BBl 2025 2506
CH - Bundesblatt

Botschaft zur Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)»

Botschaft zur Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)»
vom 13. August 2025
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)» ¹ Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
13. August 2025 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Karin Keller-Sutter Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Die Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)» sieht die Stärkung der Selbstversorgung, die Sicherung der Grundwasserressourcen und die Förderung einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft vor. Eine Annahme hätte zur Folge, dass der Staat tiefgreifend in die landwirtschaftliche Produktion eingreifen müsste, was je nach Ausgestaltung der Massnahmen hohe Kosten für den Bundeshaushalt verursachen könnte. Berechtigte Anliegen der Initiative wie die Stärkung der Ernährungssicherheit und die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks der Land- und Ernährungswirtschaft werden im Rahmen der Weiterentwicklung der Agrarpolitik angegangen. Eine Verfassungsänderung ist dafür weder nötig noch zielführend. Der Bundesrat empfiehlt daher die Ablehnung der Volksinitiative.
Inhalt der Initiative
Die Ernährungsinitiative fordert Änderungen in der Bundesverfassung, um die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Trinkwasser sicherzustellen. Sie strebt unter anderem einen Netto-Selbstversorgungsgrad von mindestens 70 Prozent an und verlangt Massnahmen zur Förderung pflanzlicher Lebensmittel. Die Initiative fordert, dass die Höchstwerte für Stickstoff- und Phosphorverluste in die Umwelt gemäss den Umweltzielen Landwirtschaft innerhalb von zehn Jahren eingehalten werden. Zudem sollen die Biodiversität und die Bodenfruchtbarkeit gesichert und die Grundwasserressourcen geschützt werden.
Vorzüge und Mängel der Initiative
Zu den Vorzügen der Ernährungsinitiative gehört, dass der Selbstversorgungsgrad von Lebensmitteln steigen würde, wodurch die Schweiz im Krisenfall weniger von Importen abhängig wäre. Zudem könnten die Umwelt- und Klimaziele des Bundesrates, wie die Reduktion von Nährstoffverlusten, der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und die Reduktion der Treibhausgasemissionen, früher erreicht werden. Auch die volkswirtschaftlichen Kosten des Ernährungssystems in den Bereichen Umwelt, Klima und Gesundheit könnten gesenkt werden.
Der Bundesrat erkennt die Ziele der Initiative an, hält sie jedoch für zu ambitioniert und nicht innerhalb der geforderten Fristen umsetzbar. Die Erhöhung des Netto-Selbstversorgungsgrades von heute rund 46 auf 70 Prozent würde grosse Umstellungen in der Produktion und im Konsum erfordern. Um die Ziele der Initiative innerhalb der vorgegebenen Umsetzungsfrist von zehn Jahren zu erreichen, müssten die Produktion und der Konsum von Fleisch stark reduziert und die pflanzliche Produktion zur menschlichen Ernährung stark ausgeweitet werden. Hierfür wären tiefgreifende staatliche Massnahmen nötig. Die kurze Umsetzungsfrist könnte dazu führen, dass Investitionen in der Landwirtschaft (z. B. in Ställe) sowie in den vor- und nachgelagerten Sektoren der Ernährungswirtschaft nicht vollständig amortisiert werden. Neue Produktions- und Verarbeitungskapazitäten müssten geschaffen werden, was zusätzliche Investitionen erforderlich machen würde. Die Initiative sieht deshalb eine finanzielle Unterstützung des Bundes zur Sicherstellung einer sozialverträglichen Entwicklung vor. Zudem könnte eine Reduktion des Tierbestands ohne Anpassung der Konsummuster zu erhöhten Importen von tierischen Produkten und damit zu einer Verlagerung der Umweltbelastungen ins Ausland führen. Die Verankerung von detaillierten Zielen in der Verfassung wird als nicht stufengerecht angesehen, und die neuen Verfassungsbestimmungen werden als unnötig betrachtet, da eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik in die von der Initiative verlangte Richtung bereits geplant und auf der bestehenden Verfassungsgrundlage möglich ist.
Im Rahmen der Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2030 wird der Bundesrat Massnahmen zur Stärkung der Wertschöpfung in der Land- und Ernährungswirtschaft sowie zur administrativen Entlastung der landwirtschaftlichen Betriebe vorschlagen. Gleichzeitig wird die Vorlage wichtige Anliegen der Initiative wie die Stärkung der Ernährungssicherheit und die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks der Land- und Ernährungswirtschaft aufnehmen. Dabei wird der Bundesrat erreichbare Ziele und einen realistischen Zeitrahmen festlegen.
Antrag des Bundesrates
Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.
Botschaft
¹ BBl 2025 2507

1 Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1 Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)» hat den folgenden Wortlaut:
Die Bundesverfassung ² wird wie folgt geändert:
Art. 74a
³
Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität
¹ Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität.
² Der Bund lässt namentlich nicht mehr zu, dass die für die Gewässerqualität, die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität essenziellen, im Jahr 2008 vom Bundesamt für Landwirtschaft und vom Bundesamt für Umwelt als Umweltziele für die Landwirtschaft definierten Höchstwerte für Stickstoffverbindungen und Phosphor überschritten werden.
³ Die endgültige Nummerierung dieses Artikels wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt; dabei stimmt diese die Nummerierung ab auf die anderen geltenden Bestimmungen der Bundesverfassung und nimmt die Anpassung im ganzen Text der Initiative vor.
Art. 104a Abs. 1 Einleitungssatz und Bst. a, abis und c sowie Abs. 2 und 3
¹ Zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln einschliesslich sauberen Trinkwassers schafft der Bund Voraussetzungen für:
a.
die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, insbesondere des Kulturlandes, der Biodiversität und der Bodenfruchtbarkeit sowie die Förderung von natürlichem, samenfestem Saat- und Pflanzgut;
abis.
die Sicherung der Grundwasserressourcen für die nachhaltige Trinkwassergewinnung;
c.
eine auf den Markt ausgerichtete und zugleich nachhaltige, klimabewusste Land- und Ernährungswirtschaft;
² Der Bund strebt einen Netto-Selbstversorgungsgrad von mindestens 70 Prozent an. Zu diesem Zweck trifft er insbesondere Massnahmen zur Förderung einer vermehrt auf pflanzlichen Lebensmitteln basierenden Ernährungsweise und einer darauf ausgerichteten Land- und Ernährungswirtschaft.
³ Bund und Kantone richten ihre Subventionen, die Förderung von Forschung, Beratung und Ausbildung sowie andere staatliche Anreize so aus, dass sie den Bestimmungen nach den Absätzen 1 und 2 nicht zuwiderlaufen.
Art. 197 Ziff. 15
15. Übergangsbestimmungen zu den Art. 74a und 104a Abs. 1 Einleitungssatz und Bst. a, abis und c sowie Abs. 2 und 3
¹ Bund und Kantone erlassen ihre Ausführungsbestimmungen zu den Artikeln 74 a und 104 a Absatz 1 Einleitungssatz und Buchstaben a, abis und c sowie Absätze 2 und 3 innert fünf Jahren nach deren Annahme durch Volk und Stände.
² Die Ausführungsgesetzgebung des Bundes regelt namentlich die Instrumente, die es ermöglichen, die neuen Vorgaben der Artikel 74 a und 104 a Absatz 1 Einleitungssatz und Buchstaben a, abis und c sowie Absätze 2 und 3 innert zehn Jahren nach deren Annahme zu erfüllen. Bezüglich des angestrebten Netto-Selbstversorgungsgrad legt das Gesetz auch Zwischenziele fest.
³ Die nötigen Anpassungen der landwirtschaftlichen Produktion sind sozialverträglich auszugestalten und werden vom Bund finanziell unterstützt.
⁴ Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmungen wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.
² SR 101

1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)» wurde am 30. Mai 2023 von der Bundeskanzlei vorgeprüft ⁵ und am 16. August 2024 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.
Mit Verfügung vom 23. September 2024 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 112 736 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist. ⁶
Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag. Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 ⁷ (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 16. August 2025 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 16. Februar 2027 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.
⁵ BBl 2023 1385
⁶ BBl 2024 2389
⁷ SR 171.10

1.3 Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV) ⁸ :
a.
Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.
b.
Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.
c.
Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.
⁸ SR 101

2 Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

Am 13. Juni 2021 haben Volk und Stände die Volksinitiative vom 18. Januar 2018 ⁹ «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung - Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» mit 60,7 Prozent und 22,5 Standesstimmen sowie die Volksinitiative vom 25. Mai 2018 1⁰ «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» mit 60,6 Prozent und 22,5 Standesstimmen abgelehnt. 1¹ Wie die Ernährungsinitiative wurde auch die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung - Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» vom Verein «Sauberes Wasser für alle» lanciert. Sie forderte, dass nur noch Landwirtschaftsbetriebe mit Direktzahlungen unterstützt werden, die keine Pestizide einsetzen, die in ihrer Tierhaltung ohne prophylaktischen Antibiotikaeinsatz auskommen und die nur so viele Tiere halten, wie sie ohne importiertes Futtermittel ernähren können. Die Ernährungsinitiative knüpft an diese Forderungen an, legt den Fokus aber nicht nur auf die landwirtschaftliche Produktion, sondern auf die ganze Land- und Ernährungswirtschaft, einschliesslich Konsum.
Gemäss der Medienmitteilung des Initiativkomitees vom 13. Juni 2023 ¹2 zur Lancierung der Initiative und dem Argumentarium des Initiativkomitees ¹3 ist die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Lebensmitteln heute nicht gewährleistet, weil diese zu 50 Prozent von Importen abhängt. Die Auslandabhängigkeit bei Lebensmitteln und Produktionsmitteln wie Saat- und Pflanzgut ist die Folge einer aus Sicht des Initiativkomitees verfehlten Agrarpolitik, welche die Produktion und den Konsum tierischer Lebensmittel heute stärker unterstützt als die Produktion und den Konsum pflanzlicher Lebensmittel. Wenn auf Ackerflächen mehr Lebensmittel für die direkte menschliche Ernährung (z. B. Hülsenfrüchte oder Getreide) angebaut würden, könnten pro Hektare mehr Kalorien erzeugt werden. Die Initiantinnen und Initianten machen geltend, keine Ernährungsweise ausschliessen zu wollen. Für die Fleisch- und Milchproduktion stehe in der Schweiz geeignetes Gras- und Weideland zur Verfügung. Aus Sicht des Initiativkomitees sind landwirtschaftliche Produktionsgrundlagen wie die Biodiversität und die Bodenfruchtbarkeit gefährdet, weil durch die Tierhaltung, die zur Hälfte von importiertem Futter abhänge, zu viele Nährstoffe in die Umwelt gelangen. Schliesslich sehen die Initiantinnen und Initianten auch die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser durch den hohen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger gefährdet. Die Initiative verlangt unter anderem die Einhaltung der Höchstwerte bezüglich Nährstoffe in den Trinkwasserfassungen.
⁹ BBl 2020 7635
1⁰ BBl 2020 7637
1¹ BBl 2021 2135
¹2 Medienmitteilung des Initiativkomitees vom 13. Juni 2023, abrufbar unter:
www.ernaehrungsinitiative.ch > Presse > Medienkonferenz vom 13. Juni 2023 - Lancierung der Initiative (Stand: 13.5.2025).
¹3 Argumentarium des Initiativkomitees, abrufbar unter:
www.ernaehrungsinitiative.ch > Argumente (Stand: 13.5.2025).

3 Ziele und Inhalt der Initiative

Die Initiative verfolgt folgende Ziele:
-
Die Land- und Ernährungswirtschaft soll vermehrt auf die Produktion und den Konsum von pflanzlichen statt tierischen Lebensmitteln ausgerichtet werden (Art. 104 a Abs. 2 BV).
-
Die Ernährungssicherheit soll durch eine Erhöhung des Netto-Selbstversorgungsgrads (Netto-SVG) von heute 46 Prozent auf mindestens 70 Prozent erhöht werden (Art. 104 a Abs. 2 BV), wobei keine Ernährungsform ausgeschlossen werden soll.
-
Es sollen genügend sauberes Trinkwasser und die für eine nachhaltige Trinkwasserversorgung nötigen Grundwasserressourcen sichergestellt werden (Art. 104 a Abs. 1 Bst. abis).
-
Als Produktionsgrundlagen für eine nachhaltige Landwirtschaft sollen die Biodiversität und die Bodenfruchtbarkeit sichergestellt und natürliche samenfeste Sorten gefördert werden (Art. 74 a Abs. 1 und 104 a Abs. 1 Bst. a BV).
-
Die in den Umweltzielen Landwirtschaft (UZL) ¹4 festgelegten Höchstwerte für Dünger und für Nährstoffüberschüsse bei Stickstoff und Phosphor sollen zum Schutz der Ökosysteme, des Klimas, der Biodiversität, der Bodenfruchtbarkeit und der Wasser- bzw. Gewässerqualität nicht überschritten werden dürfen (Art. 74 a Abs. 2 BV).
-
Bund und Kantone sollen Subventionen sowie die Förderung von Forschung, Beratung und Ausbildung so ausrichten, dass sie den oben genannten Zielen nicht zuwiderlaufen (Art. 104 a Abs. 3 BV).
Diese Ziele sollen gemäss den Übergangsbestimmungen innert zehn Jahren nach Annahme der Initiative erreicht werden (Art. 197 Ziff. 15 Abs. 2 BV). Für die Zielerreichung fordert die Initiative, dass der Bund insbesondere Massnahmen zur Förderung einer vermehrt auf pflanzlichen Lebensmitteln basierenden Ernährungsweise und einer darauf ausgerichteten Land- und Ernährungswirtschaft ergreift. Die nötigen Anpassungen der landwirtschaftlichen Produktion sollen sozialverträglich ausgestaltet und vom Bund finanziell unterstützt werden (Art. 197 Ziff. 15 Abs. 3 BV).
¹4 Bundesamt für Umwelt (BAFU) / Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) (2008): Umweltziele Landwirtschaft. Hergeleitet aus bestehenden rechtlichen Grundlagen. Umwelt-Wissen Nr. 0820, abrufbar unter:
www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Biodiversität > Publikationen und Studien > Suche «Umwelt-Wissen Nr. 0820»; BAFU / BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft. Statusbericht 2016. Umwelt-Wissen Nr. 1633, abrufbar unter:
www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Biodiversität > Publikationen und Studien > Suche «Umwelt-Wissen Nr. 1633».

4 Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

Art. 74a Abs. 1
Artikel 74 a Absatz 1 BV fordert, dass Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität sorgen. Dieser Artikel enthält zwei Grundsätze: die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie das Vorsorgeprinzip. Beim Vorsorgeprinzip handelt es sich um eine umweltrechtliche Maxime, die dem Gesetzgeber als Vorgabe oder Richtpunkt dient. Das Vorsorgeprinzip in den Bereichen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Wasser ist bereits im Artikel 74 Absatz 2 BV verankert und manifestiert sich ebenfalls in den Artikeln 73 und 76 Absatz 1 BV. Der Grundsatz der dauerhaften Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und das Vorsorgeprinzip werden insbesondere in Artikel 1 des Umweltschutzgesetzes vom 7. Oktober 1983 ¹5 (USG) konkretisiert. Die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, wozu auch die Ökosysteme und die Biodiversität zählen, ist in der BV in den Artikeln 2 Absatz 4, 74 Absatz 1, 75, 78 und 104 Absatz 1 Buchstabe b bereits explizit oder implizit angesprochen. Insbesondere Artikel 74 Absatz 1 BV ist als konkurrierende Gesetzgebungskompetenz mit einem klaren Gesetzgebungsauftrag des Bundes zu verstehen. Die Kantone behalten ihre Gesetzgebungskompetenz dort, wo der Bund seine Gesetzgebungskompetenz nicht umfassend ausgeschöpft hat, oder in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen, wenn ihre Gesetzgebung das Bundesumweltrecht unterstützen kann, indem sie es ergänzt oder verstärkt. ¹6 Artikel 78 BV regelt die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen in Bezug auf den Naturschutz. Insbesondere Absatz 2 verweist auf die Pflicht des Bundes, bei der Erfüllung seiner Aufgaben die Natur zu schützen. ¹7
Artikel 104 Absatz 1 Buchstabe b BV beauftragt den Bund dafür zu sorgen, dass die Landwirtschaft einen Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen leistet. Dieses Ziel ist in Artikel 1 Buchstabe b des Landwirtschaftsgesetzes vom 29. April 1998 ¹8 (LwG) aufgenommen. Gemäss Artikel 104 Absatz 3 Buchstaben a und b BV hat der Bund die Aufgabe, die Bewirtschafter und Bewirtschafterinnen für die Leistungen zu entlohnen, die sie erbringen, insbesondere um die natürlichen Lebensgrundlagen zu schonen. ¹9 Diese Aufgabe wird in den Artikeln 70 ff. LwG durch die Direktzahlungen konkretisiert. Mit welchen - allenfalls zusätzlichen - Mitteln der Bund und die Kantone für die Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität sorgen sollen, sagt der Initiativtext nicht. Der Bundesgesetzgeber oder die kantonalen Gesetzgeber verfügen somit über einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum.
Sowohl auf Verfassungs- als auch auf Gesetzesstufe sind die Anliegen der Volksinitiative bezüglich der Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversitätsförderung bereits abgedeckt. Da der Initiativtext verlangt, dass Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Erhaltung der Ökosysteme und der Biodiversität sorgen sollen, kommt es zu keiner Kompetenzverschiebung zwischen Bund und Kantonen.
¹5 SR 814.01
¹6 Anne-Christine Favre in Vincent Martenet und Jacques Dubey (Hrsg.), Commentaire romand de la Constitution fédérale, Basel, 2021, § 15 zu Art. 74 Abs. 1 BV.
¹7 Stephan Haag in Vincent Martenet und Jacques Dubey (Hrsg.), Commentaire romand de la Constitution fédérale, Basel, 2021, §§ 15 und 22 zu Art. 78 Abs. 2 BV.
¹8 SR 910.1
¹9 Matthias Oesch in Bernhard Waldmann, Eva Maria Belser, Astrid Epiney (Hrsg.),Schweizerische Bundesverfassung (BV), Basler Kommentar, Basel, 2015, §§ 36 und 40 zu Art. 104 BV; Klaus Vallender, Peter Hettich in Bernhard Ehrenzeller et al. (Hrsg.), St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, Zürich, 2023, §§ 26-27 und 30 zu Art. 104 BV.
Art. 74a Abs. 2
Artikel 74 a Absatz 2 verlangt, dass der Bund namentlich nicht mehr zulässt, dass die für die Gewässerqualität, die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität essenziellen, im Jahr 2008 vom BLW und BAFU als UZL definierten Höchstwerte für Stickstoffverbindungen und Phosphor überschritten werden. Die im Initiativtext genannten UZL und die entsprechenden Höchstwerte sind aus bestehenden rechtlichen Grundlagen (Gesetzen, Verordnungen, internationale Abkommen und Bundesratsbeschlüssen) hergeleitet und wurden 2008 vom BAFU und BLW publiziert. 2⁰ Die UZL umfassen 13 Ziele und 23 Unterziele, die in die vier Hauptbereiche Biodiversität und Landschaft, Klima und Luft, Wasser sowie Boden aufgeteilt sind. Gemäss Statusbericht 2016 2¹ wird von den insgesamt 23 Unterzielen keines vollständig erreicht, bei 3 Unterzielen ist keine Aussage möglich. Dass die BV für Höchstwerte auf ein Dokument von Bundesämtern verweist, wie es die Initiative vorschlägt, ist ungewöhnlich. Mit welchen Massnahmen der Bund verhindern soll, dass die besagten Höchstwerte überschritten werden, gibt der Initiativtext nicht vor. Daher hat der Bundesgesetzgeber einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum.
2⁰ BAFU / BLW (2008): Umweltziele Landwirtschaft. Hergeleitet aus bestehenden rechtlichen Grundlagen. Umwelt-Wissen Nr. 0820, abrufbar unter:
www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Biodiversität > Publikationen und Studien > Suche «Umwelt-Wissen Nr. 0820».
2¹ BAFU / BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft. Statusbericht 2016. Umwelt-Wissen Nr. 1633, abrufbar unter:
www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Biodiversität > Publikationen und Studien > Suche «Umwelt-Wissen Nr. 1633».
Art. 104a
Allgemeine Bemerkung zu Artikel 104 a BV: Nach Ansicht des Parlaments, des Bundesrates und der Lehre ist Artikel 104 a BV politischer und deklaratorischer Natur: Er übernimmt Elemente, die bereits in anderen Verfassungsbestimmungen enthalten sind, insbesondere in Artikel 104 BV. Artikel 104 a BV muss daher nicht durch eine Gesetzes- oder Verordnungsänderung konkretisiert werden. 2² Diese Auslegung ist bereits in der Botschaft vom 24. Juni 2015 ²3 zur Volksinitiative «Für Ernährungssicherheit» festgehalten. Artikel 104 a BV stärkt die Kohärenz zwischen den verschiedenen damit verbundenen Politikbereichen. ²4 Eine Annahme der Ernährungsinitiative hätte zur Folge, dass neue Elemente in die BV aufgenommen würden, die ihrerseits eine Konkretisierung auf Gesetzes- und Verordnungsstufe erforderten. Insbesondere mit der Mindestvorgabe zum Netto-SVG würde Artikel 104 a BV neu zumindest teilweise eine konstitutive Wirkung entfalten.
Abs. 1
Gemäss Artikel 104 a Absatz 1 BV soll der Bund zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln «einschliesslich sauberen Trinkwassers» die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Ernährungssicherheit in der Schweiz gewährleistet werden kann. Die Buchstaben a-d von Artikel 104 a Absatz 1 BV legen fest, wofür die Voraussetzungen geschaffen werden sollen. Mit der Ergänzung «einschliesslich sauberen Trinkwassers» soll explizit festgehalten werden, dass die Vorgaben gemäss den Buchstaben a-d auch für Trinkwasser als wichtigstes Lebensmittel gelten.
Bst. a
Mit einer Ergänzung von Buchstabe a von Artikel 104 a Absatz 1 BV verlangt die Initiative, dass zusätzlich zum Kulturland auch die Biodiversität, die Bodenfruchtbarkeit sowie natürliches und samenfestes Saat- und Pflanzgut als Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion erwähnt werden. Da sowohl die Biodiversität als auch die Bodenfruchtbarkeit und natürliches und samenfestes Saat- und Pflanzgut zu den Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion gehören und damit mit der aktuellen Formulierung von Artikel 104 a Buchstabe a BV sowie insbesondere Artikel 104 Absatz 1 Buchstabe a, Absätze 2 und 3 Buchstaben a-c BV abgedeckt sind, ändert sich mit der Ergänzung materiell nichts, jedoch wird durch die explizite Nennung die Bedeutung dieser Elemente hervorgehoben. Die Biodiversität und die Bodenfruchtbarkeit werden heute mit Direktzahlungen auf Grundlage von Artikel 104 Absatz 3 Buchstabe a BV gezielt gefördert. Auch natürliches, samenfestes Saat- und Pflanzgut wird vom Bund bereits gefördert. Der Bund unterstützt basierend auf Artikel 104 Absatz 3 Buchstabe c BV öffentliche Züchtungsprogramme, die samenfeste Sorten sowie samenfestes Saat- und Pflanzgut für eine nachhaltige Landwirtschaft in der Schweiz hervorbringen. So decken bereits heute samenfeste Agroscope-Weizensorten rund 80 Prozent des Schweizer Marktbedarfs ab.
Da die Biodiversität, die Bodenfruchtbarkeit sowie natürliches und samenfestes Saat- und Pflanzgut durch die BV bereits abgedeckt sind, ergibt sich aus dem Initiativtext kein Handlungsbedarf.
Bst. abis
Mit der Ergänzung der bestehenden Buchstaben a-e von Artikel 104 a Absatz 1 BV durch einen neuen Buchstaben abis wird der Bund beauftragt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Grundwasserressourcen für die nachhaltige Trinkwassergewinnung gesichert werden. Diese Ergänzung steht in Verbindung mit der Ergänzung im Einleitungssatz, in dem die Bedeutung von Trinkwasser als wichtigstes Lebensmittel hervorgehoben wird.
Die Grundwasserressourcen gehören zu den natürlichen Lebensgrundlagen und sind damit in der BV von den Artikeln 2 Absatz 4, 54 Absatz 2 und 104 Absätze 1 Buchstabe b, 2 und 3 Buchstaben a-c erfasst.
Gemäss Artikel 76 Absatz 3 BV erlässt der Bund Vorschriften über den Gewässerschutz. Darunter fallen auch Gewässer, die der Trinkwassernutzung dienen. Gemäss Artikel 118 Absatz 1 BV trifft der Bund im Rahmen seiner Zuständigkeiten Massnahmen zum Schutz der Gesundheit. Dabei erlässt er gemäss Absatz 2 Buchstabe a unter anderem Vorschriften über den Umgang mit Lebensmitteln. Gemäss Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a des Lebensmittelgesetzes vom 20. Juni 2014 ²5 (LMG) gilt «Wasser für den menschlichen Konsum» als Lebensmittel. Gemäss Artikel 7 Absatz 1 LMG dürfen nur sichere Lebensmittel in Verkehr gebracht werden. Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich oder für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind (Art. 7 Abs. 2 LMG). Was die Belastung mit Fremdstoffen wie Pestiziden oder Nitrat betrifft, hat der Bund Rückstandshöchstgehalte festgelegt, bei deren Einhaltung Lebensmittel einschliesslich Trinkwasser als gesundheitlich unbedenklich gelten. Stellt die Vollzugsbehörde fest, dass die Rückstandshöchstgehalte nicht erfüllt sind, werden Lebensmittel beanstandet (Art. 33 LMG) und die erforderlichen Massnahmen getroffen (Art. 34 ff. LMG).
Daraus ergibt sich, dass sowohl auf Verfassungs- als auch auf Gesetzesstufe die Anliegen der Volksinitiative bereits erfüllt sind. Es ergibt sich daher bezüglich der Sicherung der Grundwasserressourcen für die nachhaltige Trinkwassergewinnung grundsätzlich kein Handlungsbedarf.
Bst. c
Mit einer Ergänzung des bestehenden Buchstabens c von Artikel 104 a Absatz 1 BV fordert die Initiative, dass der Bund die Voraussetzungen für eine nachhaltige und klimabewusste Land- und Ernährungswirtschaft schaffen soll. Eine nachhaltige Landwirtschaft ist in der BV bereits verankert: Artikel 104 Absatz 1 BV beauftragt den Bund, dafür zu sorgen, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Versorgung der Bevölkerung, zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft sowie zur dezentralen Besiedlung des Landes leistet. Artikel 104 Absatz 3 Buchstabe b BV verpflichtet den Bund dazu, die Landwirtschaft so zu fördern, dass sie die natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig nutzt. Diese Pflicht wird mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und bbis LwG umgesetzt. Mit der Ergänzung «klimabewusste Land- und Ernährungswirtschaft» verlangt die Initiative, dass der Bund die Voraussetzung dafür schafft, dass die Land- und Ernährungswirtschaft ihre negativen Auswirkungen auf das Klima reduzieren (Mitigation) und sich bestmöglich an die Klimaveränderungen anpassen kann (Adaptation). Eine klimabewusste Land- und Ernährungswirtschaft ist aus Sicht des Bundesrates schon heute integraler Bestandteil einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft.
Daher ergibt sich aus diesem Teil des Initiativtexts grundsätzlich kein Handlungsbedarf, da das Anliegen der Initiative auf Verfassungs- und auf Gesetzesstufe bereits erfüllt ist.
2² Valérie Junod in Vincent Martenet und Jacques Dubey (Hrsg.), Commentaire romand de la Constitution fédérale, Basel, 2021, S. 2, 3, 6 und 8-13, §§ 1, 4, 5, 27, 30, 40, 43, 46, 50, 52, 54, 57, 62 und 63 zu Art. 104 a BV). 104 a BV; Peter Hettich und Annick Pietzonka in Bernhard Ehrenzeller et al. (Hrsg.), St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, Zürich, 2023, S. 2878-2881, §§ 2, 4, 5, 8, 10, 13 zu Art. 104 a BV; Giovanni Biaggini, BV Kommentar, Zürich, 2017, S. 896-897, §§ 2 ad Art. 104 a BV).
²3 BBl 2015 5753 S. 5756-5757
²4 BBl 2015 5753 S. 5755
²5 SR 817.0
Art. 104a Abs. 2
Der neue Absatz verlangt, dass der Bund einen Netto-SVG bei Lebensmitteln von mindestens 70 Prozent anstrebt. Damit dieses erreicht werden kann, soll der Bund insbesondere Massnahmen zur Förderung einer vermehrt auf pflanzlichen Lebensmitteln basierenden Ernährungsweise und einer darauf ausgerichteten Land- und Ernährungswirtschaft treffen. Die Erhöhung des SVG soll nicht durch eine Produktionssteigerung durch Intensivierung (höherer Tierbestand, mehr Dünger- und Pflanzenschutzmittel-Einsatz), sondern durch eine Verlagerung von Konsum und Produktion von tierischen zu pflanzlichen Lebensmitteln erfolgen. Der SVG kann erhöht werden, wenn auf der Ackerfläche vermehrt Lebensmittel zur direkten menschlichen Ernährung anstatt Futtermittel angebaut werden, weil bei diesen Produkten keine Umwandlungsverluste entstehen, wie dies bei der Nutztierfütterung der Fall ist. Ein vermehrter Konsum von pflanzlichen Lebensmitteln kann eine solche Produktionsumstellung begünstigen.
Art. 104a Abs. 3
Mit Artikel 104 a Absatz 3 BV sollen Bund und Kantone verpflichtet werden, ihre Subventionen an die Land- und Ernährungswirtschaft (z. B. Direktzahlungen, Strukturverbesserungsbeiträge, Marktstützungsbeiträge), die Forschung, Beratung und Ausbildung sowie andere staatliche Anreize (z. B. Grenzschutzmassnahmen) so auszurichten, dass sie nicht im Widerspruch stehen zu den Absätzen 1 und 2 von Artikel 104 a BV. Es ist darauf hinzuweisen, dass die italienische Fassung der Initiative in Absatz 3 einen Übersetzungsfehler enthält, der bei der parlamentarischen Beratung der Initiative korrigiert werden sollte: «Förderung» bezieht sich im italienischen Wortlaut nur auf das erste Element «Forschung» und nicht wie im deutschen und im französischen Text auf «Forschung», «Beratung» und «Ausbildung». Bei der Unterstützung der Land- und Ernährungswirtschaft müssen Bund und Kantone bereits heute die geltenden Verfassungsvorgaben einhalten. In dieser Hinsicht ändert der Initiativtext somit nichts. Neu ist, dass die Unterstützungsmassnahmen zugunsten der Landwirtschaft das Ziel, den Netto-SVG durch eine Verlagerung der Produktion und des Konsums von tierischen zu pflanzlichen Lebensmitteln auf mindestens 70 Prozent zu erhöhen, nicht behindern dürfen.
Aus der Antwort auf die Interpellation 24.3793 Schlatter «Absatzförderung im Einklang mit einer standortangepassten, nachhaltigen Produktion» geht folgendes hervor: «Zwölf Prozent der Agrarsubventionen des Bundes fördern direkt die tierische Produktion (2022). Es handelt sich hierbei primär um die Zulagen im Milchsektor und die Beihilfen für die Viehwirtschaft. Weitere 66 Prozent fördern indirekt die tierische Produktion. Dazu gehören Direktzahlungen wie z. B. für die Versorgungssicherheit, das Tierwohl und die Offenhaltung. Insgesamt haben somit gut drei Viertel der Agrarsubventionen einen direkten oder indirekten Bezug zur Tierhaltung. Der hohe Anteil hat unter anderem damit zu tun, dass rund 60 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche sowie das Sömmerungsgebiet aus nicht für den Ackerbau geeigneten Dauerwiesen oder -weiden bestehen. Diese Grünflächen können nur mit raufutterverzehrenden Nutztieren bewirtschaftet werden.» Zudem ist auch auf der Ackerfläche ein Kunstwiesenanteil von 20 Prozent in der Fruchtfolge agronomisch sinnvoll. Bei einer Annahme der Initiative müssten somit alle Subventionen des Bundes und der Kantone an die Landwirtschaft sowie andere staatliche Anreize (insb. der Grenzschutz) systematisch bezüglich ihrer Wirkung auf die Produktion und den Konsum überprüft und - falls ein Widerspruch zu den Absätzen 1 und 2 besteht - aufgehoben oder angepasst werden.
Art. 197 Ziff. 15 Übergangsbestimmungen zu den Art. 74a und 104a
Absatz 1 verlangt, dass Bund und Kantone ihre Ausführungsbestimmungen zu den Artikeln 74 a und 104 a Absatz 1 Einleitungssatz und Buchstaben a, abis und c sowie Absätze 2 und 3 BV innert fünf Jahren nach deren Annahme durch Volk und Stände erlassen. Wie bereits erwähnt, ist der aktuelle Artikel 104 a deklaratorischer Natur. Die Übergangsbestimmung gemäss Initiativtext verlangt, dass Artikel 104 a auf Gesetzes- und Verordnungsstufe konkretisiert wird. Zusammen mit der Mindestvorgabe beim Netto-SVG erhält der Artikel somit zumindest teilweise einen konstitutiven Charakter.
Gemäss Absatz 2 soll die Ausführungsgesetzgebung des Bundes namentlich die Instrumente regeln, die es ermöglichen, die neuen Vorgaben der Artikel 74 a und 104 a Absatz 1 Einleitungssatz und Buchstaben a, abis und c sowie Absätze 2 und 3 BV innert zehn Jahren nach deren Annahme zu erfüllen. Bezüglich des angestrebten Netto-SVG soll das Gesetz auch Zwischenziele festlegen.
Absatz 3 verlangt, dass die nötigen Anpassungen der landwirtschaftlichen Produktion sozialverträglich ausgestaltet sind und vom Bund finanziell unterstützt werden. Zum einen beinhaltet der insbesondere in Artikel 104 Absatz 1 BV genannte Begriff der Nachhaltigkeit bereits eine soziale Dimension. ²6 Zum anderen hat der Bund gemäss Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c LwG, der sich auf Artikel 104 Absatz 2 BV abstützt, bereits heute für eine sozialverträgliche Entwicklung in der Landwirtschaft zu sorgen. Unter einer sozialverträglichen Entwicklung ist zu verstehen, dass die Betriebe genügend Mittel erwirtschaften, um das für Gebäude und Maschinen aufgenommene Fremdkapitel schrittweise zurückzahlen und gleichzeitig ein angemessenes Einkommen erwirtschaften zu können.
²6 Klaus Vallender, Peter Hettich in Bernhard Ehrenzeller et al. (Hrsg.), St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, Zürich, 2023, § 9 zu Art. 104 BV.

5 Aktuelle Situation in Bezug auf die Anliegen der Initiative

Ernährungssicherheit
Ernährungssicherheit bedeutet, dass die Bevölkerung jederzeit Zugang hat zu einer ausreichenden Menge von hochwertigen und bezahlbaren Lebensmitteln. Dies ist heute in der Schweiz der Fall. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und der knappen landwirtschaftlichen Nutzfläche ist die Schweiz ergänzend zur Inlandproduktion auf Lebensmittelimporte angewiesen. ²7
Der SVG misst die verwertbare Energie (Kalorien oder Joules) der im Inland produzierten Lebensmittel und stellt diese dem Inlandverbrauch gegenüber. Dabei wird zwischen Brutto- und Netto-SVG unterschieden. Beim Netto-SVG wird die tierische Inlandproduktion um denjenigen Anteil reduziert, der mit importierten Futtermitteln produziert wird. Brutto lag der SVG im Mittel der Jahre 2020-2022 bei 53 Prozent, netto bei 46 Prozent. Der leichte Rückgang des SVG in den letzten Jahren ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung stärker gewachsen ist als die Lebensmittelproduktion, die in den letzten Jahren unter anderem witterungsbedingt leicht rückläufig war. ²8
Im Bericht vom 22. Juni 2022 ²9 zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik ist festgehalten: «Der SVG kann zwar als Näherungswert zur Beurteilung des Beitrags der Schweizer Landwirtschaft zur Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln verwendet werden. Er erfüllt jedoch nicht die Anforderungen an einen Indikator zu einer umfassenden Beurteilung der Ernährungssicherheit. Für die Ernährungssicherheit ist neben einer reinen Kalorienbetrachtung auch wichtig, welche Qualität die Lebensmittel aufweisen und wie sie produziert werden.» 3⁰ Für die landwirtschaftliche Produktion sind intakte Ökosysteme essenziell (Bodenfruchtbarkeit, Bestäubungsleistung usw.). Zudem braucht es für die Aufrechterhaltung der Inlandproduktion Produktionsmittel wie Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel, Treibstoff oder Saatgut. Diesbezüglich bestehen heute mehrheitlich grosse Importabhängigkeiten (insb. bei fossilen Treibstoffen, Hybridsaatgut von Zuckerrüben und Raps oder beim Mineraldünger).
Im Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik ist zudem festgehalten, dass die Anforderungen gemäss Artikel 104 a BV in der Schweiz heute zwar grundsätzlich erfüllt werden, jedoch gewisse Defizite bestehen. Letztere sind in den Bereichen Bodenquantität und -qualität, Biodiversität, Ökosystemleistungen, Anbau von Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung, Konsum, Lebensmittelverluste und Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland zu verorten. 3¹ Der heutige Netto-SVG kann in der Schweiz unter Einhaltung der Tragfähigkeit der Ökosysteme nur gehalten werden, «wenn die Landwirtschaftsböden quantitativ und qualitativ erhalten bleiben, der technische Fortschritt umgesetzt wird, das Dauergrünland mit standortangepasster Nutzungsintensität zur Milch- und Fleischproduktion genutzt wird und auf der Ackerfläche vermehrt Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung angebaut werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Bereitstellung robuster Sorten und Rassen, die Sicherstellung des notwendigen Knowhows, die angemessene Umsetzung des technischen Fortschritts, ein verbessertes Wassermanagement, die dynamische Weiterentwicklung der Wertschöpfungsketten sowie Anpassungen der Konsum- und Produktionsmuster». 3²
Erhalt der Ökosysteme durch geringere Nährstoffeinträge
Die Ernährungsinitiative verlangt, dass namentlich die in den UZL festgelegten Höchstwerte für Düngereinträge (Stickstoff [N] und Phosphor [P]) zum Schutz der Umwelt, des Klimas, der Biodiversität und der Gewässerqualität nicht überschritten werden dürfen. Das Ernährungssystem verursacht heute hohe volkswirtschaftliche Kosten in den Bereichen Umwelt (inkl. Klima) und Gesundheit. 3³ Die Tierproduktion auf der Basis von importierten Futtermitteln, der daraus entstehende Hofdünger sowie der ineffiziente Einsatz von Hof- und Mineraldünger erhöhen das Risiko für Emissionen aus der Landwirtschaft und entsprechenden Einträgen in andere Ökosysteme. Insbesondere die Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung verursachen durch die unerwünschten Stickstoffeinträge in sensible Ökosysteme (nährstoffarme Lebensräume, Wälder) einen anhaltenden Rückgang der vorhandenen Biodiversität. Damit werden auch die landwirtschaftlichen Produktionsgrundlagen langfristig gefährdet.
Im Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik ist festgehalten, dass die Tragfähigkeit der Ökosysteme teilweise überschritten wird und die UZL heute in vielen Bereichen noch nicht erreicht sind. ³4 Somit wird auch die Forderung nach einer standortangepassten Lebensmittelproduktion nach Artikel 104 a Buchstabe b momentan nicht erfüllt. Bei den Nährstoffverlusten konnten zwar Fortschritte erzielt werden; so sind die Stickstoffüberschüsse vom Durchschnitt der Jahre 2000-2002 zum Durchschnitt der Jahre 2020-2022 um 9,8 Prozent gesunken. ³5 Die Nährstoffverluste in die Umwelt in der Grössenordnung von 90 000 Tonnen Stickstoff sind aber nach wie vor zu hoch. Um die UZL zu erreichen und damit die Tragfähigkeit der Ökosysteme langfristig sicherzustellen, sind die umweltrelevanten Stickstoffverluste (Ammoniak, Nitrat, Lachgas) um mindestens 25 000 Tonnen Stickstoff zu reduzieren. Auf Stufe Konsum bzw. Abfallwirtschaft resultieren weitere Verluste in die Umwelt von über 40 000 Tonnen Stickstoff. Auch hier gilt es die Verluste zu reduzieren. Mit dem im Rahmen der parlamentarischen Initiative 19.475 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» beschlossenen Absenkpfad Nährstoffe (Art. 6 a LwG) setzte der Bundesrat ein wichtiges Etappenziel zur Erreichung der UZL. Bis 2030 sollen die Stickstoffverluste der Landwirtschaft gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2014-2016 um 15 Prozent reduziert werden (von 96 775 t N auf 83 000 t N pro Jahr). Mit dem Verordnungspaket zur Umsetzung der Gesetzesänderung beschloss der Bundesrat verschiedene Massnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Im Durchschnitt der Jahre 2020-2022 wurden gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2014-2016 die Verluste bereits um 7,6 Prozent (7300 t N) reduziert. ³6 Eine erste Einschätzung zur Wirkung der neuen Massnahmen wird der Bundesrat im Rahmen einer Zwischenbilanz im erläuternden Bericht für die Vernehmlassung zur Agrarpolitik ab 2030 (AP30+) in der zweiten Jahreshälfte 2026 machen.
Erhalt der Biodiversität
Gemäss Artikel 104 Absatz 1 Buchstabe b BV hat der Bund dafür zu sorgen, dass die Landwirtschaft einen Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen leistet. Dazu zählt auch die Biodiversität. Im Rahmen des ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) ist in Artikel 70 a Absatz 2 Buchstabe c LwG festgelegt, dass ein angemessener Anteil an Biodiversitätsförderflächen (BFF) vorhanden sein muss. Damit und mit Biodiversitätsbeiträgen nach Artikel 73 LwG trägt der Bund zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität bei. Besonders gefördert werden die biologische Qualität und die Vernetzung von BFF. Damit die Vernetzung der Flächen längerfristig gewährleistet ist, wird sie mit achtjährigen Vereinbarungen gesichert (Art. 62 Abs. 3 der Direktzahlungsverordnung vom 23. Oktober 2013 ³7 ).
2023 wurden 19,6 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als BFF genutzt. Von den BFF weisen 44 Prozent eine hohe biologische Qualität auf und 83 Prozent sind vernetzt. Trotz steigender Beteiligung an den agrarpolitischen Förderprogrammen konnte der Rückgang der Biodiversität auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche bisher nicht gestoppt werden. Der Zustand der Biodiversität im Agrarland ist auch 20 Jahre nach der Einführung der genannten Massnahmen unbefriedigend. Resultate des Monitoringprogramms «Arten und Lebensräume Landwirtschaft» (ALL-EMA) zeigen aber, dass die BFF wirksam sind. Von den BFF sind 44 Prozent für Biodiversitätsbeiträge der Qualitätsstufe II angemeldet, und auf 83 Prozent werden Massnahmen im Rahmen der Vernetzungsbeiträge umgesetzt. Einzelne Verbesserungen waren im zweiten Erhebungszyklus (2020-2024) vor allem auf den Biodiversitätsförderflächen sichtbar. Die Resultate des Monitoringprogramms zeigen auch Potenzial zur Verbesserung der Wirkung der Biodiversitätsbeiträge. Insbesondere in den tieferen Zonen besteht heute ein grosses Defizit an für die Biodiversität wertvollen Lebensräumen. ³8
Erhalt der Bodenfruchtbarkeit
Damit der Boden fruchtbar bleibt, muss er schonend bewirtschaftet werden. Die Bodenfruchtbarkeit umfasst neben der Produktionsfunktion auch die Lebensraum- und Regulierungsfunktion. Ziel ist es, dass die angewandten landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmethoden die Bodenfruchtbarkeit erhalten und fördern. Der Humusgehalt soll optimiert und Erosion sowie dauerhafte Verdichtung sollen vermieden werden. Weiter sollen die bereits in den Böden vorhandenen Kohlenstoffvorräte langfristig erhalten werden. ³9
Obwohl bodenschonende Bewirtschaftungsmethoden wie die Direktsaat vermehrt zur Anwendung kommen, werden die Ackerböden heute noch vorwiegend mit dem Pflug bearbeitet, was zwar in der Regel mit einem geringeren Herbizid-Einsatz verbunden ist, jedoch zu Bodenerosion und Verlust von Bodenkohlenstoff führen kann. Ein massgeblicher Anteil des in der Schweiz angebauten Gemüses stammt zudem von organischen Böden, deren landwirtschaftliche Nutzung aufgrund der Torfsackung oder des Humusverlusts langfristig gefährdet ist. Zudem führt der Einsatz schwerer Maschinen bei nassen Bodenverhältnissen zu Bodenverdichtung, was eine Beeinträchtigung der Bodenfruchtbarkeit zur Folge hat. Hinzu kommt, dass der Eintrag von Schadstoffen (z. B. Schwermetalle) die Bodenqualität beeinträchtigt. 4⁰
In der Bodenstrategie Schweiz 2020 4¹ sind acht konkrete Ziele für landwirtschaftliche Böden formuliert, welche die oben genannten Probleme angehen. Ausserdem soll in der Schweiz ab 2050 netto kein Boden mehr verbraucht werden, was für den Erhalt des Kulturlandes und der Produktionsgrundlage Boden zentral ist.
Förderung von natürlichem, samenfestem Saat- und Pflanzgut
Eine Pflanzensorte gilt als natürlich und samenfest, wenn aus ihrem Saatgut Pflanzen wachsen, die dieselben Eigenschaften und dieselbe Gestalt haben wie die Elternpflanzen. Dadurch unterscheiden sie sich von Hybridsorten. Solches Saatgut ist sortenrein und nachbaufähig, kann also natürlich vermehrt werden, sei es durch die Bäuerinnen und Bauern oder Saat- und Pflanzguthersteller. Hybridsorten sind Pflanzensorten, die man durch die Kreuzung von jeweils definierten Reinzuchtlinien erhält. Sie zeichnen sich durch höhere Erträge und bessere Krankheitsresistenzen aus und werden heute in der Schweizer Landwirtschaft insbesondere beim Anbau von Raps, Zucker- und Futterrüben, Mais und Gerste sowie Gemüse eingesetzt. Der Bund fördert öffentliche Züchtungsprogramme, die samenfeste Sorten sowie Saat- und Pflanzgut für eine nachhaltige Landwirtschaft in der Schweiz hervorbringen. So decken bereits heute samenfeste Agroscope-Weizensorten rund 80 Prozent des Schweizer Marktbedarfs ab.
Sichere Versorgung mit Trinkwasser
Das Trinkwasser in der Schweiz ist heute generell von guter Qualität. Es wird zu rund 80 Prozent aus Grundwasser gewonnen und zu rund 20 Prozent aus Seen aufbereitet. Aufgrund der raschen Fortschritte im Bereich der Messtechnik können vor allem in Ballungsräumen und intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten immer mehr unerwünschte Spurenstoffe in meistens niedrigen, aber regulatorisch trotzdem zuweilen zu hohen Konzentrationen im Grund- und Trinkwasser nachgewiesen werden. Im Grundwasser können neben Pflanzenschutzmittelwirkstoffen, deren Metaboliten und Nitrat, die vor allem in intensiv ackerbaulich genutzten Gebieten gefunden werden, auch diverse andere Substanzen auftreten, die nicht aus der Landwirtschaft stammen (z. B. Rückstände von Medikamenten, Industriechemikalien aus dem Abwasser oder chlorierte Kohlenwasserstoffe aus Altlasten). 4²
Die Einträge von Stickstoff und Phosphor in die Gewässer konnten unter anderem dank dem Phosphatverbot für Textilwaschmittel, dem Ausbau der Kläranlagen, der Einführung der ausgeglichenen Nährstoffbilanz im ÖLN und der damit verbundenen Pflicht, allfällig vorhandene Hofdüngerüberschüsse abzugeben, stark reduziert werden. Die Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft sanken zwischen 1985 und 2020 um einen Drittel. Um das entsprechende Umweltziel (Reduktion der Nitrat-Einträge aus der Landwirtschaft in die Gewässer um 50 % gegenüber 1985) zu erreichen, müssten sie gegenüber heute noch um rund 8000 t N vermindert werden. 4³ Vor allem in den Einzugsgebieten der Mittellandseen und des Zugersees gelangen noch zu hohe Phosphoremissionen aus der Landwirtschaft in die Gewässer. Im Grundwasser werden die Anforderungswerte für Nitrat vor allem im Ackerbaugebiet an vielen Messstellen überschritten. Gewisse Metaboliten von Pflanzenschutzmitteln sind in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten im Grundwasser weit verbreitet. Wichtige Pflanzenschutzmittelwirkstoffe wie beispielsweise Chlorothalonil wurden deshalb verboten. So konnte auch im Rahmen der Umsetzung der parlamentarischen Initiative 19.475 die Grundwasserbelastung durch Pflanzenschutzmittel und deren Metaboliten um mehr als 50 Prozent reduziert werden. 4⁴ Weiter stellen Stoffe aus der Gruppe der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) neue Herausforderungen auch für die Sicherung des Trinkwassers dar. Zur Erfüllung mehrerer parlamentarischer Aufträge (z. B. Postulat 22.4585 Moser «Aktionsplan zur Reduktion der Belastung von Mensch und Umwelt durch langlebige Chemikalien») sind in der Bundesverwaltung zu diesem Thema intensive Arbeiten im Gang.
Fazit
Die Entwicklungen in den Zielbereichen der Ernährungsinitiative gehen grundsätzlich in die richtige Richtung. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist heute trotz des leicht rückläufigen SVG sichergestellt, die Trinkwasserqualität in der Schweiz ist im Allgemeinen gut und im Bereich der Nährstoffverluste sowie der Pflanzenschutzmittel und deren Metaboliten konnten Fortschritte erzielt werden. Es verbleiben aber in Bereichen wie dem Erhalt der Biodiversität, dem Erhalt der Bodenfruchtbarkeit sowie der Reduktion von Stickstoffverlusten (Ammoniak und Nitrat) Ziellücken, die in den kommenden Jahren geschlossen werden müssen.
²7 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 24. Juni 2015 zur Volksinitiative «Für Ernährungssicherheit», BBl 2015 5753 S. 5760.
²8 Bericht des Bundesrates vom 22. Juni 2022 «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 20.3931 der WAK-S vom 20. August 2020 und 21.3015 der WAK-N vom 2. Februar 2021», S. 14, abrufbar unter:
www.parlament.ch > 20.3931 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.
²9 Bericht des Bundesrates vom 22. Juni 2022 «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik. Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 20.3931 der WAK-S vom 20. August 2020 und 21.3015 der WAK-N vom 2. Februar 2021», abrufbar unter:
www.parlament.ch > 20.3931 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.
3⁰ «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik», S. 16
3¹ «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik», S. 18-19
3² «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik», S. 19
3³ Forschungsinstitut für biologischen Landbau, (2025), Hidden costs of the Swiss Agrifood System. Case study for the State of Food and Agriculture Report of the FAO - SOFA 2024.
³4 «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik», S. 42
³5 BLW (2024) Agrarbericht 2024. Agrarumweltindikatoren und -kennzahlen auf nationaler Ebene 1990-2023, abrufbar unter:
www.agrarbericht.ch > Service > Download Center > Umwelt.
³6 Zu Zielerreichung und Massnahmen vgl. www.blw.admin.ch
> Themen > Nachhaltigkeit > Nährstoffe > Stickstoff.
³7 SR 910.13
³8 Eliane Meier, Gisela Lüscher, Chantal Herzog, Felix Herzog, Alexander Indermaur, Jonas Winizki und Eva Knop (2025): Veränderung der Biodiversität in der Schweizer Agrarlandschaft: Von der ALL-EMA-Ersterhebung (2015-2019) zur Zweiterhebung (2020-2024). Agroscope Science Nr. 209, abrufbar unter:
www.agroscope.admin.ch > Themen > Umwelt und Ressourcen > Monitoring, Analytik > Monitoringprogramm ALL-EMA.
³9 www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Boden > Publikationen und Studien > Bodenstrategie Schweiz
4⁰ «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» S. 43
4¹ www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Boden > Publikationen und Studien > Bodenstrategie Schweiz
4² BBl 2019 1101 S. 1105
4³ Catherine Hutchings, Ernst Spiess, Volker Prasuhn (2023) Abschätzung diffuser Stickstoff- und Phosphoreinträge in die Gewässer der Schweiz mit MODIFFUS 3.1, Stand 2020, Agroscope Science, Nr. 155 / 2023.
4⁴ Aktionsplan Pflanzenschutzmittel und Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden Zwischenbericht vom 8. Mai 2024 zur Umsetzung 2017-2022, abrufbar unter:
www.blw.admin.ch > Themen > Pflanzen > Nachhaltiger Pflanzenschutz > Aktionsplan Pflanzenschutzmittel.

6 Würdigung der Initiative

6.1 Würdigung der Anliegen der Initiative

Die Ziele der Ernährungsinitiative (vgl. Ziff. 3) und diejenigen des Bundesrates (vgl. Ziff. 6) weisen bezüglich der inhaltlichen Stossrichtung eine hohe Übereinstimmung auf. Die Zielwerte und die zeitlichen Vorgaben zur Zielerreichung sind bei der Ernährungsinitiative jedoch deutlich ambitionierter und verbindlicher. So strebt die Initiative an, dass der Netto-SVG mindestens auf 70 Prozent erhöht wird. Um eine solche Erhöhung zu erreichen, wären grosse Umstellungen in der Produktion und im Konsum notwendig.
Zudem verlangt die Ernährungsinitiative, dass namentlich die Höchstwerte für Stickstoff- und Phosphorverluste gemäss den UZL nicht mehr überschritten werden dürfen. Diese Ziele müssen bis in zehn Jahren nach Annahme der Initiative erreicht werden; dies wäre je nach Zeitplan der Behandlung der Initiative zwischen 2036 und 2038. Der Bundesrat setzt beim Netto-SVG ein tieferes Ziel von mindestens 50 Prozent und gibt für die Zielerreichung einen längeren Zeitrahmen bis 2050 vor. Diese Zeitvorgabe setzt er auch für das Ziel, die Nährstoffverluste so weit zu reduzieren, dass die ökologische Tragfähigkeit nicht mehr überschritten wird. Die Initiative verlangt zudem, dass die nötigen Anpassungen sozialverträglich auszugestalten sind und vom Bund finanziell unterstützt werden. Aufgrund der kurzen Umsetzungsfrist von zehn Jahren ist davon auszugehen, dass gewisse Investitionen in der Landwirtschaft nicht vollständig amortisiert werden können und somit ein zusätzlicher Mittelbedarf für Abfederungsmassnahmen zur Sicherstellung einer sozialverträglichen Entwicklung entsteht. Der Umfang des Mittelbedarfs hängt von den notwendigen Anpassungsmassnahmen ab und kann zum heutigen Zeitpunkt nicht beziffert werden. Mit dem vom Bundesrat definierten Zeithorizont 2050 und dem tieferen Ziel bezüglich Netto-SVG ist eine sozialverträgliche Entwicklung ohne Abfederungsmassnahmen möglich.
Was die Massnahmenebene betrifft, verlangt die Initiative in erster Linie neue oder angepasste Fördermassnahmen und eine Umlagerung der bestehenden Subventionen. Zudem will die Initiative natürliches und samenfestes Saatgut fördern. Weitere konkrete Massnahmen gibt die Initiative nicht vor.
Die Ernährungssicherheit ist heute in Artikel 104 a BV verankert. Im Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik wurde aufgezeigt, wie die Politik im Bereich Land- und Ernährungswirtschaft weiterentwickelt werden soll. In Bezug auf die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln hält der Bericht fest, dass die Anforderungen an die langfristige Ernährungssicherheit gemäss Artikel 104 a BV heute zwar grundsätzlich erfüllt werden, jedoch gewisse Defizite bestehen (vgl. Ziff. 5).
Vor diesem Hintergrund wurde ein Zukunftsbild mit Zielen im Zeithorizont 2050 skizziert. ⁴5 Folgende Ziele weisen einen Bezug zur Ernährungsinitiative auf:
-
Die inländische Lebensmittelproduktion trägt unter Berücksichtigung der wachsenden Bevölkerung netto mehr als zur Hälfte zur Versorgung der inländischen Bevölkerung bei.
-
Die Nährstoffe aus Düngern werden effizient eingesetzt und fördern das Pflanzenwachstum optimal. Verluste in Luft und Wasser überschreiten die ökologische Tragfähigkeit nicht.
-
Die Treibhausgas-Emissionen der Schweizer Landwirtschaft liegen mindestens 40 Prozent unter dem Niveau von 1990. Die Treibhausgasemissionen des Lebensmittelkonsums pro Kopf werden gegenüber 2020 um mindestens zwei Drittel reduziert.
-
Auf ackerbaulich nutzbaren Böden werden prioritär Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung angebaut.
-
Die Wiederkäuerproduktion basiert grundsätzlich auf der Nutzung des Dauergrünlands und der Verwertung von Nebenprodukten der Lebensmittelherstellung.
-
Die angewandten Bewirtschaftungsmethoden erhalten und fördern die Bodenfruchtbarkeit. Der Humusgehalt wird optimiert und Erosion sowie dauerhafte Verdichtung werden vermieden. Rund ein Sechstel der landwirtschaftlichen Nutzfläche wird als Biodiversitätsförderflächen genutzt, die über eine hohe biologische Qualität verfügen und miteinander vernetzt sind.
-
Die Bevölkerung ernährt sich gesund, ausgewogen und nachhaltig. Als Referenz dienen die Empfehlungen der Schweizer Lebensmittelpyramide. ⁴6
Mit der Überweisung der Motion 22.4251 der WAK-S «Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik. Konkretisierung des Konzepts der WAK-S» hat das Parlament den Bundesrat beauftragt, basierend auf dem oben genannten Bericht bis 2027 eine Botschaft zur Agrarpolitik ab 2030 (AP30+) vorzulegen. Die Vorlage ist abzustimmen auf das Zukunftsbild 2050. Bei der Ausarbeitung der Vorlage sollen insbesondere folgende Aspekte berücksichtigt werden:
a.
Sicherstellung der Ernährungssicherheit auf Basis einer diversifizierten inländischen Nahrungsmittelproduktion mindestens auf aktuellem Niveau der Selbstversorgung;
b.
Reduktion des ökologischen Fussabdrucks von der landwirtschaftlichen Produktion bis zum Konsum von Lebensmitteln; dabei sind die Importe mitzuberücksichtigen;
c.
Verbesserung von wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven für die Land- und Ernährungswirtschaft;
d.
Vereinfachung des Instrumentariums und Reduktion des administrativen Aufwands.
Die Ernährungsinitiative deckt die in der Motion genannte Sicherstellung der Ernährungssicherheit und Reduktion des ökologischen Fussabdrucks ab, verlangt jedoch keine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven für die Land- und Ernährungswirtschaft und auch keine Vereinfachung des Instrumentariums und Reduktion des administrativen Aufwands. Mit der Botschaft zur AP30+ wird der Bundesrat Massnahmen zur Stärkung der Wertschöpfung in der Land- und Ernährungswirtschaft sowie zur administrativen Entlastung der landwirtschaftlichen Betriebe vorschlagen. Gleichzeitig wird die Vorlage wichtige Anliegen der Ernährungsinitiative wie die Stärkung der Ernährungssicherheit und die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks der Land- und Ernährungswirtschaft aufnehmen und unter Beachtung des Beitrags von selbstverantwortlichen Engagements der Branchen Massnahmen vorsehen, die zur Erreichung dieser Ziele beitragen. Dabei wird der Bundesrat erreichbare Ziele und einen realistischen Zeitrahmen vorlegen.
Folgende weitere Aktivitäten unterstützen die Transformation in Richtung eines nachhaltigeren Ernährungssystems:
-
Aktionsplan gegen die Lebensmittelverschwendung ⁴7 : Der Aktionsplan des Bundesrates verfolgt das Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 im Vergleich zu 2017 zu halbieren.
-
Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 (SNE 2030) ⁴8 : Ein Schwerpunkt der SNE 2030 des Bundesrates ist es, die Transformation hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen im In- und Ausland voranzutreiben.
-
Klimastrategie Land- und Ernährungswirtschaft ⁴9 : Das Ziel der von BLW, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und BAFU gemeinsam erarbeiteten Klimastrategie ist es, die Land- und Ernährungswirtschaft bei der Anpassung an die Klimaveränderungen zu unterstützen und deren Emissionen zu verringern.
-
Aktionsplan Strategie Biodiversität Schweiz (AP SBS II) 5⁰ : Der Aktionsplan des Bundesrates beinhaltet verschiedene Massnahmen, welche die Biodiversität in der Landwirtschaft fördern.
-
Aktionsplan Pflanzenschutzmittel 5¹ : Der Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sieht vor, dass die Risiken halbiert und gleichzeitig der Schutz der Kulturen gewährleistet werden.
-
Schweizer Ernährungsstrategie 5² und Schweizer Ernährungsempfehlungen 5³ : Ziel der Strategie und der Empfehlungen ist es, die Ernährungskompetenz zu stärken, die Rahmenbedingungen für eine gesunde Ernährung zu verbessern und die Lebensmittelwirtschaft einzubinden.
⁴5 «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik», S. 52
⁴6 www.blv.admin.ch > Lebensmittel und Ernährung > Ernährung > Empfehlungen und Informationen > Schweizer Ernährungsempfehlungen
⁴7 www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Abfall > Abfallwegweiser > Biogene Abfälle > Abfallarten > Lebensmittelverluste
⁴8 www.are.admin.ch > Nachhaltige Entwicklung > Strategie und Berichterstattung > Strategie Nachhaltige Entwicklung
⁴9 www.blw.admin.ch > Agrarpolitik > Strategien und Projekte > Klimastrategie
5⁰ www.bafu.admin.ch > Themen > Thema Biodiversität > Fachinformationen > Biodiversitätspolitik > Strategie & Aktionsplan
5¹ www.blw.admin.ch > Themen > Pflanzen > Nachhaltiger Pflanzenschutz > Aktionsplan Pflanzenschutzmittel
5² www.blv.admin.ch > Das BLV > Strategien > Schweizer Ernährungsstrategie
5³ www.blv.admin.ch > Lebensmittel und Ernährung > Ernährung > Empfehlungen und Informationen > Schweizer Ernährungsempfehlungen

6.2 Auswirkungen einer Annahme der Initiative

6.2.1 Auswirkungen auf den Bund, die Kantone und die Gemeinden

Damit die Ziele der Initiative in der vorgegebenen Zeit erreicht werden können, sind grosse Umstellungen in der Produktion, in der Verarbeitung und im Konsum notwendig (vgl. Ziff. 6.2.2). Die Initiative sieht vor, dass der Bund zusätzliche Bundesmittel für Abfederungsmassnahmen bereitstellt, damit die Anpassungen im Landwirtschaftssektor sozialverträglich erfolgen können. Eine Annahme der Initiative hätte somit Mehrausgaben hauptsächlich für den Bund zur Folge. Da die Mehrausgaben von der Ausgestaltung der Abfederungsmassnahmen abhängen, kann ihr Umfang zum heutigen Zeitpunkt nicht beziffert werden. Angesichts der angespannten finanziellen Lage des Bundes und des fehlenden finanzpolitischen Handlungsspielraums müssten solche Abfederungsmassnahmen anderweitig intern - zulasten anderer Ausgaben in der Landwirtschaft oder anderer Aufgabengebiete - kompensiert werden.
Für die Agrarpolitik ist hauptsächlich der Bund zuständig. Abhängig davon, wie die Abfederungsmassnahmen ausgestaltet sind, könnten auch die Kantone davon betroffen sein (z. B. kantonale Kofinanzierungen). Auf die Gemeinden sind keine nennenswerten Auswirkungen zu erwarten.

6.2.2 Auswirkungen auf die Land- und Ernährungswirtschaft

Gemäss von Ow et al. (2020) 5⁴ kann der SVG auf 70 Prozent erhöht werden, wenn Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten substanziell mehr pflanzliche Produkte nachfragen und im Gegenzug der Fleischkonsum in der Nahrungsration deutlich sinkt (-70 %). Entsprechend dem Rückgang des Anteils von Fleisch in der Ernährung würden die Tierbestände in der Landwirtschaft um fast die Hälfte sinken (insb. Schweine und Mastgeflügel) und die pflanzliche Produktion zur direkten menschlichen Ernährung stark ausgedehnt (z. B. Brotgetreide +70 %). Aufgrund der kurzen Umsetzungsfrist von zehn Jahren könnten gewisse Investitionen in der Landwirtschaft (z. B. in Ställe) sowie in den vor- und nachgelagerten Sektoren der Ernährungswirtschaft nicht vollständig amortisiert werden. Zudem kann eine Reduktion der Tierproduktion zugunsten der ackerbaulichen Nutzung zur direkten menschlichen Ernährung wirtschaftliche Einbussen zur Folge haben, weil die Wertschöpfung pro Fläche in der Tierhaltung heute tendenziell höher ist als in der Pflanzenproduktion. Dem kann teilweise entgegengewirkt werden, wenn die Tierhaltung nicht durch Ackerbaukulturen, sondern in den dafür geeigneten landwirtschaftlichen Zonen durch Spezialkulturen ersetzt wird, weil letztere eine höhere Wertschöpfung pro Fläche aufweisen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass sich auch die Nachfrage entsprechend verändert. Zudem müssten neue Produktions- und Verarbeitungskapazitäten geschaffen werden, was zusätzliche Investitionen erforderlich machen würde.
5⁴ Albert von Ow et al. (2020) Environmental optimization of the Swiss population’s diet using domestic production resources, Journal of Cleaner Production 248 (2020) 119241.

6.2.3 Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft

Zwischen den Zielen einer gesunden und ausgewogenen Ernährung gemäss Lebensmittelpyramide (LMP) 5⁵ und nachhaltiger Lebensmittelproduktion bestehen verschiedene Zusammenhänge. Modellrechnungen ⁵6 zeigen, dass eine Ernährung mit minimaler Umweltwirkung und einer gleichzeitigen Ausrichtung auf die Empfehlungen gemäss LMP sowie unter Aufrechterhaltung der Nutzung der heutigen landwirtschaftlichen Nutzfläche die Umweltwirkung im In- und Ausland (Ökobilanz-Methodik) im Vergleich zu einem Referenzszenario, das Konsum und Produktion im Jahr 2015 abbildet, um 48 Prozent reduzieren kann. Neben Veränderungen bei der Ernährung leisten auch Anpassungen der Produktionsverfahren einen Beitrag (z. B. weniger intensive Nutzung von Grünland, weniger starke Verarbeitung von Lebensmitteln, geringere Lebensmittelverluste). Die Umweltwirkungen, die mit der inländischen Produktion in Verbindung stehen, nehmen um fast 20 Prozent ab. Die mit dem Import von Lebens- und Futtermitteln zusammenhängenden Umweltwirkungen sinken um 60 Prozent. Dies ist auf einen Rückgang der Importe, insbesondere von Futtermitteln, und eine Verlagerung zu umweltfreundlicheren Lebensmittelimporten zurückzuführen. Zu erwähnen ist, dass die positiven Umweltwirkungen der von der Initiative geforderten Produktionsanpassungen nur erzielt werden können, wenn sich das Konsumverhalten entsprechend anpasst. Würde der Tierbestand in der Schweiz gesenkt, ohne dass sich die Konsummuster in Richtung einer verstärkt pflanzlichen Ernährung verändern, würde der Import von tierischen Produkten steigen, was zu einer Verlagerung der negativen Umweltwirkungen ins Ausland führen würde. Zudem zeigen Studien, dass eine Produktionsauslagerung ins Ausland in der Gesamtbetrachtung für die Umwelt negativ sein kann. ⁵7
5⁵ www.blv.admin.ch > Lebensmittel und Ernährung > Ernährung > Empfehlungen und Informationen > Schweizer Ernährungsempfehlungen
⁵6 Albert von Ow et al. (2020) Environmental optimization of the Swiss population’s diet using domestic production resources, Journal of Cleaner Production 248 (2020) 119241
⁵7 Agroscope (2020): Potenzielle Umweltfolgen einer Umsetzung der Trinkwasserinitiative, Agroscope Science | Nr. 99 / Juli 2020.

6.3 Vorzüge und Mängel der Initiative

Vorzüge der Initiative:
-
Der Netto-SVG von Lebensmitteln steigt, womit die Schweiz im Krisenfall weniger von importierten Lebensmitteln abhängig ist.
-
Die Umwelt- und Klimaziele des Bundesrates (Reduktion Nährstoffverluste, Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, Reduktion THG-Emissionen) können früher als vom Bundesrat angestrebt erreicht werden.
-
Das Ernährungssystem verursacht heute hohe volkswirtschaftliche Kosten in den Bereichen Umwelt (inkl. Klima) und Gesundheit. Mit der Umsetzung der Initiative könnten diese Kosten früher gesenkt werden.
Mängel der Initiative:
-
Das Ziel der Ernährungsinitiative, den Netto-SVG auf 70 Prozent zu erhöhen, ist nicht realistisch. Für eine Erhöhung des Netto-SVG auf mindestens 70 Prozent wären grosse Umstellungen in der Produktion, in der Verarbeitung und im Konsum notwendig. Damit die vorgegebenen Ziele fristgerecht erreicht werden, bräuchte es auf den Stufen Produktion und Konsum von Lebensmitteln staatliche Massnahmen mit hoher Eingriffstiefe (z. B. Einschränkung der tierischen Produktion durch Begrenzung der Futterzufuhr oder der Hofdüngerabgabe, Konsumlenkung z. B. in der Form von Steuern auf tierische Produkte).
-
Aufgrund der kurzen Umsetzungsfrist von zehn Jahren könnten gewisse Investitionen in der Landwirtschaft sowie in den vor- und nachgelagerten Sektoren der Ernährungswirtschaft nicht vollständig amortisiert werden. Die Initiative sieht deshalb eine finanzielle Unterstützung des Bundes zur Sicherstellung einer sozialverträglichen Entwicklung vor. Angesichts der angespannten finanziellen Lage des Bundes ist die Einführung neuer Subventionstatbestände kritisch zu beurteilen.
-
Eine starke Umstellung der landwirtschaftlichen Produktion und der Lebensmittelverarbeitung in kurzer Frist könnte in die Nähe von Tatbeständen der materiellen Enteignung gemäss Artikel 26 BV kommen. Eine derartige Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit (vgl. Art. 27 BV) wäre unverhältnismässig.
-
Die Verankerung von aus gesetzlichen Grundlagen abgeleiteten oder von Bundesämtern konkretisierten Zielen in der BV ist nicht stufengerecht, da sie für eine Verfassungsbestimmung eine zu hohe Normdichte aufweisen. Hinzu kommt, dass sich die ökologischen Herausforderungen im Nährstoffbereich über die Zeit verändern können und eine Anpassung der Höchstwerte auch eine Anpassung der Verfassungsbestimmung erfordern würde.
-
Die neuen Verfassungsbestimmungen bringen keinen klaren Mehrwert, weil eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik in die gewünschte Richtung bereits geplant und ohne neue Verfassungsgrundlage möglich ist.

6.4 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Initiative ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz nicht von vornherein unvereinbar. Sie zielt darauf ab, die heutigen Massnahmen im Agrarbereich stärker auf die Produktion und den Konsum von pflanzlichen statt tierischen Lebensmitteln auszurichten. Eine Verlagerung der bestehenden Stützung der landwirtschaftlichen Produktion ist unter Berücksichtigung der geltenden Verpflichtungen der Welthandelsorganisation (WTO) zur Inlandstützung grundsätzlich erlaubt. Allfällige zusätzliche handelspolitische Massnahmen zur Erreichung des von der Initiative geforderten SVG können jedoch in einem Spannungsverhältnis zum geltenden internationalen Handelsrecht der WTO, zum Abkommen vom 21. Juni 1999 ⁵8 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und zu den Freihandelsabkommen stehen. Schliesslich würde die Umsetzung der Initiative tendenziell zu tieferen Nährstoffverlusten in der Landwirtschaft und damit zu einer erwünschten Minderbelastung der Umwelt in der Schweiz führen, was den internationalen Bestrebungen im Umweltbereich entspricht.
⁵8 SR 0.916.026.81

7 Schlussfolgerungen

Die Ziele der Ernährungsinitiative und diejenigen des Bundesrates weisen bezüglich der inhaltlichen Stossrichtung eine hohe Übereinstimmung auf (vgl. Ziff. 3 und 6). Zur Erreichung der Ziele des Bundesrates wird eine Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2030 ausgearbeitet, die wichtige Anliegen der Initiative wie die Stärkung der Ernährungssicherheit und die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks der Land- und Ernährungswirtschaft aufnehmen wird. Der Bundesrat wird erreichbare Etappenziele auf dem Weg zur Erreichung seiner langfristigen Ziele einschliesslich eines realistischen Zeitrahmens vorlegen und Massnahmen zur Zielerreichung vorschlagen (vgl. Ziff. 6). Im Gegensatz dazu ist insbesondere das Ziel der Ernährungsinitiative, den Netto-SVG auf 70 Prozent zu erhöhen, nicht realistisch. Es ist nicht möglich, die Ziele der Initiative innerhalb der vorgegebenen Frist zu erreichen, ohne tiefgreifend in die landwirtschaftliche Produktion, in die Lebensmittelverarbeitung und in den Konsum von Lebensmitteln einzugreifen und ohne für die Sicherstellung der Sozialverträglichkeit staatliche Massnahmen mit hohen Kosten für Abfederungsmassnahmen ergreifen zu müssen. Die Initiative nimmt ausserdem wichtige Anliegen des Parlaments für eine ausgewogene Weiterentwicklung der Agrarpolitik nicht auf, namentlich die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven für die Land- und Ernährungswirtschaft, die Vereinfachung des Instrumentariums und die Reduktion des administrativen Aufwands. Die neuen Verfassungsbestimmungen sind unnötig, da eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik in die von der Initiative verlangte Richtung bereits geplant und auf der bestehenden Verfassungsgrundlage möglich ist.
Vor diesem Hintergrund beantragt der Bundesrat, die Initiative ohne direkten Gegenentwurf und ohne indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.
Bundesrecht
Botschaft zur Volksinitiative «Für eine sichere Ernährung - durch Stärkung einer nachhaltigen inländischen Produktion, mehr pflanzliche Lebensmittel und sauberes Trinkwasser (Ernährungsinitiative)»
keyboard_arrow_up
Markierungen
Leseansicht