Parlamentarische Initiative Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotaufnahme Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates
Parlamentarische Initiative Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotaufnahme Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates
vom 10. April 2025
Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf ¹ zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG). Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.
| 10. April 2025 | Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Barbara Gysi |
Übersicht
Mit dieser Vorlage sollen die Kantone die Kompetenz erhalten, bei jeder Konsultation der Spitalnotaufnahme einen Zuschlag auf den Selbstbehalt von höchstens 50 Franken zu erheben. Ausgenommen von dieser Regelung sind Schwangere, Kinder , von einem Transport- oder Rettungsunternehmen eingelieferte Personen sowie Personen mit einer schriftlichen Überweisung durch einen Arzt bzw. eine Ärztin, ein Zentrum für Telemedizin, einen Apotheker bzw. eine Apothekerin oder eine kantonale Notfallnummer. Durch das finanzielle Lenkungselement sollen die Versicherten davon abgehalten werden, bei leichten Fällen die Spitalnotaufnahme aufzusuchen. Die Stärkung des Kostenbewusstseins und der Eigenverantwortung wird aus Sicht der Kommission zu einer Entlastung der Notaufnahmen der Spitäler führen.
Ausgangslage
Die Inanspruchnahmerate von Spitalnotaufnahmen steigt regelmässig an, was die Arbeitslast des Medizinal- und Pflegepersonals erhöht und die Wartezeiten verlängert. Aufgrund dieser Feststellungen ist die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) der Ansicht, dass gehandelt werden muss, um die Überlastung der Spitalnotaufnahmen zu reduzieren. Die parlamentarische Initiative (Weibel) Bäumle «Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme» (17.480) verlangt die Einführung einer «Gebühr» für Bagatellfälle, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen, damit Bagatellfälle nicht in der Notaufnahme behandelt, sondern einer angemesseneren und kostengünstigeren Versorgung zugeführt werden. Die Kommission hat die Vereinbarkeit einer solchen Lösung mit den Verfassungsbestimmungen analysiert und mehrere Umsetzungsoptionen geprüft. Nach eingehenden Beratungen hat sie in einer gezielten Erhöhung der Kostenbeteiligung der Versicherten eine pragmatische und effiziente Lösung gefunden.
Inhalt der Vorlage
Diese Vorlage sieht einen Zuschlag auf den Selbstbehalt von höchstens 50 Franken zulasten der versicherten Person vor, wenn diese eine Spitalnotaufnahme ohne schriftliche Überweisung von einem Arzt bzw. einer Ärztin, von einem Zentrum für Telemedizin, von einem Apotheker bzw. einer Apothekerin oder von einer kantonalen Notfallnummer aufsucht. Von dieser Regelung ausgenommen sind Schwangere, Kinder und Personen, die von einem Transport- oder Rettungsunternehmen eingeliefert werden. Ausserdem gilt sie nur für Personen, die der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) unterstellt sind. Der Entscheid über die Einführung eines solchen Zuschlages auf den Selbstbehalt wird den Kantonen überlassen.
Für die Umsetzung dieser Regelung muss ein neuer Artikel 64 Absatz 3bis ins Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG)
²
aufgenommen werden.
Bericht
¹ BBl 2025 1706
² SR 832.10
1 Entstehungsgeschichte
Am 27. September 2017 hat Nationalrat Thomas Weibel (GLP, ZH) die parlamentarische Initiative 17.480 eingereicht, wonach die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen sind, dass Patientinnen und Patienten, welche die Notaufnahme eines Spitals aufsuchen, vor Ort eine Gebühr von beispielsweise 50 Franken bezahlen müssen. Diese Gebühr wäre nicht an die Franchise oder Kostenbeteiligung anrechenbar. Davon ausgenommen werden könnten Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sowie Patienten und Patientinnen mit ärztlicher Zuweisung oder einer nachfolgenden stationären Behandlung.
Die Initiative wird damit begründet, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Konsultationen in der Spitalnotaufnahme stark zugenommen hat, was eine Überlastung der Notfallorganisation zur Folge hat. Es gibt verschiedene Gründe für diese Entwicklung. Jedoch weist der Initiant darauf hin, dass viele Fälle sich als Bagatellfälle entpuppen. Die Überlastung der Notaufnahme bedeutet mehr Stress für das Medizinal- und Pflegepersonal sowie lange Wartezeiten für echte Notfälle, was gefährliche Folgen haben kann. Die Einführung einer Gebühr hätte eine abschreckende Wirkung, so dass Bagatellfälle nicht in der Notaufnahme, sondern in erster Linie in den Hausarztpraxen, die eine bewährte und kostengünstigere Versorgung bieten, behandelt würden. Eine solche Massnahme würde zur Entlastung der Spitalnotaufnahmen beitragen und könnte auch den Anstieg der Gesundheitskosten eindämmen.
Nach dem Ausscheiden von Thomas Weibel aus dem Nationalrat wurde die parlamentarische Initiative von Nationalrat Martin Bäumle (GLP, ZH) übernommen.
Am 6. Juli 2018 hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) der parlamentarischen Initiative mit 17 zu 7 Stimmen Folge gegeben. An ihrer Sitzung vom 15. April 2019 gab die Schwesterkommission des Ständerats (SGK-S) mit 7 zu 5 Stimmen keine Zustimmung zu diesem Beschluss.
Die Initiative wurde daher noch einmal von der SGK-N geprüft, die ihrem Rat am 15. November 2019 mit 16 zu 6 Stimmen beantragte, der Initiative Folge zu geben. Am 3. Dezember 2019 befasste sich der Nationalrat mit der Frage und beschloss mit 108 zu 85 Stimmen bei 1 Enthaltung, dem Antrag seiner Kommission zu folgen und der parlamentarischen Initiative Folge zu geben.
Nachdem der Nationalrat grünes Licht gegeben hatte, wurde das Geschäft der SGK-S zur erneuten Prüfung vorgelegt. Am 14. April 2021 beantragte die Kommission mit 6 zu 0 Stimmen bei 5 Enthaltungen, dem Beschluss des Nationalrats nicht zuzustimmen. Am 16. Juni 2021 unterstützte der Ständerat einen von Ständerat Jakob Stark eingereichten Einzelantrag und schloss sich mit 17 zu 15 Stimmen bei 2 Enthaltungen dem Beschluss des Nationalrats an, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben.
Um das weitere Vorgehen festzulegen, hat die SGK-N, die einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Anliegen der parlamentarischen Initiative ausarbeiten sollte, an ihrer Sitzung vom 19. Mai 2022 Vertreter und Vertreterinnen von Spitälern, Ärzteschaft, Krankenversicherern, Patienten und Patientinnen sowie Konsumenten und Konsumentinnen angehört. Aufgrund dieser Anhörung kam die Kommission zum Schluss, dass die vorgeschlagene Gebühr weniger Nutzen hätte als erwartet, eine erhebliche Arbeitslast mit sich brächte und eine Quelle der Unsicherheit darstellen würde. Daher beantragte sie mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung, die Initiative abzuschreiben. Am 30. September 2022 ging die Initiative daher noch einmal an den Nationalrat zurück, der mit 114 zu 71 Stimmen bei 6 Enthaltungen den Antrag seiner Kommission auf Abschreibung ablehnte.
Am 3. Februar 2023 nahm die Kommission die Behandlung der parlamentarischen Initiative wieder auf, um die Leitlinien des Projekts zu ihrer Umsetzung festzulegen. Gestützt auf Artikel 112 Absatz 1 des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung (ParlG) ³ , hat die Kommission Sachverständige des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) hinzugezogen. So beauftragte sie die Verwaltung mit der Ausarbeitung von zwei Varianten: Die erste sollte die Einführung einer nationalen Gebühr von 50 Franken vorsehen, die zweite eine Erhöhung des Selbstbehaltes um 50 Franken für jede Konsultation in der Notaufnahme (vgl. auch Ziff. 2.3). Am 31. August 2023 nahm die Kommission von den Arbeiten der Verwaltung Kenntnis und prüfte die beiden Vorentwurfsvarianten. Aufgrund der Feststellung zahlreicher verfassungsrechtlicher und umsetzungstechnischer Schwierigkeiten wurde die erste Variante fallengelassen. Die Kommission wünschte, die Analyse der zweiten Variante fortzuführen. Dazu beauftragte sie die Verwaltung, das Einsparpotenzial dieser Variante zu prüfen, und verlangte zudem weitere statistische Informationen zur Inanspruchnahme der Spitalnotaufnahme. Am 17. November 2023 legten die Sachverständigen des BAG der Kommission die Schlussfolgerungen ihrer Analysen dar. Am 11. April 2024 wurden der Kommission wiederum zwei Vorentwurfsvarianten vorgelegt: Die erste sah vor, den maximalen jährlichen Selbstbehalt bei jeder ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Spitalnotaufnahme um 50 Franken zu erhöhen. In der zweiten, einschneidenderen Variante wurde die Kostenbeteiligung als Zuschlag von 50 Franken auf den Selbstbehalt ausgestaltet, der somit schon zum Tragen käme, bevor die versicherte Person die Obergrenze des jährlichen Selbstbehalts erreicht hat. Mit 13 zu 12 Stimmen unterstützte die Kommission die erste Variante, und mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung nahm sie den entsprechenden Vorentwurf in der Gesamtabstimmung an. An ihrer Sitzung vom 15. August 2024 hat die Kommission schliesslich den erläuternden Bericht im Hinblick auf das Vernehmlassungsverfahren bereinigt. Gleichzeitig hat die Kommission mit 16 zu 9 Stimmen beschlossen, ihrem Rat zu beantragen, die Frist für die Ausarbeitung einer Vorlage um zwei Jahre zu verlängern. Der Nationalrat hat diesem Antrag am 27. September 2024 mit 130 zu 65 Stimmen zugestimmt.
An der Sitzung vom 10. April 2025 nahm die Kommission von den Ergebnissen der Vernehmlassung Kenntnis (siehe Ziff. 2.4). Mit 13 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung ist die Kommission auf den Entwurf eingetreten. Im Rahmen der Detailberatung hat sie sich mit 13 zu 8 Stimmen bei 4 Enthaltungen für die einschneidendere der beiden in die Vernehmlassung geschickten Varianten ausgesprochen (Zuschlag von 50 Franken auf den Selbstbehalt). Gestützt auf die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung hat sie zudem mit 20 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung entschieden, auch Personen von der Regelung auszunehmen, die über eine kantonale Notfallnummer an die Spitalnotaufnahme überwiesen oder von einem Transport- oder Rettungsunternehmen eingeliefert werden.
Die Kommission beschloss mit 13 zu 12 Stimmen, den Entwurf ihrem Rat zu unterbreiten und den Bundesrat zur Stellungnahme einzuladen.
³ SR 171.10
2 Ausgangslage
2.1 Überlastung der Spitalnotaufnahme
Die Notaufnahmen der Spitäler sind ein wesentlicher Bestandteil des Schweizer Gesundheitssystems. Sie bieten raschen und direkten Zugang zu medizinischen Spitzenleistungen und gewährleisten eine speditive und effiziente Behandlung von medizinischen Notfällen. Sie bilden auch eine wichtige Drehscheibe zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Einerseits lassen sich manche Fälle zügig ambulant behandeln, andererseits können Patienten und Patientinnen, die eine stationäre Behandlung benötigen, umgehend an die zuständigen Abteilungen innerhalb desselben Spitalkomplexes überwiesen werden. Dieser Querschnittszugang zum Gesundheitswesen muss gewahrt und gewährleistet werden, insbesondere durch die Vermeidung von Überlastung und Engpässen. Die Inanspruchnahme der Notaufnahme muss in ein breiteres Spektrum von Zugängen zum Gesundheitswesen eingebettet sein, so dass eine gezielte und rationelle Behandlung der verschiedenen medizinischen Fälle möglich ist. Das System muss in der Lage sein, leichte oder weniger schwere Fälle an andere Versorgungseinrichtungen, wie zum Beispiel Hausarztpraxen, weiterzuleiten, so dass die Ressourcen und die Aufnahmekapazität der Spitalnotaufnahmen erhalten bleiben und die echten medizinischen Notfälle bewältigt werden können.
In den letzten Jahren haben die betroffenen Akteure wiederholt auf eine zunehmend angespannte Situation in den Spitalnotaufnahmen hingewiesen. Diese Feststellung wird durch die vorliegenden statistischen Daten bestätigt. Die Arbeitsüberlastung stellt die medizinischen Teams auf eine harte Probe und verlängert die Wartezeiten.
Gemäss den im Dossier 64 «Inanspruchnahme von Notfalldiensten» des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) ⁴ präsentierten Zahlen suchten 2016 14 Prozent der Wohnbevölkerung mindestens einmal eine Notfallstation eines Schweizer Spitals auf. Insgesamt wurden 1,7 Millionen Aufnahmen verzeichnet, was rund 4500 Aufnahmen pro Tag entspricht. Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Konsultationen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner je nach Kanton sehr unterschiedlich war. Sie reichte von einem Minimum von 53 (AI) bis zu einem Maximum von 296 Konsultationen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner (TI). Gesamtschweizerisch wurden pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner durchschnittlich 197 Konsultationen verzeichnet. Die neusten vorliegenden Zahlen stammen aus dem Jahr 2022 und zeigen eine leichte Zunahme: 2022 betrug die Rate 248 Konsultationen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner, mit einer Spitze von 357 Konsultationen pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner im Kanton Jura ⁵ .
Am häufigsten werden die Notfallstationen von Kindern unter sechs Jahren in Anspruch genommen (2016: 418 Konsultationen pro 1000 Einwohner/-innen, 2022: 577 ⁶ ). Am zweithöchsten ist die Inanspruchnahmerate bei den 19- bis 25-Jährigen (2016: 263 pro 1000 Einwohner/-innen, 2022: 324). Bei den folgenden Altersklassen sinkt die Rate und erreicht bei den 46- bis 85-Jährigen den tiefsten Stand (2016: ca. 140 pro 1000 Einwohner/-innen, 2022: ca. 190).
Was die Kosten der Konsultationen in den Spitalnotaufnahmen betrifft, so beliefen sich die Rechnungen im Jahr 2016 auf insgesamt 624 Millionen Franken, was 2,2 Prozent der gesamten Spitalkosten entspricht. Im Schweizer Durchschnitt betrug der 2016 für eine Konsultation verrechnete Betrag 382 Franken. 2021 lag der Durchschnittsbetrag bei 371 Franken. Rund 79 Prozent der in den Spitalnotaufnahmen erbrachten Leistungen gingen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) ⁷ .
Erwägungen zu den Bagatellfällen
Es ist schwer zu beziffern, wie viele der Konsultationen in den Spitalnotaufnahmen als «Bagatellfälle» eingestuft werden können. Da es sich um einen gängigen Begriff handelt, der weder im Gesetz noch in der medizinischen Praxis definiert ist, ist es nach wie vor unmöglich, entsprechende Daten zu erheben. Daher gibt es derzeit keine Statistik zu den Bagatellfällen in Spitalnotaufnahmen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass insbesondere in gewissen Kantonen eine beträchtliche Anzahl von Bagatellfällen in den Spitalnotaufnahmen behandelt wird.
Das Obsan hat einen Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahmerate und den durchschnittlichen Konsultationskosten festgestellt ⁸ . Es zeigt sich, dass der durchschnittliche Rechnungsbetrag pro Konsultation mit steigender Inanspruchnahmerate sinkt. In Kantonen mit hoher Inanspruchnahmerate sind die durchschnittlichen Kosten pro Konsultation tendenziell tiefer. Das lässt sich teilweise mit einer höheren Zahl von kostengünstigeren Bagatellen oder einfachen Fällen erklären.
Im Rahmen seiner Analyse hat das Obsan auch festgestellt, dass eine hohe Inanspruchnahmerate meistens auf Mehrfachnutzerinnen und -nutzer zurückzuführen ist ⁹ . Die 1,7 Millionen Notfallkonsultationen im Jahr 2016 verteilten sich auf 1,2 Millionen Patientinnen und Patienten, was durchschnittlich 1,3 Konsultationen pro Person entspricht. Vier von fünf Patienten und Patientinnen (2016: 78 %; 2022: 75.9 %) nutzten die Notfallstationen punktuell (sie wurden im Lauf des Jahres nur einmal registriert). Auf sie entfallen allerdings nur etwas mehr als die Hälfte der Konsultationen (59 %). Werden Personen ab vier Konsultationen als häufige Nutzerinnen und Nutzer definiert, so machen diese nur einen geringen Patientenanteil aus (2 %), sind aber nahezu für jede zehnte Konsultation (9 %) verantwortlich.
⁴ Merçay, C., «Le recours aux services d’urgence en Suisse. Description des différences cantonales» (Obsan Dossier 64), Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, 2018.
⁵ Haldimann, L. & Merçay, C. (2024). Ambulante Konsultationen in Notfallstationen (Obsan Bulletin 10/2024). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.
⁶ Daten 2022: Haldimann, L. & Merçay, C. (2024). Ambulante Konsultationen in Notfallstationen (Obsan Bulletin 10/2024). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.
⁷ Patientendaten Spital ambulant (PSA 2019), Analyse des BAG.
⁸ Merçay, C., Ibidem, Ziff. 5.4 Relation entre le coût de la consultation et le recours aux urgences.
⁹ Merçay, C., Ibidem, Ziff. 4.3 Relation entre la part d’utilisateurs multiples et le recours aux urgences.
2.2 Handlungsbedarf und Ziele
Aufgrund der in den obigen Abschnitten dargelegten Feststellungen ist die Kommission der Ansicht, dass gehandelt werden muss, um die Überlastung der Spitalnotaufnahmen zu reduzieren und damit den reibungslosen Betrieb eines wesentlichen Bestandteils des schweizerischen Gesundheitssystems zu gewährleisten.
Der Zugang zum Gesundheitssystem muss rationell und gezielt organisiert sein. In leichten bzw. nicht schwerwiegenden Fällen sollte die Inanspruchnahme der Spitalnotaufnahme eine Option sein, die als Ultima Ratio in Betracht kommt, wenn keine andere Versorgungsmöglichkeit vorhanden ist. Prioritär sollte eine Hausarztpraxis aufgesucht oder ein ärztlich geleitetes Zentrum für Telemedizin in Anspruch genommen werden. Leichtere Fälle könnten sogar durch eine Beratung in einer Apotheke gelöst werden. Diese Feststellung wird im Übrigen von den Patientinnen und Patienten selbst bestätigt: In einer vom Obsan durchgeführten Umfrage gab mehr als ein Drittel der Patientinnen und Patienten, die einen Notfalldienst in Anspruch genommen hatten, an, dass ihr Fall von ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin hätte behandelt werden können, wenn dieser oder diese verfügbar gewesen wäre 1⁰ .
Die Kommission ist der Ansicht, dass es besser wäre, die Patientinnen und Patienten an die am besten geeigneten medizinischen Leistungserbringer zu verweisen. Die Hauptfunktion der Spitalnotaufnahmen sollte darin bestehen, eine rasche und effektive Behandlung der schlimmsten Fälle zu ermöglichen und den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, wenn andere Optionen nicht möglich oder ausreichend sind. Der in der vorliegenden parlamentarischen Initiative gewählte Ansatz hat den Vorzug, eine abschreckende Wirkung zu erzielen, indem er Patienten und Patientinnen mit Bagatellfällen vom Gang in die Notaufnahme abhält und sie einer angemesseneren und gleichzeitig kostengünstigeren Behandlung zuführt. Die Zielgruppe der vorliegenden Initiative sind in erster Linie Mehrfachnutzerinnen und -nutzer, die mehrmals im Jahr die Notaufnahme aufsuchen.
Das verfolgte Ziel ist die Entlastung der Notaufnahmen; eine Lösung soll also nicht über schwerfällige administrative Prozesse oder zusätzliche Aufgaben für das Medizinal- und Pflegepersonal erreicht werden.
1⁰ Dorn, M., «Erfahrungen der Wohnbevölkerung ab 18 Jahren mit dem Gesundheitssystem - Situation in der Schweiz und im internationalen Vergleich. Analyse des International Health Policy (IHP) Survey 2023 der amerikanischen Stiftung Commonwealth Fund (CWF)» im Auftrag des BAG, Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Obsan Bericht 10/2023.
2.3 Geprüfte Ansätze und gewählte Lösung
Verfassung und Geltungsbereich des KVG
Die parlamentarische Initiative verlangt die Einführung einer Gebühr für Personen, welche die Notaufnahme eines Spitals aufsuchen. Diese «Gebühr» kann nicht als Verwaltungsgebühr im üblichen Sinne betrachtet werden. Der angestrebte Zuschlag soll zusätzlich zu den Konsultationskosten verrechnet werden und wird nicht kostenbasiert berechnet. Es handelt sich hierbei nicht um eine Verwaltungsgebühr, die im üblichen Sinne dazu dient, eine staatliche Ausgabe zu decken. Da der Zweck des Zuschlags darin besteht, das Verhalten der Bevölkerung zu beeinflussen und dafür zu sorgen, dass Bagatellfälle in erster Linie anderen medizinischen Leistungserbringern zugeführt werden, sollte er eher als Lenkungsabgabe interpretiert werden.
Zu beachten ist auch, dass die von der parlamentarischen Initiative angestrebte «Gebühr» nicht in den Geltungsbereich des KVG fällt. Der Zuschlag bezieht sich nämlich nicht auf eine Leistung, Kostenübernahme, Kostenbeteiligung oder Schadenminderungspflicht.
Zudem ist es gemäss Artikel 117 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV) 1¹ nicht zulässig, eine über den Geltungsbereich der Krankenversicherung hinausgehende Regelung in das KVG aufzunehmen. Mit der Initiative wird die Einführung einer Gebühr für alle Konsultationen in der Spitalnotaufnahme angestrebt. Es sind jedoch nicht alle Personen, die eine Notaufnahme aufsuchen, nach KVG versichert (z. B. Touristinnen und Touristen, nach dem Unfallversicherungsgesetz [UVG] ¹2 oder dem Militärversicherungsgesetz [MVG] ¹3 versicherte Personen).
Aufgrund dieser rechtlichen und verfassungsmässigen Überlegungen hat die Kommission zwei mögliche Ansätze für die Umsetzung der parlamentarischen Initiative vertieft.
Ein erster Ansatz, der näher am Initiativtext lag, beinhaltete die Einführung einer Lenkungsabgabe von 50 Franken für alle Bagatellfälle, welche die Spitalnotaufnahme aufsuchen. Dies hätte bedeutet, dass der derzeitige Geltungsbereich des KVG durch eine Änderung der Bundesverfassung ausgeweitet wird.
Ein zweiter Ansatz beruhte hingegen auf der Idee, die im Initiativtext beschriebene Lenkungsabgabe durch eine Erhöhung des Selbstbehalts um 50 Franken für Versicherte, welche die Notaufnahme aufsuchen, zu ersetzen. Die Einführung eines Zuschlags im Sinne einer Anhebung der Kostenbeteiligung des Patienten oder der Patientin würde dem Geltungsbereich des KVG sowie den Verfassungsbestimmungen entsprechen. Dieser Zuschlag würde jedoch nur für Personen gelten, die der OKP unterstehen.
Begriffe Notfall und Bagatellfall
Eine weitere Schwierigkeit liegt bei den Begriffen «Notfall» und «Bagatellfall». Die Initiative soll eine abschreckende Wirkung erzielen, durch die «Bagatellfälle» anderen Versorgungseinrichtungen zugeführt werden, so dass die Aufnahmekapazitäten der Notfallstationen in den Spitälern für echte «Notfälle» gewahrt bleiben. Der Begriff «Bagatellfall» ist jedoch weder im Gesetz noch in der medizinischen Praxis definiert.
Der Begriff Notfall ¹4 wurde hingegen im Rahmen einer KVG-Revision zur Umsetzung der Standesinitiative des Kantons Thurgau 16.312 «Ergänzung von Artikel 64 a des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung betreffend Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten» definiert. Im neuen Artikel 64 a Absatz 7 KVG, der am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, wird ein Notfall wie folgt definiert:
Eine Notfallbehandlung liegt vor, wenn die Behandlung nicht aufgeschoben werden kann. Dies ist der Fall, wenn die versicherte Person ohne sofortige Behandlung gesundheitliche Schäden oder den Tod befürchten muss oder die Gesundheit anderer Personen gefährden kann.
Wenn das Ziel ist, «Bagatellfälle» vom Gang in die Spitalnotaufnahme abzuhalten, besteht ein möglicher Ansatz darin, sich auf eine Negativdefinition zu stützen und somit die Entrichtung des Zuschlags für jeden Fall vorzusehen, bei dem es sich nicht um einen Notfall im Sinne von Artikel 64 a Absatz 7 KVG handelt. Diese Variante hätte den Vorteil, dass ein Unterschied gemacht würde zwischen Personen, die wegen eines echten Notfalls die Spitalnotaufnahme aufsuchen, und solchen, die dies wegen eines Bagatellfalls tun, denn nur im zweiten Fall wäre die Entrichtung einer Gebühr von 50 Franken vorgesehen. Gleichzeitig würde diese Regelung die Gesundheitsfachpersonen stärker belasten, denn diese müssten beurteilen, ob eine Person die Notaufnahme wegen eines echten Notfalls aufgesucht hat oder ob es sich um einen Bagatellfall handelt. Eine solche Beurteilung wäre für das Personal vor Ort mit zusätzlichen Aufgaben und administrativen Formalitäten verbunden, was dem eigentlichen Ziel zuwiderlaufen würde, und könnte für die Betroffenen sogar zu Rechtsunsicherheit führen.
Die Kommission hat daher die Möglichkeit geprüft, sich von der Unterscheidung zwischen «Notfall» und «Bagatellfall» zu entfernen und die Einführung eines systematischen Zuschlags für jede Konsultation in der Spitalnotaufnahme vorzusehen. Die Ausnahmen von diesem Zuschlag könnten abschliessend definiert werden. Durch Vermeidung einer subjektiven Einschätzung von «Notfällen» liesse sich die Rechtssicherheit dieser Massnahme gewährleisten, und es würde kaum zusätzlicher administrativer Aufwand für das Notfallpersonal anfallen.
Gewählte Lösung
Nachdem die Kommission zwei verschiedene Ansätze zur Umsetzung der Initiative geprüft hatte, entschied sie sich aufgrund der obigen Feststellungen für eine Lösung, die sich mit den aktuellen Verfassungsbestimmungen und dem Geltungsbereich des KVG vereinbaren lässt. So schlägt sie vor, die von der parlamentarischen Initiative angestrebte Lenkungsabgabe mittels einer gezielten Erhöhung des Selbstbehalts der Patientinnen und Patienten bei jeder Konsultation in einer Spitalnotaufnahme umzusetzen. Nach Auffassung der Kommission handelt es sich dabei um eine pragmatische Lösung, die einen klaren und einheitlichen Anwendungsrahmen gewährleistet. Die Kommission hat zwei Varianten geprüft: Die erste sieht vor, den maximalen jährlichen Selbstbehalt bei jeder ungerechtfertigten Inanspruchnahme der Spitalnotaufnahme um 50 Franken zu erhöhen. In der zweiten, einschneidenderen Variante ist die Kostenbeteiligung als 50-fränkiger Zuschlag auf den Selbstbehalt ausgestaltet, der somit schon zum Tragen käme, bevor die versicherte Person die Obergrenze des jährlichen Selbstbehalts erreicht hat. Im Rahmen ihrer Vorarbeiten entschied sich die Kommission mit 13 zu 12 Stimmen, die erste Variante (Erhöhung des Selbstbehaltes) als Mehrheitsvariante in die Vernehmlassung zu geben. Aufgrund der Rückmeldungen aus dem Vernehmlassungsverfahren und mit dem Ziel, eine effektivere Lenkungswirkung zu ermöglichen, hat die Kommission am 10. April 2025 mit 13 zu 8 Stimmen bei 4 Enthaltungen beschlossen, in ihrer Vorlage zuhanden des Nationalrates die einschneidendere der beiden Varianten (Zuschlag auf den Selbstbehalt) zu übernehmen.
Die Kommission wollte auch auf eine Unterscheidung zwischen echten «Notfällen» und «Bagatellfällen» verzichten. Ein solcher Ansatz hätte Rechtsunsicherheit bedeutet und die Arbeitslast des Medizinal- und Pflegepersonals erhöht. Die Bestimmung muss daher als Grundmechanismus eine systematische Anhebung des Selbstbehalts bei jeder Konsultation in der Spitalnotaufnahme vorsehen, unabhängig davon, ob es sich dabei um einen Notfall oder einen Bagatellfall handelt. Nachdem dieses Grundprinzip feststand, bestimmte die Kommission die Ausnahmen von diesem Zuschlag, die abschliessend definiert sind. Ausgenommen vom Zuschlag auf den Selbstbehalt sind Personen, die in die Notaufnahme kommen, nachdem sie vorher eine Arztpraxis, ein Zentrum für Telemedizin oder eine Apotheke aufgesucht haben. In all diesen Fällen hätten die Patienten und Patientinnen im Vorfeld einen anderen Leistungserbringer kontaktiert, was dem Ziel der Initiative entspricht, Bagatellfälle anderen medizinischen Versorgungseinrichtungen zuzuführen. Zusätzlich sind Kinder unter 18 Jahren und Schwangere von dieser zusätzlichen Kostenbeteiligung befreit. Gestützt auf die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung hat die Kommission am 10. April 2025 mit 20 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung entschieden, die Ausnahmen zu erweitern. So ist im Entwurf vorgesehen, dass auch Personen von der Regelung ausgenommen sind, die über eine kantonale Notfallnummer schriftlich an die Spitalnotaufnahme überwiesen oder von einem Transport- oder Rettungsunternehmen eingeliefert werden.
Die Kommission möchte dieses System nicht in der ganzen Schweiz einführen, sondern zieht es vor, diese Möglichkeit auf Bundesgesetzebene vorzusehen und dann den einzelnen Kantonen die Wahl zu überlassen. Diese Lösung ist mit der Ausgestaltung des schweizerischen Gesundheitssystems, das den Kantonen weitreichende Kompetenzen bei der Planung und Organisation der Gesundheitsversorgung gewährt, vereinbar und ermöglicht die Berücksichtigung der grossen Unterschiede zwischen den Kantonen in Bezug auf die Inanspruchnahme der Notaufnahme.
1¹ SR 101
¹2 SR 832.20
¹3 SR 833.1
¹4 Die Begriffe «Notfall» und «Notfallbehandlungen» sind schon zuvor im KVG benutzt worden (z. B. Art. 41 Abs. 3 und 3bis KVG).
2.4 Vernehmlassungsverfahren
Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 27. September 2024 bis zum 10. Januar 2025. Die Kommission lud 141 Behörden und Organisationen ein, zum Vorentwurf und zum erläuternden Bericht Stellung zu nehmen. Insgesamt gingen 75 schriftliche Antworten (darunter 20 spontane Stellungnahmen) ein. Diese werden im Folgenden zusammengefasst. ¹5
Das Ziel der Entlastung der Notfallstationen durch eine Stärkung des Kostenbewusstseins der Versicherten wird von den allermeisten Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst. Grundsätzlich werden Massnahmen bejaht, welche auf eine effizientere Organisation der Gesundheitsversorgung abzielen und somit potenziell eine kostendämpfende Wirkung haben. Die konkrete Vorlage stösst jedoch beim Grossteil der Vernehmlassungsteilnehmenden auf Ablehnung. Insbesondere wird das Kosten-Nutzen-Verhältnis der vorgeschlagenen Lösung in Frage gestellt und es wird auf die Gefahr eines erheblichen administrativen Mehraufwandes hingewiesen. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende kritisieren, dass die Vorlage ethisch problematisch sei, da sie vor allem sozial benachteiligte und chronisch kranke Menschen belasten würde, welche aus finanziellen Gründen von notwendigen Behandlungen abgehalten würden. Es könnten sich Gesundheits- und Kostenfolgen ergeben, wenn sich diese Menschen nicht zeitnah in die Spitalnotaufnahme begeben oder zu lange warten würden. Einige Vernehmlassungsteilnehmende machen darauf aufmerksam, dass die Vorlage die Gefahr berge, dass Arztpraxen noch mehr überlastet würden, da ihnen als überweisungsbefugte Stelle eine weitere Aufgabe zugeteilt würde. Weitere Vernehmlassungsteilnehmende machen auf den Umstand aufmerksam, dass Verunfallte ungleich behandelt würden, je nachdem, ob sie nach UVG oder KVG gegen Unfall versichert sind. Touristen und Touristinnen ohne OKP wären ebenfalls nicht von der Regelung betroffen. Mehrere Vernehmlassungsteilnehmnde sind der Ansicht, dass bessere Alternativen existieren und diese geprüft werden sollten, beispielsweise die Einrichtung von telefonischen Anlauf- und Triagestellen oder spitalinternen hausärztlichen Notfallpraxen mit Gatekeeper-Funktion sowie die Förderung der Gesundheitskompetenzen der Patientinnen und Patienten.
Der Vorentwurf wird von den meisten Kantonen sowie der GDK abgelehnt. Auch die Stellungnahmen der eingeladenen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, der Dachverbände der Wirtschaft, der konsultierten Konsumentenverbände, Patientenorganisationen und Leistungserbringer lehnen die Vorlage ab. Von den politischen Parteien sprechen sich die Sozialdemokratischen Partei Schweiz (SP), die Grüne Schweiz (GRÜNE) und die Alternative Liste (AL) gegen den Vorentwurf aus. Von den Versicherern und Versichererverbänden lehnen die Groupe Mutuel und Curafutura die Vorlage ab.
Die Vorlage wird unterstützt von den Kantonen AR, BE, GL, TI und ZH, von der Grünliberalen Partei Schweiz (GLP), der FDP.Die Liberalen (FDP) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP), von Santésuisse und vom Dachverband der Ärztenetzte (Medswissnet). Von den Befürwortern wird mehrheitlich eine schweizweit einheitliche Lösung bevorzugt (BE, GL, TI, FDP, Santésuisse, Medswissnet). Eine kantonal unterschiedliche Ausgestaltung sei zu kompliziert und der Bevölkerung schwer zu vermitteln. Die Mehrheit der Befürworter (GL, FDP, SVP, santésuisse, Medswissnet) unterstützt die Alternativvariante, welche bereits bei der Ausschöpfung der Franchise greifen würde und deshalb zweckmässiger sei. Mit dieser Variante sei die Lenkungswirkung deutlich höher.
¹5 Vernehmlassungsbericht. Parlamentarische Initiative 17.480. abrufbar unter:
www.admin.ch
> Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > Parl. oder
www.parlament.ch
> Suche Curia Vista > 17.480 > Vernehmlassung.
3 Grundzüge der Vorlage
3.1 Kompetenz der Kantone zur Einführung eines Zuschlages auf den Selbstbehalt von höchstens 50 Franken bei jeder Konsultation der Spitalnotaufnahme
Die Kostenbeteiligung einer versicherten Person besteht gemäss geltendem Recht aus einem festen Jahresbeitrag (Franchise) und 10 Prozent der die Franchise übersteigenden Kosten (Selbstbehalt) ¹6 . Sie ist gemäss geltendem Recht nach oben begrenzt, d. h. sie darf die Summe von Franchise ¹7 und Selbstbehalt grundsätzlich nicht überschreiten ¹8 . Für den Selbstbehalt setzt der Bundesrat einen jährlichen Höchstbetrag fest ¹9 . Er beträgt zurzeit für Erwachsene und junge Erwachsene 700 Franken 2⁰ . Die versicherte Person muss sich gemäss geltendem Recht folglich maximal in der Höhe der gewählten Franchise plus 700 Franken Selbstbehalt an den von der OKP übernommenen Kosten beteiligen.
Die Vorlage schafft die rechtliche Grundlage, um einen Zuschlag auf den Selbstbehalt von höchstens 50 Franken zulasten der versicherten Person für jede Konsultation einer Notaufnahme im Spital ohne schriftliche Überweisung durch einen Arzt bzw. eine Ärztin, ein Zentrum für Telemedizin, einen Apotheker bzw. eine Apothekerin oder eine kantonale Notfallnummer zu erheben. Dieser Zuschlag auf den Selbstbehalt soll das Kostenbewusstsein und die Eigenverantwortung der versicherten Personen stärken. Die Aussicht, je nach Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen während des laufenden Jahres einen erhöhten Beitrag als Selbstbehalt beisteuern zu müssen, wird Versicherte in den Augen der Kommission davon abhalten, bei leichten Fällen die Spitalnotaufnahme aufzusuchen.
Sobald eine versicherte Person die Franchise ausgeschöpft hat, hat sie diesen Zuschlag auf den Selbstbehalt im Rahmen der Kostenbeteiligung zu bezahlen. Die Höhe des bereits bezahlten Selbstbehaltes spielt dabei keine Rolle. Im Jahr 2022 waren rund 45 Prozent aller Versicherten mit einer Franchise von 300 Franken versichert. 35 Prozent waren mit einer Franchise von 2500 Franken versichert. Die anderen Franchiseformen von 500 bis 2000 Franken wurden deutlich weniger oft gewählt. Fast 90 Prozent der Personen mit einer Franchise von 300 Franken schöpften diese aus. Nur 10 Prozent der Personen mit der höchsten Franchise von 2500 Franken schöpften die Franchise aus. Über sämtliche Franchisen gesehen, schöpften im Laufe des Jahres rund 54 Prozent aller Versicherten ihre Franchise aus und wären somit potenziell von einem Zuschlag betroffen gewesen. 2¹ Durch den Verzicht auf eine Konsultation können aus Sicht der Kommission die Notfallstationen entlastet und die Gesundheitsleistungen bei weniger schwerwiegenden Fällen effizienter und kostengünstiger bei anderen Leistungserbringern erbracht werden.
Der Entscheid über die Einführung eines Zuschlages auf den Selbstbehalt wird den Kantonen überlassen. Eine solche Lösung ist mit dem Konzept des schweizerischen Gesundheitssystems vereinbar, das den Kantonen weitgehende Kompetenzen bei der Planung und Organisation der Gesundheitsversorgung einräumt 2² . Sie ermöglicht es, den grossen Unterschieden zwischen den Kantonen bei der Inanspruchnahme von Spitalnotaufnahmen Rechnung zu tragen. Mit Informationskampagnen seitens der Kantone soll sichergestellt werden, dass die neue Regelung sowie die allfälligen Unterschiede je nach Kanton von den Versicherten gut verstanden werden.
Die neue Regelung soll für die Inanspruchnahme aller Notaufnahmen von in der Schweiz zugelassenen Spitälern gemäss Artikel 39 Absatz 1 KVG gelten.
Zur Veranschaulichung der Auswirkungen vgl. Berechnungsbeispiele anhand konkreter Szenarien im Kapitel 4 der Kurznotiz des BAG vom 26. März 2024 «Gegenüberstellung Umsetzungsvorschläge» (Variante 2) ²3 .
¹6 Art. 64 Abs. 2 Bst. a und b KVG
¹7 Die Franchise der ordentlichen Versicherung für Erwachsene und junge Erwachsene beträgt 300 Franken (vgl. Art. 103 Abs. 1 der Verordnung über die Krankenvsicherung ( SR 832.102 ; KVV). Wahlweise kann die Franchise auch 500, 1000, 1500, 2000 oder 2500 Franken betragen (vgl. Art. 93 Abs. 1 KVV).
¹8 Basler Kommentar zum KVG/KVAG, 2020, Art. 64 N 6. Die Kostenbeteiligung umfasst zusätzlich noch einen Beitrag an die Kosten von Spitalaufenthalten von 15 Franken pro Tag (vgl. Art. 64 Abs. 5 KVG).
¹9 Art. 64 Abs. 3 KVG
2⁰ Art. 103 Abs. 2 KVV. Für bestimmte Leistungen kann der Bundesrat eine höhere Kostenbeteiligung vorsehen (Art. 64 Abs. 6 KVG). Ein höherer Selbstbehalt von 40 % ist gemäss geltendem Recht einzig für Originalpräparate vorgesehen, wenn es ein Generikum oder Biosimilar dazu gibt. (Art. 104 a Abs. 1bis KVV i.V.m. Art. 38 a Abs. 1 der Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, SR 832.112.31 [KLV)]. Ist ein höherer Selbstbehalt zu entrichten, wird der den gesetzlichen Ansatz übersteigende Betrag nur zur Hälfte an den Höchstbetrag von 700 Franken angerechnet (Art. 104 a Abs. 2 KVV). Somit beträgt die maximale Kostenbeteiligung bei einer Franchise von 300 Franken im Kalenderjahr 1000 Franken. Bei einer Franchise von 2500 Franken beträgt die maximale Kostenbeteiligung im Kalenderjahr 3200 Franken.
2¹ EFIND2022 (Leistungen nach Behandlungsdatum, Stichtag am 30.04.2023).
2² Beispielsweise wenden nicht alle Kantone die in Art. 64 a KVG vorgesehenen Listen bei Nichtbezahlung der Prämien an. Die Kantone haben gemäss Art. 64 a Abs. 7 KVG die Möglichkeit, Versicherte, die ihrer Prämienzahlungspflicht trotz einer Betreibung nicht nachkommen, auf einer Liste zu erfassen. Für die Betroffenen schieben die Krankenversicherer die Kostenübernahme von Leistungen auf, sofern es sich nicht um Notfallbehandlungen handelt.
²3 Verfügbar via Curia Vista > 17.480 > Öffentliche Kommissionsunterlagen / Weitere Berichte > Gegenüberstellung Umsetzungsvorschläge - Notiz des BAG vom 26 März 2024 (
parlament.ch
).
3.2 Geltungsbereich und Ausnahmen von der Entrichtung eines Zuschlages auf den Selbstbehalt bei jeder Konsultation einer Spitalnotaufnahme
Die vorgeschlagene Regelung gilt nur für Personen, die der OKP unterstellt sind und in einem Kanton wohnen, welcher einen Zuschlag auf den Selbstbehalt eingeführt hat. Patienten und Patientinnen, die die Spitalnotaufnahme gestützt auf eine Versicherung nach dem UVG oder nach dem MVG aufsuchen, sind von der Regelung nicht betroffen.
Vom Zuschlag auf den Selbstbehalt von höchstens 50 Franken ausgenommen sind Schwangere bis acht Wochen nach der Geburt, Kinder bis 18 Jahre sowie versicherte Personen, die von einem Arzt bzw. einer Ärztin, einem Zentrum für Telemedizin, einem Apotheker bzw. einer Apothekerin oder durch eine kantonale Notfallnummer schriftlich in den Spitalnotfall überwiesenen wurden. Der Zuschlag darf ebenfalls nicht vorgesehen werden für Personen, die von einem Transport- oder Rettungsunternehmen in die Notaufnahme im Spital eingeliefert werden.
3.2.1 Kinder
Kinder sollen vom Zuschlag auf den Selbstbehalt ausgenommen werden.
Für Kinder gilt die Hälfte des Selbstbehaltes für eine erwachsene Person ²4 . Die Abstufung nach Altersgruppe erfolgt aufgrund der Geburtsjahre ²5 .
²4 Art. 64 Abs. 4 KVG
²5 Art. 91 Abs. 3 KVV
3.2.2 Schwangere
Schwangere sollen vom Zuschlag auf den Selbstbehalt befreit sein. Leistungen der Mutterschaft nach Artikel 29 Absatz 2 KVG sind gemäss Artikel 64 Absatz 7 Buchstabe a KVG ab Beginn der Schwangerschaft von der Kostenbeteiligung befreit. Auf Leistungen zur Diagnose und Behandlung von Krankheiten darf im geltenden Recht keine Kostenbeteiligung erhoben werden, die ab der 13. Schwangerschaftswoche, während der Niederkunft und bis acht Wochen nach der Niederkunft erbracht werden (Art. 64 Abs. 7 Bst. b KVG). Im Rahmen der KVG-Änderung ²6 betreffend Massnahmen zur Kostendämpfung - Paket 2 (KP2) wird diese Ausnahme von der Kostenbeteiligung nicht mehr erst ab der 13. Schwangerschaftswoche, sondern bereits ab der durch Ärzte und Ärztinnen oder Hebammen festgestellter Schwangerschaft beginnen. Aus Gründen der Rechtsicherheit macht es Sinn, die gleiche Definition des Schwangerschaftsbeginns in dieser Vorlage auch für die Ausnahme vom Zuschlag auf den Selbstbehalt beim Aufsuchen einer Spitalnotaufnahme anzuwenden.
²6 BBl 2022 2428 , Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) (Massnahmen zur Kostendämpfung - Paket 2), www.parlament.ch > Curia Vista > 22.062.
3.2.3 Überweisung durch Transport- oder Rettungsunternehmen
Personen, die von einem Transport- oder Rettungsunternehmen in die Notaufnahme eines Spitals eingeliefert werden, sollen ebenfalls vom Zuschlag auf den Selbstbehalt ausgenommen werden. In diesen Fällen ist bereits von einer medizinischen Notfallsituation auszugehen. Bei Einsatz eines Rettungsdienstes handelt sich zwangsläufig um eine lebensbedrohliche Situation.
3.2.4 Personen mit schriftlicher Überweisung
Die Vorlage sieht das Instrument einer schriftlichen Überweisung vor. Dabei bezieht sich die Schriftlichkeit nicht auf die Regeln des Bundesgesetzes vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) ²7 .
Der Begriff «Überweisung» wird neu im KVG eingeführt. Es handelt sich bei der Überweisung an eine Spitalnotaufnahme in diesem Rahmen nicht um eine ärztliche «Anordnung» im Sinne des Gesetzes, sondern um eine Überweisung einer Fachperson (Arzt/Ärztin, Apotheker/Apothekerin) an eine andere, nachdem diese bereits eine Vorprüfung oder allfällige Diagnosen und Behandlungen in ihrem Kompetenzbereich durchgeführt hat.
3.2.4.1 Überweisung durch Ärzte und Ärztinnen
Das Bundesgesetz vom 23. Juni 2006 über die universitären Medizinalberufe (Medizinalberufegesetz (MedBG) ²8 ermächtigt den Arzt oder die Ärztin, eine medizinische Diagnose zu stellen und eine angemessene Behandlung vorzuschlagen, um eine Gesundheitsstörung zu behandeln ²9 . Gemäss Artikel 25 KVG werden diese Leistungen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen, sofern sie von einem Arzt bzw. einer Ärztin oder von einer Einrichtung, die der ambulanten Krankenpflege durch Ärzte und Ärztinnen dient, nach Artikel 35 Absatz 2 Buchstaben a und n KVG erbracht werden. Die Zulassungsvoraussetzungen für Ärzte und Ärztinnen werden in Artikel 38 der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) 3⁰ , diejenigen für Einrichtungen, die der ambulanten Krankenpflege durch Ärzte und Ärztinnen dienen, in Artikel 39 KVV aufgeführt.
Dies betrifft somit auch die medizinische Beurteilung und Überweisung einer Person in die Spitalnotaufnahme. Die Vergütung dieser Leistungen erfolgt nach den gesetzlichen Bestimmungen sowie den massgebenden tariflichen Regelungen (TARMED).
²8 SR 811.11
²9 Art. 8 Bst. b MedBG
3⁰ SR 832.102
3.2.4.2 Überweisung durch Ärzte und Ärztinnen eines Zentrums für Telemedizin
Unter Zentren für Telemedizin werden grundsätzlich ärztlich geleitete Institutionen verstanden. In solchen Institutionen arbeiten auch andere Fachpersonen, insbesondere Pflegefachpersonen. Gemäss den gesetzlichen Vorgaben obliegt die Kompetenz der Diagnosestellung und der Überweisung an die Spitalnotfallaufnahme jedoch den ärztlichen Fachpersonen. Hinsichtlich Zulassung im Rahmen der OKP gelten die gleichen wie unter Ziffer 3.2.4.1 genannten Voraussetzungen.
3.2.4.3 Überweisung durch Apotheker und Apothekerinnen
Das MedBG legt fest, dass ein Apotheker oder eine Apothekerin zur Förderung und Erhaltung der Gesundheit sowie zur Verhütung von Krankheiten beiträgt. Er oder sie verfügt über angemessene Grundkenntnisse über Diagnose und Behandlung häufiger Gesundheitsstörungen und Krankheiten 3¹ . Das KVG sieht zurzeit nicht vor, dass der Apotheker oder die Apothekerin Leistungen der Diagnose und Behandlung erbringt, wie z. B. die Entscheidung, ob ein Patient oder eine Patientin in die Spitalnotaufnahme aufsucht. Somit können diese Leistungen der Apotheker oder Apothekerinnen nicht von der OKP übernommen werden.
3¹ Art. 9 Bst. j MedBG
3.2.4.4 Überweisung über eine kantonale Notfallnummer
Auch die schriftliche Überweisung über eine kantonalen medizinischen Notfallnummer soll möglich sein. Bei solchen Nummern können aber unterschiedliche Fachpersonen tätig sein. Analog wie bei den Zentren für Telemedizin ist darauf hinzuweisen, dass gemäss den gesetzlichen Vorgaben die Kompetenz der Diagnosestellung und der Überweisung an die Spitalnotfallaufnahme jedoch den ärztlichen Fachpersonen obliegt.
3.2.4.5 Haftung
Ein Arzt oder eine Ärztin kann sowohl vertraglich - bei nicht ordnungsgemässer Auftragserfüllung - als auch für eine unerlaubte Handlung - bei Verletzung eines uneingeschränkten Patientenrechts im Rahmen der Behandlung - haftbar gemacht werden ³² .
Damit zivilrechtlich eine Haftung geltend gemacht werden kann, müssen drei Bedingungen erfüllt sein:
1.
Die Gesundheitsfachperson hat seine Sorgfaltspflicht verletzt.
2.
Der Patient / die Patientin hat einen Schaden erlitten.
3.
Es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem erlittenen Schaden.
Die Frage, ob eine Verletzung der Sorgfaltspflicht vorliegt, wird in zivilrechtlichen Verfahren geklärt 3³ . Dabei ist zu ermitteln, ob die Handlung oder Unterlassung der Gesundheitsfachperson unter den gegebenen Umständen als fahrlässig eingestuft werden kann. Das ist mit einer Situation vergleichbar, in der eine Hausarztpraxis oder eine Apotheke einen Patienten oder eine Patientin an eine Facheinrichtung überweist. In diesen Fällen gelten die gleichen Grundsätze der Sorgfaltspflicht und Haftung.
Das MedBG verlangt ausdrücklich, dass Ärzte oder Ärztinnen eine Berufshaftpflichtversicherung abschliessen. Diese schliessen sie nach Massgabe der Art und des Umfangs der Risiken, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind, ab. Darüber hinaus schreibt die FMH vor, dass sie über eine ausreichende Versicherung verfügen müssen, die mögliche Ansprüche aus ihrer Berufshaftpflicht abdeckt. Ein Arzt oder eine Ärztin, der oder die ohne Berufshaftpflichtversicherung praktiziert, verstösst somit direkt gegen seine Berufspflichten.
Der Apotheker oder die Apothekerin ist ebenso wie der Arzt oder die Ärztin verpflichtet, die Sorgfaltspflicht zu erfüllen. Darüber hinaus unterliegt er oder sie auch Artikel 40 Buchstabe h MedBG, der den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verlangt, die eine der Art und dem Umfang der mit der Tätigkeit verbundenen Risiken angemessene Deckung bietet, sofern die Tätigkeit nicht dem staatlichen Haftungsrecht unterliegt.
3² Bonnard, Y., Ciola-Dutoit, S., Schorno, D.: Partage du travail et responsabilités en clinique privée, AJP/PJA 11/2010 S. 1401 ff.
3³ BGE 133 III 121
²7 SR 220
3.3 Umsetzungsfragen
Gemäss Artikel 96 KVG erlässt der Bundesrat die Ausführungsbestimmungen. Darin ist zu bestimmen, welche Regelung zur Anwendung gelangt, wenn eine versicherte Person unterjährig in einem anderen Kanton versicherungspflichtig wird, in dem andere Regeln betreffend den Zuschlag auf den Selbstbehalt beim Aufsuchen einer Spitalnotaufnahme gelten.
In den Ausführungsbestimmungen ist auch zu regeln, wie die schriftliche Übermittlung der zuweisenden Stelle an die Spitalnotaufnahme und nachfolgend an den Versicherer zu erfolgen hat, damit dieser die Überweisung bei der Abrechnung berücksichtigen kann. Die Schriftlichkeit bezieht sich dabei nicht auf die Regeln des Obligationenrechts und ist auf Verordnungsebene abzubilden.
Es muss sichergestellt werden, dass sämtliche zur Überweisung in den Notfall befugten Stellen wissen, um was es sich bei einer schriftlichen Überweisung in den Notfall handelt. Es ist notwendig, dass auch überweisungsbefugte Stellen in Kantonen, die keinen Zuschlag auf den Selbstbehalt eingeführt haben, darüber informiert und in der Lage sind, die schriftliche Überweisung vorzunehmen. Das heisst, dass alle in der Schweiz tätigen Ärzte und Ärztinnen, Zentren für Telemedizin, Apotheker und Apothekerinnen sowie kantonale Notfallnummern die Regelung kennen und ausführen können, auch wenn in ihrem Kanton die Regelung nicht gilt. Dies für den Fall, dass eine in einem Kanton mit dem Zuschlag auf den Selbstbehalt wohnhafte Person von einer Stelle in einem Kanton, der keinen solchen Zuschlag vorsieht, in die Spitalnotaufnahme überwiesen werden möchte. Ebenso müssen sämtliche Schweizer Spitäler in der Lage sein, die Überweisung an die Krankenversicherer weiterzuleiten. Allenfalls könnte die Überweisung direkt mit der Rechnung an die Krankenversicherer übermittelt werden. Dies gilt auch für Spitäler in Kantonen, die keinen Zuschlag auf den Selbstbehalt vorsehen.
3.4 Minderheitsanträge
3.4.1 Nichteintreten
Eine Minderheit (Hess Lorenz, Crottaz, Durrer, Gysi Barbara, Meyer Mattea, Piller Carrard, Prelicz-Huber, Roduit, Rumy, Weichelt, Wyss) beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten. Sie ist der Ansicht, dass diese keine Wirkung entfalten würde, weil die berechtigten Leistungserbringenden aus Angst vor juristischen Konsequenzen kaum eine Überweisung verweigern würden. Sollte ein Leistungserbringer eine Überweisung verweigern, würden die Personen zum nächsten berechtigten Leistungserbringer gehen, bis sie eine Überweisung erhalten. Rechtlich seien die Auswirkungen im Bereich der Patientenrechte sowie der Haftung bei den Apothekern und Apothekerinnen unklar. Hinzu kommt, dass in Notfällen, welche beispielsweise in der Nacht eintreten und bei denen die Patientinnen und Patienten im Vorfeld weder telemedizinisch Rat einholen, noch eine Apotheke oder einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen konnten, bei einem ambulanten Aufenthalt ein Zuschlag auf den Selbstbehalt erhoben werden muss, auch wenn es sich offensichtlich nicht um einen Bagatellfall handelt. Dies, weil der Gesetzesvorschlag nicht zwischen Bagatellen und Nicht-Bagatellen unterscheidet. Die Vorlage würde zu einem hohen administrativen Aufwand führen, ohne Einsparpotential mit sich zu bringen, und berge finanzielle Risiken. Unklar seien insbesondere die finanziellen Auswirkungen bei der Einrichtung von 24-Stunden-Pikettdiensten durch die Ärzteschaft sowie die Abrechnungsmöglichkeiten der Leistungen der Apotheker und Apothekerinnen.
Auf Sicht der Minderheit, biete die Erhöhung der Kostenbeteiligung für die Patienten und Patientinnen keine wirksame Lösung, um die Belastung der Spitalnotaufnahme zu senken. Zielführender sei es, die Bevölkerung über alternative Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären und die Grundversorgung in den Regionen zu stärken - unter anderem mit Bemühungen zur Behebung des Fachkräftemangels.
3.4.2 Keine Delegation an die Kantone
Eine Minderheit I (Rechsteiner Thomas, Durrer, Hess Lorenz, Roduit) beantragt, auf die Delegation an die Kantone zu verzichten und somit den Zuschlag auf den Selbstbehalt schweizweit einführen. Die Festlegung des Selbstbehaltes sei eine Kompetenz des Bundes, der er mit dem KVG nachgekommen ist. Die Einführung einer neuen Kompetenz für die Kantone würde zu unterschiedlichen Anwendungen des KVG führen.
3.4.3 Weitere Ausnahmen
Eine Minderheit II (Crottaz, Gysi Barbara, Meyer Mattea, Piller Carrard, Prelicz-Huber, Rumy, Wyss) beantragt, das Konzept der Mehrheit mit weiteren Ausnahmen zu ergänzen. Sie ist der Meinung, dass insbesondere die psychiatrischen Notfälle von dieser Regelung ausgenommen werden sollten. Psychotherapeutische Hilfe werde heute bereits oft zu spät und erst bei fortgeschrittenen Störungen in Anspruch genommen und dies könne in Notfällen sogar lebensbedrohlich sein. Weiterhin möchte diese Minderheit eine Ausnahme auch für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen einführen.
3.4.4 Erhöhung des Selbstbehaltes
Eine Minderheit III (Wyss, Crottaz, Gysi Barbara, Meyer Mattea, Piller Carrard, Prelicz-Huber, Rumy) beantragt eine Alternativvariante. Bei jedem Aufsuchen der Spitalnotaufnahme soll der jährliche Höchstbetrag des Selbstbehalts um 50 Franken erhöht werden. Es gelten dieselben Ausnahmen wie bei der Mehrheitsvariante (Schwangere und Kinder, Personen mit schriftlicher Überweisung, von einem Transport- oder Rettungsunternehmen eingelieferte Personen). Wie bei der Mehrheitsvariante soll zudem die Kompetenz zur Erhöhung des Selbstbehaltes den Kantonen übertragen werden. Ein solche Erhöhung käme später zum Tragen als der Zuschlag auf den Selbstbehalt, da erst der übliche Plafond des Selbstbehalts von zurzeit 700 Franken erreicht werden muss. Im Jahr 2021 haben ungefähr 10 Prozent der versicherten Personen die Franchise (300, 500, 1000, 1500, 2000 oder 2500 Franken) und den maximalen Selbstbehalt von 700 Franken erreicht. Bei diesen Personen wäre eine Erhöhung des Höchstbetrags des Selbstbehalts finanziell unmittelbar zum Tragen gekommen. Die von der Minderheit III vorgesehene Variante hätte somit eine mildere Auswirkung auf die Bevölkerung, hätte aber trotzdem einen gewissen Lenkungseffekt.
3.4.5 Erhöhung des Selbstbehaltes, aber keine Delegation an die Kantone
Eine Minderheit IV (Rechsteiner Thomas, Durrer, Hess Lorenz, Roduit) bezieht sich auf die Alternativvariante «Erhöhung des Selbstbehaltes». Sie beantragt auch in dieser Variante auf die Delegation an die Kantone zu verzichten. Eine schweizweite Einführung dieser Erhöhung des Selbstbehaltes würde der bestehenden Systematik des KVG entsprechen und die einheitliche Anwendung des KVG für alle Versicherten gewährleisten.
3.4.6 Erhöhung des Selbstbehaltes, aber mit weiteren Ausnahmen
Eine Minderheit V (Crottaz, Gysi Barbara, Meyer Mattea, Piller Carrard, Prelicz-Huber, Rumy, Wyss) unterstützt die Variante «Erhöhung des Selbstbehaltes» gemäss Minderheit III, beantragt aber eine Erweiterung der Ausnahmen gemäss Minderheit II. Die Erhöhung des Höchstbetrages des Selbstbehalts darf nicht vorgesehen werden für Personen, die wegen eines psychiatrischen Notfalls die Notaufnahme im Spital aufsuchen, sowie für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen.
4 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln
4.1 Mehrheitsvariante Artikel 64 Absatz 2 Buchstabe c und 2bis E-KVG
Die Kostenbeteiligung der versicherten Personen wird im 3. Abschnitt des 5. Kapitels des KVG geregelt. Sie besteht aus einem festen Jahresbeitrag (Franchise) und 10 Prozent der die Franchise übersteigenden Kosten (Selbstbehalt). Der Selbstbehalt dient dazu, dass sich die versicherten Personen auch dann kostenbewusst verhalten, wenn sie bereits medizinische Leistungen in Anspruch nehmen. Die Kostenbeteiligung ist nach oben begrenzt, d. h. sie darf die Summe von Franchise und Höchstbetrag grundsätzlich nicht überschreiten. Gemäss geltendem Artikel 64 Absatz 3 KVG bestimmt der Bundesrat in den Ausführungsbestimmungen die Franchise und den Höchstbetrag des Selbstbehalts. Der Höchstbetrag liegt derzeit bei 700 Franken (Art. 103 Abs. 2 KVV). Er kann für bestimmte Leistungen eine höhere Kostenbeteiligung vorsehen (Art. 64 Abs. 6 Bst. a KVG). Die versicherte Person beteiligt sich so lange an den Kosten, bis die an den Selbstbehalt anrechenbaren Kosten den Höchstbetrag des Selbstbehalts von 700 Franken pro Jahr erreicht haben. Ist dieser Höchstbetrag durch sämtliche anrechenbaren Kosten ausgeschöpft, ist kein Selbstbehalt mehr zu bezahlen.
Die Mehrheitsvariante möchte die Kostenbeteiligung ergänzen mit einem Zuschlag auf den Selbstbehalt von höchstens 50 Franken für jede Konsultation der Notaufnahme im Spital, sobald die Franchise ausgeschöpft ist. In diesem Fall hat die versicherte Person den Zuschlag im Rahmen der Kostenbeteiligung zu bezahlen, ungeachtet der Höhe des bereits bezahlten Selbstbehaltes. Die Kompetenz zur Einführung soll den Kantonen übertragen werden. Die Kostenbeteiligung besteht demnach aus einem Zuschlag auf den Selbstbehalt von höchstens 50 Franken für jede Konsultation der Notaufnahme im Spital, sofern der Wohnkanton einen solchen Zuschlag vorsieht. Der Begriff «höchstens» ist notwendig, da der Selbstbehalt und der Zuschlag die Kosten nicht überschreiten dürfen.
Der Zuschlag auf den Selbstbehalt beim Besuch der Spitalnotaufnahme darf nicht vorgesehen werden für Schwangere bis acht Wochen nach der Geburt, Kinder bis achtzehn Jahren, Personen, die von einem Transport- oder Rettungsunternehmen in die Notaufnahme im Spital eingeliefert werden, sowie für Personen, die von einem Arzt bzw. einer Ärztin, einem Zentrum für Telemedizin, einem Apotheker bzw. einer Apothekerin oder über eine kantonale Notfallnummer schriftlich in die Notaufnahme im Spital überwiesen werden. Der Kanton, in dem eine Person versichert ist, bestimmt, ob ein Zuschlag auf den Selbstbehalt beim Aufsuchen einer Spitalnotaufnahme erhoben wird. Der Zuschlag ist auch dann geschuldet, wenn die versicherte Person den Spitalnotfall in einem Kanton aufsucht, welcher keinen Zuschlag auf den Selbstbehalt vorsieht.
Alle zur Überweisung in den Notfall befugten Stellen (Ärzte bzw. Ärztinnen, in telemedizinischen Zentren tätige Ärzte und Ärztinnen, Apotheker bzw. Apothekerinnen sowie kantonale Notfallnummer) bestätigen mit ihrer schriftlichen Überweisung, dass sie aufgrund ihrer Einschätzung des Gesundheitszustandes und der Umstände der Versicherten die Betreuung auf einem Spitalnotfall als angezeigt erachten. Das Dokument der schriftlichen Überweisung wird dem zuständigen Krankenversicherer übermittelt, welcher dadurch keinen Zuschlag auf den Selbstbehalt vornimmt.
Die rechtlichen Auswirkungen einer Nichtüberweisung werden im Rahmen der Erarbeitung der Ausführungsbestimmungen noch vertieft zu prüfen und zu regeln sein. In den Ausführungsbestimmungen ist unter anderem zu bestimmen, welche Möglichkeiten die versicherten Personen haben, wenn sie nicht überwiesen werden.
4.2 Minderheitsanträge
Art. 64 Abs. 2 Bst. c und 2bis E-KVG
Minderheit I (Rechsteiner Thomas, Durrer, Hess Lorenz, Roduit)
Die Minderheit I möchte auf die Delegation an die Kantone verzichten und den Zuschlag auf den Selbstbehalt schweizweit einführen. Sie sieht entsprechend im Gegensatz zur Mehrheitsvariante keine Kompetenzdelegation an die Kantone vor.
Art. 64 Abs. 2ter E-KVG
Minderheit II (Crottaz, Gysi Barbara, Meyer Mattea, Piller Carrard, Prelicz-Huber, Rumy, Wyss)
Die Minderheit II verlangt, dass der Zuschlag nicht für Personen vorgesehen werden darf, die wegen einer psychiatrischen Krankheit die Notaufnahme im Spital konsultieren. Ebenso sollen Personen, die sich als Patienten oder Patientinnen in Pflegeheimen aufhalten und den Spitalnotfall aufsuchen, ausgenommen werden.
Art. 64 Abs. 2 Bst. c, 2bis und 3bis
Minderheit III (Wyss, Crottaz, Gysi Barbara, Meyer Mattea, Piller Carrard, Prelicz-Huber, Rumy)
Die Minderheit III verlangt, dass die Kantone vorsehen können, dass sich der Höchstbetrag des Selbstbehalts nach Absatz 3 bei jeder Konsultation der Notaufnahme im Spital um 50 Franken erhöht. Die Erhöhung darf nicht vorgesehen werden für Schwangere und Kinder sowie für Personen, die von einem Arzt oder einer Ärztin, einem Zentrum für Telemedizin, einem Apotheker oder einer Apothekerin oder über eine kantonale Notfallnummer schriftlich in die Notaufnahme im Spital überwiesen werden. Die Erhöhung darf ebenfalls nicht vorgesehen werden für Personen, die von einem Transport- oder Rettungsunternehmen in die Notaufnahme im Spital eingeliefert werden.
Art. 64 Abs. 2 Bst. c, 2bis und 3bis
Minderheit IV (Rechsteiner Thomas, Durrer, Hess Lorenz, Roduit)
Die Minderheit IV verlangt, dass sich schweizweit der Höchstbetrag des Selbstbehalts nach Absatz 3 bei jeder Konsultation der Notaufnahme im Spital um 50 Franken erhöht. Davon ausgenommen sind Schwangere und Kinder sowie Personen, die von einem Arzt oder einer Ärztin, einem Zentrum für Telemedizin, einem Apotheker oder einer Apothekerin oder über eine kantonale Notfallnummer schriftlich in die Notaufnahme im Spital überwiesen werden. Davon ausgenommen sind ebenfalls Personen, die von einem Transport- oder Rettungsunternehmen in die Notaufnahme im Spital eingeliefert werden
Art. 64 Abs. 3ter
Minderheit V (Crottaz, Gysi Barbara, Meyer Mattea, Piller Carrard, Prelicz-Huber, Rumy, Wyss)
[In Ergänzung zur Minderheit III]
Die Minderheit V verlangt, dass die Erhöhung des Höchstbetrages des Selbstbehalts nicht vorgesehen werden darf für Personen, die wegen einer psychiatrischen Erkrankung den Notfall eines Spitals konsultieren, sowie für Personen, die sich als Patienten oder Patientinnen in Pflegeheimen aufhalten.
5 Auswirkungen
5.1 Auswirkungen auf den Bund
5.1.1 Finanzielle Auswirkungen
Die Änderung der einzelnen Artikel hat keine finanziellen Auswirkungen auf den Bund.
5.1.2 Auswirkungen auf den Personalbestand
Die Änderung der einzelnen Artikel führt zu keinem Mehraufwand für das Bundespersonal. Es sind keine zusätzlichen Stellen erforderlich.
5.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete
Die Änderung der einzelnen Artikel hat geringe finanzielle Auswirkungen auf die Kantone, Gemeinden sowie urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete. Allerdings sind die kantonalen gesetzlichen Bestimmungen anzupassen, wenn sich die Kantone für die Einführung eines Zuschlages auf den Selbstbehalt beim Aufsuchen der Spitalnotaufnahme entscheiden.
Die Umsetzung des Zuschlages auf den Selbstbehalt ist mit einem grösseren administrativen Aufwand und folglich höheren Kosten für die Kantone verbunden. Dies um die unterschiedlichen Regeln je nach Kanton umzusetzen, zu kontrollieren sowie die Bevölkerung über die unterschiedlichen Regeln zu informieren.
Des Weiteren haben die Kantone die Aufsicht über die Leistungserbringer. So müssen die Kantone bei den Leistungserbringern überprüfen, ob die Regeln bei allen Patienten und Patientinnen gleich eingehalten werden.
5.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft
Die vorgeschlagenen Anpassungen betreffen die Spitalnotaufnahmen der Schweizer Spitäler. Mit dem Zuschlag auf den Selbstbehalt soll ein Anreiz zur Kostendämpfung geschaffen werden. Es ist zu erwarten, dass die Spitalnotaufnahmen dadurch entlastet und Gesundheitsleistungen bei weniger schwerwiegenden Fällen durch andere Leistungserbringer effizienter und kostengünstiger erbracht werden. Gleichzeitig wird der administrative Aufwand für die Spitäler erhöht.
Wie bereits in Kapitel 3.1 ausgeführt, schöpfen im Laufe des Jahres rund 54 Prozent aller versicherten Personen ihre Franchise aus und wären somit potenziell von einem Zuschlag betroffen. Bei diesen Personen kommt es nach Ausschöpfung der Franchise finanziell direkt zum Tragen, wenn sie ohne schriftliche Überweisung die Spitalnotaufnahme konsultieren.
5.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft
Es ist zu erwarten, dass sich einige versicherte Personen durch den Zuschlag auf den Selbstbehalt in gewissen Fällen davon abhalten lassen, die Spitalnotaufnahme aufzusuchen. Dieser Verzicht könnte zu einer Verschiebung der Konsultationen von der Spitalnotaufnahme zu anderen Leistungserbringern führen, was eine Entlastung der Spitalnotaufnahmen mit sich bringt. Dadurch hätten die Spitalnotaufnahmen mehr Kapazitäten für die dringenden Notfälle und das Medizinal- und Pflegpersonal würde effizienter eingesetzt.
Die Änderung der Artikel führt zu einer nicht gedeckelten Kostenübernahme für die Versicherten, was zu Unsicherheiten bezüglich des richtigen Verhaltens bei der Inanspruchnahme der Notaufnahme führen kann. Für die Patienten und Patientinnen könnte es schwieriger sein, die effektiven Kosten ihres Spitalbesuchs abzuschätzen. Das KVG sieht eine Finanzierung über die Prämien und eine Kostenbeteiligung vor. Der vorliegende Entwurf erhöht den Selbstbehalt und damit die Kostenbeteiligung. Diese Änderung hat somit eine stärkere Belastung der Versicherten zur Folge.
6 Rechtliche Aspekte
6.1 Verfassungsmässigkeit
Die Kompetenz des Bundes, Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung zu erlassen, ergibt sich aus Artikel 117 Absatz 1 der Bundesverfassung ³4 .
³4 SR 101
6.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind mit den internationalen Verpflichtungen kompatibel. Die Verpflichtungen aus dem Abkommen vom 21. Juni 1999 ³5 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) sowie aus dem Übereinkommen vom 4. Januar 1960 ³6 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), ebenso das Abkommen vom 9. September 2021 ³7 zur Koordinierung der sozialen Sicherheit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland (in Kraft getreten am 1. Oktober 2023) werden nicht tangiert. Die in der Schweiz OKP versicherten Personen, welche in der EU/EFTA/UK wohnen (Rentner und Rentnerinnen sowie Grenzgänger und Grenzgängerinnen), sind nicht vom Zuschlag auf den Selbstbehalt betroffen. Die Regelung stellt auf den Wohnsitz ab, und diese Personen haben ihren Wohnsitz im Ausland. Es wäre eine Ungleichbehandlung, wenn bei diesen Personen (Grenzgänger und Grenzgängerinnen) auf den Erwerbsort abgestellt würde.
³5 SR 0.142.112.681
³6 SR 0.632.31
³7 SR 0.831.109.367.2
6.3 Erlassform
Die Vorlage enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 164 Absatz 1 BV, da sie die Rechte und Pflichten von Personen betrifft. Sie ist deshalb in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen, das dem fakultativen Referendum unterstellt ist.
6.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Die Vorlage sieht weder Subventionen noch Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen vor, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen. Sie untersteht daher nicht der Ausgabenbremse.
6.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz
Bei der Überweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben ist der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten (Art. 5 a BV). Gemäss Artikel 43 a Absatz 1 BV übernimmt der Bund nur die Aufgaben, welche die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen. Gleichzeitig hat der Bund von seinen Kompetenzen einen schonenden Gebrauch zu machen und den Kantonen ausreichend Raum für die Aufgabenerfüllung zu überlassen.
Der Bund verfügt gestützt auf Artikel 117 BV über eine umfassende Regelungskompetenz im Bereich der Krankenversicherung, Grundsätzlich liegt die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung aber in der Verantwortung der Kantone. Bund und Kantone nehmen vorliegend im Rahmen ihrer Kompetenzen die Aufgaben im Zusammenhang mit dem Zuschlag auf den Selbstbehalt wahr. Der Bund regelt den Zuschlag auf den Selbstbehalt überlässt es aber den Kantonen zu entscheiden, ob sie eine solche Regelung einführen. Damit sind die Prinzipien der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz eingehalten.
6.6 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
Artikel 96 KVG erteilt dem Bundesrat die Kompetenz, Ausführungsbestimmungen im Bereich der sozialen Krankenversicherung zu erlassen.
Die Vorlage ermächtigt den Bundesrat zum Bestimmen der Franchise und des Selbstbehalts.
Bundesrecht
Parlamentarische Initiative. Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotaufnahme. Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates
keyboard_arrow_up