BBl 2025 2611
CH - Bundesblatt

Parlamentarische Initiative Die Höchstbezugsdauer bei Kurzarbeit soll um zwölf statt um sechs Abrechnungsperioden verlängert werden können Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 26. Juni 2025 Stellungnahme des Bundesrates

Parlamentarische Initiative Die Höchstbezugsdauer bei Kurzarbeit soll um zwölf statt um sechs Abrechnungsperioden verlängert werden können Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 26. Juni 2025 Stellungnahme des Bundesrates
vom 3. September 2025
Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 26. Juni 2025 ¹ betreffend die parlamentarische Initiative 25.441 «Die Höchstbezugsdauer bei Kurzarbeit soll um zwölf statt um sechs Abrechnungsperioden verlängert werden können» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
3. September 2025 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Karin Keller-Sutter Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Stellungnahme
¹ BBl 2025 2281

1 Ausgangslage

Am 9. Mai 2025 hat Ständerat Pierre-Yves Maillard die parlamentarische Initiative «Die Höchstbezugsdauer bei Kurzarbeit soll um zwölf statt um sechs Abrechnungsperioden verlängert werden können» eingereicht. Am 15. Mai 2025 hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) die parlamentarische Initiative vorgeprüft und mit 9 zu 3 Stimmen und einer Enthaltung beschlossen, ihr Folge zu geben. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) stimmte dem Vorhaben am 22. Mai 2025 mit 15 zu 8 Stimmen zu. Am 26. Juni 2025 hat die SGK-S den Erlassentwurf und den Kommissionsbericht beraten und mit 8 zu 3 Stimmen zuhanden des Ständerates verabschiedet. Am 2. Juli 2025 hat die SGK-S dem Bundesrat die Vorlage zur Stellungnahme unterbreitet.
Die parlamentarische Initiative sieht vor, Artikel 35 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vom 25. Juni 1982 ² (AVIG) dahingehend anzupassen, dass der Bundesrat die maximale Höchstbezugsdauer zum Bezug von Kurzarbeitsentschädigung (KAE) um höchstens zwölf statt wie heute um höchstens sechs Monate verlängern kann. Zudem soll eine Wartefrist von sechs Monaten eingeführt werden, wenn KAE vorgängig während 24 Monaten ohne Unterbruch bezogen wurde.
Die Anpassung des AVIG soll gestützt auf Artikel 165 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV) ³ dringlich erfolgen. Das dringliche Vorgehen wird damit gerechtfertigt, dass Unternehmen, die bereits seit längerer Zeit Kurzarbeit einsetzen, demnächst die Höchstbezugsdauer der KAE erreichen, wodurch zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet seien. Aufgrund der Dringlichkeit hat die SGK-S auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Vorlage soll bis zum 31. Dezember 2028 befristet werden.
² SR 837.0
³ SR 101

2 Stellungnahme des Bundesrates

Wie im Kommissionsbericht erläutert, kann KAE innerhalb einer zweijährigen Rahmenfrist während höchstens zwölf Monaten bezogen werden (Art. 35 Abs. 1 AVIG). Der Bericht beschreibt ebenfalls, wie und unter welchen Bedingungen der Bundesrat die Höchstbezugsdauer um sechs Monate verlängern kann und dass seit dem 1. August 2024 und bis zum 31. Juli 2026 eine verlängerte Höchstbezugsdauer von 18 Monaten gilt. Der Bundesrat hat angesichts der konjunkturellen Unsicherheiten seine gesetzlichen Kompetenzen wahrgenommen und denjenigen Betrieben, die aufgrund von Absatzschwierigkeiten seit mehreren Monaten Arbeitsausfälle hinnehmen müssen, den längeren Bezug von KAE ermöglicht. Zudem erlaubt es das AVIG, nach Ablauf einer ersten Rahmenfrist direkt anschliessend eine Folgerahmenfrist zu beantragen, falls die gesetzlichen Voraussetzungen zum Bezug von KAE erfüllt sind (Art. 31-41 AVIG). Die aktuelle gesetzliche Grundlage lässt somit den Bezug der KAE für einen längeren Zeitraum zu.
Kurzarbeit darf dann eingesetzt werden, wenn ein Arbeitsausfall voraussichtlich vorübergehend ist und erwartet werden darf, dass durch Kurzarbeit Arbeitsplätze erhalten werden können (Art. 31 Abs. 1 Bst. d AVIG). Der Begriff «vorübergehend» deutet an, dass die Dauer des Bezugs von KAE zeitlich beschränkt sein soll. Es ist aus Sicht des Bundesrates nicht Zweck der Kurzarbeit, dass die Arbeitslosenversicherung (ALV) Arbeitsplätze längerfristig mit der Leistung von KAE subventioniert.
In der jüngeren Vergangenheit wurde zweimal von den Bestimmungen in Artikel 35 AVIG abgewichen und eine Höchstbezugsdauer von 24 Monaten eingeführt: im Nachgang zur Finanzkrise von 2008/09 sowie während der Covid-19-Pandemie. Diese Wirtschaftskrisen zeichneten sich durch ihr unerwartetes Eintreffen, einen Rückgang der Wertschöpfung, eine rasch und markant ansteigende Arbeitslosigkeit und eine grosse Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Entwicklung aus. Die auf 24 Monate verlängerte Höchstbezugsdauer galt in beiden Fällen für einen begrenzten Zeitraum: in der Finanzkrise vom 1. April 2010 bis zum 31. Dezember 2011 ⁴ , in der Pandemie vom 1. Juli 2021 bis zum 28. Februar 2022 ⁵ , später verlängert bis zum 30. Juni 2022 ⁶ .
Die aktuelle konjunkturelle Abschwächung und die bestehenden wirtschaftlichen Unsicherheiten sind für die von anhaltenden Arbeitsausfällen betroffenen Branchen und Betriebe sehr herausfordernd. Die Konjunkturprognose vom Juni 2025 und die aktuelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt weisen nicht auf eine bevorstehende Rezession hin. Für 2025 und 2026 wird mit 1,3 beziehungsweise 1,2 Prozent aber ein deutlich unterdurchschnittliches Wachstum der Schweizer Wirtschaft erwartet. Die Arbeitslosenquote lag im Juni 2025 bei 2,7 Prozent (saisonbereinigt 2,9 %). Schliesslich ist die Zahl der Arbeitsplätze, bei denen in den nächsten Monaten das Ende der Höchstbezugsdauer droht, gemäss dem Bericht der Kommission mit rund 2500-4850 Arbeitnehmenden (850-1600 Vollzeitstellen) im Vergleich mit der gesamtschweizerischen Beschäftigung relativ gering.
Im Bericht der Kommission werden die betrieblichen und volkswirtschaftlichen Vorteile der Kurzarbeit ausgeführt. Neben diesen Vorteilen weist Kurzarbeit aber auch nicht zu vernachlässigende Nachteile auf. Wird sie über längere Zeit eingesetzt, so kann sich dies strukturerhaltend auswirken - insbesondere dann, wenn Betriebe für einen längeren Zeitraum KAE beziehen und dies nicht für Modernisierungen oder Neuausrichtungen nutzen. Weiter kann sich die für einen gesunden Strukturwandel notwendige Reallokation von Arbeitskräften zwischen den Unternehmen verzögern. Der finanziell geförderte Verbleib von Arbeitnehmenden in einem Betrieb in Kurzarbeit entzieht dem Arbeitsmarkt Arbeitskräfte, was den bestehenden Fachkräftemangel in Betrieben und Branchen ohne Kurzarbeit verschärfen kann. Zudem kann sich die Situation der Arbeitnehmenden auf dem Stellenmarkt verschlechtern, besonders wenn sie über längere Zeit nicht vollständig beschäftigt sind und dadurch gefragte Kompetenzen nicht entwickeln oder verlieren.
Kurzarbeit kann aufgrund der Abgeltung eines erheblichen Teils der Lohnkosten durch die ALV wettbewerbsverzerrend wirken, wenn innerhalb der gleichen Branche ein Teil der Betriebe Kurzarbeit einsetzt, ein anderer Teil der Betriebe diese aber nicht einführt. Wie bei allen Versicherungsleistungen besteht auch bei der KAE ein Risiko für sogenannte Mitnahmeeffekte. Dazu kommt es, wenn KAE eingesetzt wird, um Arbeitsplätze zu erhalten, die auch ohne Unterstützung der ALV erhalten worden wären. Auch Mitnahmeeffekte wirken tendenziell wettbewerbsverzerrend. Diese unerwünschten wirtschaftspolitischen Risiken werden umso grösser, je länger Kurzarbeit ohne Unterbruch eingesetzt wird. Schliesslich kann nicht ausgeschlossen werden, dass es nach dem Bezug von KAE trotzdem zu Entlassungen kommt und die Kurzarbeit Arbeitslosigkeit nur verzögert hat.
Die parlamentarische Initiative birgt auch sozialversicherungsspezifische Risiken. Die neu einzuführende Wartezeit kann aus Sicht des Bundesrates leicht umgangen werden. Es reicht aus, dass ein Arbeitgeber während der zweijährigen Rahmenfrist für einen einzelnen Monat auf den Bezug von KAE verzichtet, damit er eine neue Rahmenfrist beantragen kann, während deren er - zumindest bis zum Ablauf der Gültigkeit der Gesetzesvorlage - ohne Unterbruch KAE beziehen kann. Der Bundesrat befürchtet, dass dadurch der Anreiz eines Arbeitgebers zur Wahrnehmung der beim Bezug von Leistungen der ALV einzuhaltenden Schadenminderungspflicht verringert wird. Auch wenn der Bundesrat davon ausgeht, dass Unternehmen Kurzarbeit nur dann einsetzen, wenn dies unvermeidbar ist, könnte die vorliegende Kommissionsvorlage das Risiko von Missbräuchen erhöhen.
Schliesslich würde die Umsetzung der Vorlage gemäss dem Kommissionsbericht zu direkten Folgekosten für die ALV in der Höhe von 24-45 Millionen Franken führen. Diese Mehrausgaben könnten längerfristig erheblich ansteigen, sollte die Nutzung von Kurzarbeit in den nächsten Monaten weiter zunehmen und sollten in den Folgejahren weitere Betriebe die aktuelle Höchstbezugsdauer von 18 Monaten überschreiten.
Der am 31. Juli 2025 von den USA angekündigte Zusatzzoll für Importe aus der Schweiz ist mit 39 Prozent deutlich höher als jener für andere Länder (wie den Mitgliedstaaten der EU, dem Vereinigten Königreich oder den EFTA-Partnern). Dies könnte die Wettbewerbssituation der Schweizer Wirtschaft im Verhältnis zu anderen wichtigen Handelspartnern der USA beeinträchtigen. Sollten die am 31. Juli 2025 angekündigten Zusatzzölle auf Schweizer Exporte über längere Zeit in Kraft bleiben, wäre die Wahrscheinlichkeit einer schwächeren Konjunkturentwicklung höher. Der Bundesrat analysiert die weitere Entwicklung der Lage und ihre Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft laufend und wird nötigenfalls rasch Massnahmen ergreifen können. Zudem wird er die Verhandlungen mit den USA fortsetzen, um eine Einigung zu erzielen.
Kurzarbeit ist ein bewährtes wirtschaftspolitisches Instrument, um wirtschaftliche Verwerfungen vorübergehend abzufedern und um gefährdete Arbeitsplätze nachhaltig erhalten zu können. Die aktuell innerhalb der Rahmenfrist von 24 Monaten geltende Höchstbezugsdauer von 18 Monaten gibt den Unternehmen in Kurzarbeit einige Zeit, um sich auf verändernde Marktsituationen und die dadurch entstandene Unsicherheit auszurichten. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich seit dem 31. Juli 2025 jedoch spürbar verändert. Die von den USA angekündigten neuen Zusatzzölle und insbesondere der voraussichtlich für die Importe aus der Schweiz geltende Zusatzzoll von 39 Prozent dürften zu einer schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung als bisher erwartet führen. Die von der SGK-S vorgeschlagene Änderung des AVIG würde den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum des Bundesrates in dieser ausserordentlichen Lage vorübergehend erweitern, weshalb er die Vorlage ohne Änderungsanträge begrüsst. Aus den obengenannten wirtschaftspolitischen Überlegungen und unter Berücksichtigung der erwähnten Risiken begrüsst der Bundesrat auch die Befristung der Vorlage.
⁴ Art. 7 des Bundesgesetzes vom 25. Sept. 2009 über befristete konjunkturelle Stabilisierungsmassnahmen in den Bereichen des Arbeitsmarkts, der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Kaufkraft, AS 2009 5043 .
⁵ Art. 17 Abs. 1 Bst. h des Covid-19-Gesetzes vom 25. Sept. 2020, AS 2021 153 ; Art. 8 k der Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung vom 20. März 2020, AS 2021 382 .
⁶ Art. 9 Abs. 9 der Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung vom 20. März 2020, AS 2022 39 .

3 Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Eintreten auf die Vorlage und Zustimmung zum Entwurf der Kommission.
Bundesrecht
Parlamentarische Initiative. Die Höchstbezugsdauer bei Kurzarbeit soll um zwölf statt um sechs Abrechnungsperioden verlängert werden können. Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 26. Juni 2025. Stellungnahme des Bundesrates
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