf Änderungen des eSyVAS-Verteilvorschlags zurückführen. Eine solche Änderung können sowohl die BAZ als auch die Sektion BMKV vornehmen, letztere kann ausserdem die Übersteuerung durch die BAZ rückgängig machen. Die Übersteuerungen lassen sich unterteilen in solche, die aufgrund von Rechtsvorschriften zwingend sind (z. B. Einheit der Familie), und solche, die sich aus Arbeitsanweisungen oder spezifischen Konstellationen (z. B. Verfahrenssprache) ergeben.
Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone bezweckt, dass sich die Abweichungen zwischen theoretischer und tatsächlicher Verteilung am Ende jedes Kalenderjahres ausgleichen. 3² Die Diskrepanzen werden daher von der Sektion BMKV regelmässig anhand der Dokumentation «Reporting Erst- und Kantonsverteilung» (REKA) 3³ überprüft und kommuniziert. Dank dem Reporting können sich die Mitarbeitenden der Sektion BMKV ein Bild vom Stand der Verteilung machen und die Planung nötigenfalls anpassen. Das Reporting ermöglicht ausserdem, die involvierten Akteure über die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zu informieren.
Bis 2023 wurde quartalsweise eine Lageanalyse für das interne Reporting zuhanden der Direktion des SEM erstellt. ³4 Diese Analyse umfasste eine Übersicht über die Kantonsverteilung und Erläuterungen zu den Abweichungen zwischen der theoretischen und der tatsächlichen Verteilung. Für das externe Reporting verfasst die Sektion BMKV halbjährlich einen Newsletter. ³5 Die Newsletter (für ein Beispiel, siehe Abbildung 5) richten sich in erster Linie an die Kantone und die Mitarbeitenden der BAZ. Darin sind die tatsächliche und die theoretische Verteilung aufgeführt sowie die Abweichungen pro Verteilkategorie und pro ANUM-Kriterium. Ausserdem werden die Verteilregeln und das Kompensationsmodell kurz erklärt, die Hauptgründe für die Abweichungen angegeben und die wichtigsten Entwicklungen in diesem Bereich geschildert.
Abbildung 5
Auszug aus dem Newsletter «Asyl: Kantonsverteilung»
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Quelle: Newsletter des SEM vom August 2023 (Verteilung von Januar bis Juni 2023), 1 und 14.
3⁰ SEM, interne Weisung.
3¹ Seit Januar 2023 gibt es zudem die Kategorie A (Andere Kategorien), unter welche Asylsuchende mit Status S fallen, auch wenn diese Fälle separat behandelt werden.
3² Newsletter «Asyl: Kantonsverteilung» des SEM ( im Folgenden: Newsletter ) vom April 2020 (Verteilung von März bis Dezember 2019), 6.
3³ Dokumentation Reporting Erst- und Kantonsverteilung (REKA) des SEM von 2019.
³4 Lageanalyse des SEM (2019-2022).
³5 SEM, Newsletter.
⁷ Botschaft vom 3.9.2014 zur Änderung des Asylgesetzes (Neustrukturierung des Asylbereichs) ( BBl 2014 7991 ).
⁸ Interne Weisung des SEM vom 1.9.2020 über die Erst- und Kantonsverteilung, 3 ( im Folgenden: interne Weisung ).
3 Ausgestaltung der Kantonsverteilung
Um zu beurteilen, ob die Verteilung der Asylsuchenden angemessen ausgestaltet ist, hat die PVK die Definition der verschiedenen Grundsätze und Schritte der Verteilung, die Klarheit der Kriterien sowie die Eignung der Massnahmen zum Umgang mit Schwankungen von Asylgesuchen betrachtet (vgl. Anhang 2).
Zusammenfassung : Die PVK hält fest, dass die Verteilung grösstenteils angemessen ausgestaltet ist. Die Grundsätze und die Schritte der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone sind klar definiert. Durch die Berücksichtigung dieser Grundsätze und Schritte sowie zahlreicher weiterer Faktoren wird die Verteilung jedoch zwangsläufig komplex (Ziff. 3.1). Die Verteilkriterien sind klar, doch die Regeln zur Übersteuerung der vorgeschlagenen Kantonszuteilung lassen einen Ermessensspielraum offen (Ziff. 3.2). Die Notfallplanung Asyl ist so ausgestaltet, dass hohe Asylzahlen bewältigt werden können. Allerdings sind die zugrunde liegenden Szenarien überholt (Ziff. 3.3).
3.1 Die Grundsätze und Schritte der Verteilung sind klar definiert, doch die Verteilung ist komplex
Für die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone ist eine Vielzahl von Dokumenten massgebend. Die Auflistung dieser Grundlagendokumente in Tabelle 2 verdeutlicht, dass diese Dokumente alle wichtigen Aspekte der Verteilung abdecken und sich durch ihre unterschiedliche Form und ihren Detaillierungsgrad gut ergänzen. Die PVK erkennt keine Widersprüche zwischen Gesetzen, Verordnungen, Weisungen, Prozessen und Informationen.
Tabelle 2
Grundlagen für die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone
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| Kurztitel (Autor/-in, Datum) | Kernthemen |
|---|---|
| Rechtsgrundlagen | |
| AsylG (Bundesversammlung, 26.6.1998) | Grundsätze der Asylpolitik (Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone hauptsächlich in Art. 27 geregelt) |
| AsylV 1 (Bundesrat, 11.8.1999) | Grundsätze des Asylverfahrens (Kantonsverteilung hauptsächlich in Art. 21 geregelt, Verteilschlüssel in Anhang 3 definiert) |
| AsylV 2 (Bundesrat, 11.8.1999) | Grundsätze der Asylfinanzierung, insbesondere Bundesbeiträge an die Kantone |
| AsylV 3 (Bundesrat, 11.8.1999) | Grundsätze der Bearbeitung von Personendaten und des Betriebs von Informationssystemen im Bereich Asyl |
| Weisungen und Richtlinien | |
| Gemeinsame Erklärung (KKJPD, SODK, EJPD, 28.3.2014) | Gemeinsame Erklärung der Asylkonferenz zur Neustrukturierung des Asylbereichs |
| Weisung (SEM, 1.1.2008, Stand 1.3.2019) | Modalitäten der Zuweisung zur Unterbringung, zum Vollzug der Wegweisung und zur Gewährung von Nothilfe sowie Zuweisungsmodalitäten bei Gesuchsschwankungen |
| Interne Weisung (SEM, 1.9.2020) | Allgemeine Vorgaben zuhanden der zuständigen SEM-Mitarbeitenden für die Kantonsverteilung sowie die vollständige und korrekte Erfassung der Verteilprozesse; die Verteilregeln richten sich nach den Verteilkategorien. |
| Arbeitsanweisungen (SEM, 2.5.2023) | Mögliche Übersteuerungsgründe bei der Kantonsverteilung (Anhang 9 der internen Weisung) |
| Neue Regeln (SEM, 1.9.2023) | Informationen zu den Übersteuerungen bei der Verteilung und zu den neuen Verteilkommentaren |
| Eckwerte (EJPD, VBS, EFD, KKJPD, SODK, 14.4.2016) | Eckwerte der gemeinsamen Notfallplanung, die aufzeigen, auf welche Szenarien sich die Schweiz vorbereitet und welche Behörden im Rahmen dieser Szenarien welche Aufgaben zu erfüllen haben. |
| Behandlungsstrategie (SEM, 1.3.2019) | Prioritätenordnung für Behandlung der Gesuche |
| Voranmeldung von Spezialfällen (SODK, 4.10.2012) | Vorgaben für die Information der Kantone über die Zuweisung von Spezialfällen (Anhang 6 der internen Weisung) |
| Prozesse | |
| Handbuch Asyl und Rückkehr | Rechtsgrundlagen, Grundsätze sowie Zuständigkeiten der Kantone, Praxis des Bundesverwaltungsgerichts und Einzelfallpraxis des SEM |
| Prozess Eintritt und Registrierung (10.10) (SEM, 1.1.2022) | Phasen im Zusammenhang mit dem Eintritt und der Registrierung von Asylsuchenden (Anhang 1 der internen Weisung) |
| Prozess Kantonsverteilung (10.070) (SEM, 4.6.2021) | Schritte, Verantwortlichkeiten, Produkte, Empfängerinnen und Empfänger, Rechtsgrundlagen und Referenzdokumente (Anhang 2 der internen Weisung) |
| Dokumentation Reporting Erst- und Kantonsverteilung (REKA) (SEM, 2019) | Betrieb und Aktualisierung der Informationssysteme, die insbesondere für die Reportings verwendet werden |
| Schulungsunterlagen ZEMIS (SEM, 1.3.2021) | Anweisungen für den korrekten Einsatz von ZEMIS zur Verteilung von Asylsuchenden |
| Anmeldung von Spezialfällen | Anmeldeformular (Anhang 7 der internen Weisung) |
| Arbeitsanweisung zum Umgang mit Spezialfällen und Medizinalfällen (SEM) | Erfassung des Gesundheitszustands der Asylsuchenden (Anhang 8 der internen Weisung) |
| Informationen und Reporting | |
| Newsletter (SEM, bis zum 1.8.2023) | Halbjährliches externes Reporting über den Stand der Verteilung auf die Kantone nach Kategorie |
| Lageanalyse (SEM, bis zum 31.12.2022) | Vierteljährliches internes Reporting über den Stand der Verteilung auf die Kantone |
| Kompensationsmodell (SODK, KKJPD, SEM, 1.10.2018) | Kompensationsmodell nach der Neustrukturierung (Faktenblatt 7, Anhang 5 der internen Weisung) |
| Faktenblatt Notfallkonzept Asyl (SEM, 2013) | Ziele und Elemente des Notfallkonzepts, gesetzliche Notstandsklausel, Rolle des Sonderstabs Asyl und der Armee in einer ausserordentlichen Lage |
Legende: Sortiert zunächst nach Dokumentart und anschliessend absteigend nach Wichtigkeit; die wichtigsten Dokumente für die vorliegende Evaluation sind in Fettschrift.
Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone ist in den Rechtsgrundlagen und Weisungen klar definiert. Im AsylG und in der AsylV 1 sind die Grundsätze der Verteilung (Verteilkategorien, bevölkerungsproportionaler Verteilschlüssel, Kompensationsmodell und zu berücksichtigende Interessen) in angemessener Weise konkretisiert. Als Ergänzung zu den Rechtsgrundlagen hat das SEM eine Weisung betreffend die Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen bei der Zuweisung zur Unterbringung und zum Vollzug der Wegweisung herausgegeben. Zudem gibt es eine interne Weisung mit den Vorgaben für die SEM-Mitarbeitenden. Diese interne Weisung wird sinnvoll durch Anhänge ergänzt, welche die operativen Elemente präzisieren. Sie wird von den befragten Personen insgesamt als gutes und nützliches Instrument erachtet.
In der AsylV 1 ist festgelegt, welche Personengruppen das SEM in welcher Phase des Prozesses den Kantonen zuweist (Art. 21 Abs. 2). Aus der internen Weisung geht klar hervor, dass der Zeitpunkt der Kantonsverteilung in den Kernprozessen definiert ist, allerdings je nach Fallkonstellation variieren kann. Einer dieser Prozesse des SEM beschreibt ausführlich und nach Ansicht der Mehrheit der Befragten verständlich, wann eine Verteilung auf die Kantone erfolgt und welche Schritte zuvor durchlaufen sein müssen. In einer Grafik sind die verschiedenen Schritte des Entscheidprozesses inklusive Beschwerdefristen aufgeführt und eine Tabelle liefert einen Überblick über die verschiedenen Prozessschritte mit den jeweiligen Zuständigkeiten, den Empfängerkreisen und den massgebenden Rechtsgrundlagen, Weisungen und Anweisungen. ³6
Da zahlreiche verschiedene Faktoren berücksichtigt werden müssen, ist die Kantonsverteilung recht komplex. Die Vertretenden der befragten interkantonalen Konferenzen schätzen es, dass die Verteilung für die verschiedenen Verfahrenskategorien (Dublin, beschleunigt, erweitert) proportional zur Kantonsbevölkerung erfolgt, wie es an der zweiten nationalen Asylkonferenz ³7 beschlossen wurde. Dadurch wird gewährleistet, dass sich alle Kantone an der Integration von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen und an der Wegweisung abgewiesener Personen beteiligen. Die befragten Personen begrüssen auch die ANUM-Kriterien. Sie sind aber zum Teil der Ansicht, dass nicht alle Faktoren verständlich oder angemessen sind. Kritisiert wird z. B., dass die Kompensationen für besondere Leistungen kompliziert und die einschlägigen Dokumente unklar sind oder dass die Pauschalen des Bundes die Kosten, welche bestimmte Personen verursachen, nicht ausreichend decken (bspw. Sicherheitskosten oder Aufwände für UMA).
Die von der PVK angehörten SEM-Mitarbeitenden stimmen zu, dass die Verteilung äusserst komplex sei. Sie betonen jedoch, dass es die Kantone waren, die - in Abstimmung mit dem SEM - eine möglichst proportionale Verteilung wünschten, bei der die verschiedenen Verteilkategorien und -kriterien berücksichtigt werden. Wenn die Verteilung sowohl proportional nach Kantonsbevölkerung als auch nach anderen Kriterien erfolgen soll, entstehen unvermeidlich Zielkonflikte. Aus Sicht der PVK führt das Ziel einer möglichst proportionalen Verteilung unter Berücksichtigung der von den Kantonen gewünschten Faktoren zwangsläufig zu einer hohen Komplexität.
³6 Prozess Kantonsverteilung (10.070) des SEM von 2021.
³7 Gemeinsame Erklärung.
3.2 Die Verteilkriterien sind klar, doch manche Regeln lassen einen Ermessensspielraum offen
Die Kriterien, anhand von denen das SEM die Asylsuchenden auf die Kantone verteilt, sind in der internen Weisung aufgeführt. Sie entsprechen den Rechtsgrundlagen und sind klar, auch wenn sie nicht im Detail beschreiben werden. In der Weisung wird erwähnt, dass es je nach Kategorie unterschiedliche Verteilschlüssel gibt und welches die berücksichtigten spezifischen Kriterien (ANUM-Kriterien) sind. ³8 Gewisse rechtlich relevante Kriterien, wie bereits in der Schweiz lebende Familienangehörige, werden nicht berücksichtigt, da sie nicht Teil der Berechnung des eSyVAS-Verteilvorschlags sind.
Wegen der verschiedenen Verteilkriterien und der je nach Verfahrenskategorie unterschiedlichen Verteilschlüsseln ist es für die Sektion BMKV schwierig, die Verteilregeln leicht verständlich zu gestalten. In den Newslettern versucht die Sektion BMKV, möglichst klar und transparent zu den Verteilkriterien zu informieren - trotz deren Komplexität. So werden die Kriterien zu Beginn des Newsletters detailliert und kohärent erläutert. Was die ANUM-Kriterien anbelangt, wird z. B. erklärt, dass die verschiedenen Fokusgruppen den am häufigsten vertretenen Nationalitäten entsprechen und dass unter besonders betreuungsintensiven Fälle namentlich UMA und Medizinalfälle verstanden werden. ³9 Zudem wurde im Februar 2023 mit der Abbildung 6 eine willkommene und klare schematische Übersicht der Verteilregeln nach Kategorie geliefert.
Gemäss den befragten SEM-Mitarbeitenden bestehen die Herausforderungen darin, dass bestimmte Asylsuchende mehreren Untergruppen angehören (z. B. UMA, Medizinalfall, afghanische Staatsangehörigkeit) und es praktisch unmöglich ist, Regeln zu definieren, die sämtliche Konstellationen abdecken. Die Komplexität ist vor allem auf diese Differenz zwischen theoretischen Regeln und spezifischen Konstellationen in der Praxis zurückzuführen. Die meisten der befragten Kantonsvertretenden erachten die Verteilkriterien grundsätzlich als verständlich. Einige von ihnen kritisieren jedoch, dass es aufgrund der Komplexität der Kriterien in Verbindung mit den verschiedenen Faktoren, die bei der Verteilung berücksichtigt werden (Ziff. 3.1), schwer nachvollziehbar ist, weshalb in bestimmten Fällen die Regeln nicht eingehalten werden.
Die befragten Fachpersonen und einige Mitarbeitende der BAZ stellen die Klarheit der Kriterien nicht infrage, kritisieren aber, dass diese zu eng gefasst sind, um die Integration zu begünstigen. Der Begriff Familie umfasst gemäss Asylgesetzgebung einzig Mitglieder der Kernfamilie, also die Ehegatten und deren minderjährige Kinder (Art. 1 a AsylV 1). Bei Personen mit besonderem Betreuungsbedarf, insbesondere UMA und Medizinalfällen, gehören auch nahe Verwandte, die nicht Teil der Kernfamilie sind, oder andere Bezugspersonen dazu. Diese Interpretation des Familienbegriffs entspricht der EMRK (Art. 8), wird von einigen Akteuren aber als zu streng kritisiert. So werden beispielsweise volljährige Kinder oder Mitglieder der erweiterten Familie bei der Verteilung nicht berücksichtigt und deshalb viele Familien getrennt. Laut den befragten Fachpersonen fördert es die Integration von Asylsuchenden, wenn diese über ein familiäres und kulturelles Netz verfügen. Darüber hinaus müssten Kriterien, welche die berufliche Integration begünstigen (z. B. Sprachkenntnisse, Bildungsweg und Berufserfahrung), sowie das Potenzial im tertiären Bildungsbereich ihrer Ansicht nach bei der Verteilung stärker berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang setzen die befragten Fachpersonen grosse Hoffnungen in das aktuelle Pilotprojekt der ETHZ (Ziff. 1.3). Bei diesem geht es darum, die Integration von Asylsuchenden mittels eines Algorithmus zu verbessern, der eine grössere Anzahl Kriterien berücksichtigt. Die vorliegende Evaluation geht nicht auf dieses Pilotprojekt ein. Alternativ stellt sich für die Fachpersonen die Frage, ob die Hürden für einen Kantonswechsel reduziert werden sollten, damit sich Asylsuchende zwecks Arbeit oder Ausbildung einfacher in einem anderen Kanton niederlassen können.
Abbildung 6
Übersicht Verteilregeln nach Verteilkategorie
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Legende: Die Verteilschlüssel und -kriterien nach Verteilkategorien.
Bemerkung: Der Teil der Grafik zum Schutzstatus S wurde von der PVK weggelassen.
Quelle: Newsletter des SEM vom Februar 2023 (Verteilung von Januar bis Dezember 2022), 9.
In der internen Weisung wird festgehalten, dass die Gründe für eine Übersteuerung des eSyVAS-Verteilvorschlags durch Mitarbeitende des SEM in der entsprechenden Arbeitsanweisung aufgeführt sind. Die Arbeitsanweisung vom 2. Mai 2023 enthält eine Tabelle mit den Übersteuerungsgründen («Grund Übersteuerung», vgl. Abbildung 4 weiter oben), den möglichen Konstellationen und den in ZEMIS anzugebenden Bemerkungen. 4⁰ Laut der Mehrheit der befragten BAZ-Mitarbeitenden sind die interne Weisung sowie die Arbeitsanweisung bekannt und die Kriterien grundsätzlich klar. Sie erachten es jedoch nicht als einfach, den häufigen Änderungen der Übersteuerungsgründe stets zu folgen. Ausserdem sorge die Art der Kantonsverteilung im beschleunigten Verfahren, die sich nach dem Verfahrensstand richtet, teils für Verwirrung. 4¹ Einige BAZ-Mitarbeitende geben an, dass die Kantonsverteilung bestmöglich reglementiert ist, aber dennoch einen gewissen Ermessensspielraum offen lässt.
Aufgrund der Feststellung, dass die Anweisungen nicht korrekt angewandt wurden, hat die Sektion BMKV allen BAZ-Mitarbeitenden im September 2023, also nach Beginn der vorliegenden Evaluation, eine aktualisierte Version der Regeln zur Übersteuerung der Kantonsverteilung zugestellt. In diesem Dokument 4² wird (auch mithilfe einer Checkliste am Ende des Dokuments) verdeutlicht, dass die Mitarbeitenden der BAZ den Verteilvorschlag von eSyVAS nur aus zulässigen Gründen und unter Angabe einer genauen Begründung übersteuern dürfen. Zudem wurde die Tabelle mit den Regeln für die Übersteuerung (zulässige Gründe, mögliche Konstellationen, anzugebende Bemerkungen) aktualisiert. Die PVK hält fest, dass versucht wurde, den Ermessensspielraum bei der Anwendung der Regeln gegenüber der früheren Version einzuschränken: Neu werden zwölf Gründe genannt (ohne «S-Status» und «Sonstiges») und genauer beschrieben 4³ , es werden unter Konstellationen Beschreibungen statt Beispiele aufgeführt und im Sinne der besseren Rückverfolgbarkeit sind für fast alle Gründe Bemerkungen anzugeben.
³8 SEM, interne Weisung, 3.
³9 SEM, Newsletter.
4⁰ SEM, Arbeitsanweisungen, 3-4.
4¹ Personen im beschleunigten Verfahren, die ein BAZ im Rahmen des Dublin-Verfahrens ohne rechtsgültigen Entscheid verlassen, müssen einem Kanton zugewiesen werden. Sie fallen unter die Kategorie W, auch wenn sie sich nicht im erweiterten Verfahren befinden.
4² SEM, neue Regeln.
4³ Die folgenden Gründe sind dieselben wie in der früheren Version: «Familie in Schweiz», «medizinische Gründe», «Unterbringung», «Geburt», «Handlungsanweisung Steuerung». Die neuen Gründe sind: «Wegweisungsentscheid eröffnet ohne RK» (was die von den BAZ-Mitarbeitenden erwähnte Unklarheit in Bezug auf das beschleunigte Verfahren verringert), «Asylsuchender in Haft», «Abschreibung Gesuch», «Mehrfachgesuche», «mit Aufenthaltsbewilligung», «weitere Verfahrensschritte geplant» und «Resettlement» (dieser Punkt fiel früher unter «Sonstiges»).
3.3 Die Notfallplanung Asyl ist geeignet, aber die zugrunde liegenden Szenarien sind überholt
Die schwankende Zahl der Asylgesuche wirkt sich auf die Kantonsverteilung aus. In der Weisung des SEM wird kurz auf die Zuständigkeiten der Kantone und des SEM in Bezug auf den Umgang mit Schwankungen eingegangen: Die Kantone haben sich organisatorisch so aufzustellen, dass sie angemessen auf Schwankungen reagieren können. Das SEM wiederum muss die organisatorischen Vorkehrungen für den Ausgleich von kurzfristigen Schwankungen treffen und die Kantone wöchentlich über die zu erwartenden Zuweisungen informieren. 4⁴ Damit die Durchführung der Asylverfahren, die Unterbringung, die Betreuung sowie die Sicherheitsüberprüfungen auch in Notsituationen und bei einem starken Anstieg der Asylgesuche sichergestellt ist, verabschiedete der Bundesrat 2012 das Notfallkonzept Asyl. Im Jahr 2016 legten Bund, Kantone, Städte und Gemeinden Eckwerte für verschiedene Szenarien fest, die seither als Grundlage für das Notfallkonzept dienen (vgl. Tabelle 3).
Tabelle 3
Szenarien der Notfallplanung
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| Szenario | Anzahl eingereichter Asylgesuche | Zeitraum der Gesuchseinreichung |
|---|---|---|
| 1 | 10 000 | 30 Tage |
| 2 | 10 000 | 3 aufeinanderfolgende Monate |
| 3 | 30 000 | innert weniger Tage |
| 4 | sehr hoher Transitmigrationsdruck | |
| 5 | verstärkte Kontrollen an der Schweizer Grenze durch Nachbarstaaten | |
Bemerkung: Die Szenarien 4 und 5 wurden im April 2017 ergänzt.
Quelle: EJPD, VBS, EFD, KKJPD, SODK, Eckwerte von 2016, 1.
Tritt eines dieser Szenarien ein, kann die Notfallplanung aktiviert werden, damit verschiedene Massnahmen ergriffen werden, insbesondere die Zuweisung von Asylsuchenden an die Kantone vor Ablauf der Maximalaufenthaltsdauer in einem BAZ von 140 Tagen, die Bereitstellung von zusätzlichen Unterbringungsplätzen durch das SEM oder die subsidiäre Unterstützung durch die Armee. Aus Sicht der PVK ist das System der dynamischen Szenarien ein zweckmässiges präventives Planungsinstrument, da es mit den Instrumenten und der bestehenden Kompetenzverteilung im Asylbereich vereinbar ist. Es sieht verhältnismässige Massnahmen vor, die darauf abzielen, komplexe Entscheidungen, welche die Bewältigung einer ausserordentlichen Situation im Asylbereich ermöglichen, rasch zu treffen und umzusetzen. Die Kompetenzen des Bundes und der Kantone bleiben bei starken Gesuchsschwankungen grundsätzlich gleich wie im Normalzustand und es werden Prioritäten festgelegt. ⁴5 Bei Bedarf können das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) in Absprache mit der KKJPD und der SODK einen Sonderstab Asyl (SONAS) einsetzen, der alle Unterbringungs-, Betreuungs-, Sicherheits- und Kommunikationsmassnahmen koordiniert. ⁴6 Aus Sicht der Mehrheit der befragten Personen ist es sinnvoll, dass die übliche Kompetenzverteilung auch in einer ausserordentlichen Situation so weit wie möglich beibehalten wird. Die Schaffung eines zusätzlichen Führungs- und Koordinationsorgans wird daher als zweckmässig erachtet.
Die PVK hält jedoch fest, dass die Eckwerte der Szenarien nicht mehr aktuell sind. Diese wurden im April 2016 festgelegt, als Europa mit der grössten Migrationsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert war. Im Jahr 2015 wurden in der Schweiz 39 000 Asylgesuche eingereicht und man ging nicht von einem Rückgang im Jahr 2016 aus. Die Neustrukturierung des Asylbereichs stand erst noch bevor. Sie hatte insbesondere zum Ziel, die Verfahren zu beschleunigen, indem diese wann immer möglich in den BAZ durchgeführt werden. Die BAZ und die Kantone geraten heute bei einem plötzlichen Anstieg der Gesuche oder in einer ausserordentlichen Situation wie der Ukraine-Krise schnell unter Druck (Ziff. 4.6). Dieser Umstand zeigt aus Sicht der PVK, dass den Szenarien, die zu einer Aktivierung der Notfallplanung Asyl führen, stärker Rechnung getragen werden muss. Aus den Interviews mit dem SEM geht hervor, dass die Eckwerte in Zusammenarbeit mit den Kantonen 2024 aktualisiert werden sollen.
4⁴ SEM, Weisung (Ziff. 3.2, Punkte 1 und 2).
⁴5 Falls die verfügbaren Ressourcen nicht ausreichen, um alle Asylgesuche innert der vom AsylG vorgeschriebenen Ordnungsfristen zu erledigen, legt das SEM gemäss Artikel 37 b AsylG in einer Behandlungsstrategie fest, welche Asylgesuche prioritär behandelt werden (SEM, Behandlungsstrategie vom 1.3.2019).
⁴6 Die Zusammensetzung, die Aufgaben und die Funktionsweise dieses Sonderstabs aus den wichtigsten involvierten Akteuren sind in einer Weisung des EJPD geregelt, die am 11.5.2011 vom Bundesrat verabschiedet wurde.
4 Anwendung der Prozesse und Instrumente
Um zu beurteilen, ob die Prozesse und Instrumente für die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zweckmässig angewandt werden, hat die PVK in ihrer Evaluation die Umsetzung der Prozessvorgaben, die Eignung der Instrumente, die Interessenabwägung und Koordination zwischen den involvierten Akteuren sowie die Aktivierung der Notfallplanung Asyl untersucht (vgl. Anhang 2).
Zusammenfassung: Die PVK hält fest, dass die Prozesse und Instrumente teilweise zweckmässig angewandt werden. Die Prozesse funktionieren im Allgemeinen gut, werden jedoch von den einzelnen BAZ unterschiedlich umgesetzt (Ziff. 4.1), und die Überprüfung der Kantonsverteilung durch die Sektion BMKV ist nicht immer wirksam (Ziff. 4.2). Der Algorithmus bezieht wichtige Kriterien nicht ein und kann auf bestimmte Gruppen nicht angewandt werden (Ziff. 4.3). Im elektronischen System, das gestützt auf den Algorithmus einen Verteilvorschlag berechnet, können verschiedene Parametrisierungen vorgenommen werden, die jedoch nicht ausreichend transparent gemacht werden (Ziff. 4.4). Die Interessen der Asylsuchenden werden berücksichtigt, aber es stellen sich dabei Herausforderungen. Dies ist insbesondere der Fall bei einer Vielzahl zu bearbeitender Gesuche oder bei einer Zuweisung an einen Kanton ausserhalb der ursprünglichen Asylregion (Ziff. 4.5). Die Koordination zwischen Bund und Kantonen ist grundsätzlich zweckmässig. Die Zuweisungsstopps der Kantone sind für die Verteilung allerdings problematisch und die Notfallplanung Asyl wird bei einem starken Anstieg der Gesuche nicht genügend oft aktiviert (Ziff. 4.6).
4.1 Die Prozesse werden von den einzelnen BAZ unterschiedlich umgesetzt
Die Asylsuchenden werden in den BAZ gestützt auf die einschlägigen Prozesse auf die Kantone verteilt. Die grosse Mehrheit der befragten SEM-Mitarbeitenden ist der Ansicht, dass die Prozesse in den BAZ zweckdienlich und klar sind und grundsätzlich gut funktionieren. Darüber hinaus sind in ZEMIS Vorkehrungen getroffen, damit die Kantonsverteilung nur gestartet werden kann, wenn die folgenden beiden Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens ist die Person in ZEMIS erfasst und zweitens eine Verfahrensart ausgewählt. Den Mitarbeitenden des SEM werden in einem Dokument die verschiedenen Aspekte, die bei der Verteilung in ZEMIS geprüft werden müssen, klar erläutert. ⁴7
Die leicht abweichende Anwendung der Verteilprozesse erklärt sich durch die unterschiedlichen Gegebenheiten in den BAZ, die Verfahrensaufgaben in sechs verschiedenen Asylregionen wahrnehmen, und durch die Distanz der BAZ zum Hauptsitz des SEM. In einigen BAZ beispielsweise können die Verwaltungsmitarbeitenden den Verteilvorschlag in eSyVAS nur mit Bewilligung einer vorgesetzten Person übersteuern. Aus den Interviews geht ausserdem hervor, dass der Informationsaustausch innerhalb der BAZ zwischen den Fachspezialistinnen und -spezialisten, welche für das Verfahren verantwortlich sind, und den administrativen Mitarbeitenden teils nicht gut funktioniert. Auch zur Kompetenzverteilung gibt es unterschiedliche Auffassungen: Während die Zuständigkeit für die Kantonsverteilung laut der Sektion BMKV eindeutig bei den BAZ liegt, sind einige Mitarbeitende der BAZ der Meinung, dass die Generierung eines Vorschlags zwar in ihren Aufgabenbereich fällt, der definitive Entscheid für die Verteilung auf die Kantone allerdings der Sektion BMKV obliegt.
Besonders grosse Abweichungen in der Praxis der einzelnen BAZ gibt es bei der Übersteuerung der Verteilvorschläge des Systems. Die statistischen Analysen von PPC in Abbildung 7 verdeutlichen, dass der Anteil der Übersteuerungen je nach BAZ sehr stark variiert und zwischen 27 Prozent in der Region Zürich und 62 Prozent in der Region Westschweiz liegt. Die Analysen zeigen zudem, dass die von den BAZ angeführten Gründe insgesamt sehr heterogen sind. Die am häufigsten gewählte Kategorie «Sonstiges» wurde beispielsweise in der Westschweiz bei 17 Prozent und im Tessin sowie in der Zentralschweiz nur bei 4 Prozent der Fälle angegeben. In der Westschweiz werden die Gründe «Unterbringung», «Zuweisung innerhalb der eigenen Region bevorzugt» und «Verschwunden» deutlich häufiger angegeben als in den anderen BAZ.
Abbildung 7
Anteil der Übersteuerungen des Vorschlags pro BAZ
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
Bemerkung: N = 52 749. Nicht enthalten: Status S sowie Daten ohne Regionsangabe und Übersteuerungen an den Flughäfen Zürich und Genf.
Quelle: Gestützt auf den PPC-Bericht, Abbildung 22, 33.
Die PVK kommt gestützt auf die Interviews mit dem SEM zum Schluss, dass es zwei Hauptgründe für diese unterschiedliche Handhabung der Übersteuerungen gibt. Erstens gibt es Unterschiede zwischen den Regionen in Bezug auf die Asylverfahren. Manche BAZ weisen die Asylsuchenden häufiger dem Dublin-Verfahren als dem erweiterten Verfahren zu. Dies kann auch von der konkreten Zusammensetzung der Asylsuchenden im BAZ abhängen. Je nachdem, welches Verfahren am häufigsten ist, treten auch bestimmte Übersteuerungen vermehrt auf (z. B. Übersteuerungen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Wegweisung bei vielen Dublin-Fällen). Zweitens werden die Arbeitsanweisungen zur Kantonsverteilung von den BAZ-Mitarbeitenden aufgrund von unterschiedlichen Mentalitäten der Regionen nicht einheitlich umgesetzt. Die Interviews haben ergeben, dass die BAZ-Mitarbeitenden die interne Weisung und die Arbeitsanweisung grundsätzlich zwar kennen, diese aber nur selten anwenden. Zudem sind die neuen Mitarbeitenden der BAZ nicht im Detail mit diesen Unterlagen vertraut.
Die Sektion BMKV hat Schulungen in den BAZ zur Kantonsverteilung aufgenommen, betont aber, wie wichtig ein gewisser Handlungsspielraum im Umgang mit den systemimmanenten Zielkonflikten ist (Ziff. 3.1). Alle befragten BAZ-Mitarbeitenden begrüssen die Schulungen und erachten sie als nützlich. Darüber hinaus hat die Sektion BMKV mit neuen Regeln Klarheit geschaffen in Bezug auf die zulässigen Gründe für eine Übersteuerung der Kantonsverteilung (Ziff. 3.2). Das heterogene Vorgehen bei der Übersteuerung der Verteilvorschläge birgt, insbesondere angesichts des hohen Anteils an Übersteuerungen, die Gefahr von Ungleichbehandlungen, da die Asylsuchenden je nach BAZ, in dem sie registriert sind, anders behandelt werden (Ziff. 5.3).
⁴7 SEM, Schulungsunterlagen ZEMIS.
4.2 Die Daten für die Kantonsverteilung enthalten inkohärente Werte
Die Verteilentscheide der BAZ gehen zur Begutachtung und Genehmigung an die Sektion BMKV. Hierbei sind zwei Varianten denkbar: Wird die Verteilung als korrekt erachtet, wird sie direkt in ZEMIS validiert; wird sie hingegen als unkorrekt oder unvollständig erachtet, können verschiedene Felder korrigiert werden. ⁴8 Aus den Interviews geht hervor, dass die Sektion BMKV jede Verteilung überprüft. Für diese Überprüfung werden aufgrund der hohen Fallzahlen jedoch nur wenige Sekunden aufgewendet und überprüft werden auch nur bestimmte Referenzinformationen, namentlich die Personenkategorie, das Geburtsdatum und allfällige medizinische Formulare. Sind die Informationen unvollständig oder problematisch oder ist die Übersteuerung des eSyVAS-Vorschlags nicht plausibel, kontaktiert die Sektion BMKV das zuständige BAZ. Alle zu diesem Thema befragten Personen haben den Austausch zwischen den BAZ und der Sektion BMKV als gut und effizient beurteilt.
Die PVK hält fest, dass es für die Überprüfung keine Prozessbeschreibung gibt. Die Sektion BMKV hat ein Prüfverfahren erarbeitet, das gewährleisten soll, dass im Rahmen der verfügbaren Ressourcen alle wichtigen Informationen geprüft werden. Die Analysen von PPC haben allerdings gezeigt, dass in den Daten, die als Grundlage für die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone dienen, gewisse Werte fehlen oder inkohärent sind. Einige dieser Lücken betreffen Informationen, die von der Sektion BMKV geprüft werden: So fehlte in rund 14 Prozent der Fälle die «Personenkategorie» und in 10 Prozent der Fälle das «Geburtsdatum». ⁴9 Das SEM konnte nachträglich einen Teil der fehlenden Werte in den Daten, die der PVK zur Verfügung gestellt wurden, erklären. Ausserdem sind laut Stellungnahme des EJPD im elektronischen System Plausibilitätsregeln hinterlegt, welche die Verteilung auf die Kantone verhindern, wenn beispielsweise die Personendaten nicht vollständig erfasst sind. Es kann jedoch festgehalten werden, dass die Bearbeitung der für die Kantonsverteilung relevanten Daten durch das SEM nicht transparent genug und die Rückverfolgbarkeit mangelhaft ist.
⁴8 Austrittsdatum, Verteildatum, ob eine Verteilung einem Kanton angerechnet werden soll oder nicht, Korrektur des Kantons (unter Angabe eines Grundes). SEM, Schulungsunterlagen ZEMIS, 12.
⁴9 PPC-Bericht, 15. Weitere Analysen von PPC haben ergeben, dass in jenen Fällen, in denen eines dieser Felder ohne Wert blieb auch die anderen Felder keine Werte enthielten und es sich hierbei somit um eine Sonderkonstellation handelt.
4.3 Der Algorithmus berücksichtigt wichtige Kriterien nicht und kann auf bestimmte Gruppen nicht angewandt werden
Der Verteilvorschlag von eSyVAS basiert auf einer Klassierung der 26 Kantone, die von einem Algorithmus gestützt auf eine Reihe von Kriterien und Funktionalitäten berechnet wird. Abbildung 8 illustriert die Funktionsweise des Algorithmus, die in drei Schritte aufgegliedert ist: Zuerst werden die aktuellen Informationen zusammengetragen, dann werden drei Terme berechnet, um für jeden Kanton die Abweichung des Ist-Zustands vom Soll-Zustand zu quantifizieren, und schliesslich wird der optimale Verteilkanton vorgeschlagen.
Abbildung 8
Funktionsweise des Algorithmus
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Legende: Elemente in roter Schrift sind nicht umgesetzt.
Quelle: Basierend auf dem PPC-Bericht, Abbildung 2, 9.
Die Mehrheit der befragten Personen beurteilt den Einsatz des Algorithmus positiv. Kritisiert wurde einzig, dass externe Gegebenheiten nicht berücksichtigt werden wie die Migrationskrise oder die Zuweisungsstopps einiger Kantone. Auch bestimmte Kriterien werden vom Algorithmus ausser Acht gelassen, namentlich die Einheit der Familie (Ziff. 3.2). Aus Sicht der PVK ist der Algorithmus insofern hilfreich, als er unter Berücksichtigung zahlreicher und komplexer Verteilkriterien (Ziff. 3.1) die unmittelbare Erstellung eines Verteilvorschlags ermöglicht. Allerdings bestehen gewisse Mängel, auf die in den nächsten Abschnitten detailliert eingegangen wird: Der Algorithmus berücksichtigt bei der Erstellung der Klassierung nicht alle Kriterien, wendet nicht all seine Funktionalitäten an und generiert einen Verteilvorschlag, der auf bestimmte Personengruppen nicht angewandt werden kann. Im Weiteren funktioniert der Algorithmus bei einer hohen Anzahl Gesuche besser (Ziff. 5.2). Diese Schwachstellen beeinträchtigen die ausgleichende Wirkung des Algorithmus, sprich eine proportionale Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone, obschon genau dies dessen Hauptzweck ist.
Bei der Verteilung per Algorithmus werden die meisten, aber nicht alle der Kriterien aus der AsylV 1 berücksichtigt (Ziff. 2.1). So wird in den Kategorien B und W eine proportionale Verteilung nach Kantonsbevölkerung und nach ANUM-Kriterien vorgenommen. Der Algorithmus berücksichtigt auch die Kompensationen und die Vorgabe, dass jeder Kanton mindestens zehn Prozent seines Anteils an Asylsuchenden im erweiterten Verfahren übernehmen muss. Vom Algorithmus nicht miteinbezogen werden jedoch in der Schweiz lebende Familienangehörige. Bei fast der Hälfte der Übersteuerungen und bei rund fünf Prozent der Korrekturen des Verteilvorschlags wird das rechtliche Kriterium der Vereinigung der Familie im erweiterten Sinne (Einheit der Familie und Geburt) als Grund angegeben (Ziff. 5.3). Laut SEM wurde die Zahl der Personen, die bereits Familienangehörige in der Schweiz haben, unterschätzt. Um die Rechtsvorschriften einzuhalten, muss der Verteilvorschlag in diesen Fällen übersteuert werden. Darüber hinaus werden für die Berechnung des Ist-Zustands bestimmte Personengruppen, die sich tatsächlich in den Kantonen befinden, nicht angerechnet («nicht anrechenbare» Asylsuchende wie Neugeborene bei bestimmten Verfahrensständen der Mutter oder Personen, die ein Mehrfachgesuch stellen). Da der Ist-Zustand eine wichtige Grundlage für die Verteilung ist, kann dies künftige Verteilvorschläge beeinflussen.
Bei der Konzeption des Algorithmus wurde vorgesehen, dass dieser für alle ausgewählten Kriterien drei Terme berechnet und gestützt darauf einen Verteilvorschlag erstellt (« proportionaler Term », « Änderungsterm » und « Summenterm »). Es wurden jedoch nur zwei dieser Terme implementiert, der proportionale Term und der Änderungsterm (vgl. Abbildung 8). Der Summenterm sollte die historische Abweichung eines Kantons vom Soll-Zustand berechnen mit dem Ziel, systematische Abweichungen zu korrigieren. Laut der Sektion BMKV wäre die Implementierung dieses Terms allerdings kompliziert und ohne grosse Auswirkung auf die Gesamtverteilung. Dies wurde von einem der Entwickler des Algorithmus auf Nachfrage bestätigt. Seiner Ansicht nach wäre der Summenterm sinnvoll, wenn nicht nur eine proportionale Verteilung innerhalb eines Kalenderjahres, sondern über mehrere Jahre hinweg angestrebt würde. Dies ist aktuell nur für die Kompensationen in der Kategorie W der Fall. Der Summenterm würde zu einer möglichst proportionalen Verteilung beitragen 5⁰ ; angesichts der verschiedenen vom Algorithmus berücksichtigten Kriterien und der zahlreichen Übersteuerungen (Ziff. 5.1) könnten die Abweichungen allerdings trotzdem nicht präzise ausgeglichen werden.
Der vom Algorithmus berechnete Verteilvorschlag kann auf bestimmte Personengruppen nicht angewandt werden. Auf der einen Seite müssen die Verteilvorschläge für bestimmte Gruppen stets übersteuert werden, nämlich für Asylsuchende im Resettlement-Programm (der Kanton wird bereits vor deren Ankunft festgelegt), Personen mit Status S (bis Ende 2022 Verteilung in Kategorie B, vgl. Ziff. 1.3) und Personen, die Teil des Pilotprojekts der ETHZ sind (Berücksichtigung von Kriterien, die für die berufliche Integration relevant sind). Auf der anderen Seite sind Asylsuchende mit Status S ab 2023 ausserhalb des elektronischen Systems verteilt worden. Diese Personengruppen machen insgesamt mehr als die Hälfte der Personen aus, die auf die Kantone verteilt werden müssen. 5¹
5⁰ Da die Abweichungen zwischen der Soll- und Ist-Verteilung immer in den gleichen Kantonen und Unterkategorien besonders gross sind (Ziff. 5.1), könnte der Summenterm diese historischen Abweichungen bis zu einem bestimmten Grad ausgleichen.
5¹ Zu diesen Gruppen gehören 88 956 von insgesamt 157 065 Personen (N Total), also 56,6 % (Resettlement-Programm: 2148 Personen, Status S: 84 503 Personen, ETHZ-Pilotprojekt: 2305 Personen).
4.4 Die Parametrisierungen im elektronischen Systems werden nicht ausreichend transparent gemacht
Gemäss den Personen, die eSyVAS nutzen ist das System funktional und nützlich, enthält aber gewisses Verbesserungspotenzial. Die Sektion BMKV hat das Informatik Service Center des Departements (ISC-EJPD) bereits gebeten, die Benutzeroberfläche von eSyVAS anzupassen. Allerdings verfügt das ISC-EJPD nicht über genügend Ressourcen und es dauert lange, gewisse Änderungen in eSyVAS umzusetzen, so dass sie konkret genutzt werden können. Laut den Interviews müssen die Informatikinstrumente zur Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone (namentlich eSyVAS, der Algorithmus und das Reportinginstrument REKA) im Rahmen einer Erneuerung von ZEMIS, die bis 2027 umgesetzt werden soll, überprüft werden.
In der vom SEM zur Verfügung gestellten Dokumentation wird nicht beschrieben, welche Parametrisierungen in eSyVAS vorgenommen werden können. 5² Diese Parametrisierungen wirken sich jedoch stark auf den Verteilvorschlag des Systems aus. Die Kantonsverteilung wurde beispielsweise wie folgt geändert: Für Asylsuchende in der Verteilkategorie V schlägt der Algorithmus einen Kanton in der Asylregion der Erstverteilung vor, der über ein Ausreisezentrum verfügt. Für Asylsuchende in den Verteilkategorien W und B schlägt der Algorithmus eine Klassierung der 26 Kantone vor, doch in eSyVAS (vgl. «Kanton Vorschlag», Abbildung 4) wird der Kanton der Erstverteilung angezeigt, sofern sich dieser in den Top 3 befindet. Den SEM-Mitarbeitenden wird von eSyVAS somit aufgrund der vom SEM vorgenommenen Parametrisierungen nicht zwangsläufig der optimale Kanton gemäss Algorithmus vorgeschlagen. Laut Aussagen in den Interviews trägt diese Konfiguration dazu bei, einen Kompromiss zwischen einer proportionalen Verteilung und einem nahegelegenen Kanton zu finden; die örtliche Nähe erleichtert die Organisation des Verfahrens, insbesondere bei mehreren Anhörungen und für die Kontakte mit dem Rechtsschutz (Ziff. 4.5).
Die unterschiedliche Gewichtung der ANUM-Kriterien durch das SEM bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone geht auf keinerlei Rechtsgrundlagen, Weisungen oder Informationen zurück. Zum Zeitpunkt der vorliegenden Evaluation sind die Kriterien UMA und Medizinalfälle mit Faktor 2 gewichtet, die anderen Kriterien mit Faktor 1. Der Algorithmus strebt folglich eher eine Lösung an, bei welcher UMA und Medizinalfälle proportional verteilt sind und nimmt dafür bei den Nationalitäten Abweichungen in Kauf. Laut den Interviews mit der Sektion BMKV geht die Gewichtung auf keinerlei Rechtsgrundlagen zurück, da es sich um eine technische Entscheidung handelt. Die UMA und die Medizinalfälle werden stärker gewichtet, da die Kantone der Verteilung dieser beiden Kriterien besondere Beachtung schenken. Laut SEM messen die Kantone den Ergebnissen grössere Bedeutung zu als der operativen Transparenz. Die PVK stellt die Zulässigkeit dieser Parametrisierungen nicht infrage, ebenso wenig die rechtliche Befugnis des SEM, diese vorzunehmen. Sie hält aber fest, dass die Parametrisierungen merklich beeinflussen, wie die rechtlichen Vorgaben für die Verteilung umgesetzt werden, und dass sie vor allem für die Kantone nicht transparent sind.
5² PPC-Bericht, 13.
4.5 Die Interessen der Asylsuchenden werden berücksichtigt, was jedoch Herausforderungen mit sich bringt
Gemäss AsylG gilt bei der Kantonsverteilung einzig das Interesse der Asylsuchenden auf Einheit der Familie als schützenswert (Ziff. 2.1). Folglich muss diesem Interesse bei der Verteilung auf die Kantone Rechnung getragen werden. Wird dies unterlassen, können die betroffenen Asylsuchenden Einsprache einlegen und einen Kantonswechsel beantragen. Damit die Asylsuchenden ihre Interessen geltend machen können, steht ihnen vom ersten Tag an eine unentgeltliche Rechtsvertretung zu. Die UMA werden ausserdem von einer Vertrauensperson begleitet.
Laut SEM und Kantonen sind diese Kanäle für die Vertretung der Interessen der Asylsuchenden von entscheidender Bedeutung und ausreichend. Sie können allerdings nur gewährleistet werden, wenn das SEM in den BAZ über ausreichend Personal- und Logistikressourcen verfügt. Laut den Vertretenden der Flüchtlingsorganisationen war dies teils nicht der Fall, wenn viele Gesuche zu bearbeiten waren. Ausserdem stellt sich die Frage, ob der Rechtsschutz in ausreichendem Mass gewährleistet werden kann, wenn eine asylsuchende Person in eine andere Asylregion verlegt wird. In diesen Fällen muss das Dossier an eine Rechtsvertretung der neuen Asylregion übergeben werden. Die BAZ-Mitarbeitenden haben der PVK erläutert, dass es einen grossen Organisationsaufwand für den Rechtsschutz sowie für die asylsuchende Person selbst bedeutet, wenn diese einem Kanton einer anderen Asylregion zugewiesen wurde, aber noch Anhörungen im BAZ hat und dementsprechend dorthin reisen muss.
Die PVK kommt zum Schluss, dass der Anspruch der Asylsuchenden auf Einheit der Familie berücksichtigt wird, indem die Mitarbeitenden des SEM über den notwendigen Spielraum verfügen, um den Verteilvorschlag des elektronischen Systems einzelfallspezifisch zu ändern. Laut Aussagen der SEM-Mitarbeitenden kommt es bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone jedoch oft zu Konflikten zwischen dem Ziel, dem persönlichen Schicksal der Asylsuchenden Rechnung zu tragen, und dem Ziel, eine möglichst proportionale Verteilung zu erreichen. Zudem stehen den Asylsuchenden zwar Kanäle zur Geltendmachung ihrer Interessen offen, doch ist es nicht immer einfach, den Zugang zu diesen Kanälen effizient sicherzustellen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn viele Gesuche zu bearbeiten sind oder eine Zuweisung an einen Kanton ausserhalb der ursprünglichen Asylregion erfolgte.
4.6 Die Koordination mit den Kantonen ist zweckmässig, aber die Notfallplanung wird nicht genügend oft aktiviert
Da der Bund für die Zuweisung der Asylsuchenden an die Kantone verantwortlich ist und die Kantone für die Unterbringung der Asylsuchenden zuständig sind, braucht es eine Koordination zwischen dem SEM und den kantonalen Stellen. Die befragten Personen erachten die Koordination im Allgemeinen als gut und sind der Ansicht, dass der Austausch gut funktioniert. Das SEM und die Kantone sind der Meinung, dass es genügend Kanäle zwischen Bund und Kantonen gibt, um die jeweiligen Sichtweisen und Interessen einzubringen und Informationen auszutauschen.
Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone bringt jedoch einige Schwierigkeiten mit sich. So wird das Asylmanagement der Schweiz auch von aussen beeinflusst. Beispielsweise weigert sich Italien seit Dezember 2022, Asylsuchende zurückzunehmen, für die es laut Dublin-Verfahren zuständig wäre, was Blockaden, erhebliche Verfahrensänderungen und Zusatzaufwand für die BAZ-Mitarbeitenden verursacht. In der Schweiz bestehen Interessenkonflikte zwischen jenen Kantonen, die den Verteilschlüssel anpassen möchten und Ausnahmen zu ihren Gunsten wünschen, und dem Bund, der eine möglichst proportionale Verteilung gewährleisten und diese kommunizieren muss. Die Zuweisungsstopps (vgl. Ziff. 2.2), welche die Kantone für einen Tag oder eine Woche aussprechen können, stellen ein Problem dar. Diese Stopps führen zu Mehrarbeit in den BAZ, insbesondere in Phasen mit vielen Gesuchen, da die Personen bis zu ihrem allfälligen Austritt in einen Kanton in den BAZ untergebracht sind. 5³ Laut der Sektion BMKV halten sich die Kantone nicht immer an die Regeln und es kommt vor, dass die Zuweisungsstopps nicht nur eine Woche, sondern bis zu zwei Monate dauern, ohne dass das SEM etwas dagegen unternehmen kann. Bei solchen verlängerten Stopps werden den Kantonen keine Fälle mehr zugewiesen. Nach der Aufhebung des Zuweisungsstopps wollen die Kantone die Asylsuchenden in der Regel gestaffelt aufnehmen, sprich nicht zu viele auf einmal, wohingegen eSyVAS dazu tendiert, den Stopp auszugleichen, indem es die nächsten Fälle dem entsprechenden Kanton zuweist.
Laut der Mehrheit der befragten Personen hat die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone nur 2019 «normal» funktioniert, seither sei die Situation global von Schwankungen geprägt. Abbildung 9 zeigt die Entwicklung der Anzahl Asylgesuche pro Monat seit der Neustrukturierung. Gut erkennbar sind der Rückgang der Gesuche aufgrund der Covidkrise im Jahr 2020 und der Anstieg im Herbst 2022 und 2023. Wie aus den Interviews hervorgeht, führt eine hohe Zahl eingehender Gesuche dazu, dass die BAZ stark ausgelastet sind, die Verfahren beschleunigt werden müssen, um Plätze freizugeben, und die BAZ wie auch die Kantone rasch an ihre Grenzen stossen.
Abbildung 9
Entwicklung der Anzahl in der Schweiz eingereichter Gesuche seit der Neustrukturierung
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Legende: Total der eingereichten Asylgesuche pro Monat, von März 2019 bis Dezember 2023 (rote Kurve: Personen mit Status S).
Quelle: SEM, Asylstatistik.
Aufgrund der hohen Asylgesuchszahlen und der vielen Geflüchteten aus der Ukraine wurde im Oktober 2022 die Notfallplanung Asyl aktiviert, was in den Interviews angesichts der damals angespannten Situation einhellig begrüsst wurde. Die vorzeitige Zuweisung an die Kantone wurde zudem als letztes Mittel eingesetzt, da dem Umstand Rechnung getragen wurde, dass die Kantone aufgrund der Krise in der Ukraine bereits relativ stark ausgelastet waren. 5⁴ Einige der befragten Kantone und Fachpersonen sind der Ansicht, dass die Notfallplanung stärker umgesetzt werden müsste. Diese hätte ihrer Meinung nach beispielsweise auch im Herbst 2023 aktiviert werden sollen, da man sich faktisch in derselben problematischen Situation befand wie im Jahr zuvor. In der Tat war die Zahl der eingereichten Gesuche im Oktober 2022 (5965 mit Status S) vergleichbar mit jener im Oktober 2023 (5938 mit Status S), wie die Abbildung 9 zeigt.
Laut den Aussagen der Vertretenden des Bundes und der Kantone passt das SEM die Koordination angemessen an die Schwankungen an. Werden viele Asylgesuche eingereicht, intensiviert sich der Austausch mit den Kantonen, da Krisenausschüsse eingesetzt und regelmässig Newsletter verschickt werden. Ziel ist es, den Kantonen in Krisenzeiten so viele Informationen wie möglich zu liefern. Die Kantone beurteilen den Austausch innerhalb des SONAS bei der Aktivierung der Notfallplanung Asyl im Herbst 2022 positiv. Hingegen kritisieren sie die Kommunikation zur Aktivierung der Notfallplanung deutlich: Zum einen hätte der Bund, der für die Erstunterbringung verantwortlich ist, für ausreichend Reserven sorgen sollen; zum anderen seien die Kantone über Massnahmen, die sie betreffen, teils erst kurz vor Veröffentlichung der entsprechenden Medienmitteilung informiert und so unvorbereitet getroffen worden. Die PVK ist der Ansicht, dass das SEM den Verantwortlichen in den Kantonen die Entwicklungen im Asylbereich am 20. Oktober 2022 5⁵ sachlich und adäquat mitgeteilt hat, die Zeitspanne von vier Tagen (vom 20. bis zum 24.10.2022) jedoch kurz gewesen ist, um die Kantone über weitere Entwicklungen zu informieren ⁵6 . Dies umso mehr, als mit diesem Schreiben auch Massnahmen zur Steigerung der Austritte von Asylsuchenden aus den BAZ in die Kantone angekündigt wurden.
Eine weitere Kritik der befragten Personen betrifft die Prognosen des SEM. Diese seien zu unpräzise und würden die Gesuchszahlen tendenziell zu hoch einzuschätzen. Das SEM erstellt immer im Januar Prognosen für das bevorstehende Jahr, die den Kantonen als Grundlage für die Planung ihrer Unterbringungskapazitäten dienen. Falls sich im Frühling zeigt, dass die Prognosen nicht korrekt sind, werden sie ab April oder Mai angepasst und kommuniziert. Bei der Aktivierung der Notfallplanung Asyl im Oktober 2022 informierte das SEM die Kantone darüber, dass es seine Prognose aufgrund der jüngsten Entwicklungen nach oben korrigiert hat und dass neu das Szenario «hoch» gilt. ⁵7 Die PVK relativiert die Kritik an den Prognosen des SEM, da aus den Statistiken des Staatssekretariats hervorgeht, dass der Unterschied zwischen der tatsächlichen und der vorhergesagten Anzahl der 2022 eingereichten Asylgesuche klein ist und die Prognosen für die Monate Oktober und November unter dem oberen Bereich liegen. ⁵8 Darüber hinaus weisen die übermittelten Dokumente ⁵9 darauf hin, dass das SEM die vorhandenen empirischen Daten zur internationalen Lage bestmöglich eingesetzt hat, um den Anstieg der Asylgesuche für die Schweiz vorherzusagen, was in einer Krise schwieriger ist als in normalen Zeiten. Laut SEM sind die Erwartungen der Kantone an die Prognosen sehr hoch und können nicht vollumfänglich erfüllt werden.
Die befragten Personen gehen im Allgemeinen einig darin, dass das Problem der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone bei hohen Gesuchszahlen nicht auf Regelungslücken zurückzuführen ist, sondern auf mangelnde Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten.
5³ In diesen Fällen schickt die Sektion BMKV Flash-Infos zur Kantonsverteilung an die BAZ, um die Mitarbeitenden zu informieren, welche Kantone und Unterkategorien von der Verteilung der Asylsuchenden ausgeschlossen sind.
5⁴ SONAS, Protokoll der Sitzung vom 19.10.2022.
5⁵ SEM, Schreiben vom 20.10.2022 an die Mitglieder der KKJPD und der SODK.
⁵6 SEM, Schreiben vom 24.10.2022 an die Mitglieder der KKJPD und der SODK.
⁵7 Laut SEM (Schreiben vom 20.10.2022 an die Mitglieder der KKJPD und der SODK) war bis zum Jahresende 2022 in der Schweiz mit total 22 000 Asylgesuchen (± 2500) und im Oktober, November und Dezember mit je 2600 Gesuchen (± 350) zu rechnen.
⁵8 2022 wurden in der Schweiz 24 511 Gesuche eingereicht, davon 3208 im Oktober, 3568 im November und 2692 im Dezember. Geflüchtete aus der Ukraine mit Schutzstatus S sind nicht eingerechnet.
⁵9 LZ Asyl SEM, 20.10.2022, Lage Ukraine und Migrationsbewegungen, KSA/KUk.
5 Tatsächliche Verteilung auf die Kantone
Um die Zweckmässigkeit der effektiven Kantonsverteilung zu bewerten, analysierte die PVK, inwiefern die Unterschiede zwischen Ist- und Soll-Verteilung der Asylsuchenden begründet sind und ob die Kantonsverteilung angemessen überprüft wird (vgl. Anhang 2). Die detaillierten Ergebnisse zu den Ziffern 5.1 bis 5.3 sind im Bericht von PPC mit den statistischen Analysen zu finden. 6⁰
Zusammenfassung: Grundsätzlich ist die tatsächliche Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone (Ist-Verteilung) bedingt zweckmässig aufgrund der beträchtlichen Abweichungen zur Verteilung, die gemäss dem Algorithmus zu erwarten wäre (Soll-Verteilung). In Anbetracht der rechtlichen Vorgaben besteht allerdings kein grosser Spielraum, um die Abweichungen zu verkleinern (Ziff. 5.1). Die Abweichungen sind besonders gross in kleinen Unterkategorien und in Kantonen mit geringer Bevölkerung sowie bei tiefen Gesuchzahlen (Ziff. 5.2). Ausserdem wird der vom System berechnete Verteilvorschlag sehr häufig manuell übersteuert. Dies erfolgt zu einem grossen Teil aus zwingenden Gründen. Die Gründe für Übersteuerungen und Korrekturen werden allerdings nicht immer verständlich und systematisch erfasst (Ziff. 5.3). Das SEM-interne Reporting zur Kantonsverteilung ist angemessen, das externe gegenüber den Kantonen hingegen zu umfangreich (Ziff. 5.4).
5.1 Es gibt beträchtliche Abweichungen zwischen der Ist- und Soll-Verteilung
Gemäss SEM ist bei der Kantonsverteilung entscheidend, dass sich die Abweichungen zwischen Ist- und Soll-Verteilung in den Kantonen per Ende Jahr ausgleichen. Dies hat finanzielle Gründe: Die vom Bund an die Kantone ausbezahlten Pauschalbeiträge sind an die Anzahl der asylsuchenden Personen geknüpft (Ziff. 2.1). Sie werden zwar quartalsweise ausbezahlt, allfällige Korrekturen der Auszahlungen erfolgen jedoch jährlich (Art. 5 AsylV 2). Gemäss den Vorgaben des SEM sind bei den Verteilkategorien B und W Abweichungen im Bereich von plus oder minus 5 % akzeptabel. Dieser Zielwert wurde vom SEM anhand von Simulationen des Algorithmus im Vorfeld von dessen Einführung im Jahr 2019 festgelegt. 6¹ Eine Auswertung von PPC in den beiden Verteilkategorien zeigt, dass die schweizweiten Abweichungen auch per Jahresende jeweils noch sehr hoch sind und die besagten Zielwerte im Untersuchungszeitraum nie eingehalten wurden. Die hohen durchschnittlichen Abweichungen können zu einem gewissen Grad zwar mit Ausreisser-Kantonen erklärt werden, das heisst durch einige wenige Kantone mit sehr hohen Abweichungen. Es wurde deshalb jeweils auch noch der Median berechnet, sprich der Abweichungswert desjenigen Kantons, bei dem die Hälfte der Kantone eine grössere und die andere Hälfte eine kleinere Abweichung vorweist. Auch hier liegen die Abweichungen stets deutlich über 5 % (mit Ausnahme der Kategorie W im Jahr 2022). Auch wenn die Kantone einzeln betrachtet werden, wurde dieser Zielwert meist von einem grossen Teil der Kantone verfehlt. So konnten ihn im Jahr 2020 nur drei Kantone in der Kategorie B erlangen. Am höchsten war die Anzahl im Jahr 2022 mit zwölf Kantonen mit einer Abweichung unter 5 % in der Kategorie W.
Ausserordentlich hohe Abweichungen sind im Jahr 2019 in der Verteilkategorie W zu verzeichnen. Diese sind allerdings primär einem technischen Fehler geschuldet, der erst einige Monate nach Inkrafttreten des neuen Systems entdeckt und im Dezember 2019 korrigiert wurde. Er führte dazu, dass einige Kantone zu viele und einige zu wenige Asylsuchende zugeteilt erhielten. 6² Um diesen Fehler auszugleichen, wurden die Differenzen zwischen Ist und Soll in der Kategorie W auf das Folgejahr übertragen. Diese Übertragung wird seither jedes Jahr gemacht. 6³
Während bei der Kategorie W somit die Differenzen am Ende des Jahres auf das Folgejahr übertragen werden, ist dies bei den anderen zwei Verteilkategorien B und V nicht möglich. Differenzen in der Kategorie B werden somit nie ausgeglichen, wenn zu Jahresende Abweichungen vorliegen. Dies liegt daran, dass bei der Verteilung der Asylsuchenden generell das Jährlichkeitsprinzip gilt, das heisst die Verteilung wird nach Jahren getrennt (mit Ausnahme der erwähnten Überträge in Kategorie W). Dieses Jährlichkeitsprinzip wird von der PVK nur als teilweise zweckmässig beurteilt. So wäre es aus mathematischer Perspektive sinnvoll, eine gleichmässige Verteilung nicht nur über ein Jahr, sondern über mehrere Jahre hinweg anzustreben und demzufolge die Abweichungen in allen Verteilkategorien auf das folgende Jahr zu übertragen. Dadurch könnten systematische Fehler besser ausgeglichen werden (sowie mit einer Umsetzung des Summenterms, vgl. Ziff 4.3). Einen längeren Zeitraum als ein Jahr zu verwenden wäre allerdings komplexer in der Umsetzung. Gemäss der Sektion BMKV war dies bei der Konzeption der Verteilung denn auch nicht gewollt, da das Reporting schwieriger und die Verteilung für die Kantone weniger verständlich wäre. 6⁴
Werden die Abweichungen bezogen auf die ANUM-Kriterien betrachtet, sind ebenfalls hohe Differenzen zwischen Ist und Soll zu verzeichnen, wie in Abbildung 10 zu sehen ist. Zwar gleichen sich quartalsweise Schwankungen teilweise im Verlauf des Jahres wieder aus. Dennoch reichten im Untersuchungszeitraum die durchschnittlichen Abweichungen per Ende Jahr von knapp unter 10 % bis knapp unter 20 % bei der gesamten Anzahl der Asylsuchenden. Bei den Medizinalfällen und den UMA sind besonders grosse Abweichungen zu verzeichnen zwischen 20 und 45 %. 6⁵
Abbildung 10
Durchschnittliche relative Abweichungen pro Jahr zwischen Ist und Soll-Verteilung
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Legende: N = 57 530.
Quelle: Bericht PPC, Abb. 23, 41.
Auch der Median (der Wert in der Mitte aller kantonalen Abweichungen) liegt in allen vier untersuchten Jahren sowie in allen Unterkategorien über fünf Prozent. Bei den Medizinalfällen und UMA reichen die Abweichungen im Median per Ende Jahr gar bis zu 30 %. 6⁶
6¹ Der Zielwert von 5 % bezieht sich auf die Summe der Abweichungen aller Kantone pro Verteilkategorie.
6² SEM, Newsletter von April 2019 (Verteilung von März bis Dezember 2019), 8.
6³ SEM, Newsletter von März 2021 (Verteilung von Januar bis Dezember 2021), 35.
6⁴ Gemäss einem Interview mit dem SEM gibt es aktuell allerdings Diskussionen zwischen der SODK und dem SEM, ob man vom Jährlichkeitsprinzip abweichen soll.
6⁵ Wie auf der Abbildung 10 zu sehen ist, steigen die Abweichungen im Jahr 2022 insbesondere bei den UMA und Medizinalfällen, obschon der insgesamt höheren Fallzahlen (vgl. Ziff. 5.2). Wie das SEM im Newsletter von Februar 2023 (Verteilung von Januar bis Dezember 2022) auf Seite 38 schreibt, sind die Abweichungen primär mit zwingenden Zuweisungen zu erklären. Zudem gab es in diesem Jahr vermehrt Zuweisungsstopps vonseiten der Kantone, was ebenfalls zu höheren Abweichungen führte. Auch führten neue Unterkünfte in diesem Jahr zu Veränderungen. Es ist aber anzumerken, dass die Differenzen im Jahr 2022 generell reduziert werden konnten in den Verteilkategorien B und W.
6⁶ Bericht PPC, Abb. 23, 40.
5.2 Bei der Verteilung kleiner Gruppen sind die Abweichungen besonders gross
Die Kantonsverteilung funktioniert am besten bei einer hohen Anzahl Asylsuchender. Sie wird hingegen ungenauer, wenn nur wenige Asylsuchende verteilt werden. Dies ist der Fall bei kleinen Unterkategorien und kleinen Kantonen sowie in Jahren mit tiefen Fallzahlen; unter diesen Umständen kommt es zu höheren relativen Abweichungen. Diese höheren Abweichungen bei wenigen Asylsuchenden liegen allerdings nicht an der Güte des Algorithmus. Sie sind vielmehr auf eine mathematische Eigenschaft zurückzuführen: Je mehr Asylsuchende verteilt werden, desto weniger fallen einzelne Abweichungen ins Gewicht. Es ist somit einfacher, die effektive Verteilung möglichst den Zielwerten des Verteilschlüssels anzunähern.
Die hohen durchschnittlichen Abweichungen (Ziff. 5.1) lassen sich somit unter anderem damit erklären, dass einige Kantone mit geringer Bevölkerung sehr hohe Abweichungen verzeichnen. Aufgrund der erheblichen Grössenunterschiede zwischen den Kantonen unterscheiden sich die Verteilquoten von Asylsuchenden stark zwischen den Kantonen. So werden an den bevölkerungsreichsten Kanton Zürich 17 % der Asylsuchenden verteilt und an die kleinen Kantone Appenzell Innerrhoden und Obwalden weniger als 0,2 %. Bereits wenige zusätzlich verteilte Personen haben in kleinen Kantonen (sprich mit geringer Bevölkerung) somit eine grosse Auswirkung auf die relative Abweichung zwischen Ist und Soll. Es ist deshalb in allen Unterkategorien zu beobachten, dass kleine Kantonen die grössten relativen Abweichungen verzeichnen sowie grössere prozentuale Schwankungen über die Zeit hinweg aufweisen. Während kleine Kantone meist mehr Asylsuchende erhalten als gemäss Soll-Verteilung vorgesehen, erhalten die grossen Kantone meist leicht weniger (vgl. Abbildung 11). Aufgrund der vielen kleinen Kantone hat die Mehrheit der Kantone somit eine positive Abweichung, das heisst diese Kantone nehmen mehr Asylsuchende auf als gemäss Verteilschlüssel vorgesehen.
Die Bevölkerungszahl spielt demnach eine wichtige Rolle für die Höhe der kantonalen Abweichungen. Ob ein Kanton ein BAZ beherbergt oder nicht, scheint sich hingegen nicht gross auf die Höhe der Abweichungen auszuwirken. Standortkantone weisen sogar eher kleinere Abweichungen auf; dies lässt sich aber auch damit erklären, dass es sich dabei tendenziell um grosse Kantone handelt.
Abbildung 11
Relative Abweichung der Gesamtzahl Asylsuchender in den Kantonen
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Legende: N = 57 530. Die Kantone in violett haben eine negative Abweichung, was heisst, dass sie weniger Asylsuchende aufnehmen, als gemäss Verteilschlüssel vorgesehen wäre. Die Kantone in orange haben eine positive Abweichung, das heisst sie nehmen mehr Asylsuchende auf, als gemäss Verteilschlüssel vorgesehen.
Quelle: Bericht PPC, Abb. 6, 20.
Auch in den Unterkategorien sind die Abweichungen zwischen der Ist- und der Soll-Verteilung in denjenigen Kategorien besonders hoch, die nur wenige Personen umfassen. Dies betrifft namentlich die Unterkategorien UMA und Medizinalfälle (vgl. Abbildung 10 und 12). So gab es im Untersuchungszeitraum nur 7166 unbegleitete minderjährige Asylsuchende und 8249 Asylsuchende der Unterkategorie Medizinalfälle. Wären die zwei Unterkategorien bei der Verteilung nicht mit einem Faktor zwei gewichtet, wären die Abweichungen in diesen Unterkategorien vermutlich noch grösser. So strebt der Algorithmus aufgrund der doppelten Gewichtung eher eine Lösung an, in welcher Medizinalfälle und UMA proportional verteilt sind und nimmt dafür Abweichungen bei den Nationalitäten in Kauf (Ziff. 4.4). Die Bandbreite der Abweichungen zwischen den Kantonen ist hier sehr gross: So reichen sie bei den Medizinalfällen von 120 % mehr bis hin zu 50 % weniger Personen in einem Kanton als gemäss Verteilschlüssel vorgesehen. ⁶7 In der Kategorie UMA ist zu erwähnen, dass der Kanton Schwyz gemäss einer Vereinbarung mit den Nachbarkantonen die UMA der Kantone Nidwalden, Obwalden und Zug übernimmt. Diese vier Kantone haben deshalb besonders hohe Abweichungen zu verzeichnen (Bandbreite von plus bis minus 90 %).
Abbildung 12
Relative Abweichungen der Medizinalfällen in den Kantonen
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Legende: N = 5 015. Die Kantone in violett haben eine negative Abweichung, was heisst, dass sie weniger Asylsuchende aufnehmen, als gemäss Verteilschlüssel vorgesehen wäre. Die Kantone in orange haben eine positive Abweichung, das heisst sie nehmen mehr Asylsuchende auf, als gemäss Verteilschlüssel vorgesehen.
Quelle: Bericht PPC, Abb. 6, 21.
Dasselbe Phänomen, sprich höhere Abweichungen bei der Verteilung einer kleinen Gruppe, ist auch in Jahren mit tiefen Gesuchzahlen der Fall. Im Untersuchungszeitraum waren die Gesuchzahlen in den Jahren 2019 bis Mitte 2021 besonders tief; in dieser Zeit kam es denn auch zu höheren Differenzen zwischen Ist und Soll, wie Abbildung 13 zeigt. Auch in Quartalen mit tiefen Asylzahlen waren die relativen Abweichungen vom angestrebten Verteilschlüssel grösser. ⁶8
Abbildung 13
Relative Abweichungen nach Höhe der Asylzahlen (inkl. Schutzsuchende)
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Legende: Das Diagramm basiert auf Aggregatsdaten der relativen Abweichungen pro Kanton und Quartal.
Quelle: Bericht PPC, Abb. 14, 26.
Die PVK stellt somit insbesondere in Unterkategorien mit einer tiefen Personenanzahl, in Kantonen mit geringer Bevölkerung und in Jahren mit tiefen Fallzahlen beträchtliche Abweichungen zwischen der Ist- und der Soll-Verteilung fest. ⁶9 Dieses Phänomen wird im Falle von tiefen Gesuchzahlen und in kleinen Kantonen noch dadurch verstärkt, dass die Soll-Verteilung in viele verschiedene Unterkategorien (Verteilkategorien und ANUM-Kriterien) unterteilt ist. So wird eine bereits geringe Gesamtmenge noch zusätzlich fragmentiert und die zu verteilende Gruppe Asylsuchender dadurch verkleinert. Die Fragmentierung in viele verschiedene Unterkategorien ist nicht nur bei einer tiefen Anzahl Asylsuchender ein Problem, sondern schmälert den Spielraum des Algorithmus generell; die ausgleichende Funktion des Algorithmus kann dadurch nur beschränkt wirken. Zudem beeinflusst die Verteilung einzelner Asylsuchender oft mehrere Verteilkategorien gleichzeitig (vgl. Ziff. 3.2). Dies erschwert eine gleichmässige Verteilung zusätzlich, insbesondere bei einer geringen Anzahl zu verteilender Personen.
Neben den erwähnten gibt es weitere Gründe für die Abweichungen zwischen der Ist- und der Soll-Verteilung. Eine wichtige Rolle spielen zwingende Zuweisungen, beispielsweise aufgrund der Einheit der Familie (Ziff. 5.3). Ein weiterer Faktor sind die Kompensationen, das heisst reduzierte Zuweisungen von Asylsuchenden der Kategorie W für Standort- und weitere Kantone. Diese können nicht immer eingehalten werden aufgrund von zwingenden Zuweisungen und da jeder Kanton mindestens 10 % gemäss der bevölkerungsproportionalen Verteilung aufnehmen muss (Ziff. 2.1). Gerade bei kleinen Kantonen mit einem BAZ, die einen verhältnismässig grossen Anteil an Kompensationen haben, führt dies zu hohen relativen Abweichungen.
⁶7 Bericht PPC, Abb. 33, 45.
⁶8 Bericht PPC, 25.
⁶9 Bericht PPC, Kap. 4.2 und 4.3.
5.3 Der Verteilvorschlag von eSyVAS wird in 62 % abgeändert
Der Verteilvorschlag von eSyVAS wird sehr häufig übersteuert und/oder korrigiert, was den Einfluss des Algorithmus begrenzt. Obschon Übersteuerungen gemäss Schulungsunterlagen des SEM einen «Ausnahmefall» darstellen sollten, wurden in der untersuchten Zeitspanne 57 % der Fälle von den Mitarbeitenden der BAZ übersteuert (ohne Asylsuchende mit Status S). Zudem wurden 6,2 % der Fälle von der Sektion BMKV korrigiert. Zusammengenommen betrifft dies 62 % und damit mehr als drei von fünf Fällen (einige wenige Fälle wurden sowohl übersteuert als auch korrigiert). 7⁰
Die Mehrheit der Übersteuerungen sind zwingende Zuweisungen, bei denen kein Spielraum besteht. Dazu gehören insbesondere die Einheit der Familie (22 % der Übersteuerungen) und die Zuweisung von Neugeborenen auf den Kanton der Mutter (26,1 %). Des Weiteren muss zwingend übersteuert werden bei Asylsuchenden, die weggewiesen werden müssen, deren Entscheid bei Austritt aus dem BAZ aber noch nicht rechtskräftig ist. Für diese Personen wird zwar ein normaler Verteilvorgang in der Kategorie W durchgeführt; sie müssen aber dennoch zwingend auf den Standortkanton des BAZ in ihrer Asylregion verteilt werden, damit dieser bei Rechtskraft des Entscheids die Wegweisung vollziehen kann. Der Verteilvorschlag des Algorithmus muss deshalb meist übersteuert werden, wobei im untersuchten Zeitraum allerdings nur wenige solcher Fälle identifiziert wurden. 7¹
Ein grosser Teil der Übersteuerungen wird der Sammelkategorie «Sonstiges» zugeordnet (28,5 %). Die Übersteuerung muss in diesen Fällen in einem Freitextfeld begründet werden. Die häufigste Begründung in dieser Kategorie betrifft Resettlement-Flüchtlinge (6 % aller übersteuerten Fälle). Bei diesen Fällen handelt es sich ebenfalls um zwingende Zuweisungen, da der Verteilvorschlag für diese Flüchtlinge nicht angewandt werden kann. 7² Weitere häufig genannte Gründe in dieser Sammelkategorie sind genehmigte Kantonswechsel (4,7 %) und die Verteilung auf einen Kanton mit derselben Sprache wie derjenige der Erstverteilung (2,6 %). Allerdings sind die Begründungen im Freitextfeld in gut einem Drittel der «Sonstiges»-Fälle nicht nachvollziehbar. Dies betrifft im untersuchten Zeitraum 415 Fälle. 7³
Bei den Korrekturen gibt es keine Auswahl an Gründen; diese werden immer in einem Freitextfeld erfasst. Mehr als die Hälfte der Korrekturen sind auf das Pilotprogramm in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich zurückzuführen, da gewisse Asylsuchende durch das ETH-Programm und nicht durch den Algorithmus verteilt werden (Ziff. 1.3). In knapp einem Drittel der korrigierten Fälle sind die Begründungen allerdings ebenfalls nicht nachvollziehbar, was 139 Fällen entspricht. Die Gründe für Übersteuerungen und Korrekturen werden von den administrativen Mitarbeitenden der BAZ und teilweise auch von der Sektion BMKV somit nicht immer verständlich und systematisch erfasst. 7⁴
Die Folge dieser vielen Änderungen des Verteilvorschlags ist es, dass die gleichmässige Verteilung insgesamt schlechter funktioniert, da der Einflussbereich des Algorithmus begrenzt ist. Aufgrund der rechtlichen Vorgaben scheint dies allerdings nicht gänzlich vermeidbar zu sein, da gut die Hälfte der Übersteuerungen wie erwähnt zwingend ist. Eine naheliegende Schlussfolgerung wäre es, die Fälle der zwingenden Übersteuerungen als weitere Variablen in den Algorithmus zu integrieren; wodurch der Anteil an Übersteuerungen und Korrekturen zurückgehen würde (Ziff. 5.2). Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies tatsächlich zu einer besseren Funktionsweise des Algorithmus und damit zu weniger Abweichungen führen würde. Tatsächlich hätte der Algorithmus in diesem Falle nämlich keinen grösseren Spielraum, um eine gleichmässige Gesamtverteilung zu erreichen; bei den zwingenden Übersteuerungen ist ja bereits vorgegeben, in welchen Kanton die Asylsuchenden verteilt werden müssen. Aufgrund des Anspruchs auf Einheit der Familie muss ein asylsuchendes Kind beispielsweise zwingend dem Kanton seiner bereits in der Schweiz lebenden Eltern zugeteilt werden. Die meisten der weiteren Übersteuerungen und Korrekturen entsprechen zudem den Vorgaben des SEM (bspw. ETH-Pilotprogramm) oder erfolgen aufgrund von praktischen Umständen (bspw. medizinische Gründe oder Haft).
7⁰ Bericht PPC, Kap. 5.2. Wenn auch die Asylsuchenden mit Status S einbezogen werden, werden 69,2 % der Fälle übersteuert. Von diesen 69,2 % Fällen war der Grund für die Übersteuerung in 68 % der Fälle der Status S Im Jahr 2022 wurden Schutzsuchende jeweils der bestehenden Verteilkategorie B zugeordnet, ihr Verteilvorschlag musste jedoch immer übersteuert werden. Ab Januar 2023 werden Personen mit Status S in ZEMIS nun der neuen Verteilkategorie A («Andere Kategorien») zugeordnet. Dadurch wird in eSyVAS gar nicht erst ein Verteilvorschlag für sie generiert und diese Übersteuerungen fallen weg.
7¹ Mit den neuen Regeln vom September 2023 ist dies nun ein eigener Übersteuerungsgrund.
7² Bericht PPC, 35. Mit den neuen Regeln der Sektion BMKV vom September 2023 bilden Resettlement-Flüchtlinge eine eigene Kategorie für Übersteuerungsgründe (Ziff. 3.2).
7³ Bericht PPC, 34-35.
7⁴ Bericht PPC, 35-36.
5.4 Das SEM-interne Reporting ist angemessen, das externe für die Kantone aber zu umfangreich
Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone wird gemäss PVK vom SEM regelmässig und in angemessenem Umfang überprüft. Für das interne Reporting gegenüber dem Management des SEM hat die Sektion BMKV in den ersten drei Jahren nach der Neustrukturierung des Asylbereichs vierteljährlich eine Lageanalyse erstellt. Gemäss der PVK zeigten die Lageanalysen ein ausführliches und dennoch übersichtliches Bild der aktuellen Situation und boten deshalb ein geeignetes Reporting-Instrument für das Management. Seit gut einem Jahr verzichtet das Management des SEM aus Ressourcengründen auf eine regelmässige Berichterstattung und will stattdessen nur noch im Falle von Problemen informiert werden.
Nach wie vor erstellt werden dagegen Newsletter, die dem externen Reporting gegenüber den Kantonen sowie auch gegenüber den Mitarbeitenden der BAZ dienen (s. Abb. 5 in Ziff.
2.3
). Gemäss PVK sind die Newsletter sehr ausführlich gestaltet und führen in systematischer Form alle relevanten Informationen und Erklärungen für Abweichungen auf. Dies wird mit vielen Grafiken und Tabellen veranschaulicht. Die Sektion BMKV erhält kaum Rückmeldungen auf die Newsletter, betont jedoch, dass es für das SEM aus Transparenzgründen und für den Austausch mit den Kantonen wichtig sei, diese zu erstellen. Allerdings scheinen die Newsletter für die Empfänger zu umfangreich und komplex zu sein. Die meisten BAZ-Mitarbeitenden sagten, sie hätten kaum Zeit, um die vielen Informationen zu lesen. Ein Vertreter der KKJPD kritisierte, dass die Newsletter mit einem Umfang von über 40 Seiten deutlich zu lange seien und das Verständnis der Kantone für die Verteilung nicht förderten. Angesichts dieser Kritik kommt die PVK zum Schluss, dass die Newsletter ein zu ausführliches Reporting darstellen für die Kantone und ihr Zielpublikum dadurch verfehlen.
6⁰ Bericht PPC, Kap. 4.2 bis 4.5 und Kap. 5.
6 Schlussfolgerungen
Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone ist komplex, weil zahlreiche Faktoren beachtet werden müssen (Ziff. 6.1). Das elektronische System eSyVAS berücksichtigt viele, aber nicht alle Faktoren, weshalb mit ihm alleine keine angemessene Verteilung auf die Kantone möglich ist (Ziff. 6.2). Die Verteilvorschläge von eSyVAS werden in den BAZ unterschiedlich übersteuert. Dies birgt die Gefahr, dass es zu einer Ungleichbehandlung der Asylsuchenden kommt (Ziff. 6.3). Die tatsächliche Verteilung weicht unvermeidlich von der angestrebten ab, insbesondere in kleinen Kantonen und bei bestimmten Unterkategorien (Ziff. 6.4). Die Koordination mit den Kantonen funktioniert im Allgemeinen gut, doch die Notfallplanung zur Bewältigung hoher Asylzahlen ist nicht mehr aktuell (Ziff. 6.5).
6.1 Die Kantonsverteilung berücksichtigt zahlreiche Faktoren und ist daher komplex
Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone berücksichtigt zahlreiche Faktoren, wie die Grösse der Kantonsbevölkerung, die unterschiedlichen Kategorien von Asylverfahren (beschleunigtes und erweitertes Verfahren, Dublin-Verfahren), die ANUM-Kriterien (Anzahl, Nationalitäten, unbegleitete Minderjährige, Medizinalfälle) sowie die Kompensationen für Kantone, die BAZ beherbergen oder andere besondere Leistungen (z. B. besonderes Zentrum) anbieten. Diese Faktoren wurden gemäss den Präferenzen der Kantone festgelegt und werden von den befragten Kantonsvertretern und -vertreterinnen befürwortet. Sie schätzen es, dass die Verteilung so ausgestaltet ist, dass sich alle Kantone an der Integration von Flüchtlingen und von vorläufig Aufgenommenen sowie an der Wegweisung abgewiesener Personen beteiligen. Einige der befragten Kantonsvertreterinnen und -vertreter sind jedoch der Ansicht, dass die Kompensationen unklar sind und die pauschalen Bundesbeiträge die Kosten, die bestimmte Personen verursachen, nicht ausreichend decken.
Die PVK teilt die Meinung des SEM: Das Ziel einer möglichst proportionalen Verteilung unter Berücksichtigung der verschiedenen von den Kantonen gewünschten Verteilkategorien und -kriterien führt zwangsläufig zu einer komplexen Verteilung (Ziff. 3.1). Eine der Herausforderungen besteht darin, dass es praktisch unmöglich ist, Regeln zu definieren, die alle in der Praxis vorkommenden Einzelfälle abdecken. Die befragten Fachpersonen bemängeln ausserdem, dass die berücksichtigten Kriterien zu eng gefasst sind, um die Integration der betroffenen Personen zu begünstigen (Ziff. 3.2).
6.2 Das elektronische System eSyVAS alleine kann keine angemessene Verteilung auf die Kantone sicherstellen
Das elektronische System eSyVAS macht gestützt auf einen Algorithmus für jede asylsuchende Person unmittelbar einen Vorschlag für die Kantonszuteilung. Es berücksichtigt dabei zahlreiche Verteilfaktoren, die sich aus den Rechtsgrundlagen ergeben. Allerdings fehlen in eSyVAS gewisse Kriterien, was dazu führt, dass der Vorschlag für die Kantonsverteilung in mehr als drei von fünf Fällen nachträglich manuell übersteuert wird (Ziff. 5.3). Zum einen bezieht der Algorithmus insbesondere den rechtlichen Anspruch auf Einheit der Familie nicht mit ein, was der Grund ist für knapp die Hälfte der Übersteuerungen. Zum anderen ist der Algorithmus für die Verteilung bestimmter Gruppen, die mehr als die Hälfte der verteilten Personen ausmachen, gar nicht anwendbar. Bei diesen wird der Verteilvorschlag stets übersteuert oder die Verteilung wird ausserhalb des elektronischen Systems vorgenommen (Ziff. 4.3).
In der Dokumentation zu eSyVAS, die das SEM zur Verfügung stellte, ist ausserdem nicht beschrieben, welche Parameter in eSyVAS eingestellt werden können (z. B. die Gewichtung der Kriterien UMA und Medizinalfälle). Die PVK stellt die Parametrisierungen, die das SEM vorgenommen hat, nicht infrage, hält aber fest, dass diese die Verteilung massgeblich beeinflussen und gerade für die Kantone nicht transparent sind. Die Nutzerinnen und Nutzer von eSyVAS erachten das System als funktional, sehen aber beispielsweise bei der Benutzeroberfläche Verbesserungspotenzial. Laut dem SEM wird eSyVAS als Teil einer Erneuerung von ZEMIS voraussichtlich bis 2027 überprüft (Ziff. 4.4).
6.3 Die Verteilvorschläge von eSyVAS werden in den BAZ unterschiedlich übersteuert, was zu Ungleichbehandlungen führen kann
Die Kantonsverteilung ist Aufgabe der BAZ und wird anschliessend von der Sektion BMKV des SEM überprüft. Die Mehrheit der befragten SEM-Mitarbeitenden ist der Ansicht, dass die Prozesse innerhalb der BAZ und zwischen der Sektion BMKV und den BAZ zweckmässig sind und grundsätzlich gut funktionieren. Die statistischen Analysen zeigen allerdings, dass die BAZ bei der Übersteuerung der Verteilvorschläge von eSyVAS unterschiedlich vorgehen. Dies kann dazu führen, dass die Asylsuchenden je nach BAZ, in dem sie registriert sind, bei der Kantonsverteilung anders behandelt werden. Einerseits variiert der Anteil der Übersteuerungen zwischen den BAZ sehr stark, zwischen 27 Prozent und 62 Prozent je nach Asylregion. Andererseits führen die BAZ unterschiedliche Gründe für die Übersteuerungen an. Die Heterogenität rührt namentlich daher, dass die Arbeitsanweisungen nicht einheitlich umgesetzt werden. Die Sektion BMKV betont, dass es im Falle von Zielkonflikten einen gewissen Ermessensspielraum braucht. Gleichwohl hat sie kurz vor Beginn der Evaluation der PVK in den BAZ mit Schulungen zur Kantonsverteilung begonnen. Darüber hinaus hat die Sektion BMKV mit neuen Regeln Klarheit darüber geschaffen, welche Gründe für eine Übersteuerung der Verteilvorschläge von eSyVAS zulässig sind (Ziff. 4.1).
Nachdem die Kantonsverteilung in eSyVAS erfasst ist, geht sie an die Sektion BMKV, die jede Zuteilung prüft. Aufgrund der hohen Fallzahlen können für jede Prüfung jedoch nur wenige Sekunden aufgewendet werden und werden nur bestimmte Referenzangaben kontrolliert. Nach Auffassung der PVK hat die Sektion BMKV ein Prüfverfahren erarbeitet, mit dem im Rahmen der verfügbaren Ressourcen die wichtigen Informationen so gut wie möglich geprüft werden. Doch haben die im Auftrag der PVK durchgeführten Analysen gezeigt, dass in den Daten, die als Grundlage für die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone dienen, gewisse Werte fehlen oder inkohärent sind. Auch wenn das SEM einen Teil der Unstimmigkeiten in den Daten nachträglich erklären konnte, ist dennoch nicht genügend transparent, wie es die Daten, auf denen die Kantonsverteilung basiert, bearbeitet, und die Nachvollziehbarkeit ist mangelhaft (Ziff. 4.2).
6.4 Die tatsächliche Verteilung weicht unvermeidlich von der angestrebten Verteilung ab, insbesondere in kleinen Kantonen und bei bestimmten Unterkategorien
Die PVK hat erhebliche Abweichungen festgestellt zwischen der theoretischen Verteilung, die von eSyVAS gestützt auf den Algorithmus vorgeschlagen wird (Soll), und der tatsächlichen Verteilung (Ist). Im Hinblick auf die Auszahlung der Pauschalbeiträge an die Kantone ist es für das SEM wichtig, dass sich die Abweichungen per Jahresende ausgleichen. Eine Analyse der Verteilungen auf die Kantone zeigt jedoch, dass die Differenzen auch zu diesem Zeitpunkt noch sehr hoch sind und der Zielwert einer Abweichung von höchstens 5 % im Untersuchungszeitraum nie eingehalten werden konnten. Aufgrund der rechtlichen Vorgaben ist der Spielraum für einen Ausgleich der Verteilung zwischen den Kantonen jedoch klein. Bei der Gesamtzahl der Asylsuchenden gleichen sich die quartalsweisen Differenzen im Laufe des Jahres teilweise aus. Ende Jahr weicht die tatsächliche Verteilung der Gesamtzahl der Asylsuchenden jedoch immer noch zwischen 10 und 20 Prozent von der Soll-Verteilung ab. Die jährliche Berechnungsweise des SEM ist aus mathematischer Perspektive nicht sinnvoll und verhindert, dass eine ursprünglich vorgesehene Algorithmusfunktion, welche die Abweichungen systematisch korrigieren würde, umgesetzt werden kann (Ziff. 5.1).
Die beträchtlichen Diskrepanzen lassen sich insbesondere dadurch erklären, dass einige kleine Kantone mit geringer Bevölkerung sehr hohe Abweichungen verzeichnen. Für diese fällt bereits die Zuteilung weniger Personen stark ins Gewicht. Ob ein Kanton ein BAZ beherbergt oder nicht, scheint sich hingegen nicht gross auf das Ausmass der Abweichungen auszuwirken. Die Soll-Verteilung erfolgt zudem separat für viele einzelne Unterkategorien (nach Verteilkategorien und ANUM-Kriterien), die unterschiedlich gross sind. Diese Untergliederung schränkt die ausgleichende Funktion des Algorithmus bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone ein. Bei den Medizinalfällen und den UMA sind somit besonders grosse Abweichungen zu verzeichnen, weil diese Unterkategorien nur wenige Personen umfassen. Grundsätzlich funktioniert das System weniger gut, wenn nur eine geringe Anzahl Asylsuchender zu verteilen ist. Dies liegt nicht an der Güte des Algorithmus, sondern ist vielmehr auf eine mathematische Eigenschaft zurückzuführen: Je mehr Asylsuchende verteilt werden, desto weniger fallen einzelne Abweichungen ins Gewicht (Ziff. 5.2).
6.5 Die Koordination mit den Kantonen funktioniert im Allgemeinen gut, doch ist die Notfallplanung nicht mehr aktuell
Die Koordination zwischen Bund und Kantonen wird von den befragten Personen grundsätzlich als gut erachtet. Die Sektion BMKV verschickt halbjährlich Newsletter, um die Kantone und die Mitarbeitenden der BAZ transparent über die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone und die Abweichungen zwischen der Ist- und der Soll-Verteilung zu informieren. Mit ihrem Umfang von über 40 Seiten sind diese Newsletter zwar als internes Reporting angebracht, nicht hingegen als Information für die Kantone (Ziff. 5.4).
Laut der Mehrheit der befragten Personen hat die Kantonsverteilung nur im Jahr 2019 unter «normalen» Bedingungen funktioniert. Seither gab es jeweils starke Schwankungen in den Gesuchszahlen. Das SEM habe dies bei der Häufigkeit des Austauschs mit den Kantonen angemessen berücksichtigt. Ein Problem stellen die Zuweisungsstopps der Kantone dar, da durch diese keine Austritte in die Kantone möglich sind und so ein grosser Mehraufwand in den BAZ entsteht. Dem SEM zufolge kommt es vor, dass die Zuweisungsstopps nicht, wie vorgesehen, nur eine Woche, sondern bis zu zwei Monate dauern. In diesen Fällen wird die Verteilung besonders erschwert, weil noch die Verteilrückstände aufgeholt werden müssen (Ziff. 4.6).
Für die Bewältigung hoher Asylzahlen gibt es die Notfallplanung Asyl. Sie basiert im Wesentlichen auf Eckwerten für bestimmte Szenarien. Treten diese ein, werden verschiedene Notfallmassnahmen ergriffen. Dazu gehören insbesondere die vorzeitige Zuweisung von Asylsuchenden an die Kantone, die Bereitstellung von zusätzlichen Unterbringungsplätzen durch das SEM oder die subsidiäre Unterstützung durch die Armee. Aus Sicht der PVK ist das System der Szenarien ein zweckmässiges Planungsinstrument. Die Notfallplanung passt zudem zu den vorhandenen Instrumenten und der bestehenden Kompetenzverteilung im Asylbereich. Die PVK hält jedoch fest, dass die Eckwerte der verschiedenen Szenarien nicht mehr aktuell sind. Diese wurden 2016 festgelegt, als die Neustrukturierung des Asylbereichs erst noch bevorstand. Die BAZ und die Kantone geraten heute bei einem plötzlichen Anstieg der Gesuche oder in einer ausserordentlichen Situation schnell unter Druck, weshalb es aus Sicht der PVK wichtig ist, die Szenarien anzupassen. Laut SEM ist geplant, die Eckwerte 2024 in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu aktualisieren (Ziff. 3.3).
Aufgrund der hohen Asylgesuchszahlen und der vielen Geflüchteten aus der Ukraine wurde die Notfallplanung Asyl im Oktober 2022 aktiviert, was in den Interviews einhellig begrüsst wurde angesichts der damals angespannten Situation. Einige befragte Kantonsvertreterinnen und -vertreter sowie Fachpersonen kritisierten das SEM jedoch dafür, dass die Kantone zu kurzfristig über die Erhöhung der Austritte von Asylsuchenden aus den BAZ in die Kantone informiert wurden. Sie bemängelten ausserdem, dass die Notfallplanung nicht häufiger aktiviert wird, da die BAZ und die Kantone bei hohen Gesuchszahlen rasch an ihre Grenzen stossen. Die befragten Personen sind sich einig darin, dass das Problem der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone nicht auf das Fehlen von Verteilregeln zurückzuführen ist, sondern auf mangelnde Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten sowohl auf Bundes- wie auch auf Kantonsebene (Ziff. 4.6).
Gemäss AsylG wird bei der Kantonsverteilung einzig das Interesse der Asylsuchenden auf Einheit der Familie geschützt. Das SEM trägt dem Rechnung, indem es die Verteilvorschläge des elektronischen Systems übersteuert im Falle von in der Schweiz lebenden Familienangehörigen. Damit die Asylsuchenden ihre Interessen im Asylverfahren geltend machen können, haben sie vom ersten Tag an Zugang zu einer unentgeltlichen Rechtsvertretung, wie in den Rechtsgrundlagen festgehalten. Wenn die Asylsuchenden einem Kanton zugewiesen werden, der nicht in der Asylregion ihres BAZ liegt, braucht es allerdings einen hohen Organisationsaufwand, um den Rechtsschutz zu gewährleisten (Ziff. 4.5).
Abkürzungsverzeichnis
Tabelle vergrössern
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| Abb. | Abbildung |
| Abs. | Absatz |
| ANUM | Anzahl, Nationalität, unbegleitete minderjährige Asylsuchende, Medizinalfall |
| Art. | Artikel |
| AsylG | Asylgesetz (SR 142.31 ) |
| AsylV 1 | Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen (SR 142.311 ) |
| BAZ | Bundesasylzentrum |
| BBl | Bundesblatt |
| BK | Bundeskanzlei |
| BMKV | Belegungsmanagement & Kantonsverteilung |
| BV | Bundesverfassung (SR 101 ) |
| EJPD | Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement |
| EKM | Eidgenössische Migrationskommission |
| EMRK | Europäische Menschenrechtskonvention |
| eSyVAS | Elektronisches System zur Verteilung von Asylsuchenden |
| ETHZ | Eidgenössische Technische Hochschule Zürich |
| GPK | Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte |
| GPK-S | Geschäftsprüfungskommission des Ständerates |
| ISC-EJPD | Informatik Service Center des EJPD |
| Kap. | Kapitel |
| KKJPD | Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren |
| PPC | PrivatePublicConsulting GmbH |
| PVK | Parlamentarische Verwaltungskontrolle |
| REKA | Reporting Erst- und Kantonsverteilung |
| SEM | Staatssekretariat für Migration |
| SFH | Schweizerische Flüchtlingshilfe |
| SODK | Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren |
| SONAS | Sonderstab Asyl |
| SR | Systematische Sammlung des Bundesrechts |
| UMA | Unbegleitete minderjährige Asylsuchende |
| VBS | Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport |
| vgl. | vergleiche |
| ZEMIS | Zentrales Migrationsinformationssystem |
| ZG | Zielgruppen |
| Ziff. | Ziffer |
Literatur und Dokumentenverzeichnis
Bundesrat (2014): Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes (Neustrukturierung des Asylbereichs) (BBl 2014 7991).
EJPD, KKJPD, SODK (2014): Gemeinsame Erklärung der Asylkonferenz.
EJPD, VBS, EFD, KKJPD, SODK (2016): Valeurs de référence de la planification d’urgence commune de la Confédération et des cantons en matière d’asile (en français) .
EJPD (2021): Weisung des EJPD zum Sonderstab Asyl (Stabsordnung SONAS)
EJPD (2023): Evaluationsgruppe Status S. Bericht vom 26.06.2023.
PPC (2024): Analyse des Algorithmus und seiner Nutzung zur Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone. Grundlage für den Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle
SEM (o. D.): Handbuch Asyl und Rückkehr. Artikel F5: Die Kantonsverteilung.
SEM (2019a): IKT - TP BuV: Dokumentation Reporting Erst- und Kantonsverteilung (REKA).
SEM (2019b): Weisung vom 1.1.2008, Verteilung auf die Kantone (Stand 1.3.2019)
SEM (2019-2022): Lageanalyse Kantonsverteilung.
SEM (2019-2023): Newsletter «Asyl: Kantonsverteilung».
SEM (2020): Interne Weisung über die Erst- und Kantonsverteilung.
SEM (2021a): Prozess Kantonsverteilung (10.070). Anhang 2 der internen Weisung.
SEM (2021b): Kantonsverteilung: ZEMIS. Schulungsunterlagen.
SEM (2022a): Aktuelle Entwicklungen im Asylbereich. Schreiben vom 20.10.2022 an die Mitglieder der KKJPD und der SODK.
SEM (2022b): Massnahmen zur Steigerung der Kantonsaustritte. Schreiben vom 24.10.2022 an die Mitglieder der KKJPD und der SODK.
SEM (2022c): Lage Ukraine und Migrationsbewegungen, KSA/KUk. Präsentation von LZ Asyl SEM vom 20.10.2022
SEM (2023): Arbeitsanweisung Erst- und Kantonsverteilung.
SEM (2023): Kantonsverteilung - Übersteuerungen und neue Verteilkommentare Merkblatt.
SFH (2022): Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren. 3. Auflage. Bern: Haupt Verlag.
SONAS (2022): Protokoll Sitzung. Bern, 19.10.2022.
Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner
Im nachstehenden Verzeichnis ist
die
Funktion der betreffenden Person zum Zeitpunkt des Gesprächs mit der PVK angegeben.
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| Amstad, Christoph | Vizepräsident, SODK |
| Andres, Caesar | Kantonaler Asyl- und Flüchtlingskoordinator, Kanton Thurgau, KASYF |
| Baumgartner, Rahel | Stv. Chefin, Stab Asyl, SEM |
| Behrens, Miriam | Direktorin, SFH |
| Bischof, Jris | Fachbereichsleiterin Migration, SODK, und Sitzungsleitung, KASYF |
| Bürki, Adrian | Lead Architekt Team Asyl, ISC-EJPD |
| Düblin, Florian | Generalsekretär, KKJPD |
| Frank, Sarah | Wissenschaftliche Adjunktin, Direktionsbereich Bundesasylzentren, SEM |
| Gafner, Sandra | Chefin, Fachbereich Administration TZCH, SEM |
| Gogniat, Yanick | Chef, Fachbereich Administration BE, SEM |
| Guisolan, Marie | Kantonale Asyl- und Flüchtlingskoordinatorin, Kanton Freiburg, KASYF |
| Haller, Katherine | Wissenschaftliche Mitarbeiterin, SPK |
| Hangartner, Dominik | Professor für Politikanalyse und Co-Direktor des Immigration Policy Lab, ETH |
| Herrmann, Lars | Projektleiter für Entwicklung des Algorithmus, AWK Group |
| Hofmann, Urs | Leiter, Evaluationsgruppe Status S |
| Hutter, Jenny | Chefin, Stab Asyl, SEM |
| Liechti, Martin | Stv. Chef, Region OCH, und Chef, Sektion Partner und Administration OCH, SEM |
| Martelli, Claudio | Stv. Direktor, SEM, und Chef, Direktionsbereich Asyl, SEM |
| Maurer, Christian | Fachspezialist und stv. Chef, Sektion BMKV, SEM |
| Michaud Aegerter, Laure | Stv. Chefin, Region WCH, und Chefin, Asylverfahren WCH 3, SEM |
| Murbach, Christian | Kantonaler Asyl- und Flüchtlingskoordinator, Kanton Zug, KASYF |
| Noske, Sandra | Administratorin, Region ZH, SEM |
| Pfisterer, Lorenz | Software Engineer Team Asyl, ISC-EJPD |
| Piguet, Etienne | Vizepräsident, EKM, und Professor für Geografie, Universität Neuenburg |
| Ribaux, Alain | Co-Präsident, KKJPD |
| Ricci, Ettore | Kantonaler Asyl- und Flüchtlingskoordinator, Kanton Waadt, KASYF |
| Schäublin, Manuel | Chef, Sektion Dublin und Rückkehr NWCH, SEM |
| Schmid, Andreas | Lead Entwickler Team Asyl, ISC-EJPD |
| Suter, Marcel | Chef, Direktionsbereich Bundesasylzentren, SEM |
| Stöckli, Daniel | Business Analyst Team Asyl, ISC-EJPD |
| Szöllösy, Gaby | Generalsekretärin, SODK |
| Vogt, Tanja | Fachspezialistin, Sektion BMKV, SEM |
| Wymann, Andreas | Chef, Sektion BMKV, SEM |
| Zemp, Sarah | Kantonale Asyl- und Flüchtlingskoordinatorin, Kanton Bern, KASYF |
| Ziegler, Philip | Chef, Sektion Dublin und Rückkehr OCH, SEM |
Anhang 1
Herangehensweise der Evaluation
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| Ziele der Politik: | Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone muss so proportional wie möglich erfolgen, wobei die Grösse der Kantonsbevölkerung und bestimmte einzelfallspezifische Kriterien zu berücksichtigen sind. Zudem muss den schützenswerten Interessen der Kantone und der Asylsuchenden Rechnung getragen werden. | ||
| ⇓ | |||
| Mittel, um diese Ziele zu erreichen: | Das SEM verteilt die Asylsuchenden auf die Kantone und nutzt dazu ein elektronisches System, das einzelfallspezifisch einen Verteilvorschlag generiert. In gerechtfertigten Fällen können die Mitarbeitenden des SEM den vorgeschlagenen Kanton ändern. | ||
| ⇓ | |||
| Gegenstand der Evaluation: | Gegenstand der Evaluation ist die Funktionsweise der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone. Untersucht wird die Ausgestaltung der Verteilung, die Anwendung der Prozesse und Instrumente sowie die tatsächliche Verteilung, insbesondere bei starken Schwankungen. | ||
| ⇓ | ⇓ | ⇓ | |
| Evaluationsfragen: | Ist das System zur Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone angemessen ausgestaltet? | Werden die für die Verteilung eingesetzten Prozesse und Instrumente zweckmässig angewandt? | Ist die tatsächliche Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zweckmässig? |
| ⇓ | ⇓ | ⇓ | |
| Durchgeführte Analysen: | Dokumentenanalyse Interviews | Dokumentenanalyse Interviews Analyse des Algorithmus (Mandat) | Dokumentenanalyse Interviews Statistische Analyse (Mandat) |
Anhang 2
Evaluationskriterien
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| Kriterium | Bewertungselemente |
|---|---|
| Ausgestaltung der Kantonsverteilung (Frage 1) | |
| Klarheit der Verteilung und der Schritte | Die verschiedenen Grundsätze und Schritte der Verteilung der Asylsuchenden sind klar definiert. Es gibt klare Massnahmen für den Umgang mit stark schwankenden Asylgesuchszahlen. Innerhalb des SEM sind die Kompetenzen und Zuständigkeiten für die Verteilung der Asylsuchenden klar geregelt. |
| Klarheit der Kriterien | Die Kriterien für die Verteilung auf die Kantone sind für die verschiedenen involvierten Akteure klar und transparent. Sie entsprechen den einschlägigen Rechtsgrundlagen. Es ist klar, welche Kriterien bei stark schwankenden Asylgesuchszahlen zum Tragen kommen. |
| Zweckmässige Ausgestaltung der Verteilung bei Schwankungen | Die Notfallplanung Asyl ist mit den bestehenden Instrumenten vereinbar. |
| Anwendung der Prozesse und Instrumente (Frage 2) | |
| Korrekte Anwendung der Prozesse | Die Prozesse werden gemäss den einschlägigen Vorgaben umgesetzt. Alle Personen, die einem Kanton zugeteilt werden müssen, werden im elektronischen System erfasst und die erfassten Daten sind vollständig. Die tatsächliche Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone entspricht der theoretischen Verteilung für die einzelnen Kriterien. |
| Zweckmässiger Algorithmus | Der entwickelte Algorithmus entspricht den festgelegten Anforderungen und Prozessen für die Kantonsverteilung, auch bei starken Schwankungen der Anzahl Asylgesuche. |
| Klare Anleitungen und einfache Anwendung des elektronischen Systems | Die Anleitungen für die Anwendung des elektronischen Systems sind klar. Die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer des Systems werden berücksichtigt. Die Operationalisierung und Gewichtung der Kriterien ist dokumentiert und verständlich. |
| Angemessene Interessenabwägung | Bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone werden die Interessen des Bundes, der Kantone und der Asylsuchenden angemessen abgewogen. Die betroffenen Akteure verfügen über genügend Kanäle, um bei Bedarf ihre Interessen geltend zu machen. |
| Zweckmässige Koordination zwischen den involvierten Akteuren | Die Koordination zwischen den beteiligten Personen ist zweckmässig, auch bei stark schwankenden Asylgesuchszahlen. |
| Zweckmässige Aktivierung der Notfallplanung | Die Notfallplanung wird im Bedarfsfall aktiviert und dieser Entscheid wird in geeigneter Form kommuniziert. Die vorgesehenen Massnahmen sind realistisch und erlauben den betroffenen Akteuren, rasch auf eine stark steigende Zahl von Asylgesuchen zu reagieren. |
| Tatsächliche Verteilung auf die Kantone (Frage 3) | |
| Begründete Abweichungen zwischen theoretischer und tatsächlicher Verteilung | Bei Abweichungen zwischen der tatsächlichen und der theoretischen Verteilung werden die Gründe dafür systematisch und transparent im System erfasst. Die Häufigkeit der verschiedenen Änderungsgründe bewegt sich in einem angemessenen Rahmen. Die Gründe für die Abweichungen sind nachvollziehbar und stichhaltig. |
| Angemessenes Monitoring der Verteilung der Asylsuchenden | Das Monitoring der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone sorgt dafür, dass die involvierten Akteure die Verteilung verstehen, und es trägt zur Steigerung der Akzeptanz bei. |
Impressum
Durchführung der Evaluation
Dr. Nicolas Keuffer, PVK (Projektleitung)
Damaris Hohler, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit)
Marion Baud-Lavigne, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit)
Externer Expertenbericht
Michael Herrmann, PPC (Projektleitung)
Philipp Zogg, PPC (wissenschaftliche Mitarbeit)
Dr. Philipp Lutz, PPC (wissenschaftliche Mitarbeit)
Dank
Die PVK dankt dem SEM für die Bereitstellung von Dokumenten und Daten sowie für seine Abklärungen und Auskünfte. Sie bedankt sich zudem bei PPC für die Analyse des Algorithmus und seiner Nutzung. Ein Dank gilt zudem allen Gesprächspartnerinnen und -partnern für ihre bereitwillige Teilnahme an den Interviews und für die erteilten Auskünfte.
Kontakt
Parlamentarische Verwaltungskontrolle
Parlamentsdienste
CH-3003 Bern
Tel. +41 58 322 97 99
E-Mail:
pvk.cpa@parl.admin.ch
www.parlament.ch/de/pvk
Originalsprache des Berichts: Französisch (Deutsch: Kapitel 5)
Bundesrecht
Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone. Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
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