Botschaft zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes
Botschaft zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes
vom 20. Dezember 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes.
Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben:
| 2022 | M | 22.3373 | Anerkennung der Gebärdensprache durch ein Gebärdensprachengesetz (N 1.6.22, WBK; S 12.12.2022) |
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
| 20. Dezember 2024 | Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi |
Übersicht
Mit der vorliegenden Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) sollen Benachteiligungen in zwei für den Alltag von Menschen mit Behinderungen zentralen Bereichen abgebaut werden, den Bereichen Arbeit und Dienstleistungen. Weiter sollen die schweizerischen Gebärdensprachen im Gesetz verankert und ihre Verwendung, ihre kulturellen Ausdrucksformen sowie die Gleichstellung von gehörlosen Menschen gefördert werden. Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen wie allen anderen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Ausgangslage
Vor 20 Jahren ist das BehiG in Kraft getreten, und 2014 ist die Schweiz der Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) beigetreten. Seither hat sich die Situation von Menschen mit Behinderungen zwar in vielen Bereichen verbessert. Weiterhin sehen sich Menschen mit Behinderungen jedoch in verschiedenen zentralen Lebensbereichen, insbesondere im Bereich der Arbeit und beim Zugang zu Dienstleistungen, mit Hindernissen konfrontiert.
Inhalt der Vorlage
Es wird deshalb eine Teilrevision des BehiG mit folgenden Schwerpunkten vorgeschlagen:
-
Arbeit: Verbesserung des Schutzes vor Benachteiligung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen (Verbot der Benachteiligung; Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen).
-
Dienstleistungen: Verbesserung des Zugangs zu Dienstleistungen, insbesondere zu Dienstleistungen Privater, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind (Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen).
-
Gebärdensprachen: Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprachen und Förderung der Gleichstellung von gehörlosen Menschen in Erfüllung der Motion 22.3373 der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates.
Ergänzend zu diesen Massnahmen sieht die Vorlage vor, die aufgrund der UN-BRK bereits heute bestehende Verpflichtung zum Einbezug von Menschen mit Behinderungen bei Fragen, die sie besonders betreffen, auch im BehiG zu verankern. Weiter sieht die Vorlage eine Anpassung des im BehiG definierten Mindeststandards zu Wohnbauten vor, mit dem die seit 2004 in den Kantonen erfolgte Entwicklung auf bundesgesetzlicher Ebene nachvollzogen wird. Schliesslich wird diese Teilrevision genutzt, um die Terminologie an die Entwicklung in den letzten 20 Jahren anzupassen.
Um die Ziele zu erreichen, sieht der vorliegende Entwurf vor, die Massnahmen zur Verhinderung, Verringerung oder Beseitigung von Benachteiligungen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind, zu stärken, insbesondere in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen wie auch beim Zugang zu privaten Dienstleistungen. Ausserdem verpflichtet die Teilrevision dazu, angemessene Vorkehrungen zum Abbau von Benachteiligungen in den beiden Bereichen vorzunehmen. Neben der Verbesserung des materiellen Schutzes vor Benachteiligungen soll auch der Opferschutz im Verfahrensrecht gestärkt werden. So sieht die Vorlage neben konkreten Rechtsfolgen im Fall von ungerechtfertigten Benachteiligungen in gewissen Fällen eine Erleichterung der Beweislast und die Unentgeltlichkeit der Verfahren vor. Schliesslich sollen die schweizerischen Gebärdensprachen durch ihre Verankerung im Gesetz anerkannt und die Gleichstellung von gehörlosen und hörbehinderten Menschen gefördert werden.
Botschaft
1 Ausgangslage
1.1 Handlungsbedarf und Ziele
1.1.1 Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen
Gemäss den Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) lebt rund ein Fünftel der Wohnbevölkerung in der Schweiz mit einer Behinderung. ¹ Diese Menschen sollen selbstbestimmt leben und gleichgestellt am öffentlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. In den letzten Jahren wurden verschiedene Massnahmen ergriffen, um diesem Ziel näherzukommen.
Ein erster wichtiger Schritt war das Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung (BV) ² im Jahr 2000 und insbesondere von deren Artikel 8 Absatz 2, der das Verbot der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung in der BV verankert hat. Damit ging der Auftrag an Bund und Kantone einher, Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen (Art. 8 Abs. 4 BV). Auf dieser Verfassungsgrundlage wurde das Behindertengleichstellungsgesetz vom 13. Dezember 2002 ³ (BehiG) verabschiedet und auf den 1. Januar 2004 in Kraft gesetzt. Das Gesetz bezweckt, Benachteiligungen zu beseitigen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kontakte zu pflegen, sich aus- und weiterzubilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Dazu setzt das BehiG vor allem beim Zugang zu Bauten und Anlagen und zu Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs sowie bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen an.
Der Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 ⁴ über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) im Jahr 2014 leitete eine nächste Etappe im Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen ein. Die UN-BRK verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, in umfassender Weise die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu verwirklichen, eine Aufgabe, für die in der Schweiz Bund, Kantone und Gemeinden zuständig sind. Beschränkte sich die Umsetzung der Verfassungsbestimmungen bis dahin auf spezifische Bereiche, insbesondere die Sozialversicherungen, die Behindertenhilfe und die Förderung der Behindertengleichstellung, so galt es für die Schweiz nach dem Beitritt zur UN-BRK, ihre verschiedenen Instrumente zur Förderung der Gleichstellung und der Integration auf Bundes- wie auch auf kantonaler Ebene vermehrt aufeinander abzustimmen und kohärent weiterzuentwickeln.
Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat am 9. Mai 2018 ⁵ die Behindertenpolitik 2018-2021 beschlossen. Neben Massnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen hat er die inhaltlichen Schwerpunkte festgelegt. Diese waren zunächst darauf ausgerichtet, die Lücken in der Behindertengleichstellung zu schliessen, die in der 2015 abgeschlossenen Evaluation des BehiG festgestellt worden waren. ⁶ Dieser Aspekt wurde mit den Schwerpunkten «Gleichstellung und Arbeit» sowie «Digitalisierung und Barrierefreiheit» konkretisiert. Zugleich sollten die Schwerpunkte eine Vertiefung der Zusammenarbeit in Bereichen ermöglichen, die für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zentral sind. Dies stand beim gemeinsam von Bund und Kantonen durchgeführten Schwerpunktprogramm «Selbstbestimmtes Leben» im Vordergrund, das primär auf die freie Wahl des Wohnorts und der Wohnform ausgerichtet war. Neben diesen drei prioritären Schwerpunkten sind Bund und Kantone für eine Reihe anderer behinderungspolitischer Themen zuständig.
Die 2018 beschlossenen Massnahmen konnten zwar weitgehend umgesetzt werden, haben allerdings im Alltag der Menschen mit Behinderungen nur beschränkt Wirkung entfaltet. Insbesondere können diese Personen viele zentrale Dienstleistungen weiterhin nur unter erschwerten Bedingungen in Anspruch nehmen, und das Arbeitsumfeld ist nach wie vor benachteiligend.
In diesem Zusammenhang hat der Bundesrat gesetzgeberischen Handlungsbedarf festgestellt, damit für Menschen mit Behinderungen der Zugang zu Dienstleistungen verbessert und der Schutz vor Benachteiligungen verstärkt werden kann, insbesondere in Arbeitsverhältnissen. Der Bedarf einer gesetzlichen Regelung war im Rahmen der parallel zur Erarbeitung des vorliegenden Entwurfs durchgeführten Regulierungsfolgenabschätzung zwar unbestritten, die vorgeschlagenen Massnahmen wurden jedoch unterschiedlich beurteilt: Während namentlich die Behindertenorganisationen die vorgeschlagene Regulierung begrüssen, bezweifeln Wirtschaftsverbände, dass damit tatsächlich Wirkungen für die Inklusion entfaltet würden, und befürchten unverhältnismässige Kostenfolgen für die Unternehmen. Diese Diskrepanz bestätigte sich bei der Vernehmlassung zum Vorentwurf (vgl. Ziff. 2).
Die Teilrevision des BehiG steht auch im Kontext der eidgenössischen Volksinitiative «Für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Inklusions-Initiative)» ⁷ , die am 5. September 2024 eingereicht und deren Zustandekommen am 16. Oktober 2024 ⁸ festgestellt wurde. Die Initiative verlangt von Bund und Kantonen umfassende Massnahmen zur Verbesserung der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, insbesondere der dazu notwendigen Unterstützungs- und Anpassungsmassnahmen. Die Revision nimmt eine wichtige Forderung der Inklusions-Initiative auf. Der Bundesrat legt seine Position zu dieser Initiative gleichzeitig mit der Verabschiedung der vorliegenden Botschaft fest.
¹ BFS, Erhebung über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2021, abrufbar unter
www.bfs.admin.ch
> Statistiken > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen > Menschen mit Behinderungen > Gemäss Gleichstellungsgesetz.
² SR 101
³ SR 151.3
⁴ SR 0.109
⁵ Vgl. Bericht des Bundesrates vom 9. Mai 2018 «Behindertenpolitik», abrufbar unter:
www.edi.admin.ch
> Fachstellen > Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB > Behindertenpolitik > Weiterführende Informationen > Behindertenpolitik 18-22.
⁶ Vgl. BASS/ZHAW, Evaluation des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG), Kurzfassung, Aug. 2015, abrufbar unter
www.edi.admin.ch
> Fachstellen > Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB > Recht > Schweiz > Evaluation BehiG.
⁷ BBl 2023 1041
⁸ BBl 2024 2637
1.1.2 Beseitigung von Benachteiligungen
Das Verbot, eine Person aufgrund ihrer Behinderung zu diskriminieren, ist für die Verwirklichung der Rechte dieser Person von entscheidender Bedeutung. Die Beseitigung von tatsächlichen Hindernissen und Umständen ermöglicht es einer Person, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Beide Aspekte müssen im BehiG berücksichtigt werden.
Die zentralen Konzepte des Behindertenrechts sind die verfassungsrechtlichen Begriffe der Nichtdiskriminierung (Art. 8 Abs. 2 BV) und der Benachteiligungen (Art. 8 Abs. 4 BV). Der Begriff «Benachteiligung» (inégalité/svantaggio) in Artikel 8 Absatz 4 BV bezeichnet die Schlechterstellung, die ein Mensch mit Behinderungen erfährt. Das geltende Recht definiert die Benachteiligung wie folgt: «Eine Benachteiligung liegt vor, wenn Behinderte rechtlich oder tatsächlich anders als nicht Behinderte behandelt und dabei ohne sachliche Rechtfertigung schlechter gestellt werden als diese, oder wenn eine unterschiedliche Behandlung fehlt, die zur tatsächlichen Gleichstellung Behinderter und nicht Behinderter notwendig ist» (Art. 2 Abs. 2 BehiG). Diese Definition umfasst alle Formen von Diskriminierung, sowohl direkte als auch indirekte.
Der Begriff der Benachteiligung im Sinne eines tatsächlichen Hindernisses ist in Artikel 2 Absätze 3-5 BehiG in Bezug auf spezifische Bereiche definiert: die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit des Zugangs zu einer Baute, einer Anlage, einer Wohnung, einer Einrichtung oder einem Fahrzeug des öffentlichen Verkehrs (Abs. 3), die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der Inanspruchnahme einer Dienstleistung (Abs. 4) und die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der Inanspruchnahme von Aus- und Weiterbildung (Abs. 5).
Im geltenden Gesetz sieht Artikel 6 BehiG ferner den folgenden Grundsatz vor: «Private, die Dienstleistungen öffentlich anbieten, dürfen Behinderte nicht auf Grund ihrer Behinderung diskriminieren». Der Bundesrat hat jedoch die Bedeutung der Verfassungsnorm in der Behindertengleichstellungsverordnung vom 19. November 2003 ⁹ (BehiV) eingeschränkt, indem er «Diskriminieren» wie folgt definiert: «Behinderte besonders krass unterschiedlich und benachteiligend behandeln mit dem Ziel oder der Folge, sie herabzuwürdigen oder auszugrenzen» (Art. 2 Bst. d BehiV). Gestützt auf diese Verordnungsbestimmung haben die Gerichte, insbesondere das Bundesgericht, im Bereich der Behinderung diese restriktivere Auslegung von Diskriminierung übernommen. 1⁰ Nach geltendem Recht betrifft Diskriminierung im Sinne des BehiG also nur benachteiligende Situationen aus völlig inakzeptablen oder unwürdigen Gründen.
In diesem Zusammenhang besteht ein Unterschied zwischen dem Begriff der Benachteiligung nach Artikel 2 Absatz 2 BehiG, dem Begriff der Diskriminierung nach der BehiV und den verfassungsrechtlichen Begriffen. Diese Unterscheidung bezweckte insbesondere, das Diskriminierungsverbot für Private einzuschränken. Angesichts des Ziels, den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken, ist diese Unterscheidung heute nicht mehr gerechtfertigt. Es soll darum überall der Ausdruck «Benachteiligungen» verwendet werden, der als Diskriminierung im Sinne der BV zu verstehen ist und auch die in Artikel 2 Absätze 3-5 BehiG genannten faktischen Hindernisse umfasst.
⁹ SR 151.31
1⁰ Vgl. insb. BGE 138 I 475, S. 480.
1.1.3 Gleichstellung in der Arbeit
Einer Arbeit nachgehen und seinen Lebensunterhalt ganz oder teilweise selbst bestreiten zu können, ist eine wesentliche Voraussetzung, um sich integriert zu fühlen und voll am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt ist in der Schweiz im internationalen Vergleich hoch. Der Disability Employment Gap der Schweiz, also die Differenz zwischen der Erwerbsquote von Menschen mit und ohne Behinderungen, gehört mit rund 15 Prozent zu den tiefsten innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD). 1¹ Die Erhebungen des BFS zeigen, dass der Unterschied bei Menschen im Erwerbsalter, die bei alltäglichen Verrichtungen stark eingeschränkt sind, noch deutlicher ist. ¹2 2019 betrug deren Erwerbsbeteiligung 47 Prozent, gegenüber 87 Prozent bei Menschen ohne Behinderungen. Die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Behinderungen weist über die letzten Jahre hinweg keine Tendenz zu einer signifikanten Veränderung auf. Bestimmte Personengruppen sind jedoch stärker betroffen. Gemäss den neuesten verfügbaren Daten arbeiten rund 25 000 Menschen mit Behinderungen in geschützten Werkstätten bei Erbringern sozialer Dienstleistung oder werden von diesen an Unternehmen vermittelt (ergänzender Arbeitsmarkt). Diese Personen sind vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen und bezüglich der Wahl ihrer beruflichen Tätigkeit eingeschränkt.
Doch auch Menschen mit Behinderungen, die erwerbstätig sind, sind im Vergleich zu Menschen ohne Behinderungen nicht gleichberechtigt. Gemäss dem BFS erleben sie unter anderem mehr Gewalt und Mobbing am Arbeitsplatz und haben weniger oft Stellen inne, die ihren Kompetenzen entsprechen. ¹3 Ob und, wenn ja, welcher Arbeit Menschen mit Behinderungen nachgehen können, hängt von ihren persönlichen Voraussetzungen, aber auch von den Rahmenbedingungen ab. Auch die sehr qualifizierten Personen finden keine passende Stelle, wenn sie im Arbeitsumfeld auf Hindernisse stossen. Und selbst wenn sie Zugang zum Arbeitsmarkt finden, haben Menschen mit Behinderungen in der Folge nicht die gleichen Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten wie Menschen ohne Behinderungen. Das Schwerpunktprogramm «Gleichstellung und Arbeit», das von 2018 bis 2022 lief, hat dazu beigetragen, das Wissen über den Abbau von Benachteiligungen im Erwerbsleben zu vertiefen, die guten Praktiken aufzuzeigen und deren Umsetzung in den Unternehmen zu ermöglichen. Ebenfalls in diesem Rahmen haben verschiedene Akteure mit der finanziellen Unterstützung des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) und mit Beratung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) Massnahmen entwickelt, die Unternehmen bei der Umsetzung eines inklusiven Arbeitsumfelds unterstützen. So wurde insbesondere ein Analysetool entwickelt, das über Mitarbeiterumfragen den Stand der Inklusion in einem Unternehmen erhebt und Lücken aufzeigt (Inclusion - Check), und es wurden Sensibilisierungs- und Schulungsworkshops für Mitarbeitende und für die Führungsebene konzipiert und erprobt und ein Leitfaden für die Umsetzung eines inklusiven Arbeitsumfelds mit dem Fokus auf psychischen Beeinträchtigungen erarbeitet.
Es ist allerdings auch heute noch keine Selbstverständlichkeit, dass vermeidbare faktische Hindernisse beseitigt werden und schrittweise ein inklusives Arbeitsumfeld geschaffen wird.
1¹ OECD: Disability, Work and Inclusion. Mainstreaming in All Policies and Practices, 2022, S. 39, Abb. 2.5, abrufbar unter
www.oecd-ilibrary.org
> Catalogue > Books Disability, Work and Inclusion.
¹2 Vgl. Statistik zur Erwerbsbeteiligung, abrufbar unter
www.bfs.admin.ch
> Statistiken > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen > Erwerbstätigkeit > Erwerbsbeteiligung.
¹3 Medienmitteilung des BFS vom 3. Dez. 2020 «26 % der Menschen mit Behinderungen erfahren am Arbeitsplatz Diskriminierung», abrufbar unter
www.bfs.admin.ch
> Statistiken > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen.
1.1.4 Dienstleistungen
Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben ist es, Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, also die Möglichkeit, sich selbstständig mit Gütern und Leistungen des täglichen Bedarfs zu versorgen, seine Angelegenheiten selbst zu erledigen und von Bildungs-, Freizeit- und Kulturangeboten zu profitieren, um am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben insgesamt teilnehmen zu können. Mit der fortschreitenden Digitalisierung gewinnt der Zugang zu digital erbrachten Dienstleistungen an Bedeutung. Ein besserer Zugang zu Dienstleistungen war im Übrigen auch ein wichtiges Anliegen der Behindertenpolitik 2018-2021, die aber den Akzent auf die Zugänglichkeit von digitalen Dienstleistungen des Bundes und weiterer Gemeinwesen setzte. Wichtige Massnahmen waren dabei insbesondere die Totalrevision des Standards für den Zugang zu Internetangeboten des Gemeinwesens (Accessibility-Standard eCH-0059) und die Vernetzung der Behörden, der Leistungserbringer und der unterschiedlichen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Zudem haben in den vergangenen Jahren mehrere Kantone und Gemeinden Massnahmen ergriffen, um den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu ihren Dienstleistungen zu verbessern. Ein barrierefreier Zugang zu Dienstleistungen und Einrichtungen ist dennoch für Menschen mit Behinderungen auch heute noch keine Selbstverständlichkeit. Selbst zentrale Dienstleistungen wie die Gesundheitsversorgung, Bankdienstleistungen und generell Online-Dienstleistungen oder auch für die Allgemeinheit bestimmte Präventions- und Beratungsangebote, beispielsweise Angebote zur Bekämpfung von Gewalt ¹4 , sind für Menschen mit Behinderungen weiterhin nur eingeschränkt zugänglich, insbesondere weil vermeidbare Hürden nicht beseitigt werden.
¹4 Bericht des Bundesrates vom 16. Juni 2023 «Gewalt an Menschen mit Behinderungen in der Schweiz» in Erfüllung des Postulats Roth 20.3886, abrufbar unter
www.parlament.ch
> 20.3886 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.
1.1.5 Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprache
Der Bundesrat hat in seinem Bericht vom 24. September 2021 ¹5 «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen» in Erfüllung der Postulate Rytz 19.3668, Lohr 19.3670, Romano 19.3672 und Reynard 19.3684 die verschiedenen Möglichkeiten der Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprachen dargelegt: die Anerkennung der Gebärdensprachen im Rahmen von Abkommen des Europarates oder als fester Bestandteil der Sprachenfreiheit oder ihre Anerkennung als Landessprachen, als (Teil-) Amtssprachen des Bundes oder als Sprachen, die gefördert werden sollen.
Die in der Folge vom Parlament angenommene Motion der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) 22.3373 «Anerkennung der Gebärdensprache durch ein Gebärdensprachengesetz» beauftragt den Bundesrat, ein Bundesgesetz über die Anerkennung der Gebärdensprachen und die Gleichstellung gehörloser und hörbehinderter Menschen auszuarbeiten und damit die drei schweizerischen Gebärdensprachen anzuerkennen.
Die vorliegende Teilrevision des BehiG bietet die Gelegenheit, dieses Anliegen aufzunehmen und die Gleichstellung gehörloser Personen zu fördern und zugleich eine auf die allgemeine Verbesserung des Schutzes vor Benachteiligungen abgestimmte Förderung der schweizerischen Gebärdensprachen vorzusehen.
¹5 Bericht des Bundesrates vom 24. Sept. 2021 «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen» in Erfüllung der Postulate Rytz 19.3668, Lohr 19.3670, Romano 19.3672 und Reynard 19.3684, S. 42-53.
1.1.6 Ziele der Vorlage
Ziel der Revision ist es, die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen durch einen besseren Schutz vor Benachteiligungen zu verbessern. Die Vorlage erweitert somit den persönlichen und materiellen Anwendungsbereich des BehiG. Sie soll Verbesserungen der Situation von Menschen mit Behinderungen in den Bereichen Arbeit und Dienstleistungen bringen. Zudem erfüllt sie den Auftrag des Parlaments, eine Form der Anerkennung der Gebärdensprachen vorzusehen sowie diese Sprachen und deren kulturelle Ausdrucksformen und die Gleichstellung von gehörlosen und hörenden Menschen zu fördern.
1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung
Ziel des BehiG ist die Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben. Der Anwendungsbereich gemäss dem geltenden Recht erstreckt sich auf Bauten und Infrastrukturen, auf Dienstleistungen des Gemeinwesens und auf Arbeitsverhältnisse in der Bundesverwaltung. Es sieht dazu vor allem Massnahmen zur Förderung der Zugänglichkeit der Infrastrukturen vor. Diese Massnahmen sollen zusammen mit dem Diskriminierungsverbot für Private, die Dienstleistungen öffentlich anbieten (Art. 6 BehiG), einen gewissen Impuls geben und für Arbeitgeber sowie Private einen Anreiz schaffen, ähnliche Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen zu ergreifen.
Wie die 2015 durchgeführte externe Evaluation des BehiG ¹6 und ein auf einer Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR) basierender Bericht des Bundesrates ¹7 aufzeigen, hat sich diese Erwartung des Gesetzgebers und der Menschen mit Behinderungen kaum erfüllt. Beide Berichte empfahlen, den rechtlichen Schutz vor Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu stärken, insbesondere bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen und in Arbeitsverhältnissen.
Im Bericht zur Behindertenpolitik 2018-2021 sah der Bundesrat davon zugunsten der Erarbeitung von Grundlagen sowie von Informations- und Sensibilisierungsmassnahmen noch ab.
Jetzt sollen die Benachteiligungen beseitigt werden, indem die Umsetzung im Einzelfall durch angemessene Vorkehrungen vorgesehen wird: Die Vorlage zielt darauf ab, Benachteiligungen auf Verlangen der Menschen mit Behinderungen dort abzubauen, wo es die Situation erfordert. Private Akteure sollen verpflichtet werden, die jeweils geeigneten und unter Berücksichtigung aller Umstände zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, die zu einer Verringerung von Benachteiligungen im konkreten Fall beitragen. Die Verweigerung solcher einfach zu realisierenden Massnahmen kann einen Eingriff in die Rechte von Menschen mit Behinderungen darstellen und für den Verpflichteten rechtliche Folgen haben. Die Betroffenen sollen die Möglichkeit erhalten, vor Gericht zu klagen. Eine Verweigerung soll hingegen gerechtfertigt sein, wenn die verlangte Vorkehrung unverhältnismässig ist.
Mit dem vorgeschlagenen Ansatz soll nur eine Pflicht für Massnahmen vorgesehen werden, die im konkreten Fall zumutbar sind. Dies fördert die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Wirtschaft, nicht übermässig belastet zu werden, und trägt zugleich dem Umstand Rechnung, dass Benachteiligungen je nach Behinderung unterschiedlich sein können und sich in vielen Bereichen standardisierte Anforderungen an ein inklusives Arbeitsumfeld und an barrierefreie Dienstleistungen erst noch herausbilden müssen.
Eine besondere Herausforderung stellen die Anerkennung der Gebärdensprachen sowie die Förderung der Gleichstellung von hörbehinderten und gehörlosen Menschen dar. Diese beiden Aspekte sollen im BehiG verankert werden. Dieser Ansatz erlaubt es, die Förderung der Gleichstellung für alle Menschen mit Behinderungen in kohärenter Weise festzuschreiben und weiterzuentwickeln. Ein Spezialgesetz, das sowohl die Anerkennung der Gebärdensprachen wie auch die Förderung der Gleichstellung einer bestimmten Gruppe von Menschen mit Behinderungen beinhaltet, hätte zwar den Vorteil, die sprach- und kulturpolitische Bedeutung der Gebärdensprachen zu verdeutlichen. Ihre eigentliche Wirkung würde eine solche Regelung aber nur in dem institutionellen Rahmen entfalten, der für die Förderung der Gleichstellung geschaffen wurde. Eine Regelung dieser Fragen im BehiG ist zugleich ein Zeichen für eine umfassende Behindertengleichstellungspolitik, die den unterschiedlichen Anliegen und Bedürfnissen aller Menschen mit Behinderungen Rechnung trägt und für behinderungsübergreifende Fragen interdisziplinäre und abgestimmte Massnahmen vorsieht.
¹6 Vgl. BASS/ZHAW, Evaluation des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG), Kurzfassung, Aug. 2015.
¹7 Vgl. dazu Bericht des Bundesrates vom 25. Mai 2016 «Recht auf Schutz vor Diskriminierung» in Erfüllung des Postulats Naef 12.3543 vom 14. Juni 2012, Ziff. 4.3.1 und 4.3.6, abrufbar unter
www.parlament.ch
> 12.3543 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.
1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates
Die Vorlage ist in der Botschaft vom 24. Januar 2024 ¹8 zur Legislaturplanung 2023-2027 und in Artikel 12 Ziffer 64 des Bundesbeschlusses vom 6. Juni 2024 ¹9 über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt.
¹8 BBl 2024 525
¹9 BBl 2024 1440
1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse
Die Vorlage erfüllt die Motion der WBK-N 22.3373 «Anerkennung der Gebärdensprache durch ein Gebärdensprachengesetz», die am 12. Dezember 2022 an den Bundesrat überwiesen wurde. Diese verlangt neben der Anerkennung der Gebärdensprache auch Massnahmen, um die Förderung der Gleichstellung von gehörlosen und hörbehinderten Menschen (insb. Aus- und Weiterbildung und Zugang zu Informationen) zu verbessern. Die Motion 22.3373 kann daher abgeschrieben werden.
2 Vernehmlassungsverfahren
Die Vernehmlassung zum Vorentwurf für eine Änderung des BehiG dauerte vom 8. Dezember 2023 bis zum 5. April 2024. 2⁰
Die Revision wird grundsätzlich als Gelegenheit gesehen, den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Dieses Ziel wird denn auch in den meisten Stellungnahmen begrüsst. Die Meinungen der Vernehmlassungsteilnehmenden gehen jedoch weit auseinander. Generell kritisieren die Behindertenorganisationen und die Linksparteien, dass die Vorlage zentrale Themen im Hinblick auf die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen ausklammert; neben den Themen des BehiG wie öffentlicher Verkehr und Zugang zu Bauten und Anlagen führen diese Kreise auch Themen an, die nicht in die Zuständigkeit des Bundes fallen oder individuelle Unterstützungsleistungen betreffen; zudem bedauern sie den geringen Einbezug von Menschen mit Behinderungen in die Erarbeitung der Vorlage. Wirtschaftskreise und die Schweizerische Volkspartei bezweifeln die Notwendigkeit, zusätzliche gesetzliche Regelungen zu erlassen, und betonen, dass die Schweiz international bereits gut positioniert sei. Die FDP.Die Liberalen (FDP) begrüssen zwar die Bemühungen um Gleichstellung, schlagen jedoch vor, mit der Revision aufgrund von Vorbehalten in Bezug auf den Umfang des geplanten Schutzes zuzuwarten.
Die Anerkennung von Gebärdensprachen im BehiG hingegen findet die Unterstützung der Mehrheit der Kantone und Gemeinden, von denen mehrere weitergehende Massnahmen beantragen. Mit Ausnahme der FDP kritisieren die politischen Parteien und die Organisationen hingegen sowohl die Form (Betonung der Notwendigkeit eines Spezialgesetzes über die Gebärdensprache) als auch den Inhalt (Forderung nach mutigeren oder grosszügigeren Förder- und Finanzierungsmassnahmen, wie z. B. die Übernahme der Kosten für das Gebärdendolmetschen).
Andere Stimmen kritisieren die Art und Weise, wie der Vorentwurf zur Förderung der Gleichstellung beiträgt. Einige sind der Ansicht, dass die neuen Pflichten nicht konkret genug seien, wodurch eine effektive Umsetzung nicht gewährleistet sei. In diesem Zusammenhang unterstützen die Kantone und die Behindertenorganisationen eine andere Definition von Diskriminierung im Sinne des BehiG. Mehrere Stimmen wünschen sich auch eine engere Verbindung zwischen den Massnahmen zur Förderung der Gleichstellung und den Eingliederungsmassnahmen des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959 2¹ über die Invalidenversicherung (IVG).
Die Vernehmlassungsteilnehmenden sind insgesamt der Ansicht, dass die vorgeschlagene Stossrichtung die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen stärken kann. Die von Behindertenorganisationen geäusserte grundsätzliche Kritik zielt auf die Förderung von Massnahmen ab, die nicht in den Geltungsbereich des BehiG fallen. Diese Kritik lässt sich offensichtlich durch den Kontext der Inklusions-Initiative erklären.
Der Bundesrat hat die in der Vernehmlassung geäusserten Vorbehalte zur Kenntnis genommen, hält aber im Grundsatz am geplanten Verfahren fest. Im Anschluss an das Vernehmlassungsverfahren überarbeitete er den Vorentwurf und berücksichtigte im Entwurf (E-BehiG) die folgenden Punkte:
-
Weit gefasste Definition von «Benachteiligung», welche die direkte und die indirekte Diskriminierung im Sinne der BV (Art. 2 Abs. 2, 6 und 6 a E-BehiG) und tatsächliche Benachteiligungen (Art. 2 Abs. 3 und 5 BehiG) einschliesst;
-
Konkretisierung des Konzepts der angemessenen Vorkehrungen (Art. 2 Abs. 6 E-BehiG);
-
Ausdehnung des Geltungsbereichs auf eine grössere Zahl von Bauten und Anlagen (Art. 3 Bst. c und d E-BehiG);
-
Einbezug der Betroffenen in die Ausarbeitung der Massnahmen (Art. 5 Abs. 1bis E-BehiG);
-
Rechtsansprüche bei Arbeitsverhältnissen; Neuformulierung der Bestimmungen für mehr Kohärenz mit den Bestimmungen des Gleichstellungsgesetzes vom 24. März 1995 2² (GlG), wobei das Konzept der «Benachteiligung» des BehiG beibehalten wird (Art. 9 a und 9 b E-BehiG);
-
Neuformulierung der Bestimmungen des 2. Abschnitts «Rechtsansprüche und Verfahren», insbesondere des Beschwerde- und Klagerechts von Organisationen (Art. 9 E-BehiG);
-
Verstärkung der Massnahmen des Bundes und der Kantone zur Förderung der schweizerischen Gebärdensprachen (Art. 12 c , 12 d und 12 e E-BehiG);
-
Digitale Dienstleistungen: Präzisierung der Standards für die Zugänglichkeit, die für den Bund gelten, und der Standards, die für andere Anbieter gelten, sowie Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen in diesem Bereich an den Bundesrat (Art. 14 Abs. 4 und 15 Abs. 2bis-5 E-BehiG);
-
Anpassung der Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO) ²3 zur Regelung von Streitigkeiten und des Schlichtungsverfahrens.
2⁰ Die Vernehmlassungsunterlagen und der Vernehmlassungsbericht sind abrufbar unter
www.fedlex.admin.ch
> Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > EDI > 2023/101.
2¹ SR 831.20
2² SR 151.1
²3 SR 272
3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht
Viele Staaten haben weitergehende Regelungen im Bereich des Diskriminierungsverbots aufgrund einer Behinderung erlassen als die Schweiz, insbesondere betreffend Diskriminierungen im Bereich der privaten Dienstleister. ²4 Viele nationale Rechtsordnungen regeln darüber hinaus und im Unterschied zum schweizerischen Recht die Modalitäten der Erwerbstätigkeit von Menschen mit Behinderungen. ²5 Der Schutz ist sowohl im materiellen Recht als auch im Verfahrensrecht weiter gefasst. Die Pflicht, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Ungleichheiten zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, besteht in den meisten der in der Evaluation analysierten Gesetzgebungen - in den USA, Grossbritannien und Frankreich, aber auch in den Rechtsordnungen anderer Staaten, beispielsweise in Spanien. ²6
Im EU-Recht hält in Artikel 5 der Richtlinie 2000/78/EG ²7 fest: «Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind angemessene Vorkehrungen zu treffen». Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Massnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmassnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Massnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismässig belasten.»
Ebenfalls ist im Ausland seit einiger Zeit ein Trend zur Anerkennung der Gebärdensprachen zu beobachten. Gemäss einer Zusammenstellung von 2019 ²8 anerkennen 33 der damals 47 Mitgliedstaaten des Europarats eine oder mehrere Gebärdensprachen auf Verfassungs- oder Gesetzesebene. Die Modalitäten der Anerkennung und die materiellen Auswirkungen unterscheiden sich allerdings von Land zu Land stark. Ein einheitliches Konzept für die Anerkennung von Gebärdensprachen existiert derzeit auf europäischer Ebene nicht. ²9
²4 BASS/ZHAW, Evaluation des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG), Kurzfassung, Aug. 2015, S. 49.
²5 BASS/ZHAW, Evaluation des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (BehiG), Kurzfassung, Aug. 2015, S. 53.
²6 Vgl. Spanien, Ley 51/2003, de 2 de diciembre, de igualdad de oportunidades, no discriminación y accesibilidad universal de las personas con discapacidad (Gesetz Nr. 51/2003 über Chancengleichheit, Nichtdiskriminierung und allgemeine Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen und seine Durchführungsbestimmungen).
²7 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. Nov. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, Abl. Nr. L 303 vom 2.12.2000, S. 16.
²8 Vgl. Bericht des Bundesrates vom 24. Sept. 2021 «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen». in Erfüllung der Postulate Rytz 19.3668, Lohr 19.3670, Romano 19.3672 und Reynard 19.3684, S. 19.
²9 Vgl. Bericht des Bundesrates vom 24. Sept. 2021 «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen». in Erfüllung der Postulate Rytz 19.3668, Lohr 19.3670, Romano 19.3672 und Reynard 19.3684, S. 19-23.
4 Grundzüge der Vorlage
4.1 Beantragte Neuregelung
4.1.1 Beseitigung von Benachteiligungen
Die Vorlage erweitert den Geltungsbereich des BehiG, das künftig auch den Schutz vor Benachteiligungen in privatrechtlichen Beziehungen, insbesondere in Arbeitsverhältnissen, regeln soll. Sie erweitert den Begriff der Diskriminierung in Artikel 6 BehiG, der in Artikel 2 Buchstabe d BehiV bewusst eingeschränkt wurde, und fasst ihn unter dem allgemeinen Begriff der Benachteiligung zusammen (Art. 2 Abs. 2 E-BehiG).
Die Vorlage geht von den Bestimmungen des Privat- und des Arbeitsrechts zum materiellen Schutz vor Diskriminierung aus. Die ausdrückliche Verankerung des Verbots von Benachteiligungen aufgrund einer Behinderung im BehiG soll dazu beitragen, die Tragweite des allgemeinen Schutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu konkretisieren, der zumindest für Menschen, die ihre Rechte geltend machen wollen, nicht immer hinreichend klar ist. Dieser Zusatz ist unerlässlich, um Private zu verpflichten, angemessene Vorkehrungen zu treffen.
Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ist das zentrale Element der vorgeschlagenen Neuerungen. Der Begriff wurde gewählt, weil er einerseits in verschiedenen arbeitsrechtlichen Ordnungen, beispielsweise im EU-Recht, verwendet wird, andererseits spiegelt er die flexiblen und angemessenen Massnahmen wider, die ergriffen werden müssen, um den Zugang zu Dienstleistungen zu gewährleisten. Folglich sind angemessene Vorkehrungen die im Einzelfall notwendigen und angemessenen Änderungen und Anpassungen, die geeignet sind, die Benachteiligung zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen. Diese Vorkehrungen müssen für den Arbeitgeber oder den Dienstleistungserbringer tragbar sein.
Ziel ist es in erster Linie, Menschen mit Behinderungen, die sich mit Benachteiligungen konfrontiert sehen, und die Personen, die - meist unabsichtlich oder unbewusst -diese Benachteiligungen verursachen, aufzufordern, gemeinsam Massnahmen zu ergreifen, um die Benachteiligungen zu verringern. Über diese konkreten Fälle hinaus werden die angemessenen Vorkehrungen hoffentlich dazu beitragen, dass das Arbeitsumfeld inklusiv ausgestaltet und die Zugänglichkeit von Dienstleistungen verbessert wird, was nicht allein anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinderungen zugutekommt, sondern auch den Unternehmen, die sich bei der Gewinnung und Förderung von Mitarbeitenden wie auch beim Ausbau und der Pflege ihres Kundenstammes besser aufstellen.
4.1.2 Arbeit
Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wird durch Massnahmen gefördert, die entweder auf eine Verbesserung der individuellen Situation einer Person abzielen oder Benachteiligungen im Arbeitsumfeld abbauen.
Ein Schutz vor Diskriminierung ergibt sich bereits heute aus dem arbeitsrechtlichen Persönlichkeitsschutz und dem Schutz der Gesundheit (Art. 328 Abs. 1 des Obligationenrechts (OR) 3⁰ ; Art. 6 des Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964 3¹ [ArG]) wie auch dem Kündigungsschutz (Art. 336 Abs. 1 Bst. a OR). Eine Studie des SKMR zeigte jedoch auf, dass Menschen mit Behinderungen bei Benachteiligungen im Erwerbssektor selten den juristischen Weg beschreiten, und führte dies einerseits auf die mangelnde Kenntnis der ihnen zustehenden Rechte und auf fehlende Sensibilisierung der Arbeitgeber, andererseits auf verfahrensrechtlichen Hindernisse und auf die Rechtsunsicherheit in diesem Bereich zurück. 3² In vielen Fällen wären jedoch Anpassungen im Arbeitsumfeld nötig, um Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, eine ihren Kompetenzen und Fähigkeiten angemessene Stelle innezuhaben.
Vor diesem Hintergrund sieht die Vorlage einen Ausbau des Schutzes vor Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen im Erwerbsleben vor. Der Geltungsbereich des BehiG, der bis anhin nur Arbeitsverhältnisse nach dem Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 3³ (BPG) umfasst, soll auf sämtliche öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse ausgedehnt werden, angelehnt an das GlG.
In materieller Hinsicht ist ein Verbot sämtlicher Benachteiligungen vorgesehen, das heisst aller Situationen, die zu einer Schlechterstellung oder einer direkten oder indirekten Diskriminierung führen. Für öffentlich-rechtliche Anstellungsverhältnisse ergibt sich dieses Verbot bereits heute aus Artikel 8 Absatz 2 BV. Für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse bedeutet die Verankerung des Verbots primär, dass der Schutz, der sich bereits heute aus den allgemeinen Bestimmungen zum Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers ergibt, verdeutlicht und an die spezifischen Bedürfnisse aufgrund einer Behinderung angepasst wird. Die Vorlage soll auch klarstellen, dass das Verbot von Benachteiligungen in allen Phasen des Arbeitsverhältnisses gilt.
In vielen Situationen lässt sich durch das Unterlassen eines diskriminierenden Verhaltens noch nicht gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt gleichberechtigt sind. Dies liegt daran, dass die Arbeitsumwelt und die Arbeitsbedingungen (Ausgestaltung des Arbeitsplatzes, die Arbeitsanforderungen, die Organisation der Arbeit) oft nicht oder nicht ausreichend den spezifischen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen Rechnung tragen; dies kann zu einer Schlechterstellung für Menschen mit Behinderungen führen. Aus diesem Grund verpflichtet das BehiG den Bund, als Arbeitgeber alles daran zu setzen, um Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen und ein inklusives Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Die Vorlage verzichtet hingegen darauf, eine entsprechende Pflicht für private Arbeitgeber einzuführen. Stattdessen setzt sie auf eine Pflicht, auf Verlangen der direkt betroffenen Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen zu treffen.
Die Pflicht, angemessene Vorkehrungen zu treffen, also Massnahmen, die geeignet sind, in einer konkreten Situation eine Benachteiligung zu verringern, besteht nur dann, wenn diese Massnahmen für den Arbeitgeber zumutbar sind. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist im geltenden Recht bereits konkretisiert (Art. 11 BehiG). Mit dieser Vorlage soll er nun auch auf angemessene Vorkehrungen angewendet werden. Im Einzelfall soll also eine Abwägung vorgenommen werden zwischen den Bedürfnissen der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers mit Behinderungen und den Möglichkeiten des Arbeitgebers, insbesondere aus wirtschaftlicher und organisatorischer Sicht.
Angemessene Vorkehrungen in Bezug auf das berufliche Umfeld betreffen die Arbeitsbedingungen, welche die Arbeitgeber bieten. Sie können verschiedene Aspekte betreffen. Artikel 12 BehiV verlangt vom Bund, dass er Massnahmen zur Anpassung der Arbeitsräume, der Arbeitsplätze und der Arbeitszeiten sowie der Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung und der Karrierenplanung seiner Angestellten ergreift. Von grosser Bedeutung ist weiter die Barrierefreiheit der digitalen Arbeitsumgebung. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass es sich bei angemessenen Vorkehrungen überwiegend um organisatorische Anpassungen handelt.
Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen schliesst an die Verpflichtungen der Arbeitgeber an, Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu treffen (Art. 6 ArG). Sie unterscheidet sich jedoch inhaltlich davon, da sie den Schwerpunkt auf die Beseitigung von Benachteiligungen im Arbeitsumfeld und nicht auf die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit legt. Unterschiede bestehen auch in Bezug auf die Durchsetzung: Der Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen steht ein Anspruch des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin mit Behinderungen gegenüber, während die Durchsetzung der arbeitsrechtlichen Vorschriften durch die Arbeitsinspektorate erfolgt.
Schliesslich müssen angemessene Vorkehrungen von anderen Massnahmen zur Förderung der beruflichen Eingliederung unterschieden werden, wie etwa den von der Invalidenversicherung (IV) vorgesehenen Massnahmen beruflicher Art: Massnahmen der Frühintervention (Art. 7 d IVG) und Hilfsmittel (Art. 21 ff. IVG). Die Leistungen der IV können teilweise als Massnahmen zur Verhinderung, Verringerung oder Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt betrachtet werden, sie zielen aber in erster Linie auf eine Verbesserung der individuellen Situation der Versicherten und sind an die individuellen Anspruchsvoraussetzungen im Einzelfall gebunden. Demgegenüber ist eine angemessene Vorkehrung eine Massnahme, die die Arbeitgeber treffen können - und müssen -, um Benachteiligungen im Arbeitsumfeld abzubauen.
Über den materiellen Schutz hinaus sehen die Bestimmungen der Vorlage, die das Arbeitsverhältnis regeln, auch verfahrensrechtliche Massnahmen vor. So sollen - ausgenommen in Fällen von diskriminierender Nichtanstellung oder diskriminierender Kündigung - die Beseitigung einer Benachteiligung oder eine angemessene Vorkehrung gegenüber dem Arbeitgeber angeordnet werden können. In diesem Punkt orientiert sich der Entwurf am GlG.
3⁰ SR 220
3¹ SR 822.11
3² SKMR, Der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen. Synthesebericht, Bern 2015, abrufbar unter
www.bj.admin.ch
> Gesellschaft > Gleichstellung der Geschlechter und Schutz vor Diskriminierung > Schutz vor Diskriminierung> Frühere Berichte und Studien, zitiert im Bericht des Bundesrates vom 25. Mai 2016 «Recht auf Schutz vor Diskriminierung» in Erfüllung des Postulats Naef 12.3543, Ziff. 4.2.3.
3³ SR 172.220.1
4.1.3 Dienstleistungen
Die Teilrevision des BehiG zielt darauf ab, den Schutz vor Benachteiligungen bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen zu verstärken. Artikel 8 Absatz 2 BV würde angesichts seiner normativen Bedeutung «auch unter Privaten wirksam» (Art. 35 Abs. 3 BV); in jedem Fall haben die Grundrechte «indirekte» Auswirkungen durch die Rechtsanwendung und die Gesetzgebung (Drittwirkung). ³4 Artikel 8 Absatz 2 BV wird folglich bereits in verschiedenen Gesetzen konkretisiert; dazu gehören der Schutz der Persönlichkeitsrechte in den Artikeln 28 ff. des Zivilgesetzbuchs ³5 , das Diskriminierungsverbot in Artikel 261bis des Strafgesetzbuchs ³6 oder der Schutz vor bestimmten Formen der Diskriminierung im GlG.
Ein weiteres Beispiel ist Artikel 6 BehiG: Die Botschaft vom 11. Dezember 2000 ³7 zur eidgenössischen Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen präzisierte, dass «die Bestimmung [festhält], dass Diskriminierungen im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 BV nicht nur im Verhältnis zwischen Staat und Behinderten, sondern auch unter Privaten untersagt sind (Drittwirkung).» ³8 Es wurde also nie bestritten, dass die Bestimmungen des BehiG Auswirkungen auf Private haben sollen.
Tatsächlich beschränkt sich der Schutz vor Diskriminierung bei Dienstleistungen von Privaten nach der BehiV und nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Artikel 6 BehiG auf grob diskriminierendes Verhalten und besonders stossende Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen. (für die Definition von «Diskriminieren» vgl. Ziff. 1.1.2) Das bedeutet, dass der Schutz vor Diskriminierung durch Private nur in sehr begrenztem Umfang besteht. Hinzu kommt, dass die allgemeinen Bestimmungen zum Persönlichkeitsschutz nicht ausreichen, um die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angemessen zu berücksichtigen, damit sie in gleicher Weise wie andere Zugang zu Dienstleistungen haben und diese nutzen können, insbesondere in Verbindung mit konkreten Vorkehrungen, die den Zugang zu Geschäften und Lokalitäten erleichtern.
Um den Zugang und die Nutzung von Dienstleistungen zu verbessern, soll Artikel 6 BehiG geändert werden. Zum einen verbietet Artikel 6 Absatz 1 E-BehiG jede rechtliche oder tatsächliche Ungleichbehandlung oder das Fehlen einer unterschiedlichen Behandlung, die eine Person wegen ihrer Behinderung benachteiligt (Art. 2 Abs. 2 BehiG und E-BehiG). Zum andern koppelt Artikel Absatz 2 E-BehiG die Pflicht, Benachteiligungen bei der Inanspruchnahme einer Dienstleistung (Art. 2 Abs. 4 BehiG) zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, an das Treffen angemessener Vorkehrungen im konkreten Fall.
Die Art der erfassten Dienstleistungen soll gegenüber dem geltenden Recht unverändert bleiben: Erfasst sind somit alle allgemein zugänglichen kommerziellen und kulturellen Dienstleistungen einschliesslich digitaler Dienstleistungen.
Es ist nicht möglich, die angemessenen Vorkehrungen zur Vermeidung von Benachteiligungen im Gesetz festzulegen, da sie vom Einzelfall abhängen und hinsichtlich der Grundsätze der Objektivität, der Rationalität und der Verhältnismässigkeit beurteilt werden müssen. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist im geltenden Recht bereits konkretisiert in Bezug auf die Pflicht, zu handeln, um Benachteiligungen bei Bauten, Einrichtungen oder Fahrzeugen (Art. 11 Abs. 1 BehiG) sowie bei Dienstleistungen (Art. 11 Abs. 2 BehiG) zu verhindern, beseitigen oder verringern. Dieser allgemeine Grundsatz soll nun auf die Pflicht, angemessene Vorkehrungen zu treffen, ausgedehnt werden, wobei die Kosten insbesondere für den Anbieter der Dienstleistung tragbar sein müssen.
Auch private Anbieter digitaler Dienstleistungen müssen ihre Leistungen so gestalten, dass Benachteiligungen verhindert, beseitigt oder verringert werden. Zwei Arten von digitalen Dienstleistungen und Produkten sind besonders wichtig, um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten: der elektronische Vertrag (Onlinekauf) sowie Produkte und Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). In diesem Bereich bestehen bereits internationale und europäische Regelungen, die die geeigneten Massnahmen festlegen. ³9 Der Bundesrat soll daher die Kompetenz erhalten, im Einklang mit den internationalen und europäischen Rechtsvorschriften einen Mindeststandard für die Barrierefreiheit festzulegen. Gestützt auf die besonderen Bestimmungen für den Bund wurde bereits ein nicht bindender Standard für das Gemeinwesen festgelegt (Accessibility-Standard eCH-0059).
Der materielle Schutz vor Benachteiligungen soll durch Rechtsansprüche Privater ergänzt werden, die sich als Opfer von Benachteiligungen sehen. Die bereits im BehiG verankerten Rechtsansprüche im Falle von Benachteiligungen sollen also auf klassische privatrechtliche Massnahmen bei ungerechtfertigten Benachteiligungen ausgedehnt werden (analog zum Verbot oder zur Beendigung der Diskriminierung).
³4 Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz vom 10. März 2016, Obligation positive de mise à disposition d’aires de séjour ou de transit en faveur des gens du voyage suisses et portée de l’art. 35 Cst. (nur auf Französisch), VPB 2/2017, Ziff. 4.3 und 4.4.
³5 SR 210
³6 SR 311.0
³7 BBl 2001 1715
³8 BBl 2001 1780
³9 Richtlinie (EU) 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Okt. 2016 über die Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen, ABl. L 327 vom 2.12.2016, S. 1; Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen, ABl. L 151 vom 7.6.2019, S. 70.
4.1.4 Schweizerische Gebärdensprachen
Neben dem Schutz vor Diskriminierung sollen mit dieser Vorlage die schweizerischen Gebärdensprachen sowie ihre Förderung und die Förderung der Gleichstellung von gehörlosen und hörbehinderten Menschen im Gesetz verankert werden.
Der Bundesrat hat bei der Behandlung der Motion WBK-N 22.3373 in den Räten im Dezember 2022 und erneut bei der Präsentation der Behindertenpolitik 2023-2026 4⁰ im März 2023 angekündigt, dass er den Forderungen der gehörlosen Menschen, die er als legitim erachtet, bei der Teilrevision des BehiG Rechnung zu tragen gedenkt. Obwohl die Anerkennung und Förderung der schweizerischen Gebärdensprachen im Grundsatz kaum bestritten ist, wurde dieser Ansatz in der Vernehmlassung sowohl seitens der Organisationen der Gehörlosen und mehrerer Behindertenorganisationen als auch seitens einer Mehrheit der politischen Parteien kritisiert. Sie verlangen eine Regelung in einem eigenen Gesetz und zusätzliche Massnahmen zur Unterstützung der Gebärdensprachen und zur Gleichstellung gehörloser und hörbehinderter Menschen.
Der Bundesrat hat die Frage der Erlassform aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse nochmals geprüft. Die sprach- und identitätspolitischen Anliegen der Gehörlosengemeinschaft und der Wunsch nach Anerkennung und stärkerer Sichtbarkeit sind dabei unbestritten. Allerdings löst ein separates Gesetz die Probleme, mit denen gehörlose Menschen nach wie vor konfrontiert sind, nicht automatisch. Das Gleiche gilt auch, wenn ein Rahmengesetz geschaffen würde, das im Sinn eines Katalogs einfach auf die Regelungen in anderen Rechtsgebiete verweisen würde. Was die Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprachen, die Massnahmen zur Gleichstellung gehörloser Personen und die Förderung von deren Sprachen angeht, überwiegen die Vorteile einer Integration ins BehiG aus mehreren Gründen:
-
Eine solche Lösung erlaubt es, die Kohärenz der verschiedenen Gleichstellungsmassnahmen weiterhin sicherzustellen. Dies betrifft etwa den Zugang zum öffentlichen Verkehr, zu öffentlichen Bauten und Anlagen, die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen bei Dienstleistungen und in den Arbeitsverhältnissen sowie die Zugänglichkeit der Kommunikation und der Informationen des Bundes. Gehörlose Menschen stossen beim Zugang zur (hörenden) Mehrheitsgesellschaft auf vergleichbare Hindernisse wie Menschen mit anderen Behinderungen. Eine Herauslösung von Massnahmen aus dem Kontext des Behindertengleichstellungsrechts und die Integration in ein eigenes Gesetz, das sich ebenfalls auf Artikel 8 Absatz 4 BV (Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen) stützen würde, würde vermieden.
-
Bezüglich der Sprachförderung ist der Kompetenzrahmen des Bundes aufgrund von Artikel 70 BV eng begrenzt und auf die Landessprachen ausgerichtet. Ein separates Gesetz würde in dieser Hinsicht keinen Mehrwert bringen. Ergebnis wäre vielmehr ein «Rumpferlass», der sich mit allgemeinen Bestimmungen auf eine Nennung der schweizerischen Gebärdensprachen und deren Förderung beschränken würde.
Ebenfalls ist es nicht zweckmässig, die Abgeltung der Kosten für Dolmetschdienste, die für die gesellschaftliche Teilhabe von gehörlosen Menschen von zentraler Bedeutung sind, im BehiG zu regeln. Die Kostenabgeltung ist heute in erster Linie im IVG geregelt.
In einem neuen Abschnitt des BehiG sollen die drei schweizerischen Gebärdensprachen aufgeführt und Massnahmen zu deren Förderung festgelegt werden. Die Artikel 12 b und 12 c E-BehiG setzen die Motion WBK-N 22.3373 um, indem die drei schweizerischen Gebärdensprachen und die Förderung von deren Verwendung im Gesetz verankert werden. Diese Anerkennung ist deklaratorisch und in erster Linie ein Zeichen der gesellschaftlichen und politischen Anerkennung gegenüber Menschen, deren Erstsprache eine der drei schweizerischen Gebärdensprachen ist. Sie begründet keine subjektiven Ansprüche, die nicht bereits in der bestehenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Artikel 12 c E-BehiG enthält einen allgemeinen Auftrag an Bund und Kantone, Massnahmen zur Förderung der Verwendung der schweizerischen Gebärdensprachen und von deren kulturellen Ausdrucksformen im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung und Fördergefässe zu treffen. In Verbindung mit Artikel 12 b sollen Bund und Kantone in die Pflicht genommen werden, den besonderen Bedürfnissen gehörloser Menschen Rechnung zu tragen und diese Bedürfnisse in der Gesetzgebung und bei deren Umsetzung angemessen zu berücksichtigen. Dazu können auch Beiträge finanzieller Art gehören. Aufgrund der Antworten der Kantone und der Mehrheit der politischen Parteien in der Vernehmlassung wurde dieser Auftrag gegenüber dem Vorentwurf verbindlicher formuliert. Nach wie vor bleibt aber Bund und Kantonen ein Ermessensspielraum, sodass sie ihre Prioritäten festlegen können.
Um dem Anliegen der Gehörlosengemeinschaft nach verstärkter Anerkennung und Sichtbarkeit ihrer Sprache Rechnung zu tragen, werden die Massnahmen für sprach- und verständigungspolitische Anliegen von Menschen mit Sprach-, Hör- und Sehbehinderungen im geltenden Artikel 14 Absatz 3 BehiG, die 2001 bei der parlamentarischen Beratung des BehiG aus dem damaligen Vorentwurf für ein Sprachengesetz übernommen wurden, neu gegliedert. Artikel 12 d E-BehiG enthält die Bestimmungen zur Förderung der schweizerischen Gebärdensprachen und ihrer Verwendung, während der inhaltlich weitgehend deckungsgleiche Artikel 14 a E-BehiG die Bedürfnisse von Menschen mit Sprach-, Hör- und Sehbehinderungen abdeckt. Der subsidiäre Charakter der Bestimmung sowohl in Bezug auf die Zuständigkeit der Kantone als auch in Bezug auf die IV und die Kulturförderung des Bundes wird beibehalten. Ebenfalls beibehalten wird die - bewusst sehr breit gefasste - Umschreibung der sprach- und kommunikationspolitischen Projekte und Massnahmen, die gefördert werden können. Auf Wunsch der Organisationen der Gehörlosen wurde die Unterstützung bei der Ausbildung von Fachkräften im Bereich der Gebärdensprachen exemplarisch hervorgehoben (Art. 12 d Abs. 1 Bst. b E-BehiG). Ebenfalls neu ist Artikel 12 e E-BehiG, wonach die Kantone in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 BehiG und E-BehiG dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche eine der schweizerischen Gebärdensprachen erlernen können. Betroffen sind gehörlose Kinder, aber auch die Geschwister dieser Kinder.
Die Motion WBK-N 22.3373 beauftragt den Bundesrat weiter, die Gleichstellung von gehörlosen Menschen und Menschen mit Hörbehinderungen in einem neuen Gesetz zu fördern. Der Bundesrat hat in seinem Bericht vom 24. September 2021 «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen» in Erfüllung der Postulate Rytz 19.3668, Lohr 19.3670, Romano 19.3672 und Reynard 19.3684 diesbezüglich bereits eine Auslegeordnung vorgenommen, die aufzeigt, wie die Teilhabe von gehörlosen Menschen und Menschen mit Hörbehinderungen weiter verbessert werden kann. Zudem hat er das EDI beauftragt, 2022 einen strukturierten Dialog mit der Gehörlosengemeinschaft und den zuständigen Stellen von Bund und Kantonen zu etablieren, um die bereits bestehenden Fördermassnahmen besser bekannt zu machen und Verbesserungsmöglichkeiten in den Bereichen Sprache und Kultur, Kommunikation, Bildung, Arbeitsmarktzugang und Gesundheitsversorgung zu prüfen.
Verschiedene Folgemassnahmen werden zurzeit auf Stufe Verwaltung umgesetzt. Zudem wurden verschiedene Massnahmen und Aufträge des Parlaments zur Gleichstellung von gehörlosen Menschen und Menschen mit Hörbehinderungen umgesetzt oder sind aktuell in der Umsetzung. So ist am 1. Januar 2024 eine Anpassung der Verordnung des EDI vom 29. November 1976 4¹ über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung in Kraft getreten, die das Abrechnen der Dolmetschkosten am Arbeitsplatz (Dienstleistungen Dritter) erleichtert und den Spielraum der Versicherten erweitert. In Umsetzung der gleichlautenden Motionen 21.3063 Romano, 21.3064 Mäder, 21.3065 Grüter, 21.3066 Giacometti, 21.3067 Piller Carrard und 21.3068 Andrey «Digitalisierung und Weiterentwicklung der Schweizer Notrufe» laufen zudem derzeit die Arbeiten zur Realisierung eines barrierefreien Notrufs. Solche bereichsspezifischen Massnahmen zur Gleichstellung von gehörlosen Menschen und Menschen mit Hörbehinderungen sollen weiterhin in die jeweilige Sachgesetzgebung integriert werden. Darum beschränken sich die Verbesserungen in dieser Vorlage auf die Förderung der Gleichstellung.
Der Entwurf spiegelt dies wider: Wie auch für die anderen Arten von Behinderungen soll eine spezifische Förderung nur dort erfolgen, wo die allgemeinen Bestimmungen nicht ausreichen, um der spezifischen Situation der betroffenen Personen angemessen Rechnung zu tragen. In der gezielten Stärkung der Rechte von gehörlosen Menschen liegt ein wesentlicher Vorteil einer im BehiG integrierten Förderung der Gleichstellung dieser Menschen gegenüber einem Spezialgesetz.
Ein neu formulierter Artikel 14 E-BehiG fasst die bisher teils auf Gesetzesstufe (Art. 14 BehiG), teils auf Verordnungsstufe (Art. 9 BehiV) angesiedelten Verpflichtungen der Verwaltungseinheiten des Bundes, Menschen mit Behinderungen Informationen und Dienstleistungen zugänglich zu machen, zusammen. Angesichts der Tatsache, dass private Anbieter von Dienstleistungen stärker in die Pflicht genommen werden sollen, ist es angezeigt, auch die für den Bund geltenden Grundsätze auf Gesetzesstufe zu verankern. Dabei wird die Verpflichtung des Bundes, wichtige Informationen auch in den schweizerischen Gebärdensprachen anzubieten, ausdrücklich erwähnt. Die Verordnung soll weiterhin die Ausführungsbestimmungen enthalten.
Für die gleichberechtigte Teilhabe gehörloser Menschen in der Gesellschaft braucht es weitere Schritte. Der Bundesrat hat deshalb die zuständigen Departemente beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen und der Gehörlosengemeinschaft bis im Herbst 2025 einen Aktionsplan zu erarbeiten, der zu nachhaltigen Verbesserungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Forschung und Kultur führen soll. In diesem Rahmen soll auch geprüft werden, wie sich die bestehenden Regelungen zu Abgeltungen von Dolmetschkosten, insbesondere im Bereich der Krankenversicherung, optimieren lassen.
Auch wenn die schweizerischen Gebärdensprachen nicht als Landes- oder (Teil-) Amtssprachen anerkannt werden, haben die vorgesehene Anerkennung und die Fördermassnahmen Auswirkungen auf das Sprachenrecht des Bundes. Da die Instrumente der Kulturförderung des Bundes und der Kantone bereits heute auch für Projekte aus dem Bereich der Gehörlosenkultur offenstehen und das BehiG weitere Fördermöglichkeiten vorsieht, ist in dieser Beziehung keine Anpassung vorgesehen. Hingegen muss Artikel 8 des Sprachengesetzes vom 5. Oktober 2007 4² (SpG), der die Arbeitssprachen der Bundesversammlung regelt, ergänzt werden. Gemäss Artikel 8 Absatz 1 SpG äussern sich die Mitglieder der Bundesversammlung in den Beratungen und Kommission in der Landessprache ihrer Wahl. Im Hinblick auf die vorgesehene Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprachen ist es sinnvoll, im Gesetz ausdrücklich festzuhalten, dass sich gehörlose Ratsmitglieder in einer schweizerischen Gebärdensprache ihrer Wahl äussern können. Dies setzt voraus, dass die Bundesversammlung, wie im Fall der entsprechenden Lautsprachen, die nötigen Dolmetschkapazitäten zur Verfügung stellt. Eine Anpassung von Artikel 9 SpG, der die Arbeitssprachen von Bundesrat und Bundesverwaltung betrifft, ist dagegen nicht nötig. Gemäss Artikel 9 Absatz 2 haben die Arbeitgeber des Bundes im Sinn der Bundespersonalgesetzgebung bereits heute die erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Die vorgeschlagene Änderung ist im Vernehmlassungsverfahren auf keinen Widerstand gestossen.
4⁰ Abrufbar unter
www.edi.admin.ch
> Fachstellen >Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB > Behindertenpolitik > Behindertenpolitik 2023-2026 > Weiterführende Informationen > Dokumente > Behindertenpolitik 2023-2026.
4¹ SR 831.232.51
4² SR 441.1
4.1.5 Bauten und Anlagen
Gemäss Artikel 2 Absatz 3 BehiG liegt eine Benachteiligung beim Zugang zu einer Baute, einer Anlage oder einer Wohnung vor, «wenn der Zugang für [Menschen mit Behinderungen] aus baulichen Gründen nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen möglich ist».
Da die Kantone für den Baubereich zuständig sind, ist der Geltungsbereich des BehiG auf öffentlich zugängliche Bauten und Anlagen beschränkt, für die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eine Bewilligung für den Bau oder die Erneuerung öffentlich zugänglicher Teile erteilt wird (Art. 3 Bst. a BehiG; Art. 2 Bst. c BehiV). Öffentlich zugängliche Bauten und Anlagen (Art. 2 Bst. c BehiV) sind solche, die einem beliebigen Personenkreis offen stehen (Ziff. 1) oder die nur einem bestimmten Personenkreis offen stehen, der in einem besonderen Rechtsverhältnis zu Gemeinwesen oder zu Dienstleistungsanbieterinnen und -anbietern steht, welche in der Baute oder Anlage tätig sind (Ziff. 2). Das BehiG nennt explizit Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs, die bestimmten Bundesgesetzen unterstehen (Art. 3 Bst. b BehiG), Wohngebäude mit mehr als acht Wohneinheiten (Art. 3 Bst. c BehiG) sowie Gebäude mit mehr als 50 Arbeitsplätzen (Art. 3 Bst. d BehiG). Artikel 11 BehiG legt den Grundsatz der Verhältnismässigkeit in diesem Bereich fest, mit weiteren Präzisierungen in der BehiV.
Das BehiG regelt nur die Zugänglichkeit von Bauten und nicht deren Nutzung, mit Ausnahme von Bauten des Bundes (Art. 15 Abs. 2 BehiG). Wichtig ist auch festzuhalten, dass die baulichen Massnahmen, die erforderlich sind, um den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu den Bauten zu gewährleisten, weder im BehiG noch in der BehiV, sondern in technischen Normen festgelegt sind. 4³
Für Bauten, die nicht dem Bund gehören oder von ihm subventioniert werden, ist das BehiG ein Rahmengesetz, dessen Grundsätze nur wirksam werden, wenn sie im kantonalen Baurecht umgesetzt werden. Jeder Kanton hat seine eigenen Regelungen aufgestellt. Dies bedeutet, dass im Bereich des Bauens das kantonale Recht ausschlaggebend ist. Bei der Bestimmung der anwendbaren Standards muss daher auf die kantonalen Regelungen Bezug genommen werden. Dazu hat ein Rechtsgutachten 4⁴ jedoch festgestellt, dass die kantonalen Standards heute höher sind als die bundesrechtlichen Mindestanforderungen des BehiG. Daher soll mit dieser Vorlage, der minimale Anwendungsbereich des Bundesrechts auf die in den Kantonen angewandten Werte erweitert werden (Art. 3 Bst. c und d E-BehiG).
4³ Norm SIA 500 «Hindernisfreie Bauten», (2009), Norm SIA 370.070 «Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen - Besondere Anwendungen für Personen- und Lastenaufzüge, Teil 70: Zugänglichkeit von Aufzügen für alle Personen einschliesslich Personen mit Behinderungen» (2018) und VSS-Norm SN 640 075 «Fussgängerverkehr - Hindernisfreier Verkehrsraum» (2014), abrufbar unter
www.sia.ch
.
4⁴ Zufferey, Reform der Gesetzgebung zu Wohnverhältnissen für Menschen mit Behinderungen. Baurecht Gutachten zur geltenden Rechtslage, zu den Handlungsvektoren und den zu schaffenden Rechtsgrundlagen, Okt. 2023 (Gutachten auf Französisch, Executive Summary auch auf Deutsch), abrufbar unter
www.edi.admin.ch
> Fachstellen > Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB > Wohnen.
4.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen
Die Vorlage zieht für Bund und Kantone keine neuen Kosten nach sich. Private werden nur im Rahmen der Verhältnismässigkeit belastet, einschliesslich der wirtschaftlichen Verhältnismässigkeit. Die Höhe der Kosten insgesamt wie auch die durch den Abbau von Benachteiligungen ermöglichten Einsparungen oder Gewinne lassen sich im Vornherein nicht abschätzen.
4.3 Umsetzung
Massnahmen zur Vermeidung, Verringerung und Beseitigung von Benachteiligungen müssen gegen andere öffentliche Interessen wie der wirtschaftliche Aufwand, der Naturschutz oder die Betriebssicherheit abgewogen werden, und sie müssen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit einhalten. Im geltenden Recht setzen die folgenden drei Verordnungen das BehiG um: die BehiV, die Verordnung vom 12. November 2003 ⁴5 über die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs (VböV) und die Verordnung des UVEK vom 23. März 2016 ⁴6 über die technischen Anforderungen an die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs.
Die Begriffsbestimmungen in Artikel 2 BehiV sollen überarbeitet werden; insbesondere soll Buchstabe d aufgehoben werden. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit soll präzisiert werden. Welche materiellen Neuerungen die Verordnung enthalten wird, ist noch offen. Im Bereich der digitalen Dienstleistungen sollen die bestehenden Standards für Barrierefreiheit auf Verordnungsebene geregelt werden.
Die Inkraftsetzung des revidierten BehiG ist auf den 1. Januar 2027 geplant.
Parallel zur Erarbeitung der Teilrevision des BehiG hat das EDI (EBGB) in Zusammenarbeit mit anderen Bundesstellen, den Kantonen, Akteuren der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft Schwerpunktprogramme in den vier Handlungsfeldern «Arbeit», «Dienstleistungen», «Wohnen» und «Partizipation» konzipiert. Diese Programme enthalten Massnahmen, welche die vorgesehenen gesetzlichen Bestimmungen vor und nach ihrem Inkrafttreten wirksam begleiten sollen.
Die Regulierungsfolgenabschätzung hat gezeigt, dass sich die Wirkung dieser Vorlage nur sehr schwer abschätzen lässt. Die Zahl der potenziell Betroffenen ist grundsätzlich sehr gross angesichts der 1,5 Millionen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz. Der konkrete Nutzen und die effektiven Kosten sind hingegen schwierig abzuschätzen. So konnten die Unternehmen beispielsweise die - organisatorischen und finanziellen - Folgen nicht konkret beurteilen. Dies hängt mit der Komplexität einer solchen Beurteilung und dem gewählten Ansatz zusammen, angemessene Vorkehrungen im Einzelfall zu treffen. Die Vorlage ist denn auch als Ergänzung zu bereits bestehenden Massnahmen konzipiert. Es ist davon auszugehen, dass die vorgesehenen Anforderungen die Herausbildung von Standards und Richtwerten fördern und damit auch die Umsetzung erleichtern werden. Hilfestellung in dieser Hinsicht zu leisten, ist zudem ein Ziel der parallel zu den Gesetzgebungsarbeiten laufenden Schwerpunktprogramme der Behindertenpolitik 2023-2026 in den Handlungsfeldern «Arbeit» und «Dienstleistungen».
⁴5 SR 151.34
⁴6 SR 151.342
5 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen
5.1 Allgemeines
Eines der Hauptanliegen bei der Erarbeitung des BehiG war die Definition bestimmter Begriffe im Zusammenhang mit Behinderung. Die Terminologie ist im Bereich der Menschenrechte wichtig und entwickelt sich ständig weiter. Daher ist es sinnvoll, einige Begriffe anzupassen oder zu klären. Das stellt auch der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK-Ausschuss) fest, der empfiehlt, «auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene alle abwertenden Ausdrücke in Bezug auf Menschen mit Behinderungen aus seiner Gesetzgebung und Politik zu streichen und sie durch eine Terminologie zu ersetzen, die die Würde von Menschen mit Behinderungen wahrt». ⁴7 Insbesondere in diesem Zusammenhang setzt sich die Bundesverwaltung dafür ein, eine nicht diskriminierende Sprache gegenüber Menschen mit Behinderungen zu verwenden. Im Bericht vom 15. September 2023 ⁴8 in Erfüllung des Postulats der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates 20.3002 «Sprachliche Modernisierung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung» hat der Bundesrat anerkannt, dass die Kritik an bestimmten als abwertend und veraltet wahrgenommen Ausdrücken begründet ist. Er stellte in Aussicht, dass im Rahmen künftiger Revisionen des IVG eine Reihe von Ausdrücken im Hinblick auf ihre allfällige Ersetzung eingehend geprüft werden könnte, wenn die Bestimmungen materiell zur Diskussion stehen. Zu diesen Ausdrücken gehört neben «Invalidität», «Hilflosigkeit» und «Gebrechen» oder «Geburtsgebrechen» und ihren Entsprechungen im Italienischen auch das substantivierte Adjektiv «Behinderte» und «Behinderter» im Deutschen sowie «disabile» im Italienischen.
⁴7 UN-BRK-Ausschuss, Abschliessende Bemerkungen zum Initialstaatenbericht der Schweiz, 13. April 2022, Empfehlung 8, Bst. b, auf Englisch, Französisch und in einer inoffiziellen deutschen Übersetzung abrufbar unter
www.edi.admin.ch
> Fachstellen > Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB > Recht > International > UNO-Konvention > Staatenberichtsverfahren > Weitere Informationen.
⁴8 Abrufbar unter
www.parlament.ch
> 20.3002 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.
5.2 Behindertengleichstellungsgesetz
Titel
Im Zusammenhang mit den in Ziffer 5.1 aufgeführten Überlegungen wird in der französischen Fassung der Kurztitel zu « Loi sur l’égalité des personnes handicapées » geändert. Erstens soll der Ausdruck « personnes handicapées» und nicht das Substantiv « les handicapés » verwendet werden. Zweitens ist der Ausdruck « sur l’égalité pour » als eher politische Formulierung für einen Erlass nicht mehr angemessen. Diese Änderung hat ebenfalls keine inhaltlichen Auswirkungen.
Ähnliche Änderungen werden im italienischen Titel des Gesetzes vorgenommen; «Legge federale sull’eliminazione di svantaggi nei confronti dei disabili » wird durch «Legge federale sull’eliminazione di svantaggi nei confronti delle persone con disabilità» ersetzt, der Kurztitel «Legge sui disabili» durch «Legge sulle pari opportunità delle persone con disabilità».
Ingress
Der Ingress wird geändert, um weitere Verfassungsartikel aufzunehmen, auf die sich der Bundesrat stützt und die dem Bund die Kompetenz geben, in den folgenden Bereichen zu legiferieren:
-
Ausübung der privaten Erwerbstätigkeit (Art. 95 Abs. 1 BV);
-
Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Art. 110 Abs. 1 Bst. a BV);
-
Zivilrecht (Art. 122 BV), einschliesslich der durch das OR geregelten Arbeitsverhältnisse.
Ersatz von Ausdrücken
Die Ausdrücke «Behinderter» «Behinderte» und «behindert» (auf Französisch «handicapé» und «handicapés», auf Italienisch «disabile» und «disabili») sind Schlüsselbegriffe des BehiG. Darum soll mit der vorliegenden Revision die Gelegenheit genutzt werden, «Behinderte» und «Behinderter» im Deutschen durch «Mensch mit Behinderungen» und «Menschen mit Behinderungen» und im Italienischen durch « persona con disabilità» und «persone con disabilità » zu ersetzen. Diese Änderung der Terminologie stellt kein materielles Problem dar: Die Ausdrücke werden in der Alltagssprache synonym verwendet, das lexikalische Feld ist dasselbe und der neue Ausdruck ist leicht verständlich. Diese Änderung hat keine inhaltlichen Auswirkungen.
Die terminologischen Anpassungen gelten für alle Zielgruppen, sodass der Ausdruck « behinderte Frauen» / «donne disabili» (Art. 5 Abs. 1 BehiG) im E-BehiG durch «Frauen mit Behinderungen» / «donne con disabilità») ersetzt wird und « behinderte Kinder und Jugendliche» / « fanciulli e adolescenti disabili » durch «Kinder und Jugendliche mit Behinderungen» / « fanciulli e adolescenti con disabilità » (Art. 20 BehiG).
Art. 1 Abs. 2
Mit dem Zusatz «ihre Wohnform zu wählen, sich Zugang zu Dienstleistungen zu verschaffen» soll die Änderung in Artikel 1 Absatz 2 die im geltenden Recht geregelten Lebensbereiche, die für Menschen mit Behinderungen am wichtigsten sind, so weit wie möglich widerspiegeln. Der neue Wortlaut berücksichtigt damit die Prioritäten der Behindertenpolitik des Bundes in den vergangenen Jahren.
Art. 2 Abs. 1, 2 und 6
Ein wichtiges Anliegen bei der Erarbeitung des BehiG war die Definition bestimmter Begriffe im Zusammenhang mit Behinderung. Die Teilrevision wählt einen auf den Menschenrechten beruhenden Begriff von Behinderungen und verdeutlicht das allgemeine Verbot der Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen.
Abs. 1: Die Definition von «Mensch mit Behinderungen» wird geändert und an die Definition der UN-BRK angeglichen. Das Diskriminierungsverbot nach Artikel 8 Absatz 2 BV sowie die Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen nach Artikel 8 Absatz 4 BV gehen wie die UN-BRK von einem weiten Verständnis von Behinderung aus. Die Definition der UN-BRK, die auch in neueren kantonalen Gesetzen übernommen wurde, drückt die Wechselwirkung zwischen den persönlichen Voraussetzungen des Menschen mit Behinderungen und den Barrieren in seiner Umgebung genauer aus, ohne dass dies zu einer inhaltlichen Änderung gegenüber der Definition des geltenden Rechts führt. In der französischen Fassung des Gesetzes wird der Ausdruck « déficience » durch « incapacité » ersetzt und « déficience corporelle » durch «incapacité physique ». Der Ausdruck «incapacité» wird jedoch wie im geltenden Recht im Singular beibehalten, im Gegensatz zu «capacités fonctionnelles», der im Bereich der IV verwendet wird. Der Ausdruck «sensorische» Beeinträchtigung wird hinzugefügt (Art. 1 UN-BRK). Man versteht darunter insbesondere Beeinträchtigungen, die sich auf das Seh-, Hör- oder Sprachvermögen auswirken.
Die Grenzen zwischen den verschiedenen Kategorien von Behinderungen können fliessend sein. Unabhängig von ihrer physischen, psychischen oder sensorischen Natur verfolgt das BehiG daher ebenso wie die UN-BRK ein weites Verständnis von Behinderung, das Einschränkungen wie Autismus-Spektrum-Störungen oder Dys-Störungen wie Dyslexie und Dyspraxie, die zu Lernstörungen führen können, einschliesst. Die Ursache der Beeinträchtigung, ob sie durch die Geburt, eine genetische Veranlagung, eine Krankheit oder einen Unfall bedingt ist, ist für die Definition von Behinderung nach dem BehiG nicht relevant. Menschen, die aufgrund ihres Alters beeinträchtigt sind, sind ebenfalls erfasst.
Manche Menschen können mehrere Beeinträchtigungen haben, manche benötigen Hilfe im Alltag, andere hingegen nicht. In diesem Sinne geht es nicht nur darum, die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen widerzuspiegeln, sondern vor allem darum, ihre Vielfalt als einen wesentlichen Bestandteil des sozialen Zusammenhalts anzuerkennen. Angesichts der Bedeutung der Teilhabe bei der Ausübung von Rechten gilt es als kennzeichnend für eine Behinderung, nicht gleichberechtigt mit anderen voll und wirksam an der Gesellschaft teilzuhaben.
Abs. 2: «ohne sachliche Rechtfertigung» wird gestrichen, da sie eine Verdoppelung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit darstellt, der in jedem Fall strikt anzuwenden ist. ⁴9 Das Merkmal der Behinderung, das mit Artikel 8 Absatz 2 BV geschützt wird, ist im Übrigen ein sogenanntes verpöntes Merkmal, sodass seine Verwendung eine Vermutung einer unzulässigen Ungleichbehandlung hervorruft. Diese Vermutung kann durch eine «qualifizierte» Rechtfertigung umgekehrt werden; die unterschiedliche Behandlung muss ein legitimes und übergeordnetes öffentliches Interesse verfolgen, notwendig und angemessen sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit beachten. 5⁰
Eine Benachteiligung liegt also vor, wenn ein Mensch mit Behinderungen rechtlich oder tatsächlich anders als ein Mensch ohne Behinderungen behandelt wird, wodurch er oder sie schlechter gestellt wird, oder wenn eine unterschiedliche Behandlung fehlt, die zur tatsächlichen Gleichstellung eines Menschen mit Behinderungen und eines Menschen ohne Behinderungen notwendig ist. Benachteiligung umfasst alle Formen der Diskriminierung, sowohl die direkte als auch die indirekte. Die UN-BRK verbietet jede Form der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung (Art. 2 Abs. 3 und 4 sowie Art. 5 UN-BRK). Artikel 8 Absatz 2 BV verbietet Diskriminierungen wegen einer «körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung». Dieses Verbot gilt für den Bund, die Kantone, die Gemeinden, öffentlich-rechtliche Institutionen und Körperschaften, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, sowie für Arbeitgeber und Anbieter von Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind.
Abs. 6: In Anlehnung an den Begriff der Richtlinie 2000/78/EG wird das Konzept der «angemessenen Vorkehrung» in Absatz 6 als im konkreten Fall erforderliche und geeignete Änderung oder Anpassung definiert. Zu den Vorkehrungen können sowohl die von den Arbeitgebern im Rahmen des Arbeitsverhältnisses getroffenen Vorkehrungen (Art. 6 a ) als auch geeignete Massnahmen gelten, die den Zugang und die Nutzung von Dienstleistungen erleichtern (Art. 6).
Die «angemessenen Vorkehrungen» dürfen keine unzumutbare oder unbillige Belastung für den Arbeitgeber darstellen. Anders ausgedrückt: es können diejenigen geeigneten Anpassungen verlangt werden, deren Verweigerung angesichts des Nutzens für die Begünstigten und der zumutbaren Belastung für die Verpflichteten sich vergleichbar wie eine Diskriminierung auswirken würde (vgl. Art. 12 a .) Die UN-BRK stellt de facto die Versagung angemessener Vorkehrungen einer Diskriminierung gleich (Art. 2 Abs. 3 2. Satz UN-BRK; Art. 5 Abs. 3 UN-BRK).
Es wird davon ausgegangen, dass die Rechtsgrundlagen für die Umsetzung der UN-BRK mit der nötigen Offenheit formuliert werden müssen, damit die Vorkehrungen (Änderungen oder Anpassungen) konkret an den Einzelfall angepasst werden können. 5¹ Stellt die erforderliche Vorkehrung eine unzumutbare Belastung dar, handelt es sich nicht um eine Benachteiligung, wenn der Arbeitgeber oder das betroffene Unternehmen darauf verzichtet, sie umzusetzen.
Art. 3 Bst. a, c, d und g
In Bezug auf die Zugänglichkeit von Bauten und Anlagen haben die Kantone Regelungen verabschiedet und Praktiken eingeführt, die über die im BehiG festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
Darum soll die Schwelle für die Anwendung des BehiG auf Wohngebäude mit mehr als sechs Wohneinheiten, gegenüber heute acht, gesenkt werden ( Art. 3 Bst. c ).
In Bezug auf Buchstabe d sieht die Vorlage vor, dass das BehiG auf alle Gebäude mit mehr als 25 Arbeitsplätzen (derzeit 50) anwendbar ist. Die Mehrheit der kantonalen Gesetzgebungen kennt bezüglich dieses Gebäudetyps strengere Vorgaben als das BehiG. Einige sehen vor, dass die Zugänglichkeit für alle Gebäude gelten, die beruflichen Tätigkeiten dienen. 5² Hier soll nun dieses höhere Anforderungsniveau sowie die vorrangige Ausrichtung des Gesetzentwurfs, das Arbeitsumfeld inklusiver zu gestalten, als Massstab dienen. Angesichts der Tendenz der Arbeitgeber, flexible Arbeitsformen wie Homeoffice oder Open Spaces zu ermöglichen, kann der Begriff «Arbeitsplatz» in der BehiV präzisiert werden.
Das BehiG knüpft die Anwendung an das Datum des Inkrafttretens des Gesetzes im Jahr 2004; bei einer Revision des Gesetzes wären Bauwerke, die in den letzten Jahren errichtet wurden, nicht dem Gesetz unterstellt 5³ . Aufgrund der kantonalen Regelungen verzichtet der Bundesrat darauf, in den Buchstaben a, c, d und g einen Zeitpunkt für die Unterstellung zu bestimmen und geht davon aus, dass das BehiG in diesen Fällen zur Anwendung kommt, sobald eine Bau- oder Renovationsbewilligung erforderlich ist.
Buchstabe g legt fest, dass das BehiG sowohl für Arbeitsverhältnisse im privaten Sektor, die dem OR unterstellt sind, als auch für Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Sektor, die dem Personalrecht des Bundes, der Kantone und Gemeinden unterstellt sind, gilt. Das BehiG gilt im Übrigen auch für Arbeitsverhältnisse, die andere Gesetze des Privatsektors regeln, wie das Arbeitsvermittlungsgesetz vom 6. Oktober 1989 5⁴ .
Art. 5 Abs. 1 und 1bis
Absatz 1 wird geändert, um eine positive Formulierung der Verpflichtungen des Bundes und der Kantone zu ermöglichen, Massnahmen zu ergreifen, die die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen gewährleisten. Der zweite Teil des Absatzes bezieht sich auf die Vielfalt der Formen von Behinderung. Behinderung ist wie Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter, Sprache, soziale Stellung, Lebensform sowie religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugung ein durch Artikel 8 Absatz 2 BV geschütztes Merkmal.
Die Erwähnung der besonderen Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen bleibt unverändert, da es immer noch angezeigt ist, die doppelte Diskriminierung, unter der Frauen leiden können, zu beseitigen einen intersektionalen Ansatz in Bezug auf Diskriminierung anzuwenden. 5⁵
Der neue Absatz 1 bis verdeutlicht die Verpflichtung von Bund und Kantonen, Massnahmen unter Mitwirkung der Menschen mit Behinderungen auszuarbeiten. Bund und Kantone sollen Menschen mit Behinderungen in die Ausarbeitung und Umsetzung von Massnahmen, die sich auf sie auswirken können, einbeziehen. Ein Beispiel hierfür ist die Bildung einer Begleitgruppe, die eine Massnahme des Bundes begleitet und dabei Menschen mit Behinderungen oder Personen, die deren Interessen vertreten, einbezieht. Damit soll die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an den Entscheidprozessen der Behörden gefördert werden. Die Vorlage präzisiert damit in Artikel 4 Absatz 3 UN-BRK verankerte Verpflichtung der Vertragsstaaten.
In vielen Bereichen erfordert die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen Massnahmen des Gemeinwesens. So kann ein Mensch mit Behinderungen benachteiligt werden, weil eine zur Gewährleistung seiner Rechte notwendige Massnahme nicht ergriffen wird. ⁵6 Artikel 5 Absatz 1 des geltenden BehiG weist in diesem Sinne den Bund und die Kantone an, Massnahmen zu ergreifen, «um Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen». Angesichts der Einführung des Begriffs der angemessenen Vorkehrungen sollte jede Verwechslung vermieden werden: Artikel 5 Absatz 2 BehiG erlaubt unter bestimmten Umständen ausdrücklich positive Massnahmen.
Art. 6
Mit der Änderung von Absatz 1 soll die Zugänglichkeit und die Nutzung von Dienstleistungen verbessert werden. Absatz 1 bezieht sich auf die allgemeine Definition von Benachteiligung, die jede unterschiedliche Behandlung oder das Fehlen einer unterschiedlichen Behandlung umfasst, die einen Menschen mit Behinderungen schlechterstellt.
Mit dem neuen Absatz 2 wird die Pflicht eingeführt, Benachteiligungen durch angemessene Vorkehrungen zu verhindern, verringern oder beseitigen. Hierbei handelt es sich um Vorkehrungen, die den Zugang zu Dienstleistungen oder deren Nutzung ermöglichen sollen.
«Dienstleistungen Privater» umfasst alle von Privaten angebotenen Dienstleistungen, unabhängig davon, ob diese von natürlichen oder juristischen Personen erbracht werden. Der Begriff «Dienstleistungen» umfasst sowohl Infrastrukturen als auch digitale Dienstleistungen. Die Pflicht betrifft alle Anbieter, die Dienstleistungen öffentlich anbieten.
Dazu gehören alle Anbieter öffentlich zugänglicher kommerzieller und kultureller Dienstleistungen (Kinos, Theater, Restaurants, Hotels, Sportstadien, Detailhändler, Internetprovider usw.), einschliesslich digitaler Dienstleistungen. ⁵7 Der Artikel erfasst also alle digitalen Dienstleistungen, betroffen sind jedoch nur Anbieter, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.
Der Wunsch nach einer Anpassung wird in der Regel vom Menschen mit Behinderungen ausgehen, sodass eine allgemeine Überlegung zu möglichen Massnahmen in abstracto nicht in Betracht kommt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Massnahmen konkret und zeitlich begrenzt sein können: So kann es beispielsweise darum gehen, einer Person Strohhalme zur Verfügung zu stellen, damit sie Kaffee trinken kann, das Spielplatzpersonal zu verstärken, um die Sicherheit zu gewährleisten, wenn der Besuch einer Gruppe von Kindern mit besonderen Bedürfnissen geplant ist, oder einen QR-Code zu erstellen, damit die Angebote eines Schönheitssalons für alle lesbar sind. Es gibt bereits Beispiele und bewährte Praktiken, insbesondere im Kulturbereich. Einige Kultureinrichtungen haben «Relaxed Performances» im Programm, bei denen künstlerische Darbietungen für Menschen zugänglich gemacht werden, die sonst davon ausgeschlossen wären (Verstärkung des Personals am Empfang, angepasste Instrumente der Kulturvermittlung, an die Beeinträchtigung angepasste Produktionen), ohne dass Abstriche beim kulturellen Angebot gemacht werden.
Artikel 6 Absatz 2 ist in Verbindung mit den Artikeln 11 ff. zu lesen, insbesondere mit Artikel 12 a Absatz 1, der die Kriterien nennt, denen bei der Beurteilung der Vorkehrungen, die dem Dienstleistungserbringer auferlegt werden können, Rechnung zu tragen ist (vgl. Erläuterungen zu Art. 12 a ).
Die Weigerung, in einem konkreten Fall eine angemessene Vorkehrung zu treffen, kann rechtliche Folgen haben, da sie eine Benachteiligung fortbestehen lässt oder nicht beseitigt. Sie kann hingegen gerechtfertigt sein, wenn die erforderlichen Anpassungen unverhältnismässig sind oder wenn ein überwiegendes Interesse dagegenspricht. Es kann beispielsweise als unverhältnismässig betrachtet werden, von einem Restaurant zu verlangen, die Speisekarte in Braille-Schrift zur Verfügung zu stellen, wenn es einfache und kostengünstige Alternativen gibt, wie die Erstellung eines QR-Codes. Ebenso scheint es zwar vernünftigerweise zumutbar zu sein, von einem Aquapark zu verlangen, dass sicherheitsrelevante Informationen für alle in Leichter Sprache verfasst sind. Es wäre aber unverhältnismässig zu verlangen, dass das Personal den Gästen Anweisungen in Gebärdensprache geben kann. Müssen Gäste für eine Dienstleistung anstehen, so ist es zumutbar, dass der Dienstleistungserbringer Sitzgelegenheiten im Wartebereich zur Verfügung stellt. Dagegen könnte es unverhältnismässig sein, von ihm zu verlangen, eine Frühbuchermöglichkeit einzurichten. Die Kriterien der Zumutbarkeit müssen im Einzelfall geprüft werden (vgl. Erläuterungen zu Art. 12 a ).
Die Vorkehrungen umfassen lediglich geringfügige architektonische Anpassungen; bauliche Massnahmen hingegen unterliegen weiterhin dem geltenden Bau- und Anlagenrecht. Die Vorlage führt daher für private Unternehmen zu keinen zusätzlichen baulichen Auflagen.
Art. 6a
Absatz 1 verbietet Arbeitgebern Benachteiligungen aufgrund einer Behinderung. Verboten sind sowohl direkte Diskriminierungen (Regeln oder Massnahmen, die an das Merkmal «Behinderung» anknüpfen und ohne triftige Gründe zu einer schlechteren Behandlung des Menschen mit Behinderungen führen) sowie indirekte Diskriminierungen (Regeln oder Massnahmen, die zwar keine Differenzierung aufgrund des Merkmals «Behinderung» vorsehen, jedoch typischerweise Menschen mit Behinderungen ohne berechtigte Gründe benachteiligen). Das Verbot von Benachteiligungen gilt sowohl für öffentlich-rechtliche wie für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse. Die explizite Verankerung dieses Verbots im BehiG ist angebracht, da die allgemeinen Regeln des Privatrechts zum Schutz vor Diskriminierung wegen einer Behinderung nicht ausreichend Wirkung gezeigt haben.
Der zweite Teil von Absatz 1 hält zudem fest, dass dies in allen Phasen und Aspekten des Arbeitsverhältnisses gilt, also ab der Stellenbesetzung.
Absatz 2 verpflichtet die Arbeitgeber, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen. Er besagt nicht nur, dass Menschen aufgrund ihrer Behinderungen nicht schlechter gestellt werden dürfen, sondern dass manchmal auch Anpassungen des Arbeitsumfelds oder der Arbeitsbedingungen erforderlich sein können, damit diese Personen der Erwerbstätigkeit wie die anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nachgehen können. Angemessene Vorkehrungen sind diejenigen Massnahmen, die, bezogen auf die konkrete Arbeitssituation, geeignet sind, eine wegen einer Behinderung (drohende oder bestehende) Benachteiligung zu verhindern, zu beseitigen oder zu verringern. Solche Anpassungen können etwa die Ausgestaltung der Räumlichkeiten, des Pflichtenhefts, des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Arbeitszeit, des Arbeitsorts sowie Massnahmen zur Aus- und Weiterbildung oder die Versetzung in eine andere Position betreffen.
Die Vorkehrungen müssen verhältnismässig, sachlich und angemessen sein. Sie beziehen sich auf Artikel 11 ff., insbesondere auf Artikel 12 a Absatz 2, der die Kriterien nennt, denen bei der Beurteilung der Vorkehrungen, die dem Arbeitgeber auferlegt werden können, Rechnung zu tragen ist.
Die Weigerung, in einem konkreten Fall eine angemessene Vorkehrung zu treffen, kann eine Benachteiligung darstellen. Die Weigerung kann hingegen gerechtfertigt sein, wenn die erforderlichen Anpassungen zu einer unverhältnismässigen Belastung führen. So kann unter Umständen von einem Arbeitgeber vernünftigerweise verlangt werden kann, dass die Arbeitszeiten flexibel gestaltet werden, dagegen dürfte es nicht angemessen sein zu verlangen, dass er das Pflichtenheft wesentlich abändert. Ebenso kann es zumutbar sein, bestimmte besondere Bedürfnisse einer Person mit Behinderungen zu berücksichtigen und beispielsweise die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, anzubieten, aber es wäre unverhältnismässig, dies auf Kosten der Gleichbehandlung der anderen Beschäftigten zu tun, indem man etwa von diesen verlangen würde, häufiger im Büro anwesend zu sein, etwa um einen Pikettdienst sicherzustellen. Im Streitfall muss das Gericht die Kriterien der Verhältnismässigkeit im Einzelfall sorgfältig prüfen (vgl. Erläuterungen zu Art. 12 a ).
Die Pflicht, angemessene Vorkehrungen zu treffen, gilt für alle Arbeitgeber. Da die Angemessenheit der Vorkehrungen aufgrund der konkreten Umstände bestimmt wird, werden die unterschiedlichen Bedingungen und Möglichkeiten der Arbeitgeber in diesem Rahmen angemessen berücksichtigt.
Angemessene Vorkehrungen sind bezüglich ihrer Zielsetzung mit dem Nachteilsausgleich zu vergleichen, wie ihn das BehiG bereits heute in Artikel 2 Absatz 5 im Bereich der Aus- und Weiterbildung kennt. Sie sind darauf ausgerichtet, unnötige oder vermeidbare Hindernisse zu beseitigen; sie bedeuten jedoch nicht, dass ein Arbeitgeber von sachlichen Anforderungen oder Erwartungen an Mitarbeitende mit Behinderungen abweichen müsste. Eine angemessene Vorkehrung verpflichtet nicht dazu, dass die Zugänglichkeit des Arbeitsumfelds oder ein inklusives Arbeitsumfeld generell sichergestellt wird, wie dies Artikel 13 BehiG vom Bund als Arbeitgeber verlangt. Es ist davon auszugehen, dass sich längerfristig Standards herausbilden werden, welche die Umsetzung der gesetzlichen Pflichten erleichtern werden, wie dies bereits heute beim Accessibility-Standard weitgehend der Fall ist.
Art. 8
Artikel 8 regelt, welche Rechtsansprüche bei einer Benachteiligung gemäss Artikel 6 (Dienstleistungen Privater) geltend gemacht werden können.
Der neue Absatz 3 legt fest, dass eine Person, die sich als Opfer eine Benachteiligung im Sinne von Artikel 6 sieht, einem Gericht beantragen kann, eine drohende Benachteiligung zu verbieten (Unterlassungsklage, Bst. a ), eine bestehende Benachteiligung zu beseitigen (Beseitigungsklage, Bst. b ), eine Benachteiligung festzustellen, wenn ihre Auswirkungen weiterhin bestehen (Feststellungsklage, Bst. c ), oder einen Schadenersatz oder eine Genugtuung zu verlangen ( Bst. d ). Zu beachten ist, dass die Schadenersatzklage es dem Opfer ermöglicht, gegebenenfalls gleichzeitig eine Entschädigung und eine Genugtuung zu verlangen.
Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Diskriminierung «aktuell» sein muss, also einen eindeutigen und vorhersehbaren Charakter haben muss. Es gibt Fälle, in denen die Diskriminierung nicht eingetreten ist, in denen klar und vorhersehbar ist, dass eine Massnahme diskriminierende Auswirkungen haben wird.
Der besondere Fall einer weiterhin bestehenden Benachteiligung aufgrund der Verweigerung, angemessene Vorkehrungen zu treffen, ist speziell geregelt in den Artikeln 8 Absatz 4 und 8 a Absatz 5 E-BehiG. Der diskriminierende Charakter einer Verweigerung ist schwer vorhersehbar und es ist schwierig, eine drohende Beeinträchtigung zu verbieten. Eine Vorkehrung ist grundsätzlich individuell und konkret; sie bezieht sich auf eine gegebene Situation und die Anpassung ist zur Gewährleistung der Gleichbehandlung erforderlich. Die Weigerung, eine Vorkehrung zu treffen, muss formuliert und begründet sein, damit sie gilt und gegebenenfalls angefochten werden kann. So ist es nicht denkbar, gegen eine Benachteiligung infolge der Verweigerung, eine Vorkehrung zu treffen, eine Unterlassungsklage anzustrengen. Die besonderen Massnahmen im Fall einer Weigerung, angemessene Vorkehrungen zu treffen, entsprechen der Beseitigung der Benachteiligung (Abs. 1 Bst. b) und der Zahlung einer Entschädigung (Abs. 1 Bst. d).
Die bereits heute bestehende Möglichkeit, in Fällen von Benachteiligung durch Private eine Entschädigung zu verlangen, bleibt bestehen. Sie ist beispielsweise in Fällen von sogenannter «böswilliger» Diskriminierung nützlich, in denen angemessene Vorkehrungen nicht mehr sinnvoll sind, um den erlittenen Schaden wiedergutzumachen (einer Person wird der Zugang zu einer Dienstleistung verweigert, nur weil sie eine Behinderung hat). In diesem Fall kann die Wiedergutmachung nur durch eine Entschädigung in Form einer Genugtuung für immateriellen Schaden erfolgen (es gibt keine andere Möglichkeit, die Gleichstellung «wiederherzustellen»).
Der neue Absatz 4 hält fest, dass es möglich ist, dem Gericht zu beantragen, eine Benachteiligung durch die Anordnung angemessener Vorkehrungen zu beenden oder sie durch eine Entschädigung zu beheben.
Art. 8a
Artikel 8 a legt fest, welche Rechtsansprüche bei einer Benachteiligung gemäss Artikel 6 a (Arbeitsverhältnisse) geltend gemacht werden können. Bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis gilt das OR. Staatsangestellte sind mit einem verwaltungsrechtlichen Vertrag angestellt. Auf Bundesebene gilt das BPG. Analoges gilt auch auf Kantons- und auf Gemeindeebene. Bei Streitigkeiten, die das öffentliche Arbeitsrecht betreffen, ist das anwendbare Verfahren je nach zuständiger Behörde, die in den einzelnen Kantonen und Gemeinden verschieden sind, unterschiedlich.
Absatz 1 regelt die Rechtsansprüche bei einer Benachteiligung im Sinne von Artikel 6 a Absatz 1. Die Bestimmung sieht dieselben Rechtsansprüche vor, wie sie sich auch aus dem Persönlichkeitsschutz oder aus Artikel 5 Absatz 1 GlG ergeben. Dem Gericht oder der zuständigen Verwaltungsbehörde wird beantragt werden können, eine drohende Benachteiligung zu verbieten (Unterlassungsklage; Bst. a ), etwa wenn die Bekanntgabe einer Beförderung, die eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer mit Behinderungen ungerechtfertigt diskriminiert, kurz bevorsteht, eine bestehende Benachteiligung zu beseitigen (Beseitigungsklage; Bst. b ), eine Benachteiligung festzustellen, wenn sich diese weiterhin störend auswirkt (Feststellungsklage; Bst. c ) oder einen Schadenersatz oder eine Genugtuung zu verlangen ( Bst. d ). Wie in Artikel 8 E-BehiG gilt auch bei Artikel 8 a E-BehiG, dass nicht auf Unterlassung einer Verweigerung angemessener Vorkehrungen geklagt werden kann. Zu beachten ist, dass die Schadenersatzklage es dem Opfer ermöglicht, gegebenenfalls gleichzeitig eine Entschädigung und eine Genugtuung zu beantragen.
Absatz 2 sieht vor, dass - analog zu Artikel 5 Absatz 2 GlG -eine Entschädigung nur beantragt werden kann, wenn sich die Benachteiligung auf die Verweigerung einer Anstellung oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bezieht. Eine Pflicht, ein Arbeitsverhältnis zu begründen oder auf eine erfolgte Kündigung zurückzukommen, besteht also nicht. Das Gericht setzt die Entschädigung unter Würdigung aller Umstände fest (Art. 11 Abs. 2 E-BehiG).
Absatz 3 legt Obergrenzen für Entschädigungen im Falle von Benachteiligung fest. Bei einer Ablehnung einer Anstellung darf die Entschädigung drei Monatslöhne nicht übersteigen. Im Fall einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach dem OR darf die Entschädigung nicht mehr als sechs Monatslöhne betragen. Dieselbe Regelung findet sich in Artikel 5 Absatz 4 GlG.
Absatz 4 hält fest, dass der in Artikel 336 a OR vorgesehene Höchstbetrag bei missbräuchlicher Kündigung anwendbar bleibt.
Im Fall der Weigerung, angemessene Vorkehrungen zu treffen, sieht Absatz 5 die Möglichkeit vor, dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde zu beantragen, die Benachteiligung auszugleichen, indem die notwendigen und angemessenen Massnahmen gemäss den Ansprüchen nach Absatz 1 angeordnet werden.
Wenn sich die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Verweigerung, angemessene Vorkehrungen zu treffen, als schwierig oder unmöglich erweist, kann anstelle der Anordnung angemessener Vorkehrungen auch eine Entschädigung verlangt werden. Diese ist wie im Fall einer diskriminierenden Nichtanstellung oder Kündigung unter Würdigung aller Umstände festzulegen.
Art. 9 Abs. 1-3
Der geltende Artikel 9 Absatz 1 BehiG legt die Kriterien fest, die Organisationen erfüllen müssen, um Rechtsansprüche geltend machen zu können: Sie müssen von gesamtschweizerischer Bedeutung sein, es muss sich um Behindertenorganisationen handeln, diese müssen seit mindestens zehn Jahren bestehen und sie müssen Rechtsansprüche aufgrund von Benachteiligungen, die sich auf eine grosse Zahl von Menschen mit Behinderungen auswirken, geltend machen können.
Der Artikel ist restriktiver formuliert als Artikel 89 ZPO, der das Klagerecht von Organisationen in zivilrechtlichen Fällen regelt. Gemäss ZPO können nämlich alle Organisationen von gesamtschweizerischer oder regionaler Bedeutung, die nach ihren Statuten zur Wahrung der Interessen bestimmter Personengruppen befugt sind, auf Verletzung der Persönlichkeit der Angehörigen dieser Gruppen klagen.
So verlangt Artikel 89 ZPO weder eine Mindestdauer des Bestehens von Organisationen, noch verlangt er, dass die fragliche Verletzung eine «grosse Zahl» von Menschen betrifft. Da er auf Verletzungen «der Angehörigen der Gruppe» abzielt, beschränkt er sich jedoch auf kollektive Verletzungen.
Artikel 9 E-BehiG legt nun fest, dass alle Organisationen und Verbände, die seit mindestens zwölf Monaten bestehen und nach ihren Statuten oder ihrer Gründungsakte zum Zweck haben, die Interessen von Menschen mit Behinderungen zu wahren, Klage oder Beschwerde erheben. Die Rechtsansprüche müssen nicht zwingend für eine Verletzung geltend gemacht werden, die die Mitglieder des Vereins oder der Organisation betrifft. Die Vorlage orientiert sich auch an der Revision der ZPO (E-ZPO) ⁵8 , die derzeit im Parlament beraten wird, da sie auf die Voraussetzung der «gesamtschweizerischen oder regionalen Bedeutung» verzichtet. Sie sieht ferner vor, dass die Organisationen «seit mindestens zwölf Monaten» bestehen müssen, analog zum Revisionsentwurf der ZPO (Art. 89 Abs. 1 Bst. b E-ZPO).
Während der oben erwähnte Revisionsentwurf für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen von Organisationen eine Schwelle von zehn Personen vorsieht (Art. 307 b E-ZPO) und Artikel 89 E-ZPO sich auf eine «Personengruppe» bezieht, wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass der kollektive Charakter der Verletzung ab zwei Personen gegeben ist.
Absatz 1 von Artikel 9 E-BehiG passt die Voraussetzungen (Dauer des Bestehens der Organisation oder des Vereins) an Artikel 89 E-ZPO an. Organisationen können grundsätzlich alle Rechte nach dem BehiG geltend machen.
Die Genugtuungsklage ist Gegenstand der laufenden Revision der ZPO und wird nach den allgemeinen Regeln der ZPO möglich sein, sobald diese in Kraft treten. Angesichts der Komplexität der Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, ist eine reparatorische Verbandsklage im spezifischen Rahmen des BehiG nicht angezeigt. Hingegen ist es angebracht, den Organisationen das Klagerecht in Bezug auf andere Ansprüche und Forderungen einzuräumen (Abs. 3 Bst. a), da diese ähnlich sind wie diejenigen nach Artikel 89 E-ZPO.
Absatz 2 wird aufgehoben. Die Revisionen der ZPO und des vorliegenden Entwurfs zielen darauf ab, die Durchsetzung von Rechten, die sich aus Massenschaden ergeben, zu erleichtern.
Die Änderungen in Absatz 3 sind rein redaktionell. Da Absatz 2 aufgehoben wird, muss der Einleitungssatz von Absatz 3 neu formuliert werden, sodass Absatz 3 besser an Absatz 1 anschliesst. Zudem weichen die Sprachfassungen im geltenden Recht voneinander ab. Mit dieser Vorlage wird Formulierung im deutschen Text an den französischen und den italienischen Text angenähert.
Art. 9a
Artikel 9 a regelt in Anlehnung an das GlG das Verfahren bei einer Ablehnung einer Anstellung oder bei einer missbräuchlichen Kündigung, die für einen Menschen mit Behinderungen zu einer Benachteiligung führt.
Absatz 1 gibt Personen, deren Bewerbung nicht berücksichtigt wurde und die eine Benachteiligung geltend machen, Anspruch auf eine schriftliche Begründung des Entscheids. Dies gilt sowohl für privatrechtliche wie für öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse. Liegt keine schriftliche Mitteilung vor und ist die Ablehnung nicht zweifelsfrei bekannt, muss die Bewerberin oder der Bewerber innerhalb einer angemessenen Frist in Erfahrung bringen, ob ein Entscheid vorliegt.
Gemäss Absatz 2 ist der Anspruch auf eine Entschädigung verwirkt, wenn eine Klage nicht innert drei Monaten nach der Mitteilung der Nichtanstellung erhoben wird. Es versteht sich von selbst, dass das Gericht oder die Verwaltungsbehörde in einem Rechtsstreit wegen einer verweigerten Anstellung auch prüfen wird, ob die Nichtanstellung mit wirtschaftlichen Überlegungen begründet wird, wie beispielsweise die Vorwegnahme der Pflicht, angemessene Vorkehrungen bezüglich der persönlichen Situation der Bewerberin oder des Bewerbers zu treffen.
Absatz 3 hält fest, dass bei einer missbräuchlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses Artikel 336 b OR Anwendung findet. Ein Anspruch auf Entschädigung kann nur geltend gemacht werden, wenn spätestens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist schriftlich Einsprache erhoben wird. Ist die Einsprache gültig erfolgt und einigen sich die Parteien nicht über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, so kann die Partei, der gekündigt worden ist, ihren Anspruch auf Entschädigung geltend machen. Wird nicht innert 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Klage anhängig gemacht, ist der Anspruch verwirkt.
Art. 9b
Artikel 9 b sieht in Anlehnung an das GlG eine Beweislasterleichterung vor, da die von einer Benachteiligung betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Regel nicht über die Informationen verfügen, die notwendig sind, um das Vorliegen einer Benachteiligung zu beweisen.
Im GlG wird diese Regel dadurch gerechtfertigt, dass «sie eine tatsächliche Ungleichheit, nämlich die Konzentration der Beweismittel in den Händen des Arbeitgebers, korrigiert». ⁵9 Um zu verhindern, dass aufgrund der Beweislasterleichterung leichtfertig Klagen eingereicht werden, wird verlangt, dass die Person, die einen Schaden geltend macht, das Vorhandensein einer Benachteiligung glaubhaft machen muss. Dies kann im Fall ein ärztliches Attest oder ein Arztzeugnis, das die Behinderung nachweist, oder der Nachweis, dass der Antrag auf angemessene Vorkehrungen hinreichend klargestellt wurde.
Die gleiche Beweislasterleichterung ist auch bei den Ansprüchen nach Artikel 8 vorgesehen. Würde man die allgemeinen Beweislastregeln anwenden, so hätte die Person, die einen Schaden geltend macht, die Beweislast für die Angemessenheit der Vorkehrungen zu tragen. Dies wäre jedoch nur denkbar, wenn man die Situation des Dienstleisters, insbesondere seine finanzielle Lage, sehr genau kennt.
Absatz 2 sieht eine Ausnahme für die Benachteiligung bei der Anstellung vor.
Art. 10 Abs. 1
Artikel 10 Absatz 1 wird revidiert, um den Verweis zu korrigieren und um die Unentgeltlichkeit des Verfahrens auf die neuen Rechtsansprüche von Artikel 8 a auszudehnen.
Art. 11 Abs. 2
Das BehiG räumt Rechtsansprüche in Bezug auf den Zugang zu Bauten und Dienstleistungen ein. In Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit wird dieser Rechtsanspruch indessen nur dann anerkannt, wenn das konkrete Interesse von Menschen mit Behinderungen hinsichtlich des Zugangs zu Bauten oder Dienstleistungen höher zu gewichten ist als die entgegenstehenden Interessen einer anderen Privatperson oder des Gemeinwesens.
An diesem Grundsatz wird festgehalten. Mit der Einführung der Pflicht, angemessene Vorkehrungen zu treffen, wird jedoch präzisiert, wie bei der Verweigerung, angemessene Vorkehrungen im Arbeitsverhältnis und beim Zugang zu Dienstleistungen zu treffen, vorzugehen ist.
Da die Vorlage mehrere Rechtswege vorsieht, wird Absatz 2 dahingehend geändert, dass sich der Verweis auf die relevanten Rechtsansprüche nach den Artikeln 8 und 8 a bezieht.
Der unbestimmte Begriff «Wert der Dienstleistung» wird gestrichen. Die Höhe der maximalen Entschädigung von 5000 Franken wird ebenfalls gestrichen, insbesondere um zu verhindern, dass sie indirekt die zumutbaren Ausgaben für angemessene Vorkehrungen begrenzt.
Art. 12 Abs. 2
Der Verweis auf Artikel 23 wird angepasst. Damit die materiell identischen Bestimmungen in Artikel 12 Absatz 2 und in Artikel 12 a E-BehiG gleich formuliert sind, wird im Deutschen zudem die Verbkonstruktion «Rechnung tragen» durch «berücksichtigen» ersetzt.
Art. 12a
Der neue Artikel 12 a legt Kriterien fest, die bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit in Bezug auf angemessene Vorkehrungen zu berücksichtigen sind. Er bezweckt, eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen, indem er nicht kumulative Kriterien aufzählt, die im Falle eines Rechtsstreits zu berücksichtigen sind.
Absatz 1 präzisiert die allgemeinen Kriterien, die berücksichtigt werden müssen bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit im Falle einer Weigerung, angemessene Vorkehrungen beim Zugang zu Dienstleistungen zu treffen. Absatz 2 bezieht sich auf Arbeitsverhältnisse. Die beiden Prüfungen werden separat geregelt, weil die zu berücksichtigenden Kriterien unterschiedlich sind. Beiden Fällen sind jedoch drei Kriterien gemeinsam:
−
die Grösse und die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens ( Abs. 1 Bst. a und Abs. 2 Bst. a ): So kann von einem grossen Detailhandelsunternehmen mehr verlangt werden als von einem kleinen oder mittleren Unternehmen wie einem Quartierladen oder einem Coiffeursalon. Ein besonderes Interesse gilt den Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Es wird keine Mindestgrösse festgelegt, da viele Anpassungen auch für kleine Unternehmen leicht zu bewerkstelligen sind. Dieses Kriterium stellt sicher, dass die ergriffenen Massnahmen für die Betroffenen angemessen und für die Unternehmen finanziell tragbar sind;
−
eine Ersatzlösung, die geeignet ist, die Benachteiligung zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen ( Abs. 1 Bst. c und Abs. 2 Bst. b ): Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde berücksichtigt - in Anlehnung an die Formulierung in Artikel 12 Absatz 3 BehiG - auch Ersatzlösungen, die vom Unternehmen angeboten wurden und die den geforderten Vorkehrungen entsprechen;
−
die Beeinträchtigung der Rechte und Freiheiten Dritter ( Abs. 1 Bst. d und Abs. 2 Bst. c ): Dieses Kriterium umfasst die Konsumentenrechte, die Wirtschaftsfreiheit und die damit verbundenen Rechte, aber auch die Rechte der anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Bezüglich des Zugangs zu Dienstleistungen muss das Gericht auch die Anzahl der Personen, die die Dienstleistung in Anspruch nehmen, berücksichtigen ( Abs. 1 Bst. b ): Es erscheint sinnvoll, höhere Anforderungen an die Vorkehrungen für die Inanspruchnahme einer Dienstleistung oder deren Nutzung vorzusehen, wenn diese von einer grossen Anzahl von Personen in Anspruch genommen wird.
In beiden Absätzen ermöglicht das Adverb «insbesondere» der auslegenden Behörde, andere überwiegende Interessen in Betracht zu ziehen, die in einer konkreten Situation gegeneinander abzuwägen sind.
3a. Abschnitt: Gebärdensprachen
Ein neuer Abschnitt ist den schweizerischen Gebärdensprachen gewidmet, um der Umsetzung der Motion 22.3373 einen angemessenen Rahmen zu geben und die Bedeutung des Anliegens zu unterstreichen.
Art. 12b
Wie von der Motion 22.3373 WBK-N verlangt, werden mit diesem Artikel die drei schweizerischen Gebärdensprachen anerkannt: die Deutschschweizer Gebärdensprache, die Französische Gebärdensprache und die Italienische Gebärdensprache. Die Anerkennung ist deklaratorischer Natur; zusätzliche Rechtsansprüche, die nicht bereits durch das Diskriminierungsverbot nach Artikel 8 BV abgedeckt und das Behindertengleichstellungsrecht konkretisiert sind, lassen sich daraus nicht ableiten. Dies gilt ebenfalls für den Bereich der IV. Die Anerkennung wird jedoch mit einem allgemeinen Förderauftrag (Art. 12 c E-BehiG) und Fördermassnahmen des Bundes (Art. 14 a E-BehiG) verbunden. Damit erhalten die berechtigten Anliegen der Gehörlosengemeinschaft der Schweiz zusätzliche Sichtbarkeit und Relevanz. Zugleich wird damit auch das Unrecht, das gehörlosen Menschen mit der jahrzehntelangen Unterdrückung ihrer Sprache zugefügt wurde, anerkannt und das Engagement des Parlaments unterstrichen, mit dieser Praxis definitiv zu brechen. 6⁰
Art. 12c
Der Artikel enthält in Ergänzung zu Artikel 5 Absatz 1 E-BehiG einen allgemeinen Auftrag an den Bund und die Kantone, Massnahmen zur Förderung der Verwendung der Gebärdensprachen und deren kulturellen Ausdrucksformen sowie der Verständigung zwischen gehörlosen und hörenden Menschen im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung und Fördergefässe zu treffen. Aus diesem allgemeinen Auftrag lassen sich keine individuellen Ansprüche ableiten. Die verbindliche Formulierung verdeutlicht jedoch die Pflicht von Bund und Kantonen, die Anliegen der Gehörlosengemeinschaft ernst zu nehmen und bei der Umsetzung dieser Bestimmung angemessen zu berücksichtigen. Dazu können auch Beiträge finanzieller Art gehören.
Art. 12d
Artikel 12 d konkretisiert die Möglichkeit des Bundes, Projekte zur Förderung der schweizerischen Gebärdensprachen und ihrer kulturellen Ausdrucksformen zu unterstützen. Der Begriff «kulturelle Ausdrucksformen» weist auf die Vielfalt der kulturellen Formen und Inhalte hin, die unterstützt werden können.
Um die sprachlich-kulturelle Dimension der Anerkennung der schweizerischen Gebärdensprachen hervorzuheben, werden die Fördermassnahmen des Bundes, die sich auf die schweizerischen Gebärdensprachen beziehen, aus Artikel 14 BehiG herausgelöst und in einer eigenen Bestimmung geregelt. Materiell entspricht Artikel 12 d E-BehiG weitgehend Artikel 14 a E-BehiG. Dieser bezieht sich auf die Bedürfnisse von Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen, die in der Lautsprache kommunizieren, während in Artikel 12 d Vorhaben und Massnahmen zur Förderung der Gebärdensprachen und ihrer Verwendung im Vordergrund stehen. Artikel 12 d schafft keinen neuen Fördertatbestand.
Der subsidiäre Charakter der Bestimmung, sowohl in Bezug auf die Zuständigkeit der Kantone als auch auf die IV und die Kulturförderung des Bundes, wird beibehalten. Ebenfalls beibehalten wird die Umschreibung der Vorhaben und Massnahmen in den Bereichen Sprache und Kommunikation, die gefördert werden können. Die bewusst breite Umschreibung hat sich bewährt und gibt dem Bund die nötige Flexibilität, um Vorhaben in zahlreichen Bereichen zu unterstützen.
Auf Anregung der Gehörlosengemeinschaft wird beispielhaft die Unterstützung der Ausbildung von Fachpersonen im Bereich der Gebärdensprachen aufgeführt ( Abs. 1 Bst. b ). Bereits heute unterstützt der Bund Bemühungen für die Ausbildung von Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern, die seit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen im Jahr 2008 eine Aufgabe der Kantone ist. Für die Förderung von Vorhaben der Integration im Allgemeinen und der beruflichen Integration im Besonderen bieten die Artikel 16 und 17 BehiG weiterhin einen geeigneten Rahmen.
Die Artikel 12 d Absatz 2 und 14 a Absatz 2 E-BehiG sehen für den Bund die Möglichkeit vor, Anpassungen zu unterstützen, mit denen Fernsehsendungen für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen zugänglich gemacht werden (einschliesslich des spezifischen Bedarfs an Inhalten in Gebärdensprache für gehörlose Menschen nach dem neuen Art. 12 d ). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Prioritäten im Mediensystem nach dem Bundesgesetz vom 24. März 2006 6¹ über Radio und Fernsehen (RTVG) einen besonderen Schwerpunkt auf die öffentlich-rechtlichen Medien legen. Vorrangig sind es die konzessionierten Medien (SRG und Regionalfernsehen), denen eine solche finanzielle Unterstützung zukommen soll.
Es handelt sich also um verschiedene Sprachmodalitäten (Gebärdensprache, Audiodeskription, Speech-to-Text-Systeme usw.). Eine Übergangsfrist für die Umsetzung der weitergehenden Anforderungen des BehiG an Private, die digitale Dienstleistungen anbieten, kann auf Verordnungsebene vorgesehen werden.
Schliesslich sind diese Medien bereits auf unterschiedlichen Kanälen aktiv (Online-Dienste, Plattformen, Apps). Der Begriff Fernsehsendung» wird deshalb durch den Begriff «redaktionelle Sendung» ersetzt; dieser ist in Artikel 2 Buchstabe c RTVG definiert.
Art. 12e
Nach dem gleichen Prinzip wie bei Artikel 12 d E-BehiG, wird die heute in Artikel 20 BehiG enthaltene Aufgabe der Kantone in Artikel 12 e in Bezug auf die Gebärdensprachen präzisiert: Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche, abgestimmt auf ihre individuellen Bedürfnisse, eine der schweizerischen Gebärdensprachen erlernen können. Änderungen der Zuständigkeiten oder zusätzliche Ansprüche sind damit nicht verbunden.
Art. 13 Abs. 1 und 1bis
Absatz 1 wird geändert, um die Verpflichtung des Bundes als Arbeitgeber, für die Chancengleichheit seiner Mitarbeitenden zu sorgen, klarer zu regeln.
Der neue Absatz 1 bis übernimmt den zweiten Satz von Absatz 1 des geltenden Rechts und wird an die Logik des Gesetzes angepasst: Der Bund soll nicht nur Vorkehrungen zur Integration von Menschen mit Behinderungen treffen, sondern als vorbildlicher Arbeitgeber ein inklusives Arbeitsumfeld ermöglichen.
Art. 14
Artikel 14 Absatz 1 des geltenden BehiG verpflichtet die Behörden des Bundes, Rücksicht auf die besonderen Anliegen der sprach-, hör- oder sehbehinderten Menschen zu nehmen. Dazu gehört auch das Zugänglichmachen von Informationen in Gebärdensprache (z. B. in Form von Videoclips). Gemäss Artikel 11 BehiV treffen die Stellen der Bundesverwaltung auf Verlangen einer sprach-, hör- oder sehbehinderten Person die nötigen Vorkehrungen, damit diese die zuständigen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter aufsuchen und mit ihnen kommunizieren kann. Die Bundesverwaltung übernimmt aufgrund dieser Bestimmung die Kosten, die beispielsweise bei Behördenkontakten und Veranstaltungen für Gebärdensprach- oder das Schriftdolmetschen anfallen.
Artikel 14 E-BehiG fasst die bisher teils auf Gesetzes- (Art. 14 BehiG), teils auf Verordnungsstufe (Art. 9 BehiV) geregelten Pflichten der Verwaltungsstellen des Bundes, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt Zugang zu Informationen und Dienstleistungen zu gewährleisten, zusammen. Angesichts der Tatsache, dass die vorliegende Teilrevision des BehiG private Anbieter von Dienstleistungen stärker in die Pflicht nimmt, ist es sinnvoll, auch die für den Bund geltenden Grundsätze auf Gesetzesstufe zu regeln. Die Ausführungsbestimmungen werden weiterhin auf Verordnungsebene geregelt werden. Durch die neue Verteilung der Bestimmungen auf Gesetz und Verordnung werden die bestehenden Ansprüche besser sichtbar gemacht.
Entsprechend wird der geltende Artikel 14 auf zwei Bestimmungen aufgeteilt: den neu mit «Zugänglichkeit und Kommunikation» betitelten Artikel 14 sowie einen neuen Artikel 14 a mit der Sachüberschrift «Fördermassnahmen in den Bereichen Bildung, Verständigung und Sprache».
Artikel 14 Absatz 1 entspricht dem bisherigen Artikel 9 Absatz 1 BehiV. Neben baulichen und technischen Massnahmen sollen aber neu bei Bedarf auch kommunikative Massnahmen ergriffen werden müssen, um die Dienstleistungen der Verwaltung Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass gehörlose Menschen und Menschen mit Hörbehinderungen, aber auch Menschen mit Lernbehinderungen, vor allem auf kommunikative Hindernisse stossen und auf alternative Kommunikationsformen angewiesen sind.
Absatz 2 entspricht dem heutigen Artikel 11 BehiV: Aufgeführt werden drei Gruppen von Personen, die besonders im Bereich der Kommunikation und der Orientierung auf Unterstützung angewiesen sind. Unter gehörlosen Menschen sind in erster Linie Menschen zu verstehen, deren Erstsprache eine Gebärdensprache ist. Menschen mit Hörbehinderungen sind insbesondere im Bereich der lautsprachlichen Kommunikation, Menschen mit Sehbehinderungen im Bereich der Orientierung und der schriftlich-visuellen Kommunikation auf Unterstützung angewiesen (z. B. in Form des Schriftdolmetschens oder des Erlernens der Braille-Schrift). Menschen mit Sprachbehinderungen sind, unabhängig von der jeweiligen Ursache, in der Artikulation und/oder im altersgerechten Gebrauch ihrer Muttersprache in Laut und/oder Schrift beeinträchtigt.
Absatz 3 verpflichtet die Stellen des Bundes, ihre Kommunikation so zu gestalten, dass sie auch für Menschen mit Behinderungen verständlich ist. Die Bestimmung ist bezüglich der Zielgruppe offener gefasst als der bisherige Artikel 14 Absatz 1 BehiG, der lediglich die Bedürfnisse der sprach-, hör- und sehbehinderten Menschen ausdrücklich erwähnt. Mit der neuen Fassung wird deutlich, dass diese Bestimmung auch die Bedürfnisse von Menschen mit Lernbehinderungen und von gehörlosen Menschen, die in Gebärdensprache kommunizieren, erfasst. Als Folge der Verankerung der schweizerischen Gebärdensprachen im Gesetz und aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse wird die Pflicht, wichtige Informationen in den Gebärdensprachen zur Verfügung zu stellen, ausdrücklich festgehalten. Das Gesetz definiert nicht, was unter wichtigen Informationen zu verstehen ist und in welcher Form und in welchem Umfang Informationen in den Gebärdensprachen angeboten werden sollen. Dies muss auf der Basis von Ausführungsnormen, fachlichen Standards (z. B. der Accessibility-Standard eCh-0059) sowie in Absprache mit den betroffenen Zielgruppen jeweils von Fall zu Fall festgelegt werden. In der Regel genügt es, lediglich einen Teil der allgemein verfügbaren Informationen zusätzlich auch in Gebärdensprache anzubieten (z. B. in Form von Zusammenfassungen oder Übersichten mit Orientierungscharakter). Dabei müssen die Prinzipien der Verlässlichkeit und der Sachgerechtigkeit der Informationen gewahrt werden.
Die Behörden sind bereits nach geltendem Recht verpflichtet, ihre digitalen Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Diese Pflicht, die sich an die Verwaltungseinheiten nach Artikel 14 Absatz 1 BehiG richtet, soll durch Ergänzung eines Absatzes 4 konkretisiert werden. Die im geltenden Artikel 14 Absatz 2 BehiG vorgesehene Delegationsnorm, die dem Bundesrat die Kompetenz zum Erlass der notwendigen technischen Vorschriften überträgt, bleibt unverändert. Die Einzelheiten werden auf Verordnungsebene geregelt werden.
Art. 14a
Artikel 14 a E-BehiG entspricht weitgehend dem bisherigen Artikel 14 Absatz 3 BehiG, der 2001 bei der parlamentarischen Beratung des BehiG aus dem damaligen Vorentwurf für das Sprachengesetz übernommen wurde. Die Erweiterung der bisherigen Artikel 14 Absätze 1 und 2 zu einem neuen Artikel 14 lässt es als sinnvoll erscheinen, die bestehenden Fördermassnahmen in einem separaten Artikel zusammenzufassen und gleichzeitig die Fördermassnahmen, die sich primär auf die schweizerischen Gebärdensprachen beziehen, in einem eigenen Artikel (Art. 12 d ) zu regeln. Ebenfalls soll der Förderbereich von Buchstabe a um die frühkindliche Bildung (Frühförderung) ergänzt werden.
Der subsidiäre Charakter der Bestimmung, sowohl gegenüber der Zuständigkeit der Kantone als auch gegenüber den Leistungen der IV und der Kulturförderung des Bundes, wird beibehalten. Ebenfalls beibehalten wird die breite Umschreibung der sprach- und kommunikationspolitischen Vorhaben und Massnahmen, die gefördert werden können. Eine breite Umschreibung hat sich in der Vergangenheit bewährt und gibt dem Bund die nötige Flexibilität, um Vorhaben in zahlreichen Bereichen, wie der Bildung, der Kultur oder des Gesundheitswesens, zu unterstützen. Für die Förderung von Vorhaben der Integration im Allgemeinen und der beruflichen Integration im Besonderen bieten zudem weiterhin die Artikel 16 und 17 BehiG einen geeigneten Rahmen.
Art. 15 Abs. 2bis-5
Für den Zugang zu digitalen Dienstleistungen gibt es zwei massgebliche EU-Richtlinien: die Richtlinie (EU) 2016/2102 6² und die Richtlinie (EU) 2019/882 6³ . Beide legen eine Reihe von Normen fest, darunter die Europäische Norm für die Barrierefreiheit von IKT (Accessibility requirements for ICT products and services, EN 301 549).
Bei Produkten (z. B. Smartphones) werden die europäischen Normen direkt in die Schweizer Gesetzgebung übernommen. Für Dienstleistungen (z. B. Notrufnummern) muss das Bundesamt für Kommunikation hingegen Verordnungen erlassen oder anpassen (z. B. die Verordnung vom 25. Nov. 2015 6⁴ über Fernmeldeanlagen). Es steht dem Bund frei, weitere Bestimmungen vorzusehen oder eigene Standards wie den Accessibility-Standard eCH-5009-zu definieren.
Für Private gelten die internationalen und europäischen Standards; diese gehen weit über den Accessibility-Standard eCH-5009 und die Normen des World Wide Web Consortium hinaus.
Auf der Ebene des BehiG muss daher zwischen Normen, die für den Bund gelten, und solchen, die für andere Anbieter gelten, unterschieden werden. Dies ist der Zweck des neuen Absatz 2 bis , der dem Bundesrat die Kompetenz gibt, Vorschriften zu erlassen, die sich auf harmonisierte nationale oder internationale Normen beziehen.
Die Absätze 3, 4 und 5 werden redaktionell angepasst: damit die technischen Vorschriften, die der Bundesrat erlassen kann, neu auch digitale Dienstleistungen betreffen.
Art. 22 (keine Änderung im E-BehiG)
Die Anpassungsfristen für den öffentlichen Verkehr sind am 31. Dezember 2023 abgelaufen. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Anpassung von Artikel 22 BehiG angezeigt wäre. Angesichts des Umstands, dass bisher lediglich ein Teil der Haltestellen behindertengerecht sind, wurden seitens mehrerer Parteien und der Behindertenorganisationen in der Vernehmlassung zusätzliche Massnahmen gefordert, insbesondere eine Verlängerung der gesetzlichen Frist bis 2030, eine Etappierung mit verbindlichen Zwischenzielen, eine griffige Kontrolle der Zielerreichung und damit verbundene Sanktionen bei der Nichterreichung der Ziele sowie eine gesicherte Finanzierung für die Umsetzung des BehiG.
Artikel 22 soll in der geltenden Fassung beibehalten werden, damit die Pflicht zur Anpassung der Bauten, Anlagen und Fahrzeige für den öffentlichen Verkehr innerhalb der gesetzlichen Frist eindeutig bleibt und es keinen Zweifel an der weiterbestehenden Verbindlichkeit gibt. Eine Anpassung der Frist würde zu keiner Beschleunigung führen. Sanktionen wären aufwendig und würden ebenfalls wenig bewirken. Eine Fristverlängerung bis 2030 (also drei Jahre nach dem voraussichtlichen Inkrafttreten der vorliegenden Revision) hätte kaum Einfluss auf den Planungshorizont der Infrastrukturbetreiber. Ausserdem sollen die Infrastrukturbetreiber und die Verkehrsunternehmen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Um die schnellstmögliche Umsetzung zu gewährleisten, begleitet das Bundesamt für Verkehr (BAV) die Anpassung der Eisenbahninfrastruktur weiterhin eng und kann bei Bedarf auf die Steuerung einwirken. Dies betrifft auch die Planung und Umsetzung von Überbrückungs- und Ersatzmassnahmen. Die Anpassungen bei der Eisenbahninfrastruktur im Zusammenhang mit der Revision des BehiG werden über den Bahninfrastrukturfonds anhand der mit den Infrastrukturbetreibern abgeschlossenen Leistungs- und Umsetzungsvereinbarungen finanziert. Bei den Bus-Haltestellen liegt die Zuständigkeit für die Planung, Genehmigung und Finanzierung bei den Kantonen und Gemeinden.
Art. 23
Artikel 23 betrifft die Finanzhilfen, die 2024 auslaufen.
Die Absätze 1 und 2 können aufgehoben werden.
Neu besteht der Artikel nur noch aus einem Absatz. Darin wird der Verweis auf Artikel 22 beibehalten. Der Vollzug oder die Aufhebung von Verfügungen über die Gewährung von Mitteln, die nach der VböV bereits gesprochen wurden, werden sich somit weiterhin auf Artikel 22 BehiG stützen.
Es steht nicht mehr die Auszahlung von Finanzhilfen im Fokus, sondern die Aufsicht über die korrekte Umsetzung der in den bereits vom BAV erlassenen Zusicherungsverfügungen festgelegten Bedingungen (z. B. keine absichtliche Verkürzung der Laufzeit von unterstützten Massnahmen) und im Extremfall die Einforderung der Rückzahlung der Gelder. Die VböV, die unter anderem die Modalitäten für die Gewährung von Finanzhilfen gestützt auf Artikel 23 BehiG enthält, wird derzeit revidiert.
⁴9 Schefer/Hess-Klein, Behindertengleichstellungsrecht, Bern 2014, S. 187 f.
5⁰ BGE 143 I 129 S. 133 f.
5¹ Cera, R., in: Della Fina, Lentina / Cera, Rachele / Palmisano, Giuseppe (Hrsg.), The United Nations Convention on the Rights of Persons with Disabilities, A Commentary, 2017, Springer Art. 5, S. 168.
5² Zufferey, Reform der Gesetzgebung zu Wohnverhältnissen für Menschen mit Behinderungen. Baurecht Gutachten zur geltenden Rechtslage, zu den Handlungsvektoren und den zu schaffenden Rechtsgrundlagen, Okt. 2023, (Gutachten auf Französisch, Executive Summary auch auf Deutsch) S. 11.
5³ Zufferey, Reform der Gesetzgebung zu Wohnverhältnissen für Menschen mit Behinderungen. Baurecht Gutachten zur geltenden Rechtslage, zu den Handlungsvektoren und den zu schaffenden Rechtsgrundlagen, Okt. 2023, (Gutachten auf Französisch, Executive Summary auch auf Deutsch), S. 6.
5⁴ SR 823.11
5⁵ Vgl. Bericht des Bundesrates vom 16. Juni 2023 «Gewalt gegen Menschen mit Behinderung in der Schweiz» in Erfüllung des Postulats Roth 20.3886, S. 22.
⁵6 Schefer, Markus / Martin, Céline / Hess-Klein Caroline, Leitfaden für die Kantone zur gesetzgeberischen Umsetzung der UN-BRK, Schulthess: Zürich, 2022, S. 220-221.
⁵7 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 11. Dez. 2000 zur Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen, BBl 2001 1715 , 1806 .
⁵8 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 10. Dez. 2021 zur Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung (Verbandsklage und kollektiver Vergleich), BBl 2021 3048 .
⁵9 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 24. Febr. 1993 zum Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz) und zum Bundesbeschluss über die Genehmigung einer Änderung der Verordnung über die Zuweisung der Ämter an die Departemente und der Dienste an die Bundeskanzlei, BBl 1993 1248 , 1301 .
6⁰ Vgl. Bericht des Bundesrates vom 24. Sept. 2021, «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen» in Erfüllung der Postulate Rytz 19.3668, Lohr 19.3670, Romano 19.3672 und Reynard 19.3684, S. 48f.
6¹ SR 784.40
6² Richtlinie (EU) 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Okt. 2016 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen, Abl. L 327 vom 2.12.2016, S. 1.
6³ Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, Abl. L 151 vom 7.6.2019, S. 70.
6⁴ SR 784.101.2
5.3 Zivilprozessordnung
Die Regeln der ZPO für Streitigkeiten nach dem GlG werden analog für Streitigkeiten nach dem BehiG übernommen. Die Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe d, 199 Absatz 2 Buchstaben c und d, 210 Absatz 1 Buchstabe d und 243 Absatz 2 Buchstabe g ZPO werden geändert. Es wird eine Lösung vorgeschlagen, die Streitigkeiten über Dienstleistungen von Privaten einbezieht (Art. 6 BehiG). Damit wird die Kohärenz des Verweises mit den Artikeln 113 Absatz 2 Buchstabe b und 114 Buchstabe b ZPO gewahrt. Die Regeln des BehiG, die das Gemeinwesen betreffen und nicht in den Geltungsbereich der ZPO fallen, sind aufgrund der Nichtanwendbarkeit der ZPO auf sie betreffende Streitigkeiten automatisch ausgeschlossen. Die gleiche Argumentation gilt für das GlG, wenn es auf Arbeitsverhältnisse angewendet wird, die dem öffentlichen Recht unterliegen.
5.4 Sprachengesetz
Art. 8 Abs. 1bis
Gemäss Artikel 8 Absatz 1 SpG äussert sich jedes Mitglied der Bundesversammlung in den Beratungen der eidgenössischen Räte und ihrer Kommissionen in der Landessprache seiner Wahl. Mit Blick auf eine gesetzliche Verankerung der schweizerischen Gebärdensprachen im BehiG ist es sinnvoll, im SpG ausdrücklich festzuhalten, dass sich Ratsmitglieder in einer der schweizerischen Gebärdensprachen ihrer Wahl äussern können.
6 Auswirkungen
6.1 Auswirkungen auf den Bund
Die Vorlage zieht keine finanziellen Konsequenzen für den Bund nach sich.
6.2 Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete
Die Vorlage hat keine spezifischen Auswirkungen auf die Kantone und Gemeinden.
Es kann aber daran erinnert werden, dass Artikel 8 Absatz 4 BV dem Bund und den Kantonen den Auftrag erteilt, Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu ergreifen. 6⁵ Einige Kantone scheinen offenbar eigene Massnahmen ergriffen zu haben, um die Situation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern, was sie aufgrund von Artikel 4 BehiG tun können.
So enthalten einige kantonale Gesetze bereits die Pflicht für Behörden und Private, angemessene Vorkehrungen zu treffen. Diese Pflicht steht etwa implizit in der Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 23. März 2005 6⁶ , deren Artikel 8 Absatz 3 wie folgt lautet: «Für Behinderte sind der Zugang zu Bauten und Anlagen sowie die Inanspruchnahme von Einrichtungen und Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, soweit wirtschaftlich zumutbar, gewährleistet. Der Gesetzgeber konkretisiert die wirtschaftliche Zumutbarkeit.» Eine ähnliche Bestimmung enthält die Verfassung der Republik und des Kantons Genf vom 14. Oktober 2012 ⁶7 , deren Artikel 16 Absatz 1 wie folgt lautet: «Für Behinderte sind der Zugang zu Bauten und Anlagen sowie die Inanspruchnahme von Einrichtungen und Leistungen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, gewährleistet». Der Kanton Genf erarbeitet derzeit ebenfalls ein Gesetz über die Gleichstellung und die Rechte von Menschen mit Behinderungen. ⁶8
In einigen kantonalen Gesetzgebungen ist die Pflicht der Behörden und Privatpersonen, angemessene Vorkehrungen zu treffen, ausdrücklich genannt. So legt zum Beispiel der Kanton Wallis im Gesetz vom 31. Januar 1991 ⁶9 über die Rechte und die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Artikel 35 b Absatz 1, der am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist, fest, dass Menschen «aufgrund ihrer Behinderung ohne zwingende Gründe weder direkt noch indirekt benachteiligt werden» dürfen und in Absatz 2, dass der Kanton, die Gemeinden und die Träger kantonaler oder kommunaler Aufgaben sowie die Anbieter öffentlich zugänglicher Leistungen «angemessene Vorkehrungen [treffen] um Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu verhindern, zu beseitigen oder zu verringern».
Auch das Gesetz vom 18. September 2019 7⁰ über die Rechte von Menschen mit Behinderungen des Kantons Basel-Stadt kennt eine Pflicht, angemessene Vorkehrungen zu treffen. Gemäss § 6 «Zugänglichkeit und Kommunikation» treffen der Kanton, die Gemeinden, die Träger öffentlicher Aufgaben und die Anbieter öffentlich zugänglicher Leistungen «angemessene Massnahmen, um ihre Leistungen für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen und damit deren Schlechterstellung zu verhindern».
Die Anerkennung von Gebärdensprachen auf kantonaler Ebene ist ebenfalls weiter fortgeschritten als auf Bundesebene. Einzelne Kantone anerkennen die jeweilige Gebärdensprache in ihrer Verfassung ausdrücklich als Teil der Sprachenfreiheit (Zürich) oder im Rahmen der Rechte von Menschen mit Behinderungen (Genf, Tessin). Der Kanton Neuenburg kennt eine Anerkennung auf Gesetzesstufe. In verschiedenen anderen Kantonen sind entsprechende Vorstösse hängig. 7¹
Auch wenn diese kantonalrechtlichen Bestimmungen relativ neu sind und es derzeit schwierig, wenn nicht unmöglich ist, ihre Wirksamkeit zu beurteilen, zeigen sie auf mehreren Ebenen das politische Engagement zugunsten von Menschen mit Behinderungen und zeugen von einem gewissen Bedarf nach einer Vereinheitlichung im Bundesrecht unter Beachtung der verfassungsmässigen Kompetenzen.
6⁵ Vgl. Mahon, in: Petit commentaire de la Constitution fédérale, 2003, ad Art. 8 Rz.°23.
6⁶ SR 131.222.1
⁶7 SR 131.234
⁶8 Genf, Wochenbulletin des Staatsrats vom 12. Juni 2024 «Mise en consultation de l’avant-projet de loi sur l’égalité et les droits des personnes en situation de handicap», auf Französisch abrufbar unter
www.ge.ch
> Publications > Suche Droits des personnes en situation de handicap.
⁶9 SGS 850.6
7⁰ SG 140.500
7¹ Vgl. Bericht des Bundesrates vom 24. Sept. 2021, «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen» in Erfüllung der Postulate Rytz 19.3668, Lohr 19.3670, Romano 19.3672 und Reynard 19.3684, S. 28.
6.3 Auswirkungen auf die Wirtschaft
Parallel zur Erarbeitung dieser Vorlage wurde eine externe Regulierungsfolgenabschätzung durchgeführt. Die Analyse hat den Handlungsbedarf zugunsten der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen bestätigt, aber auch Verständnis für die Befürchtung gezeigt, dass die Teilrevision wirkungslos bleiben könnte.
Die Zahl der Personen, die potenziell betroffen sind, ist sehr gross: Es gibt in der Schweiz 1,5 Millionen Menschen mit Behinderungen. Aufseiten der Wirtschaft sind rund 258 000 Unternehmen von den Regelungen im Bereich der Arbeit und sogar 468 000 Unternehmen als Anbieter von Dienstleistungen potenziell betroffen. Aufgrund des Prinzips der Verhältnismässigkeit ist es jedoch wahrscheinlich, dass die tatsächliche Zahl der betroffenen Unternehmen deutlich geringer sein wird.
Auf dieser Grundlage kommt die Regulierungsfolgenabschätzung zum Schluss, dass es schwierig ist, die Wirksamkeit der geplanten Regulierung sowie ihre Auswirkungen auf die Volkswirtschaft abzuschätzen. Darüber hinaus hängt der tatsächliche Abbau von Benachteiligungen vom Zusammenspiel der gesetzlichen Vorgaben und der flankierenden Massnahmen ab, insbesondere von den Unterstützungs- und Beratungsmassnahmen.
6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft
Die Vorlage fördert die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
6.5 Auswirkungen auf die Umwelt
Die Vorlage hat keine Auswirkungen auf die Umwelt.
7 Rechtliche Aspekte
7.1 Verfassungsmässigkeit
Auch wenn anerkannt ist, dass Artikel 8 Absatz 4 BV als solcher keine Kompetenzen zuweist, enthält er doch einen Gesetzgebungsauftrag, nämlich den Auftrag im Gesetz Massnahmen vorzusehen zur Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen, insbesondere in den Zuständigkeitsbereichen des Bundes (der Auftrag richtet sich auch an die kantonalen Gesetzgeber). Der Bundesgesetzgeber hat bereits einige, der auslegungsbedürftige Begriffe im Zusammenhang mit seinem Auftrag zur Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen im BehiG konkretisiert. 7²
Gemäss Artikel 35 Absätze 2 und 3 BV sind Personen, die staatliche Aufgaben wahrnehmen, verpflichtet, zur Verwirklichung der Grundrechte beizutragen, und die Behörden müssen dafür sorgen, dass die Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter Privaten wirksam werden. Unter Privaten kann die Gleichstellung in einem Spannungsverhältnis zu anderen Grundfreiheiten stehen, die auf Privatautonomie beruhen, etwa der Wirtschaftsfreiheit. Diese Vorlage trägt zur Verwirklichung von Artikel 8 Absatz 4 BV bei, und zwar sowohl hinsichtlich der Beziehungen zwischen Staat und Privaten als auch hinsichtlich der Beziehungen unter Privaten. In Gesetzgebungsvorhaben in anderen Bereichen, in denen es notwendig war, die Vertragsfreiheit oder die Wirtschaftsfreiheit zum Schutz der Grundrechte einzuschränken, wurde bereits gleich vorgegangen. 7³ Bei der Verabschiedung konkreter Massnahmen kann sich der Gesetzgeber auf die besonderen Kompetenzen stützen, die ihm in bestimmten Bereichen zugewiesen sind.
Arbeit
In Bezug auf die Gleichstellung im Erwerbsleben und in Arbeitsverhältnissen stützt sich der Entwurf auf die Artikel 110 Absatz 1 Buchstabe a 122 BV, die den Bund zur Gesetzgebung im Bereich des Arbeitnehmerschutzes und im Bereich des Privatrechts, einschliesslich der durch das OR geregelten Arbeitsverhältnisse, ermächtigen. Im Bereich des öffentlichen Rechts stützt sich der Gesetzgeber auf die Organisationsbefugnis, die ihm Artikel 173 Absatz 2 BV einräumt, um für die Behörden und die Verwaltungseinheiten verbindliche Bestimmungen zum Schutz gegen Diskriminierung zu erlassen. Der Gesetzgeber hat bereits von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Arbeitsverhältnisse zu regeln, indem er das Verbot der Diskriminierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgrund des Geschlechts in Artikel 3 GlG konkretisiert hat.
Dienstleistungen
Für den Erlass von Bestimmungen im Bereich der von Privaten erbrachten Dienstleistungen stützt sich der Entwurf auf Artikel 122 BV, der den Bund ermächtigt, auf dem Gebiet des Zivilrechts zu legiferieren, sowie auf Artikel 95 Absatz 1 BV, der den Bund ermächtigt, Vorschriften über die Ausübung der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit zu erlassen. Dem Wortlaut nach ist Artikel 95 Absatz 1 BV inhaltlich keinen Einschränkungen unterworfen, die Regelungsziele einer Bundeslösung sind daher offen. Die Pflicht, einen Menschen nicht aufgrund einer Behinderung zu diskriminieren, stellt eine Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit von Dienstleistungsanbietern dar, die jedoch verhältnismässig und durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Da sich die Vorlage im Bereich der Dienstleistungen auf die privatwirtschaftliche Erwerbstätigkeit nach Artikel 95 Absatz 1 BV beschränkt, bewegt sie sich innerhalb des Kompetenzrahmens des Bundes.
Auch wenn bereits definiert wurde, was unter einem privaten Dienstleister, der eine Dienstleistung öffentlich anbietet, zu versehen ist, 7⁴ schränkt das Erfordernis einer Verbindung mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit den Anwendungsbereich ein: Nur wenn der Dienstleister seine Dienstleistung in Ausübung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zugänglich macht, unterliegt er den Bestimmungen des BehiG.
Gebärdensprachen
Wie der Bundesrat im Bericht vom 24. September 2021 «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen» in Erfüllung der Postulate Rytz 19.3668, Lohr 19.3670, Romano 19.3672 und Reynard 19.3684 aufgezeigt hat, wirft diese Anerkennung verschiedene verfassungsrechtliche Fragen auf, je nach Art der Anerkennung. Eine Anerkennung der Gebärdensprachen als Landessprachen oder (Teil-) Amtssprachen würde zum Beispiel eine Anpassung der Sprachenordnung auf Verfassungsebene (Art. 4 und 70 BV) bedingen. Das Gleiche gilt für eine ausdrückliche Erwähnung in der Verfassungsbestimmung zur Sprachenfreiheit (Art. 18 BV). Im Bericht wurde zudem die Möglichkeit der Anerkennung der «Gebärdensprachen als Fördersprachen» ausgeführt (Ziff. 5.2.4 des Berichts). Dieser Ansatz wurde für diese Vorlage gewählt. Sie ermöglicht es, eine deklaratorische Anerkennung mit konkreten Fördermassnahmen zu verbinden, ohne dass dafür eine Verfassungsänderung nötig ist. Damit wird zugleich die kulturpolitische Dimension der Gebärdensprachen unterstrichen. 7⁵
7² Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 11. Dez. 2000 zur eidgenössischen Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen, BBl 2001 1715 , 1817 .
7³ Vgl. etwa im Zusammenhang mit Art. 13 Abs. 2 BV die Botschaft des Bundesrates vom 19. Febr. 2003 zur Änderung des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) und zum Bundesbeschluss betreffend den Beitritt der Schweiz zum Zusatzprotokoll vom 8. Nov. 2001 zum Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten bezüglich Aufsichtsbehörden und grenzüberschreitende Datenübermittlung ( BBl 2003 2101 ) und den Bundesbeschluss vom 24. März 2006 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Zusatzprotokoll vom 8. Nov. 2001 zum Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten bezüglich Aufsichtsbehörden und grenzüberschreitende Datenübermittlung ( BBl 2006 3649 ).
7⁴ Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 11. Dez. 2000 zur eidgenössischen Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen, BBl 2001 1715 , 1806
7⁵ Bericht des Bundesrates vom 24. September 2021 «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen», in Erfüllung der Postulate 19.3668 Rytz, 19.3670 Lohr, 19.3672 Romano und 19.3684 Reynard, S. 44-50.
7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz
Im Jahr 2014 ist die Schweiz der UN-BRK beigetreten, die die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, die Rechte der Menschen mit Behinderungen umzusetzen.
Die Zugänglichkeit zu fördern ist ein zentrales Anliegen der Konvention (Art. 9 UN-BRK). Ergänzend zu dieser Verpflichtung, die auf eine allgemeine Verbesserung der Rahmenbedingungen abzielt, verpflichtet Artikel 5 UN-BRK die Vertragsstaaten dazu, anzuerkennen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, und besondere Schritte «zur Beseitigung von Diskriminierung» in konkreten Situationen zu unternehmen. Der UN-BRK-Ausschuss bezieht sich in seinen Arbeiten häufig auf ein Konzept der Behinderung, das auf den Menschenrechten sowie auf der Barrierefreiheit und angemessenen Vorkehrungen beruht. «Angemessene Vorkehrungen» definiert die UN-BRK als «notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismässige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten geniessen oder ausüben können» (Art. 2 UN-BRK). Folglich kommt es gemäss dem UN-BRK-Ausschuss einer Diskriminierung aufgrund einer Behinderung gleich, wenn einer Person angemessene Vorkehrungen verweigert werden. 7⁶ Auf dieser Grundlage kann ein Mensch mit Behinderungen sein Recht geltend machen, dass die Einrichtungen und Dienste das Notwendige tun, um seiner besonderen Situation Rechnung zu tragen, solange dies nicht zu einer übermässigen Belastung führt. So sind angemessene Vorkehrungen sowohl als eine Form nicht diskriminierender Behandlung als auch als ein Mittel zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung durch Beseitigung der von der Gesellschaft geschaffenen Hindernisse zu verstehen (in Bezug auf das BehiG indem Benachteiligungen verhindert, verringert oder beseitigt werden). Der Ausschuss ist der Meinung, dass in Fällen, in denen das Verbot nicht die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen umfasst, der Schutz unvollständig ist.
Zunächst wurde davon ausgegangen, dass die Vorgaben im Landesrecht der Schweiz mit der Definition von Diskriminierung gemäss der UN-BRK übereinstimmten: Liegt eine Diskriminierung gemäss Artikel 8 Absatz 2 BV vor, muss sie behoben werden. Artikel 8 Absatz 4 BV diente vor allem dazu, den Begriff der Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen einzuführen; dieser wurde später im BehiG konkretisiert. In seinen abschliessenden Bemerkungen vom April 2022 zum Initialstaatenbericht der Schweiz wies der Ausschuss auf Lücken im Schweizer Recht hin Dazu zählt das Fehlen der Garantie eines umfassenden und wirksamen Schutzes vor Diskriminierung. In diesem Zusammenhang empfahl der Ausschuss der Schweiz, das geltende Gesetz anzupassen und seinen Geltungsbereich auf alle Einrichtungen und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind oder von privaten Einrichtungen für die Öffentlichkeit bereitgestellt werden, auszudehnen 7⁷ und Massnahmen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung Zugang zu einer Beschäftigung auf einem integrativen ersten Arbeitsmarkt im öffentlichen und privaten Sektor haben. ⁷8
Im Rahmen seiner vierten allgemeinen regelmässigen Überprüfung der Schweiz am 27. Januar 2023 hat auch der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Empfehlungen zur Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen im Schweizer Rechtssystem formuliert, insbesondere im Hinblick auf eine bessere Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt. ⁷9
Gemäss dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) muss das Diskriminierungsverbot im Licht der Anforderungen der UN-BRK gelesen werden und Menschen mit Behinderungen können angemessene Vorkehrungen erwarten, um die faktischen Ungleichheiten, denen sie ausgesetzt sind, zu korrigieren. 8⁰
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der vorliegende Entwurf eine Anpassung des Rechts an die internationalen Verpflichtungen der Schweiz ermöglicht.
Es sei daran erinnert, dass die Schweiz verschiedene andere internationale Verpflichtungen in Bezug auf Menschen mit Behinderungen eingegangen ist, darunter die Artikel 6 und 8 des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 1966 8¹ über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, für die Schweiz in Kraft seit dem 18. September 1992, das Übereinkommen Nr. 111 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1958 8² über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, in der Schweiz in Kraft seit 13. Juli 1962, sowie das Übereinkommen Nr. 159 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 20. Juni 1983 8³ über die berufliche Rehabilitation und die Beschäftigung von Behinderten, in der Schweiz in Kraft seit 20. Juni 1986.
Darüber hinaus hat sich die Schweiz im Rahmen der Agenda 2030 zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung verpflichtet, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen und deren Teilhabe an der Gesellschaft zu verbessern.
Die Frage der Anerkennung der Gebärdensprachen hat in den letzten Jahrzehnten auch international an Bedeutung gewonnen. Die UN-BRK sieht ausdrücklich vor, dass die Vertragsstaaten die Gebärdensprache anerkennen sowie deren Verwendung und die Gehörlosenkultur fördern (Art. 21 Bst. e, Art. 24 Abs. 3 Bst. c und Art. 30 Abs. 4). Die UN-BRK lässt den Vertragsstaaten jedoch viel Spielraum bei den Modalitäten der Anerkennung und den von der Anerkennung erwarteten Wirkungen. Anlässlich des Staatenberichtsverfahrens hat der UN-BRK-Ausschuss der Schweiz empfohlen, die drei schweizerischen Gebärdensprachen auf Bundes- und Kantonsebene als Amtssprachen anzuerkennen und die Verwendung der Gebärdensprachen in allen Lebensbereichen zu fördern, die Verfügbarkeit von Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern sicherzustellen und für eine enge Zusammenarbeit mit der Gehörlosengemeinschaft zu sorgen. 8⁴
7⁶ UN-BRK-Ausschuss, Allgem. Bemerkung 6 (2018) zur Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, 26. April 2018, Abs. 3, auf Englisch und Französisch abrufbar unter
www.ohchr.org
> Instruments et mécanismes > Organes conventionnels > Comité des droits des personnes handicapées (CRPD) > À propos du comité > Observations générales.
7⁷ UN-BRK-Ausschuss, Abschliessende Bemerkungen zum Initialstaatenbericht der Schweiz, 13. April 2022, Empfehlung 20, Bst. b.
⁷8 UN-BRK-Ausschuss, Abschliessende Bemerkungen zum Initialstaatenbericht der Schweiz, 13. April 2022, Empfehlung 52, Bst. b.
⁷9 Menschenrechtsrat, Bericht der Arbeitsgruppe zur allgemeinen regelmässigen Überprüfung der Schweiz, 31. März 2023, auf Englisch und Französisch abrufbar unter
www.ohchr.org
> Instruments et mécanismes >Examen périodique universel > Documentation par pays > Suisse.
8⁰ Vgl. insb. die Rechtssache Çam v. Türkei vor dem EGMR, Beschwerde 51500/08, Urteil vom 23. Febr. 2016, Abs. 65.
8¹ SR 0.103.1
8² SR 0.822.721.1
8³ SR 0.822.725.9
8⁴ UN-BRK-Ausschuss, Abschliessende Bemerkungen zum Initialstaatenbericht der Schweiz, 13. April 2022, Empfehlung 42, Bst. a.
7.3 Unterstellung unter die Ausgabenbremse
Mit der Vorlage werden keine neuen Subventionen, Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen.
7.4 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes
7.4.1 Die Bedeutung der Subvention für die vom Bund angestrebten Ziele
Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen.
Gemäss den Artikeln 14 Absatz 3 Buchstaben a und b sowie 16 BehiG kann der Bund Massnahmen der Kantone und nicht gewinnorientierter Organisationen zur Förderung der beruflichen und sozialen Integration von Menschen mit Behinderungen mit Finanzhilfen unterstützen. Ebenfalls kann der Bund gemäss Artikel 17 BehiG Pilotversuche zur Integration von Menschen mit Behinderungen ins Erwerbsleben durchführen. Die Ausrichtung solcher Beiträge erfolgt subsidiär zu den Leistungen der IV. Bei diesen Förderinstrumenten handelt sich um eine der wenigen Möglichkeiten, mit denen der Bund Bestrebungen der Kantone oder der Zivilgesellschaft zur Förderung der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in Lebensbereichen fördern kann, die durch die Leistungen der IV nicht abgedeckt werden. Ziel ist es insbesondere, neue Massnahmen und Formen der Integration zu testen.
Der Entwurf behält die bisherigen Fördermöglichkeiten bei, da sie sich bewährt haben. Die Ausgliederung der Förderbestimmungen, die sich auf Anliegen im Zusammenhang mit den schweizerischen Gebärdensprachen beziehen, in einen neuen Artikel 12 c E-BehiG schafft gegenüber dem bisherigen Artikel 14 BehiG keine neuen Fördertatbestände. Ebenfalls ergeben sich daraus keine finanziellen Folgen.
Die Ausrichtung der Finanzhilfen erfolgt im Rahmen des Budgets des EBGB. Die derzeit eingestellten Mittel von rund 2,2 Millionen Franken pro Jahr, wurden in den letzten Jahren regelmässig ausgeschöpft. Um die Behindertenpolitik des Bundesrates 2023-2026 umzusetzen, wurde der Kredit für die Jahre 2025-2027 um 0,5 Millionen Franken auf rund 2,7 Millionen Franken pro Jahr erhöht. Ausgerichtet werden in der Regel A-Fonds-perdu-Beiträge an die Projekte.
7.4.2 Materielle und finanzielle Steuerung
Es handelt sich um eine Projektförderung. Die relevanten Förderkriterien werden in den Artikeln 16-18 BehiV präzisiert. Die Überwachung der Projekte und die Zielkonformität der Mittelverwendung werden durch das EBGB sichergestellt. Voraussetzung für die Finanzhilfe ist eine zumutbare Eigenleistung durch die Gesuchstellenden oder eine entsprechende Co-Finanzierung durch Drittmittel (Art. 19 BehiV). Die verlangte Eigenleistung beträgt in der Regel 50 Prozent der Projektsumme, und das EBGB verlangt einen jährlichen Zwischenbericht sowie nach Projektabschluss eine interne oder externe Evaluation (Art. 24 und 25 BehiV).
7.4.3 Verfahren der Beitragsgewährung
Die Beitragsvergabe erfolgt im Rahmen eines Gesuchsverfahrens mit zwei jährlichen Eingabeterminen (Art. 20-23 BehiV). Die Beurteilung der Gesuche wird durch das EBGB und das Generalsekretariat des EDI anhand eines einheitlichen Beurteilungsrasters (Kriterien: «Bedarf», «Wirkung», «Innovationspotenzial», «Nachhaltigkeit», «Übertragbarkeit») vorgenommen. Ebenfalls berücksichtigt wird, inwiefern Projekte einen Beitrag zu den Schwerpunktprogrammen des Bundesrates leisten und die Anliegen von Frauen mit Behinderungen berücksichtigt werden. Das EBGB kann bei der Beurteilung externe Fachleute beiziehen. Transparenz über die Mittelvergabe wird dadurch gewährleistet, dass die unterstützten Projekte im Portal Projektbeitragsverwaltung des EBGB ausgewiesen werden. Das EBGB informiert auf seiner Website zudem über besonders relevante Projekte.
Im Jahr 2022 hat das EBGB eine externe Evaluation durchführen lassen, bei der 35 Projekte zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Bereich Sport aus dem Zeitraum von 2004 bis 2021 untersucht wurden. Die Evaluation kam zum Schluss
, dass sich die Finanzhilfen bewährt haben und bezüglich Wirkung und Nachhaltigkeit positiv zu bewerten sind. Ein gewisses Verbesserungspotenzial wurde bei der Kommunikation der Fördermöglichkeiten und der Projektergebnisse sowie der Niederschwelligkeit des Gesuchverfahrens festgestellt. Die entsprechenden Empfehlungen werden durch das EBGB umgesetzt.
8⁵
8⁵ Abrufbar unter
www.edi.admin.ch
> Fachstellen > Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB > Finanzhilfen > Unterstützte Projekte > Evaluationen Finanzhilfeprojekte.
7.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen
Die Vorlage sieht vor, dass der Bundesrat im Bereich der Zugänglichkeit und der Kommunikation die erforderlichen technischen Vorschriften in Anlehnung an die harmonisierten nationalen oder internationalen Normen erlässt. Ausserdem ist eine Anpassung der bestehenden Verordnungen vorgesehen.
Bundesrecht
Botschaft zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes
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