BBl 2025 3069
CH - Bundesblatt

Botschaft zur Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft»

Botschaft zur Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft»
vom 8. Oktober 2025
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» ¹ Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
8. Oktober 2025 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Karin Keller-Sutter Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Die Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» will die Tierversuche in der Schweiz verbieten. Der Bundesrat lehnt die Initiative ohne direkten Gegenentwurf und indirekten Gegenvorschlag insbesondere deshalb ab, weil die Regelung der Tierversuche bereits streng ist und nicht in jedem Fall Alternativen zum Einsatz von Tieren in Forschungs- und Prüfverfahren bestehen. Er möchte negative Auswirkungen eines Verbots auf die Gesundheit von Mensch und Tier, aber auch auf Forschung, Wirtschaft und Bildung verhindern.
Inhalt der Initiative
Am 11. November 2024 hat das Initiativkomitee «IG Tierversuchsverbots-Initiative CH» die eidgenössische Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» eingereicht. Diese möchte Tierversuche umfassend verbieten. Ausgenommen von diesem Verbot sind Massnahmen, welche im Interesse des betroffenen Tieres vorgenommen werden müssen. Zudem sollen das Halten und das Züchten von sowie der Handel mit Tieren für Tierversuche verboten werden.
Die Gesetzgebung zur Umsetzung des Verfassungsartikels soll gemäss Übergangsbestimmungen gestaffelt in Kraft treten: Alle Tierversuche für Grundlagenforschung sowie für Bildung und Ausbildung und alle Tierversuche mit Schweregrad 3 sollen unmittelbar nach Annahme von Artikel 80 Absatz 2bis BV durch Volk und Stände verboten werden, alle weiteren Tierversuche spätestens sieben Jahre danach.
Vorzüge und Mängel der Initiative
Das Anliegen der Initiative, Tierversuche zu verbieten, um Tierleid in der Forschung auszuschliessen, ist nachvollziehbar. Das geforderte umfassende Verbot von Tierversuchen - in vielen Fällen bereits ab dem ersten Tag nach Annahme der Initiative - hätte jedoch gravierende Auswirkungen unter anderem auf Hochschulen und die Industrie. So wäre beispielsweise die Entwicklung von Medikamenten und Therapien für Mensch und Tier stark eingeschränkt, weil dafür Tierversuche in vielen Fällen unumgänglich sind. Das könnte dazu führen, dass Unternehmen ihre Forschung und Entwicklung und damit Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Damit wäre ein Verlust des Anschlusses an die internationale Forschung verbunden. Auch würde die Ausbildung von bestimmten Fachkräften beeinträchtigt.
Antrag des Bundesrates
Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten, die Initiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.
Botschaft
¹ BBl 2025 3070

1 Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1 Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» hat den folgenden Wortlaut:
Die Bundesverfassung ² (BV) wird wie folgt geändert:
Art. 80 Abs. 2bis
³
²bis Tierversuche sind verboten. Davon ausgenommen sind Massnahmen, welche im Interesse des betroffenen Tieres vorgenommen werden müssen. Verboten sind auch das Halten und das Züchten von Tieren für Tierversuche sowie der Handel mit Tieren für Tierversuche.
³ Die endgültige Nummerierung dieses Absatzes wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt; dabei stimmt diese die Nummerierung ab auf die anderen geltenden Bestimmungen der Bundesverfassung und nimmt diese Anpassung im ganzen Text der Initiative vor.
Art. 197 Ziff. 15
15. Übergangsbestimmungen zu Art. 80 Abs. 2bis (Tierversuchsverbot)
Alle Tierversuche für Grundlagenforschung sowie für Bildung und Ausbildung und alle Tierversuche mit Schweregrad 3 sind ab Annahme von Artikel 80 Absatz 2bis durch Volk und Stände verboten. Alle weiteren Tierversuche sind spätestens 7 Jahre nach Annahme von Artikel 80 Absatz 2bis verboten.
⁴ Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmungen wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.
² SR 101

1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» wurde am 25. April 2023 von der Bundeskanzlei vorgeprüft ⁵ und am 11. November 2024 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.
Mit Verfügung vom 16. Januar 2025 ⁶ stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 127 405 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.
Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag. Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 ⁷ (ParlG) hat der Bundesrat dem Parlament somit spätestens bis zum 11. November 2025 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 11. Mai 2027 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.
⁵ BBl 2023 1151
⁶ BBl 2025 79
⁷ SR 171.10

1.3 Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 BV:
a.
Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.
b.
Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.
c.
Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2 Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1 Parlamentarische Vorstösse zu Tierversuchen

Mehrere parlamentarische Vorstösse thematisierten die Tierversuche und die Möglichkeiten, sie zu beschränken oder zu verbieten. Im Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) (12.3660) vom 17. August 2012 «Zukunft der Stiftung Forschung 3R und Alternativmethoden für Tierversuche» ⁸ wurden mehrere Handlungsfelder zur Förderung der sogenannten 3R-Prinzipien - Replace (Ersetzen), Reduce (Reduzieren), Refine (Verbessern im Hinblick auf eine geringere Belastung der Tiere) - festgelegt.
Einzelne Vorstösse betrafen die Finanzierung der Forschung mit Tieren (Interpellationen Chevalley [17.4085] und Munz [17.3545]), weitere behandelten die Förderung von Ersatzmethoden zu Tierversuchen (Motionen Schneider [24.4697] und Graf [17.3240], Interpellationen Schneider [20.3345] und Munz [17.3142] sowie Postulat Schneider [24.4695]).
Andere beinhalteten die Anzahl eingesetzter Tiere (Interpellationen Schneider [24.4696], Aebischer [16.4075] und Graf [16.3839]) oder forderten ein Verbot gewisser Tierversuche (Motionen Schneider [22.3301] und Graf [15.4241 und 15.4240] sowie parlamentarische Initiative Graf [18.491]).
Einige verlangten eine erhöhte Transparenz (Interpellation Schneider [22.3808]) oder die Reduktion von Tierleid in der Zucht von Labortieren (Postulat Graf [22.3612]).
Schliesslich forderte die Motion Schneider (22.3300) die Stärkung der 3R-Kompetenz in den kantonalen Tierversuchskommissionen.
Die parlamentarische Initiative Christ (21.426) fordert eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen, sodass die 3R-Forschung dauerhaft mehr Ressourcen und Anreize erhält, um Alternativen zu den Tierversuchen rascher voranzutreiben. Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S) hat am 17. Oktober 2022 dem Beschluss ihrer Schwesterkommission, der Initiative Folge zu geben, zugestimmt. Damit hat die WBK-N den Auftrag erhalten, die Initiative umzusetzen. Am 20. Dezember 2024 hat der Nationalrat den Antrag der WBK-N auf Verlängerung der Behandlungsfrist angenommen. Ende März 2025 hat die WBK-N entschieden, dass sie eine Subkommission einsetzen will. In dieser sollen die Vorschläge von Kommission und Verwaltung für eine Ergänzung des Tierschutzgesetzes vom 16. Dezember 2005 ⁹ (TSchG) weiterbearbeitet werden.
Die parlamentarische Initiative Graf (24.436) «Zukunftsfähige Forschung mit einem Plan für den Ausstieg aus belastenden Tierversuchen fördern» fordert eine Ergänzung des TSchG mit einem stufenweisen Ausstiegsplan aus belastenden Tierversuchen. Am 24. Juni 2025 hat die WBK-S entschieden, der parlamentarischen Initiative Graf keine Folge zu geben. Das Geschäft wird somit dem Ständerat zur Abstimmung vorgelegt.
⁸ Abrufbar unter www.parlament.ch > 12.3660 > Bericht in Erfüllung des Vorstosses.
⁹ SR 455

2.2 Volksinitiativen und Stärkung des Schutzes von Versuchstieren

In den letzten 40 Jahren fanden vier Abstimmungen über Volksinitiativen zu Tierversuchsthemen statt. Alle wurden von Volk und Ständen abgelehnt, drei davon deutlich: Die Volksinitiative «für die Abschaffung der Vivisektion» am 1. Dezember 1985 von 70,5 Prozent der Stimmenden, die Volksinitiative «zur Abschaffung der Tierversuche» am 7. März 1993 von 72,2 Prozent und die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot - Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt» am 13. Februar 2022 von 79,1 Prozent. Die Volksinitiative «zur drastischen und schrittweisen Einschränkung der Tierversuche (Weg vom Tierversuch!)» wurde am 16. Februar 1992 von 56,4 Prozent der Stimmenden sowie von der grossen Mehrheit der Stände (17 5/2) abgelehnt.

2.3 Rechtliche Grundlagen für Tierversuche

2.3.1 Rechtliche Grundlagen im Bereich Tierschutz

Geltendes Recht
Massgebend für den Tierschutz ist Artikel 80 Absatz 2 Buchstabe b BV, wonach der Bund Tierversuche und Eingriffe am lebenden Tier regelt. Er tut dies insbesondere über das TSchG, welches bezweckt, die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen (Art. 1 TSchG), und über die Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 1⁰ (TSchV). 1991 wurden Bestimmungen zur Bewilligungspflicht von Tierversuchen sowie zur Förderung und Unterstützung der Entwicklung von Methoden, die auf den 3R-Prinzipien beruhen, im TSchG verankert.
Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn eine Belastung des Tieres nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann (Art. 3 Bst. a TSchG). Daher sind Tierversuche, die dem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen, sein Allgemeinbefinden erheblich beeinträchtigen oder seine Würde in anderer Weise missachten können, auf das unerlässliche Mass zu beschränken (Art. 17 TSchG).
Wer heute einen Tierversuch durchführen möchte, muss belegen, dass das Versuchsziel zulässig ist, z. B. weil der Versuch der Erhaltung oder dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Mensch und Tier dient (Art. 137 Abs. 1 TSchV). Sie oder er muss ausserdem aufzeigen, dass das Versuchsziel mit Verfahren ohne Tierversuche nicht erreicht werden kann (Subsidiaritätsprinzip; Art. 137 Abs. 2 TSchV). Die für die Bewilligung der Tierversuche zuständige kantonale Behörde prüft sämtliche Gesuche und beachtet dabei deren Unerlässlichkeit und Zulässigkeit.
Am 1. Februar 2025 sind im Übrigen verschiedene Anpassungen der TSchV in Kraft getreten, 1¹ die eine weitere Verschärfung der Regelung der Tierversuche und der Zucht von Versuchstieren bewirken:
-
Zucht und Haltung von Versuchstieren: Durch die Einführung eines neuen Artikels 118 a TSchV ist die Zucht von Versuchstieren hinsichtlich deren Einsatz im Tierversuch auf ein Minimum zu beschränken. Zudem gelten künftig zusätzliche, qualifiziertere Anforderungen an Zucht, Haltung und Umgang mit Versuchstieren (Art. 115 a [noch nicht in Kraft] und 119 Abs. 1 TSchV) sowie eine Pflicht zur Bereitstellung von Rückzugsmöglichkeiten für Labornager (Anh. 3 TSchV). Damit werden die Bedingungen für Versuchstiere verbessert.
-
Ausweitung der Meldepflichten in der Versuchstierhaltung: Gemäss der Anpassung in Artikel 145 Absatz 1 Buchstabe b TSchV muss künftig zusätzlich die weitere Bestimmung der Tiere, die nicht in einem Tierversuch eingesetzt wurden, gemeldet werden. Damit wird die Transparenz erhöht.
-
Dank Anpassungen bei den Pflichten von Tierschutzbeauftragten (Art. 129 a TSchV) und den Bewilligungsvoraussetzungen für Tierversuche (Art. 140 TSchV) werden der Tierschutz in der Forschung weiter gestärkt und die Qualität der Tierversuchsgesuche sowie deren Beurteilbarkeit erhöht.
Ausblick (künftige Anpassungen)
Derzeit wird eine weitere Anpassung der Gesetzgebung in den parlamentarischen Kommissionen und in der Verwaltung geprüft. Ziel ist es, die Prüfung der Unerlässlichkeit von Tierversuchen und der stringenten Anwendung der 3R-Prinzipien auf einer höheren Ebene zu standardisieren.
1⁰ SR 455.1
1¹ AS 2025 21

2.3.2 Rechtliche Grundlagen im Heilmittel-, Lebens- und Futtermittel- sowie im Chemikalienbereich

Artikel 118 Absatz 2 Buchstabe a BV verpflichtet den Bund unter dem Titel «Schutz der Gesundheit», Vorschriften zu erlassen über den Umgang mit Lebensmitteln sowie mit Heilmitteln und Chemikalien.
Basierend auf dieser Bestimmung wurde das Heilmittelgesetz vom 15. Dezember 2000 ¹2 (HMG) erlassen, das gewährleisten soll, dass nur qualitativ hochstehende, sichere und wirksame Heilmittel in Verkehr gebracht werden (Art. 1 Abs. 1 HMG). Gemäss Artikel 4 der Arzneimittel-Zulassungsverordnung vom 9. November 2001 ¹3 kann sich die Dokumentation über die pharmakologischen und die toxikologischen Prüfungen nebst Untersuchungen am Tier wo sinnvoll auch auf qualifizierte oder validierte Alternativmodelle abstützen. Prüfungen zur Bestimmung der Sicherheit sind unter Anwendung der Guten Laborpraxis durchzuführen und werden im Rahmen des im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vereinbarten Prinzips der Mutual Acceptance of Data (MAD) im Ausland anerkannt. Dies verhindert unnötige mehrfache Tierversuche.
Ebenfalls basierend auf dieser Bestimmung in der BV wurde das Lebensmittelgesetz vom 20. Juni 2014 ¹4 (LMG) erlassen. Dieses bezweckt unter anderem die Gewährleistung der Sicherheit von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen (vgl. Art. 1 Bst. a LMG). Für den Nachweis der Sicherheit von neuartigen Lebensmitteln sind Tierversuche nicht ausgeschlossen. Wo dies möglich ist, werden allerdings qualifizierte und validierte Alternativmodelle bevorzugt. Gemäss Artikel 59 Absatz 1 der Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung vom 16. Dezember 2016 ¹5 dürfen kosmetische Mittel nicht in Verkehr gebracht werden, wenn diese oder deren Bestandteile mit Tierversuchen getestet worden sind, um die Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Anforderungen oder der kosmetischen Wirkung zu überprüfen. Dasselbe gilt im Recht der Europäischen Union (EU).
Das Landwirtschaftsgesetz vom 29. April 1998 ¹6 (LwG) schreibt vor, dass die in der Lebensmittelproduktion verwendeten Produktionsmittel die Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung erfüllen müssen (Art. 159 Abs. 1 Bst. c LwG). Anhang 5 der Futtermittelbuch-Verordnung vom 26. Oktober 2011 ¹7 verweist auf Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 429/2008 ¹8 . Gemäss diesem Anhang werden In-vitro-Verfahren oder Verfahren empfohlen, die die üblichen Untersuchungen an Versuchstieren verfeinern oder ersetzen oder die Zahl der bei diesen Untersuchungen eingesetzten Tiere verringern.
Schliesslich soll das Chemikaliengesetz vom 15. Dezember 2000 ¹9 (ChemG) den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Menschen vor schädlichen Einwirkungen durch Stoffe und Zubereitungen gewährleisten (Art. 1 ChemG). Sicherheitsprüfungen von Chemikalien werden weltweit nach den internationalen Standards der OECD durchgeführt, und Prüfdaten werden im Rahmen des OECD MAD von den OECD-Mitgliedstaaten - zu denen auch die Schweiz gehört - gegenseitig anerkannt (Art. 39 und 40 Abs. 1 ChemG). Tierversuchsfreie Alternativmethoden werden seit rund 20 Jahren auf OECD-Ebene ausgearbeitet. Gestützt auf Artikel 40 Absatz 3 ChemG beteiligt sich auch die Schweiz an diesen Arbeiten. Diese Alternativmethoden erhalten eine immer grössere Bedeutung im regulatorischen Umfeld, auch in der Schweiz (Art. 39 ChemG i.V.m. Anh. 2 Ziff. 2 der Chemikalienverordnung vom 5. Juni 2015 2⁰ ).
Im Heilmittel-, im Lebens- und Futtermittel- sowie im Chemikalienbereich alternative Methoden immer häufiger eingesetzt. Trotz starken Bemühungen und grossen Fortschritten gibt es zum jetzigen Zeitpunkt für zentrale Fragestellungen jedoch nicht überall zufriedenstellende Alternativen, um eine sichere Anwendung von Produkten und Substanzen ohne Tierversuche zu gewährleisten. 2¹ Auch künftig ist nicht auszuschliessen, dass man in den aufgeführten Bereichen auf Tierversuche im In- und Ausland angewiesen sein wird. Jedoch gilt: Wo immer validierte und anerkannte 3R-Alternativen vorhanden sind, müssen diese gestützt auf die Tierschutzgesetzgebung in der Schweiz angewendet werden.
¹2 SR 812.21
¹3 SR 812.212.22
¹4 SR 817.0
¹5 SR 817.02
¹6 SR 910.1
¹7 SR 916.307.1
¹8 Verordnung (EG) Nr. 429/2008 der Kommission vom 25. April 2008 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Erstellung und Vorlage von Anträgen sowie der Bewertung und Zulassung von Futtermittelzusatzstoffen, ABl. L 133 vom 22.5.2008, S. 1; zuletzt geändert durch Durchführungsverordnung (EU) 2020/1773, ABl. L 398 vom 27.11.2020, S. 19.
¹9 SR 813.1
2⁰ SR 813.11
2¹ Vgl. Ziffer 10 der Präambel der Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere, ABl. L 276 vom 20.10.2010, S. 33; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2019/1010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019, ABl. L 170 vom 25.6.2019, S. 115.

2.4 Internationaler Vergleich

Nach langen Bemühungen, die 3R-Prinzipien zu fördern, werden international vermehrt «Übergangspläne» für eine Zukunft ohne Tierversuche diskutiert. Derzeit erarbeiten mehrere Länder politische Agenden, in denen der Vorsatz erklärt wird, durch den Einsatz von tierversuchsfreien Ansätzen und Methoden - sogenannten New Approach Methods (NAM) - weltweit führend in der Forschung zu werden. Im Nachgang zu zwei EU-Bürgerinitiativen gegen Tierversuche («Stop Vivisection» 2² im Jahr 2015 und «Für den Schutz kosmetischer Mittel ohne Tierquälerei und ein Europa ohne Tierversuche» ²3 im Jahr 2023) sind in der EU (z. B. in den Niederlanden ²4 ), aber auch beispielsweise im Vereinigten Königreich ²5 umfassende partizipative politische Entscheidungsprozesse mit Stakeholder-Workshops, Umfragen und Diskussionen im Gange.
Die reglementarischen Bestrebungen in der EU konzentrieren sich aktuell mit Priorität auf Tierversuche zu regulatorischen Zwecken, d. h. Wirksamkeits- und Sicherheitsprüfungen von Chemikalien, Pestiziden, Arzneimitteln, Medizinprodukten sowie Lebens- und Futtermitteln. ²6
Vom Europäischen Parlament aufgefordert, erarbeitet die Europäische Kommission derzeit einen Fahrplan, um Tierversuche bei der Bewertung der Sicherheit von Chemikalien im regulatorischen Bereich durch tierversuchsfreie Methoden zu ersetzen. Dieser soll im ersten Quartal 2026 veröffentlicht werden. ²7
In den Niederlanden war im Jahr 2016 beschlossen worden, Tierversuche zu regulatorischen Zwecken bis 2025 abzuschaffen. Diese Frist wurde verlängert, und derzeit wird ein aktualisierter Übergangsplan vorbereitet. ²8 Im Vereinigten Königreich wurde ein Fahrplan für den Übergang zu tierversuchsfreien Prüfmethoden entwickelt, allerdings ohne konkrete Fristen für einen Ausstieg aus Tierversuchen. ²9
In den USA weist der im Jahr 2016 ergänzte Toxic Substances Control Act die Umweltbehörde an, die Verwendung von Wirbeltieren zu reduzieren und zu ersetzen sowie die Entwicklung und zeitnahe Einführung alternativer Testmethoden oder -strategien zu fördern. 3⁰ Seit 2018 arbeiten mehrere US-Behörden koordiniert an der Anerkennung von NAM für die Sicherheitsbewertung von Chemikalien und Arzneimitteln. 3¹
2² Abrufbar unter: https://citizens-initiative.europa.eu/_de
> Initiative suchen (Stichwort: «Stop Vivisection»).
²3 Abrufbar unter: https://citizens-initiative.europa.eu/_de
> Initiative suchen (Stichwort: «Für den Schutz kosmetischer Mittel ohne Tierquälerei und ein Europa ohne Tierversuche»).
²4 https://english.ncadierproevenbeleid.nl
> Policy Advice > Transition to non-animal research.
²5 A non-animal technologies roadmap for the UK. Advancing predictive biology. Abrufbar unter:
www.ukri.org/wp-content/uploads/2015/11/IUK-071221-RoadmapNonAnimalTech.pdf
.
²6 2nd workshop on Roadmap towards phasing out animal testing for chemical safety assessments. Abrufbar unter:
https://environment.ec.europa.eu > Events (Keyword: «Save the date»).
²7 Abrufbar unter: https://single-market-economy.ec.europa.eu
> Sectors > Chemicals > REACH > Roadmap towards phasing out animal testing.
²8 www.animalfreeinnovationtpi.nl > TPI initiatives > Subsidy programme: More Knowledge with Fewer Animals (MKMD).
²9 Abrufbar unter: www.gov.uk > Government > News > Business and industry > Science and innovation > Research and development > Non-animal technologies: new vision, strategy and roadmap for UK.
3⁰ Frank R. Lautenberg Chemical Safety for the 21st Century Act. Abrufbar unter:
www.congress.gov/114/plaws/publ182/PLAW-114publ182.pdf
.
3¹ A Strategic Roadmap for Establishing New Approaches to Evaluate the Safety of Chemicals and Medical Products in the United States. Abrufbar unter:
https://ntp.niehs.nih.gov > Research > NICEATM: Alternative Methods > US Roadmap.

2.5 Stellungnahme der wissenschaftlichen Kreise und der Tierschutzorganisationen

Die Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der schweizerischen Hochschulen (Swissuniversities) hat sich in ihrer Medienmitteilung vom 11. November 2024 3² kritisch zur vorliegenden Volksinitiative geäussert und insbesondere davor gewarnt, dass diese den human- und veterinärmedizinischen Fortschritt in der Schweiz gefährde. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften führt in ihrer Medienmitteilung vom 11. November 2024 3³ im Wesentlichen die gleichen Argumente auf. In seiner Medienmitteilung vom 11. November 2024 ³4 hielt der Schweizerische Nationalfonds unter anderem fest, dass die Schweiz durch ein totales Verbot von Tierversuchen den Anschluss an die internationale Forschung verlieren würde. Die gleiche Auffassung vertritt auch Interpharma, der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, in seiner Medienmitteilung vom 11. November 2024. ³5 Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich betont in einem Beitrag vom 12. November 2024 ³6 , dass die medizinische, bio- und neurowissenschaftliche Forschung derzeit nicht ohne Tierversuche arbeiten könne, weil es keine gleichwertige Alternative gebe. Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte lehnt die Initiative gemäss ihrer Medienmitteilung vom 27. Mai 2025 ³7 ebenfalls ab.
In seiner nichtöffentlichen Stellungnahme vom 12. Mai 2025 unterstützt der Schweizer Tierschutz (STS) das grundsätzliche Anliegen der Initiative, den Ausstieg aus Tierversuchen voranzutreiben. Er bedauert ausdrücklich, dass der Bundesrat auf die Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags verzichtet hat. Der STS fordert verbindliche Zielvorgaben zur systematischen Reduktion der Tierversuche in der Schweiz.
3² Abrufbar unter: www.swissuniversities.ch
> Dokumentation > Medienmitteilungen («swissuniversities warnt: Initiative für ein Verbot von Tierversuchen in der Schweiz gefährdet den Fortschritt in Medizin und Umweltthemen»).
3³ Abrufbar unter: www.samw.ch > Aktuelles > News («Initiative zum Verbot von Tierversuchen ist der falsche Weg»).
³4 Abrufbar unter: www.snf.ch > Aktuell («Tierversuche: Der SNF warnt vor den Folgen eines Verbots»).
³5 Abrufbar unter: www.interpharma.ch > Aktuell > Medienmitteilungen («Einreichung der Unterschriftenlisten «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» - Ein erneuter Angriff auf den Forschungsstandort Schweiz»).
³6 Abrufbar unter: https://ethz.ch > Aktuell > Intern aktuell > Archiv Intern aktuell («Die ETH Zürich setzt auf Verantwortung in der Tierforschung und lehnt Verbote ab»).
³7 Abrufbar unter: www.gstsvs.ch > Themen > News-Archiv > News («Tierversuche: Tierärzteschaft ist gegen das generelle Verbot»).

2.6 Zahl von Versuchstieren und Massnahmen zu deren Reduktion

2.6.1 Zahl von Versuchstieren

Nach Artikel 24 der Tierversuchsverordnung vom 12. April 2010 ³8 werden Belastungen von Tieren durch Tierversuche in vier Belastungskategorien eingeteilt: Schweregrad 0 - keine Belastung (z. B. Beobachtungsstudien), Schweregrad 1 - leichte Belastung (z. B. Hautbiopsie), Schweregrad 2 - mittlere Belastung (z. B. orthopädische Chirurgie mit Stabilisierung), Schweregrad 3 - schwere Belastung (z. B. Verpflanzung von aggressiven Tumoren in Tiere).
Die Zahl der eingesetzten Versuchstiere ist von fast zwei Millionen im Jahr 1983 innert 20 Jahren auf rund 600 000 gesunken. Seither hat sich die Zahl nicht wesentlich verändert. Im Jahr 2023 wurden 595 305 Versuchstiere eingesetzt, ³9 39,6 % davon im Schweregrad 0, 28,2 % im Schweregrad 1, 27,8% im Schweregrad 2 und 4,4 % im Schweregrad 3. Zwischen 2014 und 2023 hat die Anzahl Versuchstiere in den beiden höchsten Schweregraden 2 und 3 deutlich zugenommen.
³8 SR 455.163
³9 BLV (2024): Bericht Tierversuchsstatistik 2023. Abrufbar unter:
www.blv.admin.ch > Tiere > Tierversuche > Bericht Tierversuchsstatistik 2023.

2.6.2 Schweizerisches 3R-Kompetenzzentrum (3RCC)

Das 3RCC 4⁰ fördert die Forschung, Bildung und Kommunikation in Zusammenhang mit den 3R-Prinzipien und beobachtet deren Entwicklung mit dem Ziel, Tierversuche zu ersetzen, zu verringern und zu verbessern, d. h. die Belastung der Tiere zu vermindern. Das 3RCC wurde am 27. März 2018 gegründet und ist eine gemeinsame Initiative von Hochschulen, Industrie, Bund sowie dem STS. Die Gründung wurde vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) und dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) begleitet.
Heute gilt das 3RCC als nichtkommerzielle Forschungsinfrastruktur von nationaler Bedeutung im Sinne von Artikel 15 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 2012 4¹ über die Förderung der Forschung und der Innovation. Im Rahmen der Umsetzung der Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation in den Jahren 2025-2028 4² wurde der Beitrag des SBFI an das 3RCC im Vergleich zur Beitragsperiode 2021-2024 um 13,5 Prozent auf 5,9 Millionen Franken erhöht. Hinzu kommen die Beiträge des BLV von 1,46 Millionen Franken und des Verbands Interpharma von 2 Millionen Franken. Die Hochschulen leisten einen Beitrag von 9,76 Millionen Franken (für Infrastruktur und Personal).
4⁰ https://swiss3rcc.org
4¹ SR 420.1
4² BBl 2024 900

2.6.3 Nationales Forschungsprogramm 79 «Advancing 3R - Tiere, Forschung und Gesellschaft» (NFP 79)

Das NFP 79 4³ wurde auf Antrag des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung vom Bundesrat am 3. Februar 2021 mit einem Budget von 20 Millionen Franken für fünf Jahre lanciert. Hauptziele des Programms sind die Entwicklung neuer Methoden und Instrumente, um die 3R-Prinzipien weiter zu fördern, aber auch die Erarbeitung von Grundlagen zu ethischen, rechtlichen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Aspekten von Tierversuchen. Ergebnisse der Forschungsprojekte werden fortlaufend in der wissenschaftlichen Literatur publiziert. Eine abschliessende Synthese der Ergebnisse der 27 unterstützten Projekte wird voraussichtlich ab dem 2. Quartal 2029 vom NFP 79 publiziert und anschliessend dem Bundesrat und den Parlamentskommissionen zur Kenntnis gebracht. Ein besonderer Schwerpunkt wurde auf die Implementierung von 3R-Methoden gelegt. Relevante Ergebnisse des NFP 79 sollen in die Gesetzgebung und in Weisungen im Zusammenhang mit Tierversuchen einfliessen, aber auch in Lehre und Versuchspraxis Niederschlag finden.
4³ www.nfp79.ch

3 Ziele und Inhalt der Initiative

3.1 Ziele der Initiative

Das mit der Initiative geforderte Verbot von Tierversuchen soll dem Leid, dem Tiere in der Forschung ausgesetzt sind, ein Ende setzen. Gemäss Initiativkomitee können Ergebnisse aus Tierversuchen weder auf andere Tierarten noch auf Menschen übertragen werden. Jedes Lebewesen reagiere unterschiedlich auf Medikamente, da verschiedenste Einflussfaktoren wie beispielsweise Alter, Geschlecht und Ernährung eine Rolle spielen. Insofern seien Tierversuche sowohl unzuverlässig als auch qualvoll für die involvierten Tiere. Stattdessen seien neue Kenntnisse durch tierversuchsfreie und damit sichere und zuverlässige Forschung zu erlangen. 4⁴
4⁴ Vgl. die Ausführungen auf der Webseite https://tvfz.ch
(Stand 30. Juni 2025).

3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die eidgenössische Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» möchte Tierversuche umfassend verbieten. Ausgenommen von diesem Verbot sind Massnahmen, welche im Interesse des betroffenen Tieres vorgenommen werden müssen. Zudem sollen das Halten und das Züchten von sowie der Handel mit Tieren für Tierversuche verboten werden.
Die Gesetzgebung zur Umsetzung des Verfassungsartikels soll gemäss Übergangsbestimmungen gestaffelt in Kraft treten: Alle Tierversuche für Grundlagenforschung sowie für Bildung und Ausbildung und alle Tierversuche mit Schweregrad 3 sollen unmittelbar nach der Annahme von Artikel 80 Absatz 2bis durch Volk und Stände verboten werden, alle weiteren Tierversuche spätestens sieben Jahre danach.

3.3 Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

3.3.1 Grundsätzliches

Es finden sich zum jetzigen Zeitpunkt (Ende Juni 2025) zwar ein Argumentarium, aber keine spezifischen Erläuterungen des Initiativkomitees auf dessen Website. ⁴5
Im Folgenden sind die Forderungen sowie aktuelle Zahlen dazu und einige sich ergebende Unklarheiten festgehalten:
«Tierversuche sind verboten. Davon ausgenommen sind Massnahmen, welche im Interesse des betroffenen Tieres vorgenommen werden müssen.» (Art. 80 Abs. 2bis erster und zweiter Satz E-BV)
Gefordert wird ein umfassendes Verbot aller Tierversuche, unabhängig von deren Zweck und Schweregrad. Unzulässig wären somit beispielsweise auch die Verhaltensforschung oder Fütterungsversuche, die mit keinerlei Belastungen verbunden sind. Mit der Ausnahme könnte gemeint sein, dass Massnahmen im Interesse des betroffenen Tieres einzig an diesem Tier vorgenommen werden dürfen. Es könnte aber auch im Interesse des betroffenen Tieres sein, dass andere Tiere eingesetzt werden müssen. Die Formulierung des Initiativtextes schliesst Letzteres nicht eindeutig aus.
«Verboten sind auch das Halten und das Züchten von Tieren für Tierversuche sowie der Handel mit Tieren für Tierversuche.» (Art. 80 Abs. 2bis dritter Satz E-BV)
Im Jahr 2023 stammten rund 80 Prozent der Versuchstiere in Versuchstierhaltungen aus Züchtungen in der Schweiz. ⁴6 Versuchstierhaltungen unterliegen strengen Anforderungen und einer kantonalen Bewilligungspflicht. Die Annahme der Initiative hätte eine Schliessung sämtlicher Versuchstierhaltungen ungeachtet ihres Zwecks zur Folge.
⁴5 https://tvfz.ch (Stand 30. Juni 2025).
⁴6 BLV (2024): Bericht Tierversuchsstatistik 2023. Abrufbar unter:
www.blv.admin.ch > Tiere > Tierversuche > Bericht Tierversuchsstatistik 2023.

3.3.2 Versuche mit Schweregrad 3, Grundlagenforschung sowie Bildung und Ausbildung

«Alle Tierversuche für Grundlagenforschung sowie für Bildung und Ausbildung und alle Tierversuche mit Schweregrad 3 sind ab Annahme von Artikel 80 Absatz 2 bis durch Volk und Stände verboten.» (Art. 197 Ziff. 15 erster Satz E -BV)
Da zahlreiche Forschungsprojekte Eingriffe mit verschiedenen Schwergraden beinhalten, ist fraglich, ob der gesamte Versuch gestoppt werden müsste oder ob lediglich die Eingriffe mit Schweregrad 3 nicht mehr zulässig wären (vgl. die Ausführungen unter Ziff. 3.3.3).
Mehr als die Hälfte der Versuchstiere werden in der Grundlagenforschung eingesetzt. Diese Versuche sind nach wie vor notwendig, um neue Kenntnisse zu gewinnen und darauf basierend wirksame und sichere Therapien für Mensch und Tier zu entwickeln. In besonderem Mass trifft das auf Krankheiten zu, bei denen noch kein ausreichendes Verständnis der Grundlagen oder keine befriedigenden respektive gar keine Therapiemöglichkeiten bestehen.
Rund 3 % der Versuchstiere werden heute im Bereich Bildung und Ausbildung eingesetzt, davon im Jahr 2023 ca. 59 % im Schweregrad 0, ca. 38 % im Schweregrad 1, ca. 2 % im Schweregrad 2 und 0,02 % im Schweregrad 3. ⁴7 Für ein qualitativ hochstehendes Studium der Veterinärmedizin sind Tierversuche weiterhin notwendig, damit der Umgang mit Tieren erlernt und geübt werden kann. So benötigen Tierärztinnen und Tierärzte in Ausbildung Tierversuchsbewilligungen, um beispielsweise Fruchtbarkeits- und Trächtigkeitsuntersuchungen beim Rind erlernen zu können. Auch bei der Weiterbildung von Humanmedizinerinnen und -medizinern werden beispielsweise chirurgische Eingriffe an der Wirbelsäule an Tieren erlernt.
⁴7 BLV, Erweiterte Tierversuchsstatistik. Abrufbar unter:
www.tv-statistik.ch > Erweiterte Statistik.

3.3.3 Unmittelbare Umsetzung

Bei einer wortgetreuen Auslegung des Initiativtextes wären die unter Ziffer 3.3.2 erwähnten Aktivitäten unmittelbar nach der Annahme der Initiative verboten. Müssten laufende Projekte abgebrochen werden, wären zudem alle bisherigen Tätigkeiten nutzlos, d. h. es wären Tiere bis zum ausserplanmässigen Abbruch des Projekts vergeblich eingesetzt und damit umsonst Belastungen ausgesetzt worden.
«Alle weiteren Tierversuche sind spätestens 7 Jahre nach Annahme von Artikel 80 Absatz 2bis verboten.» (Art. 197 Ziff. 15 zweiter Satz E-BV)
Gemäss einer internen Auswertung des BLV wurden die im Jahr 2023 gültigen Tierversuchsbewilligungen wie folgt genutzt: zu rund 55 % in der Grundlagenforschung und in den Schweregraden 0-2, zu rund 19 % in der Grundlagenforschung und im Schweregrad 3, zu rund 3 % im Schweregrad 3 (ohne Grundlagenforschung) und zu rund 3 % in der Ausbildung. Bei einer Annahme der Initiative könnten rund 80 % der Tierversuchsbewilligungen mit sofortiger Wirkung nicht mehr genutzt werden, da sie der Grundlagenforschung, dem Schweregrad 3 oder der Ausbildung zugeordnet sind. Die Übergangsfrist von sieben Jahren würde nur für jene Tierversuche gelten, die vor der Annahme der Initiative in die Schweregrade 0-2 eingeteilt und nicht der Grundlagenforschung oder der Ausbildung zugeordnet waren.

4 Würdigung der Initiative

4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative

Der Tierschutz geniesst in der Schweiz einen hohen Stellenwert. Dies geht bereits aus Artikel 80 BV hervor, der sehr breit gefasst ist. Das Anliegen der Initiative, Tierversuche zu verbieten und damit das Leid der Tiere in der Forschung zu beenden, ist aus Tierschutzsicht nachvollziehbar.
Auf den ersten Blick handelt es sich im Vergleich zur eidgenössischen Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot - Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt», die 2017 von der gleichen Urheberschaft lanciert und am 13. Februar 2022 von Volk und Ständen abgelehnt wurde, um eine weniger weitgehende Vorlage. Die damalige Volksinitiative verlangte im Gegensatz zur vorliegenden, dass die Forschung am Menschen und der Import von Produkten, die mit Tierversuchen entwickelt wurden, verboten werden. Im Ergebnis wird aber auch mit der aktuellen Volksinitiative ein umfassendes Verbot von Tierversuchen gefordert - in vielen Fällen bereits ab dem ersten Tag nach der Annahme der Initiative.
Die Initiative hätte damit gravierende Auswirkungen unter anderem auf Hochschulen und die Industrie. Sie könnten nicht mehr forschen und Stoffe prüfen wie bisher, und die Entwicklung von Medikamenten oder der Gewinn von Kenntnissen zu grundlegenden Lebensvorgängen beispielsweise wären stark eingeschränkt, weil dafür Tierversuche in vielen Fällen unumgänglich sind. Eine mögliche Folge davon wäre, dass Unternehmen ihre Forschung und Entwicklung und damit Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Dies könnte über die Bereiche hinausgehen, in welchen Versuchstiere eingesetzt werden. Damit wäre ein Verlust des Anschlusses an die internationale Forschung verbunden. Insbesondere würde die Generierung von Wissen, welches kurz- wie auch langfristig für den Wissensstandort und für die Gesellschaft von Nutzen ist, wegfallen. Auch würde die Ausbildung von bestimmten Fachkräften an Qualität einbüssen.
In der Konsequenz ergeben sich für die Forschenden grosse Unsicherheiten, welche die Forschungstätigkeit bereits im Vorfeld der Abstimmung beeinträchtigen oder gar verunmöglichen können. Bei einer Verlagerung der Tierversuche ins Ausland muss mitbedacht werden, dass in vielen Ländern für Tierversuche tiefere Anforderungen bestehen als in der Schweiz. Dies würde den Interessen des Tierschutzes letztlich zuwiderlaufen.
Es dürften nur mehr jene in der Schweiz entwickelten Arzneimittel neu zugelassen werden, für welche die für eine Anwendung am Menschen erforderlichen pharmakologischen und toxikologischen Nachweise ohne Tierversuche erbracht wurden. Für im Ausland entwickelte Arzneimittel würde diese erhebliche Einschränkung nicht gelten, was die Schweizer Unternehmen massiv benachteiligen würde. Sinngemäss gilt dies auch für die Zulassung von anderen Substanzen wie beispielsweise von Chemikalien.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Initiative - im Gegensatz zur geltenden Regelung zu Tierversuchen, welche das unerlässliche Mass achtet und zwischen der Belastung des Tieres und öffentlichen Interessen abwägt - ein umfassendes Verbot verlangt. Das geltende Recht enthält jedoch schon heute strenge Auflagen für die Bewilligung von Tierversuchen und trägt somit dazu bei, diese zu reduzieren und zu verbessern sowie in Bezug auf gewisse Forschungsvorhaben ganz zu verbieten. So muss das Versuchsziel in Zusammenhang mit der Erhaltung oder dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Mensch und Tier stehen, dem Schutz der natürlichen Umwelt sowie den 3R-Prinzipien dienen oder neue Kenntnisse über grundlegende Lebensvorgänge erwarten lassen (Art. 137 Abs. 1 TSchV) - andere Versuchsziele sind nicht erlaubt.

4.2 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Grundsätzliches
Ein Verbot von Tierversuchen auf Verfassungsstufe liesse keinen Spielraum für Kompromisse und Ausnahmen auf Gesetzesstufe und wäre entsprechend umzusetzen.
Auswirkungen auf die schweizerische Wirtschaft und insbesondere auf die Schweiz als Forschungs- und Industriestandort
Durch das Tierversuchsverbot in der Schweiz könnten innovative Produkte nicht mehr in der Schweiz erforscht und entwickelt werden. Betroffen wären nicht nur Heilmittel, sondern zum Beispiel auch Chemikalien (z. B. Pflanzenschutzmittel). Dadurch könnte sich die Abhängigkeit vom Ausland erhöhen. Wie bereits unter Ziffer 4.1 erwähnt, hätte eine Annahme der Initiative gravierende Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft und den Forschungsstandort Schweiz. Das Wissen, welches in der Grundlagenforschung nicht mehr gewonnen würde, könnte auch nicht für den Auf- und Ausbau des Wissens- und Innovationsstandorts Schweiz genutzt werden. Bildung und Ausbildung würden ebenfalls beeinträchtigt, da beispielsweise in der Ausbildung von Human- und Veterinärmedizinerinnen und -medizinern Tierversuche eingesetzt werden, um gewisse Untersuchungen und Eingriffe zu erlernen (vgl. die Ausführungen unter Ziff. 3.3.2).
Auswirkungen auf Tiere und Umwelt
Auf den ersten Blick wäre das Verbot von Tierversuchen positiv für den Tierschutz in der Schweiz. Indessen dürfte es sich auch negativ auf die Behandlung von Tieren auswirken, wenn Tierarzneimittel (z. B. Impfstoffe) nicht entwickelt werden können, was wiederum den Tierschutz beeinträchtigen könnte. Durch die Abwanderung von Unternehmen und Forschenden ins Ausland würden die Tierversuche wohl ins Ausland verlagert, wo die Tierschutzgesetzgebung tendenziell weniger streng ist. Das führt im Ergebnis dazu, dass eine Annahme der Initiative sogar kontraproduktiv für den Tierschutz sein könnte. Zu beachten ist, dass auch Tierversuche verboten wären, die dem Schutz der natürlichen Umwelt dienen.
Auswirkungen auf internationaler Ebene
Die Forschungszusammenarbeit der Schweiz mit dem Ausland könnte erschwert oder unterbrochen werden. Damit könnte die Schweiz internationalen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen, oder Forschende aus der Schweiz könnten beispielsweise nicht mehr an bestimmten internationalen Forschungs- und Innovationsprogrammen teilnehmen.

4.3 Vorzüge und Mängel der Initiative

Die Verankerung eines Verbots von Tierversuchen in der Bundesverfassung gemäss Initiativtext ist grundsätzlich geeignet, die mit der Initiative verfolgten Ziele zu erreichen. Mit einer Annahme der Initiative würde die Schweiz ein Zeichen setzen, dass sie den Tierschutz absolut über die Forschung mit Tieren und deren Nutzen für die Gesellschaft stellt.
Wie bereits unter Ziffer 4.1 erwähnt, hätte das Verbot von Tierversuchen aber auch zahlreiche negative Konsequenzen. So ist davon auszugehen, dass unter anderem Hochschulen und die Industrie nicht mehr wie bisher forschen könnten. Das könnte dazu führen, dass Unternehmen ihre Forschung und Entwicklung und damit Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Die Lehre an Hochschulen würde an Qualität einbüssen. Die Schweiz könnte von internationalen Forschungsprojekten ausgeschlossen werden, bei welchen Tierversuche notwendig sind, was einen Verlust des Anschlusses an die internationale Forschung bedeuten würde. Die Entwicklung von Medikamenten und Therapien sowie von anderen medizinischen Produkten für Mensch und Tier wäre in der Schweiz stark eingeschränkt, weil dafür Tierversuche in vielen Fällen unumgänglich sind.
Gerade auch die Übergangsbestimmungen (gewisse Forschungstätigkeiten wären unmittelbar nach der Annahme von Artikel 80 Absatz 2bis E-BV durch Volk und Stände verboten) würden zu grosser Unsicherheit führen und letztlich dazu beitragen, dass laufende Projekte abgebrochen werden müssten. Bis zum Zeitpunkt der Annahme der Initiative begonnene Tierversuche, die nicht abgeschlossen werden können, wären umsonst.

4.4 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Initiative ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Die Schweiz hat mehrere europäische und internationale Abkommen zum Tierschutz ratifiziert, die von der vorliegenden Volksinitiative aber nicht betroffen sind. Darüber hinaus ist die Initiative auch mit den bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU vereinbar, insbesondere mit Anhang 11 des Landwirtschaftsabkommens zwischen der Schweiz und der EU ⁴8 , welcher die veterinärhygienischen und tierzüchterischen Massnahmen im Handel mit lebenden Tieren und tierischen Erzeugnissen regelt. Auch das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU ⁴9 wird durch die Initiative nicht tangiert. Ebenso wenig sind durch die Initiative die Verpflichtungen betroffen, die sich aus der Mitgliedschaft der Schweiz in der Welthandelsorganisation ergeben.
⁴8 SR 0.916.026.81
⁴9 SR 0.632.401

5 Schlussfolgerungen

Obwohl der Bundesrat für das Anliegen des Initiativkomitees Verständnis hat und dem Tierschutz und dem Tierwohl ebenfalls eine grosse Bedeutung zumisst, lehnt er den vorliegenden Initiativtext aus folgenden Gründen ab:
-
Dies entspricht der Haltung des Bundesrates in Bezug auf die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot - Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt», die im Februar 2022 deutlich abgelehnt wurde. Das ist insofern konsequent, als sich in der Zwischenzeit keine neuen Erkenntnisse ergeben haben, die für eine andere Empfehlung sprechen würden.
-
Die bestehenden Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen schützen Tiere in der wissenschaftlichen Forschung ausreichend. Die stetige Anpassung der Vorschriften dient den Interessen von Mensch und Tier besser als ein umfassendes Verbot aller Versuche.
-
Beim von der vorliegenden Volksinitiative geforderten Verbot von Tierversuchen dürften nur mehr jene in der Schweiz entwickelten Arzneimittel neu zugelassen werden, für welche die für eine Anwendung am Menschen erforderlichen pharmakologischen und toxikologischen Nachweise ohne Tierversuche erbracht wurden. Für im Ausland entwickelte Arzneimittel würde diese erhebliche Einschränkung nicht gelten, was die Schweizer Unternehmen massiv benachteiligen würde. Sinngemäss gilt dies auch für die Zulassung von anderen Substanzen wie beispielsweise von Chemikalien.
-
Die Empfehlung auf Ablehnung ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag ist ein starkes Zeichen für den Forschungs- und Bildungsstandort Schweiz. Forschende und Lehrende können darauf vertrauen, dass es sich nach wie vor lohnt, die aufgrund der Initiative von einem Abbruch gefährdeten Projekte zu finanzieren bzw. in der Schweiz zu lancieren.
-
Der Bundesrat setzt weiterhin auf die Stärkung der Forschung von Alternativen zu Tierversuchen (NFP 79, 3RCC).
Der Bundesrat beantragt daher den eidgenössischen Räten, die Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.
Bundesrecht
Botschaft zur Volksinitiative «Ja zur tierversuchsfreien Zukunft»
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