Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
vom 21. Februar 2025
Das Wichtigste in Kürze
Personen, die in der Schweiz um Asyl ersuchen, werden zunächst in einem Zentrum des Bundes (Bundesasylzentrum) untergebracht. Die Dauer der Unterbringung in einem Bundesasylzentrum darf 140 Tage nicht überschreiten. Sofern eine Person die Schweiz nicht wieder verlassen hat, teilt sie das Staatssekretariat für Migration (SEM) spätestens nach Ablauf dieser Frist einem Kanton zu. Die Verteilung auf die Kantone erfolgt grundsätzlich proportional zu deren Bevölkerungszahl. Berücksichtigt werden aber auch weitere Kriterien wie Nationalität, Betreuungsbedarf und familiäre Beziehungen. Die heutige Verteilungspraxis der Asylsuchenden auf die Kantone wurde seitens Kantone verschiedentlich als nicht zweckmässig kritisiert. Grund dafür ist insbesondere, dass einigen Kantonen mehr Asylsuchende zugewiesen werden als gemäss Verteilschlüssel vorgesehen.
Vor diesem Hintergrund beauftragten die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) am 24. Januar 2023 die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK), die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zu untersuchen. Die Evaluation der PVK hat insbesondere ergeben, dass die Regelungen konsistent und genügend konkret sind. Auch funktionieren die Prozesse im Allgemeinen gut. Allerdings sei die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone aufgrund der diversen zu beachtenden Kriterien zwangsläufig komplex. Da so viele Kriterien beachtet werden müssen, erfolgt die Zuteilung nur bedingt proportional zur Bevölkerungsgrösse der Kantone. Die Verteilung erfolge zwar aufgrund eines im Informationssystem des SEM hinterlegten Algorithmus; dieser berücksichtige aber nicht alle anzuwendenden Kriterien und müsse darum regelmässig übersteuert werden. Dabei erfolge diese Übersteuerung nicht in allen Bundesasylzentren einheitlich, was zu Ungleichbehandlungen zwischen den Asylsuchenden bei der Verteilung auf die Kantone führen kann.
Aufgrund der Evaluation der PVK beurteilt die GPK-S die Vollzugstätigkeiten des SEM in diesem Bereich als grundsätzlich zweckmässig. Dennoch erkennt sie in verschiedenen Punkten Optimierungsbedarf bzw. -möglichkeiten. Die Kommission richtet deshalb Empfehlungen an den Bundesrat. Sie ist der Ansicht, dass die genannten Ungleichbehandlungen vermieden werden müssen, dies durch eine einheitliche Handhabung der entsprechenden Weisungen in allen Bundesasylzentren. Was die Verteilkriterien betrifft, empfiehlt die Kommission dem Bundesrat, zu prüfen, ob und wie der Algorithmus mehr bzw. sämtliche Kriterien berücksichtigen kann und ob eine Erweiterung der Kriterien zweckmässig wäre. Geprüft werden soll auch, ob die Abweichungen zwischen der gewünschten und der tatsächlichen Verteilung in einem Jahr auf die Folgejahre zu übertragen und so auszugleichen sind. Zudem ersucht die GPK-S den Bundesrat, die Qualität der Daten, auf welchen die Kantonsverteilung beruht, sicherzustellen und die Erneuerung der Informatikinstrumente, welche bei der Verteilung der Asylsuchenden zum Einsatz kommen, zu priorisieren. In Bezug auf die Zuweisungsstopps durch die Kantone empfiehlt die Kommission, im Fall einer unangemessenen Dauer eines solchen Stopps auf politischer Ebene zu intervenieren.
Bericht
1 Einleitung
1.1 Ausgangslage
Mit der Änderung vom 25. September 2015 ¹ des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 ² (AsylG) hat das Parlament den Asylbereich neu strukturiert. Die Gesetzesänderung trat am 1. März 2019 nach einer gestaffelten Einführung abschliessend in Kraft. ³ Personen, die in der Schweiz ein Asylgesuch einreichen, werden seither zunächst in einem Zentrum des Bundes (Bundesasylzentrum [BAZ]) untergebracht (Art. 24 Abs. 3 AsylG). Spätestens nach 140 Tagen Aufenthalt in einem BAZ weist das Staatssekretariat für Migration (SEM) den Grossteil dieser Personen den Kantonen zu (Art. 27 Abs. 3 AsylG). Zur Frage, wie die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone erfolgen soll, hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass sich die Kantone über die Verteilung der Asylsuchenden verständigen (Art. 27 Abs. 1 AsylG). Können sie sich nicht einigen, legt der Bundesrat die Verteilkriterien fest (Art. 27 Abs. 2 AsylG). Das Gesetz selbst enthält nur wenige verbindliche Vorgaben. So sind besondere Leistungen, welche Standortkantone von BAZ oder Flughafenkantone erbringen, bei der Verteilung angemessen zu berücksichtigen (Art. 27 Abs. 1bis AsylG). Weiter muss das SEM den «schützenswerten Interessen» der Kantone und der Asylsuchenden bei der Verteilung Rechnung tragen; gerügt werden kann allerdings nur die Nichtberücksichtigung des Grundsatzes der Einheit der Familie (Art. 27 Abs. 3 AsylG).
Die Kantone hatten sich am 28. März 2014 ⁴ grundsätzlich über die Verteilung der Asylsuchenden und die Kompensation der Standortkantone der BAZ geeinigt. Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft vom 3. September 2014 ⁵ zur oben genannten AsylG-Änderung angekündigt, dass er die detaillierten Kriterien und Abläufe für die Verteilung und die Kompensation auf Verordnungsstufe regeln werde. ⁶ Diese Regelung hat der Bundesrat im Rahmen der Änderung vom 8. Juni 2018 ⁷ der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 ⁸ (AsylV 1) vorgenommen. Gemäss Artikel 21 AsylV 1 werden die Asylsuchenden grundsätzlich proportional zur Bevölkerungsgrösse der Kantone verteilt. Dabei soll die bevölkerungsproportionale Verteilung pro einzelne Verfahrenskategorie (Personen mit Bleiberecht, abgewiesene Personen usw.) angewendet werden, damit sich alle Kantone an der Integration bzw. am Vollzug von Wegweisungen beteiligen. Gemäss Artikel 22 Absatz 1 AsylV 1 berücksichtigt das SEM weiter bereits in der Schweiz lebende Familienangehörige, die Nationalität der Person und einen allfälligen besonderen Betreuungsbedarf. Unter besonders betreuungsbedürftigen Personen versteht das SEM namentlich unbegleitete Minderjährige und Personen mit schweren gesundheitlichen Problemen oder dauerhaften körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. ⁹ Weitere mögliche Verteilkriterien können eine bestehende Kantonszuständigkeit (bei Mehrfachgesuchen) sein, die Notwendigkeit von Schutz- bzw. Sicherheitsmassnahmen oder spezifische Fallkonstellationen (z.B. Verfahrenssprache).
Aufgrund der Vielfalt der Verteilungskriterien und der grossen Fallzahl verwendet das SEM ein elektronisches System, welches anhand eines Algorithmus für jeden Asylsuchenden eine Kantonszuweisung vorschlägt. Die Zahl der pro Jahr auf die Kantone verteilten Personen ist erheblich. 1⁰ Bei einem starken Anstieg der Asylgesuche aktiviert das SEM die sogenannte «Notfallplanung Asyl». Diese definiert für verschiedene Szenarien, wann welche Massnahmen ergriffen werden müssen. Hinzuweisen ist im Weiteren auf ein Pilotprojekt des SEM und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), bei welchem bestimmte Personen mithilfe eines zusätzlichen Algorithmus auf die Kantone verteilt werden. Dabei ist das Ziel, die berufliche Integration der Asylsuchenden zu verbessern, indem bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zusätzliche Kriterien wie Alter, Geschlecht oder Sprache berücksichtigt werden. Der Algorithmus soll herausfinden, in welchem Kanton die asylsuchende Person (aufgrund ihrer Eigenschaften) am ehesten eine Arbeitsstelle findet. Er nutzt dabei die Daten von vorläufig in der Schweiz aufgenommenen Personen sowie Personen, die bereits im Rahmen des beschleunigten Verfahrens einen positiven Asylentscheid erhalten haben.
Die heutige Funktionsweise der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone wurde seitens Kantone verschiedentlich als nicht zweckmässig beurteilt. Grund dafür ist insbesondere, dass einigen Kantonen mehr Asylsuchende zugewiesen werden als vorgesehen. Für die Asylsuchenden selbst hat der Verteilentscheid ebenfalls erhebliche Auswirkungen, da sie in der Regel in den kommenden Monaten oder Jahren dort leben werden; ein späterer Kantonswechsel ist schwierig. Dennoch erfolgte seit der Neustrukturierung im Jahr 2019 in diesem Bereich keine Evaluation.
Vor diesem Hintergrund beschlossen die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) am 24. Januar 2023, die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zu untersuchen und die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer entsprechenden Evaluation zu beauftragen. Die Federführung für die Untersuchung wurde der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) übertragen.
¹ AS 2016 3101
² SR 142.31
³ AS 2018 2855
⁴ Vgl. dazu die gemeinsame Erklärung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK). Die Erklärung ist abrufbar unter
www.sem.admin.ch
> Das SEM > Medien > Medienmitteilungen > Medienmitteilung «Rahmenbedingungen für die Neustrukturierung des Asylbereichs festgelegt» vom 28. März 2014.
⁵ BBl 2014 7991
⁶ BBl 2014 7991 , 8075
⁷ AS 2018 2857
⁸ SR 142.311
⁹ Interne Weisung des SEM vom 1. September 2020 über die Erst- und Kantonsverteilung (Ziff. 2).
1⁰ 2023 hat das SEM 25 711 Asylsuchende auf die Kantone verteilt, 2022 waren es 20 162 Asylsuchende (Newsletter «Asyl: Kantonsverteilung. Januar bis Dezember 2023» der Sektion Belegungsmanagement und Kantonsverteilung, SEM, vom Februar 2024, S. 40). In dieser Zahl nicht enthalten sind die Personen, denen in der Schweiz vorübergehender Schutz gewährt wird (Schutzstatus S). Letztere werden seit 2023 ausserhalb des elektronischen Systems verteilt.
1.2 Gegenstand der Untersuchung und Vorgehen
Die GPK-S beauftragte die PVK, im Rahmen einer Evaluation die folgenden Fragen zu untersuchen:
-
Ist die Verteilung der Asylsuchenden 1¹ auf die Kantone angemessen ausgestaltet ?
-
Werden die für die Verteilung eingesetzten Prozesse und Instrumente zweckmässig angewendet ?
-
Ist die tatsächliche Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone zweck mässig ?
Nicht Gegenstand der Evaluation war die Verteilung auf die BAZ (sog. «Erstverteilung»). Auch nicht untersucht wurde die Verteilung derjenigen Personen, die ausserhalb des generellen Verteilmechanismus erfolgt. Konkret sind dies die Geflüchteten aus der Ukraine, denen in der Schweiz vorübergehender Schutz gewährt wird (Schutzstatus S). Ebenfalls nicht untersucht wurde die Verteilung von Personen, die Teil des oben erwähnten Pilotprojekts der ETHZ sind.
Zur Beantwortung der Fragen analysierte die PVK die rechtlichen Grundlagen, die Weisungen, schriftliche Informationen des SEM zuhanden der Kantone und sonstige interne Dokumente des SEM. Ergänzend führte die PVK Interviews insbesondere mit beteiligten Mitarbeitenden des SEM, Vertreterinnen und Vertretern der Kantone sowie der Eidgenössischen Migrationskommission und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Zudem beauftragte sie das Beratungsunternehmen PrivatePublicConsulting GmbH (PPC) mit der Analyse der Funktionsweise des oben erwähnten Algorithmus. PPC wertete zudem Daten des SEM aus, um Abweichungen zwischen der tatsächlichen Verteilung der Asylsuchenden und jener nach Verteilschlüssel zu erkennen. Die PVK schloss ihre Arbeiten mit ihrem Bericht vom 21. Juni 2024 ¹2 zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) ab.
Die GPK-S hat die Evaluationsresultate analysiert. Mit dem vorliegenden Bericht nimmt sie eine Beurteilung dieser Resultate vor und formuliert Empfehlungen an den Bundesrat, soweit aus ihrer Sicht Handlungsbedarf besteht. Die GPK-S hat den Bericht am 21. Februar 2025 verabschiedet ¹3 und dem Bundesrat zur Stellungnahme unterbreitet. Zudem hat die GPK-S beschlossen, den vorliegenden Bericht zusammen mit dem Bericht der PVK und der Analyse der PPC ¹4 zu veröffentlichen. Vorgängig zur Verabschiedung durch die GPK-S wurde eine Verwaltungskonsultation beim SEM durchgeführt. Die Antworten des SEM wurden, soweit aus Sicht der GPK-S angezeigt, im vorliegenden Bericht berücksichtigt.
1¹ Die Asyslgesetzgebung unterscheidet zwischen den Begriffen der «Zuweisung» (Art. 27 AsylG) und der «Zuteilung» (Art. 23 AsylV 1). Die PVK hat diese Terminologie in ihrem Bericht nicht verwendet und beides unter den Begriff der «Zuweisung» gefasst.
¹2 BBl 2025 1710 (im Folgenden «Bericht PVK»)
¹3 Der Berichtsentwurf wurde den zuständigen Verwaltungseinheiten vorgängig gemäss konstanter Praxis in Konsultation gegeben.
¹4 Die Analyse ist abrufbar unter
www.parlament.ch
> Organe > PVK > Publikationen.
2 Feststellungen und Empfehlungen
2.1 Ausgestaltung der Verteilung auf die Kantone
2.1.1 Feststellungen der PVK
Die PVK hat die Erlasstexte und weiteren Dokumente, welche die Ausgestaltung der Verteilung regeln, analysiert. Sie kommt zum Schluss, dass die Regelungen konsistent und genügend konkret sind. Gleichwohl lassen gewisse Regelungen aus Sicht der PVK einen Ermessensspielraum offen, was zu Unterschieden in der Anwendung führe.
Die PVK stellt weiter fest, dass die Verteilung auf die Kantone zwar grösstenteils angemessen, aber aufgrund der zahlreichen zu berücksichtigenden Kriterien komplex ausgestaltet ist. Aus dem Umstand, dass die Verteilung sowohl proportional nach Kantonsbevölkerung als auch nach anderen Kriterien erfolgen soll, entstünden unvermeidlich Zielkonflikte.
Die PVK erwähnt zudem die Einschätzung eines Teils der befragten Personen, wonach nicht alle Kriterien verständlich und angemessen sind. So wurde in den Gesprächen mit der PVK von Kantonsvertretern etwa kritisiert, dass die Kompensationen für Standortkantone von BAZ oder Flughäfen kompliziert und die einschlägigen Dokumente unklar seien. Teilweise kritisch betrachtet werde auch, dass die Pauschalen des Bundes die Kosten der Kantone nicht in jedem Fall ausreichend deckten. Auch kritisierten interviewte Personen den enggefassten Familienbegriff des Bundesrates (Art. 1 a Bst. e AsylV 1). Dieser ist auf Ehegatten und deren minderjährige Kinder beschränkt. Alle anderen Familienmitglieder werden bei der Kantonsverteilung nicht berücksichtigt. Die befragten Personen kritisierten, dass die Bedürfnisse der Asylsuchenden dadurch zu wenig berücksichtigt werden. Insbesondere für die Integration der Asylsuchenden in die Gesellschaft sei dieser enge Familienbegriff zudem nicht förderlich. Gefordert wurde auch die stärkere Berücksichtigung von Kriterien, welche die berufliche Integration erleichtern (z.B. Sprachkenntnisse). In diesem Zusammenhang verwiesen die befragten Fachpersonen auf das eingangs erwähnte Pilotprojekt der ETHZ, bei welchem es darum geht, die Integration zu verbessern, indem bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone mehr Kriterien als bisher berücksichtigt werden. Ergebnisse seien ab 2026 zu erwarten.
Die Notfallplanung Asyl ihrerseits, welche bei einem starken Anstieg der Asylgesuche zur Anwendung kommt, ist gemäss PVK so ausgestaltet, dass hohe Asylzahlen effektiv bewältigt werden können. Das SEM aktiviert die Notfallplanung, wenn die Asylgesuchszahlen festgelegte Eckwerte überschreiten. Die den Eckwerten zugrundeliegenden Szenarien seien jedoch überholt, wobei das SEM für 2024 eine Aktualisierung angekündigt habe. ¹5
¹5 In seiner Stellungnahme vom 3. Januar 2025 zum Entwurf des vorliegenden Berichts kündigt das SEM die Aktualisierung der Eckwerte im Rahmen des Projekts «Gesamtstrategie Asyl» an, welches es gemeinsam mit den Kantonen, Städten und Gemeinden durchführt. Die Arbeiten daran erstreckten sich voraussichtlich bis ins Jahr 2026.
2.1.2 Bewertung der GPK-S
Die GPK-S stellt fest, dass die von den Kantonen gewählte komplexe Verteilung der Asylsuchenden einen vergleichsweise hohen Vollzugsaufwand für das SEM mit sich bringt. Die diversen zu berücksichtigenden Kriterien erschweren in der Tendenz auch die Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Entscheidprozesse. Die Kommission erinnert diesbezüglich daran, dass es der Gesetzgeber ausdrücklich den Kantonen überlassen hat, die Verteilung zu regeln (Art. 27 Abs. 1 AsylG). Die Komplexität dieser Regelung schlägt sich auch in den Weisungen des SEM nieder. Diese berücksichtigen gemäss PVK die Komplexität angemessen.
Bei der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone wendet das SEM insbesondere Artikel 21 AsylV 1 an. ¹6 Erstaunen mag der Umstand, dass der Bundesrat diese Regelung in der Verordnung aufgenommen hat, obwohl Artikel 27 Absatz 2 AsylG eine solche Regelung nur für den Fall vorsieht, dass sich die Kantone nicht einigen. Das SEM hat im Rahmen der Verwaltungskonsultation erklärt, dass die Verordnungsregelung (Art. 21 Abs. 2 bis 6 AsylV 1) der Einigung entspricht (ergänzt mit einzelnen Details), welche an der zweiten nationalen Asylkonferenz vom 28. März 2014 ¹7 getroffen worden war. Die Regelung sei damit eine Dokumentation des Willens der Kantone, die zudem bei der Anpassung der AsylV 1 konsultiert wurden. Ohne diese Absätze wären die gültigen Verteilregeln nicht in der AsylV 1 enthalten und müssten an einer anderen geeigneten Stelle festgehalten werden (z.B. in einer Weisung oder einem Rundschreiben). Die Wahl der AsylV 1 als Regelungsort erscheint der Kommission zweckmässig.
Die GPK-S begrüsst es, dass die ETHZ im Rahmen des genannten Pilotprojekts die Erweiterung der Kriterien zwecks besserer Arbeitsmarktintegration der Asylsuchenden prüft. Sollte das Pilotprojekt zeigen, dass erweiterte Kriterien tatsächlich zu besseren Ergebnissen bezüglich Arbeitsmarktintegration führen, sollte eine Überführung der Methodik in die reguläre Verteilung geprüft werden. Laut den von der PVK befragten Fachpersonen fördert es die Integration von Asylsuchenden zudem, wenn diese über ein familiäres und kulturelles Netz verfügen. Dies spricht für eine Erweiterung des Familienbegriffs.
| Empfehlung 1 Prüfung einer Erweiterung der Verteilkriterien Der Bundesrat wird aufgefordert, eine Erweiterung der Verteilungskriterien zu prüfen. In die Prüfung einfliessen sollen die Ergebnisse des Pilotprojekts der ETHZ sowie die Kritik der befragten Fachpersonen am gemäss AsylV 1 geltenden Familienbegriff. |
Die Kommission begrüsst im Weiteren, dass das SEM im Zeitraum der Evaluation durch die PVK die Überarbeitung der Szenarien für die Notfallplanung Asyl an die Hand genommen hat.
Die Kritik an der Höhe der Pauschalentschädigungen des Bundes an die Kantone durch befragte Personen nimmt die GPK-S zur Kenntnis. Da dieser Bereich nicht Gegenstand der Evaluation war, verzichtet die Kommission aber auf eine Beurteilung.
Auch die Kritik gewisser Kantone an der Komplexität der Kompensationen für besondere Leistungen nimmt sie zur Kenntnis. Sie weist darauf hin, dass die ausdifferenzierte und damit auch komplexe Ausgestaltung der Kompensationen dem Willen der Kantone entspricht. ¹8
¹6 Vgl.
www.sem.admin.ch
> Asyl / Schutz vor Verfolgung > Das Asylverfahren > Nationale Asylverfahren > Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone (abgerufen am 11. Oktober 2024).
¹7 Vgl. Fussnote 4
¹8 Vgl. Ziffer 2 Buchstabe d der gemeinsamen Erklärung der zweiten Asylkonferenz vom 28. März 2014 (siehe Fn. 4).
2.2 Anwendung der Prozesse und Instrumente
2.2.1 Feststellungen der PVK
Die PVK hat untersucht, ob die für die Verteilung auf die Kantone eingesetzten Prozesse und Instrumente zweckmässig angewendet werden. Dafür hat sie deren Eignung und Umsetzung, die Koordination zwischen den involvierten Stellen sowie die Notfallplanung Asyl evaluiert.
Was die Instrumente betrifft, hält die PVK fest, dass die Mehrheit der befragten Personen den Einsatz des Algorithmus als positiv beurteilen. Der Algorithmus beziehe allerdings das wichtige Verteilungskriterium der Einheit der Familie und weitere Kriterien wie eine bestehende Kantonszuständigkeit oder Schutz- bzw. Sicherheitsmassnahmen nicht ein. ¹9 Um auch diese Verteilungskriterien zu berücksichtigen, übersteuert das SEM die vom Algorithmus vorgeschlagenen Kantonszuweisungen in vielen Fällen.
Die PVK stellt fest, dass die Prozesse im Allgemeinen gut funktionieren. Allerdings würden sie von den einzelnen BAZ unterschiedlich umgesetzt. Dies erkläre sich durch den Standort der BAZ, die Verfahrensaufgaben in sechs verschiedenen Asylregionen wahrnehmen, und durch die Distanz der BAZ zum Hauptsitz des SEM. In einigen BAZ beispielsweise könnten die Verwaltungsmitarbeitenden den Verteilvorschlag im elektronischen System nur mit Bewilligung einer vorgesetzten Person übersteuern. Der Informationsaustausch innerhalb der BAZ zwischen den Fachspezialistinnen und -spezialisten, welche für das Verfahren verantwortlich sind, und den administrativen Mitarbeitenden funktioniere teils nicht zufriedenstellend.
Besonders grosse Abweichungen in der Praxis der einzelnen BAZ gebe es bei der Übersteuerung der Verteilvorschläge des Systems. Der Anteil der Übersteuerungen der vom Algorithmus vorgeschlagenen Verteilung variiere je nach BAZ zwischen 27 und 62 Prozent. Teils seien zudem die Begründungen für die Übersteuerungen nicht nachvollziehbar, da die Datenerfassung nicht immer verständlich und systematisch erfolge. Gewisse Werte fehlten bzw. seien inkohärent. Auch wenn das SEM einen Teil der Unstimmigkeiten in den Daten gegenüber der PVK nachträglich erklären konnte, ist die Transparenz gemäss PVK ungenügend und die Nachvollziehbarkeit mangelhaft. Die zuständige Sektion im SEM könne die Einhaltung der Vorgaben nicht immer wirksam überprüfen. Sie habe aufgrund der Feststellung, dass die Anweisungen nicht korrekt angewandt wurden, nach Beginn der Evaluation der PVK allen BAZ-Mitarbeitenden eine präzisierte Version der Anweisungen zugestellt.
Die Koordination zwischen Bund und Kantonen erfolge grundsätzlich zweckmässig. Die PVK weist allerdings auf die sogenannten «Zuweisungsstopps» der Kantone hin. Bei einem solchen Stopp setzt das SEM die Zuweisung von Asylsuchenden an einen Kanton aus, wenn dieser akute Unterbringungsprobleme geltend macht. 2⁰ Diese Stopps seien für die Verteilung problematisch. Das SEM gewähre den Kantonen die Stopps für die Dauer von höchstens einer Woche. Gemäss. Aussagen des SEM hielten sich die Kantone allerdings nicht immer an die Regeln. Es komme vor, dass Zuweisungsstopps bis zu zwei Monate dauern, ohne dass das SEM etwas dagegen unternehmen könne.
Kritik seitens der von der PVK interviewten Personen gibt es zudem bezüglich der Notfallplanung Asyl. Die Aktivierung vom Oktober 2022 wurde einhellig begrüsst. Allerdings kritisieren die Kantone, dass sie der Bund zu spät informiert habe. Auch die PVK hält die Kommunikation durch das SEM für kurzfristig. Sie weist aber darauf hin, dass das SEM die Kantone vorgängig über die aktuellen Entwicklungen im Asylbereich informiert hatte. Diese Information sei sachlich und adäquat gewesen. Einige Kantone sind zudem der Ansicht, dass der Bund die Notfallplanung Asyl nicht genügend oft aktiviert. Die PVK verweist in diesem Punkt auf die Aktualisierung der Eckwerte durch das SEM (vgl. Ziff. 2.1). Im gleichen Zusammenhang werden auch die Prognosen des SEM als zu unpräzise bemängelt. Aus Sicht der PVK hingegen setzt das SEM die verfügbaren Daten bestmöglich für seine Prognosen ein.
Im Weiteren hält die PVK folgende Punkte fest:
-
Das SEM nehme im elektronischen System, das gestützt auf den Algorithmus einen Verteilvorschlag berechnet, verschiedene Parametrisierungen vor. So werden zum Beispiel gewisse Kriterien mit dem Faktor 2 gewichtet, andere mit dem Faktor 1. Diese Parametrisierungen werden nicht ausreichend transparent ausgewiesen.
-
Die Interessen der Asylsuchenden werden berücksichtigt, auch wenn sich dabei Herausforderungen stellten.
¹9 Vgl. zu den Kriterien Kapitel 1.1.
2⁰ In seiner Stellungnahme vom 3. Januar 2025 zum Entwurf des vorliegenden Berichts weist das SEM auf seine Unterscheidung zwischen «Zuweisungsstopp» (es erfolgt keine Zuweisung im elektronischen System) und «Austrittsstopp» (die Zuweisung an den Kanton erfolgt, nicht aber der Austritt aus dem BAZ). Das SEM gewährte bisher keine längeren Zuweisungsstopps, jedoch längere Austrittsstopps für Teilgruppen. Die PVK fasste in ihrem Bericht bei Arten von Stopps als «Zuweisungsstopps» zusammen.
2.2.2 Bewertung der GPK-S
Die GPK-S nimmt erfreut vom Befund der PVK Kenntnis, wonach die Prozesse im Allgemeinen gut funktionieren. Insbesondere schätzt sie es, dass die zuständige Sektion im SEM auf die mangelhafte Einhaltung der Vorgaben durch die BAZ bereits reagiert hat, indem sie mit einer Aktualisierung ihrer Anweisungen an die BAZ die Klarheit der Vorgaben verbessert hat.
Dennoch erkennt die Kommission Optimierungsbedarf, was die Zweckmässigkeit der Anwendung der eingesetzten Prozesse und Instrumente angeht. Dies gilt insbesondere für die von den BAZ manuell vorgenommenen Zuteilungen, d.h. die Übersteuerungen des vom elektronischen System aus dem Algorithmus abgeleiteten Kantonsvorschlags. Der Anteil der Übersteuerungen an den gesamten Zuteilungen variiert gemäss PVK stark zwischen den einzelnen BAZ. Der von der PVK genannte Grund für einen Teil der Unterschiede bei den Übersteuerungen des Systems, nämlich die unterschiedliche Zusammensetzung der Asylsuchenden in den einzelnen BAZ, ist nachvollziehbar. So kann in einem BAZ bspw. ein relativ hoher Anteil an Übersteuerungen aufgrund einer bestehenden Kantonszuständigkeit vorliegen, wenn in diesem BAZ relativ viele Asylsuchende untergebracht sind, auf welche das Dublin-Verfahren (Zuständigkeit für das Asylverfahren gemäss Dublin-Verordnung 2¹ bei einem anderen Staat) anwendbar ist. In diesen Fällen erfolgt die Zuweisung nämlich grundsätzlich an den Standortkanton des BAZ (Art. 21 Abs. 4 AsylV 1). Als zweiten Grund nennt die PVK «unterschiedliche Mentalitäten der Regionen» 2² und die «unterschiedliche Distanz zum Hauptsitz des SEM» ²3 , welche zu Unterschieden bei der Umsetzung der Weisungen des SEM führten. Gemäss PVK kennen die Mitarbeitenden der BAZ die Weisungen zwar grundsätzlich, wenden diese aber «nur selten» ²4 an. Dies kann zu einer Ungleichbehandlung der Asylsuchenden führen. ²5
Aus Sicht der GPK-S ist eine solche Ungleichbehandlung zu vermeiden. Da die Weisungen und Schulungsunterlagen gemäss PVK genügend klar und verständlich sind, ortet die GPK-S den Handlungsbedarf nicht bei deren Qualität, sondern deren Um- und Durchsetzung. Die PVK erwähnt zudem auch einen ungenügenden Informationsaustausch zwischen den Mitarbeitenden innerhalb der BAZ sowie unterschiedliche Auffassungen zur Kompetenzverteilung zwischen den BAZ und der Zentrale des SEM. Auch hier besteht aus Sicht der GPK-S Optimierungsbedarf.
| Empfehlung 2 Umsetzung der Weisungen des SEM durch die BAZ Der Bundesrat wird aufgefordert, dafür zu sorgen, dass das SEM seine Weisungen bezüglich der Übersteuerung der Verteilvorschläge des elektronischen Systems gegenüber den BAZ so rasch als möglich konsequent durchsetzt. Angestrebt werden sollen eine einheitliche Umsetzung der Weisungen in den BAZ und eine Verbesserung des Informationsflusses zwischen den Mitarbeitenden. Ungleichbehandlungen von Asylsuchenden aufgrund regional unterschiedlicher Handhabung der gleichen Weisungen müssen vermieden werden. |
Aus Sicht der GPK-S ist es hingegen verständlich und richtig, dass das SEM für die Überprüfung der Zuteilung durch die BAZ nur sehr begrenzte Ressourcen einsetzt. Problematisch ist hingegen die von der PVK festgestellte mangelnde Nachvollziehbarkeit von Daten im elektronischen System. Vollständigkeit und Kohärenz der Daten müssen sichergestellt sein.
| Empfehlung 3 Sicherstellung der Datenqualität Der Bundesrat wird ersucht, die Vollständigkeit und Kohärenz der Daten, auf denen die Kantonsverteilung beruht, sicherzustellen. Die Datenbearbeitung muss transparent und rückverfolgbar sein. |
Was den Einsatz von Informatikmitteln betrifft, zeigt sich die Kommission zufrieden damit, dass das SEM Optimierungen in Auftrag gegeben hat und im Rahmen der Erneuerung des Zentralen Migrationsinformationssystems (ZEMIS) die Informatikinstrumente zur Verteilung der Asylsuchenden überprüft. Die GPK-S bedauert hingegen, dass die Umsetzung notwendiger Anpassungen von Informatikanwendungen durch das Informatik Service Center des EJPD (ISC-EJPD) gemäss PVK aufgrund ungenügender Ressourcen lange dauert.
| Empfehlung 4 Erneuerung der Informatikinstrumente Der Bundesrat wird eingeladen, für eine Priorisierung der Erneuerung der Informatikinstrumente zu sorgen, welche bei der Verteilung der Asylsuchenden zum Einsatz kommen. Im Weiteren bittet die Kommission den Bundesrat, sie im Rahmen seiner Stellungnahme über den Stand der diesbezüglichen Arbeiten in Kenntnis zu setzen. |
Auch den Einsatz eines Algorithmus begrüsst die GPK-S. Dieser erscheint als hilfreich, wenn es darum geht, die Asylsuchenden effizient und nach objektiven Kriterien auf die Kantone zu verteilen. Nicht nachvollziehbar ist für die Kommission allerdings, warum der Algorithmus nicht mehr bzw. alle Kriterien berücksichtigt, was die genannten Übersteuerungen verursacht. Ebenfalls nicht ersichtlich ist für die GPK-S, warum die Parametrisierung nicht ausgewiesen wird.
| Empfehlung 5 Bessere Abbildung der Verteilkriterien im Algorithmus und transparente Parametrisierung Der Bundesrat wird gebeten, eine Erweiterung des Algorithmus prüfen zu lassen, welche dazu führt, dass der vom System erstellte Zuweisungsvorschlag mehr bzw. sämtliche Verteilkriterien berücksichtigt. Zudem soll das SEM die Parametrisierung transparent ausweisen. |
Im Übrigen nimmt die GPK-S mit Befriedigung den Befund der PVK zur Kenntnis, dass das SEM - neben den Interessen der Kantone - auch die Interessen der Asylsuchenden bei der Verteilung im Rahmen des Möglichen berücksichtigt.
Ebenfalls erfreut zeigt sich die Kommission über die gemäss PVK im Allgemeinen gute Koordination zwischen dem SEM und den kantonalen Stellen. Was die Kritik von verschiedenen Gesprächspartnerinnen und -partnern an der Aktivierung der Notfallplanung, der späten Kommunikation durch das SEM 2022 und den Prognosen des SEM angeht, wird diese von der PVK relativiert. Die Kommission erkennt deshalb keinen Handlungsbedarf.
Kritischer sieht die GPK-S die Zuweisungs- und Austrittsstopps, zumal diese gemäss Aussagen des SEM teilweise bis zu zwei Monate dauern. Dies verkompliziert die Verteilung zusätzlich.
| Empfehlung 6 Reaktion auf zu lange Zuweisungs- und Austrittsstopps Dem Bundesrat wird empfohlen, dafür zu sorgen, dass im Fall einer unangemessenen Verlängerung bzw. Dauer eines Zuweisungs- oder Austrittsstopps seitens Bund auf politischer Ebene (Leitung Departement oder Staatsekretariat) beim entsprechenden Kanton interveniert wird. |
2¹ Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags ( SR 0.142.392.68 ).
2² Vgl. Bericht PVK S. 29
²3 Vgl. Bericht PVK S. 28
²4 Vgl. Bericht PVK S. 29
²5 In seiner Stellungnahme vom 3. Januar 2025 zum Entwurf des vorliegenden Berichts hält das SEM fest, dass sich die je nach BAZ unterschiedlichen Handhabungen «lediglich auf bestimmte administrative Prozesse beziehen, welche keinen Einfluss auf eine Gleichbehandlung der Asylsuchenden im Asyl- und Kantonszuweisungsverfahren haben». Diese Aussage steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen der PVK (vgl. Ziff. 4.1 des Evaluationsberichts).
2.3 Tatsächliche Verteilung auf die Kantone
2.3.1 Feststellungen der PVK
Die oben erwähnte Übersteuerung der vom Algorithmus vorgeschlagenen Kantonszuweisungen hat zur Folge, dass einigen Kantonen mehr Personen zugewiesen werden, als dies gemäss Algorithmus zu erwarten wäre. Dabei sind gemäss Evaluation der PVK die Abweichungen auf der Basis einer Jahresbetrachtung beträchtlich. Dies gelte insbesondere für Unterkategorien mit tiefen Fallzahlen und Kantone mit einer vergleichsweise kleinen Bevölkerung.
Die Abweichungen führen bei gewissen Kantonen zu Unzufriedenheit, da die Abgeltungen des Bundes an die Kantone pro zugewiesene Person pauschal erfolgen und nicht sämtliche verursachten Kosten decken. Kantone, denen mehr Asylsuchende zugeteilt werden als dies gemäss Algorithmus der Fall wäre, müssen somit in absoluten Zahlen höhere ungedeckte Gesamtkosten selber tragen. Die PVK beurteilt die aktuelle tatsächliche Verteilung auf die Kantone deshalb als nur bedingt zweckmässig. Gleichzeitig hält sie aber auch fest, dass in Anbetracht der Vorgaben kein grosser Spielraum dafür besteht, die Abweichungen zu verkleinern.
Weiter weist die PVK darauf hin, dass das SEM die Abweichungen in einem Jahr grundsätzlich nicht bei den Verteilungen in den Folgejahren ausgleiche (ausser bei Personen im erweiterten Verfahren sowie Personen mit Status S). Begründet wird dies mit der Auszahlung der Pauschalbeiträge. Die PVK hält es nur für teilweise zweckmässig, dass ein Ausgleich der Abweichungen lediglich über ein Jahr hinweg angestrebt wird (Jährlichkeitsprinzip). Mit einem Übertrag von Abweichungen auf die Folgejahre könnten diese nachträglich besser ausgeglichen werden.
Die Berichterstattung der im SEM zuständigen Sektion gegenüber den ihr vorgesetzten amtsinternen Stellen erachtet die PVK als angemessen, jene gegenüber den Kantonen und den BAZ hingegen als zu umfangreich und somit nicht adressatengerecht.
2.3.2 Bewertung der GPK-S
Angesichts der bei dieser Thematik bestehenden Sensibilitäten seitens Politik und Bevölkerung hält es die GPK-S grundsätzlich für wichtig, dass die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone gemäss den geltenden Kriterien vorgenommen wird. Sie schliesst sich aber der Einschätzung der PVK an, wonach Abweichungen der tatsächlichen Verteilung gegenüber jener gemäss Vorschlag des Algorithmus mit der von den Kantonen gewählten Funktionsweise, welche die Berücksichtigung diverser Kriterien umfasst, kaum vermeidbar sind. Eine gewisse Abhilfe schaffen würde es, wenn die Abweichungen bei allen Verteilkategorien über ein Jahr hinaus ausgeglichen würden. Der GPK-S erscheint ein Festhalten am Jährlichkeitsprinzip nicht zwingend.
| Empfehlung 7 Überprüfung des Jährlichkeitsprinzips bei der Verteilung Der Bundesrat wird aufgefordert, zu prüfen, ob die Abweichungen zwischen der gewünschten und der tatsächlichen Verteilung in einem Jahr auf die Folgejahre übertragen und so ausgeglichen werden können. |
3 Schlussfolgerungen und weiteres Vorgehen
Aufgrund der Evaluation der PVK erhält die GPK-S einen grundsätzlich positiven Eindruck des Vollzugs durch das SEM im Bereich der Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone. Die Kommission anerkennt insbesondere das Bemühen des SEM, sowohl den Interessen der Kantone als auch jenen der Asylsuchenden gerecht zu werden. Zu erwähnen ist insbesondere auch, dass das SEM gemäss PVK bereits bei verschiedenen Punkten Verbesserungen eingeleitet hat. Der Kommission ist es auch wichtig zu betonen, dass die Komplexität und daraus folgende Erschwernisse nicht aus der Vollzugstätigkeit herrühren, sondern aus den rechtlichen Rahmenbedingungen und dem von den Kantonen gewählten Verteilungsmodus. Letzterer wiederum ist auch eine Folge davon, dass der Bundesgesetzgeber dessen Regelung ausdrücklich den Kantonen überlassen hat, anstatt selbst eine Regelung zu beschliessen (Art. 27 Abs. 1 AsylG).
Auch wenn die GPK-S keine gravierenden Mängel festgestellt hat, erkennt sie doch in verschiedenen Punkten Optimierungsbedarf bzw. -möglichkeiten. Deshalb richtet die Kommission die obenstehenden sieben Empfehlungen an den Bundesrat. Diese sollen unter dem Strich zu einfacheren und effizienteren Abläufen und zu einer (bevölkerungsproportional) ausgeglichenen Lastenverteilung zwischen den Kantonen führen. Die aus dem Bericht der PVK erkennbare pragmatische Grundhaltung des SEM bei seinen Vollzugsaufgaben soll erhalten bleiben.
Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu den Feststellungen und Empfehlungen dieses Berichts sowie zum Evaluationsbericht der PVK bis zum 30. Mai 2025 Stellung zu nehmen und der Kommission mitzuteilen, mit welchen Massnahmen und bis wann er die Empfehlungen umsetzen wird.
| 21. Februar 2025 | Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Der Präsident: Charles Juillard Die Sekretärin: Ursina Jud Huwiler Der Präsident der Subkommission EJPD/BK: Carlo Sommaruga Der Sekretär der Subkommission EJPD/BK: Nico Häusler |
Abkürzungsverzeichnis
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| AS | Amtliche Sammlung des Bundesrechts |
| AsylG | Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (SR 142.31 ) |
| AsylV 1 | Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (SR 142.311 ) |
| BAZ | Bundesasylzentrum |
| BBl | Bundesblatt |
| BK | Bundeskanzlei |
| EJPD | Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement |
| ETHZ | Eidgenössische Technische Hochschule Zürich |
| GPK | Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte |
| GPK-S | Geschäftsprüfungskommission des Ständerates |
| KKJPD | Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren |
| PPC | PrivatePublicConsulting GmbH |
| PVK | Parlamentarische Verwaltungskontrolle |
| SEM | Staatssekretariat für Migration |
| SODK | Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren |
| SR | Systematische Sammlung des Bundesrechts |
Bundesrecht
Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone. Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates
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